Die zarte Fee und die Garage

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Ankommen

Ihre derzeitige Hoffnung war, in der Nähe von Nyons doch noch einen Platz zu bekommen. Da die Frau ja bekannterweise gut vorbereitet war wusste sie, dass um den Ort herum drei Zeltplätze zur Auswahl standen. Der Mann war von Hause aus nicht der Optimist (um es positiv zu formulieren) und er ahnte, dass sie wieder unverrichteter Dinge von den Plätzen abziehen müssten. Wehmütig versuchte er einen Blick auf den Platz beim Olivenbauern zu erhaschen als sie daran vorbeifuhren, aus den Augenwinkeln sah er drei, vier Wohnmobile dort stehen. Voriges Jahr war das ihr Standort für eine Nacht gewesen und ein Bild von dort, das ihn und den Jungen am Tisch gegenübersitzend zeigte, war seit dem sein Bildschirmschoner auf Arbeit.

Er und der Junge trugen Strohhüte die sie zuvor in Grignan gekauft hatten. Auf dem Tisch war ein Weinkarton sichtbar (aus dem Laden des Olivenbauern), Zigaretten und Feuerzeug lagen daneben, zwei Weingläser waren bereits in Benutzung und neben der Cola des Jungen stand eine Flasche mit Spülmittel. Der Junge und er lächelten auf dem Bild entspannt. Jetzt war ihnen keineswegs danach zumute, denn der Vorstoß der deutschen Truppe geriet immer mehr zum Desaster, weil die Franzosen und ihre Verbündeten (vor allem Holländer) die Taktik verfolgten, immer vor ihnen mit einer Übermacht (vor allem Holländer) die strategisch wichtigen Orte zu besetzen, so dass sie stets dazu gezwungen waren ihren Operationsplan zu ändern.

Aus dem geplanten triumphalen Einmarsch über den Süden war mittlerweile ein Umherirren geworden, das sie hinter jegliche Zielvorgabe zurück fallen ließ, kein einziges Angriffsziel war bis jetzt erreicht worden. Jetzt waren sie bereits den dritten Tag auf der Suche und der Mann bereitete sich gedanklich schon darauf vor, der Frau bei weiteren negativen Ergebnissen vorzuschlagen, die Operation abzubrechen und etappenweise den Rückzug nach Osten (in die sichere Heimat) anzutreten. Dort könnte man einen neuen Plan aufstellen, sich wieder aufzurüsten und im Schutz des eigenen Landes und mit Hilfe der Kommunikationstechnik der Einheit (dem Internet) ein anderes Operationsziel auszuwählen. Er wusste sehr wohl, dass alles für die Frau vorstellbar war (auch weitere Hotelübernachtungen), nur nicht ein Abbruch der Operation „Zelten 2011“ aber wenn es heute wieder schiefging, wollte er ihr seine Meinung vortragen.

Statistisch gesehen müssten sie eigentlich bald einen Treffer landen, wenn er es überschlug waren sie bisher an mehr als fünfzehn Plätzen gewesen, aber so richtig glaubte er nicht daran. So etwas wie das Gefühl „habe ich es doch gewusst“ durchzog ihn, als sie am ersten Platz schon davor wieder das Schild „Complete“ sahen. Verbissen teilte er der Frau mit, dass er gewillt sei noch ein Stück außerhalb zu suchen, und dann eine Route Richtung Heimat einzuschlagen, wenn es wieder nichts wurde. Die Frau war nie dafür eine Sache schnell aufzugeben, aber diesmal blieb sie still und der Mann wusste, dass sie seine Meinung zwar nicht teilte aber momentan nicht fähig war, ihn mit besseren Argumenten zu überzeugen. Gut zehn Kilometer außerhalb der Stadt sah der Junge einen Wegweiser auf dem drei Symbole für Campingplätze abgebildet waren, sie folgten der Straße dorthin.

