Dolmetschen im Medizintourismus

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From the series: Translationswissenschaft #16
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2.3 Rollen und Aufgaben der DolmetscherInnen in der Kommunikation

Werden DolmetscherInnen zur Überbrückung von Sprachbarrieren eingesetzt, stellt sich die Frage, welche Rolle sie in der Kommunikation einnehmen und welche Aufgaben sie übernehmen (dürfen und sollen). Mit dem Rollenverständnis und der Rollenproblematik setzen sich neben der Translationswissenschaft (vgl. dazu Mason 1999, Angelelli 2004 sowie 2008, Allaoui 2005, Hsieh 2008, Hsieh/Kramer 2012, Mason/Ren 2012, Pöllabauer 2015) auch die Psychologie und die Soziologie auseinander. Das Rollenverständnis einer Person ist eng mit der Interpretation der eigenen Arbeit oder Tätigkeit verbunden und basiert häufig auf einer Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Eine Rolle besteht aus jenen Verhaltensweisen und Erwartungen, die in einem bestimmten sozialen Rahmen berücksichtigt werden sollten (vgl. Lee/Llewellyn-Jones 2014: 12). Bei der Rollendiskussion wird in der Dolmetschwissenschaft gelegentlich eine metaphorische Sprache verwendet, um zu beschreiben, was beim Dolmetschen gemacht wird (vgl. Roy 2002: 347); so werden DolmetscherInnen unter anderem als Sprachrohr bezeichnet. Solche metaphorischen Ausdrücke wurden laut Roy vor allem eingeführt, um den kognitiven Prozess – damals Hauptfokus der Dolmetschwissenschaft – zu beschreiben. In Bezug auf DolmetscherInnenrollen haben Metaphern laut Roy zwei Funktionen:

On the one hand, these descriptions attempt to convey the difficulty of the simultaneous tasks in interpreting while reminding everyone that the interpreter is uninvolved on any other level; at the same time, the same descriptions encourage interpreters to be flexible, which usually means be involved. While descriptions and standards of ethical practice extensively, sometime exhaustively, list what interpreters should not do, they seldom, if ever, explain what interpreters can do, that is, explain what ‘flexible’ means. Consequently, no one really knows where to draw the line on the involvement of the interpreter. (Roy 2002: 347)

Anfang des 21. Jahrhunderts beobachtete Roy, wie ethische Standards und Normen in erster Linie darauf eingingen, was DolmetscherInnen nicht tun dürfen. Das Gegenteilige – was getan werden darf – ließen sie stattdessen außer Acht. Nachstehend wird versucht, einige der bekanntesten Rollenverständnisse zusammenzufassen, auf die in der dolmetschwissenschaftlichen Rollendiskussion häufig Bezug genommen wird.

Eines der ersten Rollenmodelle ist jenes von Jalbert (1998). Dieses beinhaltet folgende Rollenverständnisse: translator, cultural informant, culture broker or cultural mediator, advocate und bilingual professional. DolmetscherInnen mit einer Rolle als translator sorgen für einen rein sprachlichen Transfer. Im Fall des cultural informant helfen DolmetscherInnen dem medizinischen Personal, die PatientInnen besser zu verstehen, indem Erläuterungen kultureller Natur angeboten werden. Beim culture broker werden die Erläuterungen aus dem vorigen Rollenverständnis um die Kulturmittlung ergänzt. Hierbei sollen von den DolmetscherInnen für eine gegenseitige Verständigung aller Beteiligten auch soziokulturelle Hintergründe berücksichtigt werden. DolmetscherInnen, die im Sinne des advocate handeln, vertreten die Interessen der PatientInnen. Bilingual professionals sind durch tiefgreifende institutionelle und medizinische Kenntnisse in der Lage, das Gespräch mit den PatientInnen zu führen und die daraus gewonnenen Informationen anschließend an das medizinische Personal zu übermitteln.

