Free

Der Schut

Text
Author:
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Der Lord hatte, wenn nicht alles, aber doch die Hauptsache verstanden. Er brummte:

»Unsinn! Galingré! Kaufmann! Ich bin ein Lord von Altengland und kann auch Geschenke geben. Muß aber nicht gleich sein! Was sagt Ihr dazu, Master, daß diese Beiden nach den Weideplätzen der Haddedihn wollen? Wie kommen sie hin? Welchen Weg schlagen sie ein? Würde es nicht am besten sein, wenn sie per Schiff nach Jaffa führen und von da aus quer durch Palästina nach Bosra im Dschebel Hauran ritten? Sie würden da den Weg erreichen, auf welchem Ihr damals aus dem Land der Haddedihn gekommen seid.«

»Das wäre freilich das Allerbeste. Aber wo bekommen sie ein Schiff nach Jaffa? Und bedenkt das Geld, welches sie bezahlen müssen!«

»Pshaw! Habe ich nicht den Franzosen unten im Hafen liegen? Er bringt uns hin. Zahle alles! Können auch sämtliche Pferde mit an Bord nehmen und sie dann, wenn wir landen, den Beiden schenken. Wir gehen mit bis nach Jerusalem.«

»Wir? Wen meint Ihr da?«

»Euch und mich natürlich!«

»Oho! Ich muß heim.«

»Unsinn! Habe mich genug geärgert, daß wir auf unserm Ritt von Damaskus nach dem Meer Jerusalem zur Seite liegen lassen mußten. Können das nachholen. Auf einige Wochen kann es Euch nicht ankommen. Schlagt ein! Wie gesagt, ich bezahle alles.«

Er hielt mir die Hand hin.

»Muß es mir erst überlegen, Sir,« antwortete ich.

»So überlegt es schnell, sonst schwimme ich nach Jaffa, bevor Euch der richtige Gedanke gekommen ist. Well!«

So war er! Sein Gedanke gefiel mir sehr, und im Stillen redete ich selbst mir zu, auf denselben einzugehen.

Indessen hatten wir Gori erreicht, kamen nach nicht ganz zwei Stunden nach Skala und ritten dann von der Höhe nach Skutari hinab, dem Endpunkt unserer Reise durch das Land der Skipetaren.

Lindsay hatte Halef und Omar seinen Plan mitgeteilt; derselbe wurde mit Entzücken aufgenommen, und die Beiden drangen so stürmisch in mich, daß ich schließlich nachgeben mußte, was, offen gestanden, gar nicht so ungern geschah. Es ging mir jetzt wie immer: ich war länger von der Heimat entfernt, als es in meiner ursprünglichen Absicht gelegen hatte.

Wir stiegen im Gasthof des Anastasio Popanico ab, welcher allerdings nur zwei Fremdenzimmer hatte, die glücklicherweise nicht besetzt waren. Hier konnten wir uns gründlich restaurieren und das Gefühl, halbwilde Menschen geworden zu sein, von uns werfen.

Der Lord schickte also sofort einen Expressen nach Antivari, um dem Kapitän seinen neuen Reiseplan mitzuteilen, und ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu einem Barbier zu gehen und mich dann mit einem neuen Anzug und frischer Wäsche zu versorgen. Daß wir alle ein sehr gründliches Bad nehmen mußten, verstand sich ganz von selbst.

Dann spielten wir die Herren und ließen uns auf dem Skutarisee, von welchem aus die Stadt einen wunderschönen Anblick bietet, spazieren fahren. Als wir nach Hause kamen, wartete ein Polizeibeamter, bei welchem sich drei rot gekleidete Kawassen befanden, auf uns; der Wirt hatte uns angemeldet. Als der Mann meine Pässe sah, zog er sich unter den ehrerbietigsten Verbeugungen zurück, wozu wohl das reiche Bakschisch, welches der Lord ihm gab, das meiste beigetragen hatte.

Skutari trägt, obgleich es am adriatischen Meer liegt, einen durchaus orientalischen Charakter. Es liegt teils in einer fruchtbaren Ebene, teils auf einer Hügelgruppe, welche diese Ebene begrenzt und auf ihrem höchsten Punkt ein verfallenes Kastell trägt. Diese Stadt besteht eigentlich aus mehreren Dörfern, welche miteinander verbunden und deren Häuser fast ausschließlich aus Holz gebaut sind.

Osko blieb einen Tag lang da; dann verabschiedete er sich von uns, um hinauf nach Allia und von da über Plavnicza nach Rieka zu reiten, wo er früher gewohnt hatte. Eine Fahrt über den See hätte ihn viel schneller hingebracht. Aber er glaubte, seinen Schecken, auf den er sehr stolz war, nicht den trügerischen Wellen anvertrauen zu dürfen.

