Gefährlich gute Grooves

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13: Barbarella’s

Wir gehen durch die Flügeltür. Die Musik ist drinnen lauter, es riecht nach Bier und Zigaretten. Den Eintritt bezahlen wir bei dem Mädchen am Tisch. Ein Pfund dreißig. Wir fummeln das passende Kleingeld heraus, meins habe ich im örtlichen Supermarkt verdient, Nick arbeitet an den Wochenenden im Spielzeugladen seiner Mutter. Die Türsteher mustern uns. Cool bleiben und nicht auffallen, wie in dieser Szene in Saturday Night Fever. Das Mindestalter für Nachtclubs in England ist achtzehn. Ich bin siebzehn und Nick ist fünfzehn, aber wir waren hier schon oft genug, um zu wissen, dass wir damit durchkommen. Wir gehen den mit Teppichboden ausgelegten Gang hinunter, die Musik vor uns hat bereits eine bemerkenswerte Lautstärke. Zu unserer Linken, auf Höhe der Augen, kündigt sich die Diskothek selbst an: „Der größte Nachtclub in Europa, Barbarella’s“.

Alles ist in ein schummeriges rotes Licht getaucht. Es fühlt sich rot an. Es riecht rot. Der Teppich ist dunkelorange, und es ist angenehm und warm hier drin nach unserem zwanzigminütigen Fußweg durch die Innenstadt hierher. Noch etwa sechs Meter, vorbei an dem Eingang zu einer kleinen Bar, in der ich noch nie gewesen bin (und die in meiner Erinnerung nie geöffnet war), an den Toiletten vorbei (möglichst zu meiden: man ist immer verwundbar, wenn man dort steht, Angriffen ausgesetzt, besonders wenn der Alkohol bei den gewaltbereiteren Kunden seine Wirkung zeigt). Am Ende des roten Tunnels erreichen wir den Hauptraum des Clubs.

Die Musik ist jetzt so laut, dass alle schreien müssen, um wenigstens eine kleine Chance zu haben, dass man sie versteht. Die Kommunikation reduziert sich auf ein Minimum. Instinkte wallen auf. Der DJ, Wayne „The Plastic Poser“, spielt Reggae – „Cocaine In My Brain“ von Dillinger, eine Musik, die dunkel, schwarz und gefährlich ist.

Nie hat sich Musik besser angehört als in diesem Raum.

Unterhalb der DJ-Kabine ist eine Tanzfläche von der Größe einer Doppelgarage, voller Punks und New Waver. Nick und ich gehören definitiv zu Letzteren. Wir tragen beide unser Haar noch recht lang, und ich habe immer noch eine Brille, was für einen Punk nicht ginge. Keine Glam-Rock-Luschen mehr. Er trägt ein einfaches weißes Hemd und eine schmale, schwarze Krawatte, ich habe ein schwarzes Hemd an, auf das ich mit Hilfe einer Schablone auf Höhe meines Herzens „1977“ gesprayt habe, eine Hommage an The Clash.

Rechts von der Tanzfläche stehen einige Tische und Stühle, und direkt vor uns führen drei schwach beleuchtete Stufen hoch zu einer langen, hellen Bar, an der sich massenhaft Kids im Alter von achtzehn bis fünfundzwanzig drängen, die alle etwas bestellen wollen. Auf der anderen Seite der Tanzfläche steht, etwa drei Meter erhöht, die Bühne, auf der die Band des Abends erscheinen wird. Eine Gruppe von Punks hat sich bereits vor der Bühne versammelt und wartet. Sie besetzen kostbaren Platz auf der Tanzfläche, denn sie tanzen nicht. Sie sind hier um Live-Musik zu sehen und zu hören. Sie registrieren jede Aktivität neben und hinter der Bühne und schauen nach unten, um ihre Uhren zu prüfen.

Es ist nach elf, Nick hat am nächsten Tag Schule. Ich bin in meinem ersten Jahr auf dem College und frage mich, an wie vielen Abenden ich meine Eltern habe anlügen müssen, die denken, ich sei bei Nick zu Hause und würde arbeiten. Auf der Bühne überprüfen Roadies die Mikros, Keyboards und Verstärker. Wir gehen die Stufen zur Bar hinauf, bestellen zwei Coke, ich zünde mir eine Zigarette an. Eine Player’s No. 6, die „Schüler-Zigarette“. Von hier aus hat man den besten Blick auf die Bühne, und es besteht keine Gefahr, mit Spucke eingeduscht zu werden, wie es mir einige Male bei The Clash und Generation X passiert ist.