Eine ähnliche Unterteilung findet sich im Rollenmodell von Weiss und Stuker (1999: 258), bei dem vier idealtypische Rollen beschrieben werden: die wortwörtliche Übersetzung, die kulturelle Vermittlung, die PatientInnen-Fürsprache und die Co-Therapie. Bei der wortwörtlichen Übersetzung orientieren sich die DolmetscherInnen am Ausgangstext. Dabei geht es um eine rein sprachliche Übertragung des Gesagten, ohne die kulturelle Dimension zu beachten. Dies impliziert, dass kulturbezogene Begriffe oder Elemente, die nur durch Kulturkenntnisse vollständig zu begreifen sind, von den DolmetscherInnen unberücksichtigt bleiben. Die kulturelle Vermittlung ist hingegen auf das Vermitteln sowie Erklären jener sozialen und kulturellen Aspekte, die die Kommunikation beeinflussen können, ausgerichtet. DolmetscherInnen orientieren sich weniger am Ausgangstext und können durch die eigene Kulturkompetenz problematische Elemente erklären. Die PatientInnen-Fürsprache ist jenes Rollenkonstrukt, bei dem die DolmetscherInnen die Interessen der PatientInnen vertreten. Dabei wird von ihnen mittels einer freien Dolmetschung eine ausgleichende Funktion ausgeübt, welche das Machtgefälle zwischen den Beteiligten reduziert. Beim Rollenkonzept der Co-Therapie werden die DolmetscherInnen als Teil der Therapie angesehen: Die DolmetscherInnen sind für die Therapie mitverantwortlich, nehmen an der Gestaltung des Behandlungskonzepts teil und intervenieren selbstständig im therapeutischen Gespräch.

Ein weiteres Rollenmodell, auf das häufig Bezug genommen wird, sieht folgende vier Rollen vor: conduit, clarifier, culture broker und advocate (vgl. Niska 2002: 133). Bei der Rolle als conduit wird ähnlich wie bei der wortwörtlichen Übersetzung nur gedolmetscht (Niska 2002: 138). DolmetscherInnen, die als clarifier und culture broker agieren, verlassen das Feld des reinen Dolmetschens: Als clarifier werden Erläuterungen angeboten, als culture broker werden insbesondere soziokulturelle Aspekte erklärt. Als advocate werden ähnlich wie bei der PatientInnen-Fürsprache die Interessen und Rechte der PatientInnen vertreten.

In ihrer Untersuchung zum medizinischen Dolmetschen befasst sich Angelelli (2004) mit der Rolle der DolmetscherInnen in medizinischen Settings. Ihr Triangulationsansatz ermöglicht die Berücksichtigung der Perspektiven aller an der Interaktion beteiligten Menschen. In Anlehnung an Wadensjö (1998: 8) zeigt Angelelli auf, dass die medizinische Dolmetschung nicht in einem sozialen Vakuum erfolgt: Sie findet in einer Institution – beispielsweise im Krankenhaus – statt, welche bestimmte Ziele verfolgt. Wie alle anderen Beteiligten nehmen DolmetscherInnen nicht nur sprachlich an der Interaktion teil:

[…] interpreters who not only participate linguistically, but who also bring to the interpreted communicative event all the social and cultural factors that allow them to co-construct a definition of reality with other co-participants to the interaction. (Angelelli 2008: 150)

Je nach Situation können DolmetscherInnen mehrere Rollen einnehmen, die Angelelli mit folgenden Metaphern beschreibt: detectives, multi-purpose bridges, diamond connoisseurs und miners (vgl. Angelelli 2004: 129ff.). Detectives versuchen beim Dolmetschen gezielte situationsrelevante Informationen von den PatientInnen zu erhalten, auch wenn dies bedeutet, häufiger Fragen zu stellen als normalerweise üblich. Als multi-purpose bridges ermöglichen DolmetscherInnen die gleichzeitige Erreichung der Ziele der PatientInnen und der ÄrztInnen. Dabei können sie in dieser Rolle auf kulturspezifische Elemente hinweisen oder diese sogar glätten, damit sie den Zweck der Interaktion nicht gefährden. DolmetscherInnen als diamond connoiseurs sind in der Lage, über den bloßen Schein einer Aussage hinauszugehen und für den Zweck der Interaktion relevante von nicht relevanten Informationen zu unterscheiden. Miners können schließlich den besten Weg finden, um zu den benötigten Informationen zu gelangen, etwa falls PatientInnen sich während der Interaktion wenig kooperativ zeigen.