Die Trennung wurde ihm und uns schwer. Er versprach, bei seiner Rückkehr nach Edreneh und Stambul seine Verwandten von uns zu grüßen und sie zu veranlassen, einmal an mich zu schreiben. Wir gaben ihm eine Strecke weit das Geleite.

Der von dem Lord nach Antivari gesandte Bote kam erst am zweiten Tag zurück, denn man hat elf bis zwölf Stunden zu reiten, um von der einen Stadt nach der andern zu gelangen. Er meldete, daß der Kapitän an der Riva von Antivari liege, zu jeder Stunde bereit, uns aufzunehmen. Da uns nichts hier in Skutari hielt, brachen wir am nächsten Morgen sehr zeitig auf.

Wir fühlten uns bald sehr froh, so gute Pferde zu besitzen, denn der Weg ist ein ungemein schlechter. Trinkbares Wasser für uns und die Pferde war nur an einer einzigen Stelle zu bekommen, welche wir um die Mittagszeit erreichten. Sie lag hoch oben auf dem Gebirgsrücken, welcher sich zwischen den beiden Städten bis an das Meer hinzieht.

Der jenseitige Abfall des Berges war so steil, daß wir aus dem Sattel steigen mußten, um die Pferde zu schonen. Von da aus blitzte uns aus der Tiefe das Meer entgegen, welches uns auf seinem dienstbereiten, oft aber auch widerstrebenden Rücken davontragen sollte. Erst eine Stunde vor der Stadt wurde das Terrain so eben, daß wir wieder reiten konnten.

Die Stadt Antivari, welche mit der Festung auf einem niedrigen Ausläufer des Gebirges liegt, wurde von uns nicht berührt, da wir gleich an die Riva wollten. Dort waren vier Häuser an den Strand gebaut, ein Kontumazgebäude, das Agenturhaus des österreichischen Lloyd, ein Zollhaus und ein Wirtshaus. In letzterem kehrten wir ein. Es war fünf Uhr nachmittags, als wir da anlangten.

Die folgende Nacht blieben wir im Wirtshause; am andern Morgen schifften wir uns mit den Pferden ein, und dann entschwand die Küste des Skipetarenlandes sehr bald unsern Blicken.

Wie wir nach Jaffa und el Kudsischscharif (* Jerusalem, die "heiligedle".) gekommen sind, davon vielleicht ein anderes Mal. Für jetzt ist nur noch zu erwähnen, daß der Lord den Hadschi und Omar auch sehr reich beschenkte, und daß ich meinen »Freund und Beschützer« bat, mir einmal zu schreiben. Er möge den Brief nach Mossul senden, von wo aus er wohl an mich gelangen werde. Zu diesem Zweck nahm er Papier mit, und ich schrieb auf ein Kuvert meine Adresse in türkischer und französischer Sprache.

Zwei Monate nach meiner Heimkehr langte denn auch dieses Schreiben bei mir an. Halef hatte geglaubt, weil die Adresse türkisch sei, müsse auch der Inhalt in dieser Sprache gehalten sein. Sein Türkisch war gar wunderbar mit Arabisch vermengt, und seine zwar der Waffe, aber nicht der Feder gewohnte Hand hatte gar manchen muntern Schreibepudel fertig gebracht; aber der Brief war ebenso kurz, wie gut gemeint, und verursachte mir große Freude. Hier sein Inhalt, natürlich aber in Transskription:

»Sewgülü sihdim!

En ni' mi es sallam Allahdan! Geltik ben we Omar ben Sadek. Surur we bacht her tarafda. El massahri! Ez zerh! Iftichahr, esch scharaf, ez zewk! Kara Ben Nemsi Emir el baraki, el muhab'bi, lilistizkar, es sallah! Hanneh el mu sajira, Bint Amschah Bint Malek el Ateïbeh sahlim kwaijisa, hejrana. Kara Ben Hadschi Halef oghul ewladim bir kahreman; arb' in tamrin fard marra jutar; ja Allah, ja Samah!!! Omar Ben Sadek Sahama Bint Hadschi Schukar esch Schamain Ben Mudal Hakuram Ibn Saduk Wesilegh esch Schammar awret almar; bir maldar, we güzel kyz. Allah sahna pek eji hawa bakschischlar we gyzel hawanyn kejfijeti. Rih el husahn pek kemterin we terbijeli sallam werir. Omar Ben Sadek wahid eß Ssiwan el kwaijis ile bir hamat el musajira. Daha jakynda awret al! Allah seni arka olsun! Dajma choschmud ol, tazirleme! Seni sewilim! Möhüri feramusch et! Chaten we lök benim jok! Daima hünerli ol, kahabat we günah sawul! Gel baharin! Daima uslu, edebli, mürüwetli, we serschoschluk sakin!

