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Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas

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Das große Boot wurde herabgelassen und bemannt. Die Matrosen waren mit Waffen versehen, denn der Kapitän war entschlossen, es mit dem Zollkutter aufzunehmen, wenn dieser ihn stören sollte. Er schlug jedoch vorsichtshalber einen weiten Bogen in die See hinaus und näherte sich erst dann dem Land, als er glaubte, nicht mehr gesehen zu werden.

Cortejo zeigte, daß er ein gutes Ortsgedächtnis besaß. Er fand die Bucht sehr leicht. Sie landeten und nahmen den Korb, von dessen Inhalt weder die Indianer noch die Matrosen eine Ahnung hatten, in das Boot herein. Dann ruderte man zurück, und Cortejo begleitete den Kapitän wieder auf das Schiff, um eine Flasche Wein mit ihm auszustechen, nachdem er den Komantschen die Weisung erteilt hatte, an der Bucht auf ihn zu warten.

An Bord angekommen, wurde der Korb zunächst in die Kajüte des Kapitäns gebracht.

»Was wollt Ihr hier mit ihm?« fragte Cortejo, als sie dort allein waren. – »Ich muß beobachten, was ein Scheintoter für ein Gesicht macht, wenn er lebendig wird.« – »Aber hier kann er von Euren Leuten entdeckt werden!« – »Tragt keine Sorge. Sobald er lebendig ist, kommt er hinunter in den Raum, wo ihn kein Mensch sehen und hören kann. Kommt und helft mir!«

Neben der Kapitänskajüte befand sich ein enger Raum, der notdürftig von einem kleinen Fensterchen erleuchtet war, das sich an der Seite des Schiffes befand. Hier herein schafften sie den Korb. Da der Raum zu kurz und schmal war, als daß der Korb hätte stehen können, so lehnten sie denselben aufrecht in die von dem Fensterchen beleuchtete Ecke und öffneten ihn.

Der Graf stand in dem schräg anliegenden Korb. Er sah wie eine Leiche aus, und doch hätte man schwören mögen, daß es nur ein Schlafender sei.

»Donnerwetter!« rief Cortejo, als er ihn erblickte. »Was ist das? Sein Haar ist ergraut!« – »Hat er das Bewußtsein?« fragte der Kapitän. – »Ja.« – »Dann ist es bei der fürchterlichen Angst, die er auszustehen hatte, kein Wunder, daß das Haar ergraute. Wenn er uns reden hört, so wird er wissen, daß sein Leben nun gerettet ist. Kommt wieder herein, Señor, unser Wein wartet.«

Sie traten in die Kajüte zurück. Während sie dort zechten, lag oder stand der Scheintote in seinem Korb in tiefster Verzweiflung. Sein Herz schlug fast nicht mehr, aber welche Gefühle mußten es trotzdem durchwühlen! Welche Fragen mußten diesen Mann beschäftigen, der nicht wußte, was man mit ihm vorgenommen hatte, und der nun, ohne sich rühren zu können, aus dem Mund des Räuberkapitäns erfuhr, daß es sich wenigstens nicht um sein Leben handle. Welcher dunklen, vielleicht fürchterlichen Zukunft führte man ihn entgegen!

Als Cortejo sich einige Zeit später von dem Kapitän verabschiedete, wurde er von zwei Matrosen an Land gerudert. Am Steuer saß ein Mann, der als zweiter Steuermann auf dem Schiff diente; es war jener Jacques Garbilot, der, wie wir bereits gesehen haben, im Gefängnis zu Barcelona starb und vor seinem Tod dem Pater Dominikaner in Gegenwart Doktor Sternaus beichtete.

24. Kapitel

Die sechs Komantschen hatten unterdessen am Ufer der Bucht gesessen und die Rückkehr des Sekretärs erwartet. Die Küste bildete hier einen zwanzig Schritt breiten Sandstrich, an den der Wald stieß, gebildet von fieberatmenden Wurzelbäumen, die von einem dichten Lianennetz umschlungen waren.