Ähnlich sieht das Rollenverständnis von Leanza (2005: 170) aus, das auf der Basis einer deskriptiven und wenig normativen Studie erarbeitet wurde. In der Studie, für die Leanza auf die Triangulation zurückgreift, beschreibt er folgende Rollen, die von den DolmetscherInnen, abhängig von ihrer Handhabung kultureller Unterschiede, eingenommen werden: system agent, community agent, integration agent und linguistic agent. Wird in der Rolle des system agent gedolmetscht, werden Erläuterungen insbesondere für PatientInnen angeboten, damit sie die Normen und soziokulturellen Werte der Zielkultur verstehen können. Community agents verfolgen die Kulturmittlung vorwiegend in Richtung des medizinischen Personals, um kulturelle Unterschiede für dieses sichtbar zu machen. Als integration agents unterstützen DolmetscherInnen die PatientInnen, sich in die Zielgesellschaft zu integrieren. Sie übernehmen außerdem die Funktion des welcoming und des support/follow-up (vgl. Leanza 2005: 186), die außerhalb der dolmetschvermittelten Interaktion zu beobachten ist. DolmetscherInnen, die als linguistic agents handeln, versuchen soweit wie möglich eine unparteiische Rolle einzunehmen. Kulturunterschiede werden nur dann berücksichtigt, wenn diese die Translation betreffen.

Für ihre Rollenuntersuchung analysierte Hsieh (2008) das Selbstbild sowie die kommunikativen Ziele und Strategien von medizinischen DolmetscherInnen. Aus den Beobachtungen und Interviews mit den DolmetscherInnen, die an der Studie teilnahmen, wurde deutlich, dass DolmetscherInnen verschiedene Rollen einnehmen, da sie vielfältige Herausforderungen und Probleme in ihrem Alltag zu meistern haben (vgl. Hsieh 2008: 1381). Neben den bereits erwähnten neutraleren Rollen als conduit und advocate nennt Hsieh zwei weitere Rollen: manager und professional. Obwohl die DolmetscherInnen der Studie grundsätzlich neutral handeln wollen, greifen sie – falls notwendig – aktiver in die Interaktion ein, um z.B. die Entstehung einer ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung zu fördern, Probleme in der Behandlung zu vermeiden oder die Erreichung der kommunikativen Ziele von PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institution zu ermöglichen (vgl. Hsieh 2008: 1381ff.). Als manager versuchen DolmetscherInnen verschiedene Aufgaben wie jene der Mediation, der Ko-Therapie, der Unterstützung und der Organisation zu erfüllen (vgl. Hsieh 2008: 1375ff.). In der Rolle als professionals (vgl. Hsieh 2008: 1379ff.) setzen DolmetscherInnen verschiedene Strategien ein, um als ExpertInnen wahrgenommen zu werden. Dazu gehören u.a. die Vorstellung vor der Interaktion, das ausgebildete Auftreten sowie die Unterbrechung der Kommunikation im Fall von Missverständnissen. Da die von den DolmetscherInnen zu leistenden Aufgaben sehr komplex sind, wird stets zwischen den Rollen gewechselt.