So voll wie heute Abend habe ich den Club noch nie gesehen. Es ist Blondies erste Show in Birmingham als Headliner, und sie werden wie eine Bombe einschlagen. Es ist Februar 1978, morgen werden sie für Top of the Pops den Song ihrer neuen Single, „Denis“, filmen. Debbie Harry wird über Nacht eine Sensation werden.

Die Zeit vergeht langsam. Wir halten uns an unserer Cola fest. Weitere Zigaretten werden geraucht. Wir hoffen beide insgeheim, dass die Band nicht zu spät kommt, sodass wir vielleicht noch den Ein-Uhr-Nachtbus kriegen. Die Vorgruppe ist fertig. Die Nacht gehört jetzt dem Headliner. Die Menge ist angewachsen, und niemand interessiert sich mehr dafür, was DJ Wayne spielt. Jeder neue Song bedeutet nur drei weitere Minuten, bevor die Lichter ausgehen und die Band die Bühne betritt. Die Kids vorne skandieren „Blondie, Blondie, Blondie …“

Wir lächeln uns an.

Wir haben es geschafft.


14: Ballroom Blitz mit Synthesizern

Ich weiß nicht, ob es an der Zeit lag, in der wir lebten, oder ob es einfach so ist, wenn man siebzehn ist, aber uns schien es so, als passiere musikalisch gerade ungeheuer viel; Punk Rock war in New Wave übergegangen, was ein Sammelbegriff für so ziemlich alles war, was Leute unter zweiundzwanzig machten. Es gab so viele neue Arten von Musik, die uns inspirierten. Siouxsie and the Banshees waren äußerst beliebt. Ich fühlte mich ihnen verbunden, weil ich einmal dabei war, als sie vor sechzig Leuten spielten. Dann kamen hundert zu ihnen, dann tausend, dann bekamen sie einen Plattenvertrag, der sie zu Top of the Pops brachte.

Eine andere Band, die ich aufmerksam verfolgte, waren die Heartbreakers, die Ex-New-York-Doll Johnny Thunders gebildet hatte. Malcom McLaren ließ die Heartbreakers in Großbritannien einfliegen, um mit den Sex Pistols auf deren Anarchy In The UK - Tour zu spielen, und sie sind nie richtig zurückgekehrt. Sie fanden Anschluss zu den britischen Punks und merkten, dass sie ein viel größeres Publikum anzogen als in den Staaten. Es war spannend, Thunders auf der Bühne zu sehen, er wirkte gefährlich und unberechenbar. Diese New-York-Haltung. Vielleicht war es auch sein Heroin-Konsum. Er hatte das gewisse Etwas.

Steve Jones spricht offen über den Einfluss, den Thunders’ Art zu spielen auf ihn hatte. In der Dokumentation The Filth and the Fury gibt es eine lustige Sequenz, in der Filmaufnahmen beider Gitarristen zusammengeschnitten sind. Sie zeigen ziemlich deutlich, wie viel sich Steve von Thunders abgeschaut hatte.

Etwas Ähnliches könnte man mit mir auch machen. Ich lernte Thunders’ typische Übergänge und Gitarrenläufe und übertrug sie auf den Bass, komplett mit dem dazugehörigen spöttischen Grinsen. Zum ersten Mal erlebte ich die Magie eines Thunders-Auftritts an der Universität von Birmingham. Die Vorgruppe war eine Band, von der ich noch nichts gehört hatte, The Police. Damals schmuggelte ich einen Cassetten-Recorder in jedes Konzert, und schaltete die Aufnahme ein, wenn sie zu spielen begannen, auch wenn ich keine Idee hatte, wer da spielte. Es war gut möglich, dass eine Band, die du gestern noch nicht kanntest, morgen deine Lieblingsband war.

Der Sänger von The Police spielte auch Bass, was sehr raffiniert und gar nicht punk-gemäß auf mich wirkte. Nach der zweiten Nummer kam er mit dem überwiegend aus Studenten bestehenden Publikum ins Gespräch. Mir erschien das ein wenig zu vertraut. Ich wusste damals nicht, dass Sting ein Lehrer gewesen war und die Sprache der Studenten weit besser beherrschte als die der Punks.

