Zwei Millionen ham'ma erledigt

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Entspannung beim Tischtennisspiel im Garten der Rainers, vermutlich im Frühjahr 1936.

Als Klausner und auch Rainer 1935 für einige Zeit ins Gefängnis wandern, ist es Globocnik, der für einige Zeit, angeblich von Budapest aus, die Parteiagenden führt. Nach seiner Rückkehr kann er sich jedoch nur kurz in Freiheit bewegen – ein Versuch, in Wien unterzutauchen, scheitert kläglich: Am 22. August 1935 meldet sich in Wien ein „Versicherungskaufmann“ Odilo Globocnik unter der Adresse Wiedner Hauptstraße 59/​2/​7 an; bereits wenige Tage später, am 29. August 1935, wird er über Ersuchen des Bundespolizeikommissariates Klagenfurt von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien neuerlich verhaftet und nach Klagenfurt überstellt, man wirft ihm vor, unter dem Decknamen „Schlagg“ von einem gewissen Emil Klauer einen „größeren Geldbetrag“ für „NSDAP-Propagandazwecke“ übernommen zu haben. Wieder lautet die Anklage auf „Hochverrat“ und wieder beträgt das Strafausmaß, verhängt am 29. August 1935, sechs Monate Haft, davon wird ihm „infolge einer Amnestie für 70 Tage Strafaufschub gewährt“.

Der „neue Weg“ der Kärntner Gruppe sieht in der „Anschlussfrage“, dem großen Ziel der Nazis, eine „evolutionäre“ Lösung vor – eine Strategie, für die das Abkommen der Schuschnigg-Regierung mit Hitler vom 11. Juli 1936 zu einem Wendepunkt wird. Das Deutsche Reich verpflichtet sich darin zwar, sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten Österreichs einzumischen, dafür muss Schuschnigg jedoch ein verhängnisvolles Zugeständnis machen: Vertreter der „Nationalen Opposition“ sollen zur politischen Mitarbeit herangezogen werden – der verstärkten Infiltration öffentlicher Stellen mit Nationalsozialisten und NS-Sympathisanten ist damit Tür und Tor geöffnet; mit dem „betont nationalen“ Nachrichtenoffizier Edmund Glaise-Horstenau und Dr. Guido Schmidt, dem Kabinettsvizedirektor von Bundespräsident Miklas, ziehen zwei Vertrauensleute der Nationalsozialisten in die Regierung ein. Während Schuschnigg in einer Rundfunk-Sondersendung noch über die „Wiederkehr normaler freundnachbarlicher Beziehungen“ und den „wertvollen Beitrag zur Sicherung des europäischen Friedens“ jubelt, rüsten sich die Nazis zu neuem Kampf, nicht zuletzt begünstigt durch die im Juliabkommen vereinbarte Amnestie für inhaftierte Parteigenossen.

Für Globocnik und seinen Freund Rainer ist die Stunde der ersten großen Bewährung gekommen: Da alle anderen leitenden Funktionäre noch im Gefängnis sitzen, empfängt sie am 16. Juli 1936 der „Führer“ persönlich am Obersalzberg. Das Treffen ist ursprünglich schon für den 10. Juli festgesetzt, durch einen „Verständigungsfehler“, wie Globocnik in seinem Memorandum von 1938 meint, verschiebt Hitler den Termin, spricht aber am 10. Juli mit Edmund Glaise-Horstenau, dem Beauftragten Schuschniggs, von dem er die in einem streng vertraulichen Gedächtnisprotokoll festgehaltene Zusage erhält, dass die Regierung in Wien in Zukunft die „nationale Opposition“ einbinden würde. Bei dieser Gelegenheit plaudert Glaise-Horstenau wohl auch über die aktuelle Situation der Nazis – Hitler weiß also bereits im Vorfeld bestens Bescheid. Auf einem Schleichweg überqueren die beiden jungen Nazis die Grenze zu Bayern, die Hoffnung jedoch, dass sie ihr Abgott „väterlich empfangen“ und für ihre Arbeit loben würde, wird bitter enttäuscht. In seiner „Gauleiterrede“ zum vierten Jahrestag des „Anschlusses“ am 11. März 1942 schildert Friedrich Rainer die denkwürdige Begegnung am Berghof: „Der Führer ist uns angefahren. Er sagte uns klar und eiskalt, warum er dieses Abkommen geschlossen habe. Der Führer sagte: Meine außenpolitischen Aktionen vertragen diese Belastung mit Österreich nicht. Ich bekomme dauernd Demarchen über Paris und London und ich muß ein freundschaftliches Verhältnis mit Italien ausbauen und ich brauche Zeit, die deutsche Wehrmacht auszubauen … Ich brauche noch zwei Jahre, um Politik machen zu können. Solange hat die Partei in Österreich Disziplin zu bewahren. Sie hat sich zu fügen, sie hat mit allen Mitteln Politik zu machen und auf dem Boden der Tatsachen zu stehen.“ Rainer wagt es nachzufragen, was denn mit „Politik machen“ genau gemeint sei, ob das auch eine Tätigkeit im Rahmen der Vaterländischen Front bedeuten könne, was Hitler bejaht; Globocnik, der nun auch zu Wort kommt, schildert die schwierige Lage der vielen verhafteten Parteigenossen und ihrer Familien und verweist darauf, dass man mit der Unterstützung des Reiches rechne. Hitler, der in Gegenwart von Martin Bormann und Joseph Goebbels mit den beiden Kärntnern spricht, gibt sich allmählich versöhnlicher und überträgt ihnen die Verantwortung für die künftige Entwicklung der NS-Bewegung in Österreich. Rainer zeigt sich als gehorsamer Parteisoldat: „Mein Führer, wir verstehen, was Sie wollen, wir werden uns bemühen, dem Rechnung zu tragen.“ Hitler meint daraufhin: „Ich bin ja der treue Eckart Österreichs.“ Dann tritt er zum großen Fenster des Berghofs und erklärt: „Hier stehe ich, und werde Euch nicht verlassen.“ Rainer, der die einstündige Begegnung in der Rückschau etwas verklärt, verschweigt, dass Enttäuschung und Irritation groß sind, mit dem Unmut Hitlers hatte man in dieser Form nicht gerechnet.

