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Durch das Land der Skipetaren

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Sie ließen sich nieder, und nun war ich so ermüdet, daß ich mich setzen mußte.

»Wir wollen die beiden Burschen untersuchen,« meinte der Hadschi. »Vielleicht haben sie etwas Nützliches in den Taschen.«

»Dem Fleischer laßt ihr alles,« gebot ich. »Er gehört uns nicht. Mit ihm mag der Kiaja tun, was ihm beliebt. Aber was der Mübarek bei sich trägt, das nehmen wir.«

Er hatte ein Messer und ein Paar alte Pistolen bei sich. Sein Gewehr lag auf dem Hüttendach; wir brauchten es nicht. Aber zwei Beutel – zwei große, volle Beutel – zog ihm der Kleine aus den Taschen.

»Hamdulillah!« rief er aus. »Hier stecken die Kalifen und Gelehrten des Kuran! Sihdi, da ist auch Gold, Gold, Gold!«

»Ja, wer dem Kodscha Bascha eine solche Summe für die Freilassung geben kann, der muß Gold haben. Wir können es ihm nehmen, ohne befürchten zu müssen, ein Unrecht zu begehen.«

»Natürlich nehmen wir es!«

»Aber für wen? Teilen wir, Halef?«

»Effendi, willst du mir eine Schande antun? Hältst du deinen Halef für einen Dieb? Ich nehme es ihm für die Armen ab. Denke, wie glücklich die Nebatja gewesen ist und wie froh der Wirt des Weilers und der Korbflechter waren! Mit diesem Gold können wir viele Sorgen lindern und uns den Himmel Allahs öffnen.«

»Das hatte ich von dir erwartet!«

»So stecke das Gold ein!«

»Nein, behalte du es. Du sollst unser Schatzmeister der Almosen sein, lieber Halef.«

»So danke ich dir! Ich werde meines Amtes treu und ehrlich walten. Wir wollen zählen.«

»Zum Zählen gibt es jetzt keine Zeit; wir müssen fort. Jetzt schafft diese beiden Menschen in die Hütte. Der tote Gefängniswärter liegt auch bereits darin.«

»So hast du auch ihn erschossen?«

»Nein, nur verwundet, und Barud el Amasat hat ihn dann mit dem Kolben erschlagen, weil er ihm unbequem geworden ist.«

»Ein solcher Schurke! Ah, wenn ich ihn unter die Hände bekomme! – Faßt an, ihr beiden! Erst tragen wir den Effendi hinein.«

Als sie mich in der Hütte niedergesetzt hatten und sich entfernten, um die Leiche des Fleischers und den Mübarek zu holen, hörte ich ein gräßliches Stöhnen. Der Wärter war also noch nicht tot. Halef mußte, als er zurückkehrte, einen Feuerbrand holen, bei dessen Schein wir die Laterne des Alten sahen, welche auf der Bank stand und angezündet ward.

Nun konnten wir den Stöhnenden genau betrachten. Er sah schrecklich aus. Meine Kugel hatte ihm den Oberschenkel zerschmettert, und infolge des Kolbenschlages klaffte die Hirnschale. Er war rettungslos verloren und blickte uns mit stieren Augen an.

»Hier hast du meinen Fez, Halef; hole Wasser herbei!«

Diese Kopfbedeckungen sind so dicht gearbeitet, daß sie das Wasser halten. Wir gaben dem Sterbenden etwas Wasser in den Mund und gossen ihm solches wiederholt auf den Kopf. Dies schien ihm wohlzutun. Seine Augen wurden klarer. Er betrachtete uns mit Blicken, denen man es ansah, daß er zu denken begann.

»Kennst du uns?« fragte ich.

Er nickte.

»Du wirst in wenigen Minuten vor dem ewigen Richter stehen. Weißt du, wer dir den Schädel zertrümmert hat?«

»Barud el Amasat,« flüsterte er.

»Dem du Wohltat zu erweisen glaubtest. Du bist ein Verführter, und Allah wird dir verzeihen, wenn du mit reuiger Seele aus dem Leben scheidest. Sage mir: ist der alte Mübarek der Schut?«

»Nein.«

»Wer ist denn der Schut?«

»Ich weiß es nicht.«

»Weißt du auch nicht, wo er ist?«

»Sie wollen ihn in Karanorman-Khan treffen.«

»Und wo liegt dieser Ort?«

»Im Schar Dagh, nicht weit von einem Dorf, welches Weicza heißt.«

»Hinter Kakandelen?«

Er nickte wieder, denn er konnte nicht mehr sprechen. Seine Antworten hatte er nur abgebrochen und so leise gegeben, daß ich mein Ohr seinem Munde nähern mußte, um ihn zu verstehen.

