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Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas

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13. Kapitel

Die Nacht war still. Nur das Murmeln des Baches ließ sich vernehmen, oder das Schnaufen eines Pferdes drang von der Weide herüber. Dennoch gab es viele Herzen, die in der Erwartung des Kampfes jetzt schneller schlugen. Da erklang der volle, grunzende Ton eines Ochsenfroschs. Er war so täuschend nachgemacht, daß er unter anderen Umständen sicherlich gar nicht beachtet worden wäre, jetzt aber wußten sämtliche Bewohner der Hazienda sofort, daß er das Zeichen des Angriffs sei.

Der alte Vaquero Francesco hatte sich die Bedienung derjenigen Kanonen auserbeten, die die vordere Front des Hauses zu verteidigen hatten. Sie waren mit Glas, Nägeln und gehacktem Eisen geladen, und unter der Serape – Decke —, die er übergeworfen hatte, glimmte die Lunte, mit der der Schuß gelöst werden sollte. So kauerte er hinter der kleinen Verschanzung und lauschte auf das leiseste Geräusch.

An dem Parterrefenster rechts von dem Portal stand der Apache, und an demjenigen links der Häuptling der Mixtekas. Beide hatten ihre Büchsen in der Hand und durchforschten die Finsternis mit ihren scharfen Augen. Da erschallte, wie schon erwähnt, die Stimme des Ochsenfroschs, und in demselben Augenblick wurde es auf den Palisaden lebendig. Zweihundert Köpfe erschienen über ihnen, und zweihundert dunkle, behende Gestalten sprangen von ihnen in den Hof herab. Eben traten die fünfzig, die durch die Fenster eindringen sollten, eng zusammen, da streckte der Apache seine Doppelbüchse heraus und rief:

»Shne ko – gebt Feuer!«

Seine Büchse krachte, und dieses Zeichen hatte eine Wirkung, die ebenso schnell wie wunderbar war. Kaum erscholl nämlich seine Stimme, so steckten die Mädchen oben auf der Plattform ihre Lunten in das Pulver, und im Nu loderten vier hohe Feuer auf, die den ganzen Umkreis mit Tageshelle beleuchteten. Die Indianer standen erschrocken still.

Beim Schein der Feuer erblickte der alte Francesco die fünfzig beisammenstehenden Komantschen, sie befanden sich kaum fünfzehn Meter von ihnen entfernt. Sein Schuß krachte und war bei dieser Nähe von fürchterlicher Wirkung. Der ganze Haufen schien zusammenzubrechen, es entstand ein wirrer Knäuel von am Boden ringenden Gestalten, dessen Auflösung so lange dauerte, daß Francesco Zeit erhielt, wieder zu laden. Sein zweiter Schuß hatte dieselbe Wirkung. Auch die anderen Kanonen krachten, aus jedem Fenster des Hauses, auch von der Plattform herab blitzten Schüsse, und da – von der Plattform aus konnte man es deutlich sehen —, da prasselte draußen plötzlich ein leuchtendes Feuerwerk empor. Dazwischen hinein erscholl das hundertstimmige Wiehern und Schnauben der erschreckten Pferde, die sich losrissen und davonflohen, daß unter dem Stampfen ihrer Hufe die Erde zitterte.

Die Wilden stimmten ein furchtbares Wutgeheul an. Sie alle waren hell beleuchtet und boten ein sicheres Ziel, die Zimmer aber waren dunkel, so daß die Komantschen keinen sicheren Schuß bekommen konnten, selbst wenn sie bei der allgemeinen Panik, von der sie überfallen worden waren, sich zu einem ruhigen Schuß Zeit genommen haben würden. Sie hatten einen solchen Empfang nicht erwartet; in den ersten zwei Minuten waren bereits die Hälfte ihrer Leute verloren, und jetzt begannen sie zu fliehen.

Nur einer stand fest, nämlich Der Schwarze Hirsch. Er feuerte die Seinigen an, auszuhalten; aber es half nichts. Er hatte sich bisher an der Seite des Hauses befunden, jetzt eilte er nach der Vorderfront, um zu sehen, wie der Kampf dort stehe. Doch die Situation war hier eine noch schlimmere; Francesco hatte mit seinen gutgezielten Schüssen den Platz rasiert; Indianerleiche lag an Indianerleiche; der Häuptling erkannte, daß alles verloren sei, und sprang über die Palisade hinaus.

In dem Augenblick, als er auf der Palisade hing, erblickte ihn der Apache und rief:

»Tokvitey, Der Schwarze Hirsch!«

Er hatte den Komantschen sofort erkannt, konnte ihn aber nicht töten, da er seine Büchse abgeschossen hatte.

