Dr. Katzenbergers Badereise

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WAGEN-SIESTE

Im Ganzen sitzt ohnehin jeder Kutschenklub in den ersten Nachmittagstunden sehr matt und dumm da; das junge Paar aber tat es noch mehr, weil Katzenbergers Gesicht, seitdem er dem armen Schreckens-Gevatter die Wagentüre vor der Nase zugeschlagen, kein sonderliches Rosental und Paradies für jugendlich-gutmütige Augen war, die in das Gesicht hinein- und auf den sandigen Weg hinaussahen. Er selber litt weniger; ihn verließ nie jene Heiterkeit, welche zeigen konnte, dass er sich den Stoikern beigesellte, welche verboten, etwas zu bereuen, nicht einmal das Böse. Indes ist dieser höhere Stoizismus, der den Verlust der unschätzbaren höheren Güter noch ruhiger erträgt als den der kleinern, bei Gebildeten nicht so selten, als man klagt.

Nach einigen Minuten Sandfahrt senkte Katzenberger sein Haupt in Schlaf. Jetzo bekränzte Theoda ihren Vater mit allen möglichen Redeblumen, um dem Freund ihres Dichters ihre Tochter-Augen für ihn zu leihen. Besonders hob sie dessen reines Feuer für die Wissenschaft heraus, für die er Leben und Geld verschwende, und beklagte sein Los, ein gelehrter einsamer Riese zu sein. Da der Edelmann gewiss voraussetzte, dass die Augen-Sperre des Riesen nichts sei als ein Aufmachen von ein Paar Dionysius-Ohren, wie überhaupt Blinde besser hören: so fiel er ihr unbedingt bei und erklärte, er staune über Katzenbergers Genie. Dieser hörte dies wirklich und hatte Mühe, nicht aus dem Schlafe heraus zu lächeln wie ein Kind, womit Engel spielen. Des blinden optischen Schlafes bedient‘ er sich bloß, um selber zu hören, wie weit Nieß sein Verlieben in Theoda treibe; und dann etwa bei feurigen Welt- und Redeteilen rasch aufzuwachen und mit Schnee und Scherz einzufallen. Jetzo ging Theoda, die an den Schlummer glaubte, weil ihr Vater sich selten die Mühe der Verstellung gab, noch weiter und sagte dem Edelmanne frei: »Sein Kopf lebt zwar dem Wissen, wie ein Herz dem Lieben, aber Sie springen zu ungestüm mit seiner Natur um. – In der Tat, Sie legen es ordentlich darauf an, dass er sich über Gefühle recht seltsam und ohne Gefühle ausdrücke. Täte dies wohl Ihr Theudobach?« – »Gewiss« – sagt‘ er –, »aber in meinem Sinne. Denn Ihren Vater, liebreiche Tochter, nehm‘ ich viel besser als der Haufe. Mich hindert seine satirische Enkaustik nicht, darhinter ein warmes Herz zu sehn. Recht geschliffnes Eis ist ein Brennglas. Man ist ohnehin der alltäglichen Liebfloskeln der Bücher so satt! O dieser milde Schläfer vor uns ist vielleicht wärmer, als wir glauben, und ist seiner Tochter so wert!« Katzenberger, eben warm und heiß vom nahen Nachmittagschlummer, hätt‘ etwas darum gegeben, wenn ihm sein Gesicht von einem Gespenste wäre gegen den Rücken und das Kutschen-Fensterchen gedreht gewesen, damit er ungesehen hätte lächeln können; wenigstens aber schnarchte er.

Theoda indes, nie mit einer lauen oder höflichen Überzeugung zufrieden, suchte den Poeten für den Vater noch stärker anzuwärmen durch das Berichten, wie dieser bei dem Scheine einer geizigen Laune ganz uneigennützig als heilender Arzt Armen öfter als Vornehmen zu Hülfe eile und dabei lieber in den seltensten gefahrvollsten als in gefahrlosen Krankheiten der Schutzengel werde. Jedes Wort war eine Wahrheit; aber die Tochter voll kindlicher und jeder Liebe kam freilich nicht darhinter, dass ihm eigentlich die Wissenschaft, nicht der Kranke höher stand als Geld und dass er mit einer gewaltigen Gegnerin von kranker Natur am liebsten das medizinische Schach spielte, weil aus der größern Verwicklung die größere Lehrbeute zu holen war; ja er würde für eine stichhaltige Versicherung der bloßen Leichenöffnung jeden umsonst in die Kur genommen haben aus Liebe zur Anatomie.