»Sihdi, er stirbt!« sagte Halef mitleidig.

»Hole Wasser!«

Er ging; aber seine Hilfeleistung war nicht mehr nötig. Der Mann starb uns unter den Händen, ohne noch ein Wort zu sagen.

»Wir schaffen die Leichen und auch den Mübarek in die Höhle hinein,« sagte ich. »Der Kiaja mag sie holen.«

»Herr, der Alte hat die Augen auf. Er ist wieder bei sich,« erklärte Osko, indem er dem Mübarek mit der Laterne in das Gesicht leuchtete.

Sofort bückte sich Halef, um sich zu überzeugen, ob es wahr sei. Der alte Sünder hatte wirklich die Besinnung wieder erlangt. Er hütete sich zwar, zu sprechen, aber seine Blicke bewiesen sein Bewußtsein. Es blitzte eine Wut aus ihnen, wie ich sie noch niemals in irgend einem Auge gesehen hatte.

»Lebst du noch, altes Skelett?« fragte ihn Halef. »Es wäre auch jammerschade, wenn die Kugel dich zu Tod getroffen hätte; denn so ein Ende hast du nicht verdient. Du sollst qualvoll sterben, damit du einen Vorgeschmack der Freuden bekommst, welche dich in der Hölle erwarten.«

»Hund!« zischte der alte Bösewicht.

»Scheusal! Verhungern sollten wir und verschmachten? Meinst denn du, Dummkopf, daß du solche berühmte und glorreiche Helden festhalten könntest? Wir dringen durch Stein und springen durch Eisen und Erz. Du aber sollst in deiner eigenen Falle vergebens nach Hilfe und Labsal schreien.«

Selbstverständlich war dies nur eine Drohung. Er wurde in die Höhle geschafft und zwischen die Leichen gelegt. Ein wenig Todesangst konnte dem Unhold gar nicht schaden.

Als ich nun die Sänfte genauer betrachtete, ergab es sich, daß das Häuschen abgenommen werden konnte. Ich ließ es entfernen, denn dadurch bekam ich unterwegs freie Bewegung der Arme. Jetzt nahm ich die Büchse und den Stutzen auf, und wir traten, indem ich getragen wurde, den Rückweg an, nachdem wir das Feuer ausgelöscht hatten.

Dem Mübarek hatten wir vorher den Strick gelöst. Er konnte also aufstehen und auf und ab gehen. Die eisenbeschlagene Türe aber war mit dem großen Riegel versperrt worden. Wir ließen ihn bei der Furcht, daß er hier stecken bleiben müsse, ohne Hilfe zu finden.

Des Nachts ist im Wald, wenn es keine gebahnten Wege gibt, nicht gut wandern, zumal mit einer Sänfte. Dennoch blieben wir in der ordentlichen Richtung. Die Gefährten traten so leise wie möglich auf. Halef hielt seine Pistolen und ich die Revolver schußbereit – für alle Fälle.

Als der Wald hinter uns lag, bogen wir rechts ab, nach den Wiesen der Sletowska zu, wo es freies Terrain gab. Es war dies ein Umweg, auf welchem wir dem Kampf entgingen, der uns, wenn auch nicht den Tod, doch Wunden bringen konnte.

Wir langten glücklich in unserm Gasthof an, wo ich durch die vordere Stube, in welcher mehrere Gäste saßen, nach dem »guten Zimmer« getragen wurde.

Da saß der Wirt. Als er uns erblickte, sprang er von seinem Sitz auf.

»Du, Herr?« rief er aus. »Du bist ja fort!«

»Wohin denn?«

»Nach Karatowa.«

»Wer sagte das?«

»Der Fleischer.«

»So ist er also dagewesen?«

»Ja, und er verlangte deine Pferde und war sehr ergrimmt, als ich ihm erklärte, daß ich sie ihm nicht geben könne, weil du die Vollmacht wieder zurückgezogen hättest. Er aber drohte mir mit deinem Zorn. Du müßtest nach Karatowa getragen werden und bei deiner Ankunft die Pferde dort finden.«

»Hatte ich es doch geahnt! Er wollte mich um meinen Rappen betrügen, und nicht nur um das Pferd, sondern auch um das Leben.«

»Um das Leben, sagst du?«

»Ja, wir haben dir viel zu erzählen. Der Fleischer ist tot.«

»Ist ihm ein Unglück passiert?«

»Ja, wenn du es nämlich ein Unglück nennst, daß ich ihn erschossen habe.«

»Erschossen!« rief er erschrocken. »Du? Freilich ist das ein Unglück, und zwar für ihn, für seine Familie und auch für dich.«