Düz dolu ittibar, tekrim, tewazu we ybadet yrzehli sadyk achbabin, himajetdschin we ajal pederi

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

Und dieser hochinteressante Schreibebrief lautet, ins Deutsche übersetzt, wörtlich:

»Mein lieber Sihdi!

Gnade und Gruß Gottes! Wir sind angekommen, ich und Omar. Freude und Glück überall! Geld! Panzer! Ruhm, Ehre, Wonne! Kara Ben Nemsi Emir sei Segen, Liebe, Andenken, Gebet! Hanneh, die Liebenswürdige, die Tochter Amschas, der Tochter Maleks, des Ateïbeh, ist gesund, schön und entzückend. Kara Ben Hadschi Halef, mein Sohn, ist ein Held. Vierzig getrocknete Datteln verschlingt er in einem Atem; o Gott, o Himmel! Omar Ben Sadek wird heiraten Sahama, die Tochter von Hadschi Schukar esch Schamain Ben Mudal Hakuram Ibn Saduk Wesilegh esch Schammar, ein reiches und schönes Mädchen. Allah schenke dir sehr gutes Wetter und schöne Witterung! Rih, der Hengst, grüßt sehr ergebenst und höflich. Omar Ben Sadek hat ein gutes Zelt und eine liebenswürdige Schwiegermutter. Heirate auch bald! Allah beschütze dich! Sei stets zufrieden, und murre nicht! Ich liebe Dich! Vergiß das Siegel; ich habe weder ein Petschaft, noch Siegellack! Sei immer tugendhaft, und meide die Sünde und das Verbrechen! Komme im Frühjahre! Sei immer mäßig, bescheiden, zuvorkommend, und fliehe die Betrunkenheit!

Voller Hochachtung, Ehrerbietung, Demut und Anbetung Dein ehrlicher und treuer Freund, Beschützer und Familienvater

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

– — —

Anhang

Mit der letzten Zeile des vorigen Kapitels war unser Ritt zu Ende, und es sollte nun eigentlich das Schlußzeichen zu sehen sein, doch sehe ich mich zu meiner Freude gezwungen, einen Anhang folgen zu lassen.

Ich sage, zu meiner Freude, denn viele Hunderte von Zuschriften aus allen Gegenden des Vater – und auch des Auslandes haben mir bewiesen, welch ein inniges Seelenbündnis sich zwischen meinen Lesern und mir herausgestaltet hat. Was die Zeitungen über die bisherigen sechs Bände schreiben, ist außerordentlich erfreulich und ehrenvoll; weit, weit tiefer aber berührt es mich, aus so vielen Privatbriefen von Alt und Jung, Vornehm und Einfach, Hoch und Niedrig zu vernehmen, daß nicht nur ich der Freund meiner Leser geworden bin, sondern auch meine Gefährten, von denen ich erzählte, sich eine ebenso große wie allseitige Teilnahme erworben haben.

 

Besonders ist es mein guter, treuer Hadschi Halef Omar, nach dessen späteren Schicksalen und gegenwärtigen Verhältnissen ich gefragt werde. Aus Kreisen, welche dem Throne nahe stehen, und aus der kleinen Arbeiterhütte, aus der teuren Goldfeder des Millionärs und der zitternden Hand der armen Witwe, vom Boudoir der Weltdame ebenso, wie aus der ernsten Klausur des Klosters, von der Schulbank des Kadetten oder Gymnasiasten und aus der Schreibmappe des kleinen, munteren Pensionsbackfischchens habe ich Anfragen erhalten, welche meist den wackeren Hadschi betreffen. Ich kann getrost sagen, daß dieses mir so liebe Kerlchen sich alle Herzen, und nicht etwa bloß das meinige, erobert hat.

Was will man da nicht alles über ihn wissen! Ich könnte Briefe über Briefe schreiben und würde doch nie fertig werden, denn es gehen täglich immer wieder neue Fragen ein. Ich soll noch mehr, viel mehr von ihm erzählen. Ich soll sagen, ob, wann, wo und wie ich wieder mit ihm zusammengetroffen bin und was ich da mit ihm erlebt habe. Ich kann wirklich nicht anders, ich muß diese Bitten, so gut es geht, schon jetzt und hier zu erfüllen suchen und bemerke dabei zugleich, daß in späteren Bänden noch oft und viel von Halef die Rede sein wird. Was diese Bände nicht bringen, soll hier erzählt werden, nämlich mein nächstes Zusammensein mit dem treuen Diener und Begleiter, welcher zugleich mein aufopferungsfähigster Freund gewesen ist.

