Wie Agilität gelingt

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1.Was bedeutet eigentlich »agil«?

Der Hype um »Agilität« reißt nicht ab. Das Wort ist in aller Munde. Agilität ist »in«. Aber was bedeutet Agilität überhaupt? Falls auch für Sie die genaue Bedeutung des Begriffs noch schwer zu fassen und eher diffus ist, hier ein Trost: Sie sind damit nicht alleine!

Laut Duden bedeutet »agil« so viel wie beweglich, regsam und wendig. Im Volksmund versteht man unter dem Begriff auch vital, fit oder flexibel. Es stammt von dem lateinischen Wort »agilis«, das »behände, gewandt«, aber auch »beweglich« bedeutet.

Im Business-Kontext findet man viele verschiedene Definitionen – der Grund, warum Agilität in Organisationen unterschiedlich interpretiert wird. Je mehr Definitionen und daraus abgeleitete Interpretationen im Umlauf sind, desto größer wird die Verwirrung und desto häufiger die teils falsche und kontraproduktive Anwendung.

Die ganze Welt redet von Agilität – aber jeder von etwas anderem

Was Agilität ist, darüber sind sich nicht einmal Wissenschaftler und erfahrene Praktiker einig. Nur eines ist klar: Mehr Agilität soll dabei helfen, sich in der komplexen VUKA-Welt erfolgreich zu bewegen, aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept und keinen allgemeingültigen Weg, der für alle passen würde. Aus diesem Grund existiert eine Flut unterschiedlichster Ansätze und Konzepte zur Umsetzung von Agilität, bei denen es sogar Wissenschaftlern schwerfällt, so darauf aufzubauen, dass Praktiker daraus konkrete Handlungsempfehlungen ableiten könnten, woran sie arbeiten müssen und wie.

Manche verstehen unter Agilität Scrum, andere Kanban oder Design Thinking, einige Lean und viele leider planloses Herumwursteln und Chaos.

Deshalb möchte ich erst einmal sicherstellen, dass Sie und ich ein gemeinsames Verständnis von Agilität haben und Sie sich anhand der nachfolgenden Gedanken ein eigenes – hoffentlich klareres – Bild machen können.

Agil ist ein Mindset

Um zu klären, was Agilität ist, möchte ich zunächst deutlich machen, was sie nicht ist: Agilität ist nicht nur eine Methodensammlung! Auch wenn die Anwendung von »agilen Methoden« wie Scrum, Kanban usw. Agilität fördert, kann sie für sich alleine stehend gerade in einem noch nicht agilen Umfeld nur sehr geringe Auswirkungen auf die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und ihren Menschen haben. Bleiben agile Tools und Techniken isoliert, wird man maximal pseudoagil und enttäuscht feststellen, dass die versprochenen Vorteile der Agilisierung nicht eintreffen oder gar einfach nur mehr Chaos auftritt.

Agilität ist ein Mindset, eine innere Einstellung, basierend auf den Werten und Prinzipien des agilen Manifests.

Das Herzstück der Agilität wird mit vier Werten im agilen Manifest beschrieben, über zwölf Prinzipien definiert und mit verschiedenen Rahmenwerken und Praktiken aus einem schier unüberschaubaren Werkzeugkoffer umgesetzt.

Nach Sichtung von Hunderten Ausarbeitungen aus Wissenschaft und Praxis und vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen aus der Beratung unterschiedlichster Organisationen und Menschen verwende ich am liebsten die folgende Definition, die im Hays HR-Report von 2018 vorgestellt wurde. Sie fasst aus meiner Sicht das Wesentliche gut zusammen und ist dabei konkreter und mehr »hands-on« als alle anderen Definitionen, die ich in den letzten Jahren kennengelernt habe:

»Agile Organisationen zeichnen sich durch eine hohe und schnelle Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen und Marktsituationen aus. Flexibilität hinsichtlich der Anpassungen von Produkten, Prozessen und vor allem der Mitarbeiter mit ihren Kompetenzen sind entscheidende Kriterien für erfolgreiche agile Organisationen. Agile Organisationen sind in einem hohen Grad vernetzt und die Mitarbeiter organisieren sich selbst. Zudem sind die Arbeits- und Projektteams in der Lage, in gewissem Umfang autonom Entscheidungen zu treffen. Dies erfordert eine Unternehmenskultur, die auf Vertrauen basiert – auf Vertrauen der Führungskräfte zu ihren Mitarbeitern und der Mitarbeiter untereinander.« 1

Da der Fokus von Agilität auf flexiblen Vorgehensweisen liegt, die an den jeweiligen Kontext angepasst werden müssen, kann Agilität kein Pauschalrezept sein, wie etwas gemacht wird. Es gibt keine Schritt-für-Schritt-Anleitung, der man nur folgen müsste, um damit automatisch erfolgreich zu werden.

