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Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas

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26. Kapitel

Erst zwei Tage später erreichten die Indianer die Mauern der Hauptstadt. Dort warteten sie den Abend ab, und dann begab sich Büffelstirn nach dem Palast Rodriganda. Er schwang sich, wie vorher, über die Mauer und fand die alte Marie Hermoyes, bereits seiner wartend.

»Uff, du hältst Wort!« sagte er zu ihr.

Und sie in ihrer Freude, ihn wiederzusehen, nannte ihn auch gleich du.

»Ja, ich habe alle Tage auf dich gewartet, jedoch vergeblich.« – »Ist dieser Cortejo zurück vom Meer?« – »Bereits seit zwei Tagen.« – »Uff! Ich war krank und konnte nicht schnell folgen. Wo ist der Graf der Bleichgesichter?« – »Du meinst Graf Alfonzo? Der ist fort!« – »Uff! Wohin?« – »Es sollte niemand wissen, aber ich habe es erlauscht. Er ist nach der Hacienda del Erina.«

Der Indianer machte eine Bewegung der Überraschung.

»Wann ist er fort?« fragte er. – »Seit vorgestern. Er will Señor Pedro Arbellez aus der Hazienda vertreiben.« – »Weißt du dieses gewiß?« – »Ja, ich habe Señor Cortejo mit seiner Tochter belauscht, die davon sprachen.« – »Das wird ihm aber nicht allein gelingen.« – »Oh, er nimmt eine ganze Schwadron Lanzenreiter mit, um sich bei den Ciboleros und Vaqueros Respekt zu verschaffen. Er ist nun der Erbe, da Graf Ferdinando gestorben ist.« – »Uff! Weißt du nicht, was dieser Cortejo jetzt in einem Korb nach der Küste geschafft hat?« – »Nein.« – »So haben wir hier nichts mehr zu tun. Wir müssen sofort nach der Hazienda reiten.« – »Ihr wolltet mich doch mitnehmen!« – »Willst du denn noch zu Pedro Arbellez?« – »Oh, wie gern!« – »So sollst du mit. Habt ihr Pferde im Palast?« – »Wir haben nur zwölf der besten hier, die anderen sind stets auf der Weide.« – »Werden diese zwölf Tiere bewacht?« – »Ein Knecht ist stets im Stall.« – »Du wirst nicht viel Sachen mitnehmen dürfen. Kannst du reiten?« – »Ja. Es sind Damensättel im Stall.« – »Wie lange brauchst du, um das Notwendigste einzupacken?« – »Keine Stunde.« – »So gehe und tue es. In einer Stunde sind wir hier.«

Büffelstirn sprang wieder über die Mauer, und Marie kehrte in den Palast zurück, hoch erfreut darüber, daß sie ein Haus verlassen konnte, das ihr seit dem Tod Don Ferdinandos verhaßt geworden war. Rasch packte sie ihre Ersparnisse und das Allernotwendigste an Kleidern und Wäsche zusammen und war damit in der angegebenen Zeit fertig. Als sie mit diesem Paket die Laube wieder betrat, fand sie die beiden Indianer ihrer wartend.

Der Apache ließ kein Wort hören, Büffelstirn aber sagte:

»Unsere Pferde sind müde, die eurigen aber sind frisch. Wir werden die eurigen nehmen. Wo ist der Stall?« – »Aber der Stallknecht ist darin«, warnte sie.

Der Mixteka machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand und antwortete nur:

»Komm!«

Die Alte führte ihn nun nach dem Stall, der nicht verschlossen war. Es brannte dort ein Licht, und im Schein desselben erblickten sie den Knecht, der auf einer Decke lag und schlief.

Im nächsten Augenblick kniete der Apache bei ihm, um ihn zu knebeln und zu binden, was mit einer solchen Schnelligkeit und Sicherheit gelang, daß der Mann gefesselt war, ehe er nur ganz erwachte. Nun wählten sich die beiden Indianer fünf der vortrefflichsten Pferde aus, zwei für sich, eins für die Amme und zwei für das Gepäck und zum Umwechseln.

Trotzdem sie mit dieser Auswahl sehr bedächtig vorgegangen, waren doch kaum fünf Minuten verflossen, als sie bereits im Galopp durch die Straßen sprengten, um zu ihren vor der Stadt gelassenen Tieren zu kommen. Von diesen luden sie alles auf die frischen Pferde über und ließen sie frei.