Am Rand des Waldes weideten die Pferde, während die Komantschen hart am Wasser saßen. Ihr Anführer hatte sein neues Gewehr, das er von Alfonzo erhalten, vorgenommen und betrachtete es mit den Augen eines Mannes, der sich freut, ein solches Eigentum zu besitzen.

Da schnaubte eines der Pferde, und er wandte den Kopf.

»Ugh!« rief er erschrocken.

Dieses Wort war sein letztes gewesen, denn soeben blitzten vom Wald her zwei Schüsse auf, und er sank tot nieder. Der, der neben ihm gesessen hatte, streckte den Arm aus und legte sich langsam in den Sand; auch er hatte eine Kugel in den Kopf erhalten.

Die Komantschen sprangen empor. Da krachten abermals zwei Schüsse, und zwei andere stürzten nieder. Nun waren nur noch zwei übrig. Diese hatten ihre Büchsen schnell gefaßt und strengten nun ihre Augen an, um dort, wo der Pulverrauch sich kräuselte, den Feind zu erkennen, und kaum hatte der eine von ihnen bemerkt, daß sich hinter einem Baum etwas bewegte, so hob er das Gewehr empor, zielte und drückte ab. – Er hatte getroffen, denn sogleich rief es hinter dem Baum, nach dem der Komantsche gezielt hatte: »Ugh!«

Es war Büffelstirn, der dort stand. Er fuhr sich mit der Hand nach der Hüfte.

»Ist mein Bruder verwundet?« fragte ihn Bärenherz, der sich hinter dem nächsten Baum postiert hatte. – »Ja«, antwortete der Mixteka. – »Wo?« – »Hier an der Hüfte.« – »So mögen diese beiden Hunde der Komantschen schnell sterben!«

Im nächsten Augenblick schossen Büffelstirn und Bärenherz wieder, und die beiden Komantschen fielen.

»Ugh!« sagte der Apache. »Nun lebt von diesen keiner mehr, um die Kunde nach ihren Weideplätzen zu bringen. Mein Bruder zeige mir seine Wunde!«

Es war ein Streifschuß, den Büffelstirn erhalten hatte, der zwar nicht gefährlich, aber doch sehr schmerzhaft war.

»Wir müssen schnell weiterreiten«, rief der Apache. – »Warum?« fragte der Mixteka. – »Weil hier am Salzwasser nicht das Wundkraut wächst!« – »Wir werden morgen wohl welches finden. Jetzt aber wollen wir uns die Toten betrachten.«

Damit traten sie aus dem Wald hervor und nahmen den Komantschen die Skalpe.

»Jeder hat zwei Büchsen!« versetzte der Apache verwundert. »Eine alte und eine neue!« – »Von wem mögen sie die gestohlen haben?« – »Die Gewehre sind nicht gestohlen. Sie haben sie von dem Grafen dafür erhalten, daß sie ihn begleiteten.« – »Wir nehmen sie ihnen.« – »Oh«, rief Büffelstirn. »Sie haben auch noch anderes erhalten, was wir gebrauchen können. Wir nehmen ihnen alles. Mein Bruder hole unsere Pferde herbei.«

Der Apache ging und brachte nach einiger Zeit ihre Pferde, die sie versteckt hatten.

»Was tun wir mit ihren Tieren?« fragte Bärenherz. – »Eins nehmen wir.« – »Wozu?« – »Es soll alles tragen, was wir diesen Komantschen wegnehmen. Aber wo ist der Weiße, der bei ihnen war?«

Büffelstirn betrachtete den Rand der Küste und antwortete, auf die weiche Erde deutend:

