Didaktik /Methodik Sozialer Arbeit

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Die wichtigste Forderung an PädagogInnen/SozialarbeiterInnen lautet daher: Persönlichkeit, Vorbild sein!

Bauer fordert deshalb: sehen und gesehen werden.

„Um gesehen zu werden und als Vorbild Ausstrahlung zu bewirken, müssen sich Lehrkräfte sehen lassen, d.h. sie müssen auftreten. Dies bedeutet nicht sich nach Art eines Gockels oder Fasanen der Lächerlichkeit preiszugeben. Es beinhaltet jedoch die Notwendigkeit, mit den vielfältigen Mitteln der Körpersprache (Art des Stehens und Gehens, Stimme, Blickhalten, Mimik und – last not least – professionelle Kleidung) deutlich zu machen, dass man voll präsent und gewillt ist, zu sich zu stehen, für die eigenen Vorstellungen einzutreten und diesen Gehör zu verschaffen. […] Schüler sehen bereits am Auftreten des Lehrers bzw. der Lehrerin, ob eine Lehrkraft Selbstvertrauen oder Angst hat.“ (Bauer 2009, 113)

Von guten PädagogInnen wird des Weiteren erwartet, dass sie mit Zuversicht, Einsatzbereitschaft, Kreativität, Umsicht und Geduld agieren. PädagogInnen/SozialarbeiterInnen müssen Kindern und Jugendlichen Mut machen, ihnen zeigen, vormachen und vorleben, wie man sich selbst besser unterstützen und die Bemühungen anderer würdigen kann.

3.2.3 Überlegungen zur Neurodidaktik

1.Einschränkungen: Zwei Überlegungen müssen vorausgeschickt werden. Didaktik ist erstens eine Teildisziplin der Pädagogik. Ähnliches gilt auch für die Neurodidaktik, die eine Teildisziplin der Neuropädagogik ist. Zweitens betont die Hirnforschung, dass sie auf die Frage, wie Lerngelegenheiten gestaltet werden sollten, keine Antwort gibt. Hirnforschung kann solche Kenntnisse nicht bereitstellen, weil sie prinzipiell zu unbestimmt ist.

Neurowissenschaft und Pädagogik

„Neurowissenschaften können prinzipiell nicht beanspruchen, über das Ob und Warum, das Was und Wann schulischen Lernens Aussagen machen.“ (Hermann 2009, 165)

„Gleichwohl sollte die Forschung nicht Gefahr laufen, neurodidaktische Grundlagenforschung zu betreiben und Wege der Anwendung zu suchen, weil sie in die Falle der Alltagsuntauglichkeit laufen würde wie z.B. die Lehr-Lern-Forschung vor ihr.“ (Herrmann 2009, 169)

Was also kann die Neurowissenschaft den PädagogInnen anbieten?

Sie kann eine neue Sicht auf Voraussetzungen, Strukturen und Prozesse von Gedächtnis und Lernen anbieten. Außerdem kann sie Begünstigungen und Widrigkeiten von Lernen aus neurowissenschaftlicher Sicht begründen und modifizieren.

2.Aspekte einer Neurodidaktik: Herrmann versucht, trotz der genannten Vorbehalte Schnittstellen aufzuzeigen, was Neurowissenschaften und Pädagogik voneinander lernen können.


Roth meint, die Neurodidaktik bringt nichts Neues hervor, was ein guter Lehrer nicht bereits wusste. Versuchen Sie sich als gute/r LehrerIn/SozialarbeiterIn und nennen Sie Aspekte, die für ein effektives Lernen Ihrer Meinung nach wichtig sind.

Nach Erkenntnissen der Hirnforschung sind für eine Neurodidaktik folgende Aspekte grundlegend:

Neugier

■Neugierverhalten: Neugier – als die Suche nach bedeutungsvollen Erfahrungen und deren Erklärungen – ist angeboren. Das Gehirn versucht ständig, Neues mit Bekanntem zu verbinden. Didaktische Folgerungen: Statt dass Lehrende den Lernern etwas vermitteln, sollte das Prinzip der freien Erarbeitung gelten. Lerner organisieren selbst das Lernen. Das Lehrer-Instruktions-Modell wird durch das Schüler-Selbstlern-Modell ersetzt (Herrmann 2009).

