Max und Moritz - Was wirklich geschah

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Elftes Kapitel

Dieser Idiot von Dorfschullehrer! Klar, dass er nervös wurde, hing er doch tief in der dreckigen Sache mit drinnen. Diese Bande, diese Verbrecher! Ich aber werde es ihnen zeigen, darauf können Sie sich verlassen. Warum ich dem ollen Lämpel nicht in die Hand gebissen habe? Nun, noch muss ich den harmlosen und etwas dämlichen Spitz spielen. Zum Glück aber hab ich von jetzt ab zwei Verbündete, Mütze und seinen Freund. Nur ich scheine zu wissen, was die beiden Fremden in Finsterfelde suchen, ein unschätzbarer Vorteil. Die beiden hab ich nur der guten Dörte zu verdanken, meiner Schwippcousine. Sie hat meine Botschaft verstanden. Ich könnte ihr das Gesicht abschlecken vor Dankbarkeit!

Zwölftes Kapitel

»In Edinburgh gab es mal einen Hund, Bobby hat er geheißen, glaube ich. Der hat 14 Jahre lang das Grab seines verstorbenen Herrchens bewacht. Als er dann selbst starb, hat man ihn heimlich auf dem Friedhof bestattet, direkt neben dem Grab, an dem er immer gesessen hatte. Ist das nicht eine schöne Geschichte?«, seufzte Karl-Dieter. »Welche Liebe, welche Treue!«

»Schöne Geschichte? Nichts weiter als ein tierischer Reflex. Kein Zeichen von Liebe, kein Zeichen von Treue, sondern lediglich ein Zeichen von Dummheit.«

»Aber Mütze, wie kannst du so reden! Nicht vom Grab eines geliebten Menschen zu weichen, ist das nicht ein wunderbarer Beweis ewiger Verbundenheit?«

»Ewige Verbundenheit? Blödsinn! Was würdest du dazu sagen, wenn ich nach dem Tod 14 Jahre nichts Besseres zu tun hätte, als an deinem Grab zu hocken?«

Im selben Moment merkte Mütze, dass er einen Fehler gemacht hatte. Karl-Dieters Gesicht verschattete sich, schmerzhaft verzog sich sein Mund.

»Mensch, Knuffi! Jetzt sei doch nicht gleich wieder beleidigt, ich meine, das würde ich doch auch von dir nicht verlangen, stell dir mal vor, du würdest 14 Jahre bei Wind und Wetter an meinem Grab sitzen.«

»Schon. Du hättest es aber etwas freundlicher ausdrücken können.«

»Na schön«, seufzte Mütze, »entschuldige! Ich wollte nur sagen, die Aktion von dem Spitz bringt uns keinen Millimeter weiter. Auf dem Grab herumzuscharren! Nichts als die verständliche Trauerreaktion einer alleingelassenen Kreatur.«

Die beiden Freunde saßen auf einer Bank im Schatten der kleinen Friedhofskapelle. Die Sonne stand schon hoch am Firmament. Mütze spürte, wie er Durst bekam. Gerade wollte er aufstehen, um sich an dem Wasserhahn zu bedienen, mit dem die Gießkannen befüllt wurden, da sah er jemanden am Friedhof entlangeilen. Es war die Witwe, sie lief zur Pension zurück. Der Spitz lief mit eingekniffenem Schwanz neben ihr her und sah sehr unglücklich aus. Wahrscheinlich hatte er wieder was hinter die Löffel bekommen. Mütze sah den beiden nach und pfiff leise durch die Zähne.

»Was ist?«, fragte Karl-Dieter.

»Das ist in der Tat nicht ganz unverdächtig«, sagte Mütze, ohne die Witwe aus den Augen zu lassen.

»Was denn?«

»Schau doch mal, was sie in der Hand hält.«

»Was hält sie denn in der Hand? Ich sehe nichts.«

»Ganz genau. Sie hält nichts in der Hand.«

»Was ist daran verdächtig, wenn jemand nichts in der Hand hält?«

»Was hat sie denn in der Hand gehalten, als sie zum Schneider ging?«

»Ebenfalls nichts.«

»So ist es. Wenn du zum Schneider gehst, ohne ihm etwas zu bringen, was willst du dann wohl bei ihm?«

»Ah so!« Karl-Dieter begriff. Um sich zu rechtfertigen, aber sagte er: »Vielleicht hat sie ja nur den Abholschein vergessen.«