»Der Schwarze Hirsch!« rief er abermals, indem er die Büchse fortwarf und den Tomahawk aus dem Gürtel zog. »Wendet Der Schwarze Hirsch dem Feind den Rücken?«

Dann sprang er aus dem Fenster, stürzte über den Hof hinüber und schwang sich über die Palisaden hinweg.

»Der Schwarze Hirsch halte an!« rief er dem fliehenden Komantschen nach. »Hier kommt Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Will der Häuptling der Komantschen vor ihm flüchten?«

Als der Komantsche diesen Namen hörte, stand er still.

»Du bist Bärenherz?« rief er. »Nun, so komm heran, ich werde deine Eingeweide den Geiern zu fressen geben!«

Die beiden Häuptlinge gerieten aneinander; sie nahmen nur den Tomahawk zur Waffe, und dies ist die fürchterlichste, die es gibt. Bärenherz war dem Komantschen überlegen; das zeigte sich sofort; aber da schnellte sich, mit der Büchse in der Hand, eine Gestalt heran, Alfonzo!

Er war klug gewesen und zunächst nicht mit über die Palisaden gestiegen; er hatte ja nicht die geringste Lust, sein Leben und seine Glieder den feindlichen Schüssen preiszugeben. So hockte er hinter den Palisaden und wartete den Erfolg des Angriffs ab. Als nun die Komantschen flohen und er sah, daß Bärenherz dem Komantschen nachsprang, folgte er ihnen, eilte hinzu und schlug mit dem Kolben seines Gewehrs den Apachen von hinten so an den Kopf, daß er niederstürzte. Der Komantsche zog sofort sein Messer, um den Betäubten vollends zu töten und ihm den Skalp zu nehmen; aber Alfonzo wehrte ab.

»Halt!« sagte er. »Er verdient einen anderen Tod.« – »Du hast recht!« entgegnete Der Schwarze Hirsch. »Schnell mit ihm zu den Pferden!« – »Zu den Pferden? Die sind ja fort!« – »Fort?« fragte der Häuptling erschrocken. – »Ja. Man hat sie mit Feuerwerk erschreckt.« – »Ugh! Komm, komm, sonst wird es zu spät!«

Sie faßten nun den Apachen an beiden Armen an und sprangen, ihn an der Erde schleifend, davon.

Es war die höchste Zeit für sie, denn als Büffelstirn aus seinem Fenster bemerkte, daß der Apache dem feindlichen Anführer nacheilte, und erkannte, daß jener sich in die höchste Gefahr begab, holte er so rasch wie möglich die Besatzung des Hauses zusammen, um einen Ausfall zu machen, und stürmte mit ihr, da der Hof bereits von den Feinden verlassen war, durch die geöffneten Tore hinaus ins Freie, wo sich noch an vielen Stellen ein hitziger Einzelkampf entspann, bei dem die Wilden gewöhnlich den kürzeren zogen und Büffelstirn noch manchen niederschlug. Dann eilte er, so weit die Feuer leuchteten, rund um die Hazienda herum, aber er sah von dem Apachen keine Spur.

Stunden waren vergangen, als der Häuptling Bärenherz aus einer tiefen Ohnmacht erwachte. Er öffnete die Augen, erblickte zunächst ein Feuer und sodann eine Anzahl wilder, roter Gestalten, die um dasselbe saßen. Er selbst war gefesselt; zu seiner Rechten saß Der Schwarze Hirsch und zu seiner Linken Graf Alfonzo.

Alfonzo hatte bemerkt, daß er die Augen aufschlug.

»Er erwacht!« sagte er.

Sofort richteten sich die Blicke sämtlicher Komantschen auf den Gefangenen. Sie alle hatten von ihm gehört; sie alle kannten seinen Ruhm, aber die wenigsten hatten ihn schon einmal gesehen. Er nahm seine Gefangenschaft mit der äußeren Ruhe auf, die dem Indianer eigen ist. Sein Kopf schmerzte von dem Hieb, aber er besann sich doch sofort auf alles, was geschehen war.

»Der furchtsame Frosch der Apachen ist gefangen«, sagte Der Schwarze Hirsch.

Bärenherz lachte verächtlich; er sah ein, daß ein stolzes Schweigen hier nicht das Richtige sei.

