Grüner Hund

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Mopsfidel? Weit gefehlt!

Über das Massenphänomen Qualzucht

Schwere, lebenslange Atemnot – eine allzu häufige Diagnose bei Möpsen, französischen und englischen Bulldoggen, Shih-Tzu, Pekinesen, Boston Terriern oder Boxern. Im Fachjargon heißt das Phänomen Brachyzephalie ("brachis" = kurz und "cephalus" = Kopf) und ist eine Folge gezielter Zucht und strengen Rassestandards: Eine menschengemachte Erbkrankheit, die zu schweren gesundheitlichen Schäden, qualvollen Leiden und nicht selten lebensbedrohlichen Zuständen bis zum Erstickungstod führt. Der Sauerstoffmangel verursacht auf Dauer auch schwere Herzerkrankungen. Durch Zuchtauslese wurde der Schädel, ganz besonders Nase und Unterkiefer, immer weiter verkürzt, damit auch erwachsene Tiere ihre niedlich-kindliche Stupsnase behalten. Bedient wird hier das Kindchen-Schema. Durch die sukzessiven Änderungen ist der Schädel zu kurz geworden.


Dramatische Zunahme der Krankheiten

Dass Qualzucht zu einem Massenphänomen geworden ist und längst nicht nur unter den schwarzen Schafen der Züchterszene vorkommt, davon zeugen die drastisch gestiegenen OP-Zahlen. "Früher hatten wir solche Eingriffe drei bis vier Mal im Jahr, heute sind es drei- bis vierhundert Eingriffe jährlich", erklärt Dirk Schrader, Seniorchef einer Hamburger Tierarztpraxis. In seiner Klinik, aber auch in mehreren anderen bundesweit, müssen die Tierärzte regelmäßig die Auswüchse einer fehlgeleiteten Rassezucht beheben. Charakteristisch für Brachyzephalie sind verengte Nasenlöcher und Nasenhöhlen, ein verlängertes und verdicktes Gaumensegel sowie Veränderungen am Kehlkopf. Das führt zu lauter, schnarchender Atmung und in schweren Fällen zu akuter Atemnot. Im Laufe des Hundelebens nehmen die Beschwerden noch zu, weil der zu enge Atmungsgang in der Nase und der damit verbundene Atemwiderstand mit der Zeit zu einer Veränderung des Gewebes im Rachen- und Kehlkopfbereich führen. Das Gewebe verdickt sich und engt die Atemwege immer weiter ein. Bei den meisten kurzköpfigen Rassen ermöglicht also erst ein tierärztlicher Eingriff das halbwegs normale Atmen. Menschen bezahlen also beim Züchter horrende Preise für Welpen, die bestimmte Rassestandards erfüllen (beim Mops sind das solche Eigenschaften wie "quadratisch, gedrungen und viel Masse in kleinem Raum vereinend"), um die Hunde später für teures Geld erst lebensfähig machen zu müssen. Und das nur wegen der Optik. Wie grotesk ist das denn? Und wie grausam.

Designerhunde: Von Zwergen und Riesen

69 Prozent aller in Deutschland gehaltenen Hunde sind Rassehunde, Mischlinge machen nur 31 Prozent aus. Die Spielwiese für weitere Zuchtexperimente ist also groß genug – und der Markt offen für neue Moden. Schon jetzt sei kaum eine Rasse frei von Erbkrankheiten, die durch Fehler in der Zucht entstanden sind, meint Ottmar Diestl, Genetikexperte am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Er kritisiert den zu häufigen Einsatz einzelner Deckrüden, warnt vor genetischer Verarmung durch Inzucht und appelliert an die Hundekäufer, sich besser zu informieren.

