Der Sklavenwiderstand

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Nico

Schicksalsschlag

Die Strahlen der aufgehenden Sonne krochen in den Raum und kitzelten ihn im Gesicht. Verschlafen öffnete Nico die Augen und brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo er sich befand. Seine Herrin schlief noch seelenruhig neben ihm. Das wäre der perfekte Zeitpunkt, um sie zu töten und frei zu sein. Aber wo sollte er dann hin? Die Menschen würden Jagd auf ihn machen. Soweit er wusste, war Jusmin ein Wüstenplanet. Außerhalb der magischen Kuppel, dem Herrschaftsgebiet der Menschen, würde er keine Minute überleben. Um nach Hause zu kommen, brauchte er ein Portal. Dafür benötigte er einen Magier. Und kein Magier würde ihm helfen. Zudem war Nico in erster Linie immer noch ein Feigling und hatte weder den Mut zu kämpfen noch zu morden. Er war ein Hundewesen und kein Mensch.

Möglichst leise stieg er aus dem Bett und schlich aus dem Raum. Nach einem kurzen Besuch im Bad nebenan, entschied er, das Frühstück für seine Herrin und Logan zuzubereiten. Nathi war bisher nett zu ihm gewesen. Ein zusätzlicher Punkt, ihr nichts anzutun. Bei Logan, dem Mörder seines Rudels, sah es anders aus. Diesem würde er nur zu gerne Gift unter das Essen mischen. Das Risiko erwischt zu werden, war jedoch viel zu groß.

Als er gerade eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee auf den Esstisch stellte, kamen auch schon die zwei Menschen, vollständig angezogen, in den Raum hinein. Ganz in seinem Sklavendasein gefangen, hob er seiner Herrin den Stuhl an und legte ihr anschließend eine Serviette auf den Schoß. Als Nächstes setzte er sich rechts hinter ihr auf seine Beine und wartete auf weitere Anweisungen.

»Oh, das hast du gut gemacht, Nico. Und der Kaffee ist ganz nach meinem Geschmack«, schwatzte die Herrin noch leicht schlaftrunken. Dankbar für diese Worte neigte er demütig den Kopf und erwiderte: »Danke, Her-«

»Schweig, Sklave! Nathi, so kannst du doch nicht mit einem Sklaven reden. Man bedankt sich nicht bei solchem Abschaum. Es hat nur seine ihm zugewiesene Arbeit erledigt«, fuhr Logan dazwischen. »Du solltest dir die Sklavenregeln durchlesen. Oder willst du uns zum Gespött der Leute machen? Das werde ich nicht zulassen! Ich werde dir gleich nach dem Frühstück ein Regelwerk zukommen lassen. Und nun guten Appetit, kleine Schwester.«

»Hab Dank für deine Hilfsbereitschaft. Aber mal eine Frage«, quasselte die Frau drauflos und wartete einen Augenblick, bis ihr Bruder ihr Gehör schenkte. Dieser nahm gerade einen Schluck Kaffee und nickte dabei, um zu zeigen, dass er ihr zuhörte. »Also, Nico wird nicht mit uns zusammen am Tisch essen, oder?«

Einen Augenblick geschah nichts. Dann plötzlich prustete Logan entsetzt los und spuckte dabei den Kaffee quer über den Tisch. »Nein!«, war alles, was er in dieser Situation noch herausbrachte.

Dann lachte Nathi schrill auf und deutete mit dem Finger auf ihren fassungslosen Bruder. »Oh. Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Das war nur ein Scherz, Logan«, gestand sie, nachdem sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte.

Ihr Bruder fand das nicht so lustig und machte seinem Ärger Luft: »Sklave! Was sitzt du da so herum? Mach gefälligst sauber, du Nichtsnutz.«

Als Nico hastig aufsprang, befahl Nathi plötzlich: »Nico, sitz.« Verwirrt gehorchte er und sah vom Boden aus zu seiner Herrin empor. Er verstand nicht, was hier gerade los war.

»Ich sagte: Mach sauber, Sklave«, schrie Logan und sah wütend hinunter. Wie geschlagen zuckte Nico gequält zusammen, blieb aber an Ort und Stelle. Er musste schließlich seiner Herrin gehorchen, auch wenn er sich damit Logans Zorn zuzog.

»Aber, Bruder, du hast ihn mir geschenkt. Nico hört nur auf mein Kommando.« Sie drehte sich leicht zu ihm und tätschelte ihr Bein, wobei sie sagte: »Gib Pfötchen.« Vorsichtig kam Nico dem Befehl nach und legte seine Pfote auf ihr Bein. Ängstlich sah er ihr dabei in die Augen.