Dreizehntes Kapitel

Glauben Sie an Seelenwanderung? Also ich nicht. Jedenfalls nicht bis zu dem Moment, als mir die Sache am eigenen Leibe passiert ist. Es ist ein komisches Gefühl, plötzlich in einem anderen Körper zu stecken. Auch als Spitz ist das Leben nicht sehr kommod, das können Sie mir glauben, aber plötzlich eine Krähe zu sein, das ist noch eine Schippe verrückter. Man ist ja auf so was nicht vorbereitet, nicht in unserem Kulturkreis. Seelenwanderung, das ist doch was für Hindus oder Buddhisten, nichts aber für einen Christenmenschen! Ein Hindu oder Buddhist lernt schon im Tempel oder in der Schule, was ihn nach dem Tod erwartet. So kennt er sich aus und ist durch nichts zu überraschen. Er schüttelt sich einmal kurz, beschaut sich im Spiegel und findet sich sogleich in seinem neuen Leben zurecht. Aber versetzen Sie sich mal in meine Lage, als mir die Sache passiert ist! Als christlich sozialisierter Mensch hatte ich doch keine Ahnung, was das Leben, besser der Tod für Überraschungen für uns auf Lager hat. Gut, wenn ich vor einer Himmelstür gestanden hätte mit einem bärtigen Mann als Türsteher, das wäre was anderes, dann hätte ich gewusst, das ist Petrus und dahinter liegt das Paradies. Und nun das! Aber selbst, wenn ich buddhistisch angehaucht wäre, hätte ich doch niemals damit gerechnet, zu einem Tier zu mutieren. Ich versteh nicht viel von Buddhismus, aber lehren die Buddhisten nicht, dass man sich von Leben zu Leben veredelt? Das man stets aufsteigt auf der Wiedergeburtstreppe? Vom Tellerwäscher zum Millionär sozusagen? Pustekuchen! Es geht auch abwärts und zwar ziemlich tief.

Ich muss ziemlich dämlich ausgesehen haben, als ich plötzlich als Krähe auf dem Dach der Kirche gesessen habe. Vor Schreck hätte ich beinah den Halt verloren. Lachen Sie nicht! Ich möchte Sie mal sehen, wenn Sie sich plötzlich als gefiedertes Wesen auf einem hohen Dachfirst wiederfinden. So saß ich also dort, umgeben von anderen Krähen, krallte mich ängstlich an den Draht des Blitzableiters und starrte über das nächtliche Finsterfelde.

Natürlich hätte ich die anderen Krähen fragen können, was mir passiert ist, ich hab’s auch versucht, bis auf ein dümmliches Krächzen aber habe ich keinen Ton hervorgebracht. Ich hab’s gleich begriffen, unter den anderen war kein einziger Mensch, also kein Ex-Mensch, Sie wissen schon, was ich meine. Vielleicht waren ein paar ehemalige Finken oder Meisen darunter, sicher aber viele Spatzen, so groß schien mir ihr Verstand zu sein. Von meinen lieben Mitkrähen jedenfalls konnte ich keine Hilfe erwarten, das war mir sonnenklar.

Mühsam versuchte ich, meine Gedanken zu sortieren. Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, ist der Moment gewesen, wie mir jemand etwas über den Schädel gezogen hat. Es ist unten am Bach gewesen, an der Dosse, beim Haus der Schneiders. Warum ich dorthin bin? Ganz einfach, ich hatte Verdacht geschöpft, einen ziemlich unangenehmen Verdacht. Bolte, hab ich zu mir gesagt, sei wachsam! Und so hab ich das Bier, das mir meine Frau zum Fernsehen hingestellt hat, nicht angerührt, deshalb bin ich wach geblieben und konnte meiner ach so treusorgenden Gattin hinterherschleichen. Hätte ich das mal lieber sein lassen. Dann wäre ich jetzt noch lebendig, also als Homo sapiens, Sie verstehen. Und hätte nicht den Schock meines Lebens erlitten. Durch die Scheibe beobachten zu müssen, was im Haus des Schneiders abging … Junge, Junge, ich sag Ihnen, das ist vielleicht ein Albtraum gewesen.

Vierzehntes Kapitel

Nachdem sie den ärgsten Durst mit dem Wasser aus dem Wasserhahn gestillt hatten, spürte Karl-Dieter, wie sein Magen knurrte. Hoffentlich hatte das Wirtshaus auch mittags geöffnet. Wo sonst würden sie in diesem Kaff etwas zu essen bekommen? Auch Mütze war für eine warme Mahlzeit, so beschlossen sie, nicht zur Pension zurückzugehen, sondern Richtung Dorf. Als sie den Friedhof verließen, fiel ihr Blick auf die Ankündigungstafel der Gemeinde.

