Aphrodite Schatzsucherin

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"Ja Zsófia."

"Für immer?"

Er scheint nicht zu verstehen, was sie ihn fragt. “Du meinst Ehe, Kinder?"

Sie nickt. "Ja. Später vielleicht. Ja."

"Zsófia, ich war schon einmal verheiratet. Ich habe eine Tochter. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal beginnen könnte. Menschen verändern sich, Gefühle verändern sich. Nichts ist für immer.” Er muss an Athena denken, die Mutter seiner Tochter. An ihren Kampf um die Tochter. Und unter diesem Kampf ein Feldzug der Rache wegen all der gebrochenen Versprechen, Endtäuschungen, Schmerzen. - Den zerbrochenen Überresten einer Liebe. Teilen des Selbst, die womöglich nicht mehr heilen können. Kann er heilen? Er wünscht es sich. Gerade jetzt mit Zsófia hat er eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen könnte, ganz zu sein. Kann er dieser Ahnung vertrauen?

Zsófia spürt die Schwere zwischen ihnen und umfängt behutsam seine Hand. Lange liegen sie schweigend und ihr ist, als wolle er aufspringen und sie verlassen. Doch er bleibt. Zieht sie an sich. “Liebe verschenkt sich Zsófia, will nicht besitzen. Liebe ist”, murmelt er leise an ihrem Ohr.

Doch damit macht er ihr das Schwere nicht leichter, die Kälte der Furcht in ihr bleibt. Zsófia will ankommen, zuhause sein. Nicht ins Ungewisse springen. Dem Festen gerade entkommen will sie doch wieder etwas Festes. Aber so sieht sie es nicht. Georgos spricht von etwas so Flüchtigem. Vom Freisein und Lieben, wo sie wissen möchte, wo sie hingehört und zu wem sie gehört. Sie möchte ihre Namen in den Himmel schreiben, Frau und Mann.

Oh, ihre Gefühle sind so tief und gewaltig und nehmen ihr den Atem. Ist es nicht besser, jetzt zu gehen, als später verlassen zu werden?

Oh, seine Gefühle sind so tief und gewaltig, ist es nicht besser, sie fortlaufen zu lassen?

“Wir wissen nicht, wie wir morgen füreinander fühlen. Aber ich weiss, wo ich mein Leben habe. Das hier ist ein Traum. Ein wunderschöner Traum. Solange wir das nicht vergessen, müssen wir nicht aufwachen. Können ihn nie verlieren."

"Glaubst du das?"

Zsófia hat darauf keine Antwort.

Kapitel 6

“Vielleicht verschwanden Göttinnen und Götter, als Menschen aufhörten an Wunder und Übernatürliches zu glauben. Helenen der Antike hatten Gottheiten des Olympus geheiligt. Ältere Kulturen hatten die Sonne verehrt und mit ihr die Frau als Spenderin des Lebens. Stämme des blauen Gaia Planeten gehen durch Zyklen. Völker kommen und gehen und mit ihnen ihre Gottheiten, Geister oder Mächte. - Ideen, Begriffe und Philosophien, die versuchen, das Unerklärbare zu erklären; Gott, Spirit oder das namenlose All-Eins. Die Erklärungen suchen, warum Menschen sind, wohin sie gehen, wenn ihre irdische Zeit beendet ist und wo ihr Platz ist im unendlichen Reigen.

Die jüngste Zeit der Menschen ist eine Ära der Ratio. Ratio als eine Geisteswissenschaft, die von jungen Menschen Europas und Nordamerikas begründet wurde. Eine Wissenschaft des Westens, eine männliche Wissenschaft. Sie sucht Instrumente zu entwickeln, die den Schatz des Lebens zu messen vermögen. Die Vorreiter der Wissenschaft glauben, das ihnen dies bald gelingen wird. Wer auf seiner Suche nach dem Schatz nicht den Gesetzen dieser Wissenschaft folgt wird ausgelacht.

Wunder sind nur noch in die Bücher der Kinder einwebt und sonst in Vergessenheit geraten. Denn dies ist eine Zeit der Entzauberung”.

