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Satan und Ischariot I

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Sechstes Kapitel: Der Gefahr entgegen

Wir befanden uns jetzt also unterwegs nach dem alten Quecksilberbergwerke Almaden alto, und mußten über die Fuente de la Roca kommen. Fuente heißt Quelle und Roca Felsen, Fuente de la Roca ist folglich soviel wie Felsenquelle. Da Winnetou dieselbe kannte, brauchte ich nicht die Besorgnis zu hegen, von dem Player falsch geführt zu werden; wir konnten uns nicht verirren. Aber in Beziehung auf die unterwegs aufgestellten Posten mußten wir uns auf seine Aussage verlassen können. Es standen da zwar bloß je fünf Mann, und eine so geringe Anzahl brauchten wir nicht zu fürchten, wenn wir nur die Stelle kannten, an welcher sie sich befanden. Wenn er uns dieselbe aber falsch angab, konnten wir von ihnen leicht überrumpelt werden. Es galt also, ihn so in Respekt zu setzen, daß er es nicht wagte, den Versuch, uns zu täuschen, zu machen.

Die Fuente, an welcher zwanzig Yumas standen, war zwei Tagesritte entfernt; auf der Straße befanden sich vier Posten zu je fünf Mann. Da man nun von Ures bis nach Almaden fünf Tagereisen rechnete und wir

von der Hazienda aus nur vier hatten, so standen die Posten eigentlich nur einen Zweidritteltagesritt auseinander, und wenn wir so ritten, wie Winnetou und ich es gewohnt waren, mußten wir heute schon vor Abend auf den ersten treffen, was aber nicht in meinem Plane lag. Ich wollte die fünf Roten des Abends in der Dunkelheit überrumpeln, und so mußten wir also entweder schnell reiten und irgendwo Halt machen, oder einen so langsamen Schritt annehmen, daß wir erst mit der Dunkelheit bei dem Posten anlangten. Ich entschloß mich aus guten Gründen für das erstere.

Was nun die Mimbrenjos betraf, auf deren Hilfe ich hoffte, so war leicht zu berechnen, wann sie bei uns eintreffen konnten. Wenn unser Bote sich beeilte, was gar nicht zu bezweifeln war, und die dreißig Mann seiner Anweisung sofort folgten, worauf ich jedenfalls auch rechnen konnte, so war es für sie möglich, in drei Tagen bei der Hazienda zu sein und dann an irgend einem Punkte, an welchem wir sie erwarten würden, genau nach derselben Zeit einzutreffen, die wir selbst brauchten, um von der Hazienda aus dorthin zu gelangen.

Ob sie den Weg kannten, wußten wir nicht, konnten uns aber auf ihre Findigkeit verlassen; dennoch aber, und damit sie sich nicht mit unnötigem Suchen aufzuhalten brauchten, machten wir eine Fährte, welche noch nach Tagen zu sehen war, und sorgten außerdem für verschiedene Zeichen, aus denen sie erkennen konnten, daß sie sich auf unserer Spur befanden. Die Zeichen bestanden in Steinen, welche wir in auffälliger Weise unterwegs zusammenlegten und in Aesten, welche wir an Stellen, wo es gesehen werden mußte, abbrachen und an einen andersartigen Baum befestigten. Ein Eichenzweig z. B. an einer Tanne, oder ein Fichtenast an einer Buche ist für den Indianer und wohl auch für jeden nachdenkenden Weißen, wenn er offene Augen hat, ein untrüglicher Beweis, daß sich jemand da befunden und den Ast oder Zweig als einen Fingerzeig zurückgelassen hat.

Der Player ritt zwischen Winnetou und mir, der junge Indianer hinter uns. Wenn ich zurückblickte, sah ich, daß der letztere den ersteren scharf im Auge hatte, damit es diesem, trotzdem er sich zwischen uns befand, ja nicht gelingen möge, auf irgend eine Weise seine Fesseln zu lockern.

Die Beschreibung der Gegend, durch welche wir kamen, würde zu Weitläufigkeiten führen. Sie steigt nach der hohen Sierra auf und ist destomehr bewaldet, je höher man kommt. An Wasser hat man keine Not zu leiden, denn wenn es auch hier und da ein unfruchtbares Felsenplateau giebt, so ist man doch bald darüber hinweg.

