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Durch das Land der Skipetaren

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In Kürze erzählte ich ihm den Vorfall und erfuhr dann von ihm, die fünf Genossen seien nach Uskub aufgebrochen.

»Aber ich sehe auf der Straße ihre Spuren nicht,« bemerkte ich.

»Sie schlugen den Weg ein, welcher nach Rumelia führt,« lautete die Antwort. »Sie meinten, infolge des Regens sei es auf der Straße zu schmutzig. Nach Rumelia zu können sie immer auf Grasflächen reiten.«

»Aber sie machen einen Umweg, welcher für einen Verwundeten ganz bedeutend ist. Ich sage dir, daß sie gar nicht nach Uskub reiten wollen. Dort würden sie Gefahr laufen, festgenommen zu werden. Sie sind es, welche vor uns fliehen. Darum haben sie euch belogen, damit ihr uns nicht verraten sollt, wohin sie geritten sind. Ist der Weg von hier nach Rumelia schwer zu finden?«

»Durchaus nicht. Er zieht sich noch kurze Zeit an dem Fluß hin und biegt dann rechts ab. Du wirst den Spuren der fünf Reiter leicht folgen können, denn der Boden ist weich.«

Nun verabschiedete ich mich und kehrte zu meinen wartenden Gefährten zurück.

»Unsere Gegner werden nicht nach Uskub gehen; sie sind nach Rumelia geritten.«

»Nach Rumelia?« fragte Janik. »So haben sie die Straße verlassen. Willst du ihnen etwa folgen, Effendi?«

»Ja; wir werden uns also hier trennen müssen.«

Der Abschied von dem dankbaren Brautpaar war rührend.

Als wir nun anstatt nach Nordwest genau in westlicher Richtung ritten und das Dorf hinter uns hatten, konnten wir die Spuren der Fünf deutlich in dem grasigen Grund erkennen. Einen eigentlichen Weg gab es nicht.

»Kennst du dieses Rumelia?« fragte mich Halef, welcher sich wieder an meiner Seite hielt.

»Nein. Ich weiß nur, daß es ein Dorf ist; ich bin ja hier noch niemals gewesen. Vermutlich liegt dieser Ort an der Straße, welche von Köprili längs des Wardar nach Uskub führt. Jenseits ist die Eisenbahn.«

»Ah! Da könnten wir vielleicht einmal mit der Bahn fahren. Wenn ich zu Hanneh, der Schönsten der Töchter, zurückkehre, würde ich stolz sein, ihr sagen zu können, daß ich auch einmal in einem Wagen gesessen habe, welcher mit Rauch gezogen wird.«

»Nicht mit Rauch, sondern mit Dampf.«

»Das ist doch dasselbe?«

»Nein; den Rauch kannst du sehen, während der Dampf unsichtbar ist.«

»Wenn der Dampf nicht gesehen werden kann, wie weißt du da, daß es Dampf gibt?«

»Kannst du Musik sehen?«

»Nein, Sihdi.«

»Also gibt es nach deiner Meinung keine Musik. Es ist nicht gut möglich, dir das Wesen und die Wirkungen des Dampfes zu erklären. Um mich zu verstehen, müßtest du die nötigen Vorkenntnisse besitzen.«

»Sihdi, willst du mich beleidigen? Habe ich nicht oft bewiesen, daß ich Vorkenntnisse besitze?«

»Aber keine physikalischen.«

»Welche sind das?«

»Die sich auf die Kräfte und Gesetze der Natur beziehen.«

»O, ich kenne alle Kräfte und Gesetze der Natur. Wenn mich einer beleidigt, so ist es doch ein sehr einfaches Naturgesetz, daß er dafür eine Ohrfeige bekommt. Und wenn ich sie ihm dann erteile, so ist es meine Naturkraft, mit welcher ich sie ihm gebe. Oder habe ich etwa nicht recht?«

»Du hast oft Recht, auch wenn du Unrecht hast, mein lieber Halef. Uebrigens tut es mir leid, daß du Hanneh, der Blume der Frauen, nicht erzählen kannst, daß du in einem Wagen der Eisenbahn gefahren bist.«

»Warum nicht?«

»Erstens weiß ich nicht, ob die Bahn jetzt in Betrieb steht, und zweitens müssen wir unseren Feinden folgen. Diese fahren nicht, also ist auch uns dieses Vergnügen versagt.«

Der Weg war jetzt leidlich, und so kamen wir ziemlich rasch vorwärts. Nach einer halben Stunde sahen wir das Dorf vor uns liegen. Links zog sich die Straße von Köprili über Kapetanli Han heran, und rechts führte sie nach Uskub weiter.