Die maschinengeschriebenen Zeilen kleben in einer der Tagebuch-Kladden. Ich suche vergeblich nach einem Verfasser. Der Mann auf den ich warte, hat gerade angerufen. Er werde sich verspäten. Und so blättere ich erneut in Zsófia’s Aufzeichnungen. Zerstreut, wahllos. Mir wird kalt auf der Veranda der kleinen Bar, aber im Inneren ist es laut und dunkel und so hülle ich mich auf der Terrasse in meinen Umhang. “Zeit der Entzauberung”, seit ich denken kann, sind Glaube und Wunder für mich etwas, was den überwiegenden Teil des Jahres in Pappkartons verstaut wird und nur an Weihnachten für ein paar Tage herausgeholt wird. Um der Kinder willen und um gewisse Traditionen zu pflegen. Solange es der Geselligkeit zuträglich ist. Wenn ich beten könnte, würde ich Gott “Herr und Vater” nennen wo eine Athenerin des antiken Griechenlandes wohl Göttin Demeter um eine gute Ernte und Hermes um gutes Gelingen gebeten hätte. Aber so sicher wie sie sich des Sonnengottes Helios und seines Wagengespannes gewesen wäre, so sicher bin ich mir, dass selbst wenn es meinen väterlichen Gott gäbe, dieser für mich keine Ohren haben würde. So bin ich denn entzaubert und bislang hatte es mir nichts ausgemacht. Ich hatte keine grösseren Tragödien erleben müssen und keines göttlichen Trostes bedurft.

“Zeit des Zynismus und Zeit einer tiefen Hoffnungslosigkeit”, lese ich weiter. Ich hatte auflachen wollen, aber aus meiner trockenen Kehle bricht nur ein Husten hervor. Ich habe plötzlich einen tiefen Groll auf die Schatzsucherin und ihre Tagebücher.Was weiss denn sie von meiner Hoffnungslosigkeit? Mit welchem Recht bricht das Schicksal über mich herein? Und warum soll ich mich inmitten meines Trümmerhaufens auf die Suche nach der Schatzsucherin machen?

Ich blicke wie von einem Magnet gezogen auf. Ein langhaariger, dünner Rock’n’Roll Jesus blickt auf mich herunter. “Antje?” Mein Lächeln ist nur ein Zähneblecken und ich stehe auf um ihm die Hand zu reichen. Da beugt er sich bereits zu mir herunter, umarmt mich und drückt zwei Küssen auf meine Wangen. Dabei kitzeln seine langen, welligen Haare meine Nase. Breitbeinig setzt er sich neben mich und ich betrachte verstohlen seine blossen tätowierten Arme unter einer Lederweste. Er spricht in breitem, englischem Cockney, macht ausgreifende Armbewegungen und demonstriert eine geradezu väterliche Herzlichkeit, die im Kontrast steht zu seiner langen, dürren Gestalt. Ich starre auf seine Achselhaare, dann zurück auf Totenkopf Tattoos und Hieroglyphen. Auf seinem Bauch prangt eine Adler mit ausgebreiteten Flügeln.

Er spricht von einem Live Konzert am Wochenende. Ich zwinge mich, Interesse zu zeigen. “Ich setze dich auf die Gästeliste Antje”, er berührt sachte meinen Unterarm und es tut mir gut. Taut mich ein wenig auf. Dann springt er auf. “Ganz vergessen, ich muss den Jungs helfen, die PA abzuholen.” Ich starre ihn verblüfft an. “Ja, die Anlage für unsere Gigs.” Ich halte ihm die Wange zum Abschied hin aber er gibt mir eine ungestüme Umarmung und einen Kuss auf meinen Haarscheitel. Dann wandert er breitbeinig auf langen Beinen davon.

Das also ist Dante. Ein ehemaliger Freund der Schatzsucherin. Ich stecke den Konzert Flyer in meine Tasche. Schlendere zurück zur Studiowohnung in der Delancey Street. Streiche über weissgestrichene Bücherregale. Photographie Bänder, Drehbücher, Fachbände über Kameraführung, technische Anleitungen. Maximilian ist Cinematographer und Filmemacher.

Ich entdecke metaphysische Sachbücher im Regal. Ich habe nicht gewusst, dass Maximilian sich dafür interessiert. Wir hatten das Studio Flat gemeinsam gefunden. Maximilian hatte so viele Aufträge in London gehabt. So hatte er die Arbeitstage hier verbracht und war zwischen Filmprojekten nach Hause gekommen. Am Anfang war ich manchmal mitgefahren, Penelope bei Maximilians Eltern und wir wie Jungverliebte in London unterwegs. Irgendwann war ich nicht mehr mitgefahren. Nikolas war geboren, er schrie viel als Baby, brauchte so viel von mir. Ich war müde, immerzu müde. Meine geschwollenen Brüste gaben Milch, mein Ganzes gehörte den Kindern und ich hatte kein Verlangen danach, meinen Körper auch noch mit Maximilian zu teilen. Er nahm es hin. Wir waren glücklich mit unseren Kindern. Er war verrückt nach ihnen. Wir hatten Ausflugs und Spielwochenenden mit Kinderparties und anderen jungen Eltern. Schöne Tage, aber wir waren an einem Punkt angekommen, an dem wir uns am Besten in Gesellschaft anderer verstanden. Gegenseitig unsere Sätze beendend, neckend Anekdoten zum Besten gebend und erstaunt über das unangenehme Schweigen, sobald wir miteinander alleine waren. Ich war jedes Mal ein wenig erleichtert, wenn Maximilian wieder nach London fuhr. Ich hatte meine feste Routine. Routine ist wichtig für Kinder. Maximilian hätte das durcheinander gebracht. Ich schaue mich in der hellen Altbauwohnung um. Werde Kartons kaufen müssen, sortieren, packen und der Gedanke daran füllt mich mit Kummer. Ich greife den Pullover über dem Stuhl. Er riecht nach Maximilian. Ich vermisse ihn.