Ein Tal öffnete sich und die Besiedlung nahm schnell ab, es ging offensichtlich zum Arsch der Welt. Bald erreichten sie den ersten Platz. Die Frau, die sonst immer zur Rezeption gegangen war bat diesmal den Mann das zu erledigen und als er zurückkam sah sie in seinen Augen „Complete“ funkeln und fragte erst gar nicht. Schweigend fuhren sie weiter und nach kurzer Zeit zeigte das Ortsschild an, dass sie in Saint Férréol Trente Pas angekommen waren. Direkt dahinter führte ein Weg zum Zeltplatz, der Mann parkte an der abschüssigen Straße und er und die Frau stiegen aus und gingen den Weg herunter. Das verhasste Schild „Complete“ war nirgendwo zu erkennen und Hoffnung keimte auf, die zur fragilen Gewissheit wurde, als sie über den Platz gingen, hier und da waren noch Plätze frei, aber möglicherweise waren diese reserviert. Die Frau an der Rezeption erklärte ihnen auf einem Lageplan, dass noch vier Plätze frei wären, sie entschieden sich für einen der an dem kleinen Bach lag (der die Stellfläche im Rücken begrenzte). Sonderlich sonnig war er nicht aber das spielte jetzt überhaupt keine Rolle. Es war gegen sechzehn Uhr als der Mann das Auto holte in dem der Junge gewartet hatte. Innerhalb einer halben Stunde stand das Zelt (es musste nur noch verspannt werden), das Auto war entladen und der Mann und der Junge fuhren los, um einen Supermarkt zu suchen. Die Frau würde unterdessen das Zelt fertig stellen und ihre Sachen einräumen.

Schon im vorigen Jahr hatten sie es sich zur Angewohnheit gemacht, nahezu täglich in einen Supermarkt zu gehen, auch wenn sie eigentlich nichts wirklich brauchten, aber der Junge und der Mann schauten sich dort gern um. Ersterer schlich an den Regalen herum in denen Spiele und Zubehör für das Nintendo zu finden waren, der Mann begeisterte sich für die Fischtheken. Er und der Junge waren Fischesser, und während die Frau schaudernd die auf Eis liegenden Tintenfische, Garnelen, die Hummer und Fisch jeglicher Art ansah, war der Mann jedes Mal beeindruckt.

„Kuck‘ mal“ rief er der Frau zu „die Tintenfische, die Muscheln, ist das nicht toll?“

Die Frau lächelte gequält, das hatte mehrere Gründe. Zum einen war es besonders in der Nähe der Fischtheken kalt, was ihr nicht angenehm war (sie liebte mehr die Wärme, während der Mann und der Junge schnell schwitzten und dieser Ort somit für sie auch aus diesem Grund anziehend war) und zum anderen war ihr der Fischgeruch lästig.

Der Mann und der Junge fuhren wieder Richtung Nyons zurück. Nach knapp zwanzig Minuten verließen sie den Kreisverkehr und überquerten die Brücke Richtung Stadtzentrum. Der Junge hatte den Auftrag erhalten nach Hinweisen auf einen Supermarkt zu suchen, in einem weiteren Kreisverkehr gab es die Ankündigung für den Intermarchè Super und nach einigen hundert Metern weiter wurde ein Super-U angekündigt. Oh ja, sie kannten sich aus, schon im vorigen Jahr war es während der langen Fahrten zum Sport geworden die Ankündigungen der Märkte möglichst frühzeitig zu erkennen, was dem Jungen naturgemäß am Besten gelang (weil er auf dem Beifahrersitz saß). Es gab den U, den Super-U und den Hyper-U, daneben noch den Intermarchè Hyper, Contakt und andere kleinere. Leclerc stellte jedoch nach ihrer Auffassung alle in den Schatten aber den gab es hier nicht, sie entschieden sich zum Intermarchè Super zu fahren.