Das Konzept der Agilität bietet eher einen Rahmen, ein Mindset, bestehend aus den Werten und Prinzipien des agilen Manifests, die durch »Inspect & Adapt« in kleinen Schritten mit viel Hirnschmalz und Herzblut zum Leben erweckt und ständig weiterentwickelt werden müssen.

Agilität ist also eine Denk- und Handlungsweise, die – anders als bei klassischen Changeprojekten – nicht den Wandlungsprozess hin zu einem definierten Ziel, sondern konstanten Wandel ohne festgelegtes Ziel beschreibt.

Agilität ist auch nicht das Gleiche wie Flexibilität, denn Flexibilität wäre die Fähigkeit, wie ein Gummiband immer wieder in den Ausgangszustand zurückzuschnellen, ohne sich dabei zu verändern. Agilität ist zwar wie Flexibilität das Gegenteil von Starrheit, beschreibt aber die Fähigkeit von Unternehmen und Menschen, sich permanent auf neue Gegebenheiten umzustellen, sich zu wandeln und zu lernen, um dadurch stärker und überlebensfähig zu werden.

Das agile Manifest

Im Februar 2001 trafen sich 17 Softwareentwickler in einer verschneiten Lodge in den Wasatch Mountains im US-Bundesstaat Utah. Sie wollten sich entspannen und Ski fahren, aber auch über ein anderes, besseres Arbeiten diskutieren, da sie mit den üblichen Projektmanagement-Methoden nicht zufrieden waren. Denn bei diesen war nicht vorgesehen, dass sich zwischen dem ursprünglichen Auftrag und der finalen Lieferung substanzielle Dinge veränderten. In der Arbeitsroutine der IT-Entwickler aber war es Normalität, dass während der Programmierung plötzlich neue Anforderungen an eine Software auftauchten. Deshalb suchten sie nach Ansätzen, die es ihnen ermöglichten, darauf schnell zu reagieren.

Was die Programmierer fanden, war der Startschuss für die agile Bewegung: Als »Agile Alliance« schrieben und unterzeichneten sie gemeinsam das »Manifest für agile Software-Entwicklung«, das weit über den IT-Bereich hinaus Auswirkungen auf das zukünftige Arbeiten in Organisationen haben sollte. Ihr Grundgedanke lässt sich in einem Satz zusammenfassen: »Je mehr du nach Plan arbeitest, desto mehr bekommst du das, was du geplant hast, aber nicht das, was du brauchst.« Im Kern basiert ihr »agiles Manifest« auf vier Werten, aus denen zwölf Prinzipien abgeleitet werden (im Original zu finden unter www.agilemanifesto.org). Diese Werte sind in vier Leitsätzen formuliert, die deutlich machen, worauf es beim agilen Arbeiten in erster Linie ankommt – und worauf nicht:

Die 4 Werte

1.Menschen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.

2.Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation.

3.Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als die ursprünglich formulierten Leistungsbeschreibungen.

4.Das Eingehen auf Veränderungen ist wichtiger als das Festhalten an einem Plan.

Teil des Manifests ist auch das den Werten vorangestellte Statement: »Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt« und der nicht ganz unwichtige Nachsatz: »Obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.«

Das heißt: Natürlich gibt es auch bei agilem Arbeiten Tools und Techniken, es muss dokumentiert werden, Verträge behalten ihre Wichtig- und Gültigkeit, und selbstverständlich gibt es einen Plan! Es bedeutet lediglich, dass dem vorderen (fett gedruckten) Teil der Wertepaare im Zweifelsfall Vorrang vor dem hinteren Teil eingeräumt werden soll.

Die 12 Prinzipien

1.Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufriedenzustellen.

2.Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.

3.Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne.

4.Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten.

5.Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen, und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.

6.Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

7.Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß.

8.Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.

 

9.Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.