»Der Löwe der Komantschen lief doch vor diesem Frosch davon!« sagte er. – »Hund!« – »Schakal!« – »Bärenherz, der Häuptling, ließ sich besiegen von dem Schwarzen Hirsch!« – »Du lügst!« – »Schweig!« – »Nicht du besiegtest mich und auch nicht ein anderer. Dieser Feigling, der ein Graf der Bleichgesichter ist, schlug mich heimtückisch nieder. Das ist es, was ich sage, und weiter hört ihr kein Wort. Bärenherz verachtet die Krieger, die wie Flöhe davonspringen, wenn der Tapfere sich zeigt.« – »Du wirst schon sprechen, wenn die Marter beginnt.«

Der Apache antwortete nicht. Er hatte seine Meinung ausgesprochen, und nun war er der eisenfeste Mann, der sich nicht beschämen ließ. Das sahen die anderen ein, und darum sagte der Häuptling der Komantschen:

»Der Tag beginnt. Unseres Bleibens ist hier nicht. Laßt uns zu Gericht sitzen über diesen Mann, der sich einen Häuptling nennt.«

Es wurde schweigend ein Kreis gebildet, und dann erhob sich Der Schwarze Hirsch, um in einer langen Rede die Verbrechen des Apachen aufzuzählen.

»Er hat den Tod verdient«, sagte er am Schluß.

Die anderen stimmten bei.

»Wollen wir ihn mit in die Wigwams der Komantschen nehmen?« fragte er.

Auch hierüber wurde beraten, und das Resultat war, daß Bärenherz hier getötet werden solle, da man unterwegs noch mannigfaltigen Zufälligkeiten ausgesetzt sein konnte.

»Aber welchen Tod soll er sterben?« fragte der Häuptling.

Auch darüber wurde beraten, aber man kam hier nicht so schnell zu einem Entschluß, daß ein so seltener Gefangener auch ungewöhnliche Martern erleiden sollte. Da erhob sich Graf Alfonzo, der bisher noch nichts dazu gesagt hatte, und fragte:

»Darf ich mit meinen roten Brüdern sprechen?« – »Ja«, antwortete Der Schwarze Hirsch. – »Habe ich Anteil an diesem Apachen oder nicht?« – »Nein.« – »Warum nicht?« – »Du hast ihn uns versprochen.« – »Wer hat ihn niedergeschlagen?« – »Du.« – »Habt ihr erfüllt, was ihr mir versprochen?« – »Nein. Wir konnten nicht.« – »Nun, so sind also die gegenseitigen Versprechungen aufgehoben, und der Gefangene gehört nur dem, der ihn niedergeschlagen hat. Beratet darüber.«

Es entspann sich nur eine kurze, aber sehr lebhafte Debatte, deren Ergebnis war, daß der Apache dem Spanier zugeschrieben wurde.

»Er ist mein?« fragte der letztere. – »Ja.« – »Und ich habe also über sein Schicksal zu bestimmen?« – »Ja.« – »Nun gut, so wird es dasselbe sein, das ich erleiden sollte. Wir binden ihn an diesen Baum und lassen ihn von den Krokodilen fressen. Er soll dieselben Höllenqualen erleiden, die ich durchgekostet habe.«

 

Auf diese Worte erhob sich ringsum ein beistimmendes Jubelgeschrei, und aller Augen richteten sich nach dem Apachen, um den Eindruck dieses Entschlusses in seinem Gesicht zu lesen; aber dieses Gesicht war wie aus Erz gegossen; keine Wimper zuckte, und keine Silbe der Bitte kam über seine Lippen.

»Haben wir Lassos genug?« fragte der Graf. – »Ja. Hier liegen noch dieselben, an denen du hingst, und wer von den Komantschen ein Pferd eingefangen hat, besitzt auch einen Lasso.«

Es war nämlich den Indianern gelungen, einige ihrer herumirrenden Pferde zu fangen.

»Gut, so binden wir ihn gerade so, wie er mich gebunden hat«, sagte Alfonzo.

Dies geschah; dann fragte Der Schwarze Hirsch:

»Hat der Häuptling der Apachen noch eine Bitte?«

Bärenherz blickte die Männer der Reihe nach an; es waren nur ihrer sechzehn, die sich hier zusammengefunden hatten. Gleich, als er, aus seiner Betäubung erwachend, bemerkt hatte, daß er an dem Teich auf dem Berg El Reparo liege, hatte er gewußt, welches Schicksal seiner harre; darum war er auch nicht erschrocken, als er sein Urteil vernahm. Jetzt blickte er im Kreis umher, als ob er sich die Züge eines jeden eingraben wolle, und sagte:

»Der Häuptling der Apachen bittet nicht. Das Messer wird alle fressen, die hier versammelt sind. Bärenherz hat gesprochen; er wird nicht heulen und schreien, wie es der Graf der Bleichgesichter getan hat. Howgh!«

Das letzte Wort ist bei den Indianern ein Ausruf der Bekräftigung, ungefähr wie unser Amen, Sela oder Basta.