Dabei werden auch die Wünsche derjenigen erfüllt werden, welche ihre rege Teilnahme auch jenem Wesen schenken, welches meinem Herzen so nahe gestanden hat, obgleich es kein Mensch, sondern nur ein Tier war. Ich meine Rih, meinen unvergleichlichen Rappen, nach welchem sich ja auch so viele Leser erkundigen. Es möge also mein folgendes Erlebnis mit Hadschi Halef Omar und mein letzter Ritt auf meinem Rih nun folgen. – —

Ich befand mich wieder einmal in Damaskus und hatte die Absicht, von da aus über Aleppo, Diarbekr, Erzerum und die russische Grenze zu gehen, um nach Tiflis zu gelangen. Ein Freund von mir, bekannter Professor und Sprachforscher, hatte es verstanden, mich für die kaukasischen Idiome zu interessieren, und ich hielt es, wie das meine Art und Weise stets gewesen ist, für am vorteilhaftesten, meine Studien nicht daheim, sondern an Ort und Stelle zu machen. Wie sich von selbst versteht, wohnte ich in Damaskus nicht in einem Gasthause, sondern ich war auf der »geraden Straße« bei Jakub Afarah abgestiegen (* Siehe Bd. III, Kap. 6.) und mit großer Freude aufgenommen worden. Damals hatte ich nicht Zeit gefunden, die Umgebung von Damaskus kennen zu lernen, und so bestrebte ich mich denn jetzt, dieses Versäumnis nachzuholen. Ich machte täglich einen Ausflug und war bald so weit herumgekommen, daß ich nur noch den im Norden der Stadt gelegenen Dschebel Kassium zu besuchen hatte. Dieser Berg ist darum merkwürdig, weil dort nach der morgenländischen Erzählung Kain seinen Bruder Abel erschlagen haben soll.

Ich unternahm diesen Spazierritt ganz allein, um den Anblick der prächtigen Stadt ganz ungestört auf mich wirken zu lassen. Es war noch sehr früh am Tage, und so durfte ich hoffen, nicht belästigt zu werden. Aber als ich auf der Höhe ankam, sah ich, daß ich heute nicht der erste Besucher auf derselben war. Ich erblickte einen jungen Hammar (Eselstreiber), welcher im Grase neben seinem Tiere lag, und als ich um einige Olivenbüsche bog, sah ich auch den Mann, den der Esel heraufgetragen hatte. Er wendete mir den Rücken zu, seiner Kleidung nach mußte er ein Europäer sein, da unmöglich ein Eingeborener in so einem Anzuge stecken konnte.

Ein hoher, grauer Zylinderhut saß auf einem langen, schmalen Kopfe, welcher in Beziehung auf den Haarwuchs noch öder als die Sahara war. Der dürre, bloße Hals ragte aus einem sehr breiten, umgelegten und tadellos geplätteten Hemdenkragen hervor; dann kam ein graukarierter Rock, eine graukarierte Hose, und auch die Gamaschen waren graukariert. Ich sah ihn, wie gesagt, von hinten, konnte aber darauf schwören, daß er auch einen graukarierten Schlips und eine graukarierte Weste trug. Über dem Schlips gab es dann ein langes, dünnes Kinn, einen breiten, dünnlippigen Mund, noch höher hinauf eine Nase, die einmal mit einer riesigen Aleppobeule behaftet gewesen war. Das wußte ich ganz genau, denn ich kannte diesen Mann, der so in sich versunken war, daß er mein Kommen gar nicht gehört hatte.

Ich stieg aus dem Sattel, schlich mich zu ihm hin, legte ihm von hinten her beide Hände auf die Augen und fragte mit verstellter Stimme englisch:

»Wer ist da?«

Er schrak ein wenig zusammen und nannte dann einige englische Namen, jedenfalls von ihm bekannten Personen, welche sich gegenwärtig in Damaskus befanden. Darauf rief ich mit meiner wirklichen Stimme:

»Falsch geraten, Sir! Wollen sehen, ob Ihr mich nun erkennt.«

Da antwortete er augenblicklich:

»All devils! Wenn das nicht dieser armselige Kara Ben Nemsi ist, der seinen Rapphengst verschenkt hat, anstatt ihn an mich zu verkaufen, so will ich auf der Stelle gleich selbst ein Rappe sein!«

Er machte sich von meinen Händen frei und drehte sich nach mir um. Seine Augen richteten sich groß auf mich; sein Mund zog sich von einem Ohrläppchen zum andern, und seine bekannte, lange Nase geriet in eine unbeschreibliche Bewegung.