II. FESTLAND. Kapitel 7

Zsófia verlässt die Insel, Georgos und den Traum - kehrt zurück in ihr Leben auf dem festen Land. Sie bereut es, als sie Georgos zum letzten Mal umarmt. Als ihr Taxi zum Elefthérios Venizélos Flughafen fährt. Als sie ihren Pass vorzeigt und später, als sie in der erstickenden Sommerhitze Griechenlands ins Flugzeug steigt. Ein Teil von ihr will aufschreien, aufspringen und zurücklaufen. Aber sie ist wie gelähmt. Auch jetzt in ihrer Stadt angekommen, funktioniert sie, wie ein dressiertes Zirkuspferd. Tag um Tag und schliesslich Jahr um Jahr.

"Ich will niemals tun, was üblich ist.” Was hatte sie damals damit gemeint? ‘Vielleicht habe ich es gesagt, weil ich nicht so sein wollte, wie meine Mutter.’, denkt Zsófia. Sie lehnt sich in dem aufheulenden Wagen zurück und blickt auf den Mann an ihrer Seite. Juan hatte Karl von Anfang an nicht gemocht. “Zsófia, der Mann hat so wenig Vertrauen. Er kontrolliert dich.” Zsófia versteht erst jetzt, was Juan damit hatte sagen wollen. Aber vielleicht sind Karl und sie gar nicht so verschieden? Er, der Liebe nicht annehmen kann und sie die der Liebe dort nachläuft wo sie sie nicht bekommen kann?

 

So wie ihre Mutter. Eine Frau, die scheinbar keine Stimme und keine eigenen Wünsche gehabt hatte. Deren Lippen fest zusammen gepresst gewesen waren und feste Gedanken hatten erahnen lassen. Vielleicht war Freude in der Kargheit ihres ländlichen Lebens verloren gegangen, Leichtigkeit etwas, was die Erde in ihrer Familie nicht hergab. Und so war auch die Tochter Zsófia in der Schwere gross geworden. Mutter und Tochter kannten einander und waren einander fremd. Eine Fremde hatte ein seltsames Kind versorgt, so wie es sich gehörte. Sie hatte Zsófia ‘Das Kind’ genannt. Ihr Vater hatte sie ‘Die da’ genannt, auch wenn sie neben ihm stand.

“Zsófia hast du das Ladegerät für die Kamera eingepackt?”

Sie sieht den Mann für einen Moment lang verständnislos an und deutet dann nickend auf ihre Tasche. Karl flucht verhalten, weil der Wagen vor ihnen abrupt zum Stehen kommt. Auch Zsófia presst die Lippen zusammen. Die Rennmaschine riecht nach teurem Leder. Karl liebt schnelle Autos und der schwarze Porsche mit den roten Sitzen ist seine neue Errungenschaft. Zsófia kommt aus einfachen Verhältnissen. Sich offen am Luxus zu erfreuen, widerspricht einer inneren Biederkeit, die schon die ihrer Mutter und Grossmutter gewesen war.

Zsófia trägt ein enges Kleid mit hohen Schuhen und hat Mühe beim Aussteigen aus dem tiefer gelegten Wagen. Karl ist wie so oft ungeduldig vorgelaufen und sie ist verstimmt, dass er ihr nicht zur Hilfe kommt.

