Das große Littlejohn-Kompendium

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Wie mächtig die Methode ist, lässt sich beispielsweise aus jenen drei Operationsfällen in Bonn, Deutschland, ersehen, über die vor einigen Jahren in der New York Tribune berichtet wurde: Als die betreffenden Patienten nach einer Narkotisierung mit Äther und Chloroform nicht mehr zurückgeholt werden konnten, versuchte es ein Assistent 35 Minuten lang mit einer Anwendung von Nervenschwingungen über dem Herzen. Man unternahm diesen Versuch, nachdem alle anderen Bemühungen versagt hatten, und war erfolgreich: In jedem der drei Fälle wurde der Patient ins Leben zurückgebracht. Und das Herz nahm seine normale Arbeit wieder auf.

Ein bekannter europäischer Arzt, Dr. A. Kellgren, hielt 1888 vor den Chirurgen der Kaiserlich-Österreichischen Marine in Tula eine Reihe von Vorträgen über Manuelle Nervenbehandlung (gedruckt und veröffentlicht auf Anordnung des Marinesekretärs). Er berichtete insbesondere von positiven Ergebnissen, die durch die Anwendung der Nervenschwingungen bei Lungen-, Herz- und Magenerkrankungen, bei Metriose, Endometriose, Blutungen und Atonie des Uterus, bei Neuralgie, Ischias, Migräne und Kinderlähmung, bei Leber(Gallensteinen), Nieren- und Blasenproblemen erzielt wurden. Seiner Erfahrung nach bewirkt diese mechanische Methode, die nicht von Maschinen ausgeführt werden darf, Folgendes:

(a)Stärkung der Nervenenergie

(b)Linderung des Schmerzes

(c)Kontraktion der kleinen Blutgefäße

(d)Muskelimpuls zur Kontraktion

(e)Zunahme der Drüsensekretionen

Es kann nicht den leisesten Zweifel geben, dass wir mit der Nervenschwingung eine äußerst mächtige Waffe gegen das Fortschreiten nahezu aller Krankheiten des Nervensystems und ein sicheres Heilmittel für diese Krankheiten besitzen. Ein weiterer Vorteil dieser Behandlung ist ihre direkte Wirkung auf das Nervengewebe, wodurch die Verdauungsorgane als Medium geschont werden.“

Wir haben diesen Artikel ganz zitiert, um auf einige Punkte hinzuweisen.

(1)Er veranschaulicht den zuvor erwähnten Punkt, dass es eine Tendenz zu Therapien gibt, die keine Medikamente verwenden. Dahinter steht das Bestreben, zu den Methoden der Natur zurückzukehren.

(2)Er verdeutlicht die allgemeine Unkenntnis bezüglich der Existenz der Osteopathie und ihrer Ansprüche als Heilungssystem.

(3)Er zeigt sehr klar den Vorteil der manuellen Manipulation, jener auf wissenschaftlicher Grundlage basierenden Methode der osteopathischen Behandlung. Der Autor zeigt auf, dass ein Bedarf besteht für diese medizinische Spezialdisziplin und ebenso für eine Schule und ein Krankenhaus, wo dieses neue Heilungssystem vor allem in Bezug auf seine richtige Anwendung erforscht und praktiziert werden kann. Im Feld gibt es bereits Hunderte von angesehenen Praktikern dieser Kunst sowie verschiedene Schulen, in denen sie als unverwechselbares System gelehrt wird.

Der Autor scheint zu glauben, es gehe hier allein um Nervenschwingungen und die Methode bestehe in Massage. Beides trifft jedoch nicht zu. Die manuelle Manipulation wirkt

(1)anpassend im Fall der Dislozierung eines Gewebes oder Organs;

(2)stimulierend oder inhibierend auf jede Kraft, jede Flüssigkeit oder jedes Gewebe des Körpers.

Die direkte oder indirekte Stimulation eines Nerven kann auf diesen Nerv, auf die Nervenzelle und – durch die Verbindung der Nervenzelle sowie über die Muskelbefestigungen der Nerven – auch auf andere Nerven eine erregende oder hemmende Wirkung ausüben. In all diesen Fällen geht es, obgleich eine Veränderung in den Schwingungseigenschaften des Nerven oder Muskels von Bedeutung sein kann, nicht allein um Schwingung, sondern auch um jene modifizierte Aktivität im betroffenen Gewebe, die zu Verminderung des Schmerzempfindens, Stärkung der Nervenkraft, Dilatation oder Kontraktion der Blutgefäße, Zunahme oder Abnahme des Rhythmus eines Organs wie Herz oder Leber, der Muskeln oder der sekretorischen bzw. metabolischen Funktionen sowie der absorbierenden Kräfte bestimmter Gewebe-, Drüsen- oder Membranzellen führt.