»Richtig, richtig, ganz richtig!« stieß er dann hervor. »Er ist's; er ist's wirklich, dieser Mensch, der keinen Pfennig von mir angenommen hat, obgleich ich ihm so viel zu verdanken habe! Kommt an mein Herz, Sir! Ich muß Euch an meinen Busen drücken!«

Er schlang die langen Arme wie ein Polyp um mich, quetschte mich fünf-, sechsmal an seine vordere Seite und legte dann – have care! – seinen sich fürchterlich zuspitzenden Mund auf den meinigen, was er nur dadurch fertig brachte, daß er seine Nase eine sehr resolute Seitenschwenkung machen ließ. Dann schob er mich wieder von sich ab und fragte mit frohleuchtenden Augen:

»Mann, Mensch, Kerl, Herzensfreund, wie kommt denn Ihr grad jetzt in diese Gegend, und auf diesen Berg herauf? Ich bin ganz außer mir vor Freude und Erstaunen. Habt Ihr etwa doch meinen Brief bekommen?«

»Welchen Brief, Sir?«

»Von Triest aus. Forderte Euch auf, dorthin zu kommen und mit mir nach Kairo zu fahren.«

»Habe keinen Brief erhalten. War gar nicht daheim.«

»Also Zufall? Der reine Zufall? Seit wann treibt Ihr Euch denn hier herum?«

»Seit schon elf Tagen.«

»Bei mir sind's nur erst vier. Morgen geht's wieder fort. Wo wollt Ihr denn von hier hin?«

»Nach dem Kaukasus.«

»Kaukasus? Weshalb?«

»Sprachstudien.«

»Unsinn! Ihr schwatzt genug in fremden Zungen. Was habt Ihr davon, Euch mit den Tscherkessen herumzubalgen. Geht mit mir! Soll Euch kein Geld kosten.«

»Wohin?«

»Zu den Haddedihn.«

»Was?« fragte ich, nun meinerseits erstaunt. »Ihr wollt zu den Haddedihn?«

»Yes,« nickte er, und seine Nase nickte auf ihre eigene Rechnung gar dreimal. »Warum nicht? Habt Ihr etwas dagegen?«

»Nicht das Geringste. Aber wie kommt Ihr auf diesen Gedanken? Wollt Ihr etwa wieder nach »Fliegenden Stieren« graben?«

»Haltet den Mund! Braucht mich nicht zu foppen, Sir; bin von diesem Gedanken längst zurückgekommen. Aber Ihr wißt, das ich Mitglied vom Traveller-Klub, London, Near-Street 47, bin. Habe mich da anheischig gemacht, eine Reise von achttausend Meilen zu machen, ganz egal, wohin. Überlegte mir die Sache. Dachte an unsere früheren Ritte und entschloß mich, die bekannten Orte aufzusuchen und dann von Bagdad nach Indien und China zu gehen. Wollt Ihr mit?«

»Danke! Habe nicht so lange Zeit.«

»Dann wenigstens mit zu den Haddedihn. Wollte mir hier einige Führer nehmen; habe sie sogar engagiert; können aber dableiben, wenn Ihr mitgeht.«

Der Gedanke, die Haddedihn und namentlich Halef zu besuchen, war mir höchst sympathisch; aber ich hatte nun einmal anders über meine Zeit verfügt und machte Einwendungen. Er hörte dieselben jedoch gar nicht an, schüttelte den Kopf, wobei seine Nase in ein bedenkliches Schlingern kam, wedelte mit den Armen, so daß ich mich durch einige Schritte nach rückwärts in Sicherheit bringen mußte, und ließ eine solche Flut von Einwendungen, Vorwürfen und Ermahnungen über mich los, daß ich schließlich bat:

»Nehmt Eure Stimmwerkzeuge in acht, Sir! Vielleicht habt Ihr sie später auch noch einmal nötig.«

»Pshaw! Ich werde so lange reden, bis Ihr sagt, daß Ihr mitmachen wollt.«

»Wenn das der Fall ist, so muß ich mich nun freilich mehr über Euch erbarmen als Ihr selbst. Ich reite mit. Doch sage ich Euch, daß ich nicht mehr als einen Monat für Euch haben kann.«

»Schön, schön, herrlich, prächtig, Sir! Wenn Ihr nur erst einen Monat sagt, so bin ich ganz zufrieden, denn ich weiß, daß bei Euch sehr leicht ein ganzes Jahr daraus wird.«

Er umarmte mich wieder und versuchte, einen zweiten Kuß an den Mann zu bringen, dem ich aber durch eine schlaue Kopfbewegung entging, so daß die drohend zugespitzten Lippen in der Luft auseinander platzten. Darauf erkundigte ich mich, wo er in Damaskus wohnte.