Die Halle des Golfclubs ist voller Menschen und Tibor, ein berühmter Maler, reagiert auf die Veranstaltung mit politischer Wut. Wild gestikulierend geht er auf das erlesene Publikum los und schwingt dabei bedrohlich eine Wodkaflasche. Ein Freiheitskämpfer im Exil. Als junger Kunststudent hatte Tibor in Budapest für die Unabhängigkeit Ungarns gekämpft, das unter sowjetischer Besetzung gestanden hatte. Wie ihr Vater war Tibor nach dem Scheitern der Revolution (1956 bis 1957) aus Ungarn geflohen. Aber anders als Ferenc Lakatos reiste Tibor wieder in seine alte Heimat, als im Jahre 1989 der Eiserne Vorhang geöffnet wurde. Es war das Jahr in dem die Grenzanlagen zwischen den Ostblockstaaten und Westeuropa geöffnet worden waren. Michail Gorbatschow, President der Sowjetunion, hatte mit Perestroika, was Umgestaltung bedeutete und Glasnost, was für Offenheit stand, den Boden für Demokratisierung bereitet. Aber wie Tibor immer sagt, die gewaltige Welle der Veränderung hatte in Ungarn begonnen. Tibor feiert beide Tage, den 2. Mai, der den Beginn der Grenzöffnung bedeutet hatte und die Nacht vom 10. zum 11. September 1989, an dem die Ungarn an der Grenze zu Österreich keine Kontrollen mehr durchgeführt hatten. Tausende von Deutschen hatten seit Wochen in Ungarn an der Grenze kampiert und auf diesen Moment gewartet. In dieser Nacht überschritten 50.000 DDR Deutsche die Grenze nach Österreich um in die Bundesrepublik einzureisen. Ein Jahr später waren die beiden deutschen Staaten wieder ein Staat geworden. Ein Staat von selbstsüchtigen Kapitalisten ohne Seelengrund. Unbewusste Menschen, die Gedankenfreiheit weder zu schätzen noch zu nutzen wussten, so sieht es Tibor.

"Der Krieg ist überall! In der Familie fängt er an - Keimzelle der Gesellschaft - Bah!", hier speit er die Worte angewidert in die Menge. "Keine Zivilcourage! Die Lämmer der Konsumgesellschaft. Gleichgültig lassen sie es geschehen, dass Völker verhungern, damit es ihnen nur gut geht, bah!" Er spuckt auf den Boden. "Folgen ihren Hammeln. Bücken sich nach oben und glotzen nur, wenn Verbrechen vor ihren Augen stattfinden. Schaut euch doch um in eurer beschissenen Stadt. In eurem selbstgezimmertem Betonsarg. Ein Gefängnis der Bequemlichkeit und die Massen glotzen durch die Gitterstäbe."

Dann schreit er plötzlich: "Und ihr hier könnt auch nur glotzen! Wie blöde Fische."Auf unsicheren Beinen macht er eine raumgreifende Geste, "Ihr seit der Krieg! Eure Gleichgültigkeit ist Mord. Ihr seit alle Mörder!"

Zsófia ist nicht mutig. Sie würde gern so tun, als kenne sie Tibor nicht und unauffällig weitergehen. Da stehen sie im Kreis um den rasenden Mann, als gelte es einen schwer getroffenen Preisboxer in seinem K.O. Fall zu studieren. Ein verwundetes, wildes Tier, das man vorsichtig belauert, denn obschon tödlich getroffen, könnte es doch gefährlich werden.

Frau Doktor und Herr Stadtdirektor. Behängt und geschmückt. Der Kleiderketten-Magnat trinkt zuviel und seine Frau flaniert mit Champagner und erstarrtem Lächeln an Tibor vorbei und beurteilt die Männer im Saal. Ausserdem, betont distanziert, ein eher avantgardistisches Publikum in schwarzem Tuch. Weisse Gesichter, filigrane Männer mit spöttisch herab hängenden Mundwinkeln. Die Münder der Frauen starren wie blutrote Wunden aus bleichgepuderten Flächen. Die Frau eines Fertighaus Milliardärs ergreift die Flucht vor dem betrunkenen Maler, der, bedrohlich mit den Armen gestikulierend, auf sie zukommt. Eine Theateraufführung. Aber sie ist ein Teil des Schauspiels. Tibor ist ihr Freund, der allmählich seine Genialität versäuft. Schnell stellt sich Zsófia neben ihn und legt ihm die Hand auf die Schulter. Sein wutverzerrtes Gesicht entspannt sich, als er sie erkennt und unter dem grauen Bart beginnen sich die wulstigen Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.

"Ach Täubchen, bin ich froh, dich zu sehen. Dachte, du bist noch auf deiner Insel." Tibor streichelt ihr schwerfällig über das Gesicht. “So ein feines Mädchen. So ein Töchterchen hat dieser feige Verräter nicht verdient.” Zsófia erwacht aus ihrer Starre und starrt ihn verblüfft an. Der schwergewichtige Maler nickt düster. “Täubchen, ich habe sie nicht vergessen, die Ratten damals, die das sinkenden Schiff verliessen.”