Jetzt kletterte ein kräftiger Komantsche am Baum empor; der Apache wurde nachgeschoben und schwebte nach zwei Minuten über dem Wasser, wo die Krokodile ganz dasselbe gräßliche Schauspiel boten, wie es bereits beschrieben worden ist.

Die Komantschen blickten eine Zeitlang zu, wie der Apache mit dem kältesten Gleichmut sich bestrebte, seine Füße vor dem Rachen der Ungeheuer zu bewahren, dann wandten sie sich ihren Angelegenheiten wieder zu.

»Kehren meine Brüder in ihre Jagdgründe zurück?« fragte Alfonzo. – »Erst müssen sie sich rächen«, antwortete der Häuptling finster. – »Wollen sie mir folgen, wenn ich sie zur Rache führe?« – »Wohin?« – »Das werde ich später sagen, wenn wir gesehen haben, ob wir die einzigen sind, die übriggeblieben.« – »Das müssen wir jetzt bereits wissen«, behauptete der Anführer. »Wir haben mit unserem weißen Bruder kein Glück.« – »Und ich mit meinen roten Brüdern auch nicht. Sie mögen sich zerstreuen und die Ihrigen suchen, die noch umherirren. Dann, wenn sie versammelt sind, werde ich ihnen sagen, wie sie Rache nehmen können.« – Wo versammeln wir uns?« – »Hier, an dieser Stelle.« – »Gut, wir wollen tun, was mein weißer Bruder sagt. Vielleicht bringt uns sein zweites Wort mehr Glück als sein erstes.«

Die Komantschen gingen fort, um nach den Resten ihrer Truppe zu suchen. Der Graf blieb zurück, weidete sich eine Zeitlang an dem Anblick, den die nach dem Apachen schnappenden Krokodile boten, und ging dann auch. Er wollte vor allen Dingen einmal hinunter nach dem Bach schleichen, um zu sehen, was Büffelstirn gestern mit seinen Indianern dort vorgenommen. Dies war auch der Hauptgrund, weshalb er die Komantschen veranlaßt hatte, sich zu entfernen.

Kaum war der Schall seiner Schritte verklungen, so zuckte es freudig über das Gesicht des Apachen, und ein leises »Ugh!« ertönte von seinen Lippen. Da nämlich der Lasso ihm unter den Armen hindurchgezogen war, wurde es ihm möglich, einen Aufschwung zu machen, gerade wie beim Turnen am Reck, am Trapez oder an den Schwingen. Dadurch konnte er seine Beine emporbringen, so daß er nun mit dem Kopf nach unten hing und ihn die Krokodile nicht mehr erreichen konnten. Doch damit ließ er es nicht genug sein.

Es gelang Bärenherz schließlich, den Lasso zu ergreifen und auch, zwei Fuß weiter oben, mit den Knien zu erfassen. Indem er nun den Körper zusammenbog und abwechselnd mit den Händen und Knien weitergriff, wozu allerdings eine ungewöhnliche Stärke gehörte, turnte er sich an dem Lasso empor, bis er, vor Anstrengung schwitzend, oben bei dem Ast anlangte. Nun ruhte er, sich quer über denselben legend, eine Minute lang aus, denn er hatte während der ganzen Prozedur mit dem Kopf nach unten gehangen und war ganz schwindlig geworden.

Für den Augenblick war er jetzt den Krokodilen entgangen, aber seine Lage war immer noch eine höchst gefährliche. Kam jetzt einer der Komantschen, oder gelang es ihm nicht, die Fesseln zu lösen, so war er trotzdem verloren.

Er lag mit dem Rücken quer auf dem Ast, gerade so, wie man sich auf das Reck legt, um die Rückenwelle zu machen. Jetzt bog er die Knie so weit wie möglich und brachte es dadurch fertig, mit den herabhängenden Händen hinten den Riemen zu erreichen, der seine Füße zusammenhielt. Endlich fand er auch den Knoten und versuchte darauf, ihn zu lösen. Dies dauerte zwar lange, aber endlich gelang es ihm doch, und nun waren die Beine frei, so daß er das eine seitwärts über den Ast heraufbiegen und den Oberkörper erheben konnte. Dadurch kam er auf den Ast zu sitzen, und zwar so, daß er mit den über dem Rücken gefesselten Händen die Stelle zu erreichen vermochte, an der das obere Lassoende am Ast befestigt war. Nach langer Anstrengung, wobei ihm die Fingerspitzen zu bluten begannen, kam er endlich damit zustande, den Riemen zu lösen, und nun galt es nur noch, mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen am Baum hinabzuklettern. Dies wäre sicher ganz unmöglich gewesen, wenn der Baum gerade emporgestanden hätte, zum Glück aber war er sehr schief über das Wasser gewachsen.