Indem ich meinen Blick längs dieser Straße hingleiten ließ, sah ich einen Reiter, welcher in gestrecktem Galopp von Kapetanli Han herzukommen schien. Wer in diesem tiefen Schmutz so scharf ritt, der mußte es sehr eilig haben. Ich nahm mein Fernrohr zur Hand. Kaum hatte ich den Mann gesehen, so hielt ich dem Hadschi das Rohr hin. Er setzte es an und ließ es dann gleich wieder sinken.

»Allah!« rief er aus. »Das ist Suef, der sich für einen Schneider ausgab!«

Ich hatte also recht, als ich ihm sagte, daß er Kilissely sofort nach uns verlassen würde.

»Reiten wir Trab,« sagte ich nun. »Er will die Andern warnen; das darf aber nicht geschehen. Er weiß, wohin sie sind.«

»Aber wir können ihm nicht zuvorkommen,« meinte Halef, »er ist bereits zu nahe an dem Dorf. Aber jenseits des Dorfes können wir ihn einholen.«

»Nur wenn eine Brücke über den Fluß führt. Geschieht aber das Uebersetzen mittels Kahn oder Fähre, so gewinnt er einen Vorsprung. Ich werde voranreiten.«

Die Weichen meines Rappen berührte ich nur leise mit den Sporen, und sofort schoß er mit der Schnelligkeit eines Eilzuges vorwärts. Suef hatte uns bisher noch nicht gesehen. Jetzt aber bemerkte ich, daß er stutzte; dann holte er mit der Peitsche aus und schlug mit allem Eifer auf sein Pferd ein. Er hatte mich erkannt und wollte mir zuvorkommen.

Freilich war er dem Dorf näher als ich; aber sein Gaul konnte es unmöglich mit meinem Araber aufnehmen. Ich ließ einen Pfiff hören, und der Rappe verdoppelte seine Schnelligkeit. In einer Minute erreichte ich die Straße, auf welcher Suef heranritt, und befand mich zwischen ihm und dem Dorf. Die Furcht vor mir verbot es ihm, an mir vorüber zu reiten. Einen Umweg gab es nicht, da links von uns der Fluß mit hochgehenden gelben Wogen dahinschoß.

Ich blieb mitten auf der Straße halten, um meine Begleiter zu erwarten. Suef hielt auch an, und zwar ungefähr vierhundert Schritte hinter mir.

»Das hat dein Rih gut gemacht, Sihdi!« lachte Halef, als er herankam. »Man sollte es nicht für möglich halten, daß ein Pferd so schnell sein könne. Aber was tun wir nun? Wirst du mit dem Manne dort reden?«

»Kein Wort, wenn ich nicht dazu gezwungen werde.«

»Er trachtet uns aber doch nach dem Leben!«

»Wir haben ihn bestraft. Um weiter gegen ihn einschreiten zu können, müßten wir warten, bis er uns wieder neue Feindseligkeiten zufügt. Wir werden jetzt so tun, als ob wir ihn gar nicht kennen.«

»Wir haben doch einen großen Fehler begangen.«

»Welchen?«

»Daß wir ihm die Bastonnade gegeben haben. Nun kann er wenigstens noch reiten. Hätten wir ihm die Peitsche nicht auf die Füße, sondern dorthin gegeben, wo der Padischah seinen Thron berührt, wenn er sich auf denselben setzt, so könnte er weder gehen, noch reiten.«

»Wir hätten nichts dadurch gewonnen, denn der alte Murad Habulam würde einen andern Boten gesendet haben. Also vorwärts!«

Wir ritten weiter, und Suef folgte uns langsam. Gewiß war er sehr ergrimmt über unsere Dazwischenkunft.

Rumelia schien größer als Guriler zu sein. Es zog sich von der Straße bis an die Ufer des Flusses hinab. Der Wardar bot einen gefährlichen Anblick. Seine schmutzigen Wogen gingen hoch. Sie waren weit über die Ufer getreten und überschwemmten die anliegenden, mit Weiden bestandenen Wiesen. Jenseits des Flusses sahen wir die Eisenbahn. Es schien an dem Körper derselben gebaut zu werden. Wir sahen einen Bauzug langsam daherkommen. Zahlreiche Arbeiter waren mit Hacken und Schaufeln beschäftigt, und in der Nähe des Bahndammes standen lange Bretterhütten, welche jedenfalls den Arbeitern zur einstweiligen Wohnung dienten.

Eine Brücke gab es nicht, sondern eine Fähre. Es war das ein breiter, schwerer Prahm, welcher an Seilen hing, die auf dem Grunde des Flusses verankert waren, und wurde von den Fährleuten mittelst starker Stangen fortbewegt.