»Erblickt mein Bruder nicht die Spur eines Bootes, das hier gewesen ist?« – »Ja, es war kein Kanu, sondern ein Boot, wie es die Schiffe der Bleichgesichter haben«, antwortete der Apache, nachdem er den Eindruck untersucht hatte, den das Boot zurückgelassen hatte. – »Der Weiße ist nach einem der Schiffe gefahren, die im Hafen liegen.« – »Er hat den Korb mitgenommen, den wir gesehen haben.« – »Wird er zurückkehren?« – »Danach brauchen wir nicht zu fragen«, sagte der Apache. »Es ist der Schreiber des Grafen; er hat uns nichts getan, wir haben keine Blutrache mit ihm und werden ihm nichts tun.« – »Mein Bruder hat recht«, antwortete der Mixteka. »Wir werden ihm nur die Pferde nehmen, damit wir vor ihm nach Mexiko kommen und er den Grafen nicht warnen kann.«

Damit zog er das Messer und stieß es einem der Pferde nach dem anderen in das Herz. Es war dies eine Grausamkeit, die aber einen triftigen Grund in seiner indianischen Vorsichtigkeit hatte.

Sie bepackten nun dasjenige der Pferde, dem sie das Leben geschenkt hatten, mit den vorgefundenen Waffen und anderen Gegenständen, stiegen dann auf ihre Tiere und ritten davon, indem sie sich gar keine Mühe gaben, die skalpierten Leichen der Komantschen zu verbergen.

Gerade um dieselbe Zeit war es, da Pablo Cortejo vom Schiff zurückkehrte. Er war durch die Stadt gegangen und schlenderte längs des Waldes am Strand dahin, als er nahenden Hufschlag vernahm. Rasch versteckte er sich in den Büschen und erblickte die beiden Häuptlinge, die an seinem Versteck vorbeiritten.

Sie waren noch nicht zehn Schritte vorbei, so hielt der Apache sein Pferd an.

»Uff!« rief er, auf den Boden deutend.

Auch Büffelstirn bückte sich von seinem Pferd herab und erblickte die frische Fußspur Cortejos. Ein anderer hätte sie unmöglich sehen können, aber die Augen der beiden Häuptlinge waren so scharf geübt, daß kein solcher Fußdruck ihnen entgehen konnte.

»Ein Weißer!« sagte der Mixteka, indem er zur Büchse griff.

Der Apache blickte umher und war mit einem raschen Sprung vom Pferd. Er hatte nur einen Zweig sich leise bewegen sehen, stand aber bereits im nächsten Augenblick vor Cortejo, der vor Schreck völlig erstarrt war und keinen Versuch zur Flucht machte. Bärenherz zog ihn hervor.

Sie erkannten ihn sofort, denn sie waren ihm von Mexiko bis hierher unablässig gefolgt und konnten sich also gar nicht täuschen. Dennoch fragte Büffelstirn:

»Wer bist du?« – »Ich bin aus Mexiko«, antwortete der Gefragte angstvoll. – »Ich habe gefragt, wer du bist!« – »Ich bin der Sekretär des Grafen de Rodriganda.« – »Und wie heißt du?« – »Pablo Cortejo.« – »Wir kennen dich. Wenn du nicht besser bist, als dein Graf, so werden wir uns einst deinen Skalp holen. Kennst du uns?« – »Nein.« – »Ich bin Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, und dieser ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Wenn du nach Mexiko kommst, haben wir bereits mit deinem Grafen gesprochen. Er soll uns Rede stehen über die Hacienda del Erina. Warum versteckst du dich?« – »Ich wußte nicht, wer kam.« – »Uff! So hast du ein böses Gewissen. Du suchst deine Freunde, die Komantschen?« – »Ja.« – »Du wirst sie finden. Es waren die letzten der Hunde, die die Hazienda überfielen. Sie werden die ewigen Jagdgründe der tapferen Toten niemals sehen. Ugh!«

Hierauf ritten die Indianer weiter und ließen den Sekretär unbeschädigt stehen. Dieser blickte ihnen nach, bis er sie nicht mehr zu sehen vermochte, und nun erst verlor sich sein Schreck.