Zahlreiche Rassen todgeweiht

Der Mops und andere kurznasige Hunderassen sind nur ein Beispiel für krankhafte Zustände in der Zuchtszene. Die Übertypisierung durchzieht so gut wie alle Rassen: Die Deutsche Dogge wird extrem groß gezüchtet, aus Chihuahuas, Yorkshire Terriern, Shih-Tzu, Maltesern, aber auch Spitzen oder Pudeln werden dagegen "Teacup"-Hunde designt, so winzig gezüchtet, dass erwachsene Hunde in eine Teetasse passen. Ein weiteres Beispiel einer gepeinigten Rasse ist der Cavalier King Charles Spaniel: Fast die gesamte Population leidet an einem Herzfehler und Kleinhirn-Quetschung. 10 Prozent der Hunde zeigen die Symptome im ersten Jahr, 20 Prozent im zweiten.

Zahlreiche sterben bereits mit vier oder fünf Jahren. Auch die Tibet-Dogge (Do-Khyi), eine teure und sehr begehrte chinesische Rasse wird von vielen Hundeexperten für todgeweiht gehalten: Kaum ein Welpe kommt gesund zur Welt. Sie leiden meist an Epilepsie, Augenerkrankungen, Hüftgelenk-Dysplasie sowie Hypothyreose, einer Schilddrüsen-Unterfunktion, die unter anderem zu Haarausfall, Übergewicht, Lähmung und Herzschwäche führen kann. Das Phänomen ist so verbreitet, dass bestimmte Krankheitszustände bei bestimmten Rassen bereits als normal gelten. "Wenn wir das Totschweigen in der Hundezucht überwinden, kommen wir einen großen Schritt weiter", meint Ottmar Diestl.15

Qualzucht eigentlich verboten

Das Totschweigen wird durch die geltenden Gesetze gut ermöglicht: Tierärzte und Aktivisten haben keine Handhabe, um gegen unseriöse, ja grausame Zuchtpraktiken vorzugehen. Obwohl das Tierschutzgesetz Qualzucht eigentlich verbietet, ist die Definition leider zu allgemein gehalten. Der Paragraph 11b besagt: "Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten (…), wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, (…) erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten." Weder die Übertypisierung noch die Vermehrung der Tiere mit Erbkrankheiten wird durch das Gesetz systematisch verfolgt. "Der gesetzliche Spielraum besteht – wenn er denn kommt – in den Ausstellungen, das ist der stärkste Hebel", meint Ottmar Diestl. "Wenn solche Hunde keine Championate mehr gewinnen, nicht mehr ausgestellt werden dürfen, gibt es vermutlich auch keine Nachfrage mehr." Eine gesetzliche Handhabe, die den Vermehrern das Handwerk legt, fehlt aber nach wie vor, denn Standards, die eine Qualzucht genau definieren, gibt es nicht. "Mit Gutachten, die auf Bundesebene in Auftrag gegeben werden, könnten Tierärzte gegen solche Züchter gerichtlich vorgehen", meint Ralf Unna, Tierarzt und Vizepräsident des Tierschutzverbandes NRW.

David gegen Goliath

Das würde allerdings ein Ende der goldenen Ära vieler Branchen rund um Hund bedeuten. Denn neben den Züchtern, die ihre heiß begehrten Welpen unters Volk bringen, und der Pharmaindustrie, die die kranken Tiere mit Medikamenten versorgt, profitieren auch viele Tierärzte von den Auswüchsen des Rassenwahns: Mittlerweile gibt es mehrere HNO-Tierkliniken bundesweit, die sich auf die brachycephalen Rassen spezialisiert haben. Eine Goldgrube. Es gibt aber auch Ausreißer, die zwar immer noch wie David gegen Goliath kämpfen, aber doch immer mehr an Aufmerksamkeit und Befürworter gewinnen: Einige Züchter haben das Problem erkannt und setzen auf Kreuzungen mit anderen Rassen, um die verhängnisvollen Rassestandards zu korrigieren und die genetischen Defekte aus dem Erbgut zu verbannen. Kreuzt man die Hunde in der Zukunft wieder zurück, bekommt man möglicherweise das Rassenbild in ähnlicher Weise, aber ohne die