Der Apache ritt also auf dem Ast hin, bis er den Stamm erreichte. Hier schlang er die Beine um denselben, ließ den Oberkörper fallen und hing nun mit dem Kopf niederwärts am Baum. Darauf lockerte er die Beine, preßte sie dann schnell wieder um den Stamm und rutschte so in einzelnen kurzen Rucken abwärts, bis er glücklich den Boden erreichte. Er war allerdings auf das äußerste abgespannt, aber gerettet!

»Ugh!«

Nur diese eine Silbe stieß er hervor, diesen einzigen Jubelton, den er sich erlauben durfte, dann warf er einen Blick auf die Krokodile, die jetzt am Uferrand im Wasser lagen und ihn unter dem Auf- und Zusammenklappen ihrer Kinnbacken begierig betrachteten, und eilte zwischen die Bäume, um im Wald Sicherheit zu finden.

Nun galt es nur noch, die Hände frei zu bekommen, und endlich hatte er, während sein Auge überall forschend zwischen Busch und Fels dahinglitt, gefunden, was er suchte, ein Felsstück, dessen Kante scharf genug war, um den Riemen zu zerschneiden. Er lehnte sich jetzt mit dem Rücken gegen die Kante und scheuerte an derselben die Fessel so lange auf und nieder, bis das Leder zersägt war. Jetzt war er vollständig frei.

14. Kapitel

Der Kampf; der zuerst innerhalb der Verpalisadierung der Hazienda gewütet hatte, war dann außerhalb derselben im freien Feld fortgesetzt worden und hatte sich dort schließlich zum Einzelkampf gestaltet, der sich weit von der Wohnung fortgezogen und über eine Stunde in Anspruch genommen hatte.

Dann hatte Büffelstirn die Besatzung der Hazienda zusammengerufen. Die getöteten Indianer lagen in weitem Bogen um die Hazienda zerstreut umher, und es war bereits jetzt während der Dunkelheit anzunehmen, daß ihrer weit über hundert gefallen seien.

»Sie haben eine fürchterliche Lehre erhalten und werden nicht so leicht wiederkommen«, meinte Arbellez, der sich seines Sieges freute, und der alte Francesco, der auf die vor dem Portal hoch übereinanderliegenden Indianer deutete, sagte: »Seht diesen Haufen, Señor, das ist das Werk meiner Kanone. Dieses zerhackte Eisen und Blei und diese Glassplitter wirken schrecklich. Die Körper sind förmlich zerrissen.« – »Trotzdem sind wir noch nicht fertig«, meinte Büffelstirn. – »Was ist noch zu tun?« fragte der Haziendero. – »Wir müssen auch den Rest der Komantschen vertilgen.« – »Wo sind sie denn zu finden?« – »Habt Ihr nicht bemerkt, daß keine der Leichen jenseits des Baches liegt?« – »Ja, sie liegen alle diesseits.« – »Nun, daraus läßt sich schließen, daß sie bei der Flucht eine ganz bestimmte Richtung eingehalten haben. Es ist anzunehmen, daß die Komantschen den Befehl hatten, auf dem El Reparo, wo sie sich vor dem Überfall befunden haben, wieder zusammenzutreffen. Wir müssen sie also dort aufsuchen. Vertraut Ihr mir zwanzig von Euren Vaqueros an, Señor?« – »Gern.« – »Wo aber mag der Apache sein?« fragte Francesco. – »Er ist gefangen«, antwortete der Häuptling der Mixtekas. – »Nicht doch«, rief der Haziendero erschrocken. – »Gewiß«, versicherte der erstere. – »Warum glaubst du das?« – »Weil er nicht da ist.« – »Er wird noch auf der Verfolgung sein.« – »Nein. Er weiß, daß er die Komantschen am Tag sicherer hat als jetzt.« – »So ist er tot oder verwundet.« – »Nein. Wir hätten ihn dann sicher gefunden. Er eilte dem Schwarzen Hirsch nach. Die Komantschen, die ihren Häuptling in Gefahr sahen, werden sich auf den Apachen geworfen haben, und da ihrer zu viele waren, wurde er sicherlich überwältigt.« – »So müssen wir ihn befreien«, rief Francesco.– »Ja, wir werden ihn befreien«, sagte Büffelstirn zuversichtlich. »Ich nehme ihm seine Büchse mit, damit er sogleich Waffen erhält. Steigt zu Pferde.«

Im nächsten Augenblick saßen zwanzig Männer auf und ritten im Galopp davon. Sie machten, um von keinem der sich auf der Flucht befindlichen Komantschen bemerkt zu werden, einen Umweg, indem sie in einem Bogen den südlichen Abhang des Berges zu erreichen suchten, und kamen dort an, als der Morgen dämmerte.