In der Nacht vom 16. zum 17. Juli kehren sie über die grüne Grenze zurück nach Österreich, um 4 Uhr früh erreichen sie Großgmain. Friedl Rainer fasst das Erlebte zusammen: „Lieber Globus, die Situation ist einfach. Machen wir einen Fehler, werden wir vom Führer ins KZ gesteckt, machen wir die Sache richtig, werden wir dem Führer helfen können.“ Vorsorglich haben sie die Vertreter der Gauleitungen nach Anif bestellt, wo sie noch am selben Tag Bericht über ihr Abenteuer am Obersalzberg geben, vor allem die von Hitler gewünschte Strategie vorstellen. Man einigt sich darauf, den „Anweisungen“ des „Führers“ zu folgen und die Zusammenarbeit mit der „Vaterländischen Front“ zu suchen. Globocnik obliegt es, mit den Parteigenossen die organisatorischen Fragen zu besprechen.

Wenige Tage später, am 23. Juli 1936, wird Landesleiter Hauptmann Josef Leopold aus dem Anhaltelager Wöllersdorf entlassen, am 31. Juli gibt es ein Treffen mit den Kärntner Parteigenossen in Leopolds Wohnung in Krems. Globocnik und Rainer berichten über ihr Gespräch mit dem „Führer“ und sichern dem Landesleiter ihre Loyalität zu; Leopold, der damit wieder die Führung der Partei übernimmt, zeigt sich zur Zusammenarbeit bereit – Rainer und Globocnik sollen mit ihm als Chef das leitende „Kabinett“ bilden. Die beiden Kärntner Freunde nehmen den Vorschlag an, nach zwei Wochen ist der Pakt von Krems jedoch bereits Makulatur – der alte „Kämpfer“ Leopold kann sich mit der neuen Taktik, die Passivität, geduldiges Abwarten und politische Aktivität auf legaler Ebene verlangt, nicht anfreunden und er misstraut ihnen – er hat Angst, dass die beiden jungen „Rebellen“ eine oppositionelle Gruppe gegen ihn anführen könnten, etwa im Bündnis mit dem steirischen Gauleiter Walter Rafelsberger. Und er fürchtet, nicht ganz zu Unrecht, mögliche direkte Kontakte der Kärntner mit Berlin hinter seinem Rücken. Das Verhältnis zwischen der Landesleitung und Klagenfurt verschlechtert sich kontinuierlich; Leopold-Intimus und Stabsführer der SA Alfred Persche notiert über diese Zeit: „Menschen wie Dr. Rainer, Globotschnigg (sic!), Seys-Inquart (sic!) haben überhaupt kein Gesicht und nicht die geringste Aussicht, sich irgendwie durchzusetzen; wenn sie sich aber auf Namen berufen können, wie Clausner (sic!), Reinthaler“ – es ist das immer stärker werdende Netzwerk der Kärntner Gruppe, das Leopold beunruhigt. Was Reinthaller betrifft, so vertritt er eine klare Linie: Reinthaller sei „undiszipliniert“ und überschreite „den Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben“, er habe sich um die „Organisation der Bauernschaft zu kümmern, aber um sonst nichts“, stattdessen „fuhrwerke er ununterbrochen in der Geschichte herum und versuche große Politik zu machen“, wie Alfred Persche referiert, nun sei aber die Geduld des Landesleiters zu Ende: Große Politik, die will Hauptmann Leopold selbst machen, und so wird Reinthaller im Lauf des Jahres 1937 „entmachtet“ und an den Rand gedrängt. Gleiches hat Leopold mit Rainer und Globocnik vor, doch in ihrem Fall muss er zunächst etwas Geduld beweisen. Die „nationale Opposition“ hat sich indessen eine neue „politische Leitfigur“ (Maurice Williams) erkoren: den Rechtanwalt Dr. Arthur Seyß-Inquart (1892 – 1946). Während Rainer mit Seyß-Inquart, der 1936 von Schuschnigg in den Staatsrat berufen wird, hervorragend zusammenarbeitet, ist das Verhältnis zwischen Globocnik und dem „Verbindungsmann“ zum Kabinett Schuschnigg von Anfang an gespannt: Der katholisch-nationale Seyß-Inquart kann mit der hemdsärmeligen „Macher“-Mentalität Globocniks nichts anfangen, Globus wiederum gefällt die zögerliche, betuliche Art des Rechtsanwalts nicht. Seyß-Inquart ist zudem noch nicht einmal Parteimitglied, er beugt sich aber der Mehrheit der Parteigenossen, die ihn an die Spitze schieben wollen.

