Prüfungen erfolgreich bestehen im Fach Ökologie

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2 Evolutionärer Hintergrund

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen großen Garten, in dem Sie zwei Nistkästen aufgehängt haben. In beiden Kästen nisten Kohlmeisen (Parus major) mit einem Gelege aus jeweils sechs Eiern. Aus den Eiern schlüpfen nach 2–3 Wochen die Küken, und die Eltern müssen nun das Futter für ihre Nachkommen heranschaffen. Das eine der beiden Männchen ist allerdings sehr auffällig gefärbt, wodurch ein Sperber (Accipiter nisus) schnell auf es aufmerksam wird und es nach kurzer Jagd mit seinen Fängen ergreift und tötet. Das Weibchen muss seine Jungen nun alleine großziehen. Da es aber alleine deutlich weniger Futter einträgt, überleben nur drei der sechs Küken, bis sie flügge werden. Zwei von Ihnen sind ebenfalls auffällig gefärbt, da sie dieses Merkmal von ihrem Vater geerbt haben. Auch diese beiden werden kurz nach dem Ausfliegen von dem Sperber erbeutet und gefressen und das dritte überlebt den darauffolgenden sehr harten Winter nicht, weil es nicht ausreichend Energiereserven hatte. Bei dem anderen Meisenpaar tragen beide Eltern das Futter ein. Hier sind alle Küken unauffällig gefärbt und überleben bis zum Ausflug, allerdings sterben drei davon ebenfalls im darauf folgenden Winter. In diesem Beispiel werden also nur die unauffällig gefärbten Küken im nächsten Jahr zur Fortpflanzung kommen, da alle Individuen mit einer auffälligen Gefiederfärbung durch den Prädator ausselektioniert wurden. Das Männchen mit der auffälligen Gefiederfärbung hat daher eine geringere Fitness als das Männchen mit der unauffälligen Gefiederfärbung und bringt keine Gene in die nachkommende Generation ein.

Diese Geschichte soll Ihnen die Grundprinzipien der Evolutionstheorie von Darwin veranschaulichen. Individuen mit dem größten Reproduktionserfolg haben die größte Fitness und beeinflussen die genetischen Merkmale der nachfolgenden Generationen. Hier ist es allerdings wichtig zu bemerken, dass sich die auffällige Gefiederfärbung unter anderen Umweltbedingungen auch positiv auf die Fitness des Männchens auswirken könnte. Wäre der Prädator z.B. nicht vorhanden gewesen, hätte die auffällige Gefiederfärbung auch den Reproduktionserfolg des Männchens erhöhen können, da es durch seine auffällige Färbung eine hohe Attraktivität für Weibchen hat (Sexuelle Selektion) und daher auch mit dem Nachbarweibchen in einem Seitensprung Nachkommen gezeugt hätte. Dies zeigt, dass die Selektion von Merkmalen von den jeweils vorherrschenden Umweltbedingungen abhängt und nicht zielgerichtet ist.

2.1 Fragen und Antworten

 Die natürliche Selektion

 Die Evolution innerhalb von Arten

 Die Ökologie der Artbildung

 Klimatische Auswirkungen und Kontinentaldrift

 Konvergente oder parallele Evolution

2.1.1 Die natürliche Selektion

A Auf welchen fünf grundlegenden Erkenntnissen baut die Evolutionstheorie von Darwin auf?

1 Die Individuen einer Population sind nicht identisch.

2 Die Variabilität zwischen Individuen ist zumindest zum Teil erblich, d.h. sie hat eine genetische Grundlage, welche an die Nachkommen weiter vererbt werden kann.

3 Alle Populationen reproduzieren Nachkommen im Überschuss. Die Nachkommen haben aber keine maximale Überlebens- und Vermehrungsrate und die meisten dieser Individuen sterben, bevor sie sich fortpflanzen können. Das heißt, es werden weit mehr Nachkommen produziert als in der nächsten Generation auftreten.

