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Satan und Ischariot I

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»So? Ich darf also, darf, darf! Dieser Ausdruck ist wohl falsch. Ums Dürfen handelt es sich nicht, sondern darum, ob ich will.«

»Meinetwegen! Aber Sie werden doch gewiß wollen!«

»Nein, ich will nicht. Sie sehen, daß wir im Begriff stehen, aufzubrechen.«

»Begehen Sie keinen Fehler!« mahnte er eifrig. »Sie kennen die hilflose Lage, in der Sie sich befinden. Hier wird Ihnen eine Zukunft geboten, welche eine glänzende genannt wer – —«

»Bitte, keine Redensarten!« fiel ich ihm ins Wort. »Ich weiß, was ich von denselben zu halten habe.«

»Hoffentlich sind Sie überzeugt, daß ich es ehrlich meine. Bleiben Sie, so dürfen auch diese drei Personen bleiben, auf welche Sie doch wohl Rücksicht zu nehmen haben.«

»So meinen Sie, daß ich, um ihnen hier für eine einzige Nacht Unterkunft zu verschaffen, ein jahrelanges Engagement eingehen werde? Das ist wohl mehr als naiv!«

»Sie sprechen im Zorne, und der Zorn macht blind. Denken Sie doch an Ihre Landsleute! Ich bin vorausgeritten, um dem Haziendero ihre Ankunft zu melden; sie alle haben Sie lieb gewonnen und befinden sich in Sorge um Sie. Sie werden der Mittelpunkt sein, um welchen sich die Auswanderer hier vereinigen. Denken Sie sich die Enttäuschung, wenn die guten Leute erfahren, daß Sie abgelehnt haben und ohne allen Abschied von ihnen fortgegangen sind!«

Er suchte in dieser Weise alle Gründe hervor, welche ihm geeignet erschienen, mich zum Bleiben zu bewegen, natürlich aber vergeblich. Als er einsah, daß ich nicht wankend zu machen sei, schlug er einen andern Ton, nämlich den des Zornes, an:

»Nun, wenn Sie Ihr Glück mit Füßen treten wollen, so kann ich nichts dagegen haben; aber jedenfalls ist es von Ihnen eine Undankbarkeit sondergleichen gegen mich. Ich habe mich Ihrer angenommen und Sie kostenlos hierher befördert, und nun ich die Früchte dieser Güte sehen will, laufen Sie einfach auf und davon!«

Ich hätte ihm ganz anders anworten können, that aber nichts, als ihn in kalter Weise zu fragen:

»Wollen Sie mir etwa dieses sogenannte Glück aufzwingen?«

»Nein. Laufen Sie meinetwegen in drei Teufels Namen! Wenn Sie sich nicht halten lassen, werde ich Sie eine Strecke weit begleiten.«

»Warum?«

»Wenn Sie nicht bleiben wollen, so haben Sie von dem Haziendero gehört, daß er Sie auf seinem Gebiete nicht dulden will. Er wollte Sie durch einige Knechte über dasselbe hinausbringen lassen. Da ich mich aber einmal Ihrer angenommen habe, so will ich diese Schande dadurch von Ihnen nehmen, daß ich Sie selbst begleite. Hoffentlich haben Sie wenigstens hiergegen nichts einzuwenden!«

»Gar nichts; ich bin im Gegenteile hocherfreut über die Ehre, welche Sie mir dadurch erweisen. Ist Ihnen denn die Gegend so genau bekannt, daß Sie die Grenzlinie des zu der Hazienda gehörigen Gebietes wissen?«

»Ich werde die Grenze selbst im Dunkeln finden.«

»Es wird höchst wahrscheinlich auch dunkel sein, wenn wir sie erreichen. Der Tag neigt sich mit Schnelligkeit zu Ende. Säumen wir also nicht, aufzubrechen!«

Er ging zu seinem noch im Hofe stehenden Pferde und stieg auf, ohne zu ahnen, daß ich ihn durchschaute. Ich hatte ihn nicht ohne Absicht gefragt, ob er die Grenze kenne. War dies der Fall, so besaß er mit dem Walde überhaupt eine solche Bekanntschaft, daß es ihm gar nicht schwer war, selbst in der Dunkelheit einen Ort zu finden, welcher sich für die Ausführung seines Vorhabens eignete.