Der Autor scheint überdies zu glauben, diese Idee werde lediglich von wenigen Menschen vertreten und angewendet. Wir haben aber Beweise, dass sie weithin anerkannt ist. So stellt etwa die im Königlichen Zentralinstitut von Stockholm durchgeführte manuelle Behandlung eine Systematisierung dieses Prinzips in Europa dar, und in Amerika wird es von der Osteopathie auf einer physiologischen Grundlage repräsentiert. Auch in vielen anderen Gegenden hat dasselbe Prinzip Anerkennung gefunden – nehmen wir beispielsweise die Methode von Brandt und Ziegenspeck, die manuelle Behandlung in der Gynäkologie anwenden, oder Lucas Championnieres Methode der beweglichen Chirurgie. Sie alle zeigen zum einen den von Medikamentensystemen wegführenden Trend in der Denkweise, zum anderen die Entschlossenheit, ein System auf einer gänzlich physiologischen Grundlage aufzubauen, wie wir es in der Osteopathie finden. Das bedeutet zweifellos neues Leben für das Nerven- und Muskelgewebe, neue Kraft für ein träges zirkulatorisches System und Ökonomie in den Verdauungsapparaten, ohne dass mit Hilfe von Medikamenten die Lebenskraft abgezogen wird.

9. OSTEOPATHISCHE MECHANIK BEI DER GEBURTSHILFE

The Journal of Science of Osteopathy (1 u.2.), 1900, S. 93–100 und S. 111–122.

NUMMER 1, S. 93–100

Levret zufolge handelt es sich bei der Entbindung um einen rein mechanischen Vorgang. Entsprechend wendeten er und andere die Prinzipien der Physik und Mathematik an. Obgleich diese extremen Anschauungen nicht allgemein angenommen worden sind, herrscht das mechanische Element unzweifelhaft im Bereich der Geburtshilfe vor. Aus einer osteopathischen Perspektive stellt die Mechanik der Geburtshilfe sogar das Fundament der gesamten Geburtshilfepraxis dar.

Die Geburtshilfe befasst sich im Wesentlichen mit vier Faktoren:

(1)Der Mechanik des Beckens;76

(2)dem Körper des geborenen Kindes;

(3)der Kraft, durch welche die Geburt bewirkt werden muss; und

(4)den Passagen, durch welche die Geburt verlaufen muss.

Da der Körper ein Mechanismus ist und die Geburtshilfe sich mit der Anatomie und Physiologie der Geburt des Kindes befasst, schließt sie alle mechanischen Prinzipien ein, die bei der Geburt des Kindes angewendet werden. Sie sollte daher vom mechanischen Standpunkt aus betrachtet werden.

1.1 DIE MECHANIK DES BECKENS

Das Becken stellt einen unregelmäßigen knöchernen, keilförmigen Hohlraum an der Basis der Wirbelsäule und oberhalb der unteren Extremitäten dar. Beim Erwachsenen finden wir das Os inominatum77, das Os sacrum und das Os coccygeus. Das Os inominatum zeigt nach der Ossifikation zwischen den anterioren und posterioren superioren Processi spinosi eine Ausdehnung von etwa 15 Zentimeter und eine Länge vom Tuber ossis ischii zur Crista iliaca von 18 Zentimeter. Jedes Os inominatum wird aus drei Knochen gebildet, die sich nach der vollständigen Ossifikation im Acetabulum treffen und über die Symphysis pubis direkt verbunden sind.

(a)Das Os ilii hat die Form eines Dreiecks und liegt superior. Die dorsale Oberfläche zeigt sich konvex und unregelmäßig. Sie bildet die Basis der Ursprünge der Musculi glutei. Die ventrale Oberfläche ist konkav und glatt und bildet die Ursprungsbasis für den Musculus iliacus. Die iliakale Basis ist dick und bildet einen Teil des Acetabulum. Der obere Teil oder Corpus erhebt sich schräg nach vorne und außen, um einen Flügel zu bilden, dreht dann und mündet schließlich in die Crista. Hier setzen die Musculi abdominalis sowohl anterior wie auch posterior an. Zudem finden wir in diesem Bereich die Spinae iliacae anterior (SIA) superior (SIAS) und inferior (SIAI) als Ansatzbereiche für Ligamente und Muskeln. Letztere markieren auch die Spinae iliacae posterior (SIP) superior (SIPS) und inferior (SIPI). Zwischen den SIPs liegt die Incisura ischiadica, die wiederum in zwei Foramina unterteilt ist. Das inferiore davon bildet ein Bett für die skiatischen, glutealen und pubischen Arterien und Nerven innerhalb des Beckens.