Auf einmal, es ging so schnell, dass er sich nicht sicher war, dass es wirklich geschah, blinzelte sie ihm verschwörerisch zu. Dann hob sie die Hand und tätschelte seinen Kopf. »Braves Hündchen.«

»Nathi, das ist ein Wesen, ein Sklave, kein Haustier!«, beschwerte sich Logan und schüttelte missbilligend den Kopf.

»Er ist doch so süß. Da kann ich einfach nicht anders. Aber gut. Nico, mach bitte sauber.« Sofort sprang dieser auf die Beine und ging in die Küche, um einen Lappen holen.

Mit seinen Ohren konnte er noch hören, wie sie ihren Bruder tadelte: »Logan, ich rede mit meinem Sklaven, wie ich das möchte. Ein wenig Höflichkeit hat noch keinem geschadet. Wir sind immerhin zivilisiert und keine Höhlenmenschen. Hier zu Hause sind wir Bruder und Schwester, also sprich nicht so überheblich mit mir. Ich bin keiner deiner Novizen.«

Während Nico damit beschäftigt war, den Tisch und den Boden vom Kaffee zu befreien, erhob der Magier erneut das Wort: »Da wir gerade davon sprechen. Ich habe einen wichtigen Auftrag bekommen und möchte dich als meine Vertretung in der Akademie benennen. Was sagst du dazu?«

»Hm, dann habe ich weniger Zeit zum Studieren, aber ich nehme diese Ehre gerne an. Professorin Nathalie, klingt doch gut, oder?«, sprach sie vergnügt. Als Antwort bekam sie ein Nicken, anschließend wandten sich beide ihrem Frühstück zu.

Nachdem die beiden gegessen hatten, bemerkte Logan: »Ich werde jetzt in die Akademie gehen und dort alles vorbereiten. Ab morgen wirst du meine Novizen übernehmen. Sei bitte nicht zu nett zu ihnen. Sie sollen lernen und sich keinen faulen Lenz machen. Ich werde dir später den Lehrplan für die nächsten Tage zukommen lassen.« Nachdenklich gab er noch die Anweisung: »Ich rate dir, deine Abwehrrunen immer zu erneuern, du wirst sie benötigen. Bis heute Abend, Schwester.« Keine Sekunde später verschwand Logan in dem Wirbel aus Runen. Kaum war er weg, da entwich Nathi ein schweres Seufzen und sie suchte den Blickkontakt mit dem Sklaven.

»Nico, wenn du mit dem Abräumen fertig bist, komm bitte zu mir«, erklärte sie und machte es sich in ihrem Sessel bequem. Das Buch vom Tag zuvor schwebte mit einer Handbewegung ihrerseits auf sie zu und schon war sie wieder in ihr Studium vertieft. Nico indes beeilte sich, seine Aufgabe zu erledigen. Insgeheim wollte er unbedingt wissen, was seine Herrin von ihm wollte, denn eines stand fest: Sie hatte ihn vor Logan in Schutz genommen.

»Herrin, ich bin fertig und hier ist Euer Tee«, sagte er und schenkte ihr das Gebräu ein. Mit einem musternden Seitenblick beobachtete sie, wie er zwei Löffelchen Zucker in die Tasse gab und umrührte, bevor er ihr anschließend das Getränk reichte. Sie pustete ein wenig und nahm einen Schluck. »Du hast dir gemerkt, wie viel Zucker ich in meinen Tee gebe. Du bist sehr aufmerksam. Wenn du schnell lernst, kann ich wesentlich mehr mit dir anfangen, als dich nur für den Haushalt einzusetzen.«

»Wie Ihr wünscht, Herrin. Was soll ich für Euch tun?«, fragte Nico wissbegierig und neigte demütig den Kopf.