Sting: „Gleich kommen die Heartbreakers.“

(Jubel von mir und ein oder zwei anderen)

STING: „Wisst ihr, sie können nicht spielen.“

ICH: „Fuck off.“

STING: „Wer hat ‚Fuck off‘ gesagt?“

ICH: „Das war ich.“ (Das wurde alles mit aufgenommen)

STING: „Sie sind wirklich tolle Jungs, aber sie können nicht spielen.“

ICH: „Hau ab, du Wichser!“

STING: „Ihr werdet es sehen. Der nächste Song heißt ‚Fall Out‘! Eins, zwo, drei, vier …“

Er lag falsch, was die Heartbreakers anging. Sie waren überwältigend an dem Abend. Als wir 1993 bei der BBC „Ordinary World“ für Top of the Pops aufzeichneten, stand ich neben Sting und schaute mir auf einem Monitor eine Wiederholung unseres Auftritts an. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ihm von jenem Abend erzählen, aber bevor ich den Mund öffnen konnte, wandte er sich zu mir und sagte: „Ich wünschte, ich hätte diesen Song geschrieben.“

Also beließ ich es dabei.

Ein weiterer Wendepunkt kam, als ich Human League zum ersten Mal sah. Nick und ich hörten sie als Vorgruppe von Siouxsie and the Banshees und Penetration im Mayfair Ballroom im Bullring-Einkaufzentrum. Wir sahen andächtig zu. Sie hatten keinen Schlagzeuger, keine Gitarren.

Stattdessen hatten sie drei Synthesizer und eine Drum-Machine. Der Plan, irgendwo für Nick einen Synthesizer aufzutreiben und zu seinem Instrument zu machen, erschien uns jetzt weit aufregender, als wenn ich versucht hätte, ihm das Gitarrespielen beizubringen.

Nicks Mum Sylvia kaufte in Woodroffe’s Music Store für zweihundert Pfund den ersten Wasp-Synthesizer, den es in Birmingham gab. Es war die beste Investition ihres Lebens.

Für fünfzehn Pfund erstanden wir außerdem eine Kay-Rhythmus-Box. Darauf waren Standardrhythmen wie Mambo, Foxtrott, Slow Rock oder eingestellt. Nick kontrollierte also die Harmonien, gab das Tempo vor und drückte die Knöpfe der Rhythmus-Box, Steve Duffy sang und spielte Bass, ich war an der Gitarre. In dieser Besetzung machten wir in dem Raum über dem Spielzeuggeschäft von Nicks Mum mit einem Cassetten-Recorder unsere ersten Aufnahmen.

Das dabei entstandene „Album“ bekam den Titel Dusk And Dawn. Die Band nannten wir Duran Duran.

Woher kam dieser Name? Jeder Fan weiß das. Aus dem Film Barbarella mit Jane Fonda als hinreißendste Weltraum-Detektivin, die die Galaxie je gesehen hat. Ihre Mission: „Finde Durand-Durand und … erhalte die Sicherheit der Sterne.“

 

Warum also nicht eine Band mit dem Namen Durand-Durand? Weil du im Film weder das „ds“ am Ende noch den Bindestrich hören kannst, und die Website imdb.com gab es damals noch nicht.

Der arme alte, von Milo O’Shea gespielte Duran(d) hat die Lustorgel gestohlen – eine Maschine, die Frauen exzessive Freuden verschafft. Wer wollte ihm das vorwerfen? Woody Allen machte darauf später eine Parodie und erfand das Orgasmatron. Barbarella ist ein Meisterwerk des Euro-Kitsch, und wir waren immer stolz auf unsere Verbindung damit.

Für unseren Live-Auftritt in unserem College-Saal am 5. April 1979 um 18 Uhr – eigentlich war das noch Vorlesungszeit – holten wir Steves Freund Simon Colley mit ins Boot, der Klarinette und gelegentlich Bass spielte. Ich habe mir neulich eine Aufnahme davon angehört. Kaum vorstellbar, dass diese Band den Madison Square Garden gefüllt hätte, aber als lärmende Shoe-Gazer im Stile von My Bloody Valentine oder The Jesus and Mary Chain hätten wir eine ganz andere Karriere machen können.

