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Satan und Ischariot I

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Wenn man mir in Ures gesagt hatte, daß es von dort aus bis zur Hazienda eine gute Tagereise sei, so war dabei wohl die Absicht, mir das Herz nicht schwer zu machen, maßgebend gewesen. Der Mittag kam und ging vorüber, und erst am Nachmittage sah ich die bewaldeten Berge vor mir liegen, welche man mir beschrieben hatte. Die Kühle, welche unter den Bäumen herrschte, that uns unendlich wohl nach der glühenden Hitze, in welcher wir seit Vormittag förmlich geschmort hatten. Die Beschreibung des Weges, nach welcher ich mich richtete, ließ mich keinen Augenblick im Stiche, nur daß die Zeit viel zu kurz angegeben gewesen war. Wir erreichten zwei Stunden vor Abend den kleinen See, in welchen der Arroyo mündete. Da sah ich wieder einmal, was Indianer auszuhalten vermögen. Die beiden Knaben waren nicht ein einziges Mal hinter mir zurückgeblieben, und nichts ließ vermuten, daß sie durch die weite Fußtour angegriffen seien. Ich wäre wohl gern am Bache abgestiegen, um einen kühlen Trunk zu thun, wenn ich mich nicht hätte vor ihnen schämen müssen, die keinen Blick für die glitzernden Wellen und kein Ohr für das liebe Rauschen derselben zu haben schienen.

Der See lag am untern Ende eines dichtbewaldeten Thales, welches sich weiter aufwärts ansehnlich verbreiterte, bis man wohl eine halbe Stunde zu gehen hatte, um von einer Seite nach der andern zu kommen. Hüben und drüben vom Walde eingefaßt, bildete es eine saftig grüne Wiese, deren Gras- und Blumenteppich oft durch blühendes Buschwerk unterbrochen wurde. Hier weideten zahlreiche Rinder und Pferde, welche von berittenen und unberittenen Hirten bewacht wurden, doch sah man gleich mit dem ersten Blicke, daß dieser Leute nicht genug vorhanden waren. Sie kamen herbei, uns freundlich zu begrüßen, und ich erfuhr von ihnen, daß Melton mit seiner Arbeiterkarawane noch nicht angekommen sei. Meine frühere Ankunft war übrigens gar kein Wunder, da der

Marsch des Mormonen wegen der schweren Wagen nur ein langsamer sein konnte.

Weiter oben hörten die Weiden auf, um Feldern Platz zu machen. Ich sah Baumwolle und Zuckerrohr in langen, breiten Pflegen stehen. Dazwischen gab es Indigo, Kaffee, Mais und Weizen, doch das alles in einem Zustande, welcher erkennen ließ, daß es an Arbeitshänden mangelte. Dann kam ein großer Garten, in welchem alle Obstbäume Europas und Amerikas vertreten waren, aber ein sehr verwildertes Aussehen hatten, so daß es einem fast wehe thun mochte. Und als wir an diesem Garten vorüber waren, sahen wir endlich die Gebäude der Hazienda vor uns liegen.

Die größeren Hazienden und Estanzien sind in jenen Gegenden wegen der Unsicherheit der dortigen Verhältnisse meist festungs- oder fortähnlich angelegt. Wo es genug Steine giebt, umschirmt man die Wohnungen mit einer Mauer, welche etwaige Angreifer nicht zu übersteigen vermögen. Ist dieses Material nicht vorhanden, so legt man dicke und dichte Zäune von Kakteen und anderen Stachelpflanzen an, welche man so hoch wie möglich wachsen läßt und gewöhnlich auch für ihren Zweck erfüllend hält. Ein intelligenter Angreifer aber wird einen solchen Zaun keineswegs für ein unbesiegbares Hindernis ansehen.

Die Hazienda del Arroyo lag im Gebirge; es waren also so viele Steine vorhanden, daß ich mich eigentlich eines falschen Ausdruckes bedient habe, als ich sagte, wir hätten die Gebäude der Hazienda vor uns liegen sehen. In Wirklichkeit sahen wir nur das platte Dach des Hauptgebäudes, während alles andere hinter einer Mauer verborgen lag, welche eine Höhe von wenigstens 5 Meter hatte. Sie schloß ein großes, regelrechtes Viereck ein, dessen Seiten genau nach den vier Himmelsrichtungen lagen. Dieses Viereck wurde von dem Bache in der Weise durchflossen, daß er unter der nördlichen Mauer hereintrat und die Hazienda unter der südlichen wieder verließ. Wie ich später sah, stand das aus dem Parterre und einem Stockwerke bestehende Hauptgebäude ziemlich in der Mitte hart an dem Bache, über welchen nach Westen hin, wo sich das große Thor in der Mauer befand, eine Brücke führte. Außerdem gab es innerhalb der Mauer kleinere Häuschen, in denen die jetzigen Bediensteten wohnten und die zu erwartenden Arbeiter untergebracht werden sollten, ein niedriges, langgestrecktes Magazin zur Aufnahme der Feld- und Gartenfrüchte und mehrere offene Schuppen, welche nur aus hölzernen Säulen und den auf denselben ruhenden Dächern bestanden, unter denen die gefährdeten Tiere bei einem etwaigen Ueberfalle innerhalb der Mauern untergebracht werden sollten. Das große Thor bestand aus sehr starkem Holze und war innen und außen mit Eisenblech beschlagen.