 

Der gemeinsame Nenner aller Rollenmodelle ist ihre Betrachtung als Kontinuum. Da die genannten Rollen idealtypische Rollen sind, wird davon ausgegangen, dass sie in der Kommunikation nie einzeln auftreten, sondern in verschiedenen Momenten derselben Interaktion wiederzufinden sind (vgl. Allaoui 2005: 28). Als bahnbrechendes Modell gilt das role-space model von Lee und Llewellyn-Jones (2014), die eine dynamische Rollenkonzeption vorschlagen, die sich im Laufe der Interaktion kontinuierlich entwickelt: „ […] rather than a rule-based description of ‘role’ a more complete and usable notion is that interpreters’ behaviours are governed by the role space they create and inhabit in any given situation“ (Lee/Llewellyn-Jones 2014: 10). Role-space ergibt sich aus einem kartesischen Koordinatensystem, das folgende drei Achsen besitzt: „the interpreter’s alignment with the interlocutors, the interpreter’s management of the interaction und the interpreter’s ‚presentation of self‘“ (Lee/Llewellyn-Jones 2014: 10). DolmetscherInnen können die Länge der drei Achsen abhängig von der Gesprächssituation variieren und somit den Anforderungen, die an sie gestellt werden, gerecht werden. In diesem Modell gibt es daher keine unterschiedlichen Rollenverständnisse, sondern nur ein einziges Rollenverständnis, das sich dynamisch entwickelt und ständig der Situation angepasst wird.

Einige der dolmetschwissenschaftlichen Studien zur Rolle der DolmetscherInnen basieren auf der Analyse dolmetschvermittelter Situationen, an denen nicht ausgebildete Dolmetschende beteiligt sind.1 Diese Untersuchungen werden nicht selten als Ausgangspunkt für allgemein normative Diskussionen genutzt. Im Rahmen der universitären Dolmetschausbildung sowie im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen von nicht ausgebildeten DolmetscherInnen ist eine normative Rollendiskussion sinnvoll, da Studierenden zu Beginn ihres Studiums sowie nicht ausgebildeten Dolmetschenden die nötigen Dolmetschkompetenzen fehlen und dadurch die Wahrscheinlichkeit oder sogar die Gefahr zunimmt, dass sie ihren Zuständigkeitsbereich überschreiten. Abseits dieser Rahmen kann aber eine wertfreie Diskussion zum Thema fruchtbarer sein. Solch eine Diskussion kann z.B. durch die Durchführung deskriptiver Untersuchungen angeregt werden, die die von DolmetscherInnen übernommenen Aufgaben während der Interaktion beschreiben. Als Beispiel dient Angelelli (2004: 44ff.), die in ihrer Untersuchung des medizinischen Dolmetschens die tägliche Arbeit der angestellten DolmetscherInnen im beobachteten Krankenhaus beschreibt, die aus Telefondolmetschen, dialogischem Dolmetschen sowie Übersetzungsaufträgen besteht. Darüber hinaus besuchen sie Weiterbildungskurse, nehmen an MitarbeiterInnenbesprechungen teil und müssen ihre Tätigkeiten genau dokumentieren. Aus den Interviews mit diesen Dolmetscherinnen und Dolmetschern zur Wahrnehmung ihrer Rolle wird deutlich, dass die meisten von ihnen mehr als sprachlichen Transfer realisieren. Sie vermitteln zwischen unterschiedlichen Sozio-Kulturkreisen (sie erklären z.B. Realia und die medizinische Fachterminologie in einer patientInnenfreundlichen Sprache) und managen die gesamte Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen, indem sie den Informationsfluss steuern und beidseitige Verständigung fördern (vgl. Angelelli 2004: 132ff.).

Wie die Beispiele der angewandten translationswissenschaftlichen Forschung zeigen, findet beim dialogischen Dolmetschen in medizinischen Situationen mehr als ein rein sprachlicher Transfer statt. Manche Rollenverständnisse wie jenes des conduit basieren nämlich auf einer zu stark vereinfachten Sicht der DolmetscherInnentätigkeit:

[…] interpreting should be understood more broadly, as an activity in its own right, coordinated with and embedded within an ongoing set of actions. In fact, what interpreters do or say is only partially, and sometimes hardly at all, limited to translating other people’s talk. Instead, interpreters’ action manifests a choice between several alternatives available to them at any particular time within the frame of the ongoing activity. These alternatives […] embody interpreters’ moment-by-moment decisions about what role will be the most appropriate in a particular interactional environment. (Bolden 2000: 390)