»Inwiefern für mich?«

»Hast du es mit Absicht getan?«

»Nun, erschießen wollte ich ihn nicht, aber treffen sollte ihn meine Kugel.«

»So hast du also mit Vorbedacht geschossen, und ich muß dich als Mörder festnehmen.«

»Dagegen protestiere ich ernstlich.«

»Das wird dir nicht viel helfen!«

»O doch, denn ich muß dir dabei erzählen, wie es gekommen ist. Und selbst, wenn ich ihn aus freier Hand und ohne zwingenden Grund getötet hätte, so würde ich mich nicht so ohne weiteres festnehmen lassen. Hast du nicht am Nachmittag zugestanden, daß die Aladschy allbekannte Räuber und Mörder sind?«

»Ja, denn das weiß doch jedermann.«

»Und dennoch hast du Bybar nicht festgehalten, als er sich in deinen Händen befand! Mich aber, einen Mann, von dessen Vergangenheit du nicht das mindeste Ungesetzliche kennst, willst du ergreifen lassen? Wie stimmt das zusammen?«

»Herr, es ist meine Pflicht,« antwortete er verlegen.

»Ja, ich weiß wohl. Den Aladschy ließest du laufen, weil du die Rache seines Bruders und seiner Sippe und auch seine eigene Gewalttätigkeit zu fürchten hattest. Von mir aber denkst du, daß ich mich ohne Widerstand füge und auch als Fremder niemand habe, der dich mit dem Gewehr darüber zur Rede stellt.«

»Oho!« rief Halef. »Wer meinen Effendi anrührt, dem jage ich sofort eine Kugel durch den Kopf! Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah und pflege stets mein Wort zu halten. Nun versuche es einmal, deine Hand an ihn zu legen!«

So klein er war, seine Haltung war eine überaus energische und bedrohliche. Man sah es ihm an, daß er bereit war, sein Wort zur Wahrheit zu machen. Der Wirt und Kiaja des Dorfes bekam sichtlich Respekt vor ihm.

»Ich danke dir, Halef,« sagte ich. »Hoffentlich bedarf es deines Einschreitens gar nicht. Dieser gute Kiaja wird einsehen, daß ich zur Tötung des Fleischers gezwungen wurde.«

Und zu dem Wirt gewendet, fuhr ich fort:

»Hast du mir nicht gesagt, daß der Fleischer ein Skipetar sei?«

»Ja. Er ist sogar ein Miridit.«

»So stammt er gar nicht von hier?«

»Nein. Sein Vater kam, als er nach Sbiganzy zog, aus Oroschi, dem Hauptort der Miriditen.«

 

»Nun, was geht dich dann sein Tod an? Stehen die Miriditen unter den Gesetzen des Padischah?«

»Nein, sie sind freie Arnauten.«

»Weißt du auch, daß sie nur unter sich richten, und zwar nach den alten Gesetzen Lek Dukadschinits?«

»Das weiß ich freilich.«

»So hast du dich um den Tod des Fleischers gar nicht zu bekümmern. Ich habe ihn getötet, ob mit Recht oder Unrecht, das ist bei diesen Leuten freilich sehr gleichgültig; ich bin dem Gesetz der Blutrache verfallen, und die Verwandten des Toten müssen dieselbe an mir ausüben. Du aber hast mit der Sache gar nichts zu tun.«

»Ah!« holte er tief Atem. »Das ist mir außerordentlich lieb!«

»So sind wir also einig. Aber es gibt noch einen andern Toten.«

»Wer ist das?«

»Ein Gefängniswärter aus Edreneh, welcher einen Gefangenen befreit hat und mit ihm geflohen ist. Dieser hat ihn erschlagen. Bei diesen beiden Toten wirst du auch den alten Mübarek finden, dem ich mit einer Kugel den Ellbogen zerschmettert habe.«

»Auch ihn? Herr, du bist doch ein ganz entsetzlicher Mensch!«

»Ich bin im Gegenteil ein sehr guter Mensch; aber wie hier die Sache liegt, konnte ich gar nicht anders handeln.«

»Wie ist es denn gekommen?«

»Setze dich zu uns; ich muß es dir erzählen.«

Er nahm Platz, und ich begann meinen Bericht. Wir hatten Zeit. Darum war ich so ausführlich wie möglich. Ich erzählte ihm auch, warum wir Barud el Amasat verfolgten. Er gewann also einen klaren Einblick in unsere Absichten, und das erleichterte ihm die Erkenntnis, mit welchen Schurken wir es zu tun hatten. Als ich endlich schwieg, saß er ganz bestürzt da.