»Das werden wir sehen. Aber zuerst gehst du einkaufen. Hier, ich habe dir aufgeschrieben, was ich benötige. Also, durch diese Tür kommst du hinaus.« Sie deutete auf eine der schweren Holztüren und übergab ihm einen Zettel. »Du gehst die Treppe hinunter, bis es nicht mehr weitergeht. Dann kommst du direkt auf dem Marktplatz raus. Gib dem Händler dieses Amulett zur Bezahlung.« Streng hob sie einen Finger. »Verlierst du dieses Amulett, ist dein Leben verwirkt. Du gibst es dem Händler, der stempelt damit den Kaufvertrag ab und gibt es dir zurück. Und jetzt geh.«

»Zu Befehl, Herrin«, sagte Nico gehorsam, verneigte sich tief und nahm das wertvolle Kleingut entgegen. Beim Umdrehen hörte er die Magierin murmeln: »Ich muss den violetten Heiltrank ersetzen«, doch da sie offenbar mit sich selbst sprach und nicht mit ihm, ignorierte er diese Aussage und machte sich rasch auf den Weg, um seinen Auftrag zu erledigen.

Am besten wäre es, er behielte das Amulett die ganze Zeit über in der Pfote. Auf keinen Fall durfte er es verlieren. Nach etwa einer Viertelstunde hatte er endlich das Ende der ewig langen Treppe erreicht.

»Oh, das wird lustig mit den Einkäufen wieder hochzusteigen«, stöhnte er mitleidig und ruhte sich kurz aus. »Mal sehen, was ich überhaupt besorgen soll.« Auf dem Zettel stand: Eine Phiole unreines Blut der 4. Stufe. Angewidert streckte er die Zunge raus, wobei ihm ein »Bäh« entwich.

Nico wusste zwar nicht, was es mit diesem Blut auf sich hatte, entschied sich aber, nicht weiter darüber nachzudenken. Es war ein Auftrag seiner Herrin und den musste er erledigen, ob er wollte oder nicht.

Mit einer tiefen Verbeugung fragte er eine der umherlaufenden Wachen, der gerade an ihm vorbeikam, nach dem richtigen Laden dafür und bekam eine genaue Wegbeschreibung. Einen kleinen Fußmarsch später war er dort angekommen und sah sich erstaunt um. Die Läden bestanden aus kleinen Zelten, in denen die Händler ihre Ware ausstellten. Über den Eingängen waren Schilder angebracht, auf denen stand, was diese Geschäfte verkauften. Auf einem dieser Schilder stand: Blutphiolen, und so betrat er das zugehörige Zelt. Die Wände im Innern waren mit Schränken in verschiedenen Größen vollgestopft und in diesen befanden sich unzählige gläserne Flaschen mit unterschiedlich gefärbten Flüssigkeiten. Bei dem starken Geruch nach Blut zog Nico unwillkürlich die Nase kraus.

Schnell trat der Händler vor ihn und fragte missgelaunt: »Ah, du musst Nathalies kleines Haustier sein.«

»Ihr wisst von mir?«, fragte Nico erstaunt.

»Natürlich. Gerüchte sprechen sich schnell herum. Was sollst du denn besorgen, dass du in meinen Laden kommst?«

»Ich soll«, Nico schaute auf den Zettel und las vor, »eine Phiole unreines Blut der 4. Stufe erwerben, mein Herr.« Unterwürfig verbeugte er sich rasch und hoffte, dieses seltsame Zelt schnell verlassen zu können.

 

»Hm. Ich führe verschiedene Sorten von Blut. Was genau möchte denn deine Herrin: Katzenblut, Hundeblut oder vielleicht sogar Menschenblut?«

Noch einmal verbeugte sich Nico tief und erklärte: »Es tut mir leid, mein Herr, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur das, was ich Euch bereits gesagt habe.«

Als Nico aufschaute, sah er ein diebisches Grinsen im Gesicht des Händlers und dieser fragte zuckersüß: »Dann wähle. Was darf es sein?«

»I-ich«, stammelte Nico überfordert, wobei das Grinsen im Gesicht seines Gegenübers noch breiter wurde. Der Händler drehte sich um und griff in eines der Regale. Anschließend hielt er eine Phiole mit dunkelrotem dickflüssigem Inhalt in der Hand und zeigte ihm diese. »Das hier ist unreines Menschenblut der 4. Stufe. Darf es sonst noch was sein?« Bei dem Anblick der Flüssigkeit drehte sich Nico der Magen um und er musste sich stark zusammenreißen, um sich nicht gleich zu übergeben.