Da wir von Süden kamen, mußten wir um die südwestliche Ecke des Mauerquadrates biegen und der westlichen Seite entlang reiten, bis wir an das Thor gelangten. Die beiden Flügel desselben standen offen, so daß uns nichts hinderte, in den Hof zu gelangen. Derselbe machte trotz der Gebäude, welche dastanden, den Eindruck der Einsamkeit, der Leere. Es gab eben auf der Hazienda nicht so viel Personen, wie eigentlich notwendig waren. Unsere Augen trafen keinen Menschen.

Wir stiegen ab. Ich gab mein Pferd dem einen Indianerknaben zum halten und wendete mich nach der Brücke, um in das Herrenhaus zu gehen. Eben als ich die Brücke überschritt, wurde die Hausthüre geöffnet und in derselben erschien ein Mann, dessen aufgedunsenes, blatternarbiges Gesicht keinen angenehmen Eindruck auf mich machte. Ich besitze gar kein Vorurteil gegen Blatternarben; sie gereichen dem Gesicht nicht zur Zierde, das ist wahr, aber der beste Mensch kann an den Blattern erkrankt gewesen sein. Hier jedoch bildeten die Narben den letzten Ton im vielstimmigen Mißakkorde. Das Gesicht wäre auch ohne sie abstoßend gewesen. Der Mann sah mich von oben her an und rief mir zu:

»Bleib‘ stehen! Ueber die Brücke dürfen nur Caballeros. Was willst du hier?«

Ich ging trotz dieser Worte weiter. Als ich die Brücke hinter mir hatte und nun vor ihm stand, antwortete ich:

»Ist Sennor Timoteo Pruchillo daheim?«

»Sennor! Er wird Don genannt. Das magst du dir merken. Den Titel Sennor führe ich. Ich bin nämlich Sennor Adolfo, der Major domo dieser Hazienda. Es ist mir alles unterthan.«

»Auch der Haziendero?«

Er wußte nicht gleich, wie er antworten sollte, warf mir einen vernichtend sein sollenden Blick zu und sagte:

»Ich bin seine rechte Hand, der Ausfluß seiner Gedanken und die Verkörperung seiner Wünsche. Also er ist Don und ich bin Sennor. Verstanden?«

Ich gestehe, daß ich große Lust verspürte, grob zu werden; aber die Rücksicht auf die Verhältnisse und meine alte Gutmütigkeit veranlaßten mich zu den im höflichsten Tone gesprochenen Worten:

»Ganz wie Sie befehlen, Sennor. Wollen Sie also die Güte haben, mir mitzuteilen, ob Don Timoteo zu Hause ist?«

»Er ist da!«

»Und also wohl auch zu sprechen?«

»Nein; für solche Leute nicht. Wenn du eine Bitte hast, so bin ich allein der Mann, dem du sie vorzutragen hast. Sage mir also endlich, was du willst.«

»Ich bitte für diese Nacht um ein Obdach für mich und die drei indianischen Geschwister, mit denen ich gekommen bin.«

»Obdach? Wohl gar auch Essen und Trinken? Das fehlte noch! Da draußen, jenseits der Grenzen der Hazienda, giebt es Platz genug für solches Gesindel; macht euch schleunigst fort, und zwar nicht nur aus den Mauern hinaus, sondern auch über unsere Grenze hinüber! Ich werde einem Hirten befehlen, euch zu folgen und euch augenblicklich niederzuschießen, wenn ihr Miene macht, euch diese Nacht innerhalb unserer Besitzung aufzuhalten!«

»Das ist hart, Sennor! Bedenken Sie, daß in wenigen Minuten der Abend hereinbrechen wird und wir dann – —«

»Schweig!« unterbrach er mich. »Du bist zwar ein Weißer, aber man sieht dir doch augenblicklich an, welch ein Subjekt du bist. Und nun gar die Roten! Unsere Hazienda ist keine Herberge für Räuberbanden!«