Spiel

■entspannte Atmosphäre und Spiel: Neugier entfaltet sich nur, wenn das ungefährlich ist. Das Spiel bietet da die effektivste Form des Lernens, denn es bewirkt Selbstvergessenheit, Entspannung. Didaktische Folgerungen: Im Spiel ist der Mensch ganz bei sich. Solcher Phasen bedarf der Mensch für seinen seelischen Haushalt, Energie neu zu tanken. Dies kann jedoch nur in einer entspannten Atmosphäre erfolgreich geschehen (Herrmann 2009).

■Entspannung für Gedächtniskonsolidierung:

Entspannung

„Entspannung während des Lernens ist eine wichtige Maßnahme, dem Gehirn die notwendige Zeit für die Konsolidierung (Speicherung) von Informationen und Bedeutungszusammenhängen zu geben.“ (Herrmann 2009, 151)

Didaktische Folgerung: Es ist ein zentrales Gesetz der Biologie: Spannung und Entspannung. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung ist für das Lernen eine wichtige Forderung.

■Vertrauen:

Stärkung des Selbstbewusstseins

„Sich einlassen auf Neugier setzt Vertrauen voraus: Nicht nur keine Furcht vor Misserfolg, keine Furcht vor Fehlern, keine Furcht vor Entmutigung durch negative Konsequenzen, sondern – ganz im Gegenteil! – die Stärkung der Erwartung auf Erfolg, die Bekräftigung von Suchbewegungen mit experimentell offenem Ausgang und die Hoffnung auf Belohnung: Stärkung des Selbstbewusstseins und der Selbstwirksamkeitsüberzeugung.“ (Herrmann 2009, 152)

Didaktische Folgerung: Einer der wichtigsten Aufgaben von LehrerInnen ist, dass Lerner Selbstwirksamkeitserfahrungen machen und die entsprechende Überzeugung wachsen und sich festigen lassen.

■Belohnung und Spaß:

„Das Gehirn funktioniert umso besser, je attraktiver die Lernsituation empfunden wird und die Attraktivität bemisst sich […] an der Abschätzung des zu erwartenden Erfolgs.“ (Herrmann 2009, 152)

Spaßpädagogik

Didaktische Folgerungen: Es geht um Spaß haben beim Lernen. In diesem Zusammenhang spricht die Neurodidaktik von einer Spaßpädagogik. Im Kern dieser modernen erfolgreichen Spaßpädagogik geht es darum, dass sie Lust auf fortgesetztes Lernen macht.

„Bei dieser Pädagogik steht der Lernende im Mittelpunkt, seine Wertschätzung und seine positive Selbstwahrnehmung. Was er tut und lernt, hat mit ihm zu tun. Das Gehirn sagt: Endlich werde ich richtig beschäftigt, weil mein Lernen nicht durch sinnlose oder sinnwidrige Informationsüberflutung behindert wird – denn andernfalls muss ich abschalten bzw. meine automatischen Filter schützen mich vor diesem ganzen Unsinn.“ (Herrmann 2009, 153)

■Musterwahrnehmung und -erzeugung:

„Lernen als Prozess der Wahrnehmung und des Erinnerns von Gesamtheiten und Teilen und deren Ergänzung zu […] Gesamtheiten geschieht durch Vergleichen von Eigenschaften des Wahrgenommenen, Identifizierung und Extrahierung von Ähnlichkeiten und Unterschieden und Kategorisierung.“ (Herrmann 2009, 154)

Wiederholungen und Übungen

Didaktische Folgerung: Nachhaltige Prozesse der Vermittlung und Aneignung geschehen am besten auf der Grundlage der Präsentation, Erarbeitung, Aneignung und Übertragung von Mustern. Aus diesem Grund empfiehlt sich für effektives Lernen: kürzere, aber häufigere Übungszeiten und -formen, sowie Wiederholungen und Übungen einzuplanen.

■Vorwissen:

„Lernprozesse verlaufen in der Regel von selber erfolgreich, wenn an Bekanntes angeknüpft werden kann, andernfalls wird kaum etwas oder gar nichts oder etwas völlig anderes gelernt.“ (Herrmann 2009, 157)

Übungen und Training

Didaktische Folgerung: Um dieses Vorwissen stets präsent zu halten, sind Übungen und Training erforderlich.