(b)Das Os ischii markiert den inferioren Knochen der Ossa inominata. Sein Corpus bildet den inferioren Teil des Acetabulum. Im Anschluss daran folgt ein schmaler Grat mit der SIAI als Ansatzbereich einiger sakroiliakalen Bänder. Darunter verdickt sich der Knochen als Tuber ischii und wendet sich nach oben, um den Ramus superior ossis pubis zu bilden. Außen erscheint die Oberfläche rau, innen, in Verbindung mit der Ebene der Beckenhöhle, hingegen glatt. Im Zentrum des Os ischii befindet sich das Foramen obturatorium, welches das knöcherne Rahmenwerk leichter macht, ohne dass die Stabilität darunter leiden würde.

(c)Das Os pubis bezeichnet den anterioren Knochen des Os inominatum, wobei seine Basis den anterioren Anteil des Acetabulum formt. Es projiziert als horizontaler Ramus nach vorne und trifft an der Symphyse auf das entgegengesetzte Os pubis. So wird die anteriore Begrenzung des Beckens vervollständigt. Der dünne absteigende Ramus verläuft im Bereich der Symphyse nach inferior, verschmilzt dort mit den aufsteigenden Ramus ischii und bildet so eine Seite des pubischen Bogens. Der Winkel zwischen diesen beiden Rami bestimmt auf jeder Seite die Größe des Bogens und stellt, auf die Geburtshilfe bezogen, den unteren Punkt der Passage für das Kind während der Geburt dar. Auf der Innenseite des horizontalen Ramus stellen wir die Ausdehnung der iliopektinealen Linie fest. Nahe dem Ende des Os pubis befindet sich ein Processus spinosus, an dem das innere Ende von Pouparts Ligament befestigt ist und eng daran die Musculi pectineus und abdominalis.

 

Das Sakrum befindet sich am kaudalen Ende der Wirbelsäule. Die unteren Wirbel sind hierbei ankylosiert, um eine feste posteriore Beckenwand zu bilden. Im Leben des Embryos finden wir hier 35 knöcherne Einzelfragmente. Diese reduzieren sich bis zur Geburt auf fünf. Und im Leben des Erwachsenen sind sie eng miteinander verbunden. Es stellt einen als Dreieck oder Keil geformten Knochen dar, mit einer kranialen Basis und einem kaudalen Apex. Es projiziert mit einer gekrümmten nach anterior gerichteten Konkavität nach posterior. Vertikal misst es etwa 11 Zentimeter und quer 10 Zentimeter. Bezogen auf seine Größe handelt es sich um den relativ leichtesten Knochen im Körper. Die obere Grenze stellt den Beckenrand dar, wobei die ovale Eingangsform durch das Promontorium des Sakrum durchbrochen wird. Er bezeichnet den wichtigsten Knochen des Beckens sowohl bei normaler wie auch bei anomaler Ausformung des Beckens im Kontext mit der Geburtshilfe. Als Verlängerung und Endigung des Sakrum dient das Steißbein. Es repräsentiert vier bis fünf der 35 embryonalen Knochenfragmente, die beim Erwachsenen vom Sakrum unterschieden bleiben, den kleinen skiatischen Bändern als Ansatz dient und aufgrund der ischiococcygealen Muskeln Beweglichkeit besitzt. Normale oder anomale Beweglichkeit und Ausrichtung des Sakrum beeinflussen den Geburtsvorgang nachhaltig. Normalerweise bewegt es sich superior und ermöglicht so eine mechanische Verstärkung des anteropostioren Ausgangsdurchmessers. Bei der häufigen Ankylosierung des Art. sacrococcygealis ergibt sich eine mechanische Behinderung der freien Geburt.