»Sollte man so etwas für möglich halten!« sagte er. »Ihr seid ja Leute wie die Gepanzerten des Kalifen Harun al Raschid, die im ganzen Reich umherritten, um die Bösen zu bestrafen und die Guten zu belohnen.«

»O, wir sind keineswegs so hohe und herrliche Leute. Diejenigen, von denen ich dir erzählte, haben unseren Freunden oder auch uns selbst Uebles zugefügt; sie haben jetzt noch gewisse Verbrechen vor, und wir folgen ihnen, um dieselben zu verhindern. Was wirst du nun tun?«

Er kratzte sich mit beiden Händen am Kopf und antwortete endlich:

»Gib mir einen guten Rat.«

»Du bist Beamter und mußt ganz genau wissen, was deine Pflicht dir vorschreibt. Meines Rates bedarfst du nicht.«

»Ich wüßte, was ich tun würde, wenn du nicht eine große Dummheit begangen hättest. Warum hast du den alten Mübarek nur in den Ellbogen geschossen? Konntest du denn nicht nach seinem Kopfe oder seiner Brust zielen? Da wäre er aus der Welt gewesen.«

»Das sagst du, du als Kiaja!«

»Nein, der Kiaja spricht jetzt nicht zu dir. Wäre der Alte auch tot, so ließe ich die Drei begraben, und es würde kein Wort weiter gesprochen. Nun aber muß ich mich des Alten bemächtigen und ihn dem Gericht überliefern. Das ist ein böser Fall.«

»Ich sehe gar nichts Böses dabei. Du wirst dich sogar verdienstlich machen. Er ist aus dem Gefängnis zu Ostromdscha entsprungen. Du ergreifst ihn und schickst ihn nach Uskub, dann bist du fertig.«

»Ich muß aber auch dahin kommen, um Bericht zu erstatten. Und ihr müßt auch mit – als Zeugen oder Ankläger.«

»Das tun wir gern.«

»Ja, ihr verlaßt dann diese Gegend; mich aber werden die Freunde des Alten kalt machen.«

»So wird es dir vielleicht warm dabei, und das ist auch nicht übel.«

»Spotte nur! Du weißt nicht, wie schlimm es mir ergehen kann. Wie gesagt, hättest du den Halunken erschossen, so wäre ich all der Plage und Verantwortung los. Denn wenn du als Zeuge in Uskub verweilen mußt, so wirst du diesen Ort wohl gar nicht lebendig verlassen, sondern der Blutrache verfallen.«

»Hat der Fleischer mannbare Verwandte hier?«

»Ja, einen Bruder.«

»Weißt du nicht, ob er heute daheim ist?«

»Er ist da, denn mein Knecht hat meine Botschaft an ihn und nicht an Tschurak selbst ausgerichtet.«

»Hm! Das ist freilich bedenklich. Wenn er wie sein Bruder ist, so habe ich mich vor ihm zu hüten.«

»Er ist zum mindesten so. Ich habe ihn nicht für so brav wie Tschurak selbst gehalten. Da nun derselbe dennoch ein Schurke war, so wird sein Bruder wohl ein noch größerer sein. Du bist deines Lebens nicht sicher, so lange du dich hier befindest. Darum will ich dir einen sehr guten Rat erteilen: steigt ohne Verzug in den Sattel und reitet nach Karatowa. Ich gebe euch einen guten Führer mit.«

»Dorthin wollen wir gar nicht.«

»Der Fleischer sagte es doch!«

»Das war eine Lüge. Wir wollen von hier nach Uskub, und das paßt also sehr gut, denn wir werden deine wehrhafte Bedeckung bilden, wenn du den alten Mübarek dorthin transportierst.«

»Gott behüte mich! Man wird uns unterwegs totschießen!«

»Da müßten wir die Sache sehr dumm anfangen.«

»Ich höre, daß du keinen Begriff von den hiesigen Verhältnissen hast. Du schwebst mit deinen Freunden hier fortwährend in Lebensgefahr, und kein Haar eures Hauptes ist mehr sicher. Reitet lieber fort! Das ist wirklich das allerbeste für euch.«

»Und auch das allerbeste für dich! Nicht wahr?«

Diese Frage machte ihn äußerst verlegen. Er hatte so dringlich zu mir geredet, wie nur die Sorge um sich selbst sprechen konnte. Der Mann war ganz brav; aber als Sohn seines Landes hatte er allerdings mit der Unsicherheit der dortigen Rechtsverhältnisse zu rechnen.

»Inwiefern für mich?« fragte er.