Zwanzig oder dreißig unserer Freunde kamen, um uns zu unterstützen. Um die Bedeutung der Songs zu unterstreichen, projizierten wir abstrakte Bilder auf eine Leinwand. Human League hatten das auch gemacht.

Die Musik entwickelte sich weiter und wir entwickelten uns mit. Wir waren der Zeitgeist. Seit Shock Treatment hatten wir alle aktuellen kulturellen Strömungen angezapft. Dem wütenden Krach aus drei Akkorden waren wir langsam entwachsen. Wir strebten nach etwas Anderem, Frischem. Multimedia, Mode, Tanz, Kunst: Wir wollten alles in einem Mix.

Auf dem Cover von Dusk And Dawn war die mit langer Belichtungszeit aufgenommene Schwarz-Weiß-Fotografie einer New Yorker Straßenflucht zu sehen. Autolichter schlängelten sich die Park Avenue auf und ab. In die obere rechte Ecke setzten wir ein Foto von uns Dreien, auf dem unsere Gesichtszüge seltsam abwesend waren. Vielleicht war es Kunst, vielleicht hatte ich es beim Fotokopieren am College aber auch einfach mit dem Kontrast übertrieben.

Die Titel der Songs lauteten „Soundtrack“, „Aztec Moon Rich“, „Take (The Lines And The Shadows)“, was einer von Simons Titeln sein könnte, „Hold Me/Pose Me“, „A Lucien Melody“ und „Hawks Don’t Share“.

Ich war so stolz auf diesen ersten Versuch, ein Album zu machen, dass ich mich entschloss, ihn als mein Jahresprojekt einzureichen. Jeder Student bekam einen Platz in der Haupthalle zugewiesen, um die Früchte seiner Arbeit auszustellen. Ich bedeckte meine Wandfläche mit einem glänzend schwarzen Müllsack und legte eine einzelne Cassette davor auf einen Tisch. Es sah ziemlich gut aus.

Es war ein gewisses Maß an Chuzpe nötig, keine Miene zu verziehen, während College-Dozenten und Mitstudenten mein Exponat umkreisten.

Ich hatte Steve Duffys Modell der freien Deutung noch übertroffen.

Professor Grundy nahm die Cassette hoch und betastete sie vorsichtig.

GRUNDY: „Und was haben wir hier?“

ICH: „Es ist das, was ich die letzten sechs Monate gemacht habe.“

GRUNDY: „Und was wollen Sie damit bezwecken?“

ICH: „Einen Plattenvertrag bekommen.“

GRUNDY: „Es hat aber nicht direkt etwas mit Ihrem Studium zu tun, oder?“

ICH: „Warum sollte es? Haben Sie uns nicht angeregt, freier darüber zu denken, was Kunst ist und was nicht? Das hier ist Kunst, weil ich es sage.“

GRUNDY: „Nun, ich bin froh, dass Sie in Ihrer Zeit hier etwas gelernt haben, Nigel.“

Das war mein letzter Tag an der Hochschule. Ein paar Wochen später bekam ich einen Brief, in dem stand, dass ich in keinem der BA-Studiengänge aufgenommen worden war.

Insgeheim war ich froh darüber. Ich wollte nur Musik machen, die Ideen, die wir als Band hatten, weiterentwickeln, und so oft wie möglich spielen.

Aber das musste ich Mum und Dad beibringen, da ich weiterhin zu Hause wohnen wollte.

Ich sprach mit ihnen mit weit größerer Demut, als ich sie meinem Professor gegenüber an den Tag gelegt hatte. Was ich vorhatte – keinen Job zu haben –, widersprach allem, was sie kannten. Für sie war meine Musik bestenfalls ein Hobby, etwas, worüber man lächelte, und nichts, woraus man einen Beruf machen konnte.

Es half mir nicht gerade, dass Dad mit Siebenundfünfzig entlassen worden war – er nannte das Vorruhestand. Wenn ich damit durchkäme, würden wir für eine Weile Stütze beantragen müssen.

„Ich brauche einfach etwas Zeit, Mum, Dad. Das ist es, was ich wirklich tun möchte.“

„Ich weiß nicht. Jack, was meinst du?“

Ihre Enttäuschung war spürbar. Beide träumten davon, dass ihr Sohn zur Universität geht. Es war ein großer Brocken, den sie da schlucken sollten.