»Was nun tun?« fragte Halef, als wir bei den ersten Häusern des Dorfes anhielten. »Setzen wir gleich über?«

»Nein,« antwortete ich. »Wir reiten beiseite und warten, was Suef tun wird; dann folgen wir ihm dahin, wohin er reitet. Wir wissen nicht, wo Karanirwan liegt; er wird also unfreiwillig unser Führer sein.«

»Nein, Effendi; er wird klug genug sein, uns in die Irre zu führen.«

»Und wir werden uns nicht von ihm betrügen lassen. Du mußt bedenken, daß ihn seine Füße entsetzlich schmerzen. Er hat sie zwar im Bügel und braucht sie nicht anzustrengen; aber das Reiten verursacht ihm dennoch Qual. Er wird also sein Ziel baldigst zu erreichen suchen, und wenn er auch beabsichtigt, uns irre zu leiten, so wird er doch nicht allzu weit von seiner Richtung abschweifen.«

»Aber er wird alles Mögliche versuchen, um uns aus den Augen zu kommen!«

»So werden wir alles tun, um es zu verhindern. Also machen wir uns auf die Seite!«

Wir ritten noch ein Stück weiter, so daß Suef in erwünschter Entfernung an uns vorüber und zur Fähre kommen konnte. Da blieben wir halten, doch so, daß ich mich mit dem Gesicht nach ihm zu befand. Wir taten übrigens, als ob wir ihn gar nicht beobachteten; doch konnte er sich denken, daß dies Verstellung von uns sei.

Sonderbarerweise ritt er nicht nach der Fähre. Er drängte sein Pferd einmal vor und dann wieder zurück und sah aufmerksam hinüber nach der Eisenbahn, wie wenn das dortige Treiben ihn sehr interessierte.

»Er will nicht,« lachte Halef. »Er ist gescheiter als wir.«

»Wollen sehen. Er tut so, als ob er nur Augen für die Bahnarbeit habe, aber ich bemerke doch, daß er oft seitwärts blickt – hinüber zu jenem weiß getünchten Hause. Es befindet sich dort eine Stange vor der Türe, wahrscheinlich zum Anbinden der Pferde. Vielleicht ist dieses Gebäude ein Khan, und er hat die Absicht, dort einzukehren. Tun wir also, als ob wir überfahren wollten.«

Wir ritten nach der Fähre. Es war aus Brettern ein Pfad gebildet, um trockenen Fußes über den überschwemmten Teil des Ufers zu gelangen. Da dieser Pfad nur für Fußgänger bestimmt war, mußten wir ein Stück durch das Wasser reiten, welches den Pferden bis an den Leib ging.

Die Ueberfahrt war eine nicht ganz unbedenkliche Sache. Der alte Prahm schien halb verfault zu sein. Die Seile, an denen er hing, waren verdächtig, und die Bedienungsmannschaft, bestehend aus einem alten Mann und drei halbwüchsigen Burschen, konnte kein großes Vertrauen einflößen. Dazu war der Wogengang sehr schwer. Der Fluß brachte allerlei schwimmende Gegenstände mit, welche er von den Ufern losgerissen hatte. Es hatten sich Wirbel gebildet, in welche man leicht geraten konnte. Kurz und gut, als wir uns jetzt auf der Fähre befanden, war es mir ziemlich unheimlich zumut.

 

Der alte Fährmeister saß auf dem Rand und rauchte. Er betrachtete uns aufmerksam und nickte dann seinen drei Gehilfen verständnisvoll zu.

Ich hatte mich so gestellt, daß ich Suef im Auge behielt. Kaum befanden wir uns auf dem Prahm, so trabte er fort, auf das beschriebene Haus zu, stieg ab, band sein Pferd an und humpelte mühsam durch die Türe.

»Halef und Osko, rasch auch hinein! Ihr müßt unbedingt erfahren, was er dort tut und spricht. Laßt ihn nicht aus den Augen!«

Die Beiden trieben ihre Pferde hurtig an das Ufer zurück und ritten dem Hause zu. Keine halbe Minute später, nachdem Suef in dasselbe getreten war, gingen auch sie hinein.

Jetzt wendete ich mich an den Alten:

»Was haben vier Reiter zu bezahlen, um hinüber zu kommen?«

»Zwanzig Piaster,« antwortete er, mir die Hand entgegen haltend. Ich gab ihm mit der Peitsche einen gelinden Hieb auf dieselbe und sagte:

»Ich werde dir gar nichts geben.«

»So bleibst du hüben!«

»Nein, du fährst uns über. Du hast den fünffachen Preis verlangt. Das muß bestraft werden. Du wirst uns überfahren und dann drüben für jeden Piaster einen Streich auf die Sohlen erhalten. Hier blicke in diesen Ferman des Großherrn! Da wirst du sehen, daß ich kein Mann bin, der sich betrügen läßt.«