10.Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell.

11.Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.

12.In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an.


Agil ist ein Mindset

Auch wenn das agile Manifest nur über die Entwicklung von Software spricht und noch immer eine Mehrzahl an Unternehmen agiles Arbeiten zuerst oder ausschließlich in ihren IT-Abteilungen einsetzt, gibt es keinen Grund, Agilität auf die IT zu beschränken. Auch Dienstleistungen und Produkte können agil entwickelt werden.

Für die Praxis bedeutete dieses Manifest eine Anleitung, mit der Teams ihre Arbeit selbstorganisiert und eigenverantwortlich flexibler gestalten können, um noch schneller noch bessere Ergebnisse zu erzielen.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Immer wieder höre ich, dass »Agile« doch nur ein »Buzzword« und das Konzept nichts Neues wäre. Stimmt das? Um das zu klären, lassen Sie uns einen Blick auf die Geschichte der Agilität werfen: Wo kommt sie her und was ist die Idee dahinter?

Eine kurze Reise durch die Geschichte der Agilität
1902: Lean

Lean hat seinen Ursprung im legendären Produktionssystem des japanischen Erfinders Toyoda Sakichi. Aus dessen TPS (Toyota-Produktionssystem), das er bereits 1902 konzipierte und das bis heute weiterentwickelt wird, bildete sich die Firma Toyota. Agilität hat ihre Wurzeln in Lean und es gibt großflächige Schnittmengen zwischen den beiden Konzepten. So sind beide aus der Erkenntnis erwachsen, dass umfassende Planungen bei komplexen Aufgabenstellungen an Grenzen stoßen.

Die Lean-Philosophie

Die Kernidee des Lean-Gedankens ist es, Werte ohne Verschwendung zu erschaffen, indem man

durch dezentrale kundenorientierte Strukturen alle Aktivitäten im Wertschöpfungsprozess auf den Kunden ausrichtet,

einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess bezogen auf die Qualität der Produkte und die Optimierung von Geschäftsprozessen durchläuft,

Teams mehr Eigenverantwortung übergibt,

Führung als Service am Mitarbeiter versteht,

transparente Informations- und offene Feedback-Prozesse lebt

und den Einstellungs- und Kulturwandel im Unternehmen vorantreibt.

Alle diese Lean-Prinzipien stecken auch in Agilität. Kein Wunder, dass die beiden Begriffe häufig synonym verwendet werden und es sogar eine agile Methode gibt, die »Lean« im Namen trägt: Lean Startup.

Obwohl Lean Management und Agilität wesentliche Parallelen aufzeigen, gibt es aber wichtige Unterschiede:

1.Lean konzentriert sich auf das Standardisieren von Prozessen – Agilität fügt den Fokus auf schnelle Anpassungsfähigkeit, Innovation, häufiges Einholen von Feedback von Kunden und Vernetzung von Experten in crossfunktionalen Teams hinzu.

2.Während es das Ziel von Lean ist, Prozesse so weit wie möglich zu standardisieren und zu vereinfachen, bis nur noch die für die Wertschöpfung wesentlichen Elemente übrig bleiben, legen agile Methoden höchste Priorität darauf, durch eine sehr flexible Vorgehensweise auf veränderte Anforderungen reagieren zu können, und fokussieren auf innovative individualisierte Produkte. Denn seit Beginn des Messens von Innovationszyklen halbieren sich diese alle zwei Jahre. Deshalb fügt Agilität das Prinzip des »früh und regelmäßig Lieferns« hinzu, um die Innovationsgeschwindigkeit zu erhöhen. Im Grunde ist auch das eine Vermeidung von Verschwendung, denn wenn ich vom Kunden schon früh Feedback bekomme, sinkt das Risiko, Produkte oder Services zu liefern, die am Markt vorbeigehen.

3.Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Konzepten liegt in deren Schwerpunkten: Bei Lean liegt er auf der Massen- bzw. Serienfertigung, bei Agilität auf der Erstellung eines hoch individualisierten Einzelproduktes. Deshalb hat sich die Lean-Philosophie vor allem in der Fertigung durchgesetzt, agile Methoden in der IT- Entwicklung.

1940er: Kanban

Auch Kanban stammt aus Japan und wurde bereits in den 1940er-Jahren von Toyota im Rahmen der Lean-Philosophie entwickelt.