»Beim englischen Konsul, der ein entfernter Verwandter von mir ist,« antwortete er. »Und Ihr?«

»Bei Jakub Afarah natürlich. Ich habe dadurch große Freude angerichtet. Warum habt Ihr ihn nicht besucht?«

»Woher wißt Ihr, daß ich nicht bei ihm gewesen bin?«

»Weil er es mir gesagt hätte.«

»Well. Dachte, daß er mich gleich dort behalten würde, und Ihr wißt ja, daß ich gern mein eigener Herr bin. Ein Gast ist immer ein gebundener Mann. Doch da ich Euch gefunden habe, will ich Euch zu ihm begleiten. Ich möchte gern das famose Klavier sehen, auf welchem Ihr damals bei ihm ein Konzert gegeben habt.«

Kain und Abels Erinnerungsstätte erregte jetzt weniger unsere Aufmerksamkeit; wir ritten bald nach der Stadt zurück. Das war wieder einmal so ein unerwartetes Zusammentreffen, wie ich sie so oft erlebt hatte! Die Folge davon war anstatt der geplanten Reise nach Norden ein Ausflug zu den lieben Haddedihn vom Stamme der Schammar. Zwei Tage später waren wir schon unterwegs, ganz allein, denn Führer konnten uns nur lästig fallen. Was die Vorbereitungen zu diesem Ritte betrifft, so kosteten sie mich keinen Pfennig. Lindsay kaufte drei gute Kamele, eins davon zum Tragen der Vorräte, welche wir mitnahmen. Auch für Geschenke hatte er in höchst anständiger Weise gesorgt. Leider war es mir nicht möglich gewesen, ihn zu bestimmen, seinen schauderhaften, graukarierten Anzug abzulegen. Auf alle meine darauf bezüglichen Vorstellungen gab er immer nur die eine Antwort:

»Laßt mich mit Euren fremden Kleidern in Ruh! Habe einmal in einem kurdischen Anzuge gesteckt, einmal und nicht wieder! Bin mir vorgekommen wie ein Löwe in der Eselshaut!«

»Wirklich? Sonderbar!«

»Was, sonderbar?«

»Diese Umkehrung. Die bekannte Fabel spricht doch wohl von einem Esel in der Löwenhaut.«

»Sir! Soll das eine Anzüglichkeit bedeuten?«

»Nein, nur eine Richtigstellung.«

»Well, sollte Euch auch nicht gut bekommen! Hoffe, Euch beweisen zu können, daß ich keiner fremden Haut bedarf, um den nötigen Mut zu zeigen, wenn sich eine Veranlassung dazu ergeben sollte. Könnt Euch darauf verlassen!«

Dieser Bemerkung bedurfte es gar nicht; er hatte ja mehr als zur Genüge bewiesen, daß er Mut besaß; nur hatte er leider dabei die Eigentümlichkeit, alles am verkehrten Ende anzufassen. Das Bild vom Esel in der Löwenhaut war von mir berichtigt worden, weil ich wissen wollte, ob ich noch in der früher zwischen uns gebräuchlichen Weise mit ihm verkehren könne.

Wir benutzten ganz genau denselben Weg, welchen ich damals von den Weideplätzen der Haddedihn nach Damaskus eingeschlagen hatte, und gingen also in der Gegend von Deïr auf Kellekflößen über den Euphrat. Wir hatten bisher nichts erlebt, was besondere Erwähnung verdiente; in Deïr aber erfuhren wir, daß wir von jetzt an vorsichtig sein müßten, weil die Abu-Ferhanaraber, deren Herden jetzt hier und am Ghabur weideten, sich mit den Haddedihn entzweit hatten und uns, die wir mit den letzteren befreundet waren, jedenfalls feindlich behandeln würden. Wir hielten uns also lieber südlich und gingen bei Abu Seraï über den Ghabur. Dort liegen die Ruinen des alten Circesium oder Karchemisch, wo 605 V¨ Chr¨ Nebukadnezar den ägyptischen Necho besiegte. Einen Tag später hatten wir das Gebiet der Abu-Ferhan hinter uns, ohne einem von ihnen begegnet zu sein, und durften darauf rechnen, morgen oder spätestens übermorgen die Haddedihn zu sehen.