Im Becken gibt es drei Verbindungen von beachtlicher mechanischer Bedeutung. Die sakroiliakale Synchondrose wird auf jeder Seite durch eine unregelmäßige Oberfläche am posterioren Ilium und dem lateralen Sakrum gebildet, die hier jeweils von Knorpel umgeben sind. Die Verbindung der beiden Knorpel ist weich.78 Zusätzlich zu dieser knorpeligen Verbindung der Knochen finden wir die anterior und posterior kreuzenden sakroiliakalen Bänder, sowie jene sakrotuberalen Bänder, die eine Verstärkung der Verbindung zwischen Sakrum und Ilium bewirken. Zwischen die Ossa ilia schiebt sich das keilförmige Sakrum mit einem größeren anterioren Transversaldurchmesser als posterior. Daher besteht bei Druck, der von innen ausgeübt wird, keine Rissgefahr. Auf der anterioren Seite des Beckens wird die Symphyse durch die Vereinigung der Ossa pubes über einen fibrösen Knorpel gebildet. Die Schwäche dieser Gelenkverbindung wird durch pubische und subpubische Bänder kompensiert, welche wechselseitig gekreuzt von einem zum anderen Os pubis verlaufen. Pare, Gardien u. a. behaupten, dass die Ossa pubes sich des Geburtsvorgangs weiten, bzw. hierzu in der Lage wären, falls dies erforderlich sei. Diese besondere Art der Verbindung erlaubt eine Verstärkung des Beckenrandes. Gleiches wird über die sakroiliakalen Gelenke behauptet und mag in vielen Fällen auch zutreffen. Doch – wie Dewees ausführt – um durch vollständige Trennung irgendeinen Gewinn zu erzielen, müssten sich die Ossa pubes mindestens 2,5 Zentimeter voneinander entfernen. Und dies würde zum Riss der sakroiliakalen Synchrondose und der pubischen Bänder führen, wie dies gelegentlich bei einigen Beckenerkrankungen festgestellt werden kann. Es ist jedoch unzweifelhaft, dass besagte Gelenke vor der Geburt aufgeweicht, die Gewebe gestärkt und die Bänder entspannt werden. So können die Knochen derart getrennt werden, um eine sakroiliakale Drehgelenk-Bewegung oder eine Drehgelenk-Bewegung der Symphyse zu bilden. Sofern die Bänder entspannt werden, ist das Sakrum zur Bewegung fähig und erlaubt damit die Bewegung der sakroiliakalen Synchrondose auf jeder Seite mit der Symphyse als Gegengelenk. Diese Bewegung mit dem posterioren Nachgeben des Steißbeins ermöglicht die größtmögliche Weitung des Beckenausgangs. Beim Nachgeben der Gelenkverbindungen des Beckens agiert das Sakrum wie ein Keil zwischen den Ossa inominata und bewirkt zudem mechanisch die Öffnung der Symphyse.

Die sakrococcygeale Verbindung stellt jenen Bereich dar, der insbesondere eine Beweglichkeit nach posterior zulässt, um den unteren Ausgang um mindestens 2,5 Zentimeter zu vergrößern. Sie wird einerseits durch Knorpel, der beide artikulierenden Oberflächen umgibt und andererseits durch eine starke Kapsel verstärkt. Das Becken ist durch die sakrale Gelenkverbindung mit dem letzten lumbalen Wirbel am Rumpf und über das Acetabulum bzw. die Hüftgelenke mit den unteren Extremitäten verbunden. Das lumbosakrale Ligament steigt schräg von der Spitze des Processus transversus des letzten lumbalen Wirbels zum lateralen Teil der Sakrumbasis hinunter und das iliolumbale Ligament verläuft horizontal von der Spitze des Processus transversus des letzten lumbalen Wirbels zur Ecke der Fossa iliaca. Die beiden sakrotuberalen Bänder verhindern die Fehlstellung des Apex des Sakrum. Sie verschließen teilweise den Beckenausgang und gehören im unteren Bereich strukturell zum Beckenboden.

Das Becken nimmt im Körper eine einzigartige Position ein. Der Beckenrand steht etwa 50°–60° zur Horizontalebene geneigt, sodass die Ebenen des superioren Sakrumanteils und des Acetabulum parallel zueinander abfallen. Der untere Beckenausgang neigt sich vergleichbar mit 10°–11° im Vergleich zur Horizontalebene des Beckenausgangs. Die Spitze des Steißbeins befindet oberhalb der Bogenspitze der Ossa pubes. Der lumbosakrale Winkel beträgt zwischen ca. 30–50°. Die Schräge des Beckenausgangs entfernt die Achsen des Beckenhohlraums und des Körperrumpfes voneinander. Sie treffen in einem schrägen Winkel aufeinander, sodass die Frau normalerweise vor einem Prolaps uteri oder viscerae geschützt ist. Insbesondere in den Spätstadien der Schwangerschaft vermeidet dieses schräge Verhältnis des Beckens zum Körperrumpf zusätzlich die Gravitation des Uterus in den Beckenhohlraum. Und sie verhindert ebenso, dass die Viszera mechanisch nach unten gedrückt werden – ein Druckzustand, der oft bei pathologischen Zuständen festgestellt wird und urogenitale, intestinale und andere Frauenprobleme hervorruft. Mithin besteht insbesondere während der Schwangerschaft die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung einer korrekten mechanischen Beziehung zwischen Wirbeln bzw. Körperrumpf und Beckenhohlraum, sofern die Mutter gesund bleiben und Schwangerschaftsprobleme vermindert werden sollen.