Als am anderen Morgen dem Sekretär Pablo Cortejo die Meldung gemacht wurde, daß die alte Marie Hermoyes in Begleitung von zwei Indianern mit fünf Pferden verschwunden sei, hätte niemand es vermocht, die drei Flüchtigen einzuholen.

* * *

Unterdessen hatte sich auf der Hazienda nichts wesentlich geändert. Die Spuren des Kampfes waren längst verwischt, und es ging alles nach seinem gewöhnlichen Gang.

Der Zustand des Deutschen war nur insofern ein anderer geworden, als der Patient das Lager verlassen hatte. Er lebte still und tiefsinnig vor sich hin, und wenn er ja einmal etwas sagte, so waren es nur die Worte. »Ich bin erschlagen worden!«

Eines Tages saß er auch so dumpf vor sich hinbrütend am offenen Fenster, und Emma lehnte an ihm, den Blick in träumerischer Trauer nach Süden gerichtet, da erblickte sie fünf dunkle Punkte, die sich in großer Eile näherten, und bald sah sie, daß es zwei Reiter und eine Reiterin mit zwei Packpferden waren. Endlich erkannte sie die beiden Häuptlinge mit ihrer alten Freundin Marie Hermoyes, und mit einem Jubelruf sprang sie auf, um ihnen entgegenzueilen.

Ihr Ruf war auch von anderen gehört worden, und als sich die Angekommenen vom Pferd schwangen, waren bereits sämtliche Bewohner des Hauses bei ihnen versammelt. Sie wurden mit Freuden empfangen, und besonders Emma führte ihre treue Marie förmlich im Triumph nach dem Salon, wohin auch die Häuptlinge kamen, um dort Rede und Antwort zu stehen.

»Nun, wie ist es gegangen?« fragte Pedro Arbellez. – »Wir haben die Skalpe der Komantschen«, entgegnete Büffelstirn. – »Und der Graf?« – »Graf Ferdinando ist gestorben.«

Pedro und seiner Tochter entfuhr ein Ruf des Schrecks.

»Tot! Ist‘s wahr?« fragte der erstere. – »Ja«, antwortete die Amme.

Und dann erzählte sie den ganzen Verlauf der Sache, so weit sie ihn kannte.

»So ist also Alfonzo Nachfolger?« fragte Emma. – »Ja. War er noch nicht hier?« – »Will er denn nach der Hazienda kommen?« erkundigte sich Arbellez. – »Ja«, antwortete die Amme in dringendem Ton. »Wenn er noch nicht hier war, so ist er doch bereits unterwegs, und zwar mit einer ganzen Schwadron Lanzenreiter.« – »Was sollen diese?« – »Ihr sollt sofort vertrieben werden.« – »Ich? Ah!« sagte Arbellez mit stolzem Lächeln. »Das soll ihnen schwer werden.« – »Wir beschützen unsere weißen Brüder«, erklärte der Apache. – »Wir holen die Ciboleros und Vaqueros zusammen«, meinte Büffelstirn. – »Ich danke euch«, entgegnete der Haziendero. »Ich werde eure Hilfe vielleicht brauchen, aber ich habe noch eine andere Waffe.« – »Welche?« – »Das werdet ihr später genauer erfahren. Können die Soldaten bald kommen?« – »Sehr bald!« erklärte die besorgte Amme. »Alfonzo hat Mexiko zwei Tage vor uns verlassen. Er will die Lanzenreiter in Durango holen.« – »So will ich meine Leute schnell zusammenrufen!«

Der Haziendero verließ rasch das Zimmer, und gleich darauf hörte man ein Signal weithin über die Felder und Weiden erschallen. In nicht ganz einer Viertelstunde waren gegen vierzig Ciboleros und Vaqueros zusammen, und es war, als hätte es nicht anders sein sollen, denn kaum hatte sich das starke Hoftor hinter ihnen geschlossen, so sah man eine dunkle Wolke von Reitern angesprengt kommen, über der ein Wald spitzer Lanzen emporstarrte.

»Da sind sie schon!« rief Arbellez. »Verhaltet euch still, ich werde sie empfangen.«

Die Schwadron kam herangebraust und hielt draußen vor dem Tor. Der Graf war mit den Offizieren an der Spitze geritten. Er klopfte an das Tor. Arbellez trat hinzu und fragte von innen, was man begehre.