■Emotionen und Kognitionen:

Denken und Emotionen

„Emotionen spielen bei dieser Musterbildung eine entscheidende Rolle. Denken und Emotionen sind untrennbar miteinander verknüpft.“ (Herrmann 2009, 158)

Verstandes- und Gefühlserziehung

Didaktische Folgerung: Die Schulpädagogik ist vor allem eine Verstandespädagogik. In den pädagogischen Angeboten bzw. Lernangeboten wird besonders der Verstand angesprochen. Dahinter steht das Menschenbild, dass der Mensch vor allen anderen Lebewesen sich durch den Verstand unterscheidet. Deshalb stellt Kant die Maxime auf: Bediene dich deines Verstandes! Das Gefühl ist eher hinderlich für das Lernen, deshalb wurde es weitestgehend aus den Lehrplänen ausgeklammert. Die Hirnforschung wie die Emotionsforschung zeigen demgegenüber auf, dass Emotionen und Kognitionen zwei gleichwertige Systeme sind. Einige Forscher gehen sogar davon aus, dass das limbische System, zuständig für Emotionen, sogar das beherrschende System ist. In Bezug auf das Lernen kann man die Forderung aufstellen: Verstandes- und Gefühlserziehung bzw. -förderung ist notwendig.

■Bedeutungszuschreibung und Gedächtnis:

Gedächtnis

„Das limbische System bildet das zentrale Bewertungssystem unseres Gedächtnisses. Dieses System entscheidet insofern grundlegend über den Lernerfolg, als es bei jeder Lernsituation fragt: Was spricht dafür, dass Hinhören, Lernen, Üben usw. tatsächlich lohnen? Kommt das System zu einem positiven Ergebnis, wird mithilfe der Neuromodulatoren neues Wissen erzeugt und mit oder zu neuen Bedeutungszusammenhängen verknüpft.“ (Herrmann 2009, 160)

 

Erzählen des Verstandenen

Didaktische Folgerung: Die Neugier des Gehirns wird unterstützt, wenn die Lerngegenstände einen Sitz im Leben haben. Werden diese durch Erzählen des Verstandenen einem anderen gegenüber wiedergegeben, ist das die wirksamste Gedächtnishilfe.

Erfolgserlebnisse

■Erfolgserlebnisse und Motivation: Förderlich für effektives Lernen ist, wenn der Lerner eine leichte Leistungsspannung fühlt, Erfolgserlebnisse ermöglicht werden, wobei die erreichten Erfolge möglichst ein wenig über den erwarteten liegen sollten.

„Bekommt das Gehirn diese Botschaft nicht, unterbleibt die Produktion dieser neuromodulatorischen Substanzen, d.h. das Gehirn stellt seine Lerntätigkeit ein. Auch dies ist einerseits wieder ein Hinweis auf die große Störanfälligkeit von Lernprozessen im Gehirn. Dieselbe Situation entsteht im Gehirn bei Versagensangst oder zu großem Stress.“ (Herrmann 2009, 161)

Didaktische Folgerung: Gelernt wird, wenn eine Herausforderung gegeben ist, die so sein muss, dass sie bewältigt werden kann.

Motivation

„Das Signal ans und im Gehirn muss lauten: das Resultat der Bearbeitung dieser Herausforderung, die Bewältigung der gestellten Aufgabe, die Lösung des Problems gelang besser als gedacht. […] Gelernt wird nicht einfach alles, was auf uns einstürmt, sondern das, was positive Konsequenzen hat. […] Lernerfolg stabilisiert die Neugier, das Interesse daran, immer wieder Neues zu lernen: diesen Vorgang können wir auch Motivation nennen. […] Motivation ist Lust auf Lust.“ (Herrmann 2009, 161f.)

Diese Überlegungen können in die Regel zusammengefasst werden: Unterforderung wie Überforderung motivieren nicht. Die Lernschritte sollten so dosiert angeboten werden, dass es reizvoll ist, sich damit auseinander zu setzen. In dem Reiz sollte einerseits Bekanntes und andererseits Neues, Überraschendes enthalten sein.

■Kommunikatives Handeln und Leistungsverstärkung:

Sozialverhalten

„Der Schüler ist also weder nur Intelligenz und auch nicht nur Gehirn, denn damit dieses optimal funktionieren kann, sind sozial-emotionale Lebensbedingungen wichtig. Der bedeutsamste Verstärker dieses Lernens ist gemeinschaftliches Handeln bzw. Handeln in Gemeinschaftsgruppen: Das Gehirn ist auf Sozialverhalten hin ausgerichtet.“ (Herrmann 2009, 162)

Didaktische Folgerung: Das Gehirn ist ein Sozialgehirn (Sozialorgan). Es bedarf des Miteinanders, der Kommunikation. Leben und Lernen in Gruppen führt zu einem Zugewinn an Wohlbefinden und Leistungsbereitschaft bzw. -fähigkeit. Wichtig und Grundlage für effektives Lernen ist die Beziehung zu den Mitmenschen.