»Mensch, Mütze, kneif mich mal!«

»Ein neuer Zettel!«

»Mit unserer Wirtin drauf!«

»Ich werd nich mehr!«

Mancher gibt sich viele Müh

Mit dem lieben Federvieh:

Einerseits der Eier wegen,

Welche diese Vögel legen,

Zweitens, weil man dann und wann

Einen Braten essen kann;

Drittens aber nimmt man auch

Ihre Federn zum Gebrauch

In die Kissen und die Pfühle.

Denn man liegt nicht gerne kühle.

Seht, da ist die Witwe Bolte,

Die das auch nicht gerne wollte.

Ihrer Hühner waren drei

Und ein stolzer Hahn dabei.

Max und Moritz dachten nun:

Was ist hier jetzt wohl zu tun?

Ganz geschwinde, eins, zwei, drei,

Schneiden sie sich Brot entzwei,

In vier Teile, jedes Stück

Wie ein kleiner Finger dick.

Diese binden sie an Fäden,

Über’s Kreuz, ein Stück an jeden,

Und verlegen sie genau

In den Hof der guten Frau.

Kaum hat dies der Hahn gesehen,

fängt er auch schon an zu krähen:

Kikeriki, kikikerikih!!

Tak, tak, tak, da kommen sie!

Hahn und Hühner schlucken munter

Jedes ein Stück Brot hinunter;

Aber als sie sich besinnen,

Konnte keines recht von hinnen.

In die Kreuz und in die Quer

Reißen sie sich hin und her,

Flattern auf und in die Höh,

Ach herrje, herrjemine!

Ach, sie bleiben an dem langen,

Dürren Ast des Baumes hangen.

Und ihr Hals wird lang und länger,

Ihr Gesang wird bang und bänger,

Jedes legt noch rasch ein Ei,

Und dann kommt der Tod herbei.

Witwe Bolte in der Kammer

Hört im Bette diesen Jammer;

Ahnungsvoll tritt sie heraus:

Ach, was war das für ein Graus!

»Fließet aus dem Aug, ihr Tränen!

All mein Hoffen, all mein Sehnen,

Meines Lebens schönster Traum

Hängt an diesem Apfelbaum!«

Tiefbetrübt und sorgenschwer

Kriegt sie jetzt das Messer her,

 

Nimmt die Toten von den Strängen,

Dass sie so nicht länger hängen,

Und mit stummem Trauerblick

Kehrt sie in das Haus zurück.

Dieses war der erste Streich,

Doch der zweite folgt sogleich.

Fünfzehntes Kapitel

Zurück zur Pension! Hunger hin, Hunger her, jetzt musste ermittelt werden. Während sich Karl-Dieter über den illustrierten Schurkenstreich empörte und von einer Unverschämtheit sprach, wobei er natürlich nicht Max und Moritz meinte, sondern den Verfasser der Geschichte, der so gar keinen Respekt vor zwei vermissten Waisenkindern hatte, besserte sich Mützes Laune schlagartig. Schnell schoss der Kommissar ein Handyfoto von der neuen Zeichnung, dann liefen sie los. Endlich hatte er einen Ansatzpunkt, endlich konnte er eine Spur verfolgen.

»Was willst du denn in der Pension?«, fragte Karl-Dieter.

»Wirst schon sehen«, sagte Mütze.

Als sie die Pension erreichten und die Tür öffneten, sahen sie gerade noch, wie die Wirtin am Ende des Flurs eilig in ihre Privatgemächer verschwand.

»Geh ihr nach und lenk sie ab«, flüsterte Mütze.

»Wieso das?«

»Erklär ich dir später.«

Unsicher ging Karl-Dieter auf die hintere Tür zu, ein großes gelbes Schild warnte: »Privat! Zutritt für Gäste untersagt.« Zögernd klopfte er. Als sich niemand rührte, sah er fragend zu Mütze zurück, der ihn mit energischem Gesichtsausdruck deutlich machte, trotzdem einzutreten. Vorsichtig drückte Karl-Dieter die Klinke hinunter. Wenn er etwas hasste, dann die Privatsphäre anderer Menschen zu verletzen. Konnte Mütze nicht auf andere Weise seinen Recherchen nachgehen?