»Öffnet!« gebot Alfonzo. – »Wem?« – »Mir, dem Besitzer der Hazienda.« – »Wer seid Ihr?« fragte Arbellez, der mit Absicht den Guckschieber nicht geöffnet hatte. – »Graf Alfonzo de Rodriganda.« – »Der die Damen überfällt? Ah, ich kenne keinen Grafen de Rodriganda, der Herr dieser Hazienda ist. Ich werde es Euch beweisen. Wartet einen Augenblick.«

Arbellez schritt über den Hof zurück und trat in das Haus, um bald darauf mit einem großen Pergament zurückzukehren.

»Legt die Gewehre an«, gebot er, »aber schießt nicht eher, als bis ich es euch befehle!«

Sofort bildeten die halb wilden Rinderhirten zu beiden Seiten des Tors ein dichtes Spalier, mit ihren Büchsen nach dem Eingang gerichtet. Diesem gegenüber stand der Haziendero und hinter ihm die beiden Indianerhäuptlinge, das Gewehr bei Fuß.

»Öffnet!« gebot Arbellez.

Der tapfere Francesco, der dem Tor am nächsten stand, öffnete nun dasselbe, und sofort wollten die Lanciers in den Hof reiten, wichen aber erschrocken zurück, als sie vierzig geladene Gewehre auf sich gerichtet sahen. Den größten Schreck hatte Graf Alfonzo. Er hatte die beiden Indianer, denen er entgehen wollte, nicht hier vermutet, und als er sie erblickte, riß er sein Pferd aus der Nähe des Tors und hinter die Mauer zurück, wo ihn keine Kugel treffen konnte.

»Was soll das?« fragte der Rittmeister streng. – »Daß ein freier Mexikaner auf der ihm gehörigen Hazienda nur solchen Besuch empfängt, der ihm angenehm und willkommen ist.« – »Diese Hazienda gehört Euch nicht. Der Besitzer ist bei uns, und wir werden uns den Zutritt erzwingen, wenn er uns verweigert wird.« – »So nehmt Euch in acht! Die Hazienda gehört mir. Dieser Graf hat Euch belogen und wird sterben, sobald er meinen Hof betritt. Die beiden Señores hinter mir sind Häuptlinge der Apachen und Mixtekas und haben eine Blutrache mit ihm. Gegen Euch aber habe ich nichts, Señor. Ich bin Pedro Arbellez, der Herr dieser Besitzung. Darf ich Euren Namen erfahren?« – »Ich bin Haro de la Vega, Rittmeister dieser Schwadron.« – »Haro de la Vega? Ah, seid Ihr vielleicht verwandt mit dem Präsidenten General Diaz de la Vega?« – »Ja. Er ist mein Vater.« – »Oh, dann seid Ihr der Rechte! Reitet näher und seht Euch dieses Pergament an! Es ist von Don Diaz, Eurem Vater, und dem General Carrera unterzeichnet. – »Ah, zeigt her!«

Der Rittmeister drängte sein Pferd näher, ergriff das Schriftstück und las es.

Während er die Urkunde durchsah, nahmen seine Gesichtsmienen einen immer ernsteren Ausdruck an, und als er das Schriftstück gelesen, wandte er sich an die hinter ihm wartenden Chargierten seiner Schwadron zurück und bat auch seine Offiziere: »Señores, kommt näher. Dieser brave Señor Pedro Arbellez hat die Hacienda del Erina als Pacht erhalten mit der Bedingung, daß er sofort und vollständig Eigentümer wird, sobald Graf Ferdinando de Rodriganda stirbt. Graf Alfonzo scheint gar nichts davon gewußt zu haben. Señor Arbellez, darf ich ihm das Pergament zeigen?« – »Nur unter der Bedingung, daß ich es sogleich und unbeschädigt zurückerhalte.« – »Verlaßt Euch darauf!« – »Gewiß, da Ihr mir für die Zurückgabe der Urkunde Bürgschaft leistet, denn einem Grafen Alfonzo würde ich sie in keinem Fall in die Hand geben, selbst dann nicht, wenn er sein Ehrenwort verpfändete.« – »Oho! Habt Ihr so wenig Vertrauen zu ihm? Nun denn, die von mir verlangte Bürgschaft sollt Ihr haben.«

 

Señor Pedro Arbellez gab hierauf seine Zustimmung durch eine bejahende Handbewegung, und der Rittmeister wandte sein Pferd und ritt aus dem Tor hinaus zu Alfonzo. Nach einer Weile hörte man einige kräftige Flüche von Alfonzos Stimme. Dann kehrte der Rittmeister in den Hof zurück und gab Arbellez sein Pergament.