»Gut, ich gehe, Sennor. Ich habe noch gar nicht gewußt, daß ich so ein Spitzbubengesicht besitze, und Sennor Melton, welcher mir die Stelle des Tenedor de libros auf dieser Hazienda zugesagt hat, ist wohl schwerlich der Meinung gewesen, daß dieses Engagement für Sie so gefährlich ist.«

Ich drehte mich um und schritt langsam über die Brücke zurück. Da rief er mir nach:

»Sennor Melton? Tenedor de libros! Um des Himmels willen, wo wollen Sie denn hin? Bleiben Sie doch! Kommen Sie – kommen Sie!«

Und als ich dieser Aufforderung nicht Folge leistete, sondern weiter ging, kam er mir nachgesprungen, ergriff meinen Arm, hielt mich fest und versicherte mir:

»Wenn Sennor Melton Sie schickt, so darf ich Sie nicht fortlassen. Sie geben wohl zu, daß ihr Anzug kein Vertrauen erwecken kann, und wenn Sie sich nur einmal genau im Spiegel betrachten wollten, so würden Sie unbedingt einsehen, daß Ihr Gesicht sehr verschieden von demjenigen eines ehrlichen Menschen ist; doch Kleider sind zuweilen nicht maßgebend, und es mag ja auch einmal vorkommen, daß ein Mann mit einem Diebesgesicht noch nicht gestohlen hat. Und wenn dazu noch der Umstand kommt, daß Sie von Sennor Melton geschickt worden sind, so stellt es sich möglicherweise doch noch heraus, daß Sie eine Person sind, vor welcher man sich nicht zu hüten braucht. Also bleiben Sie, bleiben Sie!«

Was sollte ich von diesem Major domo denken? War er närrisch? Hatte er, wie man sich auszudrücken pflegt, einen Klapps? Es widerstand mir, dies anzunehmen. Der Ausdruck seines Gesichtes war ein so verschlagener und der Blick seiner kleinen Augen ein so tückisch-listiger, daß es sich nicht bloß um eine kleine, unschädliche Manie handeln konnte. Dennoch machte ich keine Bemerkung darüber, daß er mich Du genannt hatte und jede seiner Bemerkungen eine Beleidigung für mich sein mußte, und fragte so höflich wie bisher:

»Erstreckt sich Ihre Einladung auch mit auf meine Begleiter?«

»Diese Frage kann ich noch nicht beantworten, da ich mich vorher bei Don Timoteo erkundigen muß.«

 

»Ich denke, dessen bedarf es nicht, da nach Ihren eigenen Worten nur Sie es sind, an den man sich in dieser Angelegenheit zu wenden hat!«

»Ja, wenn es sich um eine Abweisung handelt, und ich habe Sie ja abgewiesen. Nun ich Sie aber aufgefordert habe, zu bleiben, und Sie verlangen, daß wir auch die Roten hier behalten, muß ich doch vorher mit Don Timoteo sprechen. Warten Sie hier! Ich werde Ihnen in kurzer Zeit Bescheid sagen.«

Da ich mit ihm wieder zurückgegangen war, befanden wir uns jetzt vor der Thüre. Er wollte eintreten, und ich sollte außerhalb auf ihn warten. Da schüttelte ich denn doch mit dem Kopfe und entgegnete ihm:

»Ich gehöre nicht zu einer Gesellschaftsklasse, deren Angehörige man vor den Thüren herumlungern läßt. Ich gehe mit Ihnen hinein, und Sie werden mich sogar vorantreten lassen.«

Bei diesen Worten schritt ich durch die Thüre, und er folgte hintendrein, ohne ein Wort zu sagen. Als ich mich dann nach ihm umblickte, sah ich, daß auf seinem Gesichte der Zorn mit der Verblüfftheit kämpfte. Er winkte nach einer Thüre und verschwand hinter derselben, während ich vor derselben stehen blieb. Nach kurzer Zeit kam er heraus und gab mir durch eine Handbewegung zu verstehen, daß ich eintreten solle.

Der Flur des Hauses war niedrig, aber breit. Die Thüren, welche ich zu beiden Seiten desselben sah, waren aus glattgehobelten Brettern zusammengefügt und nicht mit einem Farbenanstriche versehen, einfache Stallthüren nach unsern Begriffen. Ganz dieselbe Einfachheit wies das Zimmer auf, in welchem ich mich nun befand. Es hatte zwei sehr kleine Fenster mit schmutzigen, halb erblindeten Scheiben, die einzigen Glastafeln, welche es im Hause gab. An der einen Wand stand ein gefirnißter Tisch. Drei rohe Stühle, welche sicherlich kein Kunsttischler zusammengefügt hatte, leisteten ihm Gesellschaft.