4 Unterschiedliche Individuen hinterlassen eine unterschiedliche Anzahl an Nachkommen. Das bedeutet aber nicht nur, dass die Anzahl der produzierten Nachkommen variiert, sondern auch dass deren Überlebenswahrscheinlichkeit bis zur Geschlechtsreife sich unterscheidet und von den Eigenschaften der Individuen abhängt. Dies betrifft ebenso die Nachkommen der folgenden Generationen.

5 Die Anzahl der Nachkommen, die ein Individuum hinterlässt, hängt entscheidend von den Interaktionen zwischen den Merkmalen eines Individuums und seiner Umwelt ab.

S Welche Individuen tragen überdurchschnittlich zu den nächsten Generationen bei?

Individuen, die am besten in der Lage sind, Risiken und Gefahren zu überleben und sich am erfolgreichsten reproduzieren, tragen überdurchschnittlich zu den folgenden Generationen bei.

D Wie ist Fitness definiert und durch welche Hauptkomponenten wird sie bestimmt?

Individuen, die am meisten fortpflanzungsfähige Nachkommen in die nächste Generation einbringen, haben die höchste Fitness. Die Fitness wird durch Überleben und Reproduktion bestimmt.

F Warum wird die Fitness durch den Lebensraum beeinflusst?

Die Anzahl der Nachkommen, die ein Individuum hinterlässt und ob ein Nachkomme bis zur Geschlechtsreife überlebt, hängt entscheidend von den Interaktionen zwischen den Merkmalen eines Individuums und seiner Umwelt ab. So werden Individuen in einem Lebensraum besser überleben und sich fortpflanzen als in einem anderen, wenn sie Eigenschaften besitzen, die in dem einen Lebensraum von Vorteil sind im anderen jedoch nicht.

G Wodurch unterscheidet sich die natürliche Selektion von der Selektion durch den Menschen?

Die Selektion durch den Menschen hat ein bestimmtes Ziel, wie z.B. die Milchleistung einer Kuhrasse zu maximieren. Die natürliche Selektion hingegen hat kein Ziel. Individuen überleben und pflanzen sich erfolgreich fort, weil sie Merkmale haben, die ihnen dieses unter den gegebenen Lebensbedingungen ermöglichen. Die Merkmale wurden aber nicht zu einem bestimmten Zweck ausgewählt.

H Welche Selektionskräfte treiben die Evolution an?

Die Evolution wird sowohl durch physikalische Umweltfaktoren, die Verfügbarkeit von Ressourcen, aber auch durch alle Arten von Interaktionen um Ressourcen oder Sexualpartner, Prädation, Parasitismus etc. angetrieben.

2.1.2 Die Evolution innerhalb von Arten

A Individuen einer Art zeigen oft geographische Variationen ihrer Merkmale. Wie kann man experimentell testen, ob es sich hierbei um eine Anpassung im evolutionären Sinn handelt oder um Reaktionen gleichartiger Individuen auf unterschiedliche Umweltbedingungen?

Diese Frage lässt sich durch reziproke Transplantationsexperimente klären. Dabei werden Individuen wechselseitig zwischen unterschiedlichen Standorten ausgetauscht. Zeigen sie die typischen Merkmale der Fremdhabitate (s. Abb. 2.1, a), so kann man davon ausgehen, dass es sich hier um eine Reaktion gleichartiger Individuen auf die lokalen Lebensbedingungen handelt. Behalten die Individuen jedoch auch im Fremdhabitat zunächst ihre ursprünglichen Merkmale bei, deutet dies auf eine genetische Anpassung an die lokalen Gegebenheiten hin (s. Abb. 2.1, b). Diese Experimente eignen sich insbesondere für Pflanzen (z.B. Umsiedlungsexperimente mit Weißklee, Trifolium repens) und sesshafte Tiere (z.B. Umsiedlungsexperimente mit Seeanemonen, Actinia tenebrosa).