»Señor, Ihr seid unbestrittener Besitzer dieser Hazienda, und da Graf Alfonzo unter diesen Umständen keinen Augenblick länger hier verweilen wird, so sage ich Euch Lebewohl!«

In der nächsten Minute donnerte die Schwadron über die weite Ebene dahin. Kaum aber war sie verschwunden, so trabten ihr zwei Reiter nach, Bärenherz und Büffelstirn, die jetzt nur an das strenge indianische Gesetz der Rache dachten.

Señor Arbellez kehrte mit den Seinen in das Haus der Hazienda zurück, deren Eigentümer er durch den Tod des Grafen Ferdinando de Rodriganda geworden war.

27. Kapitel

Hat der freundliche Leser bisher zwei so verschiedene Brüderpaare kennengelernt, wie die Grafenbrüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda und die Beamtenbrüder Gasparino und Pablo Cortejo, so wird es ihm sicher ein sehr großes Rätsel sein, warum die beiden Grafen trotz ihrer freundlichen und hochherzigen Eigenschaften von den beiden Cortejos auf eine Weise und mit einer Grausamkeit verfolgt und betrogen wurden, die selbst vor dem ärgsten und unmenschlichsten Verbrechen nicht zurückbebte. Dieses Rätsel soll jetzt gelöst und der bisher so dunkle Schleier gelüftet werden.

* * *

Es war zu Saragossa, kurze Zeit nachdem die schöne Zigeunerin Zarba sich mit Gasparino Cortejo entzweit und der Hauslehrer Sternau seine Señorita Wilhelmi den Händen des Herzogs von Olsunna entrissen hatte. Da traten dort zwei Persönlichkeiten auf, die beide, eine jede auf ihre Weise und in ihrem Kreis, ein gerechtes Aufsehen erregten.

Die eine dieser beiden Persönlichkeiten war der alte Graf Manfredo de Rodriganda, der Vater der damals noch jungen Brüder Emanuel und Ferdinando.

Er hatte lange Zeit als Vizekönig der spanischen Besitzungen in Ostindien gelebt, und man sagte sich, daß er aus diesen Ländern geradezu ungeheure Schätze mitgebracht habe. Jetzt hatte er sich in den Ruhestand versetzen lassen und war nach Madrid gekommen, um die letzten Studien seiner beiden Söhne zu überwachen. Da er in der Nähe von Saragossa reiche Güter besaß, so verweilte er nur vorübergehend in dieser Stadt, um die Administration dieser Besitzung einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen.

Einer seiner hervorragendsten Administratoren war Henrico Cortejo, der Vater der beiden Brüder Gasparino und Pablo Cortejo. Überhaupt waren die Cortejos seit Menschengedenken bei den Rodriganda bedienstet gewesen, und man sagte sich, daß dieser Henrico ein ganz besonderer Liebling des alten Vizekönigs Don Manfredo sei.

Don Manfredo trat mit einem ungewöhnlichen Glanz auf. Er war eine hohe, volle, imponierende Erscheinung. Zwar war sein Haupt- und Barthaar weiß gebleicht und sein Gesicht von der Sonne Indiens dunkel gebräunt, aber dies gab ihm ein schönes, frisches und ehrwürdiges Aussehen.

Ein noch schönerer Mann freilich war der erwähnte Administrator Henrico Cortejo. Er war in den kräftigsten Mannesjahren und stand, obgleich er zwei ziemlich erwachsene Söhne hatte, in dem Ruf, daß er der Löwe der Damenwelt von Saragossa sei. Gasparino, der eine seiner Söhne, der sich mit ihm in Saragossa befand, konnte ihm hierin keine Konkurrenz machen.

Die andere Person, die ein solches Aufsehen erregte, war die Primaballerina, die erste Tänzerin des dortigen Theaters.

Wie ein Komet, wie ein leuchtender Meteor war sie plötzlich und unerwartet am Himmel von Saragossa erschienen, und so schnell, wie sie gekommen war, so schnell hatte sie alle Welt erobert und sie sich zu ihren Füßen gelegt.