In einer Ecke hing eine Hängematte. Drei der mit Kalk getünchten Wände waren vollständig kahl; an der vierten hingen verschiedene Waffen. Viel weniger anspruchslos war das Aeußere des Mannes, welcher sich bei meinem Eintritte von einem der Stühle erhob, um mich aus seinen dunklen Augen halb erstaunt und halb neugierig zu betrachten. Er war so elegant gekleidet, daß er nur zu Pferde zu steigen brauchte, um sich auf einem der berühmten Spaziergänge der Hauptstadt Mexiko bewundern lassen zu können.

Sein Anzug bestand aus dunklem Sammet und war an allen Nähten mit goldenen Borten und Schnüren verbrämt. Sein Gürtel war durchweg aus breiten, silbernen Ringen zusammengesetzt und trug ein Messer und zwei mexikanische Pistolen, deren Griffe eine teure, eingelegte Arbeit zeigten. Der breitkrämpige Hut, welcher auf dem Tische lag, war aus den feinsten Carludovica palmata-Blättern gefertigt und von so künstlichem Geflechte, daß er sicherlich nicht unter fünfhundert Mark gekostet hatte, und die beiden Sporen an den Füßen des Haziendero trugen Räder, welche aus nordamerikanischen goldenen Zwanzigdollarstücken gezahnt worden waren.

Einer solchen eleganten Erscheinung gegenüber mußte ich allerdings wie ein Vagabund aussehen. Darum wunderte ich mich auch gar nicht, als der Haziendero sich mit der wohlgepflegten Hand den tiefschwarzen Vollbart strich, die Brauen zusammenzog und dann, nicht wie zu mir, sondern zu sich selbst, im Tone der Verwunderung sagte:

»Man meldet mir einen Tenedor de libros, und wer kommt da herein? Ein Mensch, der – —«

»Der ganz wohl im stande ist, die Stelle eines Tenedor de libros auszufüllen, Don Timoteo,« unterbrach ich ihn.

Sein aufgedunsener »Sennor Adolfo« draußen hatte grob sein können, ohne mich dadurch zu beleidigen; aber von dem Besitzer selber durfte ich keine Unhöflichkeit dulden. Darum fiel ich ihm mit diesen nachdrucksvoll betonten Worten in die Rede. Er warf in scherzhaftem Schreck den Kopf zurück, musterte mich noch einmal und meinte dann mit einem Lächeln der Belustigung:

»Ah, man ist empfindlich. Wer und was ist man denn eigentlich?«

Er redete mich mit dem unbestimmten Fürworte »man« an. Sollte ich mich da beleidigt zeigen? Er sah nicht wie ein Geldprotz, sondern viel eher wie ein jovialer, gut situierter Caballero aus, welcher geneigt ist, sich mit einer gewöhnlichen Person ein wenig die Zeit zu vertreiben.

»Man ist vieles, wovon Sie keine Ahnung haben, Don Timoteo,« antwortete ich mit genau demselben Lächeln, welches er mir gezeigt hatte, »und man kann so ein bedeutender und wichtiger Mann für Sie werden, daß Sie alle Ursache haben, sich dazu, daß man zu Ihnen gekommen ist, Glück zu wünschen.«

»Cielo!« lachte er jetzt laut. »Kommt man etwa, mir anzuzeigen, daß ich als Beherrscher von ganz Mexiko ausgerufen worden bin?«

»Ganz das Gegenteil. Ich komme, Ihnen zu sagen, daß Sie in kurzer Zeit höchst wahrscheinlich nicht mehr der Beherrscher Ihrer kleinen Hazienda sein werden.«

»Schön!« lachte er noch immerfort, indem er sich wieder niedersetzte und auf den zweiten Stuhl deutete. »Man setze sich! Aus welchem Grunde wollen meine paar Unterthanen mich vom Throne stoßen?«

»Davon später. Lesen Sie zunächst einmal dieses!«

Ich reichte ihm aus meiner Brieftasche die Legiti- Legitimationskarte, welche ich mir von dem mexikanischen Konsul in San Franzisco hatte ausstellen lassen. Als er sie gelesen hatte und mir zurückgab, war der humoristische Ausdruck seines Gesichtes verschwunden.

»Ich habe natürlich anzunehmen, daß Sie der rechtmäßige Besitzer dieser Legitimation sind?« fragte er.