Für das Kindchen-Schema leidet Mops an lebenslanger Atemnot und Herzschwäche

Defekte und die Übertypisierung. So erfreuen sich mittlerweile Kreuzungen einer steigenden Beliebtheit, wie etwa der Retro-Mops, ein Mix aus Mops und Parson-Jack-Russel-Terrier, der langgestreckter, robuster und mobiler erscheint. Und endlich auch normal atmen kann. Große Verbände – wie der VDH, mit seinen über 650.000 Mitgliedern der größte Verband für Hundezucht und Hundesport in Deutschland – lehnen solche Kreuzungen jedoch als nicht rassekonform ab. Züchter, die ausscheren, riskieren finanzielle Einbußen. Gibt man auf der Webseite des Verbands in der Volltextsuche "Qualzucht" ein, erscheinen nur zwei Treffer: Die Stellungnahme des VDH zu dem WDR-Film "Reine Rasse, volle Kasse" sowie ein Artikel des VDH-Pressesprechers Udo Kopernik, der nach einer philosophischen Betrachtung der Mensch-Hund-Beziehung anschließend die Verantwortung für Qualzuchten klar der Politik in die Schuhe schiebt. Ein schwaches Zeugnis für einen Verband, der in Bezug auf Qualzuchten "sehr viel erreicht" haben will.

Alternative Verbände

Glücklicherweise gibt es Hundeliebhaber, denen die Gesundheit ihrer Schützlinge wichtiger ist als die immer schräger werdenden Rassestandards und die Medaillen, die man bei Ausstellungen ergattern kann. Es entstehen immer mehr Vereine, die das Ruder umreißen wollen, wie etwa der IHV, Internationaler Hunde Verband e. V., der sich auf die Fahnen schreibt: "Bei uns zählt nicht das Papier, sondern das Tier". Immer mehr Züchter nehmen sich der Sache auch an und kreieren eigenständig neue Rassen, wie Imelda Engehrn mit ihrem Contintental Bulldog. Schließen sich dem positiven Trend weitere Züchter und Verbände an, kann das Leiden der Zuchthunde in naher Zukunft reduziert werden.


Internationaler Hunde Verband e. V. www.internationaler-hundeverband.de

Continental Bulldogs vom Böhlerbächli www.continentalbulldogs.ch

Qualzucht: 18 Hunderassen auf dem Index

Christoph Jung über das gestörte Mensch-Hund-Verhältnis und die dringende Wende in der Hundezucht

Christoph Jung, Jahrgang 1955, ist Diplom-Psychologe, hat aber auch Biologie studiert und bei Reinhold Bergler, dem bekannten Nürnberger Professor und Fachmann für die Mensch-Tier-Beziehungen, die Geheimnisse der Heimtierforschung ergründet. 2011 unterstützte er die Bundestagsgremien bei der Novelle des Tierschutzgesetzes. Mit Hunden und Katzen aufgewachsen, beschäftigt er sich seit mehreren Jahren mit der Partnerschaft von Mensch und Hund. Er ist Initiator des "Dortmunder Appells"16 für eine Wende in der Hundezucht und betreibt seit 2007 den Blog www.petwatch.de. Er wohnt mit einer Tochter und Frau in der Nähe von Halle/Saale zusammen mit drei Hunden: der englischen Bulldogge Bruno, der Husky-Hündin Mary und dem Podenco-Mischling Zander.

 

Seit Jahren engagieren Sie sich für die Rechte von Zuchthunden. Sie haben zahlreiche Aktionen gestartet, die den Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) zum Handeln bewegen sollten. Sie sind auch der Autor von "Schwarzbuch Hund: Die Menschen und ihr bester Freund". Was war der Auslöser Ihres Engagements?

Es gab zwei Hintergründe: Erstens, meine langjährigen Erfahrungen, die ich mit Hunden gesammelt habe. Ich bin mit Hunden groß geworden, sie waren meine engsten Vertrauten und Freunde. Später habe ich mich auch professionell mit dem Thema Mensch-Hund-Beziehung beschäftigt. Während des Studiums beispielsweise damit, welche Hunderasse sich für die Werbung am besten eignet. Und der zweite Hintergrund meines Engagements war mein Hund Willi, eine englische Bulldogge, die ich Mitte der 90er-Jahre bekommen habe. Die Rasse war mein Kindheitstraum, aus dem beinahe ein Alptraum geworden ist: Willi war dauernd krank. Keine lebensbedrohlichen Krankheiten, aber durchgehend stimmte etwas nicht mit ihm. Ich war alle zwei Wochen beim Tierarzt und dachte erst, ich hätte Pech, bis ich mich eingehend mit der Problematik der Rassezucht beschäftigt habe.