3.2.4 Zusammenfassung: Anregung für eine Didaktik Sozialer Arbeit


Die Hirnforschung hat sehr viele Anregungen für eine Pädagogik und Didaktik geliefert. Welche Aspekte würden Sie für eine Didaktik Sozialer Arbeit besonders hervorheben?

Aus den Überlegungen der Hirnforschung lassen sich zusammenfassend für eine Didaktik Sozialer Arbeit folgende Anregungen ableiten:

1.Für die in sozialen Arbeitsfeldern Tätigen ist von Bedeutung:

–Wissen kann man nur indirekt durch Lernarrangements beeinflussen.

–Das Gehirn lernt eigenständig.

–Entscheidender Faktor für das Lernen ist erstens die Persönlichkeit, Ausstrahlung des Lehrenden, sein Vorbild, sein Engagement, seine Begeisterung und Kreativität.

–Der zweite Faktor ist die Beziehung zwischen Lehrendem und Lerner. Primär geht es nicht um Inhalte, sondern um Beziehungen, die das Lernen tiefgreifend beeinflussen (Beziehungspädagogik).

–Lehrende müssen motivieren, anderen am Lernen Spaß vermitteln (Spaßpädagogik.) Lehrende müssen sich in Lernende hineinversetzen und ihren Lernstand und ihr Interesse eruieren, sie abholen, wo sie stehen, und ihnen helfen, sich selbst zu helfen (Empathie).

2.Für den Lerner ist von Bedeutung:

–Das Gehirn will lernen, ist süchtig auf Lernen, kann nicht überfordert werden.

–Lernangebote sollten nicht weltfremd, sondern alltagstauglich sein.

–Lernende sollten an den Lerninhalten aktiv beteiligt werden.

–Lob, Anerkennung und Wertschätzung fördern das Lernen, Entmutigung führt zu Motivationsverlust und Vermeidungsverhalten.

Beziehungsdidaktik

3.Beziehungsdidaktik: Der Konstruktivismus und die Neurobiologie haben die Wichtigkeit der Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden herausgearbeitet. Sie fordern eine Beziehungspädagogik. Reinhold Miller hat diese Anregung aufgegriffen und eine Beziehungsdidaktik entwickelt, die auch einer Didaktik Sozialer Arbeit wichtige Impulse geben kann. Er ist der Frage nachgegangen, „ob und wieweit Aspekte einer Beziehungsdidaktik/ des Beziehungslernens im Blickfeld der Pädagogik und Didaktik des 20. Jahrhunderts standen bzw. stehen.“ (Miller 2011, 28)

Das Ergebnis seiner Forschungen ist: „Es gibt für jedes Unterrichtsfach eine eigene Fachdidaktik, aber es gibt bisher in der pädagogischen Landschaft keine eigene Beziehungsdidaktik. […] Die Beziehungsebene ist in der Didaktik bisher wie ein Stiefkind behandelt worden. […] Eine Beziehungsdidaktik ist keine bloße Ergänzung zur bisher vorherrschenden Allgemein- und Fachdidaktik, sondern eine ebenbürtige Partnerin in Schule und Unterricht“ (Miller 2011, 7). Ziel seiner Beziehungsdidaktik ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Einzelne ihr Selbst stärken und ihre Beziehung untereinander entwicklungsfördernd, belastungsarm, stressreduziert und sozialverträglich (= gewaltfrei) gestalten können und zu demokratischen und humanen Einstellungen und Verhaltensweisen kommen. (Miller 2011, 48)


Becker, N. (2006): Die neurowissenschaftliche Herausforderung der Pädagogik. Klinkhardt, Heilbrunn

Herrmann, U. (Hrsg.) (2009): Neurodidaktik. 2., erweiterte Aufl. Beltz, Weinheim und Basel

Lindemann, H. (2006): Konstruktivismus und Pädagogik. Reinhardt, München

Miller, R. (2011): Beziehungsdidaktik. 5., überarbeitete Aufl. Beltz, Weinheim und Basel

Notar, F. (20014): Ziele und Perspektiven einer Neurodidaktik hinsichtlich der Fortentwicklung schulischen Unterrichts. GRIN Verlag, Stuttgart

Peterßen, W. H. (2001): Lehrbuch Allgemeine Didaktik. 6., völlig veränderte Aufl. Oldenbourg, München

Reich, K. (2012): Konstruktivistische Didaktik. 5., erweiterte Aufl. Beltz, Weinheim und Basel

Siebert, H. (2003): Pädagogischer Konstruktivismus. 2. Aufl. Luchterhand, Neuwied


1.Frage: Gibt es eine einheitliche Theorie des Konstruktivismus?