Als Mütze die krächzende Stimme der Witwe hörte und gleich darauf das Gestammel von Karl-Dieter, grinste er in sich hinein. Seine Chance war gekommen. Wenn es jemand verstand, ältere Damen in ein angeregtes Gespräch zu verwickeln, dann Karl-Dieter. In Erlangen wurde er von einem Seniorenkreis zum nächsten gereicht, um Anekdoten aus dem Theaterleben zu erzählen. Die Alten waren von dem Bühnenbildner ganz entzückt, nach dem Vortrag saßen sie dann oft noch lange zusammen an der Kaffeetafel und tauschten Kuchenrezepte aus.

Rasch verließ Mütze das Haus und ging um die Mülltonnen herum in den Garten. Unter dem Apfelbaum blieb er stehen und betrachtete den verdorrten Ast, an dem die Fäden im Wind wehten. Dann kniete er sich nieder und untersuchte mit wachen Augen den Rasen unterhalb des Baumes. Keine drei Minuten später war er zurück in der Pension. Karl-Dieter und die Wirtin standen zusammen an der Rezeption. Wie es Mütze vermutet hatte, hatte sich die Witwe tatsächlich in ein Gespräch verwickeln lassen. Als sie Mütze sah, aber verstummte sie abrupt, verabschiedete sich knapp und wollte wieder in ihren Gemächern verschwinden, da entfuhr ihr ein markerschütternder Schrei und sie griff sich hektisch in den Ausschnitt ihrer Bluse.

Sechzehntes Kapitel

»Allen Ernstes?«, lachte Mütze.

»Allen Ernstes! Schon wieder zwei Maikäfer, vielleicht sind es dieselben gewesen. Die Viecher scheinen sich in unsere Witwe verliebt zu haben und haben sich in den Ausschnitt ihres Kleides gestürzt.«

»Ich werd nich mehr! Und dann?«

»Hast’s doch selbst gesehen! Sie hat die Panik bekommen und solange am Kleid geschüttelt, bis die Käfer unten rausgepurzelt sind. Ich konnte sie gerade noch aufsammeln, sonst hätte sie sie zertreten. Hier sind sie!«

Karl-Dieter öffnete die Hand. Die Krabbelkäfer kamen zum Vorschein, breiteten ihre Flügel aus und flogen davon.

»Aber jetzt du, was hast du herausgefunden?«

Sie hatten sich auf den Weg zum Dorf begeben, um im Wirtshaus einzukehren. In der Ferne waren Wolken aufgezogen, aus denen es zu zucken begann. Zugleich grollte und grummelte es leise. Ein Gewitter, kein Zweifel. Kam es näher? Zog es vorüber?

»Der Apfelbaum ist nicht koscher«, sagte Mütze, der kein Auge für das Wetter hatte.

»Erzähl schon!« Karl-Dieter war begierig, Näheres zu erfahren.

»Alles könnte zu der Geschichte passen, weißt schon, zu dem Streich der beiden Bengel.«

»Von Max und Moritz?«

»Genau, die Fäden an dem Ast, die Eierschalen unter dem Baum.«

»Was aber ist daran nicht koscher?«

»Es passt alles ein bisschen zu genau.«

»Wie meinst du das?«

»Das werden wir noch herausfinden.«

Sie kamen wieder am Friedhof vorbei und blieben kurz vor dem Aushang stehen. Karl-Dieter verspürte große Lust, den frechen Zettel abzureißen. Wer steckte nur dahinter? Wer erlaubte sich, über zwei verschwundene Waisenkinder Witze zu reißen? Selbst wenn die beiden sich einen Streich erlaubt hatten, das war nun wirklich der unpassendste Moment, sich über sie lustig zu machen.

»Ob Witwe Bolte den Zettel schon gesehen hat?«

»Darauf kannst du Gift nehmen!«

Vor einem der ersten Häuser, einem windschiefen Fachwerkbau mit kleinem Bauerngarten, kehrte eine alte Frau den Gehsteig mit einem Reisigbesen. Als Mütze und Karl-Dieter vorbeigingen, knurrte sie etwas in ihre Richtung. Die Freunde hielten an, sie hatten die Alte nicht richtig verstanden.

»Ich sagte, ihr macht besser die Biege«, hörten sie die Alte nun zischen.

»Und warum, bitte schön?«, fragte Mütze.

»Finsterfelde ist nichts für Fremde«, murmelte die Alte und wandte sich wieder der Säuberung des Gehsteigs zu und dies mit einer Energie, dass es nur so staubte.

Siebzehntes Kapitel

»Hühnerfrikassee«, antwortete der Wirt.