Er warf einen Blick auf das Siegel, nahm seine Pfeife aus dem Mund, legte die Hände über der Brust zusammen, verbeugte sich und sagte in unterwürfigem Ton:

»Herr, was Allah sendet, ist gut. Ich werde euch überfahren und dafür zwanzig Streiche erhalten. Allah segne den Padischah und seine Kindeskinder!«

So geht es zu »da hinten in der Türkei«! Ich aber war kein Türke, zog zwanzig Piaster hervor, gab sie ihm und sagte:

»Die Hiebe werde ich dir erlassen, denn ich habe Mitleid mit den Tagen deines Alters. Der Fluß ist geschwollen und die Ueberfahrt ist schwer und gefährlich; da magst du wohl etwas mehr als gewöhnlich verlangen; nur solltest du deine Forderungen nicht gar zu hoch steigen lassen.«

Er zögerte, das Geld zu nehmen, und starrte mich stumm bei weit offenem Mund an.

»Nun, soll ich das Geld wieder einstecken?« fragte ich ihn.

Da kam ihm die Bewegung zurück. Er tat einen Sprung auf mich zu, riß mir das Geld aus der Hand und rief:

»Wie? Was? Du zahlst dennoch, trotzdem du im Schutz des Großherrn und seines obersten Wesirs stehest?«

»Dürfen die Beschützten nicht gerecht und milde sein?«

»O Herr, o Agha, o Effendi, o Emir, sie sind es gewöhnlich nicht! Aus deinen Augen aber leuchtet die Gnade, und aus deinen Worten klingt die Barmherzigkeit eines freundlichen Herzens. Darum segne dich Allah in dir selbst, in deinen Ahnen und Urahnen und auch in deinen Kindern und in den Urenkeln deiner letzten Nachkommenschaft! Ja, solche Gnade wird uns nur selten zu teil, obgleich wir ein hartes und noch dazu spärliches Brot essen.«

»Aber da drüben ist eine Menge Menschen beschäftigt. Da verdienst du doch wohl mehr, als wenn diese Arbeiter nicht anwesend wären.«

»Weniger verdiene ich, viel weniger, denn diese Leute haben oberhalb meines Prahms eine zweite Fähre angelegt, mittels eines großen Kahnes. Das macht mir natürlich starken Abbruch; mein Pacht aber bleibt derselbe.«

»Wagen sich die Leute denn auch jetzt während des Hochwassers über den Fluß?«

»Heute haben sie es noch nicht gewagt, denn es ist zu gefährlich; es wäre eine doppelte Zahl der Ruder notwendig.«

»Aber du hast heute doch schon viele Leute übergefahren. Waren auch fünf Reiter dabei, von denen zwei auf scheckigen Pferden saßen?«

»Ja, Herr. Einer schien verwundet zu sein. Sie kamen aus der Herberge da drüben, wo sie für kurze Zeit abgestiegen waren.«

Er deutete dabei auf das erwähnte weiß getünchte Haus.

»Wie lange ist es her, daß du sie sahst?«

»Wohl über zwei Stunden. Besser wäre es, ich hätte sie nicht gesehen!«

»Warum?«

»Weil sie mich betrogen haben. Als wir drüben anlangten und ich mein Fährgeld verlangte, bekam ich Peitschenhiebe anstatt der Bezahlung. Und dabei hatten sie mir vorher einen Auftrag gegeben, welchen ich aber nicht ausführen werde. Wer mich nicht bezahlt, dem erweise ich auch keine Gefälligkeiten.«

»Darf ich erfahren, an wen dieser Auftrag gerichtet war?«

»Sehr gern. An den Mann, welcher vorhin in eurer Nähe hielt und dann vor der Herberge abgestiegen ist.«

»So kennst du ihn?«

»Ja; denn jedermann kennt den Schneider.«

»Ist er wirklich ein Schneider?«

»Man sagt es, aber ich weiß keinen hiesigen Einwohner, dem er ein Kleidungsstück angefertigt hätte.«

»Hm! Wie lautet der Auftrag?«

»Er solle sich beeilen, da sie nur bis früh auf ihn warten würden.«

Wo? Das wußte er nicht, und von den fünf Reitern kannte er nur den früheren Steuereinnehmer in Uskub, welcher die Leute bis aufs Blut gepeinigt habe. »Allah segne ihn mit tausend Uebeln des Leibes und mit zehntausend Krankheiten der Seele,« fügte er bei.

Er wollte weiter sprechen, wendete sich aber jetzt ab, da seine Aufmerksamkeit anderweit in Anspruch genommen wurde. Aus dem Herbergshause traten nämlich zwei Männer, welche je zwei Ruder trugen. Sie gingen an das Wasser und schritten dann stromaufwärts weiter.