Auf Ihrer Website schreiben Sie von der "Untätigkeit der Justiz in der Durchsetzung der rechtskräftigen Urteile gegen Rufmord und Bedrohung". Hat Ihr Engagement gegen die Missstände in der Hundezucht negative Konsequenzen für Sie gehabt?

Leider ja und das massiv. Es war in der Zeit, als ich recht erfolgreich war mit meiner Öffentlichkeitsarbeit. Der Vorstand des VDH hat mich sogar eingeladen, gemeinsam ein Reform-Programm auf die Beine zu stellen. Dann haben aber Anfeindungen seitens der Hundezucht-Szene, aber auch seitens des Auslandstierschutzes angefangen. Viele zwielichtige Typen haben versucht mich mundtot zu machen. Ich hatte 20 rechtskräftige Urteile in der Hand wegen Rufmord, Verleumdung und Bedrohung – doch keinen hat‘s interessiert, von der Justiz kam keinerlei Hilfe. Bei Veranstaltungen wurden meine Familien und meine Hunde bedroht, auf Google Maps wurde eine Zielscheibe auf mein Haus gesetzt. Ich hatte Nachtanrufe, ich solle auf meinen Hund aufpassen. Obwohl ich alle Prozesse gewonnen habe, musste ich die Gerichtskosten selbst tragen, weil meine Gegner angeblich mittellos waren. Es hat mich so viel Geld und Nerven gekostet, dass ich aufhören wollte. Doch dann kamen so viele Mails von Menschen, die mich unterstützt haben, dass ich dann weiter gemacht habe, nur etwas verhaltener.

Was läuft in der heutigen Hundebranche aus Ihrer Sicht falsch?

Der Hund ist zur Ware geworden, der Mensch hat die Verbindung zur Natur verloren und dadurch auch das natürliche Verhältnis zum Hund. Der Hintergrund des Problems sind die Agrar- und Nahrungsmittelkonzerne, die meines Erachtens kein Interesse am Tierschutz haben, egal ob bei Nutz- oder Haustieren. Futtermittelkonzerne sind die größten Lobbyisten an den Universitäten. Es gibt in der Tiermedizin kaum wissenschaftliche Forschungen, die nicht von Konzernen wie Mars beeinflusst sind. Bereits seit den 50er-Jahren ist die Futtermittelindustrie mit der Tiermedizin eng verbandelt, viel extremer als die Lebensmittel- oder Pharmaindustrie mit der Humanmedizin. Der Hund ist einfach ein hervorragendes Objekt, um gutes Geld zu verdienen. Im "Schwarzbuch Hund" habe ich ja nachgewiesen, dass alle an diesem Markt Beteiligten am kranken Hund mehr verdienen als am gesunden. Die Kleintiermedizin lebt von den Krankheiten der Tiere. Ein Professor sagte mir mal: "Herr Jung, wenn das, was Sie schreiben, durchkommt, ist die Hälfte meiner Studenten arbeitslos". Das sind einfach gegenläufige Interessen. Ein einzelner Tierarzt mag schon ein schlechtes Gewissen haben, er muss aber auch schauen, dass er Geld verdient. Es gibt keine Kontrollinstanz, die die Missstände überwacht. Deswegen gibt es auch keinerlei ernsthafte Versuche in der Zucht, gesetzliche Qualitätskriterien festzuschreiben.


Christoph Jung mit seiner Hündin Mary

Wie erklären Sie sich die extreme Ambivalenz zwischen der vermeintlichen Hundeliebe und der rücksichtslosen Zucht, die zu Missbildungen, Krankheiten, verkürzter Lebenserwartung und lebenslanger Qual führt?