»Du würdest, wenn wir fort wären, den alten Mübarek einfach laufen lassen; dann hättest du keine Rache zu fürchten, sondern seinen Dank zu erwarten.«

Er errötete: ich hatte das Richtige getroffen. Dennoch sagte er:

»Denke das ja nicht von mir! Ich werde sehr streng nach meiner Pflicht verfahren; aber es liegt mir daran, euch in Sicherheit zu wissen.«

»Um diese brauchst du dich nicht zu sorgen. Wir haben dir bereits bewiesen, daß wir keiner fremden Hilfe bedürfen. Eigentlich hätte ich mich heute an dich um Schutz gegen unsere Feinde wenden sollen; ich habe es nicht getan, um dich nicht zu belästigen, und weil ich wußte, daß wir uns selbst genügen. So werden wir auch fernerhin weder eines Rates noch einer Unterstützung bedürfen. Bist doch du es eigentlich, dem wir es zu verdanken haben, daß wir in eine solche Gefahr kamen.«

»Wieso denn?« fragte er.

»Weil du uns versichert hast, daß kein Fremder bei dem Fleischer angekommen sein könne, und doch sind sie bereits vor uns hier gewesen.«

»Das wußte ich nicht, denn in das Dorf sind sie nicht gekommen. Tschurak wird sie draußen getroffen haben. Ich sagte dir doch, daß er zu Pferd nach Hause gekommen sei. Jedenfalls ist er ihnen da begegnet und hat sich mit ihnen verabredet.«

»Das ist wahrscheinlich. Also, ich verlasse Sbiganzy heute nicht und werde bei dir schlafen. Was gedenkst du nun mit den Dreien zu tun, welche wir in der Hütte eingeschlossen haben?«

Wieder kratzte er sich hinter den Ohren.

»Herr, laß mich mit dieser Geschichte in Ruhe!«

»Leider kann ich es nicht. Sie dürfen doch nicht draußen stecken bleiben. Ich verlange, daß du dich noch am Abend des alten Mübarek bemächtigest. Die beiden Leichen mögen meinetwegen liegen bleiben.«

»Aber was soll ich mit ihm anfangen?«

»Ihn hier einsperren, bis wir ihn morgen nach Uskub transportieren.«

»Alle guten Geister! Die Aladschy stürmen mir das Haus!«

»Wir helfen dir, es zu verteidigen.«

»Später trifft mich ihre Rache!«

»Welch eine Feigheit!«

»Ja, ihr braucht euch freilich nicht zu sorgen. Ihr reitet fort und kommt nie wieder. Ueber mich aber bricht dann das Gewitter herein.«

»Die Aladschy können dir nichts zu leid tun, denn wir liefern sie morgen gleichfalls nach Uskub ab, und Manach el Barscha und Hamd el Amasat dazu.«

»Hast du sie denn?«

»Nein, aber wir holen sie uns jetzt gleich.«

»Und wie?«

»Mit den Bewohnern von Sbiganzy, welche wir jetzt aufbieten, um gegen sie auszuziehen.«

»Die werden sich bedanken!«

»Sie müssen! Hast du nicht gelesen, daß ich ein Schützling des Großherrn bin?«

»Ja, leider bist du es.«

»So hast du meiner Forderung zu gehorchen. Weigerst du dich dessen, so werde ich in Uskub Beschwerde gegen dich erheben.«

»Herr, willst du mich unglücklich machen?«

»Nein, ich will dich nur veranlassen, deine Pflicht zu erfüllen. Diese vier Räuber stehen draußen am Rande des Gebüsches. Nichts ist leichter, als sie einzuschließen und gefangen zu nehmen.«

»O, da irrst du dich. Sie werden sich sehr dagegen wehren.«

»Was schadet das?«

Er machte so große, starre Augen, daß Halef laut auflachte.

»Was das schade, fragst du? Etwa nichts?« rief der Kiaja. »Wenn sie uns totschießen, das soll nichts schaden? Ich bin im Gegenteil der Ansicht, daß es gar keinen größeren Schaden geben kann, als das Leben zu verlieren.«

»Das denke ich so ziemlich auch. Aber ihr müßt es eben so anfangen, daß sie gar nicht dazu kommen, sich zu verteidigen.«

»Wie sollen wir das anfangen?«

»Das werde ich den Leuten sagen, wenn sie hier versammelt sind.«

»O, keiner wird kommen, wenn ich sagen lasse, um was es sich handelt.«

»Das darfst du eben nicht. Du gibst doch zu, daß du nach dem Gesetz das Recht und auch die Pflicht hast, in einem solchen Fall die Hilfe der ganzen streitbaren Einwohnerschaft anzurufen?«

»Ja, das Recht habe ich.«

»Und sie müssen dir gehorchen?«

»Unbedingt.«

»Nun, so rufst du sie jetzt auf mit dem Befehl, sie sollen sich schleunigst hier in deiner vorderen Stube mit ihren Waffen einfinden. Wenn sie alle versammelt sind, werde ich ihnen selbst sagen, was wir von ihnen verlangen. Ich werde so zu ihnen reden, daß sie stolz darauf sein werden, gegen diese Missetäter auszuziehen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Gewiß.«