»O Allah!« rief der Fährmann. »Sollten diese Unvorsichtigen es wirklich wagen, im Kahn überfahren zu wollen?«

»Wo befindet sich der Kahn?«

»Dort oben, wo das Weib am Ufer sitzt. Du kannst ihn nicht sehen, weil er hinter dem Weidengebüsch liegt.«

Die beiden Männer langten bei der erwähnten Stelle an, wechselten mit dem Weib einige Worte und verschwanden dann hinter dem Gesträuch.

»Ja,« sagte der Alte, »sie wagen es. Nun, wenn Allah sie beschützt, so mag es ihnen gelingen. Aber allein fahren sie jedenfalls nicht über, und ihr Fahrgast wird ihnen viel Geld zahlen müssen. Das könnte er bei mir billiger haben.«

»Das Weib wird es sein, welche zahlt.«

Ich sagte das, weil ich sah, daß die Frau auch hinter dem Gesträuch verschwand; sie war also in den Kahn gestiegen. Der Alte aber schüttelte den Kopf und meinte:

»Die gibt nicht einen einzigen Para. Sie gehört zu den Arbeitern dort drüben und fährt umsonst. Diese Frau hat schon seit dem frühen Morgen da oben gesessen, aber es wurde eben noch nicht hinübergefahren. Doch was ist das? Sollte dieser Schneider – —«

Während der Erklärung des Alten war nämlich Suef aus der Herberge getreten und in den Sattel gestiegen. Er hatte uns mit einem Seitenblick gestreift und war dann nach der Stelle geritten, an welcher sich der Kahn befand. Dort stieg er ab.

»Allah il Allah! Der Schneider will in den Kahn!« rief der Alte. »Er mag sich sehr in acht nehmen, daß er nicht zu viel Wasser schlucken muß. Ich weiß, daß er arm ist und hätte ihn um einen Viertelpiaster oder gar umsonst mitgenommen. Warum kommt er nicht zu mir!«

Ich hielt es für unnötig, den Alten über den Grund, welchen Suef hatte, aufzuklären. Er mochte unsere Absicht erraten haben und glaubte wohl, mit dem Kahn eher drüben anzulangen, als wir mit unserm schweren Prahm. Wenn er dann schnell in den Sattel stieg und dann im Galopp davonritt, konnte er uns aus den Augen kommen. An die Spuren, welche er zurücklassen mußte, dachte er nicht.

Unterdessen kamen auch Halef und Osko schnell herbei.

»Sihdi, der Schurke fährt mit einem Kahn über,« meldete der Hadschi. »Er hat dreißig Piaster Lohn geboten, wenn sie ihn hinüberschaffen.«

»Habt ihr noch etwas erfahren?«

»Ja, aber nicht viel. Eben als wir eintraten, sprach er mit dem Wirt von den fünf Reitern. Er gab dem Wirt zwar einen Wink, zu schweigen, dieser aber war einmal mitten im Satz und beendete ihn, daß wir es hörten.«

»Und was habt ihr gehört?«

»Daß die Fünf den Schneider in Treska-Konak erwarten wollen.«

»Wo ist dieser Ort?«

»Das weiß ich nicht, und wir konnten es auch nicht von dem Wirt erfahren. Dieser hält es offenbar mit dem Schneider.«

»Weiter wurde nichts gesprochen?«

»Nur über die Fährangelegenheit.«

»So, daß ihr es hörtet?«

»Ja. Dieser Suef sah uns dabei recht schadenfroh an. Es schien ihm Spaß zu machen, uns ärgern zu können. Am liebsten hätte ich ihm die Peitsche gegeben. Er meint, eher drüben anzukommen, als wir.«

»Ihr habt ihm nichts gesagt?«

»Kein Wort.«

»Das ist gut. Sieh, da zieht er sein Pferd am Zügel hinter sich her – er steigt wirklich in den Kahn, und die Mähre soll hinter demselben herschwimmen. Das wird sie wohl kaum fertig bringen.«

»O, Sihdi, ich habe den Gaul während unsers vorgestrigen Rittes genau beobachtet: er ist viel, viel besser, als er aussieht. Dieses Pferd hat den Scheïtan im Leibe.«

»Nun, trotz allem, was geschehen ist, sollte es mir leid tun, wenn ein Unglück passierte, besonders um der Frau willen, welche mit eingestiegen ist. Fahren wir über und zwar möglichst schnell. Vorwärts!«

Dieser Ruf galt den Fährleuten.

Der Alte hatte eben seine Pfeife ausgeklopft und zog den Beutel hervor, um sie wieder zu stopfen. Er fuhr trotz meines Befehles ganz gemächlich in dieser Arbeit fort.

