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Satan und Ischariot I

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Er sann eine kleine Weile nach, um sich in Gedanken zu orientieren, und antwortete dann:

»Wenn Ihr genug Geduld besitzet, bis gegen Mittag zu warten, so kommen wir auf freies Land, wo Ihr Euern Zweck erreichen werdet. Bis dahin aber führt der Weg immer eng zwischen Bergen hin, wo Ihr Euch nicht ausbreiten und das Entkommen eines einzelnen verhindern könnt.«

Das gab freilich eine Zeitversäumnis, die mir nicht lieb war; aber wenn wir uns der Wagen bemächtigten, so durften wir dann nicht schneller reiten, als die Maultiere sich mit ihren Lasten bewegen konnten, und verloren dabei höchst wahrscheinlich einen ganzen Tag; da kam es also auf die Versäumnis einiger Stunden auch nicht an.

Um zu sehen, wieweit die Wagen voran seien, ritt Winnetou fort. Wir erreichten ihn nach drei Viertelstunden, wo er halten geblieben war, um uns herankommen zu lassen. Er hatte die Wagen gesehen und auch die Begleitung derselben, welche, wie er bestätigte, aus fünf roten und einem weißen Reiter bestand. Die Knechte, welche Zügel und Peitsche führten, saßen vorn auf den Wagen.

Wir hielten uns so, daß wir sie in nicht viel mehr als fünf Minuten erreichen konnten, und kamen, wie der Player gesagt hatte, gegen Mittag durch ein Thal, welches sich zu einer ziemlich weiten Ebene verbreiterte, um sich darauf wieder zu seiner vorigen Enge zusammenzuziehen. Da sahen wir die Wagen einzeln hintereinander fahren. Voran ritten die fünf Roten; der Weiße folgte einsam hinter dem Zuge. Da ich vorher die Posten aufgehoben hatte, wollte Winnetou die Gefangennahme der fünf Wegweiser besorgen, wozu er zehn Mimbrenjos mit sich nahm. Er jagte, während wir im Schritt nachfolgten, mit den Leuten den Wagen nach, an ihnen rechts und links vorüber und hielt dann, die Roten umzingelnd, bei diesen an. Wir sahen, daß sie sich zur Wehr setzten, freilich mit unzulänglichen Waffen, denn was waren ihre Tomahawks und Lanzen gegen die Gewehre unserer Mimbrenjos und gar gegen die Silberbüchse Winnetous. Es fielen Schüsse. Der Zug hielt. Die Knechte brüllten vor Ärger oder Angst, und der Weiße wendete sein Pferd, um auszureißen. Da sah er uns, die wir ihm den Rückweg verlegten, und galoppierte nach links davon.

Auf ihn war es gar nicht abgesehen. Er durfte um unsertwillen nicht fort und mußte auch zu seinem eigenen Besten angehalten werden. Was sollte aus ihm, dem unerfahrenen, einzelnen Menschen hier in den Bergen werden? Mein Pferd war das schnellste, und so jagte ich ihm nach. Indem er zurückblickte, sah er das und trieb sein Pferd zu noch größerer Schnelligkeit an. Es half ihm aber nichts; ich holte ihn doch bald ein, drängte mein Pferd an das seinige, riß ihm die Zügel aus der Hand und hielt dann beide Tiere an, ihn fragend:

»Wo wollen Sie denn hin, Sennor? Es giebt doch gar keinen Grund zu solcher Eile!«

Er war ein noch ziemlich junger, hagerer Mensch, dem man den Geschäftsmann von der Nasenspitze lesen konnte. Bis an die Zähne in Waffen steckend, streckte er mir doch beide Hände flehend entgegen und bat:

»Nicht morden, nicht morden, Sennor! Ich habe Ihnen nichts gethan und wehre mich auch nicht; also schonen Sie mein Leben!«

»Haben Sie keine Angst, Sennor! Wir hegen nicht die Absicht, Ihnen an den Kragen zu gehen; es ist nur auf Ihre fünf Yumaindianer abgesehen.«

»Nicht auf mich?« fragte er, indem er tief aufatmete und sich den Angstschweiß von der Stirn strich.

»Nein, lieber Jüngling, nicht auf Sie. Ihr wertes Leben ist uns im Gegenteile lieb und teuer; es wird Ihnen nicht ein einziges Haar gekrümmt werden. Kehren Sie also getrost mit mir zu Ihren Wagen zurück!«

Er betrachtete mich dennoch mit unsicherem, zweifelndem Blicke und meinte:

»Wer sind Sie denn?«

»Ein ehrlicher Mensch. Soviel will ich Ihnen einstweilen sagen. Ihre Yumas aber waren Schurken, die wir festnehmen mußten. Also kommen Sie!«

»Gut, ich will Ihnen trauen und also zurückkehren, da ich annehme, daß – – mein Himmel! Was sehe ich! Dort liegen alle fünf im Grase, erschossen, gestorben, ermordet und tot!«

Es war leider so, wie er sagte; die Roten waren tot. Ich hätte sie geschont, die Mimbrenjos aber hatten kein Federlesens gemacht.

»Sie sind erschossen worden, weil sie sich zur Wehr gesetzt haben,« erklärte ich ihm. »Hätten sie das unterlassen, so wäre kein Blut geflossen.«

»So bitte ich Sie dringend, Sennor, zu konstatieren, daß ich mich nicht zur Wehr gesetzt habe!«

»Das will ich Ihnen gern mit hundert Eiden bezeugen. Sie sind in Wirklichkeit so menschenfreundlich gewesen, von Gegenwehr abzusehen. Wie heißen Sie denn eigentlich?«

»Nennen Sie mich Don Endimio de Saledo y Coralba!«

»Ich werde Sie der Kürze wegen einstweilen nur Sennor Endimio nennen und bitte Sie, mir auch noch zu sagen, was Sie sind.«

»Ich bin Kaufmann.«

»So! Und was stellen Sie hier bei diesen Wagen vor? Den Oberkutscher?«

»Ganz und gar nicht, Sennor! Wie können Sie einen Don Endimio de Saledo y Coralba mit der Bezeichnung Kutscher in Berührung bringen! Ich bin der auserwählte Bevollmächtigte Sennor Manfredos, des Kaufmanns, welcher die Waren zu liefern hat, die sich in diesen Wagen befinden.«

»Schön! Ich ersuche Sie nun nochmals, mit mir zu den Wagen zurückzukehren!«

»Gern – – aber da sehe ich, daß die Indianer, die sich bei Ihnen befinden, zur Hälfte gebunden sind. Das muß meinen Verdacht von neuem erwecken!«

»Die freien Reiter sind Mimbrenjos, und die gefesselten sind Yumas.«

»Soll ich etwa auch gefangen genommen werden?«

»Nein. Sie brauchen, wie ich Ihnen schon versicherte, keine Angst zu haben.«

Wir kehrten also zu den Wagen zurück, wo man auf uns gewartet hatte. Es war nicht nötig gewesen, sie zu umzingeln, da wir nicht zu befürchten brauchten, daß die fünf Knechte davonlaufen würden. Dieselben waren übrigens mutiger als der famose Endimio; sie standen beisammen, mit den Gewehren in den Händen, bereit, sich zu wehren, falls wir ihnen die Veranlassung dazu geben würden.

»Lassen Sie Ihre Flinten in Ruhe, Sennores!« rief ich ihnen zu. »Und kommen Sie zu mir, um zu hören, daß wir uns als Ihre Freunde betrachten.«

Der Player hatte angenommen, daß die Leute die Besitzer der Wagen seien; es stellte sich heraus, daß sie nur Knechte waren und die Fuhrwerke dem Kaufmann gehörten. Sie waren echte Peons, kräftige, halbwilde Männer, denen aber die Gutmütigkeit aus den Augen sah. Ich erklärte ihnen so kurz wie möglich, um was es sich handelte, und hatte dabei Gelegenheit, einigemale den Namen Winnetous zu nennen, worauf sie ihre Augen auf den Apatschen richteten. Als ich geendet hatte, sagte der älteste von ihnen, der eine gewaltige Hiebnarbe im Gesicht hatte:

»Es bedarf gar keiner Entschuldigung und Aufklärung, Sennor. Wenn Winnetou dabei ist, so sind Ihre Wege und Absichten ehrliche, denn der Häuptling der Apatschen giebt sich zu nichts Schlechtem her. Meine alte Seele ist erfreut, diesen großen Häuptling endlich einmal erblicken zu dürfen, und es fehlt nur das eine, daß auch Shatterhand da wäre, der sich sonst gewöhnlich bei Winnetou befindet.«

»Er ist ja da! Hier auf meinem Pferde sitzt er.«

»Sie, also Sie wären Old Shatterhand? Ich bin glücklich, einen so berühmten Mann zu sehen. Sennor, wir glauben jedem Worte, welches Sie gesagt haben, und bitten Sie um Ihren Rat, was wir thun sollen.«

»Der soll Ihnen gern werden. Vorher aber sagen

Sie mir, wie es kommt, daß Sie mir so schmeichelhafte Worte widmen. Daß Winnetou auch hier in dieser Gegend bekannt ist, habe ich gewußt; ich war aber noch niemals hier.«

»Ist auch nicht nötig, denn ich war drüben, jenseits der Grenze, in den Vereinigten Staaten. Bin mehrere Jahre in Texas gewesen und sogar hinauf bis Kansas gekommen. Da dürfen Sie sich nicht drüber wundern, daß ich Sie kenne, Sennor.«

»Was waren Sie da drüben?«

»Alles mögliche, habe es aber zu nichts gebracht und bin ein so armer Teufel geblieben, daß ich jetzt in meinen alten Tagen den Fahrknecht machen muß. Weil ich aber von drüben her das Abenteuerliche gewöhnt bin, habe ich wenigstens eine Stelle angenommen, in welcher man auch einmal eine ungewöhnliche oder gar gefährliche Fuhre auszuführen hat, und meine vier Kameraden sind gleicher Gesinnung mit mir. Wir haben uns auf die Fahrt nach den Bergen förmlich gefreut. Und richtig, es scheint von jetzt an Ereignisse zu geben!«

»Sie hatten allerdings Grund zu dieser Freude, da Ihr Prinzipal Ihnen einen so tüchtigen Vertreter mitgegeben hat.«

Ich winkte bei diesen Worten nach Endimio hin, welcher sich scheu noch in einiger Entfernung hielt.

»O,« lachte der Alte, »der reißt aus, wenn er eine Fliege summen hört! Doch nun vor allen Dingen zu unserer Sache! Unser Frachtgut ist bestellt und halb bezahlt. Wir haben es in Almaden abzuliefern und die andere Hälfte des Geldes in Empfang zu nehmen. Sie aber sind dagegen, Sennor. Was sollen wir thun?«

»Ich bin nicht dagegen, wünsche jedoch, daß Sie es dem Adressaten nur in meiner Gegenwart abliefern.«

»Das soll ein Wort sein! Ich bin einverstanden.«

»Auch möchte ich gern wissen, worin dies Frachtgut besteht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich einiges davon für mich nehmen werde.«

»Thun Sie das immerhin. Dann aber wird Melton nicht zahlen wollen.«

»Er wird zahlen, dafür garantiere ich.«

»Dann nehmen Sie meinetwegen alles mit samt den Wagen und Maultieren! Wenn Old Shatterhand gutsagt, sind wir sicher.«

»Ich bin Ihnen für dieses Vertrauen herzlich dankbar, muß Ihnen aber aufrichtig erklären, daß ich überhaupt kein reicher Mann bin und besonders jetzt nicht soviel Geld bei mir habe, um auch nur hundert Cigaretten bezahlen zu können.«

»Thut nichts, thut gar nichts! Die Fracht steht trotzdem zu Ihrer Verfügung, und was Sie bestimmen, das wird geschehen. Wenn es Ihnen an Cigarren und Tabak fehlt, was in diesen Bergen freilich vorkommen kann, so greifen Sie nur zu. Wir haben genug mit, um Sie auf Jahre hinaus zu versehen.«

 

»Halt!« rief da der Haziendero aus. »Ich protestiere dagegen, daß sich jemand an der Fracht vergreift.«

»Wer sind Sie denn?« fragte der alte Peon, indem er ihn verwundert ansah.

»Ich bin Don Timoteo Pruchillo, Besitzer der Hazienda del Arroyo.«

»Die haben Sie doch verkauft, wie ich gehört habe!«

»Infolge eines Verbrechens, welches an mir begangen worden ist. Ich will Schadenersatz haben und lege Beschlag auf diese Wagen und auf alles, was sie enthalten.«

»Das geht nicht an, weil, wie Sie gehört haben, Sennor Shatterhand über diese Sachen bestimmen wird.«

»Sie gehen ihn nichts an. Er hat nicht das geringste Recht zu irgend einer Bestimmung.«

»Und Sie besitzen noch weniger Recht, Ihre Hand an unsere Fracht zu legen. Melton hat sie bestellt, und wir haben sie ihm zu bringen. Wie Sie privatim mit ihm stehen, muß mir sehr gleichgültig sei. Fechten Sie das mit ihm aus, aber nicht mit uns!«

Das schob sich der wackere Juriskonsulto herbei, pflanzte sich dem Peon gegenüber auf und fragte in kurzem Amtstone:

»Wie heißen Sie?«

»Man nennt mich den alten Pedrillo.«

»Kennen Sie mich?«

»Ja.«

»So wissen Sie, daß Sie mir zu gehorchen haben!«

»Ich habe Ihnen nicht einmal in Ures zu gehorchen, denn ich bin nicht irgend einer Person, sondern nur dem Gesetze unterthan. Hier oben aber gelten Sie soviel wie gar nichts.«

»Mensch, zwinge mich nicht, dich zu bestrafen!«

»Und zwingen Sie mich nicht, Sie auszulachen! Man kennt Sie. Hier giebt‘s nur zwei, denen wir gehorchen werden, nicht weil sie uns zu befehlen haben, sondern weil ihnen unsere Achtung gehört, nämlich Old Shatterhand und Winnetou. Was andere Mäuse pfeifen, mag zwar ihnen gefallen, uns aber nicht.«

»Mensch,« fuhr ihn der Beamte an, »vergiß nicht, was du bist, ein Knecht, nichts als ein Knecht! Hier aber steht der Bevollmächtigte deines Herrn, welcher wohl wissen wird, auf wessen Seite die Macht und das Recht zu suchen ist!«

Er deutete bei diesen Worten auf Endimio. Als dieser aller Augen auf sich gerichtet sah, geriet er in Verlegenheit und sagte:

»Ich bin der Beauftragte Sennor Manfredos, das ist wahr; aber ich habe Pedrillo mit der Ausführung meiner Aufträge betraut – —«

Er wurde durch einen lauten Ausruf des Players unterbrochen, welcher nach der Stelle deutete, wo das Thal wieder enger wurde. Dort wurde ein Reiter, ein Weißer, sichtbar, welcher einen Augenblick lang halten blieb und dann, als er die Wagen sah, sich umdrehte, um zu winken und darauf auf uns zugeritten kam.

»Weller, dort kommt Weller!« hatte der Player gerufen.

»Weller? Der Betrüger? Der Schurke?« fragte der Haziendero. »Den muß ich haben, und zwar sofort!«

Er rannte dem Nahenden entgegen, in welchem auch ich den jungen Weller erkannte. Diese Uebereilung konnte üble Folgen haben, doch hoffte ich, daß der Haziendero nicht gleich meinen Namen nennen werde, und trat, um nicht zu früh von Weller bemerkt zu werden, hinter einen Wagen.

Die beiden trafen in einer Entfernung von ungefähr hundert Schritten von uns zusammen, und wir hörten die Worte, welche zwischen ihnen gewechselt wurden. Der Haziendero schrie den jungen Weller wütend an:

»Recht so, daß Sie kommen, Sie Dieb, Sie Räuber und Mörder! Ich verlange meine Hazienda zurück, und zwar genau so, wie sie dastand, ehe sie niedergebrannt wurde!«

»Sie hier, Don Timoteo?« fragte der andere erstaunt, ohne zunächst die Schimpfworte zu beachten. »Ich denke, Sie befinden sich in Ures! Was wollen Sie auf dem Wege nach Almaden?«

»Was ich will? Den Raub will ich zurück, den Ihr mir abgenommen habt!«

»Ich verstehe Sie nicht! Wie können Sie gegen mich, Ihren Freund, solche Worte führen!«

»Schweig, Schurke, und wage es ja nicht wieder, dich meinen Freund zu nennen! Ich bin ausgezogen, mich an dir zu rächen. Schau hin; dort stehen sie alle, die mit mir gekommen sind! Siehst du den Juriskonsulto von Ures?«

Der Gefragte blickte kopfschüttelnd nach den Wagen und antwortete: »Den kenne ich nicht.«

»Auch seine Polizisten nicht?«

»Nein. Was soll hier die Polizei?«

»Euch ergreifen, euch festnehmen, sowie wir schon eure Mitschuldigen festgenommen haben.«

»Mitschuldigen? Wer ist das?«

»Die Yumas. Stell‘ dich doch nicht so, als ob du nicht sähest, daß sie gebunden sind!«

»Gebunden? Wahrhaftig, sie sind gefesselt! Sogar der »schnelle Fisch«! Wer sind denn die andern Roten?«

»Das sind die Mimbrenjos, welche mit uns gegen euch gezogen sind. Und dort hinter dem letzten Wagen steckt Winnetou, der Häuptling der Apatschen!«

»Der Schwätzer wird alles verderben!« raunte mir Winnetou unwillig zu. »Mein Bruder mag dann schnell auf sein Pferd springen!«

»Winnetou ist hier?« fragte Weller. »Ist‘s möglich! Ich sehe ihn nicht.«

»O, nicht bloß dieser ist da, sondern noch einer, über den du erschrecken wirst. Da ist auch noch Old Shatterhand, der euern Yumas entkommen ist.«

»Old Shatterhand? Verdammt! Gut, daß du mir das sagst, Dummkopf!«

Wir hörten zunächst einen Schrei und dann den Galopp eines Pferdes und traten hinter dem Wagen hervor. Dort lag der Haziendero am Boden, niedergeschlagen von Weller, der davonjagte, zurück des Weges, den er gekommen war. Ich sprang zu meinem Pferde, schwang mich auf und jagte ihm nach. Zu gleicher Zeit that Winnetou dasselbe; er folgte mir auf den Fersen. Wir hörten den Flüchtling schreien:

»Old Shatterhand, Winnetou und die Mimbrenjos! Old Shatterhand, Winnetou und die Mimbrenjos!«

Warum that er das? Etwa aus Schreck und Entsetzen? Er war doch während seines Wortwechsels mit dem Haziendero nicht so erschrocken gewesen! Er schrie die Namen noch, als er in die Enge verschwand, und als wir beide in dieselbe eindrangen, schrie er sie immer noch.

Wir kamen ihm rasch näher. Es ging thalaufwärts; rechts und links war Wald. Er blickte sich um und sah uns höchstens dreihundert Schritte hinter sich. Er erkannte, daß er verloren sei, wenn er die Flucht auf diese Weise fortsetzte, hielt sein Pferd an, sprang ab und eilte links in den Wald. Sofort schwang ich mich auch aus dem Sattel und sah dabei, daß der Apatsche auch heruntersprang.

»Winnetou, ihm direkt nach!« rief ich diesem zu und rannte dann unter die Bäume und die Steigung empor.

Es geschah das mit guter Berechnung. Wenn wir beide dem Fliehenden nachliefen, so konnten wir beim Geräusche unserer Schritte das Geräusch der seinigen nicht hören. Es war geraten, ihm zuvorzukommen und dann zu lauschen. Das wollte ich thun, während Winnetou ihn mir getrieben brachte.

Wir befanden uns unten an der linken Thalwand, welche ziemlich dicht mit Bäumen besetzt war und auch ziemlich steil zur Höhe stieg. Ich nahm an, daß Weller zunächst in gerader Richtung emporklettern werde, und nahm mir als Marke eine starke Buche, welche, wenn er diese Richtung wirklich einhielt, an seinem Wege lag. Ich war soweit hinter ihm gewesen und hatte also nach der Buche einen viel weitern Weg zurückzulegen als er.

Diesen Unterschied mußte ich durch doppelte Schnelligkeit auszugleichen versuchen. Ich glaube nicht, daß ich mich jemals im Leben so von Baumstamm zu Baumstamm, von Stein zu Stein geschnellt habe. Als ich die Buche erreichte, war ich atemlos, und es schwindelte mir. Ich warf mich hinter dem Stamm auf den Boden nieder und versuchte, zu lauschen. Zunächst summte mir das aufgeregte Blut in den Ohren, doch der feste Wille vermag selbst so etwas zu unterdrücken. Dann vernahm ich Schritte, zweierlei Schritte, nämlich diejenigen eines Menschen, der sich leise und vorsichtig, darum nicht zu eilig, der Buche näherte, und dann diejenigen einer andern Person, welche laut und rasch durch die Bäume und Sträucher drang. Der erstere war Weller und der letztere Winnetou; ich war dem Flüchtlinge also doch zuvorgekommen, ein Beweis, was der Mensch, wenn es sein muß, weit über seine gewöhnlichen Kräfte hinaus zu leisten vermag.

Er kam; schon sah ich ihn! Er ahnte nicht, daß einer von den beiden, welche er hinter sich glaubte, schon vor ihm war. Er lenkte seine Schritte nicht genau der Buche zu, sondern wollte rechts vor derselben vorüber. In dem Augenblicke, in welchem er mir am nächsten war, sprang ich auf, schnellte mich hin zu ihm, faßte ihn beim Haare, denn der Hut war ihm von den Zweigen herabgeschlagen worden, und riß ihn an denselben nieder. Er stieß einen überlauten Schrei aus.

»Hat mein Bruder ihn fest?« rief mir Winnetou zu, als er diesen Schrei hörte.

»Ja,« antwortete ich, indem ich Weller das Knie auf die Brust setzte, daß ihm der Atem ausgehen wollte.

»Ich komme gleich. Halte ihn nur fest!«

Es bedurfte dieser Aufforderung des Apatschen gar nicht, denn ich hatte den einstigen Kajütenwärter unter einem so starken Drucke, daß er jede Bewegung vergaß. Da kam Winnetou. Als er den Gefangenen sah, sagte er:

»Es war ein guter Gedanke meines Bruders, ihm vorauszuspringen. Ich wußte, daß Old Shatterhand ein vortrefflicher Läufer ist; aber daß er fliegen kann, habe ich nicht gedacht. Warum hast du dem Manne nicht die Faust gegeben, um ihn zu betäuben?«

»Weil es nicht nötig ist. Der Kerl ist nur ein Knabe in meinen Händen und soll nicht die Wohlthat der Bewußtlosigkeit haben.«

Weller hatte sein Gewehr in der Hand getragen; es war ihm, als ich ihn faßte, entfallen. Winnetou hob es auf. Ich zog den Burschen in die Höhe, stellte ihn auf die Beine und sagte:

»Vorwärts jetzt! Und wenn du nicht gehorchst, werden wir uns Gehorsam zu verschaffen wissen!«

Ich hätte ihn, selbst wenn ich im Besitze eines Riemens gewesen wäre, nicht gebunden; aber ich hatte keinen mit und Winnetou auch nicht. Der Mensch wäre übrigens eine solche Vorsichtsmaßregel gar nicht wert gewesen. Ich nahm ihn beim Kragen und schob ihn vor mir her. Als wir unten ankamen, standen unsere Pferde noch genau da, wo wir abgestiegen waren, dasjenige von Winnetou hinter dem meinigen. Wellers Pferd war vorwärts gelaufen und wurde von einigen Mimbrenjos, welche uns nachgeritten waren, herbeigeholt. Die Freude des Haziendero, als wir den Ergriffenen brachten, war groß und machte sich in dem Jubelrufe Luft:

»Sie haben ihn! Sie bringen ihn! Das ist prächtig; das ist herrlich! Nun soll er den Schlag, den er mir mit dem Gewehr gegeben hat, sogleich wiederbekommen!«

Er wollte ihm einen Hieb versetzen; ich stieß ihn aber zurück und sagte:

»Laßt das sein, Sennor! Sie haben eine Dummheit begangen, als Sie ihm entgegengingen. Dadurch wurde er auf uns aufmerksam und wäre uns beinahe entflohen. Das Richtige war, still zu sein und ihn ganz herbeizulassen.«

»Sie scheinen ein Gaudium daran zu finden, andere Leute immer nur zu tadeln! Sie sind ein – —«

Er wollte wahrscheinlich grob werden; ich unterbrach ihn aber in scharfem Tone:

»Schweigen Sie auf der Stelle, sonst —«

Ich hatte im Ärger wirklich den Arm erhoben. Da fuhr er erschrocken zurück und retirierte hinter einen Wagen, wo der liebe Juriskonsulto sich zu ihm gesellte und sie sich dann wahrscheinlich gegenseitig ihre Not klagten. Verkannte Genies haben ja immer zu klagen.

Winnetou hatte den Gefangenen indessen an eine Deichsel binden lassen. Die Mimbrenjos umringten ihn und schimpften auf ihn ein. Ich trieb sie zurück, denn was ich mit ihm zu sprechen hatte, brauchten sie nicht zu hören. Nur Winnetou blieb da, um meinem Versuche, dem Gefangenen etwas zu entlocken, beizuwohnen.

Letzterer zeigte ein finsteres, verschlossenes Gesicht und hielt die Augen zu Boden gesenkt. Ich erwartete keineswegs, daß er mir ein umfassendes Geständnis ablegen werde, glaubte aber, ihm doch wenigstens einige Äußerungen zu entlocken, aus denen ich einige Schlüsse ziehen könnte.

»Sie sind erst seit wenigen Minuten bei uns, Sennor Weller,« sagte ich, »und haben also noch nicht Zeit gefunden, über Ihre Lage nachzudenken; ich will Ihnen lieber gleich sagen, daß dieselbe eine gefährliche ist. Es handelt sich um Tod oder Leben. Die Entscheidung wird sich nach Ihrem Verhalten richten. Sagen Sie mir, warum Sie so unvorsichtig gewesen sind, Almaden zu verlassen und uns in die Hände zu reiten!«

Es dauerte eine ganze Weile, ehe er antwortete. Er überlegte wahrscheinlich, ob er überhaupt reden solle oder nicht, und wenn geantwortet werden mußte, wie weit er dann mit seinen Worten gehen dürfe. Als er mit sich ins reine gekommen war, erwiderte er:

»Ich erhielt den Befehl dazu von Sennor Melton.«

»So muß Ihr Ritt einen Zweck gehabt haben?«

»Einen doppelten sogar! Wir warteten auf die Wagen, bei denen wir uns jetzt befinden; sie kamen nicht, und so mußte man sehen, welche Ursache die Verzögerung haben möge.«

 

»Das war der eine Zweck. Nun der andere?«

Er öffnete schon die Lippen zur Antwort, schloß sie aber wieder. Wahrscheinlich hatte er vorhin mehr gesagt, als er jetzt gutheißen konnte. Endlich antwortete er:

»Das ist etwas, was Sie nicht interessiert.«

»O, ich gestehe Ihnen, daß mich alles, was Sie betrifft, aufs höchste interessiert; habe ich doch die Erfahrung gemacht, daß Sie meiner Person ein gleich großes und gleich eifriges Interesse zuwenden. Bei dieser Gegen- Gegenseitigkeit der Teilnahme halte ich es für meine Pflicht, mich nach Ihrem und Ihrer Freunde Befinden zu erkundigen. Wie geht es in Almaden? Sind die Arbeiter schon unter die Erde gebracht?«

»Ja,« entfuhr es ihm wohl wider Willen.

»Arbeiten sie schon?«

»Nein.«

»Ich verstehe; sie müssen erst zahm gemacht und an die quecksilberhaltige Schachtluft gewöhnt werden. Hunger und Durst thun weh; diese beiden Mittel werden sie schon willig machen.«

Da er schwieg und mir nicht widersprach, so durfte ich annehmen, das Richtige getroffen zu haben, und fuhr fort:

»Wie gefällt Ihnen Ihre Wohnung da oben? Sie liegt ungemein versteckt, und da ich beabsichtige, Sie dorthin zurückzubringen, liegt es in Ihrem Interesse, mir sie und ihre Lage zu beschreiben.«

Jetzt antwortete er schnell, ja augenblicklich:

»Das kann mir nicht einfallen.«

»Das werden wir sehen. Sind Sie allein von Almaden fort?«

»Ja,« antwortete er ebenso rasch.

»Ich erinnere mich aber, gesehen zu haben, daß Sie einen Wink nach rückwärts gaben?«

»Das kann nur Täuschung gewesen sein. Vielleicht habe ich irgend ein Geräusch gehört und deshalb zurückgeblickt.«

»Mag sein. Aber warum schrieen Sie so laut während Ihrer Flucht?«

»Vor – – Angst.«

»Ein solches Geständnis fällt Ihnen wohl sehr schwer, und Sie machen es vielleicht auch nur, um die Wahrheit zu verbergen. Sollte jemand dagewesen sein, für dessen Ohren Ihre Rufe bestimmt waren? Es sollte mich sehr wundern, wenn Sie den Ritt so ganz allein unternommen hätten. Man kann so gar leicht in die Lage kommen, einen Gefährten zu brauchen. Sie wohnen mit Ihrem Vater doch bei Sennor Melton?«

»Thun Sie doch keine überflüssigen Fragen! Sie können sich ja sagen, daß ich Ihnen dieselben nicht beantworten werde.«

»Wenn nun Ihr Leben davon abhängt, ob Sie antworten oder nicht?«

»So bekommen Sie trotzdem keine Auskunft. Es kann mir nicht einfallen, meinen Vater zu verraten. Und was mein Leben betrifft, so steht dasselbe zwar augenblicklich in Ihrer Hand, aber ich weiß, daß Sie kein Mörder sind, und bin auch außerdem überzeugt, daß ich es auf hohe Jahre bringen werde.«

»Ganz wie Sie denken oder wollen! Ich werde Sie nicht länger belästigen und die Wohnung Ihres Vaters jedenfalls auch ohne Ihr Zuthun finden.«

Der Umstand, daß er einen Wink nach rückwärts gegeben und nachher unsere Namen so laut gerufen hatte, erregte doch mein Bedenken. Seine Spur mußte noch zu sehen sein; die Mimbrenjos, welche sein Pferd geholt hatten, mußten sie gesehen haben, doch als ich mich bei ihnen erkundigte, erklärten sie, es sei eine einfache und keine Doppelfährte gewesen. Das beruhigte mich wenigstens einstweilen.

Ich hatte übrigens mehr zu thun als mich ausschließlich mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. Es gab soviel Fragen in Beziehung auf den Wagen und ihren Inhalt. Ich sollte alles wissen und alles entscheiden und hielt es für das beste, jetzt noch keine Bestim- Bestimmung zu treffen. Wir gesellten uns zu dem Wagenzuge und konnten uns später nach den Umständen richten. Soviel aber stand schon jetzt fest, daß ich in den fünf Wagenführern eine höchst brauchbare und zuverlässige Unterstützung gefunden hatte.

Vom Augenblicke unseres Aufbruches an war Wellers Fährte meine Wegweiserin. Ich ritt voran, um sie zu lesen, was vorerst nicht möglich war, da wir sie bei der Verfolgung verwischt hatten. Als wir aber über die Stelle, an welcher sein Pferd stehen geblieben war, hinausgelangten, besaß sie die vollste Deutlichkeit. Da erblickte ich denn zu meiner Ueberraschung eine dreifache Spur. Zwei Reiter waren uns entgegengekommen, und einer war zurückgeritten. Natürlich machte ich Winnetou darauf aufmerksam, und er war augenblicklich derselben Ansicht, welche ich darüber hegte: Weller hatte einen Begleiter gehabt. Er war aus irgend einem Grunde demselben eine kurze Strecke vorausgeeilt, hatte uns gesehen und war auf uns zugekommen. Dem Begleiter hatte er einen Wink gegeben, daß er die gesuchten Wagen vor sich sehe und ihn später durch seine Rufe zur schleunigen Flucht angetrieben, und von unserer Anwesenheit benachrichtigt.

Als wir unsere Ansicht weitersprachen, stellte es sich heraus, daß, während unser aller Aufmerksamkeit auf Weller und den Haziendero gerichtet gewesen war, einer der Polizisten einen zweiten Reiter, auch einen Weißen, gesehen hatte, welcher an derselben Stelle erschienen, dann aber schnell wieder verschwunden war. Daß der Polizist und Pfiffikus uns diese Mitteilung erst jetzt machte, konnte ihm kaum verziehen werden, denn der andere Reiter war entweder Wellers Vater, oder gar Melton selbst gewesen. Ihn zu verfolgen, hielt ich nicht für ratsam. Dies hätte durch mich und Winnetou geschehen müssen, und wenn wir uns entfernten, konnte hinter uns unsere ganze, so sonderbar zusammengewürfelte Gesellschaft auseinanderfliegen. Wir waren gezwungen, bei den Wagen zu bleiben, und mußten also langsamer reiten; der Mann kam uns also weit voran und machte gewiß durch die Nachricht von unserm Kommen ganz Almaden rebellisch. Es war uns also nicht mehr möglich, unsere Gegner zu überraschen. Ja, ich begann im Gegenteile schon mit dem Umstande zu rechnen, daß sie unsere Ankunft dort gar nicht abwarten, sondern uns entgegenziehen und sich in den Hinterhalt legen würden, um uns an einem dazu passenden und für sie günstigen Orte zu überfallen und aufzureiben.

Am meisten ärgerte mich, daß der Betreffende wußte, wer wir waren, da der junge Weller unsere Namen genannt hatte. Er befleißigte sich also wahrscheinlich der größten Eile, uns einen schlimmen Empfang zu bereiten. Selbstverständlich nahm ich den Haziendero gehörig vor, denn er war schuld an allem, wollte das aber nicht einsehen.

Wir nahmen unsern Weg wieder unter die Füße, oder vielmehr unter die Pferdehufe. Aus guten Gründen ließ ich Winnetou nicht allein voranreiten, sondern gesellte mich zu ihm. Es war nämlich auch möglich, daß der Reiter seine Flucht nicht gleich fortgesetzt hatte, sondern beflissen gewesen war, uns zu beobachten. In diesem Falle steckte er mit seinem Pferde im Walde, und es galt also, seine Spur auf das schärfste ins Auge zu nehmen. Es zeigte sich aber, daß er fortgeritten war. Hinter uns beiden ritt der Yumatöter mit seinem Bruder, welche den Player zwischen sich hatten. Diesen mußte ich in meiner Nähe haben, da er unser eigentlicher Führer war. Weller steckte zwischen den Mimbrenjos.

Unser Weg stieg bergan. Wir hatten zunächst zu beiden Seiten Wald, dann nur noch zur linken Hand, bis er auch hier zu Ende ging. Nun begann eine grasige Ebene, in welcher die Spuren so deutlich wie die Worte in einem großgedruckten A-b-c-Buche zu lesen waren. Es blieb wie bisher: zwei Reiter waren uns entgegengekommen, und einer von ihnen ritt jetzt vor uns her. Er war durch den Wald im schärfsten Schritte geritten; auf der Ebene angelangt, hatte er sein Pferd in Galopp gesetzt. Vorher aber war er, wie wir sahen, abgestiegen. Wozu? Um dies zu erfahren, stiegen auch wir beide ab, nämlich Winnetou und ich, um die Stelle zu untersuchen. Die Spitzen seiner Füße waren gegen die Seiten des Pferdes gerichtet und abwechselnd mit den Fersen bald mehr, bald weniger in den Boden eingedrückt. Ich warf Winnetou einen fragenden Blick zu, und er nickte zustimmend, denn er sah, daß ich gleicher Meinung mit ihm war: der Reiter hatte hier nämlich den Sattelgurt fester geschnallt, um bei der Eile, die er nun vorhatte, sicheres Reiten zu haben. Nach diesem Nicken deutete der Apatsche zur Seite, wo das Gras so niedergedrückt war, als ob zwei lange, oben dünne und unten breite Gegenstände dagelegen hätten.