Er äußerte noch eine Menge Bedenken, aber ich blieb bei meinem Verlangen, so daß er endlich sagte:

»Nun, da du so streng befiehlst, werde ich meinen Polizeiwächter holen und in deiner Gegenwart instruieren.«

Als er sich entfernt hatte, sagte Halef:

»Ich begreife dich nicht, Sihdi. Denkst du denn wirklich, daß diese lieben Untertanen des Sultans nur eine Fliege fangen werden?«

»Nein; ich will uns nur einen Spaß machen. Ich reise doch, um Länder und Völker kennen zu lernen. Ich möchte einmal die Bewohner eines hiesigen Ortes beisammen sehen, um zu beobachten, wie sie sich unterhalten und belustigen. Wir haben uns heute in Gefahr befunden und dürfen uns nun eine frohe Stunde gewähren.«

Die Gefährten stimmten bei: sie waren neugierig auf den bewaffneten Landsturm, welcher sich einfinden sollte.

Nach einiger Zeit kam der Wirt zurück und brachte den Polizeiwächter mit. Dieser machte einen nicht sehr imponierenden Eindruck. Zwar war sein Gesicht ungeheuer bärtig, aber das übrige harmonierte nicht damit. Er sah recht hungerleidend aus, und sein Anzug bestand nur aus einer bis zum Knie reichenden Hose und einer alten, zerrissenen, vorn zugeheftelten Jacke. Seine Unterschenkel waren unbekleidet. Um den Kopf hatte er ein Baumwollentuch gewickelt von der Sorte, wie sie bei uns auf Jahrmärkten um zwei Mark das Dutzend verschleudert werden. In der Hand aber hielt er einen Olivenstock von der Dicke eines Kinderbeines. Anstatt des Griffes war derselbe mit einer Sichel versehen – wozu? Als Waffe? Dann war sie freilich ein höchst gefährliches Ding.

»Herr, hier ist mein Polizeiwächter,« sagte der Kiaja. »Willst du ihn selbst instruieren?«

»Nein, tue du es! Du bist der Vorgesetzte und hast diese Befehle zu erteilen.«

Er gab dem Diener den Auftrag so, wie es in meiner Meinung lag. Dann fragte ich nach seinem Biervorrat.

»Ich habe erst gestern einen neuen Vorrat gekocht,« antwortete er. »Du könntest mit deinen Gefährten eine ganze Woche davon trinken.«

»Verkaufst du es mir?«

»Ja. Aber wozu könntest du so viel brauchen?«

»Dein Polizeiwächter mag den Männern sagen, daß sie alles vorhandene Arpa suju und auch noch Raki erhalten, wenn sie das richtig tun, was von ihnen verlangt wird.«

Da erhob der Polizeiwächter seinen Stock wie zum Schwur empor und sagte:

»Effendi, deine Güte ist groß; aber bei Allah und dem Propheten, wir werden fechten und streiten, als ob wir gegen die Ungläubigen zu Felde zögen!«

»So weißt du, um was es sich handelt?«

»Ja, der Kiaja, mein Herr und Gebieter, hat mich des Vertrauens gewürdigt, es mir zu sagen.«

»Aber du wirst nicht davon sprechen?«

»Kein Wort! Mein Mund wird sein ein Buch mit sieben Siegeln, in welchem nicht geblättert werden kann, und wie eine eiserne Truhe, zu welcher der Schlüssel abhanden gekommen ist.«

»Das rate ich dir auch an. Und nun beeile dich!«

 

»Ich werde fliegen, wie der Gedanke des Gehirns, welcher in einer Sekunde um die Erde läuft!«

Er wendete sich um und schritt würdevoll und gemessenen Schrittes zur Türe hinaus.

»Das ist noch niemals dagewesen,« sagte der Wirt. »Kein Mensch wird allen Männern des Dorfes zu trinken geben, ein Fremder aber gar nicht. Herr, man wird euch rühmen lange Jahre hindurch und eurer Namen gedenken lebenslang!«

»Wie viel wird das Bier kosten?«

»Fünfzig Piaster.«

Das waren zehn Mark.

»Und wie viele Männer werden kommen?«

»Vielleicht gegen zwanzig.«

»Und was kostet hier ein fetter Hammel?«

»O, der ist hier weit billiger als in Stambul oder Edreneh, woher du kommst. Du hast nur fünfzehn Piaster zu zahlen.«

»So kannst du den Leuten sagen, daß sie sich, wenn sie tapfer sind, zwei Hämmel draußen in deinem Hof am Spieße braten dürfen.«

»Herr, du rufest den Segen des Dorfes auf dein Haupt herab! Die Leute werden – —«

»Schon gut!« unterbrach ich ihn. »Du selbst hast fette Hämmel; so suche zwei aus, und sorge dafür, daß auch wir eine tüchtige Abendmahlzeit erhalten.«

»Du sollst mit mir zufrieden sein. Ich werde für euch sorgen, als ob der Kalif selbst bei mir zu Gast sei!«

Er eilte hinaus.