»Hast du gehört?« fragte ich ihn. »Lege die Pfeife weg! Es wird auch einmal ohne Rauchen gehen.«

»Nein, Herr,« antwortete er behaglich. »Zu meiner Arbeit gehört ein Tschibuk; davon kann ich nicht abgehen. Das ist Zeit meines Lebens so gewesen und wird auch so bleiben bis zu meiner letzten Ueberfahrt.«

»Aber ich will eher drüben ankommen, als der Kahn!«

»Mache dir keine überflüssige Sorge, Herr. Der Kahn wird wahrscheinlich gar nicht drüben ankommen.«

Der Mann stopfte gemächlich weiter und nahm sich dann mit der bloßen Hand eine Kohle aus dem Feuerchen, welches nur zu dem Zweck, die Pfeife in Brand zu stecken, auf einigen zusammengeschobenen Steinen glimmte. Als er dann einige Züge getan hatte, rief er im Ton eines General-Feldmarschalls:

»Auf! Greift zu, ihr Braven! Wir müssen die Piaster verdienen, welche wir bekommen haben.«

In diesem Augenblick sahen wir oben den Kahn aus den Weidenbüschen hervorschießen. Vorn saß die Frau; in der Mitte strengten die beiden Ruderer alle ihre Kräfte an, und hinten hockte Suef, den Zügel in den Händen haltend. Der Kopf seines Pferdes ragte aus dem Wasser empor. Ein Steuer hatte das Fahrzeug nicht.

Als Suef uns bemerkte, erhob er den Arm und machte eine spöttische Gebärde. Wenn die Fahrt so schnell vor sich ging, wie sie begann, dann war er freilich drüben, bevor wir die Mitte des Flusses erreicht hatten, denn die drei dienstbaren Geister unsers würdigen Fährmeisters schienen gar keine Gelenke zu haben. Sie machten das Fahrzeug höchst bedächtig von der Kette los, griffen dann zu den Stangen und stocherten mit denselben im Wasser herum, als ob sie eine Stecknadel auf dem Grund desselben entdecken wollten. Leider waren unsere Pferde eine solche Ueberfahrt nicht gewohnt. Wir mußten also im Sattel bleiben, um sie zu beruhigen; sonst hätte ich meinen Begleitern geboten, gleichfalls Hand anzulegen.

Halef kam auf das richtige Mittel, den Gang des Fahrzeuges zu beschleunigen. Er zog seine Peitsche aus dem Gürtel, wendete sich an den nächsten Fährknecht und sagte:

»Spute dich besser!«

Zugleich gab er ihm einen Hieb über den Rücken, und kaum war dies geschehen, so rief der Alte:

»O Allah, o Wehmut, o Verhängnis! Greift zu, ihr Söhne! Schiebt, stoßt, ihr Männer! Arbeitet, arbeitet, ihr Starken! Je eher wir hinüberkommen, desto größer wird das Bakschisch sein, welches wir von diesen vier berühmten Scheiks und Emirs erhalten.«

Diese zarte Anspielung fuhr den drei Jungen so in die Glieder, daß sie sich mächtig anstrengten. Das Tempo wurde ein doppelt so schnelles. Natürlich ließen wir den Kahn nicht aus den Augen. Um an dem grad gegenüber liegenden Punkt anzukommen, mußten die Ruderer das Fahrzeug aufwärts halten. Im Uferwasser war das nicht schwer gewesen; je mehr sie sich aber der Flußmitte näherten, desto größere Anstrengungen machten sie. Und dennoch fiel der Kahn so bedeutend ab, daß er sich uns näherte, anstatt sich von uns zu entfernen. Dies schien Suef bedenklich zu machen. Wir sahen aus seinen Gebärden, daß er die beiden Männer zu noch größerer Kraftanstrengung anfeuerte.

 

Auch unsere Leute mußten schwer arbeiten. Die Gewalt des Stromes war so stark, daß die Seile dumpfe Töne von sich gaben. Wenn eins derselben riß, so waren wir den Fluten überlassen. Der alte Fährmann suchte seinen ganzen Wortschatz hervor, um seine Leute zur Anstrengung aller ihrer Kräfte zu veranlassen.

Was den Kahn betrifft, so hatten die beiden Ruderer desselben einen großen Fehler gemacht. Sie hätten zunächst hüben im ruhigeren Uferwasser aufwärts rudern sollen, bis sie den Punkt erreichten, wo es nur einer leichten dirigierenden Nachhilfe bedurfte, um sich von dem Strom wieder abwärts und hinüber an das jenseitige Ufer treiben zu lassen.

Schon war uns der Kahn auf die Hälfte näher gekommen, so daß wir die Gesichter der Insassen deutlich sehen konnten. Der Fährmann verfolgte das schwache Fahrzeug mit sachkundigem Blick.