Noch weniger kann ihn aber Hauptmann Leopold leiden, der sich zunehmend einer wahren Phalanx von Gegnern seines Kurses gegenübersieht. Im August 1937 kommt es zum Eklat: Leopold schließt Globocnik aus der Partei aus, Seyß-Inquart und seine Anhänger nennt er „Verräter, Schurken und Lumpen“; den Parteigenossen wird jeder Kontakt zu diesen Männern untersagt. Auch Rainer wird geächtet und erhält die Anweisung, sich nicht mehr in Angelegenheiten der Partei einzumischen – eine Aktion, die letztlich Hauptmann Leopold selbst zum Verhängnis werden wird. Da hilft es auch nichts, dass er Hitler gegenüber Globocnik und Rainer als Feinde der NS-Bewegung anschwärzt – er hat sich selbst ins Aus gestellt: Hitler wird ihm das nicht verzeihen und ihn am 20. Februar 1938 endgültig mattsetzen.

 

Vom wilden Rundumschlag Leopolds wenig beeindruckt, widmen sich Globocnik und Rainer weiter ihren illegalen Aktivitäten; Probleme mit der Polizei gibt es wieder im Frühjahr 1937, als die Landesleitung des NS-Hilfswerks in Kärnten „aufgedeckt“ wird. Globocnik reagiert mit gewohnter Ruhe und Übersicht: Am 8. März 1937 gibt er einer gewissen Karoline Thaler den Auftrag, dem aus Wien anreisenden Rechtsanwalt Dr. Heinrich Gmoser, der einen „größeren Geldbetrag“ für das NS-Hilfswerk bei sich trage, bis nach St. Veit an der Glan entgegenzufahren und ihn vor einer Kontrolle durch die Polizei zu warnen. Gleichzeitig solle sie von Gmoser das Geld übernehmen und „gesichert“ nach Klagenfurt bringen. Globocnik erwartet Karoline Thaler, die den Auftrag erfolgreich abwickelt, in der Bahnhofstraße in Klagenfurt, nimmt ihr das Geld ab – und verschwindet. Die Sicherheitsdirektion für das Land Kärnten schreibt ihn daraufhin im Z. P. Bl. unter dem Art. 3886/​36 wegen „Verdachtes des Hochverrates“ zur Verhaftung aus.

Am 14. Juli 1937, um 12.10 Uhr, wird Globocnik aufgrund dieses Haftbefehls in Klagenfurt verhaftet, doch noch am gleichen Tag, um 17 Uhr, trifft aus Wien der „fernmündliche Auftrag“ von Staatssekretär Michael Skubl ein, dass Globocnik auf freien Fuß zu setzen und die Ausschreibung zu widerrufen sei. Michael Skubl, der Staatssekretär für Angelegenheiten des Sicherheitswesens und Leiter der Bundespolizeidirektion, ist wie Globocnik Kärntner und 1877 in Bleiburg geboren – Globus, so scheint es, hat nun schon einflussreiche Fürsprecher.


Ende Januar 1938 geht Globocnik von Klagenfurt nach Wien, er will vor Ort sein, wenn hier die Entscheidung im Ringen um die Macht fällt. Eine Wohnung ist rasch gefunden: Am 25. Januar 1938 meldet er sich als „Baumeister“ in der Köstlergasse 11/​2/​22 im 6. Bezirk Mariahilf an; von hier sind alle wichtigen Adressen in der Innenstadt gut zu erreichen.