»Absteigen!« kommandierte jetzt Büffelstirn. – »Warum?« fragte Francesco. – »Weil uns die Pferde hindern, die Feinde unbemerkt zu beschleichen. Sanchez mag bei ihnen hier zurückbleiben.«

So geschah es. Der genannte Vaquero blieb als Wache bei den Tieren zurück, während die anderen den Berg unter dem Schutz der Bäume bestiegen. Als sie das Plateau betraten, war es vollständig hell geworden. Sie rückten daher mit möglichster Vorsicht gegen die Ruinen vor, und eben glitten sie über eine kleine, freie Lichtung hinweg, als seitwärts von ihnen ein Ruf erscholl:

»Ugh!«

Sie blickten nach dieser Richtung hin und gewahrten einen unbewaffneten Indianer, der auf sie zugeeilt kam.

»Bärenherz!« rief einer der Vaqueros. – »Ja, er ist‘s! Es ist der Apache!« sagte Büffelstirn mit freudiger Miene. – »So war er also nicht gefangen!« – »Er war es«, behauptete Büffelstirn. »Seht ihr nicht, daß er keine Waffen trägt? Er war gefangen und ist wieder entkommen.«

Der Apache kam wie ein Pfeil über die Lichtung herübergeglitten und blieb vor ihnen halten.

»Uff!« begrüßte ihn der Mixteka. »Mein Bruder Bärenherz war gefangen?« – »Ja«, nickte der Gefragte. – »Es waren der Feinde zu viel, die ihn bewältigten?« – »Nein. Ich kämpfte mit dem Schwarzen Hirsch. Da kam das verräterische Bleichgesicht von hinten, ohne daß ich es merkte, und schlug mich mit dem Kolben seiner Flinte nieder.« – »Welches Bleichgesicht?« – »Der Graf.« – »Ah! Er lebt! Die Krokodile haben ihn nicht verzehrt?« fragte der Mixteka erstaunt. – »Er lebt. Die Hunde der Komantschen haben ihn gefunden und errettet.« – »Und er hat sie nach der Hazienda geführt?« – »Ja. Er hat an ihrer Seite gegen uns gekämpft.« – »Gegen seine eigene Besitzung! Gegen seine eigenen Leute! Wir werden seine Kopfhaut nehmen. Wo ist er?« – »Er ist in den Bergen. Er wird wieder zum Teich der Krokodile kommen, um die Komantschen dort zu treffen.« – »Ah, so habe ich recht gedacht! Sie versammeln sich beim Teich?« – »Sie waren bereits dort. Sie sind in die Ebene gegangen, um ihre zerstreuten Krieger zu suchen; aber sie werden wiederkommen.« – »Weiß mein Bruder dies genau?« – »Ich weiß es genau, denn ich habe es gehört, als ich am Baum hing.« – »An welchem Baum?« – »Am Baum der Krokodile.«

Büffelstirn machte eine Bewegung des Schrecks.

»Bärenherz hat über den Krokodilen gehangen?« fragte er. – »Ja.« – »Gerade so wie der Graf?« – »Gerade so. Der Graf sprach das Urteil, und ich wurde an die Lassos geknüpft.« – »Aber wie ist mein Bruder wieder freigekommen?«

Bärenherz antwortete im geringschätzigsten Ton:

»Der Häuptling der Apachen fürchtet sich nicht vor den Komantschen und nicht vor den Krokodilen. Er wartete, bis die Feinde fort waren und machte sich dann frei.« – »Bärenherz ist ein Liebling des großen Manitou – Gott —«, sagte Büffelstirn. »Er ist ein starker und kluger Krieger; ein anderer hätte sich nicht befreien können. Wann kommen die Komantschen an den Teich zurück?« – »Sie haben es nicht gesagt. Wir werden uns dort verstecken und sie erwarten.« – »So dürfen wir unsere Spuren nicht bemerken lassen. Hier ist das Gewehr meines Bruders; ich habe es ihm mitgebracht.« – »Die anderen Waffen hat der Schwarze Hirsch mitgenommen«, grollte der Apache. »Er wird sie mir wiedergeben und die seinigen dazu. Meine Brüder mögen mir Pulver und Kugeln geben, und dann werde ich sie führen.«

 

Er erhielt das Verlangte, und nun glitten die Männer lautlos durch den Wald, immer ihre Spuren sorgfältig hinter sich verbergend, bis sie den Saum des Forstes erreichten, der den Teich umkränzte. Sie sahen nun, daß keiner der Komantschen zurückgekehrt war, und versteckten sich so gut, daß sie den Platz beherrschten, ohne bemerkt zu werden.