»Sie kommen nicht hinüber,« sagte er. »Entweder brechen die Ruder oder – — ah, Allah, Allah, sie haben wirklich die Mitte! Beim Scheïtan, das sind kräftige Kerle! Es gelingt ihnen doch noch, denn – — o Unheil, o Unglück, o Verderben! Jetzt ist‘s aus!«

Er hatte recht. Dem einen der Männer war das rechte Ruder aus dem Dollen geschnappt und aus der Hand geprellt. Der Schmerz hatte ihn veranlaßt, auch das linke Ruder fahren zu lassen, so daß beide vom Wasser fortgerissen wurden. Jetzt konnte nur noch der Andere arbeiten; aber seine Kräfte reichten nicht aus.

Drüben am Ufer feierten Hacke und Schaufel. Die Arbeiter standen alle am Wasser und beobachteten den Vorgang mit größter Spannung. Auch wir hatten jetzt die Mitte erreicht. Die Macht des Wassers hob unsere Fähre auf der einen Seite empor: sie konnte sich leicht füllen, und dann war es auch um uns geschehen. Es waren Augenblicke der höchsten Gefahr.

Da gingen dem Mann in dem Kahn die Kräfte aus. Er zog die Ruder ein und legte die Hände in den Schoß. Die Flut faßte das Fahrzeug und trieb es grad auf unseren Prahm zu. Es kam in rasender Eile herbeigeschossen. Vom jenseitigen Ufer erscholl der gellende Angstruf:

»Weib, Weib, halte dich fest!«

Aber da war es auch schon geschehen. Ein lauter Krach – der Kahn prallte mit unserem Prahm zusammen. Ein einziger, entsetzlicher Schrei erscholl. Er war von den an beiden Ufern stehenden Leuten, von den vier Insassen des Kahnes und von uns, die wir uns auf der Fähre befanden, ausgestoßen worden. Er kam von so vielen Lippen und klang doch wie ein einziger Ausruf des allerhöchsten Schreckens.

In solchen Augenblicken handeln viele nach einem geheimnisvollen Instinkt, welcher ihnen das Richtige eingibt, obwohl ihre Denkkraft vollständig versagt. Blitzschnell tun sie das Richtige und wissen später gar nicht zu sagen, warum sie just so und nicht anders gehandelt haben.

Andere handeln nach einer klaren, scharfen Ueberlegung. Man sage mir nicht, daß in einem solchen Augenblick der Gefahr gar keine Zeit für das Fassen eines Entschlusses vorhanden sei. Es ist geradezu wunderbar, mit welchen Kräften der allgütige Schöpfer den Geist des Menschen ausgestattet hat. Im Traum zum Beispiel faßt eine einzige Minute die Ereignisse ganzer Tage und noch viel längerer Zeit zusammen. Mir träumte einst, daß ich ein Examen zu bestehen habe. Ein ganzer Tag war uns zu schriftlichen Arbeiten gewährt. Ich war zuerst fertig, wurde aus der Klausur entlassen und machte einen mehrere Stunden langen Gang in die Berge. Das mündliche Examen erstreckte sich über die nächsten zwei Tage. Am Abend des letzten Tages, ganz kurz vor Beendigung der Prüfung, brach eine Bank zusammen, auf welcher eine Anzahl von Zuhörern saß, und – ich erwachte. Mein Schlafgenosse hatte das Fenster zugeworfen. Er sagte mir auf meine Erkundigung, daß ich ihm vor höchstens drei Minuten gesagt habe, er solle mich nicht mehr mit Fragen belästigen, da ich sehr ermüdet sei und gern schlafen wolle. Ich hatte also im Traum innerhalb dreier Minuten drei Examentage mit allen Einzelheiten durchlebt. Ich kannte ganz genau den Inhalt meiner schriftlichen Arbeit, welche viele Seiten füllte, und konnte mich auf die meisten Fragen besinnen, welche mir vorgelegt worden waren. Ja, ich wußte sogar, welche Personen mir während des geträumten Spazierganges begegnet waren, und worüber ich mich mit ihnen unterhalten hatte. Freilich hatte ich am nächsten Morgen dieses alles ganz gründlich vergessen.

Wenn also der Traum dreier Minuten drei volle Tage, also eine Minute des Traumes ein körperliches und geistiges Handeln umfaßt, zu welchem im wachen Zustand über vierzehnhundert Minuten nötig sein würden, so ist das eine Fähigkeit des Geistes, welche ich ihm auch für den wachen Zustand nicht absprechen möchte.