Ich brauchte Argumente. „Ich sage ja nicht, dass ich gar nichts machen will. Ich werde nicht zu Hause herumhängen. Ich werde an der Musik arbeiten. Aber ich muss es Vollzeit tun.“ Dad war ziemlich neben der Spur. Nach dem Debakel bei der Arbeit, das zu seinem „Vorruhestand“ geführt hatte, war er ratlos und wie gelähmt. Der Rebell in ihm wollte mich unterstützen.

„Ich denke, wir können es versuchen. Aber nur ein Jahr.“

Das war alles, was ich brauchte. Das fühlte ich. Ich konnte kaum an mich halten. In einem Gefühlsausbruch, wie er in Nummer 34 selten war, umarmte ich sie und weinte, weil ich um die Bedeutung dessen wusste, was gerade passierte.

Dass Mum und Dad mir trotz ihrer Bedenken vertrauten und mich zwölf Monate lang mein Ziel verfolgen ließen, war das beste Geschenk, das sie mir je gemacht haben.

Es gab keine Zeit zu verlieren.


15: Everybody Dance

Als nächstes spielten Duran Duran am 8. Mai im Cannon Arts Centre (Tickets für fünfzig Pence) und dann am 1. Juni im Barbarella’s. Als wir von der Endhaltestelle Maypole zurück nach Hollywood liefen, waren Nick und ich davon überzeugt, dass aus Duran Duran etwas werden würde. Zum Publikum im Barbarella’s hatten wir einen richtig guten Draht gefunden. Die Resonanz auf das, was wir machten, war ermutigend. Wir waren auf dem richtigen Weg.

Und dann die Katastrophe.

Nach dem Gig im Barbarella’s vergingen etliche Tage, an denen weder Nick noch ich etwas von Steve oder Simon hörten. Was zur Hölle ging da vor sich?

Dann kam es heraus; beide machten in einem besetzten Cheapside-Haus Musik mit mehreren Mitgliedern von TV Eye, einer anderen lokalen Band. Mit dabei: Mein ältester Freund David Twist.

Ich hetzte rüber zu Nicks Haus in der Mill Close.

„Kannst du diese Scheiße glauben?“, sagte ich.

„Wichser!“, erwiderte Nick.

Jetzt war nicht die Zeit, um Chartbuster zu spielen. Dafür ging es um zu viel.

Wir waren bestürzt, aber nicht am Boden zerstört. Wir waren wütend.

Wut ist etwas Gutes.

Wut rüttelt einen wach. Ist euch schon mal aufgefallen, wie oft eine Fußballmannschaft besser spielt, nachdem einer der Spieler vom Platz geschickt worden ist? Malcom Gladwell hat bestimmt eine Theorie dazu. Wir standen mit dem Rücken zur Wand. Steve und Simon hatten gewagt, uns auszuschließen. Sie dachten, sie wären besser ohne uns.

Wir zogen uns in den Raum über dem Spielzeugladen zurück und schmiedeten einen Racheplan.

Wir mussten diese Krise für uns nutzen.

Was taten Nick und ich? Wir riefen Andy Wickett an, den Sänger von TV Eye, der, wie wir wussten, seinen Job los war, und boten ihm an, bei Duran Duran einzusteigen. Er war Feuer und Flamme. Es war ein inzestuöses Spiel, ein musikalisches „Der Platz zu meiner Rechten ist frei“, bei dem alle Mitspieler einen Birmingham-Akzent hatten.

Andy organisierte ein Treffen mit Roger Taylor, dem Drummer von Scent Organs, die in Birmingham zu den besseren Bands gehörten. An dem folgenden Freitag trafen wir uns alle vier bei einer Party.

Roger ist einer der feinsten Kerle überhaupt. Er arbeitete in der Fertigungsstraße der Rover-Fabrik in Solihall, wie auch sein Vater. Aber er wollte ausschließlich Musik machen.

Für jemanden, der nichts lieber tat, als auf sein Schlagzeug einzudreschen, hatte Roger eine sehr entspannte, lockere Art. Seine James-Dean-Frisur und der adrette Stil erinnerten an die Fünfziger. Und sein Ruf eilte ihm voraus. Bei einem Auftritt von The Damned im Jahr zuvor im Barbarella’s war der Drummer Rat Scabies hinter seinem Schlagzeug aufgestanden und hatte herausfordernd das Publikum gefragt, ob jemand seinen Platz einnehmen wolle. Roger wollte.