Sie hieß Hanetta Valdez und sollte, der Sage nach, von ganz armen, obskuren Eltern abstammen, hatte also ihre Erfolge allein nur ihrer Schönheit und Geschicklichkeit zu verdanken. Zu ihren Bewunderern gehörte bald auch der Herzog von Olsunna, doch sagte man sich, daß es ihm nicht gelänge, in ihrer Gunst große Fortschritte zu machen.

Ihr erklärter Liebling, so flüsterte man sich zu, solle Henrico Cortejo, der Vater der zwei Söhne, sein.

Graf Manfredo de Rodriganda war von seinen Geschäften zu sehr in Anspruch genommen, um während der ersten Zeit viel an Zerstreuung und Vergnügungen zu denken, sobald er jedoch die notwendigsten derselben erledigt hatte, mußte er auch seine hohe Stellung berücksichtigen und seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Rechnung tragen.

Er machte und empfing Visiten, veranstaltete Soireen, besuchte das Theater, war aber noch nicht dahin zu bringen gewesen, das Ballett zu sehen. Seine echt spanische ernste Lebensanschauung sträubte sich dagegen. Je mehr er aber über die berühmte Ballerina hörte, desto weniger energisch wurde sein Widerstand, und als er einst in einem Kunstladen die Fotografie der Tänzerin erblickte, folgte er einer unwillkürlichen Eingebung, kaufte sie und nahm sie mit nach Hause.

Dort saß er nun oft allein, in die Betrachtung der herrlichen Gestalt und der reizenden Züge ganz versunken, und es war ihm, als ob er von den faszinierenden Augen des Bildes förmlich bezaubert werde.

Einige Zeit später hatte sein Kammerdiener im Zimmer zu tun. Es war der kleine, dürre Juan Alimpo, den wir später als Kastellan auf Rodriganda gesehen haben. Als dieser das Porträt erblickte, blieb er ganz erstaunt stehen, und da er der erklärte Günstling seines Herrn war und sich schon eine Freiheit gestatten durfte, nahm er die Fotografie in die Hand, um sie zu betrachten, und fragte erstaunt:

»Donnerwetter, Exzellenz, wer ist das?« – »Die Valdez«, antwortete sein Herr leutselig. – »Die Valdez? Wer ist denn die?« – »Sie ist die Primaballerina hier, die erste Ballettänzerin am Theater.« – »Hm!«

Der kleine Kammerdiener stieß die Silbe mit einer so eigentümlichen Betonung hervor, daß sein Herr ihn ansah und fragte:

»Was meinst du?«

Abermals erfolgte ein »hm«.

»Nun?« – »Schade, daß eine solche Schönheit eine Tänzerin ist.« – »Eine Tänzerin muß ja schön sein!« – »Ja, aber diese ist so schön, daß sie eine Gräfin sein könnte. Ist es dieselbe, von der die Leute so viel sprechen?« – »Ja.« – »Ich habe längst gewünscht, sie einmal zu sehen.« – »So gehe, ich gebe dir frei.« – »Danke, Exzellenz! Ein braver Diener geht einer Tänzerin wegen nicht von seinem Herrn fort. Etwas anderes freilich wäre es – hm!« – »Nun?« – »Wenn – wenn Sie selbst einmal das Ballett besuchen wollten.« Jetzt endlich waren die Worte heraus, und Alimpo blickte seinen Herrn forschend von der Seite an, um den Eindruck derselben zu beobachten. Dieser schien kein so schlimmer zu sein, als er erwartet hatte, denn der Graf hielt den Blick zum Fenster hinaus gerichtet und fragte nur, freilich mit sehr gleichgültiger Stimme:

»Meinst du wirklich, Alimpo?« – »Ja«, antwortete dieser schnell. – »Nun, wir werden ja einmal sehen!«

Mit diesen Worten schien der Graf das Gespräch als beendet zu betrachten, aber Alimpo war damit nicht zufrieden, sondern räusperte sich ein klein wenig und sagte:

»Man müßte warten, bis ein recht schönes Stück gegeben wird, wie zum Beispiel ›Die Königin der Sonne‹, das mit einem Ballett ausgestattet ist.« – »Du hast es wohl einmal gesehen?« – »Nein.« – »Wie kommst du denn darauf?« – »Hm, es wird heute gegeben.«

Jetzt drehte sich der Graf rasch zu dem Kammerdiener herum und sagte:

»Caramba, du bist ein Schlaukopf. Erst tust du, als ob du die Tänzerin nicht kennst, und nun weißt du auf einmal, welches Stück heute gegeben wird.« – »Es steht ja in allen drei Blättern der Stadt.« – »So! Und du willst das Stück gern sehen?« – »Oh, sehr gern, Exzellenz! Ich habe gehört, daß es ganz außerordentlich schön sein soll. Es kommen darin Engel und Teufel, Geister, Elfen, Feen und lauter Königinnen vor.« – »So kannst du also gehen!« – »Und Sie, gnädiger Herr?« – »Ist es dir wirklich unmöglich, allein zu gehen?« – »Ganz unmöglich!« – »Nun gut! Welcher Besuch ist für heute abend bei uns angesagt, oder sind wir irgendwo eingeladen?« – »Weder das eine, noch das andere.« – »Gut, so werden wir in die Oper fahren.«

Das Gesicht des kleinen Alimpo glänzte vor Freude, und er küßte seinem gütigen Herrn vor lauter Dankbarkeit die Hand.

Es war jetzt dem Grafen sehr willkommen, daß Juan Alimpo die Initiative ergriffen hatte. Das Bild der Tänzerin hatte ja einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er die Stunde der Vorstellung kaum erwarten konnte.

Und wie so ganz anders war es doch dann, als er sie endlich sah, als die Musik eine rauschende Einleitung beendet hatte, der Vorhang sich hob und die Ballerina erschien. Ja, sie strahlte in Wahrheit, als sie auf die Bühne trat, wie eine Sonne! Ihre Formen, ihre schöne Gestalt waren von unwiderstehlichem Reiz, sie schienen einer Juno, einer Venus anzugehören, und ihr prachtvoller Kopf, die feine Rundung des Profils und das Feuer ihrer Augen waren geradezu sinnbetörend.

Graf Manfredos Blicke hingen nur an ihr. Er sah sie nicht tanzen; er sah auch die anderen nicht. Er achtete nicht der Szene und der Verwandlungen, der befand sich wie im Traum, und als am Schluß der Vorstellung der Vorhang fiel, wäre er noch lange wie bezaubert stehengeblieben, wenn nicht Alimpo ihm den Hut gebracht und ihn dadurch an das Gehen erinnert hätte.

Da erst holte er tief Atem und sagte:

»Schicke den Wagen nach Hause!« – »Wir fahren nicht, Exzellenz?« fragte der kleine Diener, ganz erstaunt über eine so ungewöhnliche Extravaganz. – »Nein. Wir gehen, und sobald die Läden noch offen sind, führst du mich zum ersten Juwelier!«

Alimpo wußte sich den Befehl seines Herrn gar nicht zu deuten, aber er mußte ihn erfüllen. Beim Juwelier angekommen, kaufte der Graf einen kostbaren Brillantenschmuck, den er draußen auf der Straße dem Diener gab.

»Weißt du, was du sollst?« fragte er ihn. – »Nein, Exzellenz«, antwortete Alimpo ebenso wahr wie naiv. – »Weißt du die Wohnung dieser Valdez?« – »Nein, ich weiß sie nicht, ich kann sie aber erfahren, und zwar jetzt gleich, wenn es sein muß.« – »Es muß sein! Du gehst in ihre Wohnung, zu ihr selbst. Verstanden?« – »Sehr wohl!« nickte Alimpo. – »Und gibst ihr selbst den Schmuck und sagst, ein Bewunderer der Sonnenkönigin sende ihn, obgleich er viel zu arm für eine solche Herrscherin sei.« – »Donnerwetter, Exzellenz! Er kostet ja fünfzehntausend Duros!« – »Das geht dich nichts an! Wirst du bei ihr nicht vorgelassen, so bringst du den Schmuck wieder mit.« – »Das wird klüger sein, gnädiger Herr! Was aber soll ich sagen, wenn man mich nach dem Namen des Gebers fragt?« – »Nichts. Du verschweigst ihn.« – »Soll ich auf Antwort warten?« – »Nein. So bald du den Schmuck abgegeben hast, kommst du nach Hause, denn ich bin begierig zu erfahren, was sie gesagt hat. Jetzt gehe!«

Der Graf ging zu Fuß nach seiner Wohnung zurück, der Diener aber schritt noch ein Stück in die Straße hinein und erkundigte sich bei einem ihm Begegnenden nach der Wohnung der Tänzerin, die zufälligerweise nicht sehr weit entfernt lag, was auch der Grund war, daß er sogleich bei der ersten Frage Auskunft erhielt.