Als ein jeder seine Instruktion erhalten hatte, wie er zu schießen habe, ohne daß zwei Kugeln auf einen Feind kamen, trafen beide Häuptlinge wieder zusammen.

»Aber was tun wir jetzt?« fragte Büffelstirn. »Die Komantschen werden sehen, daß der Häuptling der Apachen entronnen ist. Sie werden ahnen, daß der Hilfe herbeiholen wird.« – »Sie werden uns nicht sehen«, antwortete der Apache.

Mit diesen Worten verließ er das Gebüsch, trat hinaus zu der Zeder, an der er gehangen hatte und wo in der Nähe des Stammes noch die Lassos lagen. Nun nahm er einen scharfen Stein und schlitzte mit demselben die unteren Enden der Riemen so auf, daß es ganz den Anschein hatte, als ob sie zerrissen worden seien, kletterte dann empor und schlang die oberen Enden genau so wieder um den Ast wie vorher, so daß es ganz den Anschein hatte, als ob der daran Hängende von den Krokodilen herabgerissen worden sei.

Als er von dieser kurzen Arbeit zurückkehrte, sagte Büffelstirn:

»Mein Bruder hat sehr gut gehandelt. Nun werden die Komantschen nicht glauben, daß er den Tieren entkommen ist.«

Sie lagen darauf still in dem Versteck und warteten, bis sie nach einer geraumen Weile den Hufschlag zweier Pferde vernahmen. Es kamen zwei Komantschen.

»Ugh!« rief der eine, als er sah, daß der Apache nicht mehr am Baum hing. – »Er ist fort!« rief der andere. »Er ist entflohen!« – »Nein«, sagte der erstere. »Der Lasso ist zerrissen. Die Krokodile haben ihn.« – »Er wird nicht in die ewigen Jagdgründe kommen, denn er wurde von den Tieren gefressen«, stimmte der andere bei. »Seine Seele wird bei den unglücklichen Schatten wandeln, die sich vor Kummer und Unmut verzehren. Der Apache ist verflucht in diesem und im anderen Leben.« – »Wir sind die ersten. Steigen wir ab, um auf die Brüder zu warten.«

Die Komantschen sprangen darauf von ihren Pferden und machten Anstalt, dieselben anzupflocken.

»Wollen wir sie nehmen?« fragte der Apache leise. – »Ja. Aber mein Bruder hat kein Messer.« – »Pshaw!« antwortete der Apache. »Ich werde mir das Messer dieses Komantschen holen.«

Damit lehnte er sein Gewehr an den Baum und glitt vorwärts, Büffelstirn folgte ihm. Als sie den Rand des Gebüschs erreicht hatten, schnellten sie wie zwei Tiger mit wilden Sätzen auf die beiden Wilden zu, die einen Angriff gar nicht vermuteten. Dann ergriff Bärenherz den einen von hinten bei der Kehle, riß ihm das Messer aus dem Gürtel und stieß es ihm in das Herz. Zwei Minuten später hatte er ihm den Skalp genommen. Büffelstirn hatte ganz dasselbe mit dem anderen getan. Die beiden Komantschen waren gar nicht einmal dazu gekommen, den geringsten Laut auszustoßen.

»Was tun wir mit den Leichen?« fragte der Mixteka. – »Wir geben sie den Krokodilen.«

Die Tiere hatten das Nahen von Menschen bemerkt. Sie waren aus dem Grund emporgetaucht und lagen nun in der Nähe des Ufers, halb im Wasser und halb auf der Erde. Offenbar warteten sie, ob ihnen etwas zufallen werde, und als jetzt die beiden Häuptlinge die Waffen der Besiegten und ihre Skalpe zu sich nahmen und die Leichen den Alligatoren zuwarfen, hei, wie diese da mit offenem Rachen auf die Beute stürzten! In weniger als einer Minute waren die Erstochenen zerrissen und verschlungen. Nichts blieb von ihnen übrig, als das Stück einer Hand mit zwei Fingern, welches die von den Tieren gepeitschten Wellen an das Ufer geworfen hatten, wo es liegenblieb. Übrigens hatten die Häuptlinge dafür gesorgt, daß kein Blut auf dem Rasen vergossen wurde, und dann auch ihre eigenen Fußtapfen sorgfältig verwischt.

Jetzt kehrten sie wieder in ihr Versteck zurück.