In seinen nach dem Krieg in jugoslawischer Gefangenschaft verfassten Schriften behauptet Friedrich Rainer immer wieder, dass es der „gut entwickelte und ausgeprägte politische Instinkt“ Globocniks gewesen sei, der die Arbeit der Partei geprägt habe. Und so sei es auch die Idee Globocniks gewesen, Schuschnigg und Hitler zum Treffen vom 12. Februar 1938 am Obersalzberg in Berchtesgaden zu bewegen. Umsichtig arbeitet man an der Umsetzung dieses Plans: Rainer und Seyß-Inquart führen Ende Januar 1938 in Garmisch-Partenkirchen Gespräche mit Franz von Papen, dem deutschen Botschafter in Wien, dann reisen Globocnik und Rainer gemeinsam nach Berlin, um hier für eine Regierungsbeteiligung Seyß-Inquarts Stimmung zu machen.

Alles läuft nach Plan: Am 4. Februar 1938 nimmt Schuschnigg die Einladung Hitlers an; von Seyß-Inquart über die vorbereitenden Gespräche und die geplante Taktik informiert, gibt Friedrich Rainer alle Informationen sofort telefonisch an den in Berlin weilenden Globocnik weiter. Die beiden Freunde haben sich auf ihre „Agententätigkeit“ gut vorbereitet: „Ich konnte mit Globus vollkommen offen reden. Wir hatten für jeden einzelnen Namen einen Geheimcode und außerdem sprachen wir beide einen solch schrecklichen Dialekt, dass uns keine Menschenseele verstanden hätte.“ (zitiert nach Maurice Williams, Gau, Volk und Reich)

Ausspioniert und verraten, geht Schuschnigg in die Falle. Am Berghof wird er einem geschickt inszenierten Psychoterror ausgesetzt, mit massiven Drohungen zwingt Hitler ihn und Guido Schmidt, den Staatssekretär für Äußeres, zum „Berchtesgadener Abkommen“ – Schuschnigg muss Seyß-Inquart als Innen- und Sicherheitsminister akzeptieren und der freien politischen Betätigung der Nazis zustimmen.

Die Drahtzieher dieses tödlichen Stoßes gegen die Souveränität Österreichs sind Rainer und Globocnik, die nur eine Woche später zufrieden den Erfolg einer weiteren Intrige konstatieren können: Landesleiter Hauptmann Leopold wird am 20. Februar nach Berlin zitiert und von Hitler abgesetzt.

Mittwoch, 9. März 1938. Pünktlich um 8.10 Uhr verlässt der D-Zug 121 nach Innsbruck den Wiener Westbahnhof. Mit an Bord Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der am Abend in der Tiroler Hauptstadt die Bombe platzen lassen will: Eine Volksbefragung soll über die Zukunft Österreichs entscheiden. Den Entschluss dazu hat er in den Tagen zuvor mit seinen engsten Beratern gefasst; er ahnt nicht, dass die Sekretärin seines Freundes Guido Zernatto, eine Illegale, den Plan bereits an die Nazis verraten hat.

Im Büro von Walther Pembaur, dem aus Innsbruck stammenden Leiter des „Volkspolitischen Referats“, in der Seitzergasse 1 in der Wiener Innenstadt beraten die Kärntner Freunde Klausner, Rainer und Globocnik sowie Parteigenosse Dr. Hugo Jury aus St. Pölten die weitere Vorgangsweise. Sie beschließen, zu Innenminister Seyß-Inquart in dessen Rechtsanwaltskanzlei Am Hof zu fahren; ihr Parteifreund in der Regierung weiß jedoch bereits Bescheid. Er hat zwar dem Bundeskanzler sein Ehrenwort gegeben, nichts über die Volksbefragung verlauten zu lassen, übergibt den aufgeregten Genossen jedoch die Kopie eines diesbezüglichen Briefes an Schuschnigg; damit, so meint Seyß-Inquart, könnten sie ja Berlin informieren. Die vier Männer kehren in die Seitzergasse zurück, sie wissen, dass es jetzt schnell zu handeln gilt – vor allem dem „Führer“ muss man Bescheid geben. Friedrich Rainer ruft daher Staatssekretär Wilhelm Keppler an, den Beauftragten Hitlers für Österreich, der eben von Wien nach Berlin zurückgekehrt ist und Hitler über die erfreuliche Entwicklung in Österreich berichtet hat. Keppler ist konsterniert, will die Nachricht zunächst nicht glauben und ruft bei Seyß-Inquart an; als dieser bestätigt, eilt er zu Hitler in die Reichskanzlei – der „Führer“ befiehlt ihm, sofort nach Wien zu fliegen.

Inzwischen haben auch die Kärntner Freunde einen Entschluss gefasst: „Organisationsleiter“ Globus muss mit der nächsten planmäßigen Maschine den Brief Seyß-Inquarts Hitler persönlich überbringen. Ohne Gepäck, nur mit der Briefkopie als „Beweismittel“ in der Tasche, fährt man Globocnik zum Flugfeld in Aspern und hat Glück: Es gibt einen freien Platz nach Berlin.

Am Nachmittag steht Globus in der Reichskanzlei wieder einmal seinem Idol, dem „Führer“, gegenüber. Er übergibt ihm den Brief, Hitler, von Keppler bereits instruiert, bleibt ruhig und bittet ihn, vorerst in Berlin zu bleiben: „Sie bleiben hier. Sie bekommen gut zu essen und warten das weitere ab.“ Globocnik wagt zu widersprechen, er werde in Wien gebraucht und müsse daher zurück, doch Hitler zeigt sich unnachgiebig: „Sie werden schon das weitere hören“ – der Kärntner Briefträger muss sich fügen. Während seine Freunde in Wien vor dem Radiogerät gespannt der Rede Schuschniggs folgen, sitzt er in Berlin fest.

Donnerstag, 10. März 1938. Zu Mittag ist sich Hitler im Klaren darüber, was er Globocnik als Botschaft mit auf die Reise geben will: Er lässt ihn wieder zu sich in die Reichskanzlei kommen, bittet ihn, Seyß-Inquart zu bestellen, dass ein Sonderkurier in Kürze genaue Instruktionen nach Wien bringen werde. Und dann drückt er Globocnik noch ein Briefkuvert in die Hand, einen an die österreichischen Nazis gerichteten Befehl: Von nun an sei es ihnen erlaubt, dem Schuschnigg-Regime auch mit „kämpferischen“ Mitteln entgegenzutreten, sie haben nun die ersehnte „Handlungsfreiheit“. Damit ist Globocnik entlassen; mit einem Sonderflugzeug, das man ihm nun großzügig zur Verfügung stellt, kehrt er am Abend nach Wien zurück; am Flugplatz in Aspern wartet schon „Friedl“ auf ihn; gemeinam fährt man zum Hotel Regina am Dollfußplatz, um im Kreis der Parteiführung die nächsten Schritte zu beraten. Doch vorerst ist Globus am Wort: Der „Führer“ habe ihnen Handlungsfreiheit gewährt, kann er stolz aus Berlin berichten. Als dann Innenminister Seyß-Inquart zur Runde stößt, verschweigt man ihm diese Botschaft Hitlers, Globocnik informiert ihn nur darüber, dass ein Sonderkurier aus Berlin ihm am folgenden Tag neue Direktiven überbringen werde.

Globus, so zeigt sich an diesem 10. März erstmals, ist kein Freund Seyß-Inquarts, der ihm zu wenig entschlossen ist – vor allem aber ist der Innenminister mit seinen bekannten Sympathien für das katholische Lager ein Konkurrent im Kampf um die Macht. „Friedl“ Rainer formuliert schließlich nach langen Diskussionen die Verhaltensmaßregeln für die nächsten Tage:

„Es gibt in den nächsten Tagen drei mögliche Fälle:

1. Fall: Rückziehung der Volksabstimmung, in diesem Fall ist angeordnet, Demonstrationen größeren Stiles zu veranstalten.

2. Fall: Schuschnigg demissioniert: für diesen Fall ist das Übergehen von Demonstrationen zur Machtergreifung angeordnet.

3. Fall: Schuschnigg nimmt den Kampf auf: für diesen Fall ist sämtlichen Führern der Partei Handeln auf eigene Faust mit Einsatz aller Mittel zur Gewinnung der Machtpositionen anbefohlen.“

Mittlerweile ist auch Ernst Kaltenbrunner, der Chef der österreichischen SS, aus Linz kommend in Wien eingetroffen – die Nazi-Riege ist komplett und für die Ereignisse des nächsten Tages gerüstet.

Freitag, 11. März 1938. Noch in der Nacht bereiten sich die Truppen der 8. deutschen Armee zum Einmarsch in Österreich vor. Um zwei Uhr früh gibt Hitler die „Weisung Nummer 1, Betr. Unternehmen Otto“ aus, allerdings vorläufig noch ohne Unterschrift; er selbst behält sich den Oberbefehl vor, legt er doch Wert darauf, dass alles nach seinen Weisungen abläuft, Ziel ist ein „von der Bevölkerung begrüßter friedlicher Einmarsch“.

Um 10 Uhr bespricht sich Bundeskanzler Schuschnigg mit seinen beiden Nazi-Ministern Seyß-Inquart und Edmund Glaise-Horstenau, Minister ohne Portefeuille, der soeben aus Berlin zurückgekehrt ist. Die beiden Handlanger des „Führers“ bedrängen den Kanzler, die Volksabstimmung abzusagen; Seyß-Inquart liest den Brief Hitlers vor und stellt Schuschnigg ein Ultimatum: Bis 14 Uhr müsse er eine Entscheidung treffen. Seine tatsächlich für ihn vorgesehene Rolle in diesem verlogenen Spiel verschweigt der Innenminister: dass es seine Aufgabe sein wird, Hitler zu „Hilfe“ zu rufen.

Im „Volkspolitischen Referat“ in der Seitzergasse warten die Parteigenossen um Klausner, Globocnik und Rainer indessen schon ungeduldig auf die neuesten Nachrichten; neu dazugestoßen ist nun auch „Gschaftelhuber“ (Tomkowitz/​Wagner) Kajetan Mühlmann. Gegen Mittag treffen Seyß-Inquart und Glaise-Horstenau ein und berichten ausführlich über die Unterredung mit Schuschnigg; Seyß-Inquart liest auch hier den Brief Hitlers vor. Man telefoniert mit Berlin und schildert die Lage, Seyß-Inquart verfasst einen Brief an Schuschnigg, in dem er das Ultimatum bestätigt und bei dessen Nichterfüllung mit Rücktritt droht. In Berlin unterschreibt Hitler um Punkt 13 Uhr die „Weisung Nummer 1“.

Um 14.45 Uhr gibt Schuschnigg nach langen Beratungen nach – er sagt die Volksabstimmung ab. Doch in Berlin will man jetzt nicht mehr zurück, Göring drängt bei Hitler auf die „ganze und klare Lösung“, den „Anschluss“, Schuschnigg habe das Berchtesgadener Abkommen gebrochen. Ein zweites Ultimatum wird formuliert und um 15.05 Uhr Seyß-Inquart telefonisch übermittelt: Schuschnigg und die „nationalen“ Minister müssten sofort zurücktreten, Seyß-Inquart von Bundespräsident Miklas mit der Regierungsbildung beauftragt werden.

Als man in der Seitzergasse vom zweiten Ultimatum erfährt, beschließt man, Globocnik und Mühlmann ins Bundeskanzleramt zu schicken – um 15.30 Uhr betreten die beiden Nazis das Gebäude am Ballhausplatz; im Säulensaal treffen sie auf Glaise-Horstenau, Mühlmann fragt ihn nach der Lage: „Is scho a Leich“, antwortet der Herr Minister ohne Portefeuille und meint damit seinen Chef, den Bundeskanzler. Globocnik berichtet Seyß-Inquart über die Forderungen Berlins, dann ruft er Rainer an und bestätigt diesem, dass nun der Innenminister genau Bescheid wisse. Rainer hat für seinen Freund einen neuen Auftrag, der an Seyß-Inquart weitergegeben werden soll: „Es kommt darauf an, die Formationen zu legalisieren. SA und SS müssen mit der Polizei als Sicherheitsorgane eingesetzt werden.“

Zur gleichen Zeit erklärt Schuschnigg in den Amtsräumen von Bundespräsident Miklas den Rücktritt seiner Regierung. Die Ernennung Seyß-Inquarts zum Bundeskanzler verweigert Miklas jedoch kategorisch, er „weiche nur der Gewalt“. Staatssekretär Michael Skubl, dem er die Kanzlerschaft anträgt, lehnt ab; Hitler werde das auf keinen Fall akzeptieren und mit dem Einmarsch antworten – da sei ein Kanzler Seyß-Inquart noch das kleinere Übel.

 

Um 15.55 Uhr meldet sich Göring wieder telefonisch aus Berlin, der ungeduldige Reichsfeldmarschall will wissen, ob Schuschnigg schon zurückgetreten sei und ob Seyß-Inquart schon den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten habe; nochmals betont er, dass dies eine „unumstößliche Forderung des Reiches“ sei. Seyß-Inquart vertröstet Göring mit der Antwort auf 17.30 Uhr, spätestens dann wisse er Bescheid. Inzwischen haben Schuschnigg und seine Diplomaten vergeblich versucht, Unterstützung bei den Westmächten zu finden. Aus London kommt knapp nach 16.30 Uhr eine wenig ermutigende Antwort: „Die Regierung Seiner Majestät kann die Verantwortung nicht übernehmen, dem Kanzler zu raten, einen Kurs einzuschlagen, der sein Land Gefahren aussetzen könnte, für die die Regierung Seiner Majestät nicht in der Lage ist, Schutz garantieren zu können“ – wohlgesetzte Worte, die die Wahrheit nicht verhüllen können: Chamberlain ist bereit, Österreich zu opfern. Frankreich und Italien folgen ihm mit Tatenlosigkeit; die Bewunderung für den „Führer“ ist noch groß …

Rainers „Verbindungsmann“ Globocnik beobachtet die Vorgänge im Bundeskanzleramt mit Ungeduld, ihm geht das alles zu langsam. Er beschließt, das Lokal zu wechseln: Gemeinsam mit Freund „Friedl“ fährt er zur deutschen Gesandtschaft in der Metternichgasse; im Auto unterrichtet er Rainer über die Lage am Ballhausplatz; die beiden sind entschlossen, die „Sache“ etwas zu beschleunigen. In der deutschen Gesandtschaft angekommen, lässt sich Globocnik sofort mit Göring verbinden; um Punkt 17 Uhr steht die Leitung – jetzt will er zeigen, was er kann. Er beginnt das Gespräch mit dem Generalfeldmarschall.

Globocnik: „Ich muss Folgendes melden: Also, Seyß-Inquart hat mit dem Bundeskanzler bis 16.30 Uhr gesprochen. Er ist aber nicht in der Lage, das Kabinett bis 17.30 Uhr aufzulösen, weil es technisch nicht geht.“

Göring zeigt sich kompromissbereit: „Bis 19.30 Uhr muss das Kabinett gebildet sein … Ist der Seyß-Inquart da?“

Globocnik: „Der ist eben nicht da. Der ist in der Verhandlung. Darum hat er mich hergeschickt, das zu telefonieren.“ Er will noch etwas gegen einen Einmarsch der Österreichischen Legion sagen, doch Göring, dem die Befindlichkeit der österreichischen Nazis ziemlich egal ist, unterbricht ihn.

Göring: „Davon ist nicht die Rede! Ich will wissen, was los ist. Hat er Ihnen gesagt, daß er Bundeskanzler ist?“

Globocnik sucht sein Heil in der knappen Lüge: „Jawohl!“

Göring: „Ist ihm übertragen worden?“

Globocnik: „Jawohl!“

Göring: „Jawohl! Weiter! Bis wann kann er das Kabinett bilden?“

Globocnik: „Das Kabinett kann er bis 9.15 Uhr vielleicht … “ Göring will keine weiteren Verzögerungen: „Das Kabinett muss bis halb acht gebildet sein.“

Globocnik erzählt ihm daraufhin, dass inzwischen die Partei mit all ihren Gliederungen wieder erlaubt worden sei und SS und SA als eine Art von „Hilfspolizei“ auf den Straßen „Dienst“ tun würden. Den Generalfeldmarschall interessiert aber nur die angeblich schon stehende neue Regierung:

Göring: „Da bringt der Keppler die Namen. Ich habe da noch vergessen: Fischböck, Fischböck muss Handel und Wirtschaft bekommen.“

Globocnik willfährig: „Selbstverständlich, das ist doch klar.“

Göring: „Kaltenbrunner soll das Sicherheitswesen bekommen und Beyer soll die Wehrmacht bekommen. Das Bundesheer soll Seyß-Inquart kriegen. Dann Justiz ist klar, wissen Sie wen?“

Globocnik: „Ja, ja!“

Göring: „Nennen Sie den Namen!“

Globocnik glaubt zu wissen, worauf Göring hinaus will: „Ja, Ihr Schwager, nicht?“ (gemeint ist Franz Hueber, verheiratet mit einer Schwester Görings, der bereits 1930 für kurze Zeit Justizminister war – J. S.)

Damit ist das Gespräch beendet; Globocnik reicht den Hörer weiter an Generalleutnant Wolfgang Muff, den Militärattaché der deutschen Gesandtschaft. Auch Muff will vor einem Einmarsch der Österreichischen Legion warnen, doch Göring lässt sich erst gar nicht auf eine Diskussion ein, die Entscheidung darüber liege allein in Berlin. Und er hat es eilig, dem „Führer“ die Nachricht vom Rücktritt Schuschniggs und von der Ernennung Seyß-Inquarts zum Bundeskanzler zu überbringen. Die Lüge Globocniks hat nun Folgen: Hitler setzt den Befehl zum Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich vorerst aus; Göring telefoniert weiter: Zuerst spricht er mit seinem Schwager Franz Hueber, der auf Wunsch Hitlers auch das Außenministerium übernehmen soll, dann mit Seyß-Inquart, der inzwischen in sein Büro in der Herrengasse zurückgekehrt ist – und jetzt wird klar, dass der Generalfeldmarschall einer falschen Information Globocniks aufgesessen ist. Göring ist außer sich, drängt darauf, dass Seyß-Inquart sich selbst zu Miklas begibt, und wiederholt sein Ultimatum: Wenn ihn Miklas nicht sofort zum Bundeskanzler ernenne, werde die Wehrmacht noch in dieser Nacht mit dem Einmarsch beginnen.