Welches Vorhaben war das wohl? Ich wußte es; ich hatte es längst vermutet, und diese Vermutung war jetzt zur Gewißheit geworden. Der Mormone wußte, wer ich war, und fürchtete mich. Er hatte die Ueberzeugung, daß der Plan, den er in Beziehung auf die Emigranten hegte, durch mich in Frage gestellt wurde. Er hatte mich mitgenommen, um sich meiner Person zu versichern und mich bei einer passenden Gelegenheit verschwinden zu lassen. Da ich nun nicht bleiben wollte, galt es, schnell zu handeln. Er war meiner nur noch von der Hazienda bis an die Grenze derselben mächtig; jetzt also mußte geschehen, was nicht länger oder weiter hinausgeschoben werden konnte. Es war auf mein Leben abgesehen, und als wir aufbrachen, war ich überzeugt, daß mir der Tod Schritt für Schritt zur Seite gehen werde.

War es da nicht eine wahnsinnige Verwegenheit von mir, den Mann mitzunehmen? Nein, sondern ich wurde durch die Klugheit veranlaßt, auf seine Begleitung einzugehen. Hätte ich ihn abgewiesen, so wäre er uns heimlich nachgeschlichen, um mir von irgend einer beliebigen Stelle eine Kugel zuzusenden; befand er sich aber bei uns, so konnte ich ihn beobachten, den Augenblick des Angriffes berechnen und seinen Anschlag zu nichte machen.

Als wir die Hazienda verlassen hatten, ging es wieder dem Wasser des Baches entgegen. Zu beiden Seiten desselben gab es offene Wiesen, und nur hier und da war eine Gruppe von Bäumen und Sträuchern zu sehen. Das war kein für einen Mordanfall passendes Terrain. Da er meine Begleiter nicht zu Zeugen seiner That machen durfte, so nahm ich als selbstverständlich an, daß er dieselbe erst nach seiner Verabschiedung von uns ausführen werde. Solange er sich bei uns befand, war ich meines Lebens vollständig sicher. Das weitere stellte ich mir folgendermaßen vor: Er stellt sich, als ob er zurückreite, eilt uns aber seitwärts und heimlich voran bis zu einer gutgedeckten Stelle, welche er sich schon jetzt dazu ausersehen hat, verbirgt sich da, läßt uns herankommen und schießt mich über den Haufen. Wer kann dann sagen, daß er der Mörder sei? Höchst wahrscheinlich hat der Häuptling der Yuma mir aufgelauert, um den Tod seines Sohnes zu rächen.

Da Melton langsam ritt, schritt ich gemächlich an seiner Seite hin, indem ich die Hand auf die Kruppe seines Pferdes hielt. Auf diese Weise befand ich mich ein wenig hinter ihm und konnte ihn scharf beobachten. Gesprochen wurde kein Wort. Die drei Roten folgten, indem der eine Bruder das Pferd am Zügel führte.

Es wurde schnell immer dunkler, bis es finster war; die offenen Wiesen lagen hinter uns, und der Bach schlängelte sich zwischen Büschen hindurch, aus welchen, je weiter wir kamen, desto mehr Bäume emporragten. Das ließ wieder einen Wald vor uns vermuten, und ich nahm an, daß der Augenblick der Entscheidung nicht lange mehr auf sich warten lassen werde.

Wie gedacht, so geschehen. Nach kurzer Zeit gelangten wir an eine Waldesecke. Der Bach wendete sich nach rechts; der Rand des Waldes schien geradeaus zu laufen; links zog sich an demselben ein Strich offenen Wiesenlandes hin. »Hier ist‘s!« dachte ich. »Er weist uns am Walde hin, steigt ab, bindet sein Pferd an und eilt uns unter den Bäumen voran, bis er die betreffende Stelle erreicht.« Der Mormone hielt, als ob ich allwissend gewesen wäre, sein Pferd an, deutete vor sich hin und sagte:

»Das Gebiet der Hazienda reicht bis an diesen Wald, und ich habe also meine Aufgabe, Sie über die Grenze zu bringen, erfüllt. Eigentlich hätte ich nichts hinzuzufügen; da ich mich Ihrer aber einmal angenommen habe, will ich Ihnen sagen, wo Sie einen vortrefflichen Schlafplatz finden werden. Gehen Sie da am Rande des Gehölzes weiter, so treffen Sie nach einer Viertelstunde wieder auf den Bach, welcher von hier aus einen Bogen macht. Dort giebt es klares Wasser zum Trinken, hohes, weiches Gras zum Lagern und eine Felsenwand, welche Ihnen Schutz gegen die kühle Nachtluft bietet. Ob Sie diesem Rate folgen wollen oder nicht, ist mir gleich.«

»Ich danke und werde folgen, Sennor,« antwortete ich.