Das Becken ist durch die iliopektinale Linie zwischen Cristae ilii und Ossa pubes zweigeteilt, wodurch die Beckenränder markiert werden und das superiore und inferiore bzw. das große und kleine Becken markieren. Das große Becken zwischen den Flügeln der Ossa inominata ist bei der Geburtshilfe nur deshalb von Bedeutung, weil es sich auch auf das untere Becken bezieht und in gewissem Grad die Größe des letzteren bestimmt. Von der SIAS zur Symphyse beträgt der Abstand etwa 10 Zentimeter, von der SIPI zum posterioren Rand der Crista iliaca etwa 12,5 Zentimeter. Der Abstand von der Crista iliaca zum Beckenrand beträgt 9 Zentimeter, jener zwischen den SIAS 25 Zentimeter und jener zwischen den Cristae iliacae 27,5 Zentimeter. Von L3 bis zur Spitze der Symphyse sind es 20 Zentimeter, wobei sich diese Linie bei aufrechter Haltung rechtwinklig zeigen sollte.

Das kleine Becken wird durch die iliopektinale Linie begrenzt. Seine Form ist bis auf eine kleine Ausnahme an der posterioren Seite am Promontorium oval. Bei der Geburtshilfe ist dies von größter Bedeutung, weil es die erste feste Struktur darstellt, welche dem absteigenden Fötus begegnet, sodass es ein nahezu unabänderliches Hindernis für eine freie Geburt darstellt, sofern sich an diesem Punkt eine anomale Verengung befindet. Diese Tatsache gewinnt an Bedeutung, wenn wir uns daran erinnern, dass beim Mann der Beckenrand kreisförmig gestaltet ist. Anteroposterior sind es hier zwischen dem Promontorium und der oberen Pubisbegrenzung etwa 11 Zentimeter. Der auf dem anteroposterioren Diameter rechtwinklig stehende transversale Diameter beträgt am weitesten Teil des Randes um 13 Zentimeter und der schräge Diameter zwischen der sakroiliakalen Synchondrose und dem oberen und inneren Rand des Acetabulum bzw. der iliopektinealen Eminenz beträgt etwa 12,5 Zentimeter. Daraus ergibt sich ein Kreis im Umfang von 38–43 Zentimeter.

Der Beckenhohlraum wird durch das Sakrum, das Ischium und die Ossa pubes begrenzt. Seine Tiefe am Sakrum und Steißbein beträgt zwischen 12,5 und 15 Zentimeter, von der Kante zum Tuber ischii 9 Zentimeter und am Os pubis 4 Zentimeter. Bei den Frauen liegt der Beckenausgang etwa 6–8 Zentimeter unter der Symphyse und das Sakrum neigt sich mehr vor. Der anteroposteriore Diameter zwischen S3 und Os pubis beträgt 13 Zentimeter, der transversale vom unteren Teil der anterioren Acetabulumgrenze zu einem entsprechenden Punkt an der anderen Seite beträgt 12–12,5 Zentimeter und der schräge Diameter 13 Zentimeter. An der Innenfläche des Beckenhohlraums stellen wir eine Folge von glatt geneigten Ebenen fest. Diese Ebenen erstrecken sich in zwei Richtungen:

(a)nach inferior und posterior – und

(b)nach inferior und anterior.

Daraus entstehen die posterior und anterior geneigten Ebenen des Ischium und erleichtern den Abstieg des Fötus. Am Beckenausgang stellen wir eine nach lateral unbewegliche ovale Öffnung fest, die posterior aufgrund der Mobilität des Steißbeins zur Vergrößerung fähig ist. Der Winkel des subpubischen Bogen beträgt 90°–100°, beim Mann 70°–80°. Der anteroposteriore Diameter vom pubischen Bogen zum Steißbein beträgt etwa 11 Zentimeter, der schräge Diameter zwischen den Tuber ischii 12 Zentimeter. Beim Mann stehen die Tuber ischii enger zusammen, sodass der schräge Diameter nur 11 Zentimeter aufweist. Gleiches gilt auch für die Acetabula. Bei der Frau führt der größere Abstand zwischen den Acetabula zu einer schrägeren Beziehung zwischen Femur und Knien, was die charakteristischen weiblichen Bewegungen der unteren Extremitäten erklärt. Das weibliche Becken ist feingliedriger und die Oberflächen sind glatter.