Zsófia hält Tibor am Arm. "Wovon sprichst du?” Aber Tibor hört nicht mehr zu, schwer lässt er sich auf einen der Clubsessel fallen und schliesst die Augen. Zsófia streichelt mechanisch seine Schulter, während ihr Blick über die Anwesenden wandert. Der Kulturjournalist einer landesweiten Tageszeitung betrinkt sich hastig, weil er nicht glücklich ist. Zsófia hört, wie er seiner Praktikantin erklärt, dass die grossen Landesmuseen kaum noch öffentliche Gelder bekommen und das die Meisterwerke deshalb für immer in den Tresoren der Superreichen verschwinden. In einer anderen Ecke nehmen die Bosse der miteinander konkurrierenden Finanzblätter den korrupten Immobilienmagnaten Heide in Beschlag. Beide versuchen auf ihre Art, Eindruck zu schinden - es gilt, einen grösseren Werbeetat heraus zu handeln. Der elegante - Designer gekleidete Anatol in seiner ganzen Einmeter Fünfundneunzig Pracht und der kleine, immerzu grinsende Mick, der eigentlich schon seit Jahren pleite sein müsste. Jetzt schlägt Franziskus, Skandalreporter von Mick ihre Richtung ein.

"Was für eine gelungene, kleine Festivität." Franziskus lächelt süsslich und nippt an seinem Kräutertee. Er trinkt niemals etwas anderes.

Zsófia nickt. "Ja, könnte mir kaum etwas besseres für einen Freitag-Abend wünschen." Sie blickt auf Tibor, der wie ein mächtiger See-Elefant über dem Samtkanapee hängt und zwischen dem Bedürfnis einzunicken und der Wodkaflasche hin und her schwankt. "Was gibt es Neues auf der Szene? Du weisst doch immer alles?"

Franziskus versucht zu überspielen, dass er sich geschmeichelt fühlt. "Alles so entsetzlich langweilig. - Der da", er weist auf Tibor, "ist noch das einzig Lebendige hier."

"Er zahlt einen hohen Preis." Zsófia schweigt betreten. Hat sie zuviel gesagt? Doch ihre Sorge ist unbegründet. Franziskus hat ihr gar nicht zugehört. Er blickt düster ins Leere und macht eine dramatische Handbewegung in den Raum. "Ich würde am liebsten abhauen von hier. Auswandern. Eine Weltreise."

"Franziskus, du kannst doch gar nicht ohne das Spektakel um dich herum."

"Meinst du?" Er lacht sie mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen an. "Und du? Warum machst du das hier?"

Zsófia lächelt abwehrend und zuckt im Reflex die Schultern. "Ich bin genau da, wo ich immer sein wollte." Sie wartet, das er, wie üblich, etwas Scharfzüngiges zum Besten gibt, aber Franziskus schaut sie nur an und wartet. Das macht sie nervös. Aus diesem Grunde erklärt sie sich hastig. “Die Arbeit ist spannend. Und mit den Werbekampagnen kann ich unsere Arbeit für gemeinnützige Organisationen verwirklichen.”

"Ts, ts, eine Idealistin, schau an, schau an.", Franziskus ist amüsiert. "Und glaubst du, das gelingt dir, indem du dich zur gemeinnützigen Schickeria gesellst und dich mit Kanapees und Sekt vollstopfst?"`

"Gefällt dir die Feier etwa nicht?"

Franziskus schnippt ungeduldig mit dem Finger: "Du weisst genau, was ich meine. - Du bist doch auch bloss hier, um neue Kunden für eure Werbeagentur aufzutun. Was hat das denn bitte schön mit Charity und dem Wohle der Bedürftigen zu tun? Kleine Pfützen der Wohltätigkeit und im Grunde kriechst du einer korrupten Maschine in den Arsch die diese Bedürftigkeit überhaupt erst erschaffen hat."

Die Bemerkung trifft sie. Das ist es, was sie seit geraumer Zeit bedrückt. Dennoch zuckt sie scheinbar gleichgültig die Schultern. "Was erwartest du? Auf den Berg gehen und meditieren schafft weder Arbeitsplätze noch Umsatz. Es ist ein hartes Geschäft."

"Aber es gefällt dir, nicht wahr?", Franziskus lächelt ölig, "Streichelt das Ego."

Zsófia strafft die Schultern und verfällt wieder in ihr maskenhaftes Lächeln. "Das bringen diese Feste gewöhnlich so mit sich. Du bist doch auch nicht bloss zum Teetrinken hier."