»So rate ich Ihnen, langsam zu gehen. Das Frühjahrswasser hat hier natürliche Gräben gerissen, in welche Sie leicht stürzen können. Ich kehre jetzt um. Sie haben Ihr Glück von sich gewiesen, und ich bin überzeugt, daß es Sie auf immer verlassen hat.«

»Ich bedarf Ihres Glückes nicht. Sie werden in kurzer Zeit erfahren, daß ich mich lieber auf mich selbst verlasse.«

»Es liegt mir nichts daran, je wieder von Ihnen zu hören. Laufen Sie zum Teufel!«

Er kehrte um und that, als ob er zurückreiten wolle. Wir gingen weiter, wobei ich meinen Begleitern leise sagte:

»Der Mann wird jetzt den Wald aufsuchen, um uns

voranzukommen. Er will mich erschießen. Ich werde ihm aber vorauseilen und ihm beweisen, daß mit Old Shatterhand nicht zu scherzen ist. Meine Brüder mögen nicht am Waldessaume hingehen, sondern sich ein wenig mehr links halten, damit er nicht erkennen kann, daß ich fehle. Auch mögen sie meine Gewehre halten, weil mir dieselben hinderlich sein würden. Wenn ich sie nicht bald anrufe, mögen sie bis an die Stelle gehen, welche der Mann beschrieben hat, und dort auf mich warten.«

Die drei waren natürlich über meine so unerwartete Mitteilung überrascht, nahmen aber meine Gewehre hin, ohne ein Wort zu sagen. Das Bündel mit meinem Anzuge trug das Pferd bereits; ich hatte also die Hände frei und ging mit schnellen Schritten weiter, während sie sich mehr nach links wendeten, um dort ihren Weg langsam fortzusetzen. Doch hielten sie sich, ohne daß ich sie darauf aufmerksam gemacht hatte, klugerweise immer so, daß man ihre Schritte vom Walde aus hören konnte.

Ich sage, daß ich schnell ging, denn es fiel mir gar nicht ein, die Warnung des Mormonen zu beachten. Seine Mitteilung bezüglich der Gräben enthielt eine Unwahrheit, welche er ausgesprochen hatte, um uns zum Langsamgehen zu bewegen, damit er uns trotz der Hindernisse, welche die Bäume ihm boten, vorankommen könne. Es fiel mir keinen Augenblick ein, daß ich mich irren könne, sondern ich war vollständig überzeugt, daß er mir auflauern werde.

Mich immer nahe am Walde haltend, schritt ich wohl zehn Minuten lang vorwärts, scharf nach einer Stelle ausschauend, welche sich für das Unternehmen des Mormonen eignete. Die Sterne waren sichtbar geworden; meine Blicke reichten mehr als dreißig Schritte weit. Da trat aus dem bisher geraden Saume des Waldes eine scharfe Ecke hervor, welche sich jenseits ebenso scharf wie- wieder rückwärts bog. Sie wurde aus dichtbelaubten Bäumen gebildet, unter denen niedrige Büsche standen. Hatte ich mich in Beziehung auf die Absicht des Mormonen nicht geirrt, so war dies unbedingt die Stelle, an welcher er sie ausführen wollte. Hier konnte er sich gut verbergen, und wir mußten so nahe ‚an der Ecke vorüber, daß mich seine Kugel gar nicht fehlen konnte. Indem ich das Unterholz mit den Augen und auch mit den Händen untersuchte, wollte ich mir darüber klar werden, an welcher Stelle sich Melton wohl verstecken werde. Das war gar nicht schwer; er mußte gute Deckung für sich, freien Blick nach außen und einen sicheren Anschlag auf mich haben. Als ich einen solchen Ort gefunden hatte, kroch ich nahe bei demselben unter ein Gezweig, welches mich unsichtbar machte und dabei so biegsam und elastisch war, daß ich kein verräterisches Rascheln zu befürchten hatte, falls ich zu einer unvorhergesehenen Bewegung gezwungen sein sollte.

 

Warum legte ich mich eigentlich hierher, um den Feind zu ertappen? Es war doch nicht ein ungefährliches Unternehmen. Ich hätte den Anschlag einfach dadurch zu nichte machen können, daß ich die Richtung vermied, in welche der Mormone uns gewiesen hatte; dann hätte er mir hier vergeblich aufgelauert. Wenn ich mir diese Frage heute vorlege, so muß ich offen und ehrlich sagen, daß es die liebe Eitelkeit war, welche mich dazu trieb, die Gefahr des Handelns der Sicherheit der Unterlassung vorzuziehen. Es gelüstete mich, Melton zu zeigen, daß ich klüger sei, als er mich taxiert hatte. Daß ich dabei das Leben riskierte, wurde, wie so oft, später erwogen.