2.Frage: Wie lautet die Grundannahme des Konstruktivismus?

3.Frage: Welche Position innerhalb des Konstruktivismus vertreten Reich und Lindemann?

4.Frage: Welche wichtige Unterscheidung muss man nach Ansicht des Konstruktivismus vornehmen?

5.Frage: Welches pädagogische Ziel verfolgt eine konstruktivistische Pädagogik nach Reich?

6.Frage: Was kritisiert Reich an der etablierten Schulpädagogik?

7.Frage: Was versteht Reich unter einer Beziehungsdidaktik?

8.Frage: Welche zehn Grundsätze einer Beziehungsdidaktik nennt Reich?

9.Frage: Welche Empfehlungen gibt Reich den PädagogInnen?

10.Frage: Welche sechs Faktoren enthält das Reflexionsschema von Lindemann?

11.Frage: Kann man überhaupt von einer Neurodidaktik sprechen?

12.Frage: In diesem Buch wird in Bezug auf eine Neurodidaktik vor allem von welchen Autoren ausgegangen?

13.Frage: Welche neuen Verfahren haben der Hirnforschung zu grundlegenden Erkenntnissen geführt?

14.Frage: Welche Funktionen des Gehirns sind in Bezug auf eine Pädagogik wichtig?

15.Frage: Welche Funktionen haben die Spiegelneuronen?

16.Frage: Was versteht man darunter, dass der Lehrende in Beziehung denken muss?

17.Frage: Wie begründet die neurobiologische Forschung Motivation?

18.Frage: Welche Bedeutung haben Gefühle?

19.Frage: Welche Bedeutung spielt das Vertrauen für die Entwicklung einer Person?

20.Frage: Welche Bedeutung hat das Vorbild beim Lernen?

21.Frage: Welche zwölf Forderungen sind für eine Neuropädagogik grundlegend?

22.Frage: Will die Hirnforschung Anleitung für die pädagogische/soziale Praxis geben?

23.Frage: Sind Ergebnisse der Hirnforschung auch für eine Didaktik Sozialer Arbeit relevant?

24.Frage: In der Neurodidaktik wird verstärkt auf die Bedeutung der Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden hingewiesen. Gibt es so etwas wie eine Beziehungsdidaktik?

Teil 2 Didaktik – Praktische Grundlagen


In der Didaktik geht es darum, den menschlichen Handlungsplan und die sich hinter ihm befindenden unbewussten Lernstrukturen zu erkennen und herauszufiltern, damit SozialarbeiterInnen Menschen bei ihrer Lebensgestaltung kompetent begleiten können. Diese Strukturen gilt es, professionell Arbeitenden bewusst zu machen, damit sie ihre Kompetenz gezielter im Dienst des Lernens Anderer einsetzen und zur Verfügung stellen können.

4 Bedingungsanalyse

4.1 Wortfeld Didaktik


Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten im FASTRA Ihrer Hochschule in der Abteilung Studienberatung. Sie erhalten folgenden Brief, den Sie beantworten sollen.

An den

FASTRA der Hochschule Düsseldorf

Abt. Studienberatung

Universitätsstraße

40225 Düsseldorf

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich mache im nächsten Jahr Abitur und möchte anschließend Sozialpädagogik studieren. Von einigen Hochschulen habe ich mir bereits Studienunterlagen besorgt und sie durchgearbeitet. Aus der Studienordnung für Sozialpädagogik Ihrer Hochschule entnehme ich, dass Didaktik ein Hauptfach ist. Ich hoffe, ich stelle mir kein Armutszeugnis aus, wenn ich zugebe, dass ich mir unter diesem Fach gar nichts vorstellen kann. Darum meine Bitte: Können Sie mir einige Informationen über dieses Fach schicken?