Abb. 2.1: Reziproke Transplantationsexperimente. Dabei werden Individuen wechselseitig zwischen verschiedenen Habitaten ausgetauscht, wo sie neben einheimischen Organismen gezogen werden.

a Die Pflanzen verlieren ihre ursprünglichen Merkmale und zeigen die Merkmale des Fremdhabitats (Reaktionen gleichartiger Individuen auf unterschiedliche Umweltbedingungen).

b Die Pflanzen behalten ihre ursprünglichen Merkmale im fremden Habitat bei (Anpassung im evolutionären Sinne).

S Was versteht man unter Industriemelanismus und warum stellt er ein Beispiel für einen durch den Menschen veränderten Selektionsdruck dar?

Unter Industriemelanismus versteht man das dominante Vorkommen dunkler Farbmorphen von Schmetterlingen oder auch anderer Arten in Industriegebieten. Der Birkenspanner (Biston betularia) war die erste Art bei der man den Industriemelanismus beobachten konnte. Diese Schmetterlinge werden von insektivoren Vögeln gefressen. In Industriegebieten, in denen Hintergründe durch die Luftverschmutzung oftmals dunkel gefärbt sind bzw. der relativ helle Flechtenbewuchs durch das Schwefeldioxid in der Luft an Baumstämmen verloren geht, hat die dunkle Schmetterlingsmorphe einen Selektionsvorteil und wird hier weniger häufig von Vögeln als seinen Hauptfressfeinden detektiert und erbeutet als die helle. In unverschmutzten Gegenden hingegen wird die helle Morphe seltener gefressen, weil sie auf einem helleren Hintergrund für ihre Prädatoren weniger gut zu detektieren ist als die dunklen Schmetterlinge.

D Warum kann eine starke Spezialisierung gefährlich sein?

Einerseits werden Arten durch Spezialisierung an bestimmte Umweltbedingungen, wie z.B. Wasserknappheit nahezu perfekt angepasst. Andererseits siebt die natürliche Selektion hier auch oftmals einen Großteil der Variabilität aus. So kann es vorkommen, dass Individuen hochspezialisierter Arten bei einer Veränderung der Umwelt, wie z.B. dem Auftreten von Krankheiten, oder der Veränderung klimatischer Bedingungen, nicht über die Merkmale verfügen, welche unter den neuen Umweltbedingungen von Vorteil wären. Dies wirkt sich nachteilig auf Überleben und Reproduktion aus und kann zum Aussterben dieser hochspezialisierten Arten führen.

F Warum spricht man von einer Spirale der wechselseitigen Selektion bei dem Wirt – Parasit- bzw. Räuber – Beuteverhältnis?

Räuber und Beute bzw. Wirt und Parasit interagieren miteinander. Durch diese Interaktionen üben beide Teile einen Selektionsdruck auf den jeweils anderen aus. So werden sowohl beim Räuber als auch bei der Beute bzw. Wirt und Parasit Merkmale selektiert, die unter den gegebenen Umständen günstig für Überleben und Reproduktion sind. Dabei spielt natürlich auch die Selektion durch den jeweiligen Gegenspieler eine zentrale Rolle. Die Selektion von bestimmten Merkmalen bei einem der beiden Gegenspieler führt wiederum zu einem veränderten Selektionsdruck auf den anderen usw. So können bei einem Wirt durch die Interaktion mit einem hochspezialisierten Parasit Resistenzen selektiert werden, was wiederum den Selektionsdruck auf den Parasiten erhöht, den Wirt befallen zu können (s. Kap. 4).

 

2.1.3 Die Ökologie der Artbildung

A Wie kann man nachweisen, ob Individuen unterschiedlicher Populationen zu ein und derselben Art gehören?

Mit dem sogenannten Mayr-Dobzhansky-Test prüft man, ob Individuen unterschiedlicher Populationen in der Lage sind, sich zu kreuzen und reproduktionsfähige Nachkommen zu produzieren. Wenn dies der Fall ist, kann die natürliche Selektion allein die Populationen nicht in zwei Arten aufspalten. Eine auf diese Weise getestete Art entspricht einer biologischen Art und man nennt sie auch Biospezies.