Als ich es mir unter dem Gezweig bequem gemacht hatte, legte ich das Ohr auf die Erde, um zu horchen. Wird er kommen oder nicht? Ich befand mich in der gespanntesten Erwartung. Da hörte ich Schritte, das

Rauschen der Aeste, welche er berührte, das Stolpern seiner Füße über die hervortretenden Wurzeln, ja sein Stoßen an die Stämme, welche er im Waldesdunkel nicht deutlich zu sehen vermochte. Er kam schnell näher. Schon hörte ich auch das laute Arbeiten seiner Lunge, denn er war außer Atem. Jetzt bog er nach der Ecke ein, arbeitete sich rasch bis an die Spitze derselben, blieb da stehen und streckte den Kopf hervor, um zu horchen.

»‘sdeath!« fluchte er halblaut und in englischer Sprache. »Tod und Teufel! Mein Atem geht so laut, daß ich nichts anderes zu hören vermag. Der Schuft wird doch nicht etwa schon vorüber sein? Unmöglich! Ich bin gelaufen wie ein Verrückter, und sie gehen langsam, um nicht in die Gräben zu stürzen. Hahahaha! Doch still, ich glaube, sie kommen!«

Er ließ sich auf das rechte Knie nieder, stemmte den linken Ellbogen auf das linke und legte das Gewehr an. Ich sah ihn ganz deutlich und bestimmt, denn er kniete an einer Lücke, durch welche sich der Sternenschimmer stahl. Ich hatte gerechnet, daß er sich mehr links plazieren werde, und mußte mich also, um ihm nahe zu kommen, nach dieser Richtung schieben. Wenn ich dabei ein leises Geräusch verursachte, so überhörte er es, weil seine ganze Aufmerksamkeit nach außen gerichtet war.

Jetzt hörte ich die Indianer kommen.

»Zum Henker!« flüsterte er. »Die Hunde halten sich entfernter als ich dachte. Da gilt es, scharf zu zielen.«

Ich wunderte mich keineswegs darüber, daß er mit sich selbst sprach. Ich wußte von mir selbst, daß die Aufregung, je größer sie ist, sich desto leichter in Worten Luft macht. Er hob und senkte das Gewehr zur wiederholten Prüfung und hielt es dann fest im Visier. Jetzt mußte ich handeln, da er doch möglicherweise einen der Knaben für mich halten und auf ihn schießen konnte. Ich richtete mich hinter ihm halb auf, nahm ihn beim Halse und riß ihn hintüber. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Gewehr fallen. Da er mit dem Kopfe zwischen meine Beine zu liegen gekommen war, stemmte ich ihm die beiden Kniee rechts und links auf Brust und Schultern und griff nach seinen Händen, mit denen er krampfhaft hin und her fuhr; ich faßte sie – ein Knack und ein Schmerzensruf – noch ein Knack und ein noch lauteres Brüllen – er lag halb wehrlos unter mir, da ich ihm in der Hitze des kurzen Kampfes die beiden Hände in den Gelenken gebrochen hatte. Er konnte nur mit den Füßen vor sich stoßen; sich aufzurichten vermochte er nicht, da ich schwer auf ihm kniete. Die Arme bewegte er wohl, konnte mir aber mit seinen schlaff herabhängenden Händen nichts anhaben. Desto mehr arbeitete er mit den Stimmwerkzeugen. Er schrie wie ein Gepfählter, ob vor Wut, vor Angst oder vor Schmerz, das wußte wohl er selber nicht, wahrscheinlich aber wohl aus allen drei Gründen.

Indem ich ihn niederhielt, sah ich, daß die Indianer trotz seines Geheules nach meiner Weisung ruhig und ohne anzuhalten draußen vorüber wollten. Da rief ich ihnen zu:

»Meine jungen Brüder mögen hierher kommen und ihre Schwester draußen bei dem Pferde lassen!«

Sie folgten schnell meiner Weisung und banden dem Mormonen die Arme und Beine zusammen, was ich, wenn es nötig gewesen wäre, auch allein fertig gebracht hätte. Dann schafften wir ihn hinaus, wo wir sein Gesicht deutlicher sehen konnten. Sein Geschrei hatte aufgehört; er lag ganz ruhig da.

»Nun, Master Melton,« sagte ich in englischer Sprache, weil dies seine Muttersprache war, »habe ich wirklich mein Glück von mir gewiesen und es darum für immer verloren?«

»Verfluchter Schurke!« zischte er zwischen den Zähnen hervor.