 

Am nächsten Abende machten wir auf der weiten Ebene, welche jetzt einer blumigen Wiese glich, Halt. Lindsay hätte gern ein Feuer angebrannt, doch gab ich das nicht zu. Wir lagerten also im Dunkeln. Gegen Mitternacht hörte ich den schnellen Hufschlag von Pferden, konnte aber die Reiter nicht sehen. Dem Schalle nach zu urteilen, ritten sie ostwärts, also in der Richtung, in welcher wir die Haddedihn suchten. Hätten wir ein Feuer gemacht, so wären wir von diesen Leuten bemerkt und aufgesucht worden.

Als der Tag graute, brachen wir auf. Nachdem wir vielleicht eine Stunde lang geritten waren, erblickten wir zwei Reitertrupps, welche aus Osten kamen; der erste von ihnen, der aus sechs bis acht Personen bestand, hielt sich nördlich, mußte also für uns schnell wieder verschwinden; der zweite zählte nur zwei Personen, welche grad auf uns zukamen. Ich glaubte annehmen zu dürfen, daß diese beiden Trupps zusammengehörten und sich erst vor wenigen Minuten getrennt hatten.

Zunächst konnten wir etwas Deutliches nicht sehen, weil die Leute noch zu fern von uns waren; doch kamen die Beiden uns rasch näher, und da erkannten wir, daß der eine auf einem Schimmel und der andre auf einem Schwarzen saß. Sie sahen uns natürlich ebenso wie wir sie, veränderten aber ihre Richtung nicht, schwangen die Arme, wie um uns ein Zeichen zu geben, und ließen frohe Ausrufe hören, welche aus der Ferne wie »Negah, negah, nefad!« klangen. Wenn ich nicht falsch hörte, so hieß dies soviel wie: »Es ist gelungen, gelungen!« Sie schienen uns für ihresgleichen zu halten.

Dann aber mußten sie die graukarierte Gestalt des Englishman deutlicher sehen; sie stutzten, kamen aber doch dann auf uns zu. Jetzt waren sie ungefähr noch zweihundert Pferdelängen von uns entfernt; da konnte ich einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken; ich erkannte die beiden Pferde. Bei dem Engländer war dasselbe der Fall, denn er sagte zu gleicher Zeit:

»Alle Donner, das ist ja unser Rih! Sind diese Leute Haddedihn?«

»Nein, Pferdediebe,« antwortete ich leise. »Macht sie mir nicht scheu! Jedenfalls sind es Abu-Ferhans, dieselben, welche gestern abend an uns vorüberritten. Sie haben die beiden besten Pferde der Haddedihn gestohlen. Haltet an, und steigt ab, Sir! Die Pferde müssen wir haben. Bleibt hier halten, bis ich wiederkomme!«

Wir ließen unsere Kamele niederknien und stiegen ab. Den Bärentöter und den Stutzen ließ ich im Sattel hängen und ging den beiden Reitern mit leeren Händen entgegen. Sie waren auch halten geblieben. Ein Blick nach rückwärts sagte mir, daß Lindsay sein Gewehr in der Hand hielt. Als ich noch ungefähr sechzig Schritte von ihnen entfernt war, rief mir derjenige, welcher auf dem Rapphengst saß, zu:

»Halt, bleib stehen! Wer bist du?«

»Ich bin der Besitzer des Rappen, auf welchem du sitzest,« antwortete ich. »Steig ab!«

»Allah verbrenne dich,« antwortete er. »Bist du bei Sinnen? Das Pferd ist mein!«

»Das wird sich gleich zeigen.«

Ich warf meinen Burnus ab, so daß der Rappe meine Gestalt deutlicher sehen konnte, und rief ihm zu:

»Rih, Rih taijjibi, ta'al, ta'a lahaun – Rih, mein lieber Rih, komm her zu mir!«

Das herrliche Pferd hatte mich sehr lang nicht gesehen; es erkannte mich doch sogleich: ein gewaltiger Satz, mit allen Vieren in die Luft, ein zweiter dann zur Seite, und der Reiter lag im Grase; schon im nächsten Augenblick stand der Rappe, hell aufwiehernd, bei mir. Früher pflegte er mich dadurch zu liebkosen, daß er seinen Kopf an mir rieb oder mich leckte. Jetzt aber war das treue Tier so entzückt, daß ihm das nicht genügte; es nahm meine Schulter in das Maul und ließ dabei einen schnaubenden Freudenlaut hören, welcher so deutlich wie mit menschlichen Worten sagte: »O du lieber, lieber Herr, ich könnte vor Wonne sterben, daß ich dich wieder habe.«

Aber es gab keine Zeit zu Zärtlichkeiten. Der Abgeworfene kam schon herbeigesprungen; er hatte sein Messer in der Hand. Und der Andere trieb sein Pferd auch auf mich zu. Ein rascher Sprung, und ich saß im Sattel. Den Revolver ziehend, hielt ich ihn dem Ersten entgegen und gebot:

»Bleib stehen, sonst schieß' ich!«

Er gehorchte.