Hier sei angemerkt, dass Eisbär (Ursus maritimus) und Grizzlybär (Ursus arctos horribilis) sich untereinander kreuzen und offensichtlich fruchtbare Nachkommen zeugen können. Entsprechend wären Eisbär und Grizzlybär also keine eigene Biospezies.

S Wie kommt es zur Artbildung durch räumliche Isolation?

Wenn der Genfluss zwischen zwei Teilen einer Population durch eine Barriere verhindert wird, können sich diese Teilpopulationen zu unterschiedlichen Arten entwickeln. Dieser Vorgang wird allopatrische oder geographische Artbildung genannt. Eine natürliche Barriere kann das Meer, welches Inseln umgibt darstellen, aber auch alle anderen Arten von Landschaftsbarrieren, wie beispielsweise Gebirge, Flüsse oder tiefe Täler, die eine Migration von Tieren oder die Bestäubung bei Pflanzen verhindert. Solche Barrieren können z.B. durch Kontinentaldrift entstanden sein. Der Genfluss wird durch diese Barrieren unterbrochen, obwohl die Individuen der Populationen sich theoretisch noch erfolgreich reproduzieren könnten. Während die Teilpopulationen voneinander isoliert sind, können sie sich unabhängig voneinander weiterentwickeln. Zufällige und unterschiedliche Mutationen und Selektionsdrücke treten auf und führen dazu, dass sich die Populationen verschieden entwickeln. Wenn sie dabei so unterschiedlich werden, dass die Individuen der Populationen sich nicht mehr kreuzen und reproduktionsfähige Nachkommen produzieren können, gehören sie zu unterschiedlichen Biospezies, d.h. auch wenn die geographische Barriere aufgehoben wird, ist kein Genfluss zwischen den beiden Teilpopulationen mehr möglich (s. Abb. 2.2).


Abb. 2.2: Geographische oder allopatrische Artbildung (verändert nach Stearns und Hoekstra 2005).

D Erläutern Sie das sympatrische Modell der Artbildung.

Sympatrische Artbildung erfolgt im Gegensatz zur allopatrischen Artbildung ohne räumliche Separation. Bei der sympatrischen Artbildung verhindern reproduktive Isolationsmechanismen, wie beispielsweise die Verdoppelung oder Vervielfachung des Chromosomensatzes, die Kreuzung von Individuen innerhalb einer Population (s. Abb. 2.3). Die sympatrische Artbildung spielt vor allem im Pflanzenreich eine wichtige Rolle.


Abb. 2.3: Sympatrische Artbildung (verändert nach Stearns und Hoekstra 2005).

F Welche Unterschiede trennen neuevolvierte Arten besonders erfolgreich?

Änderungen im Werbeverhalten, in den Signalen zur Partnerfindung, der Paarungszeiten, ein unterschiedliches Sozialverhalten oder auch das Auftreten von aggressivem Verhalten sorgen dafür, dass sich Individuen unterschiedlicher Populationen nicht mehr kreuzen. Bei Pflanzen spielen hier die Arten der blütenbestäubenden Insekten eine zentrale Rolle (z.B. Honigbienen, Apis oder Hummeln, Bombus).

G Sind Heringsmöwen (Larus fuscus) und Silbermöwen (Larus argentatus) Biospezies? Erklären Sie kurz die Zusammenhänge.