»Natürlich! Vergleichen Sie gefälligst meine Person mit dem Signalement!«

»Habe schon gesehen, daß es stimmt, Sennor. Aber was führt Sie zu mir? Warum lassen Sie sich als meinen Tenedor de libros anmelden?«

»Weil Melton mir diese Stelle zugesichert hat.«

»Davon weiß ich nichts. Ich brauche ja gar keinen Buchhalter, Die wenigen Tropfen Tinte, welche es hier auf meiner Hazienda zu verschreiben giebt, verwüste ich mit meiner eigenen Feder und mit meiner eigenen Hand.«

»Das habe ich mir allerdings gedacht!«

»Und dennoch sind Sie gekommen?«

»Dennoch, und zwar mit gutem Grunde. Es ist ein so wichtiger, daß ich Sie bitten muß, Sie hinsichtlich dessen, was ich Ihnen mitteilen werde, um Ihre Verschwiegenheit zu ersuchen.«

»Das klingt ja ganz geheimnisvoll! Ganz so, als ob eine Gefahr für mich vorhanden wäre!«

»Ich bin allerdings überzeugt, daß so etwas im Anzuge ist.«

»Dann sprechen Sie, bitte, schnell!«

»Zunächst Ihr Wort, daß von dem, was ich Ihnen mitteilen werde, wenigstens für die nächste Zeit kein Dritter etwas erfährt!«

»Ich gebe es Ihnen. Ich werde schweigen. Nun reden Sie!«

»Melton ist von Ihnen beauftragt, Ihnen deutsche Arbeiter zuzuführen?«

»Ja.«

»Wer hat diese Angelegenheit eingeleitet, das heißt, von Anfang an betrieben? Sie selbst oder er?«

»Er. Er hat mich auf die großen Vorteile aufmerksam gemacht, welche mir aus einem Engagement von deutschen Auswanderern erstehen würden, und da er sich zu gleicher Zeit anbot, alles zu besorgen, so habe ich ihm meine Vollmacht erteilt.«

»Kannten Sie ihn so genau, daß Sie das thun konnten?«

»Ja. Warum diese Frage?«

»Weil ich wissen möchte, ob Sie ihn für einen ehrlichen Mann halten.«

»Natürlich halte ich ihn dafür. Er ist ein Ehrenmann durch und durch und hat mir schon bedeutende Dienste erwiesen.«

»So kennen Sie ihn schon längere Zeit?«

»Seit Jahren. Er wurde mir von einer Seite empfohlen, wo jedes Wort für mich von Gewicht ist, und hat bis heute mein vollstes Vertrauen besessen. Sie scheinen ihn anders zu beurteilen?«

»Ganz anders!«

»Wahrscheinlich hat er Sie auf irgend eine Weise beleidigt, so daß Sie nun ein Vorurteil gegen ihn hegen.«

»Nein. Er ist im Gegenteile sehr zuvorkommend, sehr freundlich gegen mich gewesen. Lassen Sie sich erzählen!«

Er machte es sich auf seinem Stuhle mit dem Ausdrucke der größten Spannung bequem, und ich teilte ihm mit, was ich in und seit Guaymas erlebt, beobachtet und aus diesen Erlebnissen und Beobachtungen geschlossen hatte. Er hörte mir zu, ohne ein Wort zu sagen, oder eine Miene zu verziehen; aber als ich geendet hatte, ging über sein Gesicht ein ganz fatal ironisches Lächeln, und er fragte, mich ungläubig von der Seite her fixierend:

»Sie erzählen mir wirkliche Thatsachen?«

»Kein einziges Wort zu viel!«

»Ich ersah aus der Karte, welche Sie mir zeigten, daß Sie Berichte für eine Zeitung zu schreiben hatten. Haben Sie vielleicht schon einmal eine Novela geschrieben?«

»Ja.«

Da sprang er auf und rief lachend aus:

»Habe es mir doch gleich gedacht! Es konnte gar nicht anders sein! So ein Autor oder Romancero erblickt überall Dinge, welche nur in seiner Phantasie existieren! Melton, der feinste, der ehrenwerteste, ja sogar der frömmste Caballero, den ich kenne, soll ein Schurke sein! Das kann allerdings nur ein Mann behaupten, welcher in Regionen lebt, von denen wir gewöhnlichen Sterblichen keine Ahnung haben. Sennor, Sie machen mir Spaß, großen und vielen Spaß!«

Er schritt im Zimmer auf und ab, rieb sich vergnügt die Hände und lachte dabei wie einer, der sich aufs köstlichste amüsiert. Ich wartete eine Pause in seinem Gelächter ab und bemerkte gleichmütig.