Durch den Vergleich zwischen Beckenrand und dem Beckenausgang stellen wir die direkte Umkehrung der Maße fest. Dieser Übergang vom längsten zum kürzesten Diameter und umgekehrt findet im Hohlraum statt. Der transversale Diameter vermindert sich im Verhältnis mit den sich annähernden Ischia, während der anteroposteriore Diameter entlang der Krümmung des Sakrum allmählich zunimmt. Diese allmähliche Veränderung bezeichnet eine halbspiralförmige Eindrehung in den Hohlraum, welche die Abstiegsbewegung des Fötus unterstützt. Die Bewegung ähnelt stark einer Achterbahn, sodass beim Beginn der Austreibung die geneigten Ebenen und das Achterbahn-System die Geburt erleichtern. Auch die Gravitation hilft im Kontext des absteigenden Fötus bei der Vorwärtsbewegung vom Beckenrand zum Beckenausgang.

Die eben genannten Abmessungen werden durch die Weichteile modifiziert, welche die innere Fläche umkleiden und die äußere bedecken. Das knöcherne und ligamentäre Rahmenwerk wird durch Weichteilgewebe aufgefüllt. Der Musculus illiacus internus bedeckt die Fossae illiacae fächerförmig. Medial davon befindet sich der Musculus psoas. Diese kreuzen ihre anterioren Anteile auf dem Weg zu ihrem gemeinsamen Ansatz und bilden ein Kissen, um die viszeralen Organe und bei der Schwangerschaft insbesondere den Uterus zu halten. Eng an der medialen Begrenzung des Musculus psoas befinden sich die illiakalen Gefäße, die kruralen Nerven und Lymphbahnen. Im Hohlraum befinden sich die Musculi obturator internus und piriformis mit den sakralen Gefäßen und Nerven, welche die großen skiatischen und obturatorischen Foramina nahezu vollständig auffüllen, sodass sie bei Kontraktion die Rotation des kindlichen Kopfes unterstützen. Entlang des zentralen Sakrumanteils verläuft das Rektum, hinter und oberhalb der Symphyse, die Blase. All diese Organe werden von Faszien, Membranen usf. umhüllt. Am unteren Beckenausgang stellen wir auf jeder Seite des Steißbein und Sakrum ein Leistenband fest, den kokzygealen Muskel, Muskelfasern, Faszien und zelluläre Substanz, die sich um die Vaginaöffnung schließen. Der perineale Hohlraum ist mit den stark kontraktilen Geweben angefüllt, die als Boden für das Becken und die abdominalen Viszera agieren. Als Ergebnis wird der transversale Diameter verringert, ohne dass der schrägen Diameter in irgendeinem Grad beeinflusst wird. Am Beckenrand wird der transversale Diameter um etwa 1,25 Zentimeter, der anteroposteriore um etwa 0,6 Zentimeter verringert. Im Beckenhohlraum beträgt die Verminderung etwa 0,6 Zentimeter. Die untere Öffnung ist mit Ausnahme der Vaginaöffnung vollständig verschlossen, und aufgrund der Elastizität der Weichteilgewebe gibt es praktisch keine Verminderung im anteroposterioren Durchmesser. Die abdominalen Muskeln sind am Beckenkamm befestigt, die Außenflächen der Ossa inominata werden bedeckt durch die Musculi glutei, piriformis, obturator internus et externus, gemellus superior et inferior und quadratus femoris, sodass es starke Verbindungen des Beckens zum Rumpf und den Extremitäten gibt.

 

Es erscheint offensichtlich, dass das Becken einen Teil des Körpermechanismus repräsentiert, der sich funktionell besonders anpassen kann. Die mechanische Anordnung der einzelnen Bestandteile bei der Frau im Vergleich zum Mann macht diesen Punkt deutlich. Bei der ersteren gibt es nicht nur eine Anpassung von Muskeln und Knochen für die Lokomotion, sondern insbesondere eine eigentümliche Anpassung an die Generationsfunktion und diejenige der Organe, die mit ihr befasst sind. Aus dieser Perspektive besitzt das Becken eine doppelte Funktion:

(a)die generativen viszeralen Organe vor Verletzung, Schock oder Unfall zu schützen

(b)den normalen Geburtskanal für das Kind zu bilden. Bestimmte Modifikationen finden antizipativ zu diesem Ereignis statt, sobald sich die Zeit der Entbindung nähert.