Die Heringsmöwe stammt aus Sibirien und hat sich jeweils ostwärts und westwärts in zwei Ketten oder Klinen ausgebreitet. Als Kline bezeichnet man die Merkmalsveränderungen von Populationen einer Art entsprechend ihrer geographischen Verbreitung. Die benachbarten Populationen dieser unterschiedlichen Formen entlang der beiden Klinen können sich problemlos miteinander kreuzen und bilden so einen Ring um die nördliche Hemisphäre (s. Abb. 2.4). Taxonomisch werden die benachbarten Populationen als Teil derselben Art angesehen und erhalten lediglich den Status „Unterart“ (z.B. Larus fuscus graellsii oder Larus argentatus vegae). In Nordeuropa überlappen sich die beiden Kline und können hier als Herings- und Silbermöwen eindeutig auseinander gehalten werden. Die beiden Möwenarten kreuzen sich untereinander nicht und stellen daher echte Biospezies dar.


Abb. 2.4: Merkmalsveränderungen von Populationen der Heringsmöwe (Larsus fuscus) bzw. Silbermöwe (Larus argentatus) entsprechend ihrer geographischen Verbreitung (verändert nach Began et al. 2005).

H Auf den Galapagosinseln kommen 14 unterschiedliche Finkenarten vor. Wie wird die Entstehung dieser Arten erklärt?

Man geht davon aus, dass die unterschiedlichen Finkenarten von einer Art abstammen also einen monophyletischen Ursprung haben. Populationen dieser Ausgangsart besiedelten zufällig unterschiedliche Inseln des Archipels und entwickelten sich eine Zeit lang unabhängig voneinander. Es entstanden eigenständige Arten. Aufgrund von Wanderbewegungen zwischen den Inseln kamen in Folge Arten, die nun nicht mehr untereinander kreuzbar waren, wieder in Kontakt miteinander und traten auch in Konkurrenz zueinander. Die natürliche Selektion begünstigt Individuen, die am wenigsten mit Individuen anderer Arten in Konkurrenz treten. Als Konsequenz bilden sich bei nah verwandten Arten Unterschiede in der Ernährung und anderen Aspekten der Ökologie aus. Auch die Galapagosfinken haben unterschiedliche Nischen besetzt (Grant und Grant 2002). In diesem Fall scheint die Nahrungsnische (s. Kap. 4) eine zentrale Rolle gespielt zu haben, da die Nahrungsökologie und die Schnabelformen der nun sympatrisch vorkommenden Arten sich deutlich voneinander unterscheiden. Die Artbildung der Finken nennt man auch adaptive Radiation (Darwin 1859, Petren et al. 1999).

J Was versteht man unter der Genetischen Drift?

Die genetische Struktur von Populationen wird durch Selektion, Zufall und Mutation bestimmt. Schließt man Selektion aus, dann verändern sich die Allelfrequenzen (Häufigkeiten von Allelen) von Loci in Populationen mit endlich vielen Individuen zufällig von Generation zu Generation. Diese zufälligen Veränderungen werden Genetische Drift genannt und erklären sich durch die endliche Anzahl von Individuen in natürlichen Populationen, die zudem ihre Gene nur an eine begrenzte Anzahl von Nachkommen weitergeben können. Genetische Drift hat in kleinen Populationen eine wesentlich größere Bedeutung als in großen Populationen.

K Was ist der Gründereffekt?

Neue Populationen können durch eine Gruppe weniger Individuen gegründet werden, deren Allelfrequenzen sich deutlich von denen ihrer Stammpopulation unterscheiden. Die zufällige Auswahl einer kleinen Anzahl von Gründerindividuen trägt nicht zwingend eine repräsentative Auswahl der genetischen Information der ursprünglichen Population. So können manche Allele in dieser Gründerpopulation sehr häufig sein, obwohl sie in der Elterngeneration selten waren, oder komplett fehlen. Diesen Effekt nennt man den Gründereffekt (engl. founder effect). Die begrenzte genetische Vielfalt und die zufällige Zusammensetzung des Genpools einer Gründerpopulation ist die Grundlage für das nachfolgend einsetzende Evolutionsspiel, bei welchem natürliche Selektion und Zufall (Genetische Drift) schnell zu Veränderungen führen können.

L Was ist ein genetischer Flaschenhals und wie kann er entstehen?