»Sie haben ein Pferd von uns und die Waffen der Komantschen. Was ist geschehen?« sprach er zu sich. »Es sind die beiden berühmten Häuptlinge, von denen Alfonzo mir erzählt hat. Alle Wetter, sie sind den Komantschen gefolgt, um sich an ihnen zu rächen, und sie wollen auch nach Mexiko zu Alfonzo. Ich muß ihnen zuvorkommen. Dieser Büffelstirn war verwundet. Vielleicht macht ihm seine Verletzung Beschwerde, und dann steche ich sie aus.«

 

Er eilte nach dem Ort, wo er die Komantschen gelassen hatte. Dort fand er ihre Leichen und auch die toten Pferde. Nun hielt er sich keinen Augenblick hier auf, sondern begab sich schleunigst nach Verakruz, um sich mit einem guten Pferd zu versehen und die Rückkehr sofort anzutreten.

Es gelang ihm, zwei tüchtige Renner zu bekommen, einen bestieg der Führer, den er sich vorsichtigerweise mietete. Der Ritt ging in höchster Eile über Solodad, Lomalto, Paso del Macho, Cordova, Orizaba, Puebla nach Mexiko.

Cortejo hatte während des ganzen Ritts stets die Befürchtung gehegt, daß er den beiden Indianern begegnen werde, doch war dies nicht der Fall. Die Häuptlinge hatten eine weniger bewohnte Richtung eingeschlagen, und dabei stellte sich heraus, daß die fieberschwangere Niederung des Meeres in der Gegend von Verakruz der Wunde des Mixteka schädlich gewesen war. Er fühlte sich so ermattet, daß sie zwei Tage ruhen mußten, und erst, als sie in höher liegender Gegend das berühmte Wundkraut fanden und auflegten, konnte er das Pferd wieder besteigen.

So kam es, daß sie volle zwei Tage nach Cortejo in Mexiko anlangten.

25. Kapitel

Cortejo wurde von dem Grafen Alfonzo natürlich mit der allergrößten Spannung erwartet. Sobald er ihn kommen sah, ließ er ihn zu sich rufen.

»Nun, wie ist es gegangen?« fragte er. – »Gut, sehr gut«, lautete die Antwort. – »Ah, da fällt mir ein Stein vom Heizen. Es ist keine Kleinigkeit, einen scheintoten Menschen von hier bis an die Küste zu transportieren. Habt ihr ihn unbemerkt bis auf das Schiff gebracht?« – »Ja.« – »Und die Indianer? Sie sollen ihren Lohn erhalten. Wo sind sie?« – »Tot.« – »Tot?« fragte Alfonzo überrascht. »Wieso?« – »Das ist es eben, weshalb ich sagte, daß es sehr gut gegangen sei. Wir haben keine Zeugen mehr zu fürchten, denn diese Komantschen sind alle erschossen worden.« – »Erschossen! Von wem?« – »Von Büffelstirn und Bärenherz.« – »Ah!« rief Alfonzo. »Von diesen beiden verdammten Kerlen? Wo ist es geschehen?« – »In unserem Versteck an der Küste bei Verakruz.« – »Donnerwetter, so sind sie ihnen gefolgt!« – »Ja, ihnen und dir.« – »Das steht zu erwarten, sie sind uns von der Hazienda aus auf dem Fuß nachgeritten.« – »Und haben zunächst die Komantschen genommen, da du ihnen sicherer bist. Jetzt, da sie mit ihnen fertig sind, wirst du an die Reihe kommen.« – »Das ist verdammt! Erzähle!«

Cortejo erzählte darauf den ganzen Verlauf seiner Reise und auch das Zusammentreffen mit den beiden Häuptlingen und fügte hinzu:

»Dieser Büffelstirn sagte, daß sie mit dir bereits gesprochen haben würden, wenn ich nach Mexiko käme. Du siehst also, daß sie die Absicht haben, dich aufzusuchen. Ich habe mir zwei schnelle Pferde gekauft und bin ihnen zuvorgekommen. Die Wunde des Mixteka wird sie aufgehalten haben.« – »So gilt es, ihnen schleunigst aus dem Weg zu gehen, denn gegen solche Menschen gibt es selbst hier in unseren doch ziemlich geordneten Verhältnissen keinen genügenden Schutz.« – »Du mußt ja nach Spanien hinüber!« – »Allerdings. Ich habe vom ›Vater‹ einen Brief erhalten.« – »Ah! Kann ich ihn lesen?« – »Ja. Er ist sehr kurz. Hier ist er.«

Alfonzo nahm das nur einige Zeilen lange Schreiben von seinem Schreibtisch und reichte es Cortejo hin. Dieser las:

»Mein lieber Alfonzo!

Ich ließ Dir bereits durch Señor Cortejo sagen, daß ich Dich hier in Rodriganda mit großer Sehnsucht erwarte. Seitdem stellt sich fast die Hoffnungslosigkeit meiner Augenkrankheit heraus, und ich bitte Dich, daran zu denken, daß ich in Dir als meinem Sohn meine einzige verläßliche, männliche Stütze sehen muß und Dich also sehr bald hier erwarte.

Dein Vater

Emanuel, Graf de Rodriganda y Sevilla.«

»Das klingt allerdings sehr dringend«, sagte der Sekretär. »Was gedenkst du zu tun?« – »Ich reise natürlich!« – »Auch ich rate dir dazu. Unsere Angelegenheit läßt sich jeden Augenblick vorteilhafter an. Hier bist du bereits der Erbe, und drüben wirst du nach deiner Ankunft auch die ganze Leitung der Grafschaft in die Hand bekommen. Diese Erblindung Don Emanuels ist ein Glück für uns.« – »Ich habe oft schon Sorge getragen, daß er meine Ähnlichkeit mit deinem Bruder erkennen werde«, erwiderte Alfonzo. »Nun aber bin ich von dieser Angst befreit.« – »Hm, man müßte freilich Vorkehrungen treffen, daß er nicht wiederhergestellt werden kann.« – »Das werde ich natürlich mit allen Kräften tun.« – »Und Rosa? Sie wird natürlich die Ähnlichkeit bemerken.« – »Pah, diese fürchte ich nicht.« – »So schlage ich vor, daß du sofort abreisest. Deine Angelegenheiten sind bei mir ja gut aufgehoben.« – »Zuvor werde ich nach der Hazienda reiten.« – »Ah! Diesen Plan hast du wirklich noch?« – »Ja. Ich muß Rache nehmen für alles, was uns dort angetan ist.« – »Die beiden Häuptlinge werden dir aber folgen.« – »Sie können mir nichts tun, denn ich befinde mich unter einem sehr guten Schutz.« – »Du meinst die Lanzenreiter?« – »Ja.« – »Du müßtest, um eine solche Begleitung zu erhalten, zuvor mit dem Präsidenten sprechen.« – »Das habe ich während deiner Abwesenheit bereits getan.« – »Und er hat dir die Erfüllung dieses Wunsches zugesagt?« – »Ja. Ein Graf de Rodriganda ist natürlich ein Mann, dessen Wünsche man berücksichtigen muß.« – »Welche Gründe hast du angegeben?« – »Ich erzählte von dem Überfall der Komantschen, ohne natürlich zu erwähnen, daß ich dieselben selbst nach der Hazienda führte, und sprach die Vermutung aus, daß nun eine bedeutendere Truppe der Wilden kommen werde, um den Tod der Ihrigen zu rächen.« – »Und was wurde dir versprochen?« – »Ich habe bereits zwei Befehle in den Händen, den einen an den Gouverneur und den anderen an den Divisionär von Durango, mir eine Schwadron Lanzenreiter sofort zu verabfolgen.« – »Oh, das ist gut! Ich habe diesen alten Pedro Arbellez nie geliebt!« – »Er wird Augen machen, wenn ich komme. Er hatte die Frechheit, mir zu sagen, daß ich nur sein Gast, nicht aber sein Gebieter sei, da er die Pacht der Hazienda auf Lebenszeit besitze.« – »Davon weiß ich nichts.« – »Ich auch nicht. Don Ferdinando hat nie davon gesprochen, und in den beiden Testamenten wurde die Hazienda mit Stillschweigen übergangen.« – »Ich habe nicht einmal einen Pachtkontrakt auf die Zeit nur eines Jahres in den Händen gehabt. Don Ferdinando hat sein Verhältnis zu Arbellez niemals klar darlegen wollen.« – »So brauche ich mich also nach gar nichts zu richten und kann tun, was mir beliebt.« – »Wann wirst du abreisen?« – »Sogleich.« – »In welcher Begleitung?« – »Ich erhalte einige Mann Militär.«