Für Ihre Bemühungen dankt

Bärbel Schmitz

Ihr Antwortbrief

FASTRA der Hochschule Düsseldorf

Abt. Studienberatung

Liebe Bärbel …

Ihre Umschreibung von Didaktik soll hier zunächst undiskutiert stehen bleiben. Die Ausführungen dieses Kapitels sollen eine Klärung des Begriffs herbeiführen. Am Schluss dieses Abschnitts stehen einige Definitionsversuche.


Didaktik leitet sich vom griechischen Wort „didáskein“ ab und heißt ein Zweifaches: lehren, belehren und lernen, belehrt werden. In der Didaktik geht es also immer um Lehren und Lernen.


Abb. 4: Lehrender und Lernender


Abb. 5: Lern-Helfer und Lerner

 

Somit kann man bereits eine vorläufige allgemeine Umschreibung von Didaktik geben: Didaktik ist die Wissenschaft, die sich mit Lehren und Lernen befasst.

Aus dieser Tatsache lassen sich bereits wichtige allgemeine didaktische Elemente, Einsichten und Erkenntnisse ableiten: Auf der einen Seite steht jemand, der etwas weiß, der Lehrende, und auf der anderen einer, der etwas wissen möchte, der Lernende. Diese beiden Personen (Gruppen) stehen in Interaktion und Kommunikation (Abbildungen 4 und 5).

Begegnung

Auch wenn zwischen dem Lern-Helfer (im Folgenden verwende ich Sozialpädagogik, Pädagogik, Sozialarbeit etc. synonym) und dem Lerner ein vorübergehendes Gefälle besteht, geht es bei der Interaktion und Kommunikation um zwei Personen, die auf gleicher menschlicher Ebene stehen. Die Didaktik der Sozialen Arbeit betont den partnerschaftlichen Umgang von Personen. Der Lerner ist nicht Objekt, sondern Subjekt in einer Lehr-Lern-Situation. Des Weiteren sollte der Lehrende bedenken, dass es sich bei der Kommunikation um eine Begegnung handelt, die für beide Seiten eine Bereicherung sein kann. Der Pädagoge ist nicht immer nur der Gebende. In der Didaktik der Sozialen Arbeit geht es nun darum, die Lehr-Lern-Situation näher zu analysieren, um entsprechend gezielt planen zu können. Wir haben drei Größen:

1.Lern-Helfer,

2.Lerner und

3.Lehr-Lern-Situation.

Betrachtet man die beiden Personen(-gruppen) und die Situation, lassen sich aus dieser Konstellation bereits erste didaktische Bausteine ableiten:


Erster didaktischer Baustein: Lehrender, Lern-Helfer: Ressourcen, die sein Planen und Handeln beeinflussen.Dritter didaktischer Baustein: Lehr-Lern-Situation: Die Interaktion und Kommunikation zwischen dem Lehrenden und Lerner erfolgt immer in einer konkreten Situation.drei didaktische Bausteine
Zweiter didaktischer Baustein: Lernender, Lerner: Individuelle und sozio-kulturelle Voraussetzungen, die sein Handeln beeinflussen.


Diese drei didaktischen Bausteine klären zunächst die Bedingungen, unter denen die Kommunikation zwischen dem Lern-Helfer und dem Lerner stattfindet. Didaktisch formuliert geht es hier um eine Bedingungsanalyse.

Bevor im Folgenden die drei didaktischen Bausteine näher beschrieben werden, gilt es zunächst allgemein zu klären, was eine Bedingungsanalyse ist.

4.2 Bedingungsanalyse – anthropologische Konstante

Stellen Sie sich folgende Situationen vor:


Sie bereiten morgens Ihr Frühstück mit Toast, weich gekochtem Ei, fein duftendem Kaffee etc. Die ersten zwei Toasts brauchen bekanntlich etwas länger. Sie haben also Zeit, die neuesten Sportergebnisse in der Zeitung zu lesen. Plötzlich steigt ein verbrannter Geruch in Ihre Nase. Die Toasts sind verbrannt. Schnell reagieren Sie und nehmen sie aus dem Toaster. Schade!

Sie arbeiten in einem Seniorenheim. Ein Heimbewohner kommt zu Ihnen und bittet um den Schlüssel zum Musikschrank. Mit einem kurzen Blick über Ihre Brille vergewissern Sie sich, um wen es sich handelt und geben dem Betreffenden den Schlüssel. Okay!