Wenn aufgrund einer Katastrophe, wie z.B. einem Brand, nur wenige Individuen einer Population bis zur Reproduktion überleben, verändert sich in den meisten Fällen die genetische Zusammensetzung des Genpools drastisch. Wie beim Gründereffekt können hier zufällig Allele verloren gehen oder in hohen Frequenzen auftreten, die zuvor selten waren (Genetische Drift). Wenn die Populationsgröße über einen langen Zeitraum klein bleibt, sodass Allele verloren gehen oder vormals variable Loci fixiert werden, spricht man von einem genetischen Flaschenhals (engl. bottleneck, s. Abb. 2.5). Zum Beispiel wird der hohe Anteil von farbenblinden Einwohnern auf dem Atoll Pingelap (Mikronesien) auf einen genetischen Flaschenhals zurückgeführt. So überlebten 1775 nur 20 von 3.000 Einwohnern einen Typhoon. Einer der Überlebenden war Träger der Mutation für Farbenblindheit, welche sich danach in der Bevölkerung überdurchschnittlich stark ausbreiteten konnte.


Abb. 2.5: Genetischer Flaschenhals.

2.1.4 Klimatische Auswirkungen und Kontinentaldrift

A Inwiefern haben die Eiszeiten des Pleistozäns die geographische Verbreitung von den heutigen Tier- und Pflanzenarten beeinflusst?

Während der Eiszeiten des Pleistozäns (d.h. in den vergangenen 2–3 Mio. Jahren) haben sich sehr kalte und lange Phasen mit Phasen abgewechselt, die deutlich kürzer waren und in denen die Umgebungstemperaturen auf heutige oder noch höhere Werte anstiegen. Diese klimatischen Veränderungen haben dazu geführt, dass sich Populationen von Tier- und Pflanzenarten abwechselnd ausgebreitet und wieder in isolierte Gebiete (Habitatinseln bzw. Patches) zurückgezogen haben. In den Zeiten in denen sie in isolierten Habitatinseln überdauert haben, konnten sie sich unabhängig von den anderen Populationen weiterentwickelt und so teilweise zu Biospezies evolvieren.

S Wie kann man Schwankungen der Umgebungstemperaturen in der Vergangenheit nachweisen?

Anhand der Verteilung von Sauerstoffisotopen bzw. deren Verhältnisse in Bohrkernen vom Meeresgrund, kann man auf die in der Vergangenheit vorherrschenden Umgebungstemperaturen rückschließen. Sauerstoffisotope haben die gleiche Kernladungszahl aber unterschiedliche Neutronenzahlen (160 und 180) und dadurch eine unterschiedliche Masse. Aus dem Meerwasser verdunsten bevorzugt Wassermoleküle mit dem leichteren Isotop 16O im Vergleich zu 18O-Wassermolekülen. Während Warmzeiten wird das leichtere 16O durch den Regen wieder in das Meerwasser zurückgeführt und dessen 16O/18O-Verhältnis somit wieder ins ursprüngliche Verhältnis gebracht. Während der Kaltzeiten besteht der Niederschlag jedoch aus Schnee und das 16O wird in den entstehenden Eismassen teilweise für sehr lange Zeit gebunden. Dadurch vergrößert sich in den kalten Zeiten der Anteil von 18O zu 16O im Meerwasser und 18O wird entsprechend von den marinen Organismen verstärkt in ihren Kalkschalen eingelagert. Sterben die Meereslebewesen, verändert sich das spezifische Verhältnis der Sauerstoffisotope in ihren Kalkschalen zueinander nicht mehr. Anhand der Sauerstoffisotopenmethode werden die Sedimente aus dem Meeresboden, welche hauptsächlich aus den Kalkschalen bestehen, auf ihre Isotopenverhältnisse analysiert. Diese lassen Rückschlüsse auf die Temperaturveränderungen in der Vergangenheit zu. So konnte man das Auftreten von 16 eiszeitlichen Zyklen des Pleistozäns nachweisen.

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