»Ich habe nichts dagegen, daß Sie sich durch meine Erzählung so vortrefflich unterhalten fühlen, und wünsche nur, daß ihr jetziges Amüsement sich nicht später in eine bittere Enttäuschung verwandelt!«

»Keine Sorge, machen Sie sich keine Sorge um mich, Sennor! Sie sehen gefährliche Elefanten, wo es nicht die unschädlichste Mücke giebt.«

»Aber jener Weller, der Kajütenwärter?«

»Heißt Weller und ist Kajütenwärter, weiter nichts!«

»Und seine Unterredung mit dem Mormonen?«

»Haben Sie falsch gehört. Ihre Phantasie hat unbegreifliche Ohren!«

»Und sein Vater, welchen der Mormone im Gebüsch aufsuchte?«

»Existiert eben auch nur in Ihrer Einbildung. Daß er Weller senior sei, vermuten Sie ja nur!«

»Und die Anwesenheit des Indianerhäuptlings?«

»Wird sich als ein höchst einfacher und unbedenklicher Umstand oder Zufall herausstellen.«

»Dann aber meine Begegnung mit dem Häuptlinge der Yuma und dem Weißen, dessen Gewehr mit R W gezeichnet ist?«

»Geht mich nichts an, gar nichts. Es giebt tausend Namen, welche mit dem Buchstaben W beginnen. Warum muß es da gerade Weller sein! Was hatten Sie sich überhaupt in den Kampf zu mischen? Die Sache ging Sie gar nichts an. Danken Sie Gott, daß Sie so heiler Haut davongekommen sind! Ein Escriter ist nicht der Mann, mit Indianern zu kämpfen. Das soll er uns überlassen, die wir in wilder Gegend wohnen, die Roten kennen, und mit den Waffen umzugehen verstehen!«

Ich nahm an, daß der Haziendero den Namen Old Shatterhand nicht kannte, und hatte denselben darum während meiner Erzählung nicht erwähnt. Jetzt, wo ich geradezu ausgelacht wurde, fiel es mir auch nicht ein, das Unterlassene nachzuholen, denn es war zehn gegen eins zu wetten, daß er mir auch da keinen Glauben schenken würde. Er war ein körperlich schöner, geistig aber sehr gewöhnlicher Mann, dem meine ganz logischen Schlüsse als Phantastereien erschienen. Ich sah ein, daß es mir nicht gelingen werde, sein Vertrauen zu Melton zu erschüttern, und daß ihm die Richtigkeit meiner Ver- Vermutungen nicht durch Worte, sondern nur durch Ereignisse zu beweisen sei. Darum gab ich es auf, ihn zu meinen Ansichten zu bekehren und wiederholte nur meine Bitte um Verschwiegenheit, welche er, wieder unter Lachen, mit der Versicherung beantwortete:

»Was das betrifft, so brauchen Sie sich nicht bange sein zu lassen, denn ich habe keine Lust, mich zu blamieren. Sennor Melton würde mich für verrückt halten, da er unmöglich glauben könnte, daß ich eine solche Dummheit einem anderen nachsprechen würde; er müßte also annehmen, daß dieselbe in meinem eigenen Kopfe entstanden sei. Ich werde also über alles schweigen. Nur über eins muß ich noch mit Ihnen sprechen. Wie steht es mit Ihrer Anstellung als Buchhalter? Melton hat Sie Ihnen wirklich versprochen?«

»Ja.«

»Unglaublich, geradezu unglaublich! Er weiß ja ebensogut wie ich, daß ich keinen Buchhalter brauche.«

»So hat er nur die Absicht gehabt, mich mit diesem Versprechen hierher zu locken.«

»Wozu? Was sollten Sie hier?«

»Weiß ich es?«

»Da haben Sie es! Sie haben nur Behauptungen, aber kein Wissen. Ich nehme an, daß dieser Buchhalter eben auch nur in Ihrer Phantasie existiert.«

»Damit erklären Sie mich für einen verrückten Menschen, Don Timoteo!«

»Nun, für verrückt halte ich Sie nicht, aber irgend ein Rädchen geht in ihrem Kopfe schneller, als es eigentlich laufen sollte. Ich gebe Ihnen den Rat, sich in einer Heilanstalt untersuchen zu lassen, denn vielleicht ist es jetzt noch Zeit, das übrige Räderwerk zu retten.«

 

»Danke, Don Timoteo! Der Kopf arbeitet bei dem einen ganz naturgemäß schneller als bei dem andern, woraus die komische Situation erfolgen kann, daß dieser andere dem einen allzu große Phantasie und dieser eine dem andern allzu große Denkfaulheit vorwirft. Auf den Buchhalter verzichte ich. Es ist überhaupt von vorn herein nicht meine Absicht gewesen, auf diese Anstellung zu reflektieren.«