»Ist es nicht genau so, wie ich Euch sagte?« fuhr ich fort. »Habt Ihr nicht in sehr kurzer Zeit erfahren, daß ich mich recht gut auf mich selbst verlassen kann? Die Kugel, welche Ihr mir zuschicken wolltet, hörte ich schon vor einer Stunde sausen. Ihr habt Euch eingebildet, mich täuschen und betrügen zu können, und seid trotz Eurer vermeintlichen Pfiffigkeit so dumm, daß es unendlich leicht ist, Eure Absichten zu erraten. Ich habe Euch schon in Guaymas durchschaut.«

»Ich Euch auch!« knirschte er. »Ihr seid Old Shatterhand!«

»Ganz richtig! Ich wußte, daß ich erkannt worden war, ließ aber nichts davon merken. Ihr aber habt Euch geradezu wie ein Schulknabe verhalten. Wenn Ihr Old Shatterhand bethören wollt, müßt Ihr es gescheiter anfangen. Was habt Ihr mit den Emigranten vor?«

»Nichts!«

»Natürlich werdet Ihr mir es nicht sagen. Ich habe diese Frage auch nicht, weil ich etwa glaubte, eine Antwort zu erhalten, ausgesprochen; ich wollte Euch nur darauf aufmerksam machen, daß die Leute unter meinem Schutze stehen. Es ist nicht meine Absicht, Euch darüber, was ich weiß und was ich denke, eine Rede zu halten; ich will Euch nur darauf aufmerksam machen, daß jede Unredlichkeit, die Ihr an ihnen begeht, auf Euch selbst zurückfallen wird. Ein Beispiel habt Ihr soeben erlebt. Ihr wolltet mein Leben; darum war das Eurige mir verfallen. Laßt Euch das zur Warnung dienen! Das nächstemal würde es Euch gewiß ans Leben gehen. Wie ich Eure Kugel vorausgesehen habe, so sehe ich auch noch anderes voraus; Ihr aber schaut höchstens von heut bis nach morgen hinüber, weil das Verbrechen kurzsichtig ist.«

Ich wendete mich von ihm ab und winkte auch die Knaben von ihm fort, weil ich ihnen einiges zu sagen hatte, was er nicht hören durfte. Die Squaw blieb als vorsichtige Indianerin bei ihm stehen, um ihn, obgleich er gefesselt war, nicht aus den Augen zu lassen.

»Meine jungen, roten Brüder mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe,« begann ich. »Wir sind vier Personen und haben nur ein Pferd, bedürfen aber noch dreier Tiere, welche wir stehlen müssen. Ich bin kein Dieb, aber da wir uns unter den gegenwärtigen Verhältnissen unbedingt beritten machen müssen, bin ich gezwungen, alle Bedenken schwinden zu lassen. Als ich mit dem Haziendero darüber sprach, verweigerte er mir die Erfüllung meiner Bitte, weil er sich vor den Yumas fürchtete. Ich muß ihm also nehmen, was er mir verweigert, und werde jetzt nach der Hazienda zurückkehren, um mir drei Pferde von der Weide zu holen. Meine Brüder mögen indessen den Gefangenen bewachen. Er ist uns zwar vollständig sicher, und ich bin auch überzeugt, daß zur jetzigen späten Stunde niemand in diese abgelegene Gegend kommen wird, doch muß ein vorsichtiger Mann auf jeden Zufall gefaßt sein. Der Gefangene darf auf keinen Fall vor meiner Rückkehr freigegeben werden.«

»Old Shatterhand kann sich auf uns verlassen,« versicherte der ältere Bruder, »Wir werden seinen Befehl erfüllen, obgleich er uns damit kränkt, daß er nach der Hazienda will.«

»Wieso?«

»Mein weißer Bruder sagt damit, daß er uns für ungeübte Knaben hält, welche kein Pferd zu holen verstehen.«

Ich hatte die Gebräuche und Anschauungen der Indianer genugsam kennen gelernt, um zu wissen, daß die beiden jungen Menschen sich zurückgesetzt fühlten. Die gegenwärtigen Umstände nötigten mir die Absicht auf, mit ihrem Stamme in Verbindung zu treten, und so hielt ich es allerdings für geraten, ihnen Vertrauen zu zeigen. Darum antwortete ich:

»Ich sah, wie tapfer ihr euch gegen eure Angreifer verteidigtet, und halte euch also für mutige Jünglinge. Auch bezweifle ich nicht, daß ihr neben dem Mute die nötige Geschicklichkeit besitzet, und so will ich euch fragen, ob ihr die Pferde holen wollet.«

»Wir wollen!« erklang es in frohem Tone.