Franziskus wird plötzlich ernst. Lauernd sieht er sie an. "Was steckt wohl hinter deiner geschäftstüchtigen Fassade. Wie bist du eigentlich wirklich?"

Zsófia ist verblüfft. Sie versteht seine Frage nicht. Franziskus verschränkt die Arme vor der Brust. "Die stets perfekte Zsófia. Du bist ein ganz kalter Fisch was?"

Sie ist betroffen.Wirkt sie so auf andere? Kalt? Zsófia ringt nach einer Antwort als sie Körpermassen von hinten umschlingen. Sie zuckt zusammen und versteift sich. Schweres Aftershave vermengt mit Schweissgeruch steigt in ihre Nase. Schon hört sie eine bekannte Stimme Anzüglichkeiten in ihr Ohr säuseln. Es ist der Vorsitzende ihrer Betriebsbank. Sie zeigt keine Abwehr, erschlafft in der Umklammerung. Automatisch bleckt sie die Zähne zu einem Lächeln, schlängelt sich schliesslich mit einem Scherz aus seinen massigen Armen.

"So ein schöner Hintern" , hört sie ihn murmeln, aber auch das nimmt sie lächelnd hin.

"Hallo Heinrich, wie gefällt dir die Ausstellung?"

"Zsófia, hast du die kleine Praktikantin gesehen? Ist sie alleine hier?"

Sie behält ihr maskenhaftes Lächeln, "deine Frau hat dich im Auge."

"Ich meine doch nur.", Der dickliche Mann ist nicht verlegen. Zsófia ist angewidert, aber sie zeigt es nicht. Der Mann ist mächtig. “Und ich bin trainiert ein liebes Mädchen zu sein.” Ihr Angewidert sein richtet sich nun gegen sich selbst. Zsófia fühlt ein Stechen im Kopf. Die vielen Menschen, der Lärm, die Luft so trocken.

Sie wendet sich zur Terrassentür, die hinaus auf die Clubanlage führt. Es ist ein warmer Abend und die Sonne geht gerade hinter den Hügeln unter. Zsófia sinkt auf eine der Parkbänke. Rosenbüsche verbreiten einen betörenden Duft. Der Rosenduft weckt Erinnerungen. Sie fühlt sich zurückversetzt nach Griechenland. Zsófia lehnt sich stöhnend zurück und reibt sich die Stirn. Sie hat Kopfschmerzen. Will nicht zurückdenken. Aber es bricht auf. Nach all den Jahren. Die Lichtwesen fallen ihr ein. - Ihre Angst, wahnsinnig zu werden. Auch jetzt hat sie Angst. War da nicht eine Warnung gewesen?

“Du lachst viel, aber Du bist einsam und traurig. Die, die sagten, dass Deine Wahrheit Lüge ist. Warum hast Du Ihnen geglaubt? Ein schwarzer Vogel kreist über Dir. Er kam in Gestalt eines Menschen, doch nun bist du selbst es, die den schwarzen Vogel nährt. Zsófia erinnere dich. Wenn es Dir nicht gelingt, dich zu befreien, wirst Du immer unglücklich bleiben.”

Der schwarze Vogel!

Sie greift sich an den Hals und ringt nach Atem. Ein Blitz zuckt genau über ihr und ein krachendes Donnern lässt sie aufspringen. Erschreckt blickt sie zum Himmel und tastet sich mühsam zurück zu der Parkbank. Sucht nach ihrem Schlüssel, den sie dort niedergelegt hatte. Ihre Hände tasten suchend über das Holz und finden etwas samtiges und als sie es vorsichtig befingert, merkt sie, das es an einem Lederband hängt. Gedankenverloren lässt sie es auf ihre Handtasche sinken. Regentropfen fallen vom Himmel. Schnell wird der Regen heftiger, dringt in ihr dünnes Abendkleid. Sie springt auf und läuft in Richtung des beleuchteten Clubhauses. Sieht die Leute im Inneren mit ihren Festkleidern lachen und trinken. Sie kann dort nicht mehr hinein gehen. Atemlos läuft sie um das Gebäude herum zum vorderen Bereich. Die Auffahrt entlang zum Ausgang. Sie läuft und läuft, während ihr der Regen über das erhitzte Gesicht rinnt.