»Herab vom Pferde!« befahl ich nun dem zweiten. »Sonst schieße ich dich herunter!«

Er hielt den Schimmel an, da er nicht näher zu kommen wagte, rief mir aber zornig entgegen:

»Hund, was hast du uns zu befehlen! Diese Pferde gehören uns, und ich . – «

»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Ich bin Hadschi Kara Ben Nemsi Emir, der Freund der Haddedihn, und dieser Rappe ist mein Pferd.«

»Kara Ben Nemsi!« schrie er auf. »Der Fremdling mit den Zauberflinten!«

Einen Augenblick starrte er mich wie ratlos an, aber nur einen einzigen Augenblick; dann schoß er auf dem Schimmel fort, schnell wie ein Gedanke auf die Ebene dahin.

»Sir, nehmt den Kerl hier fest!« rief ich dem Engländer zu; dann flog ich hinter dem Reiter her.

Kein Anderer als ich hätte ihn einzuholen vermocht. Das Pferd, auf welchem er saß, war das schnellste Roß der Haddedihn, jene junge Schimmelstute, von welcher Mohammed Emin (* Siehe Bd. I, S. 293.) zu mir gesagt hatte: »Diese Stute geht nur mit meinem Leben von mir.« Er hatte mit ihr den wilden Esel des Sindschar müde gejagt, bis er zusammenbrach. Selbst mein Rih hätte sie nicht einholen können, wenn der rechtmäßige Herr auf ihr gesessen hätte. Dieser Pferdedieb aber kannte ihr Geheimnis nicht und konnte sie also nicht zur Entfaltung ihrer größten Schnelligkeit bringen. Ich aber kannte dasjenige meines Hengstes und war darum des Erfolges sicher.

Ich legte dem Rappen die Hand zwischen die Ohren und rief dreimal »Rih!« Er wieherte laut auf und griff so aus, daß mir hätte schwindelig werden mögen. Schon nach einer halben Minute sah ich, daß ich Raum gewann. Der Dieb blickte hinter sich und bemerkte es auch. Er schlug auf sein Pferd ein, um es anzutreiben, doch war die edle Stute eine solche Behandlung nicht gewöhnt; sie widersetzte sich; das brachte mich ihr rascher näher. Der Kerl gab sich alle Mühe und strengte seine ganze Reitkunst an; er gewann die Herrschaft wieder über das Pferd und flog weiter.

Er war ein vorzüglicher Reiter. Es läßt sich denken, daß wenn ein Stamm die besten Pferde eines andern Stammes stehlen will, nur die besten Reiter dazu verwendet werden. Diese nehmen, um nicht gehindert zu sein, keine langen Waffen, sondern nur das Messer mit. Dafür aber bekommen sie Begleiter, welche sie zu beschützen, zu verteidigen haben. Das war der andere Reitertrupp gewesen, welcher die nördliche Richtung eingeschlagen hatte, um die Verfolgung von den eigentlichen Dieben ab und auf sich zu lenken.

Aber die Geschicklichkeit dieses Mannes half ihm nichts; ich kam ihm näher und immer näher. Nun verlegte er sich auf Finten und wich von der geraden Richtung bald nach rechts, bald nach links, wie ein Fuchs, welcher die Meute hinter sich hat, doch vergeblich. Ich kam an seine Seite.

»Halt an!« gebot ich ihm.

Er schwang sein Messer, stieß ein grimmiges Lachen aus und gehorchte nicht. Ich wäre gern von meinem Pferde aus auf das seinige, um hinter ihn zu kommen, hinübergesprungen, aber das hätte der zarten Stute schaden können. Darum rief ich ihm zu, mich an seiner Seite haltend und den Revolver auf ihn richtend:

»Nochmals, halt an, sonst schieße ich!«

Er lachte wieder. Da zielte ich auf seine Hand, die das Messer hielt und drückte zweimal ab. Die Kugeln saßen. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Messer fallen; er war nun waffenlos. Da drängte ich den Rappen hart an den Schimmel, erhob mich in den Bügeln und schlug ihm die Faust gegen den Kopf. Er taumelte und ließ die Zügel aus der Linken fallen. Sofort ergriff ich sie; Pferd und Reiter waren mein. Wir hielten an, nachdem die Tiere noch eine kleine Strecke fortgeschossen waren.