Jetzt warf Cortejo dem Neffen einen scharfen, forschenden Blick zu und fragte:

»Wie steht es mit Josefa? Habt ihr miteinander gesprochen und euch geeinigt?« – »Geeinigt?« fragte Alfonzo, indem er tat, als wisse er gar nicht, was Cortejo meinte. »Sind wir entzweit oder uneinig gewesen?« – »Hm! Du nimmst doch Abschied von uns, ehe du gehst?« – »Das versteht sich!« antwortete der Gefragte zögernd. – »Gut, so will ich Josefa begrüßen, denn ich habe sie noch gar nicht gesehen, seit ich angekommen bin.«

Cortejo ging und suchte seine Tochter in ihrem Zimmer auf. Sie freute sich seiner glücklichen Rückkehr, schien aber nicht gut bei Laune zu sein.

»Ich sah dich kommen«, sagte sie. »Du warst bei Alfonzo?« – »Ja.« – »Sprach er von mir?« – »Nur nebenbei. Ihr habt euch in diesen Tagen gemieden?« – »Er mich, nicht aber ich ihn. Weißt du, daß er nach Rodriganda gehen will?« – »Ich weiß es. Zuvor aber will er nach der Hacienda del Erina.« – »Auch das habe ich gehört. Ich glaube, daß er von der Hazienda gar nicht wiederkommen wird, sondern von da gleich direkt nach Spanien geht, um mir auszuweichen.« – »So müssen wir die Sache jetzt sofort in Richtigkeit bringen.« – »Wann geht er?« – »Sogleich; er sagte aber, daß er sich verabschieden würde.« – »Ich glaube es ihm nicht. Ich werde zu ihm gehen.« – »Wird er sich zwingen lassen?« – »Ja«, sagte sie in einem sehr bestimmten und selbstbewußten Ton. – »Ich zweifle!« – »Laß mich nur machen. Du gehst doch mit?« – »Das versteht sich!« – »So komm.«

Vater und Tochter gingen nun miteinander nach der Wohnung Alfonzos, den sie mit dem Einpacken beschäftigt fanden. Er machte ein sehr unangenehm überraschtes Gesicht, als er sie erblickte, und schien Lust zu haben, sie fortzuweisen. Josefa aber kam ihm zuvor, indem sie fragte:

»Du wirst verreisen, Alfonzo?« – »Allerdings.«

Seine Miene war bei dieser Antwort eine zornige. Das Mädchen aber kümmerte sich nicht darum.