»Gut! Ich brauche euch also nicht zu sagen, wohin ihr euch zu wenden habt?«

»Nein. Wir sahen die Pferde, an denen wir vorüberkamen. Es wird sehr leicht sein, zwei zu bekommen.«

»Zwei? Wir brauchen drei!«

»Eins besitzt doch der Gefangene. Er wird uns sagen müssen, wo er es angebunden hat.«

»Das nehmen wir nicht. Er hat es von Lobos aus geritten; es ist also ermüdet, während auf der Weide frische zu finden sind. Ich möchte noch weiter sprechen, kann aber das, was ich noch zu sagen habe, euch später mitteilen. Ihr möget also sogleich aufbrechen; ich werde euch hier erwarten.«

Sie entfernten sich augenblicklich, ohne ihrer Schwester ein Wort zu sagen. Ich legte mich neben den Mormonen ins Gras, neugierig, wie die Knaben ihre Aufgabe lösen würden. Melton lag unbeweglich wie ein Toter. Sein Stolz verbot es ihm, ein Wort oder gar eine Bitte aus- auszusprechen, doch ging sein Atem zuweilen laut und schwer; die verletzten Hände schmerzten ihn.

Um die beiden Indianer hatte ich keine Sorge. Das, was sie zu thun hatten, war an und für sich leicht und konnte nur durch Zufälligkeiten schwer, oder wohl auch unausführbar gemacht werden. In diesem Falle kehrten sie unverrichteter Sache zurück; das war alles, was ich zu befürchten hatte, denn daß sie sich erwischen lassen könnten, das zu denken, kam mir gar nicht in den Sinn. Es vergingen zwei Stunden; dann erhob sich höchstens vier Schritte von mir eine Gestalt aus dem Grase. Ich sprang augenblicklich auf, um sie zu fassen, ließ aber den ausgestreckten Arm wieder sinken, denn ich sah, daß es der ältere der Roten war.

»Mein Bruder ist wieder da,« sagte ich. »Warum kommt er so heimlich herbei?«

»Um Old Shatterhand zu zeigen, daß niemand mich hört und sieht, wenn ich nicht will.«

»Dein Gang ist geräuschlos wie der Flug eines Schmetterlings; du wirst ein tüchtiger Krieger werden. Wo befindet sich dein Bruder?«

»Ich ging ihm voraus, um dich zu fragen, ob der Gefangene die Pferde sehen darf?«

Er sagte mir das mit leisen Worten, und ich antwortete laut:

»Er mag sie bringen. Seid ihr vollständig unbemerkt geblieben?«

»Die Hirten waren taub und blind. Wir hatten sogar Zeit, unter den Pferden diejenigen auszuwählen, welche uns am besten gefielen.«

Er stieß einen Pfiff aus, worauf man sogleich den Hufschlag nahender Pferde hörte. Die Pferde waren bis in unsere Nähe gebracht worden, ohne daß ich es gehört hatte; die beiden Knaben waren stolz darauf, daß ihnen dies gelungen war. Als ich die Tiere, soweit dies bei der abendlichen Dunkelheit möglich war, betrachtete, überzeugte ich mich, daß es nicht die schlechtesten waren, und bemerkte zu gleicher Zeit, daß das eine einen Sattel trug. Als ich den älteren darnach fragte, antwortete er:

»Mein großer, weißer Bruder hat keinen Sattel; darum haben wir das Pferd des Gefangenen gesucht und ihm den Sattel abgenommen. Dann ließen wir es laufen, da er es mit seinen ausgerenkten Händen doch nicht besteigen und leiten kann.«

Sie hatten also auch dieses Tier gefunden und dafür gesorgt, daß ich zu dem nötigen Reitzeuge kam, ein Beweis, daß ich Anforderungen an sie zu stellen vermochte, welche über ihr Alter eigentlich hinausgingen.

»Pferdedieb!« rief mir jetzt der Mormone in verächtlichem Tone zu. »Der berühmte Old Shatterhand ist also auch weiter nichts, als ein gewöhnlicher Spitzbube!«

Anstatt mich beleidigt zu zeigen, band ich ihm die Fesseln auf und antwortete:

»Da habt Ihr Eure Freiheit wieder, Master Meuchelmörder. Trollt Euch von dannen, und sagt dem Haziendero, daß ich diese Pferde notgedrungen von ihm geliehen habe. Wahrscheinlich bekommt er sie wieder, oder doch eine Bezahlung dafür. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so mag er sich diesen kleinen Verlust auf sein eigenes Conto schreiben. Euch selbst gebe ich den Rat, Eure Hände möglichst rasch einrenken zu lassen und sie durch feste Verbände zu schützen, sonst möchte es sich leicht ereignen, daß Ihr sie nie wieder so wie früher gebrauchen könnt. Um Euretwillen will ich wünschen, daß wir uns nicht wiedersehen, da ich überzeugt bin, daß ein Zusammentreffen von bösen Folgen für Euch sein würde.«

 

»Oder auch für dich! Nimm dich in acht vor mir, und sei verdammt, du Schuft!«

Indem er mir diese grimmigen Worte zuwarf, eilte er davon. Hätte ich den Kerl nicht geschont, sondern ihm eine Kugel gegeben, so wäre viel Unglück verhütet worden. Aber darf man denn einen Menschen wie ein Raubtier niederschießen! Seine Waffen besaß er natürlich nicht mehr; ich hatte sie an mich genommen, auch die Munition. Der übrige Inhalt seiner Taschen war selbstverständlich nicht angerührt worden.