Angewidert musterte er das Gesicht des Menschen, um sich von der Phiole abzulenken. Dieser zeigte ein hinterhältiges Grinsen und ihm kam der unangenehme Gedanke, dass er übers Ohr gehauen wurde. »Wofür wird dieses Blut benötigt?«

Für einen Sekundenbruchteil entgleisten die Gesichtszüge des Händlers, dann erklärte er überrumpelt: »Dieses Blut wird für spezielle Zauber des 5. Grades verwendet.« Schnell erinnerte sich Nico daran, was seine Herrin gemurmelt hatte: »Ich muss den violetten Heiltrank ersetzen.« Schnell kam er zum Schluss, dass diese Phiole die falsche war und so wollte er wissen: »Welches Blut wird für Heiltränke benötigt?«

»Kommt drauf an«, erwiderte der Mensch ausweichend und zog drei weitere Phiolen aus dem Regal. »Katzenblut, Hundeblut und Fledermausblut werden normalerweise verwendet.«

»Haben alle drei dieselbe Wirkung?«

»Nein, es kommt auf die Stärke des gewünschten Ergebnisses an. Das Fledermausblut ist am besten für Knochenbrüche, Katzenblut für Schnittverletzungen und Hundeblut für innere Wunden geeignet.«

Nico dachte kurz nach. Er hatte einen Trank trinken sollen und sein Hintern tat ihm nun nicht mehr weh. Also entschied er sich für das unreine Hundeblut und bezahlte artig mit dem Amulett. Der Händler indes schien gar nicht glücklich über diese Entscheidung, ließ es damit aber auf sich beruhen.

Brummend zog der Mann einen Zettel hervor und schrieb auf, was Nico gekauft hatte. Anschließend legte er das Amulett auf einen dafür vorgesehen Bereich. Es leuchtete auf und als der Händler es anhob, hinterließ es einen perfekten Abdruck auf dem Papier. Anschließend übergab er es an Nico und legte den Zettel auf einen Haufen, auf dem schon andere Zahlscheine lagen.

*

Nico hoffte inständig, nicht allzu oft die Treppe des Turms hochsteigen zu müssen. Nach diesem Kraftakt hatte er einige Minuten benötigt, um wieder zu Atem zu kommen.

Kurze Zeit später betrat Nico das Wohnzimmer und ging direkt auf seine Herrin zu.

»Welches Blut hast du für mich erworben?«, fragte sie ohne aufzusehen.

»I-ich habe unreines Hundeblut der 4. Stufe für Euch gekauft.«

»Warum genau dieses?«

»Ich habe den Händler nach der Verwendung gefragt und dieser sagte, dass es für Heiltränke für innere Verletzungen benutzt wird. Da Ihr mir einen solchen gegeben habt, dachte ich, das wäre das Richtige.«

Erstaunt sah die Magierin auf und nickte anerkennend: »Ja, das war genau das Richtige. Gut gemacht.«

Gegen seinen Willen breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. Seine Herrin hatte ihn gelobt. Dann erst wurde ihm die ganze Tragweite der Situation bewusst und er musste hart schlucken.

War das ein Test gewesen? Wenn ja, hatte er ihn bestanden? Aber was wäre, wenn er ihn nicht bestanden hätte? Hätte seine Herrin ihn dann verstoßen? Oder wollte sie nur herausfinden, wie schlau er war? So etwas in der Art hatte sie vorher angedeutet. Er erinnerte sich an ihre Worte: »Wenn du schnell lernst, kann ich wesentlich mehr mit dir anfangen, als dich nur für den Haushalt einzusetzen.«

*

So kam es mit der Zeit, dass Nico sich mehr als einen Bediensteten im Hause seiner Herrin sah denn als Sklave.

Er trug keine schäbigen Kleiderreste mehr, sondern dieselbe Kleidung wie die Normalos, die Nicht-Magier. Der einzige Unterschied war, dass sich auf seiner Brust das Zeichen der Magier befand – ein deutliches Symbol seines Ranges innerhalb der von Magiern beherrschten Gesellschaft.

Ja, das Leben meinte es gut mit ihm. Unter dem Schutz seiner Herrin und mit deren Autorität blühte er allmählich wieder auf. Als Nathalie in die Akademie ging, um dort zu unterrichten, kam er mit ihr und nach einigen kleinen Zwischenfällen wurde er sogar von den Novizen als rechte Hand der Professorin anerkannt.

Auch wuchs er in die Rolle des Dieners, welche seine Herrin ihm auferlegt hatte. Sein Wissen über die Alchemie und die Magie wuchsen Tag für Tag, Jahr um Jahr.

Nachdem Logan merkte, wie gut Nathalie seinen Platz ausfüllte, übergab er ihr dieses Amt auf Dauer und widmete sich wichtigeren Dingen. Was Logan genau machte, blieb Nico lange ein Rätsel. Jedenfalls sprach dieser niemals über seine Arbeit und er war nicht so dumm, ihn danach zu fragen. Von den Novizen lernte Nico die strenge Rangordnung der Magier kennen und erkannte, welch hohe Position Nathis Bruder besetzte. Es gab etwa tausend Novizen, aber nur zwölf Magier in der höchsten offiziell erreichbaren Stufe: dem 10. Grad.

Nico war es gleich. Er war ein Wesen und als solches nicht mehr als ein Sklave mit Sonderregeln. Niemals würde man ihm gestatten, Magie zu erlernen. Er nahm sein Schicksal an und versuchte nicht, daraus zu entfliehen. Zu viel Wissen könnte tödlich für ihn enden.

Zum ersten Mal seit seiner Versklavung war er glücklich. Auf dem Markt der Magier freundete er sich sogar mit Marak, dem Kaffeehändler an, der immer einen heißen Kaffee für ihn bereithielt.

Nach einigen Monaten bekam er von Logan höchstpersönlich einen blauen Teleportstein ausgehändigt. Mit diesem konnte Nico in das Zimmer des Magiers hinein und dort sauber machen. Logan war es wohl leid, seine Zeit mit derlei niedriger Arbeit zu vergeuden.

Drei Jahre vergingen wie im Flug und Nathalie wurde immer mächtiger. In rasantem Tempo stieg sie auf und stand im 6. Grad kurz vor der Prüfung in die nächste Stufe. Auch mit ihrer neu gewonnenen Macht blieb sie sich treu und behandelte Nico weiterhin als Diener und nicht als Sklaven.

*

Eines Tages schlug das Schicksal abermals mit aller Macht zu.

Versehentlich hörte Nico ein Gespräch, das er nicht hätte hören dürfen. Tief in seiner Arbeit versunken, bemerkte er nicht, wie Logan sein Gemach betrat. Dieser nahm ihn anscheinend auch nicht wahr. Hinter dem Vorhang zur Toilette verborgen, hörte er, wie sich der Magier mit einem Spiegel unterhielt und der Spiegel antwortete!

Logans unheilvolle Stimme dröhnte in den Raum hinein: »Die geplante Ausbeute übertrifft unsere Erwartungen, Eure Exzellenz.«

Eine tiefe und mächtige Stimme klang dumpf aus dem Spiegel hervor: »Wir sind unter uns. Sprich frei heraus, Großinquisitor.«

»Natürlich, wie Ihr wünscht. Ich hätte nie gedacht, dass die Seelen von Wesen so viel Energie besitzen. Das bringt uns viele neue Möglichkeiten, Eure Exzellenz. Ich werde Euch über die Geschehnisse auf dem Planeten Lovines auf dem Laufenden halten. Bisher kann ich nur berichten, dass meine Hochrechnungen eine gewaltige Menge an Seelenkristallen prophezeien. Mit Eurer Erlaubnis würde ich gern einen weiteren Planeten als Seelenfarm hinzufügen.«

»Nein, das ist noch zu früh. Zuerst will ich Resultate sehen. Wie lange wird es noch dauern, bis die Kristalle erntereif sind? Der Nachschub an Seelenkristallen von der Erde ist in den letzten fünfzig Jahren deutlich zurückgegangen. Und auch die Qualität lässt zu wünschen übrig.«

»Nach meinen bisherigen Berechnungen können die ersten Kristalle in wenigen Monden geerntet werden. Ich muss jedoch erwähnen, dass ein Rückgang der Kampfhandlungen zu verzeichnen ist. Ich werde mich darum kümmern und den Krieg etwas anheizen.«

»Die Beschaffung neuer Seelenkristalle hat oberste Priorität. Wir müssen unbedingt unsere Vorräte aufstocken. Großinquisitor, ich entsende dich zur Erde, um die Ernte der Menschenseelen voranzutreiben. Dieser Krieg der Wesen darf allerdings auch nicht aus den Augen gelassen werden. Ich werde einen Inquisitor nach Lovines beordern, der sich dort um den Krieg kümmern wird. Wenn deine Prognosen sich als wahr herausstellen, werde ich Schritte einleiten, um weitere Planeten zu bewirtschaften. In diesem Fall brauchen wir die Erde nicht mehr und die vollständige Liquidierung der dortigen Menschen kann erfolgen.«

»Mit Verlaub, Eure Exzellenz, was wird aus den Menschen, Wesen und Magiern auf Jusmin?«

»Bis ich Resultate sehe, geschieht nichts ohne meine Zustimmung. Wir behalten den aktuellen Status bei und sehen Jusmin als Reserve an. Sollten deine Berechnungen falsch sein, dann wird dieser Planet zur Seelenernte freigegeben und wir ziehen weiter. Das wird allerdings dann nicht mehr deine Sorge sein. Einen Fehlschlag werde ich nicht tolerieren.«

Logan räusperte sich und die Stimme aus dem Spiegel fragte ungehalten: »Gibt es noch etwas?«

»Ja, Eure Exzellenz. Mir sind beunruhigende Gerüchte über eine Widerstandsbewegung aus entflohenen Sklaven zu Ohren gekommen. Ich würde vorschlagen -«

»Das ist eine Angelegenheit für den Großmagnaten. Sollen die Normalos sich allein mit ihrem selbstgemachten Problem auseinandersetzen. Ich werde keinen Magier abstellen, um deren Dreck wegzuräumen. Du hast deine Anweisungen. Das Gespräch ist beendet.«

Nico machte sich während des Wortwechsels so klein wie möglich und hoffte inständig, nicht entdeckt zu werden. Logan war der Großinquisitor! Die rechte Hand des Erzmagiers. Die Identität des Großinquisitor und der beiden Inquisitoren war geheim. Niemand wusste wer sie waren. Zudem diese drei von allem gefürchtet wurden.

Zu seinem Glück blieb Nico unentdeckt. Kurz nach Beendigung der Unterhaltung verschwand Logan wütend vor sich hin murmelnd und er war fürs Erste sicher. Von Marak, dem Kaffeehändler hatte er einiges über die Geschichte der Menschen erfahren und war äußerst bestürzt über diese Enthüllung. Die Erde, die Heimatwelt der Menschen, war also gar nicht verloren. Der Erzmagier und die Seinen nutzten sie als Seelenfarm. Sollte er seiner Herrin von diesem Gespräch berichten? Was würde sie dann tun? Was würde mit ihm passieren, wenn Logan erfahren würde, dass er mitgehört hatte? Nico entschied sich, erst einmal nichts zu sagen und verschwand eilends aus dem fensterlosen Raum.

*

Wenig später nahm Nathalie ihn mit in das gewaltige Einkaufscenter der Normalos. Sie hatte dort geschäftliches zu erledigen. Während die Magier das schlichte und einfach bevorzugten, umgaben sich die Nichtmagier mit ihrer Technik und modernen Errungenschaften.

Nach einem kurzen Gespräch mit einem der Händler wurden sie in einen leeren Raum geführt. Dort warteten die beiden auf dessen Rückkehr.

Kaum, dass sich die Tür geschlossen hatte, wandte sich Nathalie ihm zu und musterte ihn scharf. »Nico, was ist los mit dir? Du bist den ganzen Tag schon sehr seltsam drauf. Ich habe gesehen, wie du angewidert den Mund verzogen hast, als wir vorhin am Kristallschalter der Bank waren. Also sprich. Sag mir, was los ist!«

Hatte er sich so verräterisch verhalten? Was sollte er jetzt tun? Konnte er seine Herrin, der er so viel verdankte, denn belügen? Nein, das konnte er nicht und so erzählte er ihr alles, was er am Morgen gehört hatte. Nathi sah ungläubig zu ihm auf. »Logan. Ist. Der. Großinquisitor?! Und sie haben Zugang zur Erde, unserer Heimat? D-das ist … unglaublich!«

»Ja, Herrin, das hat er gesagt«, antwortete Nico ergeben. »Was werdet Ihr jetzt tun, Herrin?«

Plötzlich sagte eine männliche Stimme: »Das ist eine gute Frage.« Aus dem Nichts erschien Logan mitten im Raum und sah von einem zur anderen. Nathi starrte irritiert ihrem Bruder entgegen, wohingegen Nico auf die Knie sank, den Kopf auf den Boden drückte und ängstlich zu zittern begann.

»Logan, was machst du denn hier?«, fragte Nathalie bestürzt.

»Ich bin hier, um deine Antwort auf diese Frage zu hören. Ja, ich bin der Großinquisitor und ja, wir haben Zugang zur Erde. Wir haben ihn nie verloren. Die Erde und all ihre Bewohner dienen uns als Seelenschmiede für die Herstellung der Seelenkristalle.«

 

Gespanntes Schweigen breitete sich in dem Raum aus. Nur unterbrochen von Nicos heftiger Atmung. Er hatte Angst. So entsetzliche Angst. Vor Logan. Vor dem, was dieser ihm antun würde.

Er konnte hören, wie Nathalie einmal tief durchatmete. »Was soll dieser Wahnsinn, Bruder? Warum tut ihr das?«

»Ewiges Leben und mehr Macht, als du dir vorstellen kannst.«

»Ich verstehe nicht.«

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, kleine Schwester, welch unvergleichbare Macht diesen Kristallen innewohnt. Die meisten sehen sie nur als Währung an, aber das ist nur eine geschickte Tarnung. Ihre wahre Kraft ist in ihnen verborgen. Die Macht der Seelen lässt sich direkt in verschiedene Zauber umsetzen. Nur wenige wissen darüber Bescheid.«

»Wie genau sammelt ihr Seelen und schließt diese in Kristalle ein?« Nathalies Stimme zitterte vor Anspannung.

»Ich wusste, du würdest es verstehen. Nun, das ist ganz einfach. Du nimmst einen leeren Rohkristall, aber nicht irgendeinen, er muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie die molekulare Dichte und die Kristallgitteranordnung und … Du nimmst also den Kristall und legst einen Seelensammelzauber auf ihn. Dann muss nur noch ein Lebewesen in seiner Nähe sterben – und voilà, der Kristall beginnt sich aufzuladen.«

»Wie stellt ihr sicher, dass sich die Sterbenden in der Reichweite der Kristalle befinden? Oder habt ihr diese unter jedem Krankenhaus und Seniorenheim platziert.«

Gehässig lachte Logan auf. »Eine solche Praxis wäre viel zu Umständlich. Wir lassen die Menschen auf der Erde doch nicht einfach frei herumlaufen. Wir züchten sie in Tanks und ernten ihre Seelen, nachdem sie alt genug sind. Das hat sich als die effektivste Methode herausgestellt.«

Entsetzt japste sie nach Luft und stammelte: »Das ist Mord! Wie kannst du bei so etwas mitmachen?«

Logans boshaftes Lachen hallte von den Wänden wider. »Es sind doch nur Normalos.«

»Es sind Menschen. Menschen wie du und ich.«

Zaghaft hob Nico ein wenig den Kopf und sah die emotionslose Miene des Magiers. »Wie du und ich? Normalos sind Abschaum. Nicht mehr als Nutzvieh. Kaum mehr wert als Wesen. Ihr einziger Nutzen ist es, neue Magier zu zeugen und für uns, die Herrenrasse, zu arbeiten.«

»Hegst du immer noch einen Groll gegen die Normalos? Logan, das ist schon so lange her, komm zur Besinnung.«

Voller Wut verzerrte sich das Gesicht des anderen. »Ich werde den Normalos niemals vergeben, was sie uns angetan haben.«

»Logan, wir waren Kinder. Sie waren Kinder. Es war doch nur ein Streich. Ein dummer Kinderstreich.«

Ein gehässiges Schnauben war die Antwort. »Dumme Kinder, die zu dummen Erwachsenen wurden. Viele Jahre musste ich warten, schlussendlich war die Rache mein.«

Logan zog einen gelblichen Kristall aus seinem Umhang. Mit einem diabolischen Grinsen sagte er: »Ihre Seelen mehren nun meine Macht. Damit sind sie immerhin für etwas von Nutzen.«

»Logan!«

Der Magier ließ den Seelenkristall verschwinden und hob eine Hand. »Genug davon. Ich werde mich nicht weiter rechtfertigen. Der Erzmagier hat große Pläne. Pläne, über die ich nun endlich mit dir reden kann. Dafür muss ich deinem Sklaven danken. Durch ihn konnte ich den Zauber des Erzmagiers umgehen, welcher mich zur Verschwiegenheit gezwungen hatte.«

Er breitete die Arme vor sich aus und enthüllte: »Wir werden eine neue Zivilisation erschaffen. Eine Zivilisation von unsterblichen Magiern, welche die Macht haben werden, Planeten und sogar ganze Sonnensysteme nach ihrem Ermessen zu formen. Dann kann uns nichts mehr aufhalten!«

Auf einmal änderte sich Logans Blick und er wurde kalt, wobei seine Augen auf Nico ruhten. »Nur eines musst du noch erledigen. Dein Sklave hat zu viel gehört. Töte ihn. Aber keine Sorge, seine Seele geht nicht verloren. Unter allen bewohnten Bereichen haben wir Rohkristalle versteckt. Wir wollen keine Seelen verschwenden. Ich muss dir noch so vieles zeigen! Aber eines nach dem anderen. Zuerst töte den Sklaven!«