Ich war noch niemals hier gewesen. Ob Winnetou den Weg kannte, den wir heute zurückzulegen hatten, wußte ich nicht; er sagte nichts. Der Player aber mußte annehmen, daß er uns bekannt sei, da wir ihn nicht nach demselben fragten. Eine solche Frage war ganz unnötig, weil wir die Spur noch sahen, welche er gestern zurückgelassen hatte. Ob er selbst sie noch sehen konnte, bezweifelte, da sie auf längeren Strecken so schwer zu erkennen war, daß Augen, wie Winnetou sie besaß, dazu gehörten, sie zu unterscheiden.

Um die Mittagszeit machten wir an einem Wasser kurzen Halt, um die Pferde zu tränken; dann ging es wieder weiter bis um die Mitte des Nachmittages, wo wir an einer Waldesecke anhielten, weil wir da nach drei Seiten offene Aussicht hatten. Der Player wurde vom Pferde genommen und ins Gras gelegt. Wir setzten uns zu ihm, um zu essen, und er erhielt auch seinen Teil. Wir hatten unterwegs kein Wort mit ihm gesprochen; jetzt war anzunehmen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befanden; es galt, genau zu erfahren, wo derselbe lag, und so machte ich dem bisherigen Schweigen ein Ende, indem ich sagte:

»Als Ihr gestern hier vorüberkamt, habt Ihr wohl nicht gedacht, Master, daß Ihr Euch schon heute wieder hier befinden würdet, und zwar als Gefangener?«

»Ich hier vorübergekommen?« antwortete er. »Wenn Ihr das annehmet, so befindet Ihr Euch sehr im Irrtume.«

»Macht keine Flausen! Ich weiß nicht nur, daß Ihr hier gewesen seid, sondern ich sehe aus Eurer Fährte, daß Ihr Euch hier umgedreht habt, um zurückzublicken. Besinnt Euch nur! Eure Augen sind nicht scharf genug, die Spur noch zu sehen; die meinigen aber bemerken recht wohl, daß Ihr das Pferd gewendet habt.«

»Es ist nicht wahr!« behauptete er. »Ich bin noch niemals hier an dieser Ecke gewesen.«

»Hm! Ihr scheint vergessen zu haben, was Euch bevorsteht, falls Ihr auf den dummen Gedanken kommen solltet, uns täuschen zu wollen! Ich bin nichts weniger als ein Menschenfresser; aber wenn jemand mich für einen Dummrian hält, so nimmt er mich von einer Seite, welche meine schwache ist, und muß gewärtig sein, daß ich explodiere. Merkt Euch das! Ihr seid ein schlauer Gast und habt schon manchen Mann übertölpelt; bei uns aber gelingt Euch dieses nicht. Wollt Ihr also eingestehen, daß Ihr hier gewesen seid und hier angehalten habt?«

Er wußte nicht, ob er gestehen oder leugnen solle, und schwieg also.

»Soll ich Euch den Mund wieder öffnen, so wie ich Euch heute früh zum Reden gebracht habe? Um Euch Eure Lage klar zu machen, will ich Euch aufrichtig sagen, daß es uns nicht in den Sinn kommt, Euch etwas zu thun, falls ihr den Verstand besitzt, Euch in dieselbe zu schicken; falls Ihr aber meint, uns betrügen zu können, so habt Ihr Euch eine Rechnung gemacht, welche wir mit einem einzigen Querstriche quittieren. Von mir will ich nicht sprechen; aber meint Ihr etwa der Mann zu sein, der einen Winnetou irre zu führen vermag? Wir wissen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befinden. Wir würden ihn auch ohne Euch entdecken; wir brauchen ja nur Eure Spur weiter zu verfolgen, doch können wir dadurch Zeit gewinnen, daß Ihr uns die Stelle sagt.«

»Das darf ich nicht; es wäre ein Verrat,« antwortete er.

»Gebt Euch doch nicht auf einmal das Ansehen eines ehrlichen und gewissenhaften Mannes! Wer soviel auf dem Gewissen hat, wie Ihr, dem pflegt es auf etwas mehr oder weniger nicht anzukommen. Uebrigens verlange ich nichts Böses von Euch. Was ich von Euch fordere, ist keine Schande, sondern eine gute That. Entschließt Euch kurz; wir haben keine Zeit! Seid Ihr uns zu Willen, dann gut; wo nicht, so werdet Ihr sehen, was geschieht! Wollt Ihr uns nun sagen, wo der Posten sich befindet?«

Bei dieser Frage ergriff ich eine seiner Hände und drückte dieselbe, daß die Knöchel knackten.

»Haltet ein, haltet ein!« rief er. »Ich will es sagen!«

»Dann gut! Aber redet die Wahrheit! Bis jetzt haben wir keinen Grund, Euch ans Leben zu gehen, und darum versicherte ich Euch, daß es nicht unsere Absicht ist, Euch etwas zu thun; aber falls Ihr uns durch Lügen Fatalitäten bereiten solltet, so gebt Ihr uns die Veranlassung, welche wir jetzt noch nicht haben, und das Messer oder eine Kugel ist Euer Lohn! Wo steht der Posten?«

»Nicht weit von hier,« antwortete er, den Blick starr und bang auf meine Hand gerichtet, mit welcher ich die seinige noch fest umschlossen hielt.

»Wie lange reitet man bis dorthin?«

»Eine gute halbe Stunde.«

»Beschreibt die Gegend! Aber ein einziger unwahrer Buchstabe oder Laut kostet Euch das Leben!«

»Von hier aus geht es über das Grasland, welches Ihr hier vor Euch liegen seht. Dann kommt man wieder an einen Wald, welcher sich bergauf zieht. Jenseits der Höhe giebt es einen Wassertümpel, und an diesem liegt der Posten.«

»Ist der Wald dicht?«

»Ja. Aber es führt ein lichter Streif, fast wie ein ausgehauener Weg nach der Höhe und nach dem Tümpel.«

»Kann man von der Höhe aus den offenen Plan, über den wir reiten müssen, überblicken?«

»Nein. Die Bäume sind zu hoch.«

»Haben die fünf Indianer an dem Tümpel zu bleiben?«

»Natürlich; aber da sie sich durch die Jagd mit Fleisch versorgen müssen, ist es leicht möglich, daß einer von ihnen sich diesseits der Höhe befindet und uns kommen sieht.«

»Womit sind sie bewaffnet?«

»Mit Pfeilen und Lanzen.«

»Wie heißt ihr Anführer, nämlich der Anführer aller Yumas, um welche es sich handelt, auch der dreihundert, die in Almaden sind?«

»Wer sie jetzt befehligt, weiß ich nicht. Später wollte der »große Mund« kommen, mit welchem Melton einen Kontrakt abgeschlossen hat.«

»Das genügt. Das übrige über Melton brauche ich jetzt noch nicht zu wissen. Ihr seid schon einmal in Ures gewesen und kennt den Weg, den man von dort aus nach Almaden alto einzuschlagen hat?«

»Ja.«

»Er führt sehr wahrscheinlich auch an dem Tümpel vorüber, an welchem der Posten liegt?«

»So ist es, denn er stößt dort mit dem von der Hazienda kommenden zusammen.«

Ich hatte diese Frage nicht ohne Absicht gethan; ich dachte dabei an den Haziendero, den Juriskonsulto und die drei Polizisten, welche, wie sich jetzt herausstellte, an dem Posten vorüber mußten und sehr wahrscheinlich in die Hände der Roten gefallen waren. Winnetou hatte denselben Gedanken gehabt, denn er stand, als er die Antwort des Player hörte, auf und sagte:

 

»Wir müssen fort, um die weißen Männer zu retten, welche nicht klug und erfahren genug sind, die Gefahr zu erkennen, welche auf ihrem Wege liegt.«

»So meint mein roter Bruder, daß – —«

Ich sprach meine Frage nicht aus, warf aber dabei auf den Player einen bezeichnenden Blick. Winnetou verstand mich und antwortete:

»Dieses Bleichgesicht hat uns nicht belogen, sondern aus Angst vor der Faust Old Shatterhands die

Wahrheit gesagt. Winnetou kennt den Wald, die Höhe und auch den Tümpel, den er sogar bei Nacht finden würde.«

»Aber jetzt ist es noch lange Tag. Wenn wir schon jetzt aufbrechen, können wir, während wir über die offene Prairie reiten, gesehen werden!«

»Winnetou ist nicht so unvorsichtig, sich den Yumas zu zeigen. Er wird nicht geradeaus und auf der Spur des Gefangenen reiten, sondern einen Umweg südwärts machen. Von dort her sind die fünf Weißen aus Ures gekommen, und wir müssen ihre Spur betrachten, welche wir des Abends nicht sehen würden.«

Er hatte recht wie immer. Wir banden den Player wieder auf sein Pferd und verließen den Platz, indem wir aus unserer bisherigen Richtung nach Süden abbogen. Der grüne Plan, über den wir mußten, zog sich lang nach dieser Richtung hin.

Der Tümpel lag, wie wir gehört hatten, eine gute halbe Stunde nach Osten. Wir ritten wenigstens ebensolange südwärts; dann zeigte es sich, daß die Berechnung des Apatschen stimmte, denn wir trafen auf eine breite Fährte, welche nach Nordosten lief. Winnetou stieg ab, untersuchte dieselbe und meldete dann:

»Fünf Reiter. Es sind unerfahrene Weiße, denn sie ritten nicht hinter-, sondern nebeneinander. Der Häuptling der Apatschen meint, daß er die Männer aus Ures vor sich hat.«

»Wie alt ist die Fährte?« fragte ich.

»Wohl einen ganzen Tag. Wenn Bleichgesichter gegen Indianer ziehen und dabei so breite und lange dauernde Spuren machen, sind sie verloren. Wir haben ihre Fährte entdeckt und werden sie nun auch bald selbst sehen.«

Er stieg wieder auf, und dann folgten wir den Eindrücken der fünf Weißen, vollständig überzeugt, daß wir die unvorsichtigen Personen als Gefangene des Indianerpostens sehen würden.

Der Umweg, welchen wir gemacht hatten, bildete einen nach Süden gerichteten spitzen Winkel. Wir kamen also anstatt gerade aus Westen aus Südsüdwest an den Wald, hinter welchem der Tümpel lag, und durften mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, nicht gesehen worden zu sein. Der Rand des Gehölzes war mit dichtem Unterholze bestanden, in welches wir eindrangen, bis wir eine Stelle fanden, welche sich für unsere Pferde als Versteck eignete. Wir banden dieselben an, hoben den Player aus dem Sattel und befestigten seine Hände und Füße an zwei Bäume. Dann sagte Winnetou zu dem jungen Mimbrenjo:

»Old Shatterhand und Winnetou werden nach dem Tümpel gehen; mein roter, kleiner Bruder aber bleibt hier zurück, bis wir entweder wiederkommen oder er von einem von uns benachrichtigt wird. Er sticht diesem weißen Gefangenen das Messer in das Herz, wenn derselbe ein lautes Wort sprechen oder gar einen Fluchtversuch wagen sollte. Geschieht sonst etwas Unerwartetes, so ist mein Bruder trotz seiner Jugend so entschlossen und klug, daß er selbst weiß, was er zu thun hat. Howgh!«

Man sah dem Jünglinge an, wie stolz ihn das Lob machte. Er zog sein Messer und setzte sich, ohne dem Apatschen eine Antwort zu geben, neben dem Gefangenen nieder. Ich drang mit Winnetou tiefer in den Wald ein, welcher schon jetzt fast steil aufwärts stieg. Nach einer kleinen Weile blieb der Häuptling stehen und fragte, natürlich in leisem Tone:

»Was meint mein Bruder, wie viel Yumas sich bei dem Tümpel befinden werden?«

»Drei,« antwortete ich, ohne lange Besinnung.

»Old Shatterhand hat recht. Wir sind zwei gegen drei und werden die fünf Weißen leicht und schnell frei machen.«

Es war keineswegs ein Wunder, so genau zu wissen, wie viele Rote wir vor uns hatten. Der Player war hier gewesen, um zu melden, daß er uns an der Hazienda gesehen hatte; darauf war natürlich einer von den fünf fortgeritten, um die Meldung nach der Fuente de la Roca zu bringen. Es waren also nach des Players Entfernung vier zurückgeblieben. Darauf kamen die fünf Reiter aus Ures und wurden festgenommen. Natürlich ritt abermals ein Bote nach der Fuente, um die wichtige Botschaft dorthin zu bringen; es konnten also nur noch drei da sein. Die fünf gefangenen Sonntagsreiter waren mit Proviant reichlich versehen, und man hatte ihnen diesen abgenommen; da verstand es sich ganz von selbst, daß es keinem der drei Yumas, welche die fünf zu bewachen hatten, einfiel, auf die Jagd nach Fleisch zu gehen. Meine Antworten waren also höchst selbstverständlich und keineswegs der Beweis eines außerordentlichen Scharfsinnes. Da wir es nun nur mit drei Gegnern zu thun hatten, gab es leichte Arbeit für uns.

Wir stiegen unter den dichten Bäumen so leise aufwärts, daß unsere Schritte in einer Entfernung von drei oder vier Ellen nicht zu hören waren, und erreichten nach kurzer Zeit die Höhe, welche nicht breit war und sich jenseits sehr bald wieder abwärts senkte. Winnetou kroch mit einer Sicherheit unter den Bäumen nieder, als ob er sich schon viele Male in dieser Gegend befunden habe. Dann drehte er sich halb nach mir um und hob warnend den Zeigefinger, um mir anzudeuten, daß jetzt noch größere Vorsicht als bisher nötig sei, legte sich ins Moos und lauschte nach vorn. Dies und der Umstand, daß es jetzt nach Wasser roch, zeigte mir an, daß wir uns ganz nahe an dem Tümpel befanden.

Ich schob mich weiter vorwärts, kam neben Winnetou zu liegen und konnte nun unter den niedersten Zweigen, welche fast die Erde berührten, hinaus auf eine kleine Lichtung sehen, deren Mitte ein stehendes Wasser einnahm. Jedenfalls gab es da einen Quell, welcher so schwach war, daß er nicht abfloß, sondern gleich wieder in den porösen Waldboden versickerte. Das Plätzchen war von drei Seiten von Bäumen und Büschen eingeschlossen; die vierte stand offen; da ging der natürliche Weg vorüber, welcher von der Hazienda del Arroyo nach der Fuente de la Roca führte. Wir lagen diesseits am Rande des Gebüsches; dann kam ein schmaler, mit Binsen und Schilf bewachsener Streifen, worauf der Tümpel folgte. Jenseits desselben saßen, doch nicht am Wasser, sondern ganz nahe bei den Bäumen, drei Indianer, und dort standen auch, an fünf Stämme festgebunden, die Weißen aus Ures. Wir fanden die Verhältnisse genau so, wie wir sie zu finden erwartet hatten.

Die Roten sprachen mit den Weißen, und zwar in dem sprachlichen Gemisch, dessen man sich in jenen Gegenden zwischen den beiden Rassen zu bedienen pflegt. Nicht nur um das Gespräch zu hören, sondern hauptsächlich um die Weißen zu befreien, mußten wir auf die andere Seite hinüber. Wir krochen also in einem Halbkreise um die Lichtung und kamen dann so nahe an die Gruppe zu liegen, daß wir die Worte nicht nur hören, sondern auch verstehen konnten.

Wie zu erwarten gewesen war, befand sich kein Häupt- Häuptling, ja nicht einmal ein einigermaßen hervorragender Krieger unter den Roten, von denen keiner eine Flinte besaß. Die Pferde, auch diejenigen der Gefangenen, waren rundum angebunden und fraßen die Blätter und jungen Zweige ab. Zwei der Indianer saßen auf den frischüberzogenen weißen Kissen des Rechtsgelehrten und ließen sich die Delikatessen, welche dessen Frau für ihn eingepackt hatte, mit sichtlichem Behagen schmecken. Er nahm sich in seiner Galauniform ungemein drollig aus; sie paßte auch gar zu wenig zu der Umgebung, in welcher er sich befand. Die Angst, welche so deutlich, wie mit Buchstaben geschrieben, in seinen Zügen zu lesen war, entsprach sehr wenig der Aufgabe, mit welcher ihn seine Sennora in die Berge geschickt hatte. Ich glaubte sogar, Schweißtropfen auf seiner Stirn zu bemerken. Seine Untergebenen, die Polizisten, befanden sich in derselben Stimmung wie er, und der Haziendero machte auch nicht den Eindruck eines Helden, der seiner Fesseln zu lachen vermag. Man hatte ihnen die Taschen ausgeleert und alles, natürlich auch die Waffen, abgenommen. Diese Gegenstände lagen auf einem Haufen, um später geteilt zu werden.

Von den drei Roten schien derjenige, der sich mehr spanische Ausdrücke als die beiden andern angeeignet hatte, das Wort zu führen. Er that dies in einer Weise, aus welcher hervorging, daß es seine Absicht war, den Weißen noch mehr Angst zu machen, als sie schon jetzt besaßen. Eben als ich mich so zurechtgelegt hatte, daß ich, hinter einem Busche steckend, ruhig zuhören konnte, hörte ich ihn sagen:

»Wir sehen euch an, daß ihr sehr tapfere Krieger seid, doch ist es gut gewesen, daß ihr euch nicht gewehrt habt, denn wenn das geschehen wäre, hätten wir euch augenblicklich getötet; nun aber werdet ihr noch einige

Tage leben dürfen, denn wir werden euch die Haut in Streifen abschneiden, um Riemen daraus zu machen.«

»Die Haut – Streifen – Riemen!« schrie der Juriskonsulto auf. »Mein gütiger, mein allgütiger Himmel! Das ist Mord; das ist Qual; das ist die größte Marter, die es giebt!«

»Bist du denn nicht der erste und oberste Mann in der Stadt, welche Ures heißt?«

»Der bin ich, ja; ich habe es Ihnen schon gesagt, wertester Sennor.«

»So wisse, daß es bei uns gebräuchlich ist, je vornehmer der Mann, desto größer die Qual, unter welcher er zu sterben hat. Was sind die drei Männer, die zu dir gehören?«

»Sie sind Polizisten, Untergebene von mir.«

»So werden wir ihnen weniger Martern bereiten. Wir skalpieren sie erst, und dann stechen wir ihnen die Augen aus.«

Die drei stießen einen Schrei des Entsetzens aus. Der Rote grinste sie höhnisch an und fuhr, zu dem Haziendero gewendet, fort:

»Und du bist Don Timoteo, ein sehr reicher Mann. Dir schneiden wir die Hände ab. Ihr seid unsere Feinde; also müßt ihr alle qualvoll sterben.«

»Ich zahle euch ein Lösegeld, wenn ihr mir die Freiheit gebt!«

»Die roten Männer brauchen kein Geld. Das ganze Land gehört ihnen; was ihr habt, das habt ihr ihnen geraubt. Ihr braucht es ihnen nicht zu schenken, denn sie werden es sich selbst wiedernehmen, und ihr müßt sterben.«

»Auch ich zahle ein Lösegeld!« rief der Juriskonsulto. »Ich gebe Ihnen hundert Piaster!«

Der Indianer lachte.

»Zweihundert Piaster!«

»Du bist der reichste Mann in Ures und willst so wenig geben?«

»So gebe ich dreihundert, fünfhundert Piaster, wertester Sennor!«

»Du hast gehört, daß wir kein Geld haben wollen, weil wir keines brauchen. Ihr müßt sterben. Ich habe einen Boten fortgeschickt und noch heute wird der »schnelle Fisch« kommen, um zu bestimmen, welches Todes ihr sterben sollt.«

Bei dieser Drohung kam dem Haziendero ein Gedanke, dem er, um die Roten einzuschüchtern, sofort Ausdruck gab:

»Wenn ihr uns das geringste Leid anthut, wird es euern eigenen Tod zur Folge haben. Wir haben mächtige Freunde, welche uns rächen werden!«

»Wir verachten eure Freunde. Es giebt keinen Weißen, welchen ein Yumakrieger zu fürchten hat.«

»Es giebt einen, den ihr alle fürchtet, Old Shatterhand!«

Der Rote machte eine verächtliche Handbewegung und antwortete:

»Old Shatterhand ist ein weißer Hund, den wir mit einem Hiebe auf die Schnauze töten würden, wenn er zu uns käme. Aber er wird sich hüten, zu kommen, denn er befindet sich nie in dieser Gegend.«

»Du irrst. Er war auf meiner Hazienda, und dann habe ich mit ihm in Ures gesprochen. Er will nach der Fuente und nach Almaden, um die fremden Arbeiter zu befreien.«

Jetzt wurde der Rote aufmerksam. Er schien den Haziendero mit dem Blicke, den er auf ihn richtete, durchbohren zu wollen, sagte dann aber in ungläubigem Tone:

»Du lügst; du willst uns bange machen; aber ein Yuma kennt keine Angst.«

»Ich lüge nicht. Sennor, bestätigen Sie es mir!«

Diese Aufforderung war an den Beamten gerichtet; dieser ergriff den Faden, an welchem er sein Leben hängen wähnte, und bekräftigte:

»Es ist so; Don Timoteo hat die Wahrheit gesagt; Sie können es glauben, wertester Sennor. Old Shatterhand war auch bei mir, und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, befand sich bei ihm.«

Mir war es höchst unlieb, daß die Leute von uns sprachen, sie hätten unter andern Umständen, oder wenn wir uns hier nicht schon befunden hätten, sich und uns den größten Schaden machen können. Dennoch war es interessant, zu sehen, welche Wirkung unsere Namen hervorriefen.

»Uff, uff!« fuhr der Rote auf, indem er in die Höhe sprang. »Winnetou war bei euch? Und Old Shatterhand befand sich bei ihm?«

»Ja. Old Shatterhand war sogar zweimal bei mir, wertester Sennor. Die beiden berühmtesten Männer sind über die Hazienda del Arroyo geritten, um uns nachzukommen.«

 

Da streckte der Rote seine Hand gegen seine beiden Kameraden aus und rief:

»Haben meine roten Brüder gehört, was gesagt wurde? Old Shatterhand befindet sich bei Winnetou, und das Bleichgesicht, welches Player genannt wird, meldete uns, daß Winnetou bei der Hazienda gewesen sei. Es stimmt also; es ist, wie die Weißen hier sagen. Winnetou ist mit Old Shatterhand unterwegs hierher. Wir müssen diesen Ort mit den Gefangenen hier verlassen und uns verstecken, alle Spuren vertilgen, und einer von euch muß dem »schnellen Fische« entgegenreiten, um ihn zu warnen. Die beiden Krieger sind gefährlicher, als hundert andere. Der Player erzählte uns, daß der »große Mund« Old Shatterhand gefangen und fortgeführt habe; wenn er wieder bei der Hazienda war, so hat er sich selbst befreit und wird Rache gegen uns schnauben wie ein wilder Büffel, welcher selbst den Bären des Gebirges besiegt. Wir befinden uns also in größter Gefahr und – —«

Er kam nicht weiter; es gab für ihn eine Unterbrechung, auf welche er am allerwenigsten vorbereitet war. Winnetou war bei den letzten Worten wie ein Blitz empor-, aus dem Busch und auf ihn zugeschnellt, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in seiner ruhigen und doch so imponierenden, ja, wenn er wollte, niederschmetternden Weise:

»Also hat der Yuma vorhin gelogen, als er sagte, daß ein Yuma keine Angst kenne! Er wollte Old Shatterhand wie einen Hund mit einem Hiebe auf die Schnauze erschlagen, und nun er hört, daß der weiße Krieger sich in der Nähe befindet, will er sich verstecken, weil er weiß, daß Old Shatterhand und Winnetou mehr sind als hundert andere Krieger. Ich sage euch, kein Yuma wird Old Shatterhand schlagen, denn noch ehe er den Arm dazu erhöbe, würde er zerschmettert sein!«

Das war wieder einmal ein Augenblick, an welchem der Apatsche sich in seiner so einfachen und doch so überwältigenden Größe zeigte. Er hatte keine Waffe in der Hand. Seine Silberbüchse hing ihm auf dem Rücken, und sein Messer steckte unberührt im Gürtel; aber er stand so stolz vor dem Yuma, leuchtete ihm mit solchen Augen ins Gesicht und drückte ihm die Hand mit solcher

Gewalt auf die Schulter, daß dem Manne die Sprache versagte. Die beiden andern Yumas waren auch aufgesprungen; sie standen ebenso starr vor Ueberraschung da. Ihre Messer hatten sie bei sich; ihre Lanzen, Bogen und Pfeile lagen seitwärts auf der Erde; diese brauchten wir nicht zu fürchten. Da ermannte sich der Sprecher, trat einen Schritt zurück und fragte:

»Ein fremder, roter Krieger! Wer – – wer – – wer – —«

Er wollte fragen, wer der fremde Indianer sei, brachte aber die Frage, weil er seinen Schreck noch immer nicht überwunden hatte, nicht ganz heraus, erhielt jedoch die Antwort von dem Haziendero, welcher jubelnd ausrief:

»Winnetou, ja Winnetou ist‘s! Dem Himmel sei Dank; wir sind gerettet!«

»Win – – Winne – – Winnetou?« fragte der Yuma mit stockendem Atem. »Der Apatsche ist da?! Uff! Nehmt die Waffen und wehrt euch, ihr Krieger, denn – —«

Er griff nach seinem Messer; die andern beiden waren nicht so schnell; die Angst lähmte nun, da sie seinen Namen hörten, erst recht ihre Glieder. Winnetou schleuderte mit seinem Fuße ihre Lanzen und Pfeile ins Wasser und herrschte ihm zu:

»Schweig, Yuma, und rühre dich nicht! Da steht Old Shatterhand! Oder willst du versuchen, ihm einen Hieb auf die Schnauze zu geben?«

Dieser Ausdruck war mir nur lächerlich erschienen; Winnetou aber hatte sich über denselben geärgert, sodaß er ihn nun schon zum zweitenmale wiederholte. Indem er die letzteren Worte sprach und auf mich zeigte, trat ich zwischen den Büschen hervor und hielt in jeder Hand einen Revolver, beide auf die Yumas gerichtet.

»Das – das ist – – Old Shatterhand?« fragte der Yuma, die Augen nicht starr, sondern stier auf mich gerichtet.

Er war es, dem ich Widerstand mehr und eher zutraute, als seinen Gefährten; er mußte also auch eher als sie unschädlich gemacht werden; darum stand ich mit einem schnellen Schritte vor ihm und antwortete:

»Ja, das ist – – das ist Old Shatterhand, wie du sogleich fühlen sollst!«

Den Griff des rechten Revolvers fest mit der Hand umschließend, schlug ich ihm denselben auf den Kopf, daß er niederstürzte und sich nicht rührte; dann donnerte ich seine Genossen an:

»Werft die Messer weg, sonst habt ihr augenblicklich eine Kugel!«

Sie gehorchten sofort; es war die erste Bewegung, welche sie machten.

»Legt euch nieder, und rührt euch nicht!«

Auch das thaten sie schnell und ohne Widerrede. Nun wurden die fünf Gefangenen losgemacht und aufgefordert, mittels der Riemen, mit denen sie gefesselt gewesen waren, die drei Roten zu binden. Es läßt sich denken, wie rasch sie diesem Gebote nachkamen. Der hasenherzige Juriskonsulto warf sich natürlich auf den betäubten Indianer, da er diesen nicht zu fürchten brauchte, und rief, indem er ihm die Riemen mit dem Eifer eines Henkers um die Hände und die Füße schlang:

»Ja, gefesselt soll er werden, gebunden und erschlagen wie ein toller Hund, der Schuft, der Schurke! Ich werde ihn in Ketten und Banden nach Ures bringen, damit man dort sieht, daß ich als Sieger mit den wildesten Bestien des Gebirges in ritterlichem Kampfe gestanden habe. Ich kehre als Sieger heim; wer kann mir widerstehen!«

Auch diese Prahlerei war eigentlich lächerlich, doch ärgerte sie mich, da der Mann von seinem Ruhme sprach, ohne ein Wort für seine Retter zu haben. Darum fuhr ich ihn nicht eben höflich an:

»Schweig, Prahlhans! Wer hat den Yuma niedergeworfen, Sie oder ich? Bedanken Sie sich gefälligst bei mir!«

Da richtete er sich auf und antwortete in halb beleidigtem und halb vorwurfsvollem Tone:

»Sennor, ich bin – – nun, Sie wissen doch, was ich bin, und haben nur gethan, was Ihre Schuldigkeit war; das will ich freundlich anerkennen, aber mich dafür bedanken, das habe ich nicht nötig. Nicht wahr, Don Timoteo?«

»Sehr richtig, sehr richtig!« nickte der edle Haziendero. »Wir sind selber Manns genug und brauchen keinen, der nichts anderes weiß, als sich nur immer in unsere Angelegenheiten zu mischen!«

Das war wirklich stark! Es zuckte mir in den Fäusten. Was hatte ich nicht für diesen »Don« gethan! Ich mußte wirklich meine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um mich ohne die gehörige Antwort abwenden zu können; aber es gab einen Anwalt für mich, welcher die Nichtswürdigkeit ebenso fühlte, wie ich, und in diesem Falle aber weniger Geduld besaß, als ich. Kaum waren die Worte gesprochen und kaum hatte ich mich umgewendet, so hörte ich hinter mir zwei Schläge. Mich rasch wieder umdrehend, sah ich den Haziendero und den »Juriskonsulto« am Boden liegen. Winnetou hatte sie mit dem Kolben seines Gewehres niedergeschlagen und holte schon wieder aus, dasselbe auch mit den Polizisten zu thun, welche vor Schreck über seine blitzschnelle That nicht an Flucht oder Gegenwehr dachten.

»Halt, diese nicht!« rief ich, indem ich ihm ins Gewehr fiel. »Sie können nichts dafür.«

Er ließ den Kolben sinken und antwortete in seinem entschlossensten Tone, indem seine Augen Blitze sprühten:

»Gut, mein Bruder will es so. Sie sollen also verschont bleiben, aber nur dann, wenn sie sich wieder an die Bäume binden lassen, sonst zerschmettere ich ihnen die Köpfe!«

Zugleich stellte er sich zwischen sie und den Haufen, auf welchem nebst den ihnen abgenommenen andern Sachen auch ihre Gewehre lagen. So zornig, wie in diesem Augenblicke, hatte ich den Apatschen noch nie gesehen. War es sein wirklich furchterweckender Anblick, oder war es die Folge alles dessen, was in den letzten zehn Minuten so Außergewöhnliches geschehen war, der eine Polizist trat vor, streckte mir seine Hände hin und sagte:

»Ja, binden Sie uns, Sennor; wir weigern uns nicht, es geschehen zu lassen! Ich weiß, Sie werden uns nichts thun, sondern es geschieht nur, um den beiden undankbaren Sennores zu zeigen, mit wem sie es zu thun haben. Hoffentlich sind sie nicht tot; ich aber glaube, Ihnen unsere Dankbarkeit am besten dadurch beweisen zu können, daß wir uns in Ihre Forderung fügen.«