 

Es ist finster draussen, der Mond verdeckt von schwarzen Wolken. Zsófia zittert vor Kälte. Ihre Absätze machen ein einsam klickerndes Geräusch auf der menschenleeren Strasse, doch sie läuft immer schneller. Erst als sie vor dem Stadtpark steht, macht sie keuchend halt. Der Regen hat aufgehört. Zsófia zittert in ihrem tropfnassen Kleid. Die Umrisse der Bäume wirken unheimlich in der Dunkelheit. Es ist nun ganz windstill, noch nicht einmal ein Blätterrauschen. Sie fühlt sich verloren. Als sei sie der einzige Mensch auf der Welt.

Zsófia hockt sich kraftlos neben die Leitplanke an der Strasse und starrt auf die Ampelanlage, die immer wieder wechselt. Von Grün, zu Gelb, zu Rot und zurück. Mit steinernem Gesicht und ausdruckslosen Augen. Doch plötzlich beginnen ihre Mundwinkel zu zucken. Tränen schiessen jäh in ihre Augen. Zsófia schlägt die Hände vor das Gesicht und kann nicht aufhören zu weinen. Es schüttelt sie. Alles sinnlos. Karl, die Arbeit, ihr Leben. Alles.

"Was soll ich nur tun? Warum sagt mir denn niemand, was ich tun soll?!" Sie sucht in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und steift das samtene Etwas von der Parkbank. Sie untersucht es erstaunt. Ein goldbraunes Samtdreieck mit Perlen bestickt an einem Lederband. Das Motiv scheint ein Schellenbündel zu sein. Eine Perkussion, wie sie im Mittleren Osten gespielt wird und bei den Navajo Indianern. Zsófia ist als hafte der Duft der Parkrosen an dem Amulett und unwillkürlich presst sie es an ihr Gesicht.

Ein Auto hält neben ihr an. “Zsófia, was machst du hier im Regen?”

Sie späht in den dunklen Innenraum eines Lieferwagens und erkennt mühsam das Gesicht ihres Freundes Juan. Schon öffnet Juan die schwere Beifahrertür und sie muss schnell aufspringen, weil er sogleich wieder anfährt.

Der Spanier redet lebhaft von seinem letzten Konzert und scheint nicht zu bemerken, wie einsilbig sie antwortet.Verstohlen wischt sie sich das nasse Gesicht. Juan findet im Radio einen Musiksender und so muss sie nicht mehr reden. Vor ihrem Haus will sie sich hastig verabschieden, aber Juan geht darüber hinweg und zündet sich bedächtig eine Zigarette an.

“Er macht dich unglücklich, nicht wahr?”

Zsófia schweigt.

“Er ist nichts für dich.” Juan lächelt sie freundlich an.

“Juan”, sie atmet geräuschvoll aus. “Ich stecke fest.”

Juan nickt. “Hättest nicht mit der Musik aufhören sollen.” Juans eindringlicher Blick ist ihr unbehaglich.

“Davon konnte ich nicht leben. Irgendwann muss man vernünftig werden.”

Juan nickt. “Wenn du das sagst, dann ist es wohl so.”

“Was soll das heissen?” Zsófias ist ärgerlich.

Juan scheint es nicht bemerken zu wollen und setzt sich bequem zurück. “Zsófia, ich habe Pleiten erlebt, zwei Scheidungen hinter mir, aber weisst du, was ich nie getan habe? Etwas gemacht, woran ich nicht geglaubt habe.”

Er tätschelt gutmütig ihr Knie. “Nicht einfach, sich des Lebens zu erfreuen, wenn man so damit beschäftigt ist, die Erwartungen anderer zufrieden zu stellen.”

Die Bemerkung ärgert Zsófia, aber sie mag nicht antworten. Ihre Gedanken wandern zu ihren Eltern. Natürlich wollte sie deren Erwartungen erfüllen. Welches Kind will nicht, dass die Eltern stolz auf es sind? Es gelang nur nicht jedem. Ihr Vater war ein schwieriger Mann. Hatte eine entbehrungsreiche Jugend gehabt in Budapest. War gerade 21 Jahre alt gewesen, als er von Ungarn nach Deutschland gekommen war ganz alleine. Wenige Monate nach dem gescheiterten Volksaufstand von 1956 war er gerade noch aus dem besetzten Ungarn heraus gekommen. Das mag erklären, warum er seine Wut oft nicht zügeln kann. Mag erklären, warum er trinkt. So viele schwere Erinnerungen.

Zsófia weiss, im neuen Land hatte der junge Ferenc Lakatos Hilfsarbeiten verrichtet und gleichzeitig studiert. In schäbigen Zimmern zur Untermiete gewohnt, Fremdenhass ertragen und alles gegeben, für Wohlstand und ein sicheres Leben. Schliesslich war das Leben besser geworden, die ‘Wirtschaftswunder Jahre’ waren auch zu ihm gekommen. Ein eigener Betrieb, er hatte geheiratet, ein Haus gebaut.