Sie fahren mit Ihrem Auto durch ein Dorf. Eine Katze springt kurz vor Ihrem Auto auf die Straße. Entschlossen treten Sie auf die Bremse. Die Katze hat Glück gehabt. Doch Ihr Pech, mit Ihrer Vollbremsung hat der Autofahrer hinter Ihnen nicht gerechnet. Sie verursachen einen Auffahrunfall. Ärgerlich!

Sie planen, in Ihrem Jugendclub eine Mädchengruppe ins Leben zu rufen. Bevor Sie Ihr Projekt realisieren, müssen Sie z.B. folgende Fragen klären: Besteht überhaupt Interesse bei den Mädchen? Bin ich selbst für das Unternehmen kompetent? Haben wir für die Gruppensitzung einen eigenen Raum? Wer übernimmt dann für mich den Dienst in der Teestube?

Was haben diese vier Situationen gemeinsam? Muss man im privaten wie im beruflichen Alltag immer eine Bedingungsanalyse durchführen?

In allen vier Situationen mussten Sie, bevor Sie reagierten, eine Bedingungsanalyse erstellen. Obwohl Sie z.T. automatisch handelten, hatten Sie dennoch vorher eine Bedingungsanalyse durchgeführt. Im dritten Fall hatten Sie leider die Analyse nicht sorgfältig und umsichtig gemacht und deshalb den Unfall verursacht.


Zwei zentrale Ergebnisse können wir festhalten:1.Wir befinden uns immer in Situationen.2.Um in einer Situation richtig zu handeln, muss man diese (u.U. blitzschnell) analysieren.Diese Erkenntnis gilt für den privaten wie beruflichen Alltag. Des Weiteren belegen die Beispiele, dass in jeder Situation immer drei Schritte festzustellen sind:1.Schritt: Informationen (Reiz): Ohne Information keine Reaktion oder Handlung. Jeder Handlung geht immer eine Information voraus.2.Schritt: Analyse: Bevor ich jedoch auf Grund einer Information handle, muss ich die Information verstehen und analysieren.3.Schritt: Reaktion oder Handlung: Erst nach der Analyse kann ich mich adäquat verhalten.Diese Schritte kennzeichnen jede Situation und werden deshalb als anthropologische Konstanten bezeichnet.ReizWahrnehmungAnalyseHandlung zentrale Ergebnisse

Auf unser Thema bezogen können wir also sagen: Es ist stets Grundlage pädagogischen Handelns, eine Analyse des Ist-Zustandes durchzuführen. Dies geschieht bewusst oder unbewusst. In einer verantwortlichen und reflektierten Pädagogik geht es jedoch darum, sich dieses Vorganges bewusst zu werden und ihn gezielt einzusetzen.

Bedingungsanalyse

In der relevanten Literatur versteht man Folgendes unter einer Bedingungs-analyse:

■Eine Bedingungsanalyse ist das Sammeln, Ordnen und Bewerten von Informationen über die Situation einer Zielgruppe.

■Unter einer Bedingungsanalyse versteht man eine systematische Untersuchung eines Sachverhaltes hinsichtlich aller relevanten Komponenten oder Faktoren.

■Eine Bedingungsanalyse dient der Voraussetzung und Vorbereitung für sinnvolles, geplantes und reflektiertes pädagogisches Arbeiten.

Die Durchführung einer Bedingungsanalyse ist ein wichtiger Baustein eines didaktischen Modells.


In der Didaktik Sozialer Arbeit geht es nun darum, die Lehr-Lern-Situation näher zu analysieren, um entsprechend gezielt planen zu können. Wir haben drei Größen:1.Lern-HelferIn,2.LernerIn und3.Lehr-Lern-Situation.

Betrachtet man die beiden Personen (-gruppen) und die Situation, lassen sich aus dieser Konstellation bereits erste didaktische Bausteine ableiten:

Erster didaktischer Baustein: Lehrende, Lern-HelferIn: Ressourcen, die ihr Planen und Handeln beeinflussen.

Zweiter didaktischer Baustein: Lernende, LernerIn: Individuelle und sozio-kulturelle Voraussetzungen, die sein Handeln beeinflussen.

Dritter didaktischer Baustein: Lehr-Lern-Situation: Die Interaktion und Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden erfolgt immer in einer konkreten Situation.