Was dann geschah, ging so schnell, dass Nico nicht einmal Zeit hatte zu reagieren. Von ihrem Bruder unbemerkt, hatte Nathi ihre magische Kristallkugel hinter dem Rücken hervorgeholt. Die glatte Oberfläche pulsierte von den ganzen Runen, welche sich darauf bewegten. Sie schrie laut: »Nein, das werde ich nicht!«

Da schoss auch schon die Sphäre um ihren Körper herum und entlud ihre Macht in einen Strom magischer Energie – gerichtet auf Logan. Auf dessen Robe erschienen Schutzrunen und lenkten einen Großteil des Strahles ab.

Der klägliche Überrest des Zaubers traf ihn an der Brust und er geriet mit aufgerissenen Augen ins Schwanken. Bevor er sich von diesem Angriff erholen konnte, wirkte Nathalie einen zweiten Zauber und der goldene Stab des Magiers flog aus dessen Ärmel hervor und schoss auf sie zu. Geschickt fing sie den Runenspeicher mit einer Hand und richtete dessen Spitze auf ihren Bruder.

Nicos Wissen war zwar lückenhaft, aber ein Magier, der seinen magischen Gegenstand verloren hatte, war so gut wie schutzlos. In diesen Gegenständen – jeder Magier fertigte sich seinen eigenen - wurden die Runen für ihre Zauber gespeichert. Ein gewaltiger Nachteil der Runenmagie war es nämlich, dass ein Zauber lange Vorbereitungen brauchte und im Kampfgetümmel dafür keine Zeit war. Deshalb bereiteten sich die Magier im Vorfeld auf solche Ereignisse vor und speicherten ihre Zauber in einem dafür geeigneten persönlichen Gegenstand. Somit konnten sie diese jederzeit abrufen und entfesseln. Allgemein nannten sie dieses Arbeit Runenschmieden.

»Ich werde mich niemals an einem Völkermord beteiligen. Ich werde eure Machenschaften der Öffentlichkeit preis geben. Das Spiel ist aus«, fuhr sie ihren Bruder wütend an. Auf ihrer Kugel, sowie auf dem goldenen Stab, erschienen unzählige Runen, doch noch entfesselte sie deren Macht nicht. Logan stand da wie vom Donner gerührt und sah ungläubig zu ihr.

Plötzlich lachte er völlig wahnsinnig. Bei diesem Geräusch lief es Nico eiskalt den Rücken hinunter. »Du willst mich aufhalten? Oh, arme kleine Schwester, dein Geist ist vernebelter, als ich dachte. Ich werde mich selbst um deinen Sklaven kümmern und dann werde ich dich wegsperren, bis du zur Vernunft kommst.«

»Sei vernünftig, Logan. Ich habe deinen Stab, du kannst nichts gegen mich unternehmen«, versuchte sie, ihn zur Besinnung zu bringen.

Mit einer fließenden Bewegung griff er in seine Robe und zog ein Messer hervor. Genau in diesem Moment entlud sich die Macht der Runen und eine weitere, viel stärkere Welle aus reiner Magie schoss auf ihn zu. Logan hob eine Hand und wischte den Zauber einfach beiseite.

»Das … das ist unmöglich!«, stotterte Nathi.

»Sieh die Macht von tausenden Seelen, welche durch meine Adern fließt. Ich brauche nun keinen Runenspeicher mehr, um meine Magie zu wirken«, erwiderte Logan. Das Messer in seiner Hand schoss hervor und traf Nico an seiner linken Wange und anschließend am Arm. Es fügte ihm einen tiefen Schnitt zu und flog wie ein Bumerang zurück zu seinem Herrn. Nico kroch panisch zurück und versuchte mehr Abstand zwischen sich und seinen Angreifer zu bringen.

»Adieu, Sklave!« schrie Logan und schickte seine Waffe zum Todesstoß los.

Nico hatte keine Chance. Er war einfach zu langsam und vor Angst gelähmt. Das würde sein Ende sein. Das Messer flog direkt auf sein Herz zu und er schloss die Augen. Gegen Logans Magie war er vollkommen machtlos. Doch der Schmerz kam nicht. Das Rascheln von Kleidung war zu hören und etwas Schweres fiel zu Boden. Nico riss die Augen auf und erblickte seine Herrin, die vor ihm lag. Aus ihrem Oberkörper ragte das Messer hervor.

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