»Jetzt hat er gute Laune!« lachte Osko.

»Ja, aber dieser Frohsinn gefällt mir nicht. Er scheint nicht im mindesten mehr um das Leben und um das Wohl seiner streitbaren Männer besorgt zu sein. Das kommt mir verdächtig vor. Er wird irgend eine Vorkehrung getroffen haben, welche ihm Sicherheit gewährt, daß ihnen nichts geschehen kann.«

»Er wird uns doch keinen Schaden machen!«

»Das ist unmöglich. Er vertreibt unsere Feinde. Das ist das Einzige, was er fertig bringen wird.«

Es dauerte lange, sehr lange, bis der erste der streitbaren Helden anlangte. Als dieser endlich ankam, machte der Wirt die Türe zu der Vorderstube auf und meldete:

»Effendi, sie beginnen bereits zu kommen. Soll ich schon Arpa suju geben?«

»Nein. Erst mögen sie zeigen, daß sie tapfer sind.«

Nach und nach kamen noch Andere. Jeder trat an die Verbindungstüre, welche offen war, machte uns eine Verneigung und betrachtete uns mit neugierigem Blick.

Aber in diesen Blicken spiegelte sich noch etwas Anderes als bloße Neugierde oder die Freude über den Schmaus, der ihrer wartete. Es waren so pfiffige Augen! Diese Leute hatten irgend ein Geheimnis, welches ihnen Vergnügen machte. Bewaffnet waren sie alle: mit Flinten, Pistolen, Säbeln, Beilen, Messern, Sicheln und sonstigen Werkzeugen.

Später hörten wir ein lautes Hallo dieser Kriegerschar. Wir sahen den Polizeiwächter eintreten und hinter ihm mehrere Männer. Auch sie waren bewaffnet, doch trug jeder außerdem noch ein musikalisches Instrument bei sich.

Er kam stramm und in würdevoller Haltung zu uns hereingeschritten; die Anderen folgten ihm.

»Herr,« meldete er, »Die Krieger sind versammelt und harren eurer Befehle.«

»Gut! Was bringst du denn da für Leute?«

»Das sind die Tschalgydschylar[26], welche erst die Tschenk makami[27] und dann die Makam er raks en nagmeh[28] machen werden. Dadurch werden die Truppen zur höchsten Tapferkeit begeistert werden.«

»Ah, ihr wollt mit Musik gegen die Feinde ziehen?«

»Natürlich! Es ist das so Gebrauch in jedem Heer. Beim Sturm wird trompetet.«

Das war wunderbar lustig. Die vier Räuber sollten still umzingelt und gefangen werden, und dieser Wächter der Polizei wollte mit Musik gegen sie ziehen. Da er aber vom Sturm, von Kriegsmusik sprach, mußte er den Kriegern bereits gesagt haben, um was es sich handle. Er hatte also mein Gebot übertreten, doch sagte ich jetzt nichts dazu. Er ließ mich auch gar nicht zu Wort kommen, denn er faßte den einen, der ein trommelähnliches Ding vorgeschnallt und zwei Stöcke in den Händen hatte, bei der Brust, schwenkte ihn vor mich hin und erklärte:

»Dieser schlägt die Dawul[29]. Er ist Meister dieses Instrumentes.«

Ihn fortschiebend, zog er einen Zweiten herbei, welcher einen Reifen trug, über welchen ein Fell gespannt war.

»Dieser klappert den Dawuldschuk[30], und dieser bläst die Düdük[31]

Bei diesen Worten stieß er Einen, der eine lange Holzpfeife hatte, an die Stelle des Vorigen, schleuderte aber auch diesen wieder zur Seite und raffte zwei Andere herbei, welche sich mit Saiteninstrumenten zu befassen schienen.

»Dieser pimpelt die Kytara[32], und dieser sägt die Keman[33],« erläuterte er uns. »Aber nun kommt die Hauptsache, Effendi. Hier der Letzte hat das eigentliche Instrument des Krieges. Er ist der Held der Töne, denn er macht den Takt und bläst die Feinde um, wenn er will. Er pfeift die Zurna[34], der niemand widerstehen kann. Du wirst mit unserer Musik außerordentlich zufrieden sein.«

Ich zweifelte sehr daran. Die sogenannte Gitarre, welcher sich der Eine befleißigte, bestand aus einem Brettstück, an welches ein Hals geleimt war. Zwei Saiten hätten sich im Abendwind geschwungen, wenn er hier in der Stube geweht hätte.