Nun wurden vor allen Dingen die Pferde gesattelt; dann ritten wir fort, um zunächst von der Stelle zu kommen, an welcher ein baldiger unliebsamer Besuch zu erwarten war. Welche Richtung wir dabei einschlugen, war Nebensache, da ich mich entschlossen hatte, bis auf weiteres in dieser Gegend zu bleiben. Indem unsere Pferde langsam durch das Gras schritten, erkundigte ich mich:

»Wann werden meine roten Brüder, wenn sie schnell reiten und keine Zeit verlieren, ihre Krieger erreichen?«

»In drei Tagen,« antwortete der ältere. Der jüngere sprach überhaupt nur dann ein Wort, wenn ich mich direkt an ihn wendete. Das ist den Gewohnheiten der Indianer gemäß, bei denen der ältere dem jüngern stets voransteht, sodaß die meisten Dialekte besondere Ausdrücke für ältern oder jüngern Bruder, ältere oder jüngere Schwester haben. Auch ist das Wort Sohn, vom Vater ausgesprochen, ein anderes als aus dem Munde der Mutter. So heißt z. B. im Navajo »mein älterer Bruder« Schinai, »mein jüngerer Bruder« Se tsela, »mein Sohn«, vom Vater gesagt, Schi yeh, »mein Sohn«, von der Mutter angeredet, Se tse, »ältere Schwester« heißt Sche la und »Jüngere Schwester« Eteh.

»Der starke Büffel, euer Vater, befindet sich jetzt bei seinem Stamme?« erkundigte ich mich weiter.

»Ja. Er wird sehr stolz darauf sein, Old Shatterhand bei sich zu sehen.«

»Wir werden uns begrüßen, obgleich es mir unmöglich ist, ihn aufzusuchen. Ich muß ihn bitten lassen, zu mir zu kommen. Seine beiden wackern Söhne mögen ihm erzählen, was ich ihnen jetzt sagen werde. Es sind Männer, Frauen und Kinder aus meinem Vaterlande über das große Wasser herübergekommen, welche auf der Hazienda del Arroyo arbeiten wollen. Der Weiße, welcher unser Gefangener war und Melton heißt, hat einen bösen Plan mit ihnen, welchen ich leider noch nicht durchschauen kann. Höchst wahrscheinlich hat er den Häuptling der Yumas herbeigerufen, welcher die Hazienda überfallen soll. Ich ging zum Haziendero, um ihn zu warnen; er hat mich ausgelacht. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und würde mich um ihn nicht weiter kümmern, wenn ich nicht meine weißen Brüder und Schwestern mit ihren Kindern retten müßte. Ich allein vermag das nicht, denn ich kann doch nicht mit allen Kriegern der Yumas kämpfen. Darum lasse ich den tapfern Häuptling der Mimbrenjos, euern Vater, bitten, mir zu Hilfe zu kommen, und ich hoffe, daß er mir die Erfüllung dieses Wunsches nicht versagen wird.«

»Er wird sofort herbeieilen, denn er hat zwei triftige Gründe dafür.«

»Welche?« fragte ich, obgleich ich wußte, was er antworten würde.

»Er hat mit Old Shatterhand die Pfeife der Freundschaft getrunken und müßte verachtet werden, wenn er dem Rufe nicht augenblicklich Folge leistete. Außerdem weiß mein großer, weißer Bruder, was geschehen ist. Der große Mund, der Anführer der Yumas, hat uns überfallen, um uns zu töten. Es ist ihm nicht gelungen, weil Old Shatterhand uns gerettet hat, aber dennoch muß der Yuma es mit seinem Blute bezahlen. Die Freundschaft und die Rache werden also die Führerinnen sein, denen unser tapferer Vater folgen wird.«