Inzwischen sind Rainer und Globocnik wieder zum Bundeskanzleramt gefahren, hier treffen sie wieder auf Seyß-Inquart, der sich weigert, zum Bundespräsidenten zu gehen, und auf Glaise-Horstenau; Generalleutnant Muff teilt Miklas daraufhin das neuerliche deutsche Ultimatum mit, doch der Bundespräsident bleibt bei seiner Haltung: Er ernenne keinen Bundeskanzler unter der Androhung von Gewalt. Österreich sei ein freier und unabhängiger Staat und bestelle ebenso frei und unabhängig seine Regierung. Auch Wilhelm Keppler, der aus Berlin in Wien eingetroffen ist, scheitert kurz darauf bei Miklas – Göring scheint die Nerven zu verlieren, droht wieder mit dem Einmarsch; Rainer und Globocnik drängen in der Säulenhalle des Bundeskanzleramts auf die „Machtübernahme“, sie wollen einen entsprechenden Befehl an die Gauleiter herausgeben, doch Keppler lehnt ein gewaltsames Vorgehen ab.

Von Staatssekretär Michael Skubl wird die Falschmeldung verbreitet, dass die Deutschen bereits einmarschieren würden; Miklas weigert sich weiter, die Nazis zu inthronisieren. Knapp vor 20 Uhr verkündet Schuschnigg in einer Rundfunkansprache seinen Rücktritt: „Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, daß wir der Gewalt weichen.“ Und er schließt: „So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“

Das Ende der Schuschnigg-Regierung, der „System-Zeit“, ist damit offiziell, die Nazis feiern ihren „Sieg“, ihr Exponent im Bundeskanzleramt ist Odilo Globocnik. Jetzt, im Augenblick des Zusammenbruchs der alten Ordnung, fühlt er sich so richtig in seinem Element, er genießt und spielt Regierung: Er ist der Mann, der am Telefon sitzt und Weisungen an die NS-Funktionäre erteilt, der Anfragen staatlicher Dienststellen beantwortet und Telegramme verschickt – all das im Namen von Innenminister Seyß-Inquart, der zwar um 20.18 Uhr im Rundfunk die Bevölkerung zu „Ruhe und Ordnung“ aufruft, ansonsten aber mit dem Aktionismus des „Machers“ Globocnik nicht mithalten kann.

In Berlin beraten Hitler und Göring die weitere Vorgangsweise, durch das Ultimatum – dessen Existenz gleichzeitig von Goebbels in einer „Richtigstellung“ des Deutschen Nachrichtenbüros bestritten wird – sind sie selbst unter Druck geraten: Reagieren sie nicht wie angedroht mit dem Einmarsch, verliert das Regime an Glaubwürdigkeit und Prestige. Der „Führer“ überlegt nicht allzu lange, die Chance, sich Österreich schon jetzt einverleiben zu können, ist da – und Hitler entscheidet sich dafür, die günstige Konstellation zu nützen. Euphorisch soll er sich in diesem Moment auf den Oberschenkel geklatscht und gerufen haben: „Jetzt geht’s los!“ Um 20.45 Uhr gibt er mit der „Weisung Nummer 2“ betreffend das „Unternehmen Otto“ den schriftlichen Einmarschbefehl. Der „Vormarsch der deutschen Wehrmacht nach Österreich“ solle am 12. März bei Tagesanbruch „nach Weisung Nummer 1“ stattfinden; begründet wird die Okkupation des Nachbarlandes nun doch mit der Feststellung: „Die Forderungen des deutschen Ultimatums an die österreichische Regierung sind nicht erfüllt worden.“ Der zweite Schönheitsfehler der „Weisung Nummer 2“: Seyß-Inquart und seine Nazi-Kumpane haben die deutsche Regierung noch gar nicht offiziell um Hilfe gebeten; dieses Mäntelchen zur Legitimierung muss nachträglich konstruiert werden: Wilhelm Keppler erhält von Göring den Auftrag, für ein entsprechendes Telegramm Seyß-Inquarts nach Berlin zu sorgen. Doch der Ex-Innenminister und Noch-nicht-Bundeskanzler – inzwischen hat Miklas den Rücktritt der Regierung Schuschnigg bestätigt – weigert sich, das gehöre nicht zu seiner Aufgabe als österreichischer Innenminister. Schließlich wird ein Telegramm-Text formuliert, der von Reichspressechef Otto Dietrich an das Deutsche Nachrichtenbüro weitergegeben wird – eine Fälschung, mit der sich Seyß-Inquart einverstanden zeigt.