Erstens: Die Liebe ist sehr zwiespältig. Einerseits unverfälscht und rein, auf der anderen Seite verhält es sich wie mit dem Auto: Das Auto lieben die Menschen oft auch, es ist aber nur ein Gerät. Vor dem Hund müssten wir viel mehr Respekt haben. Seiner vielen Qualitäten müsste man sich viel bewusster werden. Und zweitens: Die Menschen haben verlernt, ihrem eigenen Gefühl zu vertrauen. Das gestörte Verhältnis zur Natur ist in jedem Bereich sichtbar. So auch in der Beziehung zwischen Mensch und Hund, die immer komplizierter wird. Früher haben wir kein Futter in einer Hochglanzverpackung bekommen, stattdessen auf unsere Instinkte vertraut. Die Hunde haben Reste bekommen und einmal die Woche ein paar Knochen vom Metzger, mal ein Stück Fleisch. Und sie sind alt geworden. Eigentlich müsste doch jeder wissen, dass eine Tütensuppe nicht gesund sein kann. Warum sollte es sich denn mit Fertigfutter anders verhalten? Vieles geschieht aus Bequemlichkeit, es wird aufs Geld geachtet.

Wieso lieben wir Hunde, haben aber gar kein Problem mit der Massentierhaltung?

Der Hund hat ein ganz besonders enges Verhältnis zum Menschen. Wo haben Menschen schließlich die Gelegenheit, eine Beziehung zu einer Kuh oder einem Schwein aufzubauen? Die Tatsache, dass ein Stück Fleisch nicht am Baum hängt, wird permanent verdrängt. Überall – im Supermarkt, auf den LKWs, im Fernsehen – sehen wir "lachende" Schweine und vergnüglich kauende Kühe auf einer Blumenwiese. Das Fleisch kommt ja auch schön verpackt, wie eine Tafel Schokolade. Früher wusste jeder genau, dass ein Schwein im Stall steht und im Herbst oder Frühjahr geschlachtet wird. Da gab es dann ein Schlachtfest und jeder hat das tote Schwein gesehen und wusste, was man isst. Heutzutage wissen viele Großstadt-Kinder nicht mal, dass für die Milch eine Kuh nötig ist. Das Fleisch aus der Massentierhaltung hat doch mit viel Leid und Tod zu tun und das will man verdrängen. Die Industrie tut auch alles Erdenkliche, um das Verdrängen zu ermöglichen. Ein Kaninchen wird zu Hause gestreichelt, im Supermarkt aber für kleines Geld aus dem Tiefkühler geholt. Das eine wird mit dem anderen gar nicht mehr in Verbindung gebracht. Ein weiteres Ergebnis der Entfremdung von der Natur.

Der Unterschied zwischen einem Haus- und einem Nutztier kommt auch zum Vorschein, wenn man sich die verschiedenen Ernährungstrends anschaut. Künstliches Kraftfutter für die Kuh und Frischfleisch für den Hund. Was steckt dahinter?

Der Wolf als ein großes Vorbild in der Ernährung von Hunden ist eine Mode. Beide Spezies sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Hund ist kein zahmer Wolf, er ist ein Ergebnis einer 20.000 – 30.000 Jahre dauernden Domestikation. Der Hund ist ein Begleiter des Menschen. Das menschliche Leben und dessen Ernährung ist seine natürliche Umgebung und nicht die Wildnis des Wolfes. Die Ansätze, Hunde und Wölfe in der Ernährung gleichzusetzen, taugen nichts. Diese Sicht auf den Hund ist ein Teil der Entfremdung von der Natur. Deswegen ist es falsch – was von einigen Futtermarken propagiert wird –, den Hund wie den Wolf in der Wildnis ernähren zu wollen. Der Wolf jagt und fastet lange. Das tut der Hund nicht. Auch BARF oder PREY sind in erster Linie eher ein Hype und in ihrer Verbissenheit falsch. Ähnlich falsch liegt aber auch der Halter, der ausschließlich auf Industrie-Trockenfutter setzt. BARF ist nicht vollständig verkehrt, aber es taugt nicht, wenn es wie eine Ideologie betrieben wird. Zur natürlichen Ernährung des Hundes zählen auch Getreide, Essensreste, ja sogar Trockenfutter. Trockenfutter auf Getreidebasis gab es beispielsweise schon in der Antike, in der Zucht standardmäßig seit 100 – 150 Jahren. Wenn Ernährungsmethoden zu Dogmen werden, halte ich das für kontraproduktiv. Mit Getreide an sich hat der Hund kein Problem, er hat sich an dessen Verwertung seit Jahrtausenden gewöhnt, das ist relativ verlässlich belegt. Nur den völlig denaturierten Dreck mancher Futtermittelanbieter, etwa Hydrolysate, sollte er nicht fressen. Die pauschale Ablehnung für Getreide teile ich jedenfalls nicht. Ebenso wenig wie die einseitige Euphorie für Frischfleisch.