Auf dem Einkaufszettel standen Brot, Wurst, Käse, Oliven, Wasser, Wein, Cola, Tomaten, Paprika, Klopapier und Bier. Der Mann war gespannt, welche Biersorten er hier finden könnte. Wie im Vorjahr würde er den ersten Durst mit Bier stillen und dann später auf Rotwein umsteigen. Er kalkulierte zunächst zwei Flaschen Bier für den Abend, erhöhte die Anzahl aber auf drei, die hatte er sich nach der langen Kutscherei heute verdient. Eine war noch vom Vortag in der Kühlbox und er wusste, dass die Frau umsichtig genug gewesen sein würde, die Box sofort an das Stromkabel zu hängen, schließlich wusste sie, dass er warmes Bier verachtete. Der Junge durchstöberte die Wurstregale (er konnte Schinken und Salami nach seinem Geschmack aussuchen) und der Mann näherte sich erwartungsvoll dem Getränkebereich. Da standen die Bretterknaller! Eine echte Überraschung war es nicht, denn schon vor einem Jahr gehörten die holländischen, belgischen oder deutschen Biere zu seiner Überlebensration. Alle zeichneten sich dadurch aus, dass auf den Dosen unübersehbar Zahlen prangten, die hier mit 7,7 begannen und bis 11,4 reichten (der Alkoholgehalt). Sinnigerweise trug das Bier mit der 11,4 den Namen Maximator (wenn es noch einen Terminator geben sollte würde garantiert eine 15 auf der Dose stehen). Er konnte sich gut vorstellen welche Wirkung der Konsum einiger dieser Büchsen entfalten würde und verzichtete heute darauf (dazu fühlte er sich zu kaputt), statt dessen stellte er drei Dosen 8+8 in den Einkaufwagen, auch die würden noch heftig genug zuschlagen. An den offenen Kassen standen nur wenige Kunden, aber er gab sich nicht der Illusion hin, dass sie schnell durch wären und behielt Recht.

Wenn er zu Hause in das Kaufland ging fühlte er sich an der Kasse stets getrieben. Hektisch stapelte er die Waren auf das Transportband und hinter ihm drängelte schon der Nächste (meist ein Rentner) der ihm auch noch den Einkaufwagen in die Kniekehlen rammte, weil er selbstredend in Eile war. Wenn die Kassierer die Eierverpackungen öffneten fühlte er sich jedes Mal unwohl, möglicherweise hätte ein Witzbold, während er selbst in den Regalen nach anderen Waren suchte, irgendetwas heimlich hineingetan, was ihn an der Kasse dann als Ladendieb überführen würde. Alle Blicke wären auf ihn gerichtet weil der Kassierer (ein Student) mit erhobener Stimme sagen würde: „Hoppla, was haben wir denn da?“.

Egal was in der Verpackung drin sein sollte, es musste klein sein, denn viel Platz blieb nicht zwischen den Eiern und einen potentiellen Diebesgegenstand machte er in Kassennähe aus: Kondome. Natürlich war es sehr unwahrscheinlich, dass ihm jemand in der Nähe der Kasse die Dinger in die Eierverpackung schmuggelte aber der Gedanke setzte sich in seinem Kopf fest, so als hätte sich eine Bulldoge in seinem Bein verbissen und jedes Mal standen Schweißtropfen auf seiner Stirn, wenn die Verpackung sich auf dem Band dem Kassierer näherte. Der Student würde ihn höhnisch ansehen und dann laut sagen „Na das ist ja interessant!“. Jedenfalls wäre er bis auf die Knochen blamiert, die Polizei würde ihn noch im Kassenbereich verhaften und in Handschellen an den gaffenden Massen vorbeiführen. Wenn er die Kasse endlich ohne Zwischenfall passiert hatte konnte er wieder klar denken.

 

Damit war er auch den Rentnern entkommen, die den Supermarkt vorzugsweise am Freitagnachmittag, wenn die sogenannten Berufstätigen einkaufen gingen, in Massen bevölkerten. Wenn sie ihn nur bevölkern würden wäre das okay, aber sie hatten die Angewohnheit in Trauben herumzustehen und zu kommunizieren. Auch dagegen war nichts einzuwenden; wenn diese Veranstaltungen in einer Ecke stattfanden wo man beispielsweise Kuchenglasur kaufen konnte ging das völlig in Ordnung, aber die rüstigen und austauschfreudigen Senioren führten ihre Gespräche vorzugsweise dort, wo die Hauptverkehrswege verliefen. Klar, man konnte schlecht Hinweisschilder aufhängen wie „Rentner, haltet die Gänge frei“, „Rentner, zum Quatschen in die Ecken“ oder „Rentner, geht gefälligst vormittags einkaufen“. Das wäre so, als würde man den gesprächswilligen Ruheständlern ein farbiges Warnschild ankleben (über diesen Gedanken erschrak der Mann, political correctness sah in Deutschland sicher ganz anders aus).