Karl-Dieter rollte die Augen. Er hätte sich etwas Abwechslung auf der Speisekarte gewünscht, Mützes Augen hingegen blitzten. Sie waren die einzigen Gäste bis auf den Mann mit dem Hut und dem Rauschebart, der wohl kein anderes Zuhause besaß und an der Theke stand. Die beiden Freunde hatten an dem Tisch Platz genommen, an dem sie schon gestern Abend gesessen hatten. Der gemütliche Wirt, den alle nur »Wolke« zu nennen schienen, rieb sich die Hände an der Schürze sauber.

»Wieder vom Bio-Hof?«, fragte Mütze.

»Hof ist übertrieben.« Den Mund des Wirts umspielte ein geheimnisvolles Lächeln.

»Wohl aus Privatproduktion?«

»Wärmer.«

»Aus dem Bestand einer am Ort ansässigen Dame?«

»Noch wärmer.«

»Einer Dame, bei der man auch nächtigen kann?«

»Heiß!«

»Von Witwe Bolte!«

»Ich hab nichts gesagt.«

Mütze tat, als sei er überrascht. Manchmal war es hilfreich, sich dumm zu stellen. Er machte ein leicht betrübtes Gesicht.

»Wie man sich freiwillig von seinen geliebten Tieren trennen kann …«

»Nun, ja, so ganz freiwillig ist das wohl nicht gewesen«, sagte der Wirt und senkte die Stimme, obwohl sie doch niemand hören konnte. Oder ob der Mann dahinten am Tresen, der mit Hut und Rauschebart, heimlich lauschte?

»Wie ist das zu verstehen?«, fragte Mütze.

»Haben Sie den Zettel an unserer Gemeindetafel nicht gesehen?«

»Zettel? Welchen Zettel?«

Nun ging der Wirt in die Knie und sprach noch leiser. »Max und Moritz haben die Viecher auf dem Gewissen!«

»Max und Moritz?«

Karl-Dieter war es fast unheimlich, wie gut sich Mütze verstellen konnte.

»Die beiden verzogenen Knaben von Erwin Bolte, dem verstorbenen Mann Ihrer Wirtin. Bevor sie sich aus dem Staub gemacht haben, haben sie Brot an Bindfäden gebunden, daran sind die Hühner verreckt.«

»Wann war das?«

»Wann das war? Seitdem es Hühnerfrikassee gibt«, grinste der Wirt.

»Und seit wann gibt es Hühnerfrikassee?«

Da verzog sich das Gesicht des Wirtes, das Grinsen verschwand, und eine misstrauische Falte quoll zwischen seinen Augen auf. Mit einer raschen Bewegung erhob er sich und fing wieder an, sich die Hände an seiner verdreckten Schürze zu reiben.

»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht«, sagte er und verschwand in der Küche.

Achtzehntes Kapitel

»Verrat mir doch, was du vermutest!«

Die Freunde waren auf dem Weg zurück zur Pension, Karl-Dieter platzte vor Neugier.

»Alles noch nicht spruchreif«, knurrte Mütze, »wenn ich recht habe, stimmt da was nicht.«

»Was stimmt denn nicht?«

Mütze sah sich um. Sie hatten das Dorf verlassen, niemand war zu sehen. Nur weit draußen, auf den Feldern weit hinter dem Friedhof, tockerte ein alter Traktor entlang und zog eine staubige Fahne hinter sich her. War denn schon die Erntezeit gekommen?

»Also gut«, lenkte Mütze ein.

Eigentlich hatte er sich geschworen, Karl-Dieter bei seinen Ermittlungen nur in das Nötigste einzuweihen, aber dieser Fall war in mancherlei Hinsicht besonders. Vorsichtig zog er eine Klarsichttüte aus seiner Schimanskijacke, in der Tüte glänzte es weiß.

»Was ist das?«, fragte Karl-Dieter, obwohl es sich eindeutig um den Rest einer Eierschale handelte.

»Hab ich unter Witwe Boltes Apfelbaum gefunden.«

»Jedes legt noch rasch ein Ei und dann kommt der Tod herbei …« Karl-Dieter betrachtete die Schale nun mit sichtbarem Entsetzen. »Dann stimmt es also, was der zeichnende Dichter auf das Blatt geschmiert hat.«

»Wie man’s nimmt.«

»Was meinst du damit?«

»Schau genauer hin.«

Mütze hob die Tüte höher.