Seit Jahren achtet man angeblich auf das Ausmerzen der Erbkrankheiten in der Hundezucht, die gesundheitlichen Probleme nehmen aber zu. Ist das Augenwischerei?

Zunächst: Auch wenn alle mit dem Finger auf den VDH zeigen, die Standards hier sind immer noch höher als woanders. Von all den negativen Entwicklungen sind sie in Deutschland noch am wenigsten negativ. Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass sich genetisch bedingte Erkrankungen leichter manifestieren können, wenn der Körper gestresst wird: ob durch schlechte Ernährung, Umwelt, Großstadt-Umgebung oder miserable Zuchtbedingungen. Eine Erbkrankheit und ihr Ausbruch sind in meinen Augen zwei Paar Schuhe. Außerdem teile ich nicht die Einschätzung, dass bei allen Hunderassen wirklich ernsthaft versucht wird, Erbkrankheiten auszumerzen. durch die verbreitete Inzucht wird die Veranlagung zu Erbkrankheiten noch gefördert. Das trägt dazu bei, dass die Krankheiten in der Population viel stärker auftreten. Für viele zählen aber nur die Äußerlichkeiten.

Kann man als Tierfreund überhaupt noch einen Rassehund kaufen? Müsste man sich nicht den unzähligen Hunden in den Tierheimen widmen?

Es ist mal eine gute Tat, Hunde aus dem Tierheim zu holen, aber eine Lösung für das ganze Zuchtelend ist das nicht. Man müsste sich vielmehr damit beschäftigen, die politischen Verhältnisse zu schaffen, dass keine unkontrollierte Vermehrung mehr stattfinden kann. Alles andere ist Kosmetik. In spanischen Tierheimen werden sogar Welpen gezeugt, weil sie sich so gut in Deutschland verkaufen lassen. Die unseriöse Zuchtszene und der Auslandstierschutz sind oft eng miteinander verbandelt, deswegen ist auch nicht jede gut gemeinte Adoption tatsächlich gut. Manchmal ist das für den einzelnen Hund eine Rettung, aber auch nicht immer und zwar dann, wenn Hunde gewohnt sind als Streuner zu leben und dann hier in einer kleinen Wohnung landen. Sie haben dort oft ein viel besseres Leben als hier, wo nur noch Leinenpflicht gilt. Streunerleben kann durchaus glücklich sein, wenn die Hunde nicht krank sind. Ich finde, gerade wir Deutschen, sollen ein bisschen bescheidener sein. Wir zeigen als selbsternannte Tierschützer so oft mit erhobenem Zeigefinger auf andere, dabei ist Deutschland das Land, dass das meiste Schweinefleisch exportiert und der größte Abnehmer im internationalen Hundehandel ist. Natürlich passieren im Ausland auch schlimme Dinge, wir sollten aber von dem hohen Tierschutz-Ross herunterkommen. Bei uns herrscht eine Hysterie um die "Kampfhunde" und ein Hund darf nirgendwo mehr frei herumlaufen. Hunde werden dauernd reglementiert. Verstehen sich mal zwei Hunde nicht, ist man nur einen Schritt davor entfernt, einen Maulkorbzwang auferlegt zu bekommen. Wo ist da der Tierschutz? Die Zeiten für Hunde und Hundehalter haben sich in Deutschland rapide verschlechtert. Hundeverordnungen werden jetzt von Menschen gemacht, die gerade noch wissen, dass ein Hund vier Beine hat.