Auf dem Sakrum ruht das Gewicht des Rumpfes, und genau oberhalb des Beckenbogens befindet sich das mechanische Zentrum der Schwerkraft. Entsprechend wird das Gewicht von den sakroiliakalen Gelenken in der aufrechten Position zu den tassenförmigen Hohlräumen und in der sitzenden Position zu den Extremitäten der Ossa ischii übertragen. Mithin liegt die Bildung eines doppelten Bogens vor, der tassenförmig-sakrale und der ischio-sakrale. Die Extremitäten des Bogens werden im Normalzustand nach außen durch die horizontalen pubischen Rami und die ischiopubischen Rami von der Bewegung ferngehalten. Ebenso wird ein plötzlicher Schock des Beckens und seiner Organe durch die Schräglage des Sakrum verhindert. Das Gewicht wird vom Sakrum durch die Medien der posterioren iliosakralen Bänder auf den tassenförmigen Hohlraum abgeleitet. Die sakrococcygealen Bänder verhindern die Bewegung des Steißbeins nach oben und posterior und die iliolumbalen Bänder vermeiden, dass die Sakrumbasis nach unten und anterior gleitet. Dies ist von großem mechanischen Vorteil bei der Unterstützung der Viszera im und oberhalb des Beckens. Die Tendenz des Uterus, nach unten und hinten im Beckenhohlraum zu gravitieren, wird überwunden. Mithin projiziert sich die Längsachse des Beckenrands und der Uterusachse auf die Mitte des Steißbeins, sodass der Beckenboden eine feste Unterstützung für die viszeralen Organe darstellt.

Dies hat folgende Bedeutung: Sofern die Achsen, welche die beiden Ebenen von Beckenrand und Beckenausgang repräsentieren, anterior vor die Symphyse projiziert werden, bis sie sich überschneidenden, und sofern vom Punkt der Überschneidung eine Anzahl von Radien zur kokzygealen Begrenzung gezogen werden, repräsentieren die intrapelvikalen Teile der Radien die Ebene desjenigen Teils des Hohlraums, durch welchen die Radien verlaufen. Sofern wir eine Linie durch das geometrische Zentrum jeder dieser Ebenen ziehen, erhalten wir eine gekrümmte Linie in Parabelform, welche das kleine Becken darstellt. Durch die Rotation des Steißbeins während der Entbindung verändern sich die Ebenen, um jene parabolische Krümmung zu erreichen, welche den Geburtskanal darstellt, und gleichzeitig alle Teile bis zur Entbindung in Position hält und die Geburt erleichtert. Die Richtung des Geburtskanals hängt während der Entbindung von der Modifikation der Weichteilgewebe ab. Sie stellen im Beckenboden die Fortsetzung des Beckenkanals dar. Die analen Grenzen und das Perineum werden gedehnt und die posteriore vaginale Kommissur wird nach unten und vorne gezwungen, sodass das Kind sich auf einer gekrümmten parabolischen Linie unter dem pubischen Bogen vor der Symphyse bewegt. Die gekrümmte Bewegung unterstützt zusätzlich die Geburt. All dies findet, wie Sie noch sehen werden, auf einer rein mechanischen Grundlage im Kontext mit der mechanischen Struktur des Beckens statt.

1.2 DIE MECHANIK DES KÖRPERS DES ZU GEBÄRENDEN KINDES

Der Körper des Kindes kann als ganz passiv – mit der Ausnahme insoweit sein Gewicht und die plastische Natur des Körpers und seine einschließenden Flüssigkeiten und Membranen in diesem Prozess unterstützen – betrachtet werden. Die Größe des Kopfes besitzt einen bedeutenden Einfluss auf die Geburt, weil er durch den Beckenkanal treten muss. Hat der Kopf diese Passage sicher vollbracht, wird bei der Geburt der anderen Körperteile nur wenig Schwierigkeit festgestellt. Der festeste und am vollkommensten entwickelte Teil des Kopfes ist die Schädelbasis, die unvollkommene Ossifikation des restlichen Schädels mit den Suturen und Fontanellen darüber ermöglicht eine Kompression.