1982: »Corporate Agility«

In der Tat wurden schon vor knapp 40 Jahren erste Artikel zum Thema Agilität, so wie wir sie heute verstehen, veröffentlicht, und schon 1982 gaben zwei Autoren, die Kanadier John L. Brown und Neil McK. Agnew in ihrem Buch »Corporate Agility« eine erste Definition zur Beschreibung des Begriffs, die dem bzw. den heutigen sehr ähnlich ist:

»Corporate agility, the capacity to react quickly to rapidly changing circumstances, requires a focus on clear system output goals and the capability to match human resources to the demands on changing circumstances.« (BROWN & AGNEW)

Also auf Deutsch in etwa: »Die Agilität von Unternehmen, die Fähigkeit, sofort auf sich schnell ändernde Umstände zu reagieren, setzt voraus, dass klare Ziele für die Systemleistung festgelegt werden und die damit beschäftigten Personen an die Anforderungen und an die sich ändernden Umstände angepasst werden können.«

In dieser Definition werden schon viele Aspekte genannt, die auch in späteren Agilitätsdefinitionen wesentlich sind: Agilität als schnelle Reaktion auf Veränderungen, Fokus auf klare Ziele und die Einbeziehung des Menschen als wichtige Ressource, die sich ebenfalls an die veränderten Umstände anpassen können muss.

Auch in der Organisationslehre wird schon seit Jahrzehnten Agilität – im Wesentlichen wie heute auch – als flexible, schlanke, kundenorientierte Organisationsgestaltung bezeichnet.

1992: Der Lehigh-Report

Und schon ab den frühen 1990er-Jahren sind, ausgelöst durch das Erscheinen des Reports der Lehigh University zur mehrjährigen Forschungstätigkeit des Iacocca Institute (Roger N. Nagel: »21st Century Manufacturing Enterprise Strategy«), zig Veröffentlichungen zu diesem Thema erschienen, mit anhaltender Tendenz. In der Folge der Aktivitäten des renommierten Instituts haben sich agile Methoden weltweit verbreitet. So wird als Geburtsstunde des Begriffes Agilität meist das Jahr 1992 genannt. Die Artikel und die Definition aus den 1980er-Jahren zeigen aber, dass Gedanken zur Agilität schon existierten, bevor der Begriff Agilität geprägt und durch die Aktivitäten des Iacocca Institute weltweit verbreitet wurde.

Der Lehigh-Report zur Studie des Iacocca Institute der Lehigh University

Der »21St Century Manufacturing Enterprise Strategy Report« sollte Antworten auf eine Kongressanfrage liefern, wie die Produktion der US-Industrie wieder global wettbewerbsfähig werden könne. Die Schlussfolgerung der Studie, validiert durch Auswertung der Ergebnisse durch Führungskräfte aus fast 200 Unternehmen, Behörden und öffentlichen Organisationen, war, dass Verbesserungen in der Fertigung des Massenproduktionssystems allein nicht genügen würden, die Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen wiederherzustellen.

Das Buch »Agil im Wettbewerb« (»Agile Competitors«) basiert auf der meist kurz »Lehigh-Report« genannten Ausarbeitung von den gleichen Autoren Steven L. Goldman, Roger N. Nagel und Kenneth Preiss, die dort Agilität und Selbstorganisation als Erfolgsformel für den Umgang mit einem durch Wandel und Instabilität gekennzeichneten Wettbewerbsumfeld darstellen: Das Zeitalter der Massenproduktion und der daraus resultierenden Wettbewerbsstrategien sei vorbei; heute komme es für die Unternehmen darauf an, als agile Wettbewerber die Chancen fragmentierter Märkte zu nutzen und Kunden sowie Lieferanten als Partner in die Wertschöpfungsprozesse einzubeziehen. Agile Wettbewerber gingen in Teilbereichen auch Allianzen mit Wettbewerbern ein, wenn sich das als vorteilhaft für alle Beteiligten erweise.

Im Vorwort schreibt H. J. Warnecke, der ehemalige Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und Mitautor der deutschen Ausgabe:

»Als ich im Jahre 1993 zum ersten Mal mit Kenneth Preiss über ›Agility‹ sprach, war es nicht schwer, eine gemeinsame Vorstellung über die Charakteristika zukünftig erfolgreicher Unternehmen zu entwickeln. Wie so oft, wenn die Zeit reif ist für neue Ideen und Entwicklungen, entstehen sie parallel an verschiedenen Orten, mehr oder weniger unabhängig voneinander. So auch hier: Weltweit ist eine Bewegung in Gang gekommen, welche zu völlig neuen Strukturen in Industrie, Handel und Dienstleistungen führen wird.