»Das ist mir lieb, Sennor, denn da Sie von Denkfaulheit reden, sehe ich ein, daß Sie möglichst schlecht zu mir gepaßt hätten. Wann reisen Sie wieder ab?«

»Mit Ihrer Erlaubnis morgen früh.«

»Ich gebe Ihnen diese Erlaubnis schon heute, gleich in diesem Augenblicke.«

»Das heißt, Sie weisen mich zu Ihrem Thor hinaus?«

»Nicht nur zum Thore hinaus, sondern über meine Grenze.«

»Don Timoteo, das ist eine Härte, welche allen Gepflogenheiten des Landes widerspricht!«

»Thut mir leid! Sie selbst sind schuld daran! Diese scheinbare Härte ist nichts als eine Vorsichtsmaßregel, welche Ihnen beweisen kann, daß ich denn doch nicht so denkfaul bin, wie Sie angenommen haben. Sie warnten mich vor einem Indianerüberfall, welcher nur in Ihrer Einbildung vorhanden ist; er würde nur dann, und zwar sofort, zur Wirklichkeit werden, wenn ich Sie und Ihre Begleiter bei mir behielte. Sie haben den Sohn des Häuptlings der Yuma erschossen und werden von dem Häuptling unbedingt verfolgt. Behalte ich Sie bei mir, so habe ich ihn und seinen Stamm augenblicklich auf dem Halse. Sie sehen also wohl ein, daß ich Sie fortschicken muß!«

»Wenn Sie damit meinen, daß Sie Ihren Voraus- Voraussetzungen gemäß handeln, so widerspreche ich nicht und werde also gehen.«

»Wem gehört das Pferd, welches Sie ritten?«

»Melton stellte es mir in Lobos zu Verfügung.«

»So gehört es mir, und Sie werden es hier zurücklassen. Da Sie vorhin davon sprachen, daß Ihre Begleiter nur deshalb hierher gekommen sind, um sich möglicherweise beritten zu machen, so muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen kein Pferd überlassen kann. Ich würde Ihnen auch ohne Geld, welches Sie jedenfalls nicht haben, einige Tiere geben, denn die Mimbrenjos sind ehrliche Leute und würden bald einen Boten senden, um mir die Pferde wieder zu bringen oder irgend eine Bezahlung anzubieten; aber ich darf Sie nicht unterstützen, da ich mir sonst die Yuma zu Feinden machen würde.«

»Die Vorsicht, mit welcher Sie verfahren, ist nur lobenswert, Don Timoteo. Ich habe nur noch zu fragen, wie man gehen muß, um baldigst über Ihre Grenze zu kommen.«

»Was das betrifft, so werde ich Ihnen einen Führer mitgeben, da Sie sonst durch Ihre Phantasie leicht irre geleitet werden könnten. Sie sehen, wie besorgt ich um Sie bin!«

»Vielleicht ist es mir dafür vergönnt, einmal besorgt um Sie zu sein. Ich bin ein dankbarer Mensch.«

»In diesem Falle nicht nötig. Ich verzichte auf Ihre Dankbarkeit, denn ich wüßte wirklich nicht, wie ein armer Teufel, der nicht einmal ein Pferd besitzt, mir, dem reichen Haziendero, erkenntlich sein könnte.«

Er klatschte in die Hände, worauf der Major domo so schnell erschien, daß er draußen an der Thüre stehen geblieben sein mußte, um unsere Unterhaltung zu belauschen. Als der aufgedunsene »Sennor Adolfo« den

Auftrag erhalten hatte, uns über die Grenze schaffen zu lassen und darauf zu sehen, daß mein Pferd zurückbleibe, verließ ich das Zimmer, und er kam hinter mir drein. Draußen vor der Hausthüre sagte er in hämischem Tone lachend zu mir:

»Mit dem Tenedor de libros war es also nichts! Du bist das, wofür ich dich gleich gehalten habe, ein Vaga – —«

»Und du bist der größte Schafskopf, der mir jemals vorgekommen ist,« unterbrach ich ihn, »sollst aber für dein freundschaftliches Hablarle de tu[12], eine Anerkennung bekommen. Hier hast du sie!«

Ich gab ihm erst auf seine linke Wange eine Ohrfeige, daß er nach rechts taumelte, und dann auf die rechte Backe eine doppelt kräftige, sodaß er nach links zu Boden stürzte. Vielleicht hätte ich das nicht gethan, aber ich sah, daß der Haziendero sein Fenster geöffnet hatte, an welchem er stand, um meinen Abzug anzusehen. Er hatte jedenfalls die Worte seines Major domo gehört und sollte meine darauf erfolgende Antwort nicht nur auch hören, sondern sogar sehen. »Sennor Adolfo« sprang schnell wieder auf, zog sein Messer, welches dort jedermann stets im Gürtel trägt, heraus und drang auf mich ein, indem er brüllte:

»Lump, was hast du gewagt! Das sollst du büßen!«

Ich parierte seinen Stoß mit Leichtigkeit, indem ich ihm das Messer aus der Hand schlug, nahm ihn rechts und links an den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn neben der Brücke in den Bach hinab, dessen Wasser über ihm zusammenschlug. Es war aber nicht so tief, daß er ertrinken konnte. Er kam schnell wieder zum Vorschein und stieg schnaubend und pustend an das Ufer.

Vielleicht hätte er mich noch einmal angegriffen, in welchem Falle er sicher wieder in das Wasser geflogen wäre, es kam aber einer dazwischen, den ich in diesem Augenblicke nicht hier zu sehen erwartet hätte.

Als ich den Major domo in das Wasser warf, hatte ich mich von dem Hause ab- und dem Bache zuwenden müssen. Dabei fiel mein Blick auf das noch offen stehende Thor, durch welches soeben Melton, der Mormone, hereingeritten kam. Er sah, was geschah, sah auch den Haziendero am offenen Fenster stehen, trieb schnell sein Pferd herbei und rief:

»Was geht hier vor? Ich glaube gar, ein Kampf! Das muß auf einem Versehen beruhen, welches ich gleich aufklären werde. Haltet also Ruhe!«

Diese letzteren Worte waren an den Major domo gerichtet; dann wendete er sich an mich:

»Wir suchten Sie vergeblich. Wie kommen Sie hierher?«

»Auf die allereinfachste Weise,« antwortete ich. »Sie wissen, daß mein Pferd durchging, es ist mit mir bis hierher gelaufen.«

»Sonderbar! Sie werden mir später von diesem eigentümlichen Ritte zu erzählen haben!«

»Dazu giebt es keine Zeit; ich muß fort; man hat mich hinausgeworfen.«

»Und dafür machen Sie sich das Vergnügen, die Leute ein wenig ins Wasser zu werfen!«

»Allerdings. Das ist so eine Eigentümlichkeit von mir, die ich nicht wohl abzulegen vermag.«

»Ich muß erfahren, was geschehen ist, und es wird sich alles aufklären. Warten Sie nur, bis ich mit Don Timoteo gesprochen habe! Bleiben Sie noch da; ich komme bald zurück!«

Er stieg vom Pferde und ging in das Haus. Der nasse Majordomo hinkte hinter ihm drein, ohne mir das Entzücken zu gönnen, einen seiner Blicke aufzufangen.

Was sollte ich thun, bleiben oder gehen? Ich war natürlich fest entschlossen, die Hazienda zu verlassen, besaß jedoch auch Neugierde genug, zu erfahren, wie der Mormone es anfangen werde, mich hier zu halten, denn es stand bei mir fest, daß es nicht in seiner Absicht lag, in meine Entfernung zu willigen. Ich brach also nicht sofort auf, ging aber zu meinem Pferde, um das Paket, in welchem sich mein neuer Anzug befand, vom Sattel zu schnallen. Meine Gewehre hingen am Sattelknopfe. Ich nahm auch sie herab. Dabei benachrichtigte ich die beiden Knaben und die Squaw:

»Meine jungen Brüder und meine Schwester haben gesehen, daß man mich nicht freundlich empfangen hat. Der Haziendero nimmt uns nicht auf, weil er die Rache des Häuptlings der Yuma fürchtet. Wir werden also fortgehen und diese Nacht im Walde schlafen.«

»Wer ist der Reiter, welcher jetzt kam und mit Old Shatterhand gesprochen hat?« fragte der ältere der Brüder.

»Ein Freund des großen Mundes, ein böser Mann, vor dem wir uns sehr zu hüten haben.«

Das Pferd der Squaw hatte nun die drei indianischen Sättel zu tragen. Wir schnallten oder banden sie fest und waren nun also alle vier Fußgänger geworden. Da kam der Mormone aus dem Hause und über die Brücke eilig zu uns gegangen.

»Sennor,« meldete er, »die Angelegenheit ist geordnet. Sie werden auf der Hazienda bleiben.«

»Wieso?«

»Don Timoteo, welcher allerdings bisher keines Buchhalters bedurfte, hat, als er mit Ihnen sprach, gar nicht daran gedacht, daß er nach dem Eintreffen der vielen Arbeiter einer solchen Hilfe gar nicht entbehren kann. Kommen Sie also wieder mit herein! Er will Sie engagieren. Sie dürfen hier bleiben.«

12Duzen, jemand du nennen.