Ich hätte nie gedacht, dass Roger mit uns spielen wollte. Für mich war er in einer anderen Liga. Aber er spürte, wie sich der Wind drehte, und wollte nicht länger einfach nur drauflos hämmern. Er wollte eine Musik machen, die vom Punk die Energie und Einstellung übernahm, aber auch neu und anders war. Er sagte zu, vorbeizukommen und mit Andy, Nick und mir zu jammen.

Duran Duran in der Version 2.0 zogen aus dem Spielzeugladen aus und siedelten sich mitsamt Ausrüstung im zweiten Stock des Cheapside-Hauses von TV Eye an, wo Andy Wickett immer noch wohnte. Wir steckten zukunftsfroh eine Zone für neue Musik ab, während die Subterranean Hawks, Steves und Simons neue Band (diese Bastarde!), im dritten Stock sich am Erbe der Rolling Stones und von Bob Dylan abarbeiteten.

Es waren die besten Voraussetzungen für einen ernsthaften Zweikampf.

Man lief sich unweigerlich über den Weg; es gab zu unbestimmten Zeiten Begegnungen auf neutralem, entmilitarisiertem Gelände wie der verwahrlosten Küche im Erdgeschoss, wo der Abwasch immer liegen blieb und Spötteleien und Zigarettenpapier getauscht wurden.

Ein gewisser Hochmut kroch bisweilen vom dritten Stock herab, besonders als wir anfingen, unseren Sound aufzurüsten und tanzbare Grooves einbauten. Als Roger in die Band kam, spielte ich noch Gitarre, und ich begann, an einem eher rhythmischen Stil zu feilen, der sich mit seinen Drums verzahnte.

Wir wagten uns musikalisch aus der Punk-Blase heraus, und auch unser Sozialleben konnte sich sehen lassen. Wir gingen gerne in Weinbars wie das Hawkins, gleich neben Virgin Records in der Corporation Street. Die Mädchen waren dort ansprechender, und man wurde freundlicher aufgenommen als in den schmuddeligen Pubs von Birmingham.

In den Weinlokalen war auch die musikalische Kost abwechslungsreicher. Den Song „Everybody Dance“ von Chic hörte ich zum ersten Mal in einer Weinbar. Das Stück machte gewaltigen Eindruck auf mich, denn die Bassgitarre wirkte wie das Lead-Instrument. Ich hatte noch nie einen Bass so spielen hören. Diese Platte war für mich so revolutionär wie „Anarchy In The UK“ es gewesen war. Ich nahm eine Bassgitarre, die Andy Wickett in seinem Schlafzimmer stehen hatte, und begann, darauf herumzuspielen. Ich merkte, dass ich den Stil des Chic-Bassisten, dessen Name mir unbekannt war, leicht imitieren konnte. Das Gleiche galt für die Basslinien anderer beliebter Disco-Hits wie „You Make Me Feel (Mighty Real)“ von Sylvester. Was mir an Technik fehlte, machte ich durch Posen wett.

Roger und ich waren begeistert von der Idee, im Stile dieser Disco-Bands zu spielen, und wir entwickelten gemeinsam einen Sound. Wir redeten sogar von einer Rhythmus-Gruppe, ein Begriff, den bestimmt keine Punk-Band jemals benutzt hatte. Der Bass übernahm die Führung, die tiefen Töne wurden von der Bassdrum eingeschlossen. Mir gefiel das Zusammenspiel und der Austausch von Energie, der zwischen uns stattfand.

Mein Instinkt riet mir: Konzentriere dich auf den Bass. Die Frage nach dem Gitarristen sollte sich früh genug beantworten. Ich entschloss mich, etwas von meinen spärlichen Geldreserven in eine eigene Bassgitarre zu investieren, eine kostengünstige Hondo-Kopie, die armseliger aussah, als sie war.

Angesichts der vielen Stunden, die ich im Laufe der Jahre damit zugebracht habe, Rogers Gesicht anzusehen, kann ich mich glücklich schätzen, dass ich auf so ein angenehmes, unvoreingenommenes und freundliches Gesicht blicken kann. Er ist außerdem der ausgeglichenste Typ, den ich kenne. Ein schönes Yin für mein Yang.


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