Sie hatten da noch nicht lange gewartet, so hörten sie wieder den Hufschlag von Pferden. Es kam ein Trupp von wohl dreißig Komantschen. An ihrer Spitze der Schwarze Hirsch. Es ging genau wieder so wie vorhin. Als letzterer sah, daß der Apache verschwunden war, hegte er zunächst Mißtrauen und rief:

»Ugh! Der Apache ist fort!«

Dann ritt er bis hart an das Wasser heran und gewahrte die dort liegende Hälfte der Hand. Im Nu war er abgestiegen, nahm sie empor und betrachtete sie.

»Ugh! Sie haben ihn gefressen. Das ist ein Stück seiner linken Hand. Betrachtet die Lassos!«

Man gehorchte seinem Befehl und fand, daß der Apache von den Krokodilen herabgerissen worden sei.

»Er ist in das Reich der Finsternis gegangen! Es wird ihn keiner seiner erschlagenen Feinde bedienen«, sagte der Häuptling und warf die Hand ins Wasser, wo sie von einem der Alligatoren sofort verschlungen wurde.

Nun stiegen auf seinen Wink auch die anderen vom Pferd und lagerten am Wasser.

Es kamen noch mehrere Nachzügler, so daß der Trupp fast auf fünfzig Mann anwuchs. Man gab sich gar nicht die Mühe, den benachbarten Teil des Waldes zu durchsuchen, und das war ein sicheres Zeichen, daß Der Schwarze Hirsch nicht die Absicht hatte, hier lange zu verweilen. Er hatte während dieser Zeit in würdevollem Schweigen dagesessen, jetzt aber hörte man seine Stimme:

»Wer hat das Bleichgesicht gesehen?« – »Das Bleichgesicht, welches ein Graf ist?« fragte einer. – »Ja.«

Es stellte sich heraus, daß keiner der Indianer ihn bemerkt hatte.

»Man suche seine Spur!«

Sie erhoben sich alle, um zu suchen.

»Das wird gefährlich!« flüsterte der Apache.

Büffelstirn nickte zustimmend und entgegnete:

»Hier haben wir unsere Fährte verwischt, aber wenn sie weiter fortgehen, so werden sie dieselbe finden. Wir müssen beginnen. Ich gebe das Zeichen.«

Dann hustete er laut. Dies war nicht etwa eine Unvorsichtigkeit, sondern es hatte zwei gute Gründe. Erstens sollten die Vaqueros bemerken, daß es jetzt losgehe, und zweitens sollten die Feinde dadurch in eine Stellung gebracht werden, in der sie ein gutes, sicheres Ziel darboten.

Es gelang, denn kaum war der scharfe Laut erklungen, so streckten sich die Läufe der zwanzig Büchsen der Vaqueros durch die Büsche, und sämtliche Komantschen richteten sich in eine horchende Stellung empor, wobei sie sich nach den Büschen umdrehten.

»Feuer!«

Auf dieses Wort des Mixtekas krachten zweiundzwanzig Schüsse, dann noch zwei aus den Doppelbüchsen der Häuptlinge, und ebenso viele Komantschen, alle zum Tode getroffen, stürzten. Die übrigen sprangen von ihren Sitzen empor und eilten zu ihren Pferden. Es entstand ein Augenblick der größten Verwirrung, währenddessen die Vaqueros rasch wieder luden.

Als die Komantschen über zwanzig der Ihrigen fallen sahen, mußten sie annehmen, daß eine noch größere Anzahl Weißer in den Büschen stecke, darum versuchten sie gar keinen Angriff, sondern warfen sich auf ihre Pferde und jagten davon. Viele von ihnen hatten in der Eile das erste, beste Pferd besteigen wollen, und dadurch entstand, da der eigentliche Besitzer es ihnen streitig machte, ein Aufenthalt, der ihnen verderblich wurde. Gleich darauf ertönte eine zweite Salve der Vaqueros aus den Büschen, die beinahe den gleichen Erfolg hatte wie die erste.

Bärenherz hatte sich den Häuptling, den Schwarzen Hirsch, vorbehalten, darum war von den anderen nicht auf ihn gezielt worden. Jetzt sprengte derselbe mit den Übriggebliebenen davon. Da aber trat der Apache aus den Büschen heraus, erhob seine Büchse und zielte, da er den Komantschen lebendig haben wollte, nur auf das Pferd desselben. Der Schuß knallte, und das Tier ward zu Tode getroffen. Es überschlug sich und warf seinen Reiter ab. Sofort schnellte der Apache in weiten Sätzen hinzu und stand bei dem Gestürzten, ehe dieser sich emporgerafft hatte.