»Mensch, das gibt es doch nicht!«, rief Karl-Dieter aus.

»Eben!«, sagte Mütze, und in seiner Stimme lag ein leiser Triumph.

Als sie die Pension erreichten, kam schwanzwedelnd der Spitz um die Ecke gelaufen. Hinter ihm hergeschossen aber kam die Witwe, packte ihn bei der Leine und zog das widerstrebende Tier hinter sich her in den Garten, um ihn an dem Apfelbaum festzubinden.

Neunzehntes Kapitel

Dieses Miststück! Keine Minute lässt sie einen aus den Augen. Manchmal wünschte ich, ich wäre wieder eine Krähe. Als Vogel hat man andere Möglichkeiten, andere Freiheiten. Allein der Flug nach Dortmund-Dorstfeld zu Tante Dörte, was für ein Abenteuer ist das gewesen. Von der Mark Brandenburg quer über Deutschland bis in den Pott, wo die Sonne verstaubt, wie Herbert Grönemeyer so schön gesungen hat. Stolz wie Oskar bin ich auf mich gewesen, in nicht einmal sechs Stunden hatte ich den Langstreckenflug hinter mich gebracht und war in ihrem Garten gelandet. Wie hätte ich das als Hund schaffen sollen? Aber auch bei dem, was nun zu erledigen war, kam mir meine neue Identität sehr zugute, denn jetzt kam es auf die Feinmotorik an. Die Feinmotorik einer Krähe ist eindeutig besser als die eines Hundes. Dennoch, mit Schnabel und Krallen die wichtige Botschaft in den Sand zu scharren, ist kein Kinderspiel gewesen. Aber Tante Dörte hat’s erkannt! Ich wusste es, die Stelle war gut gewählt. Den Sandweg zu den Beeten harkt sie stets mit Sorgfalt, er war wie eine blank geputzte Tafel. Sie hat meine Botschaft entdeckt und hat mir Karl-Dieter und seinen Freund Mütze geschickt. Mit Hilfe der beiden Freunde werde ich die Saubande ins Kittchen bringen. Nicht eher will ich ruhen.

So eine Seelenwanderung hat durchaus auch ihre gute Seite. Wenngleich der Grund, warum ich meinen menschlichen Körper verlassen musste, natürlich ein abscheulicher gewesen ist. Selbst als Krähe hat es mich noch geschüttelt, wenn ich an die Szene in dem Schneiderhaus dachte, an das wüste, schwitzende Durcheinander, das Gewühl der nackten Leiber, brrr … Niemals hätte ich gedacht, so gemein betrogen zu werden. Mein Verdacht, wie bitter hat er sich bewahrheitet. Nur auf mein Geld hat es Klothilde abgesehen, ich selbst bin ihr völlig egal gewesen. Die schönen Augen, die sie mir gemacht hat, all ihre Sprüche vom Traummann, von meinen ausdrucksstarken Händen, Lügen, nichts als Lügen. Von Anfang an hat sie mich betrogen. Um ihren dunklen Trieben nachzugeben, hat sie mir regelmäßig was ins Bier gekippt, damit ich schlafe wie ein Stein. Doch ich bin dahintergekommen – oja! –, an jenem Abend, der mein letzter als Zweibeiner sein sollte. Hab nur so getan, als würde ich das Bier trinken, hab es heimlich weggeschüttet, hab mich schlafend gestellt, habe vor mich hingeschnarcht, um Klothilde in Sicherheit zu wiegen. Selbst, als sie mir noch gemein ins Ohr gekniffen hat, um die Tiefe der Narkose zu überprüfen, habe ich nur einen schwachen Schnaufer von mir gegeben. So ist sie fröhlich davon und ich in hübschem Anstand heimlich hinterher, bis wir beim Haus des Schneiders ankamen. Oh, diese furchtbare Orgie, nie wieder werde ich die Szenen aus meinem Hirn bekommen! Irgendetwas muss mich verraten haben, vielleicht bin ich doch zu nah an die Scheibe geraten. Normalerweise sieht man nicht, was draußen passiert, wenn es stockdunkel ist, denn dann wird eine Scheibe zum Spiegel. Plötzlich aber merkte ich, wie sie mich anstarrt, wie hypnotisiert blickte sie in meine Richtung und bekam die Panik. Ihr ganzer schöner Plan, mit einem Schlag war er dahin. Zumindest, solange das Testament fehlte. Und so beschloss das Biest, mich kurzerhand abzumurksen. Ich könnte ihr die Nase abbeißen!

 
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