Der okzipitofrontale Durchmesser zwischen frontaler Eminenz und Okziput, bezeichnet den bedeutendsten Diameter; liegt das Okziput bei der Passage vor dem frontalen Teil beträgt er um die 11 Zentimeter. Der longitudinale Diameter des Kopfes, der mit dem schrägen Diameter des Beckenrands und dem anteroposterioren des Beckenausgangs korrespondiert, beträgt 10–11 Zentimeter. Der transversale oder biparietale Diameter korrespondiert mit dem anteroposterioren des Beckenrandes und dem transversalen des Ausgangs und beträgt 7,5–10 Zentimeter. Der okzipitomentale korrespondiert mit dem anteroposterioren Diameter des Ausgangs und beträgt bei mentalen Geburten um die 14 Zentimeter. Der zervikobregmatische Diameter beträgt zwischen 10–11 Zentimeter und der trachelobregmatische zwischen 9–10 Zentimeter. Der interaurikuläre Diameter beträgt 7,5 Zentimeter und der frontomentale etwas mehr als 8,5 Zentimeter. Der okzipitoparietale Kreisumfang des Rings, der um die Ossa parietales bis hinter das Bregma verläuft, beträgt etwa 28–30 Zentimeter. Der transversale Diameter des Kindes an den Skapulae beträgt zwischen 12,5–14 Zentimeter und der transversale Diameter außen am Becken beträgt zwischen 10–12,5 Zentimeter. Diese Diameter stehen im rechten Winkel zum longitudinalen Diameter des Kopfes, sodass – sofern (wie gewöhnlich der Fall) der letztere mit dem anteroposterioren Ausgangsdiameter korrespondiert – die beiden ersteren mit dem längsten Beckenranddurchmesser korrespondieren. Normalerweise korrelieren die Diameter des Beckens mit jenen des kindlichen Kopfes beim Geburtsvorgang. Doch auch in anomalen Fällen besteht eine gewisse Fähigkeit zur Anpassung, welche dahin tendiert, die Geburt zu unterstützen.

Der Kopf des Kindes ist nicht absolut fest, sondern er ist komprimierbar. Gleiches gilt für den kindlichen Körper, sodass sogar dann, falls der anteroposteriore Diameter des Randes verringert ist, eine Passage mittels Kompression möglich ist. Zusätzlich wird die Passage des Körpers durch die Tatsache erleichtert, dass der Kopf des Kindes in und durch den sowie aus dem Beckenhohlraum longitudinal und transversal schräg passiert. Dies versetzt eine der Fontanellen und den anterioren Anteil des führenden Teils auf eine niedrigere Ebene als diejenige der entgegengesetzten Fontanelle und den korrespondierenden Teil der entgegengesetzten Seite und bewirkt eine Verringerung der Größe des kindlichen Kopfes und seines Körpers bei der Passage. Die longitudinale Achse des Körpers des Kindes korrespondiert im Allgemeinen mit der longitudinalen Achse des Uterus, obgleich in wenigen Fällen auch eine schräge Beziehung möglich ist.

Den früheren Autoren über Geburtshilfe zufolge passiert der Kopf das Becken mit dem langen Diameter anteroposterior und behält exakt die gleiche Position im kleinen Becken und am Beckenausgang. Es seien keine mechanischen Gesetze oder Prinzipien in diesem Prozess anwendbar. Spätere Autoren haben die Schräglage des Kopfes im Verhältnis zum Becken bewiesen, wobei der lange Diameter des Kopfes den Diameter des Beckens einnimmt. Und der lange Diameter des Kopfes rotiert am Beckenausgang Smelli zufolge in den anteroposterioren Durchmesser. Mithin besteht während der gesamten Passage durch den Beckenkanal eine bestimmte Beziehung zwischen dem mütterlichen Becken und dem Kopf des Kindes. Die moderne Lehre lautet, dass der ins Becken übertretende kindliche Kopf keine Position einnehme, die exakt mit dem transversalen oder anteroposterioren Durchmessers des Beckens übereinstimme, sondern schräg zwischen beiden liege. Am häufigsten nehme er die schräge rechte Position in Beziehung zur sakroiliakalen Synchrondose ein. In dieser Position ergibt sich eine leichte Rotation des Kopfes, doch niemals findet eine vollständige Rotation des Kopfes in die Aussparung des Sakrum hinein statt. Mit dieser Rotation als mechanische Unterstützung der Geburt bezeichnet der Kopf bei seiner Passage durch das Becken eine biparietale Neigung, wodurch sich eine Annäherung des entsprechenden Ohrs und der oberen Schulter aufgrund der Rotation des Kopfes auf seiner okzipitofrontalen Achse ergibt. Nägele ist der grundlegende Beweisführer und Verteidiger dieser mechanischen Lehre, indem er sie auf mechanischen Prinzipien basiert. Leishman weigert sich, die Lehre der biparietalen Neigung zu akzeptieren, indem er behauptet, aufgrund der Neigung des Beckenrands müsse der Kopf nahezu parallel zur Beckenrandachse in das Becken eintreten.

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