Braucht die Menschheit überhaupt noch die vielen Rassen? Wie wäre es mit einem Zuchtverbot?

Die vielen Rassen sind ein Teil der Kultur. Von den anerkannten 350 Rassen haben die meisten ihre historischen Wurzeln in der gemeinsamen Arbeit mit dem Mensch, die rassetypischen Merkmale kommen vom Wesen her und nicht vom Aussehen. Ich finde es gut, Rassen zu erhalten und zu verstehen, wie unterschiedlich Hunde sein können. So findet sich auch immer der passende Hund für den passenden Menschen und dessen Wünsche und Möglichkeiten. Ich schätze diese über Jahrtausende gewachsen Vielfalt des Hundes. Lässt man die Rassenhundezucht weg, endet das in einem Einheitsbrei. Eine meiner Forderungen stattdessen wäre: Jeder, der Hunde züchtet, hat eine lebenslange Rücknahmeverpflichtung und der Verband müsste bei der erneuten Vermittlung helfen. Die Züchter würden sich dann eher überlegen, an wen sie den Hund verkaufen. Meine Empfehlung an die Hundehalter ist auch, 18 Hunderassen nicht mehr zu kaufen, zumindest solange es keine nachhaltigen Reformen zugunsten der Gesundheit in deren Zucht gibt: Englische Bulldogge, Mops, Französische Bulldogge, Pekinese, Japan Chin, Deutsche Dogge, Mastiff, Bordeaux Dogge, Deutscher Schäferhund, Zwergspitz, Rhodesian Ridgeback, Shar-Pei, Chow Chow, Afghane wegen der extremen Übertreibungen bestimmter Körpermerkmale zulasten der Hunde. Und Kavalier Kings Charles Spaniel, Dobermann, Tibet Terrier oder Berner Sennenhund wegen der vielen, teils schweren Erbkrankheiten, die in den jeweiligen Populationen verbreitet sind. Sowie Designer-Dogs, soweit man diese als Rasse bezeichnen kann, besonders wegen deren Produktionsbedingungen. Und diese Liste ist nicht vollständig! Statt die Zucht zu verbieten, müsste die Politik also ein paar wirkungsvolle Gesetze erlassen: den Hundehandel EU-weit verbieten, die Zucht regulieren. Nur da landen wir wieder bei der Agrar- und Futtermittelindustrie. Diese haben ja kein Interesse an einem höheren Standard in der Zucht: Wenn Hunde teurer werden, wird ihre Zahl sinken und das reduziert ja den Umsatz mit Futter- und Ergänzungsmitteln. Diese Industriezweige haben auch eindeutig was dagegen, dass man die Tierschutzgesetze ändert, weil der Schutz der Haustiere auch auf die Nutztiere durchschlägt. Deswegen wird versucht, jede Neuregelung im Tierschutz zugunsten der Tiere pauschal zu unterbinden, damit es keine Folgen für die Massentierhaltung hat.

 

Christoph Jung ist Autor von: "Schwarzbuch Hund: Die Menschen und ihr bester Freund", Selbstverlag

"Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund – von Streicheln, Stress und Oxytocin", Schattauer Verlag

"Bulldogs in Geschichte und Gegenwart – Das besondere Hundebuch", Kynos Verlag

Was ist Ihr größter Traum in Bezug auf die Hundebranche?

Die Missstände in der Hundezucht und die Ignoranz der Gesellschaft – das lässt mich nicht in Ruhe. Ich habe aber nur sehr bescheidene Mittel, die Öffentlichkeit immer wieder auf die gleichen Probleme hinzuweisen. Wir müssen trotzdem jede Gelegenheit nutzen, über die Problemverursacher und die kranken Verhältnisse zu informieren.