Jedenfalls brachten ihm diese Beobachtungen die Erkenntnis, dass die Marketingleute der Märkte wahrscheinlich vor der Platzierung der Waren Peergroups (durch gleiche Interessen verbundene Personengruppen) von Rentnern in die noch leeren Hallen schickten, die dort nicht das peer learning oder ähnliches praktizierten, sondern das peer standing about and talking (auf diesen Begriff war der Mann stolz. Herumstehen und quatschen als gemeinsame Interessenlage). Man würde diese peergroups noch nach Alter und Mobilität (und damit auch nach dem Grad der Ersatzteilversorgung mit künstlichen Knien, Hüftgelenken und ähnlichem) staffeln und per Videoüberwachung feststellen, wo sich die Oldtimer vorzugsweise zum Gedankenaustausch versammelten. Bei einer entsprechenden Anzahl von Versuchspersonen konnte man danach mühelos die Hauptverkehrswege ermitteln, nämlich dort, wo sich die entspannten Pensionäre zum Disput trafen. Und genau dorthin würden diese Marketingärsche die Waren platzieren, die am meisten nachgefragt wurden.

So etwas gab es in Frankreich kaum (diese Ansammlungen von Rentnern), dafür waren die Kassenbereiche der Ort der Kommunikation (zwischen Kassierern und Käufern, oder zwischen mehreren Käufern) und der Entschleunigung. Hier wagte der Mann gleich gar nicht Eier zu kaufen, zu den bereits erwähnten Gefährdungen käme noch dazu, dass er Ausländer war und da er absolut nicht auffallen wollte behielt er auch die Ruhe, wenn es an der Kasse wieder einmal etwas länger dauerte, was hier der Regelfall war. Im Gegensatz zu den gehetzten deutschen Konsumenten, die ihre Waren hektisch auf das Transportband warfen und dann im Akkord in den Einkaufwagen luden (weil wieder einmal ein Rentner hinter ihnen drängelte), gingen die Einheimischen hier wesentlich ruhiger zu Werke. Man beobachtete zunächst eine Weile interessiert das Tun der Kassierer. Nachdem das Transportband schon etliche Produkte in Richtung Einkaufwagen bewegt hatte schien bei den Käufern die Erkenntnis zu reifen, dass diese eigentlich noch in den Wagen zu transportieren waren. Mit wohl abgewogenen Handgriffen erfolgte ein vorsichtiges Einsortieren denn in Frankreich schienen die Verpackungen weniger solide als in Deutschland zu sein (was aber nicht stimmte). Manchmal entspann sich noch ein Disput zwischen den gemeinsam einkaufenden Männern und Frauen, so dass der Warenstrom in den Einkaufswagen mehr oder weniger lange unterbrochen wurde, also der technologische Prozess des Einkaufens gänzlich zum Erliegen kam. Das focht indessen niemand sonderlich an, man schaute sich entweder an was an der Kasse gerade passierte, unterhielt sich, oder vertrieb sich die Zeit nach Gusto.

Der nächste Akt sollte sich ebenso aufwendig wie die vorherigen gestalten: das Bezahlen. Wie der Mann registrierte gab es drei Arten seinen Einkaufsbetrag zu begleichen: die Barzahlung, die Kartenzahlung und die Scheckzahlung (jetzt fühlte er sich wie ein BWL-Student im Auslandspraktikum). Verständlicherweise war die Barzahlung die Einfachste, nur: plötzlich schienen Portemonnaies vakant zu sein, die sich nach bedächtiger Suche doch noch anfanden und auch das Einsortieren des Wechselgeldes brauchte Gewissenhaftigkeit. Wer die Karte benutzte trat an das Lesegerät, man war relativ schnell fertig. Aufwendiger gestaltete sich die Zahlung per Scheck. Dieser musste von dem Konsumenten aus dem entsprechenden Heft herausgetrennt werden, der Kassierer schob ihn in ein Gerät in welchem er beschriftet wurde, dann ging er an seinen Besitzer zurück.