Ich habe mich in Lagen befunden, in denen mein oder Anderer Leben an einer Sekunde hing, und als diese Zeit vorüber und die Gefahr abgewiesen war, habe ich ganz genau gewußt, daß ich in dieser einen Sekunde die Gefahr vollkommen durchschaut, mir alle Mittel zur Abwehr vergegenwärtigt und das beste und sicherste derselben ausgewählt und auch ausgeführt hatte. Das scheint unbegreiflich, ein Wunder zu sein; aber Tausende von ebenso großen und noch größeren Wundern geschehen im alltäglichen Leben, ohne daß man sich derselben bewußt wird. Wir sind eben nicht nur von lauter Wundern Gottes umgeben, sondern wir selbst sind das größte derselben. Der Gottesleugner mag mir das bestreiten; ich beklage ihn.

Aehnlich war es auch hier auf dem angeschwollenen Fluß. Die in dem spitzen Vorderteil des Kahnes sitzende Frau klammerte sich, vor Entsetzen schreiend, an den Rand des Fahrzeuges an; aber der Anprall war so stark, daß sie herausgeschleudert wurde. Sie verschwand in den schmutzig dicken Fluten und – ich mit ihr.

Wie ich vom Pferd heruntergekommen bin, welche Zeit ich gebraucht habe, die Gewehre, den Inhalt meiner Taschen und Gürtel nebst allem, was sich in demselben befand, von mir zu werfen, das kann ich nicht sagen. Halef behauptete später, ich hätte mich schon vor dem Zusammenstoß aus dem Sattel geschwungen, wohl in der sicheren Voraussicht, daß das Weib sich nicht werde halten können. Er will vergeblich versucht haben, mich zurück zu halten, doch weiß ich nichts davon. Mein ganzes Denken ist eben nur auf ein Einziges konzentriert gewesen.

Genau weiß ich nur, daß ich das Weib mit einer Hand packte und mit in die Tiefe zog, um mit ihr unter Boot und Prahm hinwegzukommen. Die Fahrzeuge konnten uns gefährlich werden.

Als ich wieder emportauchte, sah ich, daß wir eine ziemliche Strecke abwärts gerissen worden waren. Ich hielt die Frau an dem Aermel ihrer blautuchenen Zuava[116]; sie war besinnungslos, ein Umstand, welcher mir nur lieb sein konnte. Ich befand mich jenseits der Stromesmitte und mußte trachten, das Ufer zu erreichen, ohne im Kampf mit den Wogen meine Kräfte aufzureiben. In solchen Lagen darf man nicht vorn, sondern muß auf dem Rücken schwimmen, obgleich dies den Nachteil hat, daß man nicht nach vorwärts blicken kann. Es ist bequemer, und man kann weit mehr tragen. Ich legte mir die Frau quer über den Leib, so daß ihr Kopf nicht mit dem Wasser in Berührung kam, und ließ mich von den Fluten treiben.

Da ich den Körper der Verunglückten zu tragen hatte, kam der meinige tief zu liegen. So hoch ich auch die Beine nahm, es gelang mir nur mit großer Anstrengung, Mund und Nase von Zeit zu Zeit aus dem Wasser zu bringen, um Atem holen zu können. Dabei gab ich mir die größte Mühe, mich nach und nach dem Ufer zu nähern.

Das war gar nicht so leicht, wie es dem Leser scheinen mag. Das Ufer brach die Flut und warf sie in hohen, langen Wellenstrichen bis auf die Mitte des Stromes herüber; ich konnte nur aufwärts und wenig seit-, aber gar nicht vorwärts sehen, und doch mußte ich mich vor den vielen Gegenständen in acht nehmen, welche in den Fluten schwammen oder aus denselben emporragten. Die Leute am Ufer rannten stromabwärts, in gleicher Richtung mit mir und machten mich durch ihr Schreien irre. Sie konnten freilich kaum so schnell laufen, wie ich schwamm, denn ich schoß mit einer Schnelligkeit vorwärts, welche mich zu betäuben drohte. Da galt es, kaltblütig zu bleiben. Wenn ich in den vielen Strudeln und Wirbeln, durch welche ich kam, falsch ausstieß; wenn ich überhaupt nur für kurze Zeit das Selbstvertrauen verlor, so war ich verloren und die Frau mit mir. Im vollständigen Anzug zu schwimmen, ist schon bei ruhigem Wasser eine böse Sache; aber bei dieser Aufregung des Elementes, mit einer solchen Last auf mir und mit den mir vorher so willkommenen, jetzt aber fatalen Gichtstiefeln des Arztes von Radowitsch an den Füßen, das war denn doch etwas Anderes. Wie sich dann herausstellte, war ich gar nicht lange im Wasser gewesen, aber die Zeit dehnte sich mir doch zu einer kleinen Ewigkeit aus.

116Vorn offene, betreßte Jacke.