Dazu kommt, dass sowohl eine normative Rollendiskussion als auch gewisse ethische Richtlinien vieler Berufsverbände den beobachteten interaktiven Handlungen widersprechen (vgl. Angelelli 2004, Menz et al. 2013: 25). Dies spiegelt sich ebenfalls im Gebot der Unsichtbarkeit wider, welches von zahlreichen Ausbildungseinrichtungen als anzustrebendes Ideal präsentiert wird (vgl. Menz et al. 2013: 25). Aus diesem Grund ist aus Sicht der Autorin der vorliegenden Studie eine normative Weiterführung der Rollendiskussion für ein postgraduales Zielpublikum nicht zielführend, da sich daraus in erster Linie Interaktionsdilemmata und innere Konflikte bei den DolmetscherInnen ergeben können, wenn sie das Gefühl bekommen, gegen wichtige Prinzipien zu verstoßen.

2.4 Sichtbarkeit der DolmetscherInnen

In frühen Studien zur dolmetschvermittelten Kommunikation wurde die traditionelle Sicht vertreten, dass DolmetscherInnen in der Kommunikation keine TeilnehmerInnenrolle besitzen und unsichtbar sind bzw. sein sollten. Mit dieser Sichtweise war die Annahme verbunden, dass DolmetscherInnen die Rollen des conduit einnehmen und somit ausschließlich für einen sprachlichen Transfer zuständig sind. Alleine die Tatsache, dass DolmetscherInnen körperlich anwesend sind, macht sie aber sichtbar. Bahnbrechend in diesem Zusammenhang waren die Arbeiten von Wadensjö (1992, 1995, 1998, 2002[1993]), die die aktive Teilnahme von DolmetscherInnen an der Interaktion veranschaulichten: Als co-participant managen und koordinieren sie nämlich die Gespräche. Mittels Steuerung der Interaktion können sie Missverständnisse verhindern und Kommunikationsprobleme lösen. Laut Wadensjö (1998: 108ff.) koordinieren DolmetscherInnen die Kommunikation sowohl implizit als auch explizit. Eine implizite Koordination findet immer dann statt, wenn die DolmetscherInnen nach jedem Redebeitrag einer/eines der Gesprächsteilnehmenden das Wort ergreifen. Hingegen kann von expliziter Koordination gesprochen werden, wenn die DolmetscherInnen beispielsweise jene Person, die zuvor gesprochen hat, um eine Erklärung bitten oder Metakommentare abgeben, um eine Aussage genauer zu beleuchten (vgl. Wadensjö 1992 sowie 2002).1