Etwa im Jahre 1990 stellten wir uns in Deutschland die Frage, warum die intensiven, mit viel Herzblut – auch von mir – vorangetriebenen Bemühungen um hochautomatisierte, rechnerintegrierte Produktionssysteme nicht den erwarteten wirtschaftlichen Erfolg mit sich brachten. Wir ahnten, daß der Glaube an das technisch Machbare uns an eine Grenze geführt hatte. Anfangs waren wir uns nicht sicher, welcher Art diese Grenze sei. Heute können wir sagen, daß wir einen Einflußfaktor unterschätzt hatten: den des turbulenten Marktes. Zwar waren unsere Fabriken flexibel, aber diese Flexibilität durfte sich nur innerhalb des geplanten Spektrums bewegen. An dieses Spektrum hat sich der Markt jedoch nicht gehalten. Er entwickelte sich wechselhafter, sprunghafter, als wir es uns je ausmalen konnten. Nicht zuletzt beeinflußt durch die Globalisierung von Warenverkehr und Produktion sowie, insbesondere, Wissen und Informationsfluß – eine Entwicklung mit epochemachenden Auswirkungen.

Immer deutlicher wurde für uns, daß es weder möglich noch sinnvoll ist, durch in allen Teildisziplinen kontinuierlich gesteigerte Anstrengungen ein Produktionssystem zu entwerfen, das diesen Einflüssen gerecht wird. Erst mit jahrzehntelanger Verspätung erkannten wir, daß stets die Gültigkeit des Kausalitätsprinzips unterstellt worden war. Dabei hätten wir mit Blick auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaften bereits im Laufe dieses Jahrhunderts sehr zurückhaltend sein müssen.

Die Folgerungen hieraus haben wir verdichtet zum Konzept des Fraktalen Unternehmens, welches das Prinzip der Selbstorganisation zu einer machtvollen Antwort auf die verschwindende Prognosefähigkeit erhebt.

JUNI 1996, HANS-JÜRGEN WARNECKE«2

2001: Das agile Manifest

Als Startpunkt der agilen Bewegung gilt die Unterzeichnung des oben bereits vorgestellten agilen Manifests im Jahr 2001. Ab Anfang der 1990er-Jahre gab es eine Gegenbewegung zur üblichen durch umfangreiche Vorschriften reglementierten und stark auf langfristige Planbarkeit statt auf flexible Anpassung ausgerichteten Vorgehensweise im IT-Sektor: Es entstanden die sogenannten »leichtgewichtigen Prozesse«. »Leichtgewichtigkeit« meint die Reduktion von Vorschriften in Bezug auf Dokumentation und Planung von Projekten. Zu einem bekannten Vertreter der leichtgewichtigen Prozesse gehörte schon zur damaligen Zeit beispielsweise Scrum. Auf dieser Basis entwickelten 17 Softwareentwickler ihre Ideen weiter und verabschiedeten 2001 mit dem agilen Manifest ihre gemeinsame Sicht auf die Werte und Prinzipien hinter ihren Methoden.

* * *

Würde man Lean als Ursprung anerkennen und damit dessen erste Vorstufe von 1902 als Startpunkt wählen, dann wäre das Konzept der Agilität im Kern sogar schon vor rund 120 Jahren geboren worden! Und selbst wenn man nicht so weit zurückgehen will und eher auf den Zeitpunkt schaut, der als Startpunkt der agilen Bewegung gilt, nämlich die Unterzeichnung des agilen Manifests, dann ist Agilität auch nicht mehr wirklich jung, sondern knapp 20 Jahre alt.

 

Alt oder nicht, ich lerne täglich Menschen kennen, die entweder noch gar keine Idee haben, was »Agilität« ist, oder die dem Hype verwirrt, hilflos bis ablehnend gegenüberstehen. Und gelebt wird Agilität meistens nicht – selbst dann nicht, wenn sie offiziell in der Organisation eingeführt wurde. Oder wie ist das in Ihrem Unternehmen?