Die Violine bestand aus einem Hals, an welchem eine kropfähnliche Anschwellung befestigt war. Ueber den Steg derselben liefen drei Saiten, so dick, daß sie ein Violonbassist hätte benutzen können. Der Bogen bestand aus einer krummen Rute, an welche eine starke Schnur gespannt war. Ein großes Stück Pech, welches der Mann in der Hand hielt, war wohl anstatt des Kolophoniums bestimmt, dieser Schnur die nötige Rauheit zu geben.

Und nun erst die Posaune! Ja, es war eine wirkliche, leibhaftige Zugposaune. Woher der Mann sie nur haben mochte? Aber wie sah sie aus! Sie war so voller Schrullen, Drücke und Kniffe, als ob Simson sie benutzt hätte, die etlichen hundert Philister zu erschlagen. Ihre ursprüngliche Gestalt hatte sich im Laufe der Zeit verändert. Sie schien es für geboten gehalten zu haben, sich mehr und mehr einer sehr unregelmäßigen Spirallinie zu nähern, und als ich daher dem Posaunisten das kapriziöse Ding aus der Hand nahm, um zu versuchen, ob es ausgezogen werden könne, fand ich, daß ihre jetzige Gestalt sich dagegen sträubte und daß sie außerdem vollständig eingerostet war.

Ihr glücklicher Besitzer schien dem Ausdruck meines Gesichtes zu entnehmen, daß die Posaune nicht mein völliges Vertrauen besitze, denn er beeilte sich, mir zu versichern:

»Herr, habe keine Sorge! Diese Posaune tut ihre Schuldigkeit.«

»Ich will es hoffen.«

»Da du zu dem Arpa suju noch einen Raki gibst, so schlage ich mit dieser meiner Posaune alle beiden Aladschy tot!«

»Esel!« raunte ihm der Polizeiwächter zu. »Ihr dürft das noch gar nicht wissen!«

»Ah so!« meinte der Heldenposaunist. »Da nehme ich meine Worte zurück!«

»Sie sind nun heraus,« lachte ich. »Also ihr wißt es bereits, um was es sich handelt?«

»Herr, sie ließen mir nicht Ruhe, bis ich es ihnen sagte,« entschuldigte sich der Wächter. »Ihre Tapferkeit entbrannte so schnell, daß es mein Leben gefährdet hätte, wenn ich schweigsam gewesen wäre.«

»Es ist recht, daß du dein Leben geschont hast. Nun brauche ich diesen wackeren Leuten gar nicht erst zu erklären, was von ihnen verlangt wird.«

»O, eine kleine Rede möchtest du doch tun, um sie noch mehr anzufeuern, denn dann werden sie unüberwindlich sein!«

»Die Rede werde ich halten. Nicht, Sihdi?« meinte Halef.

Da ich seine Rednergabe kannte, nickte ich ihm Gewährung zu und fragte dann:

»Wer wird die Krieger anführen?«

Der Polizist antwortete:

»Natürlich bin ich als Polizeiwächter der Muschir[35] dieser Heeresmacht. Ich werde sehr strategisch verfahren. Ich teile das Heer in zwei Hälften, welche vom Divisionsgeneral befehligt werden. Mit ihnen werden wir den Feind heimlich umzingeln und gefangen nehmen. Er kann gar nicht entwischen, da wir von zwei Seiten kommen.«

»Sehr gut! Und dazu macht ihr Musik?«

»Ja, denn damit jagen wir dem Feind bereits beim Nahen Schrecken ein. Wir legen dir die Missetäter gebunden vor die Füße. Aber da du nun einsehen mußt, wie tapfer und verwegen wir sein werden, so brauchst du mit den beiden Hämmeln nicht zu warten, bis wir uns siegreich nahen. Du kannst sie schon jetzt braten lassen. Ich habe einige Frauen mitgebracht, welche dies Geschäft sehr gut verstehen, sie befinden sich bereits draußen im Hof und treffen ihre Vorbereitungen. Die Stücke oberhalb des Schwanzes, welche die besten und zartesten sind, werdet ihr erhalten, denn wir wissen sehr genau, was die Höflichkeit erfordert.«

»Also auch Frauen werden da sein?«

»O, noch Andere! Schau hinaus in den Hof, so wirst du auch die Söhne und Töchter der Frauen sehen.«

»Nun, so mag der Kiaja seinem Knecht befehlen, nicht zwei, sondern vier Hämmel zu schlachten und sie den Frauen zu übergeben.«

26Musikanten.
27Kriegsmusik.
28Musik des Tanzes und des Gesanges.
29Trommel.
30Tumburin.
31Flöte.
32Gitarre.
33Geige.
34Posaune.
35Feldmarschall.