Bezogen auf eine Kommunikation, bei der die Beteiligten die jeweils andere Sprache nicht sprechen, stellt Roy (2002) ebenso fest: „[…] the interpreter is the only participant who can logically maintain, adjust, and, if necessary, repair differences in structure […]“ (Roy 2002: 352). DolmetscherInnen können daher laut Roy bestimmte Strategien einsetzen und bilden eine aktive dritte teilnehmende Person, die das Ergebnis der Kommunikation beeinflussen kann. In der dolmetschvermittelten Kommunikation funktioniert z.B. der SprecherInnenwechsel nicht wie in üblichen Interaktionen. Auch andere AutorInnen (vgl. u.a. Englund Dimitrova 1997: 148ff.) führen an, dass die Gesprächssteuerung der DolmetscherInnen unabdingbar ist, damit alle zu Wort kommen und die Turn-Überlappungen kontrolliert werden können. Die Verwendung von non- und paraverbalen Elementen zur Gesprächssteuerung wird auch in den Studien von Wadensjö (1998: 108ff.), Roy (2002: 352), Hsieh (2008: 1381), Mason (2012: 197f.), Mason/Ren (2012: 232) sowie Davitti (2013: 187) erwähnt. Anhand ihrer Untersuchung konnten zum Beispiel Mason und Ren (2012: 232) zeigen, dass DolmetscherInnen nicht unsichtbar, passiv und neutral sind, sondern dass sie eine gewisse Macht besitzen, die sich der institutionellen Macht einiger an der Kommunikation Beteiligten entgegenstellt: „Although interpreters often lack institutional power, they may be equipped with power within the exchange as a result of their bilingual and bicultural expertise.“ Diese Macht drückt sich in Anlehnung an Wadensjö (1998: 277f.) in der Umsetzung verbaler und nonverbaler Strategien wie Positionierung und Blick aus, die den DolmetscherInnen ermöglichen, Machtverhältnisse auszuverhandeln, zu koordinieren und auszugleichen. Durch ihre Tätigkeit sorgen DolmetscherInnen für empowerment der schwächeren Gesprächsbeteiligten und können im Rahmen der Interaktion Bedeutungen mitkonstruieren (vgl. Mason/Ren 2012: 232). Auch Davidson spricht sich gegen die Betrachtung von DolmetscherInnen als conduit aus: „in order to negotiate and capture the meaning of an utterance produced within an ongoing discourse, one must be a participant in the discourse itself“ (Davidson 2002: 1275).

Die Untersuchung von Angelelli (2004: 132) zeigt, dass DolmetscherInnen auf mehreren Ebenen sichtbar sind und teilweise das Ergebnis der Kommunikation beeinflussen können. Die von ihr beobachtete Sichtbarkeit stellt ein Kontinuum verschiedener Interventionsmaßnahmen dar, die mehr oder weniger Einfluss auf die Textproduktion zu medizinischen oder persönlichen Informationen nehmen können: Die DolmetscherInnen ersetzen die einsprachigen Gesprächsteilnehmenden, verbünden sich mit den PatientInnen oder ÄrztInnen, erklären kulturspezifische Aspekte, äußern Solidarität, üben Macht aus, expandieren oder komprimieren Äußerungen, fragen nach, passen das Register an, steuern den Informationsfluss und die Turns (vgl. Angelelli 2004: 77f.). Grund für diese sichtbaren Interventionsmaßnahmen sind soziale Faktoren und die Notwendigkeit, den Informationsfluss im Gespräch so zu steuern, dass beidseitige Verständigung erlangt werden kann (vgl. Angelelli 2004: 132). Neben der Steuerung der Kommunikation planen DolmetscherInnen Handlungen bewusst, sodass die Ziele des kommunikativen Handelns erfüllt werden können (vgl. Bolden 2000). Die Entscheidungen der DolmetscherInnen werden aber nicht nur von den Turns der anderen Beteiligten direkt beeinflusst, sondern auch von ihrer eigenen Analyse der laufenden Interaktion und der dabei verfolgten Ziele (vgl. Bolden 2000: 415). So können der Wechsel von der ersten zur dritten Person (vgl. Valero-Garcés 2008: 176ff.), um sich beispielsweise vom Gesagten zu distanzieren oder zu schützen (vgl. Bot 2005: 239), und die Umsetzung verschiedener Maßnahmen, um das eigene Gesicht zu wahren (vgl. Merlini 2013: 281f.), als Beispiele für die Sichtbarkeit der DolmetscherInnen während der Kommunikation genannt werden. Diese Erkenntnisse lassen sich mit den Worten Angelellis wie folgt zusammenfassen:

Interpreters [who] not only participate linguistically, but [who] also bring to the interpreted communicative event all the social and cultural factors that allow them to co-construct a definition of reality with the other co-participants to the interaction. The interpreters’ views of all of these social factors interact with the parties’ views of those same social factors. Interpreters, as members of society, do more than merely co-construct and interact in the communicative event. They are powerful parties who are capable of altering the outcome of the interaction, for example, by channelling opportunities or facilitating access to information. They are visible co-participants who possess agency. (Angelelli 2008: 150)