Jetzt stellte sich heraus, zu welcher Gruppe der Käufer zählte: die Vertrauensseeligen, die Misstrauischen, die Krümelkacker. Die Vertrauensseeligen unterschrieben nach einem kurzen Blick auf den Rechnungsbetrag (Technikgläubige, die Maschine würde schon keinen Fehler machen). Die Misstrauischen unterzogen den beschrifteten Scheck einer gründlichen Kontrolle (auch eine Maschine konnte Fehler machen) und die Krümelkacker überschlugen die Summe der Einzelposten auf dem Kassenzettel, verglichen mit dem Scheckbetrag und trugen sowohl das Datum als auch den Betrag säuberlich an dem im Scheckheft verbliebenen Falz ein (Technik kann man nicht trauen, siehe Fukushima). Im Einzelfall, je nach Füllstand des Einkaufswagens und der Einordnung des Käufers in eine Gruppe, konnte die Abfertigung eines Kunden an der Kasse schon bis zu zehn Minuten betragen und der Mann zog vor den geduldigen Franzosen den Hut, denn keiner brüllte rum, dass er schon eine viertel Stunde rumstehen musste und verlangte nach dem Geschäftsführer oder ähnliches. Nein, diese Leute waren die Ruhe selbst und wenn sie sich mit einem freundlichen Wort lächelnd vom Kassierer verabschiedeten war es so, als würden sie einem guten Freund auf Wiedersehen sagen und sich schon auf die nächste Begegnung freuen.

Die Frau hatte alles vorbereitet: das Zelt war verspannt, alle Sachen eingeräumt, Tisch und Stühle aufgebaut und der Mann sank auf einen von ihnen, nachdem er sich ein kaltes Bier aus der Kühlbox genommen hatte. Da er einen Aschenbecher benötigte war er gezwungen (so sein Argument der Frau gegenüber) das erste Bier recht schnell auszutrinken. Er war froh, dass er ein „Bavaria“ erwischt hatte (mit nur 8 auf der Dose), das Maximator hätte ihn heute vom Stuhl geblasen aber auch dieses hier zeigte Wirkung, er fühlte sich entspannt und da sie nun endgültig angekommen waren schien ihm auch die schnelle Folge der Biere angemessen.

„Ach ist das schön, endlich gelandet zu sein“ sagte er zu der Frau, die an einem Rotwein nippte.

„Siehst du, und du wolltest nach Hause fahren, man kann nicht so schnell aufgeben, hab ich dir doch gleich gesagt.“

Unter anderen Umständen wäre er in die Luft gegangen, aber heute überwog Erleichterung und er antwortete nur:

„Hätte ich auch gemacht, wenn es wieder nicht geklappt hätte“ und um das Thema zu wechseln sagte er „ich geh‘ noch mal pullern und dann mach‘ ich Salat.“

Jetzt kam Spannung auf: der Zustand der Toiletten und der Waschräume wäre auch ein Faktor, der die Dauer ihres Aufenthaltes beeinflussen würde. Im vorigen Jahr hatte er skurrile Dinge auf den Zeltplätzen gesehen: ein Pissbecken, an dem man frei im Raum stehend die Waschtische hinter sich hatte an denen natürlich auch Frauen zugange waren, außen an den Sanitäranlagen montierte ebenfalls freistehende Becken, die den Blicken ausgesetzt waren. Das war für ihn kein Problem gewesen, in dieser Beziehung (was das Schiffen anging) war er vollkommen schmerzfrei. Er schiffte im Bedarfsfall auch an Orten, die eigentlich nicht dafür vorgesehen waren. In Italien war der Blasendruck einmal so groß gewesen, dass er in einer Stadt in ein Ruinengrundstück flüchtete, das zusätzlich mit Müll jeglicher Art dekoriert war und bei dem die paar Tropfen Pisse auch nichts mehr an der Umweltbilanz änderten, trotzdem trug ihm die Aktion mahnende Worte der Frau ein. Obwohl er leidenschaftlich gern Bier trank unterließ er das wenn sie Städtchen Kucken gingen, er wollte nicht riskieren, mit krampfhaft gesetzten Schritten und gehetzt umherblickend nach einer Möglichkeit zu suchen, sich zu erleichtern. Selbstredend könnte er in ein Restaurant gehen aber dann würde ihn der Kellner ansprechen was sein Begehr wäre und das sollte ihn zwingen, wenigstens etwas zu trinken, was das Problem noch weiter verschärfen würde.

Die Frau hatte schon immer Unverständnis darüber geäußert wie schnell die Männer dabei waren ihren Schlauch auszupacken und an den unmöglichsten Orten für Erleichterung zu sorgen. In einigen Fällen musste der Mann ihr Recht geben: der Schiffer, der sich auf dem Autobahnrastplatz neben die Container für Glas und Papier stellte und loslegte (und ewig brauchte) hätte durchaus ein paar Schritte weiter im Gebüsch verschwinden und so ungesehen das Wasser abschlagen können.