»Ohne an das zu denken, was ich dir sagte, als der Vater nach Verakruz ging?« – »Hm, ich besinne mich wirklich nicht«, heuchelte er. – »So muß ich deinem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Ich sagte dir offen und ehrlich, daß ich dich liebe und daß ich deshalb erwarte, Gräfin de Rodriganda zu werden.«

Jetzt legte sich ein sichtbarer Hohn über sein Gesicht, und er antwortete:

»Donnerwetter, ja, jetzt besinne ich mich, daß du dir diesen unsinnigen Spaß erlaubtest. Ich hoffe jedoch, daß er abgetan ist!« – »Abgetan? Das fällt mir gar nicht ein! Ich erklärte dir ja schon, daß ich dir bis zur Rückkehr des Vaters Zeit geben würde, mir meine Frage zu beantworten. Jetzt ist diese Frist verstrichen. Wie steht es?« – »Ah, du redest also wirklich im Ernst?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie mit blitzenden Augen. – »Und willst eine Antwort?« – »Ich verlange sie!« – »Nun, so sollst du sie hören: Ich heirate, wen ich will, dich aber niemals, nie, nie nie!«

Alfonzo hatte erwartet, daß Josefa aufbrausen werde, dies war aber keineswegs der Fall. Sie war sich ihrer Sache so gewiß, daß sie ruhig blieb und ihm nur mit einem scharfen Lächeln antwortete:

»Und dennoch wirst du mich heiraten!« – »Pah! Wer will mich zwingen?« – »Ich.« – »Du?« fragte er mit verächtlichem Ton. »Mach dich nicht lächerlich! Ich errate deine Absichten und auch deine Gründe, die du gegen mich loslassen willst. Sie taugen aber nichts.« – »Du irrst; sie sind die besten, die es geben kann.«

Alfonzo blickte ihr überlegen in das scharfe Gesicht mit den Eulenaugen und antwortete:

»Du willst mich zwingen, dich zur Gräfin de Rodriganda zu machen, indem du mir drohst, zu verraten, daß ich gar nicht ein Rodriganda bin?« – »Ja«, antwortete sie gelassen. – »So bitte ich dich abermals, dich nicht lächerlich zu machen! Über diese Waffe lache ich, denn du kehrst sie gegen dich selbst und gegen deinen Vater. Ihr seid ja meine Mitschuldigen.« – »Das müßte erst bewiesen werden. Dir wenigstens dürfte es schwer werden, es zu beweisen. Du irrst dich übrigens, wenn du glaubst, daß ich eine Lächerlichkeit begehe. Wie nun, wenn das zweite Testament noch vorhanden wäre?«

Alfonzo lächelte höhnisch.

»Das ist verbrannt«, sagte er. – »Nein, es ist noch da«, entgegnete sie, und ihre Miene war bei diesen Worten so ernst, und ihre Stimme klang so siegesgewiß, daß er sich doch unsicher und betreten zu fühlen begann. Auch der Sekretär war überrascht.

»Was, du hättest es nicht verbrannt, Josefa?« fragte er. – »Nein.« – »Aber ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen.« – »Ein Zeitungsblatt hast du brennen sehen«, lachte sie. »Oh, ihr klugen Männer! Vater, du wolltest das Testament vernichten, ohne daran zu denken, welch vortreffliche Waffe es gegen diesen sogenannten Grafen de Rodriganda ist.« – »Ah, das ist schlau! Das ist allerdings ein Meisterzug!« rief Cortejo. – »Sie lügt!« behauptete Alfonzo. – »Ich rede die Wahrheit!« antwortete sie. – »Wo ist es?« – »Hier in meiner Tasche!«

Josefa klopfte mit der Hand triumphierend an die Stelle ihres Kleides, an der sich die Tasche befand. Die Augen Alfonzos leuchteten heimtückisch auf. Er sagte:

»Zeige es her, sonst glaube ich es nicht!« – »Da, siehe es!« rief Josefa und griff nicht nur in eine, sondern in alle beide Taschen. Als Alfonzo das Dokument in ihrer linken Hand erblickte, faßte er schnell zu, um es ihr zu entreißen, aber er hatte nicht den Dolch gesehen, den sie mit der Rechten aus der Tasche gezogen hatte und jetzt gegen ihn zückte, darum fuhr er erschrocken zurück und rief:

»Donnerwetter, du willst mich stechen?« – »Nein«, lachte sie, »aber du wirst es mir nicht übelnehmen, wenn ich mein Eigentum verteidige.« – »Dein Eigentum?« zürnte er. »Dieses Testament gehört mir!« – »Nein. Es gehört in die Hand des Präsidenten. Und ich schwöre es dir bei allen Heiligen, daß er es bekommt, wenn du dich vor deiner Abreise nicht schriftlich mit mir verlobst.« – »Das ist unverschämt!« erklärte er wütend. – »War es etwa nicht unverschämt, als du mich alt, häßlich und verbrecherisch nanntest?« – »Du wirst es nicht auf das äußerste treiben!« – »Das werde ich sicher, darauf kannst du dich verlassen, und ich hoffe, daß ich die Unterstützung meines Vaters dabei finde.« – »Das versteht sich«, antwortete dieser. »Das Testament ist in unserer Hand eine Waffe, gegen die du nicht aufkommen kannst. Du wurdest uns als der kleine Graf Rodriganda herübergeschickt, und ich habe den Teufel gewußt, daß du verwechselt worden bist. Die in meiner Hand befindlichen Briefe werde ich verbrennen, und so will ich sehen, wie du es anfangen willst, die Waffe auch gegen mich zu kehren!«

 

»Ihr seid beide schlecht!« rief Alfonzo. – »Möglich. Aber ich habe keine Lust, mit einem Undankbaren zu arbeiten. Was wir getan haben, muß belohnt werden. Du erhältst aus meiner Hand die unermeßliche Herrschaft der Rodrigandas in Mexiko. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir teil daran nehmen, indem du Josefa heiratest.« – »Den Teufel werde ich tun!«

Da trat Josefa hart an ihn heran und fragte mit zornig blitzenden Augen:

»Ist das dein wirklicher Entschluß?« – »Ja«, antwortete er. – »Gut!«

Nur dieses eine Wort sagte sie, dann wandte sie sich um und schritt nach der Tür. Er sah es ihr an, daß sie im Begriff stand, einen ernsten Vorsatz auszuführen. Es wurde ihm nun doch angst, und er rief sie zurück:

»Halt, wohin willst du?« – »Zum Präsidenten«, sagte sie, stehenbleibend. – »Bist du denn des Teufels! Bildest du dir denn wirklich ein, daß du als meine Frau glücklich sein wirst?« – »Ja. Du sollst freie Hand haben in allem, aber Gräfin de Rodriganda will ich sein.« – »Das geht ja nicht! Was wird Graf Emanuel sagen, wenn ich mich ohne seinen Willen mit der Tochter des Sekretärs seines Bruders verheirate!« – »Das verlange ich noch gar nicht. Du kannst mit der Hochzeit bis nach seinem Tod warten, aber jetzt gibst du mir eine schriftliche Erklärung, daß ich deine Verlobte bin.«

Alfonzo besann sich.

»Wirst du mir gegen diese Erklärung das Testament aushändigen?« fragte er. – »Nein. Das Testament gebe ich dir erst am Tag unserer Hochzeit. Aber gegen diese Erklärung erhältst du deine Freiheit und kannst reisen, wohin es dir beliebt.«

Alfonzo nickte mit verschlagener Miene und antwortete:

»Gut, du sollst die Schrift haben.« – »Sofort?« – »Sofort!« – »So wirst du endlich klug, aber denke ja nicht, daß nun alles gut ist und daß du dein Wort nicht zu halten brauchst, wenn du fort bist von uns. Ich würde mich zu rächen wissen, wenn du es brichst.«

Alfonzo warf den Kopf trotzig zurück und unterschrieb. Kurze Zeit später ritt er mit einigen Soldaten zur Stadt hinaus, um sich nach Durango zu begeben. Es war zwischen der Ankunft Cortejos und der Abreise Alfonzos nur einige Stunden vergangen, so groß war die Furcht des letzteren vor den beiden Indianerhäuptlingen.