»So meinst du, daß er in sechs Tagen hier in dieser Gegend sein kann?«

»Ja, drei Tage hin und drei Tage her. Wieviel Krieger soll er mitbringen?«

»Ich weiß nicht, wie stark die Yumas sein werden; aber zum Ueberfalle einer Besitzung, wie die Hazienda del Arroyo ist, gehören wohl an die hundert Mann; es würden also ebenso viele von euren Kriegern nötig sein. Ich wünsche, daß sie sich mit getrocknetem Fleisch versehen, da sie keine Zeit finden werden, sich durch die Jagd zu verproviantieren.«

»An welchem Orte werden sie Old Shatterhand treffen?«

»Ich bin noch nicht in dieser Gegend gewesen, und kann also im Augenblick keinen passenden Ort bestimmen. Wir werden aber, ehe wir uns trennen, einen solchen finden. Ich habe noch einen weitern Auftrag. Mein junger Bruder weiß, daß ich Winnetou, dem großen Häuptlinge der Apatschen, mein Leben geschenkt, und dafür das seinige erhalten habe. Wir haben uns verabredet, uns in kurzer Zeit an einem bestimmten Orte zu treffen, und ich kann mich nun nicht pünktlich einstellen, weil ich jetzt an die Hazienda del Arroyo gebunden bin. Ich lasse also deinen Vater bitten, Winnetou einen sichern Boten zu senden, um ihn zu benachrichtigen, daß und warum ich nicht kommen kann.«

»Wenn Old Shatterhand mir den Ort des Zusammentreffens angeben will, wird der Bote den berühmtesten Häuptling der Apatschen nicht verfehlen. Mein jüngerer Bruder und unsere Schwester, die Squaw, mögen die Beschreibung mit anhören, um sie unserm Vater zu überbringen.«

»Diese beiden? Du also nicht? Warum?«

Er zögerte eine kleine Weile, räusperte sich dann verlegen und antwortete:

»Mein jüngerer Bruder wird mit der Schwester unsern Stamm aufsuchen; ich aber bleibe hier zurück.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Um den Häuptling der Yumas aufzusuchen, und dann nicht aus dem Auge zu lassen, damit ich unsere Krieger, sobald sie kommen, benachrichtigen kann, wo er sich befindet.«

»Das alles werde ich ja thun!«

»Ich weiß es. Old Shatterhand ist ein großer Krieger; ich aber bin ein Knabe und besitze noch nicht einmal einen Namen; darum muß ich thun, was Old Shatterhand mir gebietet. Wenn er mich fortschickt, so gehe ich; aber mein Herz würde sehr betrübt darüber sein, denn ich will auf der Spur des großen Mundes liegen, bis ich Rache genommen habe; ich will mir einen Namen erwerben, bei welchem man mich nennt, wenn ich in die Hütten unseres Stammes zurückkehre. Mein großer Bruder erlaube mir also, zu bleiben! Ich darf zwar nicht hoffen, daß er mich bei sich behält, denn er bedarf meiner nicht, doch wenn er so gütig sein wollte, mich in seinem Schatten wandeln zu lassen, so könnte ich mich wenigstens seines Pferdes annehmen, so oft ihm dasselbe hinderlich wird.«

Er hatte das in zagendem Tone gesprochen. Es war allerdings ein sehr ungewöhnlicher Wunsch, den er aussprach, doch eben daß er die Bitte wagte, war in meinen Augen eine Empfehlung für ihn. Jeder Indianer, selbst ein jeder bewährte Krieger, hätte abgewartet, ob ich ihn zum Bleiben auffordern würde oder nicht; dieser Knabe aber war so mutig, den Wunsch auszusprechen. Ich begriff gar wohl, wie sehr ihm daran liegen mußte, denselben erfüllt zu sehen. Wenn er bei mir bleiben durfte, so war dies ein Umstand, um welchen ihn sicher alle Mimbrenjos beneideten. Er gefiel mir; sein Vater war mein Freund, zwei Gründe, ihm keine abschlägige Antwort zu geben. Und dazu kam, daß ich ihn allerdings sehr gut gebrauchen konnte. Ich wollte die Hazienda umschleichen, um zu erfahren, was auf derselben vorging, und durfte mich dabei nicht sehen lassen. Das Pferd brauchte ich, um gegebenen Falles schnell von Ort zu Ort zu kommen; im übrigen war es mir hinderlich. Ich hatte stunden-, ja vielleicht sogar tagelang in der Nähe der Hazienda auf der Lauer zu liegen; da konnte das Pferd leicht zum Verräter werden. Wie vorteilhaft war es da, den Knaben bei mir zu haben! Er hatte übrigens denselben Gedanken ausgesprochen, als er sagte, daß er sich wenigstens meines Pferdes annehmen könne, falls mir dasselbe hinderlich sei. Ich antwortete dennoch nicht sofort, und darum meinte er nach einer kleinen Weile: