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Durch das Land der Skipetaren

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»Sie sind weder Freunde, noch Feinde. Sie sind eben Nachbarn, welche gezwungen sind, nebeneinander auskommen zu müssen. Der Konakdschi hat etwas Falsches und Heimliches an sich.«

»Weißt du nicht, ob er vielleicht mit anrüchigen Leuten verkehrt?«

»In einem so einsamen Konak kehren allerlei Menschen ein. Da läßt sich nichts sagen. Höchstens könnte ich erwähnen, daß er mit dem alten Scharka verkehrt. Das ist kein gutes Zeichen.«

»Wer ist dieser Scharka?«

»Ein Köhler, welcher mit einigen Gehilfen droben in den Bergen haust. Er soll eine tiefe finstere Höhle bewohnen, und man raunt sich zu, in der Nähe derselben sei Mancher begraben, der keines natürlichen Todes gestorben ist. Der einsame Pfad, welcher über die Berge führt, geht durch sein Gebiet, und es ist eigentümlich, daß gar mancher Wanderer dasselbe betritt, ohne es jemals wieder zu verlassen. Und immer sind es Leute, welche Geld oder sonstiges wertvolles Eigentum bei sich getragen haben.«

»So ist dies ja eine wahre Mördergrube! Ist man denn den Missetaten dieses Mannes nicht auf die Spur gekommen?«

»Nein; denn es wagt sich nicht so leicht jemand zu ihm. Seine Gehilfen sollen rohe und bärenstarke Leute sein, mit denen man es nicht aufzunehmen vermag. – Es wurde einmal eine Abteilung von dreißig Mann Soldaten hinaufgeschickt, um die Aladschy zu fangen, welche sich bei ihm aufhielten. Die Soldaten sind unverrichteter Dinge zurückgekommen, nachdem ihnen sehr übel mitgespielt worden war.«

»Von wem?«

»Das wußten sie nicht. Sie wurden stets nur des Nachts von Leuten überfallen, die sie niemals recht zu Gesicht bekamen.«

»Also die Aladschy waren auch bei dem Köhler! Kennst du sie?«

»Nein,« erwiederte er.

»Und doch hast du sie heute gesehen, die beiden Kerle auf den scheckigen Pferden, welche mit Manach el Barscha ritten. Der Name dieser berüchtigten Brüder stimmt mit der Farbe ihrer Pferde.«

»Allerdings! Wer hätte das gedacht! Ich habe die Aladschy gesehen! Nun wundere ich mich auch nicht, daß diese Menschen den Fährmann mit Peitschenhieben bezahlten. Sie reiten nach Treska-Khan; dort bleiben sie jedenfalls nicht. Vielleicht wollen sie wieder den Köhler aufsuchen.«

»Das ist allerdings wahrscheinlich.«

»So bitte ich dich um Gottes willen: reite ihnen nicht nach! Der Köhler und seine Leute sollen halbwilde Menschen sein, welche den stärksten Wolf mit der Hand erdrücken.«

»Ich kenne Menschen, die das auch vermögen, obgleich sie nicht halb oder ganz wild sind.«

»Aber es ist doch besser, solche Subjekte lieber zu vermeiden!«

»Das kann ich nicht. Ich habe dir bereits gesagt, daß es gilt, ein Verbrechen zu verhüten. Und ebenso gilt es, ein grausiges Verbrechen zu rächen. Es gilt Leuten, welche Freunde von meinen Freunden sind.«

»Kannst du nicht Andere damit beauftragen?«

»Nein, die würden sich fürchten.«

»So übergib die Sache der Polizei!«

»O wehe! Die würde sich noch viel mehr fürchten. Nein, ich muß diesen fünf Reitern folgen, und wenn ich dabei mit allen Kohlenbrennern der Welt in Konflikt käme.«

»So ist mir angst und bange um dich. Dieser Scharka ist ein wahrer Teufel. Seine Haut soll behaart sein, wie diejenige eines Affen, und er soll das Gebiß eines Panthers haben.«

»Das ist doch wohl übertrieben?«

»Nein. Ich erfuhr es von Leuten, welche ihn gesehen haben. Du kannst es wirklich nicht mit ihm aufnehmen.«

»List und Klugheit gehen über alle Körperkraft,« erwiderte ich. »Uebrigens, wenn es dich beruhigt, so will ich dich bitten, mir dies hier nachzumachen.«

Es lag eine Eisenbahnschiene auf der Erde. Ich hob sie auf, nicht in der Mitte, und hielt sie ihm mit ausgestreckten Armen entgegen. Er trat zurück und rief:

»Effendi, bist du – bist du – — alle Wetter, ja, wenn es so ist, so erdrückst du auch mit Leichtigkeit einen Wolf!«

»Pah! Wer sich auf seine rohe Kraft verläßt, der pflegt verlassen zu sein. Ein wenig Nachdenken ist besser als größte Körperstärke. Uebrigens sind wir so gut bewaffnet, daß wir uns vor keinem zu fürchten brauchen.«

»Und« – fügte Halef in stolzem Ton hinzu, indem er auf sich selbst deutete – »mein Effendi ist nicht allein, sondern er hat mich, seinen bewährten Freund und Beschützer bei sich. Da sollen die Heerscharen der Feinde es nur wagen, an uns zu kommen! Wir werden sie aufzehren, wie das Schwein des Busches die Heuschrecken frißt.«

Das klang gar zu possierlich. Seine Körperlänge paßte gar nicht zu dem hohen Selbstbewußtsein, mit welchem er diese Worte vorbrachte. Ich blieb ernst, weil ich den Kleinen kannte; der Aufseher aber konnte sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren.

»Lachst du etwa?« fragte Halef. »Ich dulde keine Beleidigung! Selbst von dem nicht, dessen Schinken und Wurst ich gegessen habe. Wenn du mich näher kenntest, würdest du vor meinem Zorn zittern und vor meinem Grimm beben!«

»Ich bebe beinahe,« meinte der Aufseher, indem er das ernsthafteste Gesicht zeigte.

»O, das ist noch lange nichts! Du mußt beben, daß dir die Seele hörbar an die Wände deines Leibes klappert. Du weißt nicht, mit welchen Tieren und Menschen wir gekämpft haben. Wir haben den Löwen, den Herrn der Wüste, getötet und mit Feinden gekämpft, bei deren Anblick du dich da in den Kasten zu dem geräucherten Hinterteil des Schweines verkriechen würdest. Wir haben Taten verrichtet, die uns unsterblich machen. Von uns wird geschrieben stehen in den Büchern der Helden und in den Schriften der Unüberwindlichen. Wir lassen nicht über uns lachen, das merke dir! Kennst du etwa meinen Namen?«

»Nein; aber ich habe vernommen, daß der Effendi dich Halef nennt.«

»Halef!« meinte der Kleine in verächtlichem Ton. »Was ist Halef? Gar nichts. Halef heißen viele Leute. Aber sind diese Leute Hadschis? Haben sie Väter und Vätersväter, Ahnen und Großahnen der Urväter, welche alle auch Hadschi gewesen sind? Ich sage dir, ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Meine Vorfahren gehörten zu den Helden, welche vor so langer Zeit lebten, daß kein Mensch mehr etwas von ihnen weiß; ich selbst auch nicht. Kannst du das vielleicht von deinen Ahnen sagen?«

»Ja.«

»Wie?«

»Ich weiß auch nichts von ihnen.«

Der Aufseher sagte das in ironischem Ernst. Halef blickte ihm schweigend und zornig ins Gesicht, machte dann eine sehr geringschätzige Handbewegung, drehte sich um und ging mit den Worten hinaus:

»So schweige! Wer von seinen Ahnen nichts weiß, der darf sich mit mir gar nicht vergleichen!«

»Aber,« rief der Andere ihm lachend nach, »du hast ja eben jetzt gestanden, daß du selbst auch von den deinigen nichts weißt!«

»Das sind die meinigen, aber nicht die deinigen. Von ihnen brauche ich nichts zu wissen, denn sie sind so berühmt, daß man gar nichts von ihnen zu wissen braucht!« schrie der Hadschi in höchstem Zorn zurück.

»Das ist ein sonderbares Kerlchen, dein Begleiter,« lachte der Aufseher.

»Ein braver Mann, treu, gewandt und ohne Furcht,« antwortete ich. »Er fürchtet sich wirklich nicht vor dem Köhler. Das hat er dir sagen wollen, aber freilich in seiner Weise. Er ist eigentlich ein Bewohner der Wüste, und diese Männer lieben es, sich in solcher Weise auszudrücken. Jetzt möchte ich einmal nach meinem Schneider sehen. Vielleicht ist derselbe nun mit meinem Anzug fertig geworden.«

»Und ich muß den Leuten ihre Arbeit anweisen. Du wirst mich entschuldigen, Effendi.«

Wir verließen die Hütte. Eben als ich die andere betreten wollte, hörte ich scheltende Stimmen hinter der Türe. Diese wurde aufgestoßen, so daß sie mir fast ins Gesicht flog, und es kamen zwei Männer heraus, welche an mich anrannten, nämlich Halef, in der einen Hand meine Hose und in der andern den Schneider. Er zog denselben hinter sich her, so daß er mir den Rücken zukehrte und also nicht sah, an wen er rannte. Sich halb umdrehend, schrie er mich an:

»Dummkopf, hast du keine Augen!«

»Freilich habe ich Augen, Halef,« antwortete ich.

Er fuhr herum, und als er mich sah, sagte er:

»Ah, Sihdi, soeben wollte ich zu dir!«

Er befand sich in höchstem Zorn, riß den armen Teufel einen Schritt näher an mich heran, hielt mir die Hose hin und fragte mich:

»Sihdi, wieviel hast du für diese Hose bezahlt?«

»Hundertdreißig Piaster.«

»So bist du dumm gewesen, so dumm, daß es mich erbarmen möchte!«

»Warum?«

»Weil du hundertdreißig Piaster bezahlt hast für etwas, was eine Hose sein soll, aber keine ist!«

»Was ist es denn?«

»Ein Sack, ein ganz gewöhnlicher Sack, in welchen du alles tun kannst, was dir beliebt: Erbsen, Mais, Kartoffeln, meinetwegen auch Eidechsen und Frösche. Glaubst du das etwa nicht?«

Er blickte mich so grimmig an, daß ich mich hätte fürchten mögen. Ich antwortete ruhig:

»Wie kommst du dazu, mein Beinkleid einen Sack zu nennen?«

»Wie ich dazu komme? Da sieh her!«

Er fuhr mit der Faust in das Hosenbein, welches zerrissen gewesen war, konnte aber mit dem Arm nicht unten heraus. Der brave Schneider hatte des Guten zu viel getan und, indem er den Riß reparieren wollte, das Bein zugeflickt.

»Siehst du es? Siehst du die Ueberraschung und das Herzeleid?« schrie Halef mich an.

»Allerdings.«

»Fahre einmal mit dem Bein hinein!«

»Das werde ich bleiben lassen.«

»Aber hinein willst du doch, hinein mußt du doch, dazu ist die Hose da, aus der nun ein armseliger, elender Sack geworden ist. Jetzt steht dir nichts anderes zu, als daß du mit einem bekleideten und einem nackten Bein in der Welt herum reitest. Was werden die Leute sagen, wenn sie dich sehen, dich, den berühmten Effendi und Emir! Und wo sollst du hier in dem elenden Dorf eine andere Hose hernehmen!«

»Brauche ich denn eine andere?«

»Freilich, natürlich! Du kannst diese doch nicht anziehen!«

 

»Freilich kann ich sie anziehen.«

»Wie denn? Doch nur mit einem Bein!«

»Nein, mit beiden Beinen. Dieser überfleißige Schneider braucht nur die Naht wieder aufzutrennen, und den Riß zu flicken.«

»Die – Naht – auf – — trennen!« rief Halef, mich starr anblickend. Dann brach er in ein lautes Lachen aus und fügte hinzu:

»Sihdi, da hast du recht. Daran habe ich in meinem Zorn gar nicht gedacht – — die Naht wieder auftrennen, das ist das Richtige!«

Das angstvolle und verlegene Gesicht des Schneiders heiterte sich wieder auf; aber er kam doch nicht so gut davon, wie er denken mochte, denn der Hadschi fuhr ihn an:

»Kerl, siehst du denn endlich ein, welch eine ungeheure Dummheit du begangen hast! Erst flickst du das Hosenbein zu, und dann weißt du nicht einmal Hilfe zu schaffen!«

»O, ich habe es gewußt, aber du hast mich nicht zu Worte kommen lassen,« verteidigte sich der arme Schelm.

»O Allah, Allah, was gibt es doch für Menschen! Ich habe dich in aller Ruhe gefragt, wie diesem Fehler abzuhelfen sei; ich habe mit der Geduld eines Marabuh auf deine Antwort gewartet; du aber standest da, als ob du ein Kamel verschluckt habest, dessen Höcker dir im Halse stecken geblieben sei, und da habe ich dich bei deinem eigenen Höcker genommen, um dich zum Effendi zu führen. So ist die Sache gewesen. Kannst du denn diese Naht wieder auftrennen?«

»Ja,« erwiderte der Schneider kleinlaut.

»Und wie lange wird dies dauern?«

»Zwei bis drei Stunden.«

»O Allah! So sollen wir also wegen deiner Flickerei noch bis zum Abend warten? Das geht nicht, das können wir nicht zugeben.«

»Es wird nicht so lange dauern,« sagte ich, »denn ich werde ihm helfen.«

»Wie verträgt sich das mit der Würde deines Berufes und mit der Macht deiner persönlichen Erscheinung?«

»Sehr gut. Ich werde mich mit diesem guten Mann, der ein schlechter Schneider ist, hier hereinsetzen. Während er mir die andern Sachen ausbügelt und wahrscheinlich verbrennt, will ich das Hosenbein kurieren. Sage mir doch einmal, du Künstler der Nähnadel, ob du denn wirklich ein Schneider bist!«

Der Mann kratzte sich hinter dem Ohr, drückte und drückte und ließ endlich die Antwort hören:

»Effendi, eigentlich nicht.«

»So! Was bist du denn eigentlich?«

»Ein Dürger doghramadschy[127]

»Wie aber kommst du auf den kühnen Gedanken, dich für einen Schneider auszugeben?«

»Weil ich zwei Bügeleisen habe.«

»Von wem?«

»Von meinem Großvater, welcher ein wirklicher Schneider war. Es ist das einzige, was ich von ihm geerbt habe. Nun habe ich mir noch Nadel und Zwirn gekauft, und wenn es Gelegenheit gibt, so bessere ich den Leuten die Kleider aus, weil ich jetzt als Tischler keine Arbeit habe. Darum bin ich auch hier bei dem Bau der Bahn beschäftigt.«

»So bist du ja ein sehr vielseitiger Mann. Also du besserst Kleider aus! Wohl auch in der Art und Weise, wie du es bei dieser meiner Hose getan hast?«

»Nein, Effendi! Das war nur ein Versehen.«

»Also zwei Bügeleisen hast du wirklich? Kannst du bügeln?«

»O, ausgezeichnet!«

»Nun, so wollen wir uns miteinander an die Arbeit machen. Aber sieh, was ist denn das?«

Ich zog die von ihm angefertigte Naht auseinander und zeigte sie ihm. Er wußte aber nicht, was ich meinte, und blickte mich fragend an.

»Wie sieht denn der Stoff aus?«

»Dunkelblau, Herr.«

»Und welche Farbe hat der Zwirn, den du genommen hast?«

»Er ist weiß.«

»Das sieht ja schrecklich aus. Hast du denn keinen dunklen Zwirn, vielleicht schwarzen?«

»Genug!«

»Warum hast du keinen solchen genommen?«

»Der weiße ist noch einmal so stark als der schwarze; darum dachte ich, er werde besser halten, so daß der Riß nicht wieder aufgeht, wenn du vielleicht wieder einmal in den Kleidern schwimmen mußt.«

»Du bist ein sehr vorsorglicher Mensch, wie ich sehe. Ich aber werde mir erlauben, schwarzen Zwirn zu nehmen. Also, komm herein!«

»Soll ich mithelfen, Sihdi?« fragte Halef.

»Ja, du kannst die Hose halten, während ich die Stiche mache.«

Die Hütte war leer, da sich die Leute jetzt an der Arbeit befanden. Ich setzte mich mit Halef und dem Beinkleid auf ein Brett. Wir erhielten Nadel und Zwirn; anstatt der Schere hatten wir unsere Messer, und so konnten wir die Arbeit beginnen. Ich hatte mir als Schüler manchen Knopf angesetzt und zuweilen auch einen kleinen Riß geheilt; ich wußte so leidlich den Unterschied zwischen Hinter- und andern Stichen; darum begann ich das große Werk mit vielem Selbstvertrauen. Unterdessen arbeitete der Tischler-Schneider am Ofen herum und warf Holzscheite hinein, als ob er einen Stier hätte braten wollen. Die Kacheln strömten eine Wärme aus, welche mich an die schönen Tage der Sahara gemahnte. Meine Kleider waren trocken; sie brauchten nur noch gebügelt zu werden.

Der Künstler nahm zunächst die Weste her, legte sie auf ein Brett und holte mit einer Zange das Bügeleisen aus der Feuerung. Es war hochrot; der Holzgriff war verbrannt. Der Mann sah vom Bügeleisen auf mich und von mir auf das Bügeleisen und kratzte sich dabei abermals sehr nachdrücklich den Hinterkopf.

»Was willst du denn?« fragte ich ihn.

»Eine Frage, Herr. Was soll ich nun machen?«

»Bügeln!«

»Aber wie?«

»Wie immer. Du kannst es ja ausgezeichnet.«

»Hm! Das ist eine sehr verwickelte Geschichte.«

»Wie so?«

»Bügle ich jetzt, so ist das Eisen glühend, und ich verbrenne den Jelek[128]. Warte ich, bis das Eisen kalt ist, so verbrenne ich ihn nicht, aber das Eisen bügelt auch nicht. Kannst du mir vielleicht einen Rat geben? Ich habe gehört, daß du ein weit gereister Effendi bist; vielleicht hast du einmal bei einem Schneider zugesehen, wie er es macht.«

»Höre, ich habe deinen Großvater in einem sehr schlimmen Verdacht.«

»Tue das nicht, ich bitte dich! Mein Großvater – Allah schaue auf ihn im Paradiese – war ein frommer Moslem und ein braver Untertan des Padischah.«

»Das mag sein; aber ein Schneider ist er nicht gewesen.«

Jetzt erhob der Künstler auch den andern Arm, um sich mit beiden Händen kratzen zu können. Er bot ein Bild komischster Verzweiflung, antwortete aber nicht.

»Nun, wie ist es? Habe ich recht?«

»Effendi,« stieß er hervor, »woher weißt du das denn?«

»Ich errate es. Sage mir also, was er eigentlich war.«

»Nun, wenn du es denn wirklich wissen willst, er war eigentlich ein Odundschu[129] und schneiderte nebenbei auch für die andern Holzhacker. Die Bügeleisen aber hatte er, glaube ich, auch von seinem Großvater geerbt.«

»Der wohl auch wieder kein Schneider gewesen war?« lachte ich hellauf. »Bist du verheiratet?«

»Nein; aber ich werde es bald sein.«

»So beeile dich, damit du diese berühmten Bügeleisen an deine Enkel vererben kannst. Man muß dem Beispiel seiner Väter treu zu bleiben suchen, und ich hoffe, daß die Eisen niemals in eine andere Familie geraten.«

»Nein, Herr, das werde ich nicht zugeben,« versicherte er ernsthaft. »Von diesem treuen Miras nazargiahi[130] wird meine Familie sich nimmer trennen. Aber ich muß dich doch bitten, mir zu befehlen, was ich tun soll.«

»Ich befehle dir, dieses Erbstück gar nicht wieder anzurühren. Muß ich mir meine Hose selbst ausbessern, so kann ich mir nachher auch die Sachen selbst ausbügeln.«

Er nahm die Hände aus den Haaren, tat einen tiefen Atemzug und war mit zwei großen Schritten zur Türe hinaus. Halef wäre ihm am liebsten mit der Peitsche nachgeeilt, um ihn dafür zu züchtigen, daß er sich für einen Uruwadschi terziji oder – in modisches Deutsch wörtlich übersetzt – für einen Marchand tailleur ausgegeben hatte, ohne das Geringste von der Sache zu verstehen. Ich suchte ihn durch den guten Rat zu beruhigen, sich nicht immer durch Titel und Würden Anderer blenden zu lassen.

Gestehen will ich es aufrichtig, daß das Bügeln mir auch nicht schneidig von der Hand ging, zumal meines Wissens niemals ein Bügeleisen in meiner Familie vererbt worden war; aber als ich das Meisterstück schließlich zu Ende gebracht hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als möglichst stolz auf mein Werk zu sein, worin Halef mich aus allen Kräften bestärkte. Er behauptete, niemals so kräftige und haltbare Stiche wie die meinigen gesehen zu haben, und freute sich ganz besonders darüber, daß die gebügelten Stücke einen gewissen Glanz angenommen hatten, fast so, als ob sie mit Speckschwarte eingerieben worden seien. Meister des Handwerks haben mir später die Versicherung gegeben, daß ich mir auf diesen Umstand gar nichts einbilden dürfe.

Jetzt kam der Aufseher mit seinem Schwager, welcher meldete, er sei bereit, mit uns aufzubrechen. Der Schneider mochte berechnet haben, daß eine Inanspruchnahme seiner Kunst nicht mehr zu fürchten sei. Er steckte den Kopf zur Türe herein und kam, als er mich in meinem eigenen Anzug dastehen sah, mit frohem Gesicht vollends heran.

»Herr,« sagte er, »wie ich sehe, bist du fertig. Aber da du meine zwei Bügeleisen dabei gebraucht hast, so hoffe ich, daß du mich dafür mit einem tüchtigen Backschisch beglückst.«

»Das sollst du erhalten,« sagte Halef.

Er verschwand in dem Verschlage und kehrte mit den »Stiefeln der Gicht« zurück. Sie sahen mehr Düten als Stiefeln ähnlich. Halef hielt sie dem Bittsteller hin und sagte in gütigem Tone:

»Wir verehren dir diese Kablar fil ajaklari[131] als ein ewiges Anerkennungszeichen deiner Kunstfertigkeit. Tue sie zu deinen Bügeleisen, und vererbe sie an deine Enkel und Enkelsenkel, damit diese deine Nachkommen ein bleibendes Andenken daran haben, daß ihr Ahne die große Kunst verstanden hat, Hosenbeine zusammen zu nähen. Allah schuf Affen und Esel; dich aber schickte er als die Krone dieser Schöpfung her nach Rumelia!«

Der Schneider griff nach den Stiefeln und betrachtete sie mit großen Augen. Ein solches Backschisch hatte er nicht erwartet, noch dazu in Begleitung einer solchen Widmungsrede.

»Nun, was schaust du hinein, als ob du meintest, dein Verstand müsse darinnen stecken?« fragte Halef. »Mache dich mit ihnen von dannen, und preise unsere Großmut, welche dich mit einer solchen Gabe begnadigt hat!«

Ich unterstützte diese Aufforderung, indem ich einige Piaster in die Stiefel fallen ließ. Damit hatte ich den Bann von der Seele des Mannes genommen. Er konnte wieder sprechen, bedankte sich für das Geschenk und eilte mit demselben von dannen.

Jetzt kam der Abschied. Ich kürzte ihn so viel wie möglich ab, und dann ritten wir davon, meist über ungebahnte Wiesen dem Westen zu.

127Tischler.
128Weste.
129Holzhacker.
130Erbstück.
131Futterale der Elefantenfüße.