Bedingungen der Kommunikation

Diese drei didaktischen Bausteine klären zunächst die Bedingungen, unter denen die Kommunikation zwischen Lern-HelferInnen und LernerInnen stattfindet. Didaktisch formuliert geht es hier um eine Bedingungsanalyse.

Nachdem geklärt ist, was man unter einer Bedingungsanalyse versteht und wie wichtig sie ist, können wir auf die ersten drei didaktischen Bausteine näher eingehen.

4.3 Didaktische Bausteine

4.3.1 Erster didaktischer Baustein: Lehrender und Ressourcen

Lehrende sind keine freischaffenden Künstler, vielmehr arbeiten sie in einer Einrichtung und sind bei einem Träger angestellt. Diese Tatsache kann ihre Arbeit motivieren oder behindern. Es sind vor allem zwei Faktoren, die Planen und Handeln beeinflussen: 1. interne und 2. externe Faktoren. SozialarbeiterInnen müssen sich Gedanken machen, in welchem Ausmaß diese Faktoren zu berücksichtigen sind, d.h. sie müssen eine Bedingungsanalyse durchführen, bevor sie sich z.B. über Ziele Gedanken machen.

Interne Ressourcen

Zwei Aspekte will ich herausarbeiten, die für die Persönlichkeit eines Sozialarbeiters entscheidend sind: persönliches Erscheinungsbild und fachliche Kompetenz.

Persönlichkeit Beziehungsdidaktik

Die Neurodidaktik, für die jede Didaktik eine Beziehungsdidaktik sein sollte, hat aufgrund von Forschungsergebnissen Elemente für die pädagogische Beziehung herausgearbeitet, die an anderer Stelle ausführlich vorgestellt wurden und hier nur noch einmal kurz in Erinnerung gerufen werden sollen. In einer Beziehungsdidaktik geht es stets um Sehen und Gesehen-Werden.

Durch das Auftreten von SozialarbeiterInnen und die entsprechende Reaktion des Lerners wollen Letztere bewusst oder unbewusst Fragen beantwortet bekommen:

„Zeige mir, dass ich da bin. Lass mich spüren, dass es mich gibt!

Zeige mir, wer ich bin: Beschreibe meine starken und schwachen Seiten! Lobe mich, aber kritisiere mich auch! Zeige mir, was meine Entwicklungsmöglichkeiten sind, was aus mir werden kann! Zeige mir, was Du mir zutraust!“ (Bauer 2009, 113f.)

berufliche Kompetenzen

Neben diesen persönlichen Merkmalen des professionell Handelnden ist des Weiteren auch seine berufliche Kompetenz gefragt. Staub-Bernasconi zählt in ihrer normativen Handlungstheorie fünf Kompetenzen, Wissensformen für SozialarbeiterInnen auf:

Beschreibungswissen: Was ist die Ausgangsproblematik, die Situation, das soziale Problem?

Erklärungswissen: Warum ist diese Problematik entstanden und mit welchen Folgen? Wohin tendiert die Situation, falls keine Intervention stattfindet? Milderung, Verschärfung oder Stabilität der Ausgangsprobleme?

Werte- und Kriterienwissen: Was ist (nicht) gut? Was sollte sein? Woraufhin soll etwas verändert werden?

Verfahrenswissen: Wer soll verändert werden? Wer sind die Akteure der Veränderung? Was ist ihre Funktion? Womit soll verändert werden? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Was muss vor dem Hintergrund des erhobenen Wissens und der möglichen Optionen entschieden werden? Wie soll die Veränderung herbeigeführt werden? Auf Grundlage welcher Handlungstheorien und Methoden?

Evaluationswissen: Wurden die Ziele erreicht? Mit welchem Aufwand? (Schilling/Klus 2018)

Kron führt andere entscheidende Kompetenzen auf:

fachliche Kompetenz: Sie findet man in ihrem Ausdruck in dem fachlichen Wissen und Können sowie in der Fähigkeit zur Einordnung fachlicher Inhalte und Fragen in umfassende z.B. gesellschaftliche Zusammenhänge.

didaktische Kompetenz: Dies ist die Beherrschung der Fähigkeit, das Fachwissen auch präsent zu haben und praktisch umsetzen zu können.

reflexive Kompetenz: Hierunter versteht man die Fähigkeit, das eigene Handeln zu reflektieren.

soziale Kompetenz: Ist die Fähigkeit, das pädagogische und organisatorische Handeln auch aus der Sicht des Lerner zu begreifen.

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