Oder derjenige, den sie vom Freibad aus sahen: der schiffte mit der Zigarette in der Hand (eine erstaunliche Koordinierungsleistung, was wäre, wenn er Schwanz und Kippe verwechseln würde?) seelenruhig gegen einen Zaun und auch die vorbeilaufenden Touristen störten ihn nicht. Neben den Notschiffern gab es noch die Hilflosschiffer. Als der Mann eines Tages nach der Arbeit in dem Markt der an seinem Heimweg lag einkaufen gehen wollte fiel ihm schon im Vorraum eine Wasserlache auf (möglicherweise hatte jemand etwas verschüttet). Stutzig wurde er erst, als der Typ, der vor ihm an der Kasse stand und mit fliegenden Händen das Geld für die zwei Flaschen Billigbier an die Kassiererin reichte, breitbeinig und leicht schwankend versuchte den Markt zu verlassen, plötzlich wie vom Blitz getroffen stehen blieb und dann erstaunt an sich herab sah weil sich zwischen seinen Beinen eine Pfütze bildete, er hatte wieder eingeschifft. Ähnlich ging es dem Besoffenen, der kaum in die Straßenbahn hineinkam und im Gang stehend die Pisse laufen ließ. Ja, die Männer waren in dieser Beziehung schon Schweine, aber der Mann wusste, dass das Problem der Frau tiefer lag. Es war einfach der Neid darüber, dass die Kerle sich mit dem Rücken zum Publikum ausleeren konnten, sie konnte sich kaum an eine Mauer hocken denn wenn die Blickrichtung zu den Leuten zeigte wäre wohl kaum ein Tropfen abgegangen und in der anderen Richtung, mit Blick auf die Mauer und die Vorbeigehenden im Rücken, wäre es vollends unmöglich.

Was die Klos anbetraf herrschte zumindest Waffengleichheit, in der Deckung der Kabine gab es zwischen Männern und Frauen keinen Unterschied, jeder musste sich hinhocken. Von außen machte der Sanitärtrakt einen ordentlichen Eindruck und mit weit geöffneten Nüstern wie die eines Pferdes auf der Rennbahn versuchte der Mann üble Gerüche zu erschnüffeln, er wurde enttäuscht, schon mal kein schlechtes Zeichen. Im Inneren setzte sich der positive Eindruck fort, alles sah recht ordentlich aus, die Trennwände der Toiletten, Waschkabinen und Duschen waren in freundlichen Farben gehalten, jetzt kam die Stunde der Wahrheit, er öffnete eine Toilettentür. Boden, Toilettenbecken, alles war sauber, lediglich die hinter das Spülrohr geklemmte Klobürste störte den positiven Eindruck und wenn er schon einmal hier war, wollte er sich gleich erleichtern. Die fehlende Klobrille kannte er schon aus dem Vorjahr (er war vorbereitet). Mit jeweils zwei Blättern Klopapier polsterte er die Bereiche auf denen sein Hintern auf der Brille aufsitzen würde ab, und dann verrichtete er sein Geschäft.

Gut gelaunt erschien er am Zelt und teilte mit:

„Alles Bestens, sauber und ordentlich, das macht einen guten Eindruck.“

„Siehst du, und du wolltest nach Hause fahren, man kann nicht so schnell aufgeben, hab‘ ich dir doch gleich gesagt“ antwortete sie, irgendwie kam ihm das sehr bekannt vor aber er überhörte es geflissentlich.

Ihr Abendbrottisch war gedeckt. Alles was der Mann und der Junge vorher im Intermarchè Super unter erheblichem Zeitaufwand (aber entspannt ohne drängelnde Rentner) erworben hatten war aufgetafelt und jetzt waren sie wirklich da. Der Junge zog sich danach ins Zelt zurück, er würde sein Nintendo bearbeiten, sollte er doch, auch für ihn war die Sucherei belastend gewesen. Die Frau und der Mann saßen noch eine Weile schweigend vor dem Zelt, die Kerze brannte und die das Tal einrahmenden Berge waren noch gut zu erkennen. Der Mann küsste die Frau, kroch in seine Schlafkabine und wurde nach elf Stunden wieder munter.

 
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