Ferenc Lakatos stellte Frau und Kinder an ihren Platz und tat was ‘Üblich’ war. Er schwor, seine persönliche Festung nie mehr zu verlassen und er tat es auch nicht Als Zsófia begonnen hatte, den ihr zugewiesenen Platz in Frage zu stellen, war er, der ein zorniger Mensch war, nur zorniger geworden.

Ihre Gedanken wandern zurück zu Tibor. Er hat etwa das gleiche Alter wie ihr Vater. Sie war ihm auf einer Kunstausstellungen vorgestellt worden. Das er Ungar war, hatte ihr Interesse geweckt. So waren sie Freunde geworden. Er hatte ihr von der Zeit damals erzählt, der Stimmung von Euphorie und Hoffnung in jenen Tagen im Oktober 1956, als Ungarn sich von der Sowjetunion losgesagt und eine eigene Regierung gebildet hatte. Von dem befreienden und wunderbaren Gefühl eine Gemeinschaft zu sein und etwas bewegen zu können, wenn die Menschen nur zusammen hielten. Zsófia liebt seine Schilderungen von Zivilcourage und Idealismus. Wie bedrückend mussten die Jahre danach für viele Ungarn gewesen sein. Wieder unter Sowjetischer Besatzung, schärfer bewacht und kontrolliert, als zuvor. Das war sowohl Tibor als auch ihrem Vater erspart geblieben. Warum also hatte Tibor die düsteren Bemerkungen gemacht? Er war wohl zu betrunken gewesen.

Juan scheint ihr langes Schweigen nicht zu bemerken, theatralisch schlägt er sich an den Kopf. “Natürlich, das ich daran nicht gedacht habe. Mein Freund und seine Band. Spielen Jazz Standards, weisst schon Autumn Leaves, Body and Soul, There Will Never Be Another You, Ev’ry Time We Say Goodbye.” Juan lacht. “Das ganze Repertoire. Und ein wenig Stan Getz und Astrud Gilberto ‘Girl from Ipanema’. Gute Engagements, und haben keine feste Sängerin! Da könnest du vorsingen.”

Juans erwartungsvollen Blick bringt Zsófia zum Lachen: “Und dann wird alles gut?” Juan schüttelt den Kopf: “Weiss ich nicht Zsófia, aber versuchen kannst du es doch?”

Später in ihrer Wohnung kann sie lange nicht schlafen. Gedankenschleifen wie ein zu schnell fahrendes Karussell. Es strengt sie an. In den frühen Morgenstunden schliesslich werden die Augen doch schwer und die Tiefe zieht sie herab. Mit einem Aufschrei wird sie wieder wach. Mühsam tastet sie nach dem Schalter der Nachttischlampe. - Angst vor der Dunkelheit. Von klein auf hat sie die. Als würde dieses Dunkel sie einschliessen und ihr den Sauerstoff nehmen. Angst vor der Schwärze. Angst die Augen zu schliessen, wo sie doch die Tür im Auge behalten muss. Immer wieder die fixe Idee von einer haarigen Monsterklaue, die sich langsam zwischen Tür und Rahmen schieben könnte. Geräuschlos. Sie hatte das manchmal geträumt. Im Traum war das schemenhafte Monster auf sie zugekommen und sie war ganz starr geworden. Hatte sich nicht bewegen können. Sie hatte die Starre, die sie dann ergriffen hatte genauso gefürchtet, wie das drohende Unbekannte. Weil es sie ausgeliefert hatte. Augen fest zusammen gepresst und der eigene Herzschlag so laut, dass ihre Ohren fast explodierten. Immer derselbe Traum. Und wenn sie schreien wollte, kam kein Ton aus ihrer Kehle. Der Versuch zu Schreien und es nicht zu vermögen. Entsetzliche Ohnmacht.

Sie hatte damals versucht, es ihrer Mutter zu sagen, aber die hatte nicht verstehen können, wie schrecklich dieser Traum war. Hatte es nicht hören wollen. Jetzt träumt sie diesen Alptraum nur noch selten, aber wenn sie eine ihrer Angstnächte hat, braucht sie Licht. Trotzdem hat sie dann Angst die Augen zuzumachen. Gerade schliesst sie sie, da reisst sie sie schon wieder auf und blickt panisch zur Tür. War da nicht wieder die haarige Tierklaue, die langsam und geräuschlos die Tür öffnete? Das schemenhafte Monster auf ihr Bett zu schleichend?