»Vollends aber die Güte, womit mein genialer Vater alle Wünsche erfüllt, mit welchen ich nicht gerade seinen wissenschaftlichen Eifer störe, und was er alles für meine Bildung getan, das kann ich als Tochter leichter in meinem Herzen verehren als durch Worte andern enthüllen; aber schmerzen muss es mich jederzeit, wenn ich ihn bei andern, da er Stand und fremdes Urteil gar zu wenig achtet, ordentlich darauf ausgehen sehe, verkannt zu werden«, beschloss Theoda. – Du warme Verblendete! – So wie wir alle merken, bildet sie sich ein, den Poeten Nieß durch Preisen für ihren Vater zu gewinnen, für einen Mann, der ihm doch ins Gesicht gesagt, seine Nasenwurzel sei zu dünn. Schwerlich sind Wurzelwörter eines solchen Ärgers je auszuziehen, und aus der Nasenwurzel wird in Nieß – da es etwas anderes sein würde, wäre statt der Eitelkeit bloß sein Stolz beleidigt worden – immer etwas Stechendes gegen den Doktor wachsen.

Dafür aber zog sich aller Weihrauch, den die Tochter für den Vater anbrannte, auf sie selber zurück in Nießens Nase, und am Ende konnt‘ er sie kaum anhören vor Anblicken; so dass ihm nichts fehlte zu einer poetischen Umhalsung Theodas als der wahre Schlaf des schnarchenden Fuchses. Indes ging er auf andere Weisen über, Lieben auszusprechen, und legte solche an einem bekannten theudobachischen Schauspiel: »Die scheue Liebe« zergliedernd auseinander. Ein Bühnen-Dichter vieler Stücke oder ein Kunstrichter aller Stücke hat oder ist leicht eine Schiff- und Eselbrücke in ein Weiberherz. Darüber versank doch der Doktor vor Langweile aus dem vorgeträumten Schlaf in einen echten, und zwar bald nach Nießens schönen wahren Worten: »Jungfräuliche Liebe schlummert wohl, aber sie träumt doch.«

Als er ganz spät aufwachte, sagt‘ er, halb im Schlafe: »Natürlich schläft sie und träumt darauf.« Nur Nießen war dieser ihm zugehörige Sinnspruch deutlich und erinnerlich, und er dachte leise: »Seht den Dieb!«

Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter der Familie entgegen, der sogleich sich umkehrte und in die Taschen griff, als er den Wagen erblickte. Es ist bekannt, dass es der Winkel-Schul-Direktor Würfel war, ein feines Männchen. Der Doktor ließ ihm schnell nachfahren, um das Umwenden zu begreifen. Eingeholt kehrte der Direktor sich wieder um und verbeugte sich stufenweise vor jedem. Der Doktor fragte, warum er immer so umkehre. »Er sei«, sagte er, »so unglücklich gewesen, sein Taschenbuch in Huhl zu vergessen; und jetzt so glücklich geworden, indem ers hole, eine solche Gesellschaft immer vor Augen, wenn auch von weitem, zu haben.« – »So nehmen Sie hier Rücksitz und Stimme«, sagte der Doktor zu Nießens Verwundrung.

Der Winkel-Schul-Direktor war lange, wohl zehnmal, adeliger Haus- und Schloss-Lehrer gewesen – hatte mehr als hundert Hausbällen zugeschaut und getraute sich, jede adelige Schülerin noch anzureden, wenn sie mannbar geworden – wie der alte Deutsche im Trunke keusch blieb, so war er stets mitten unter den feinsten Dessertweinen nicht nur keusch, sondern auch nüchtern geblieben, weil er den schlechtesten bekam – und war überhaupt an den Tischen seiner Herren tafelfähig, wenn auch nicht stimmfähig gewesen. Dieses Durchwälzen durch die feine Welt hatt‘ an ihm so viele elegante Sitten zurückgelassen, als er zu oft an Spezial-, ja an Generalsuperintendenten vermisste; so dass ihm öfter nichts zum vollständigsten feinsten Fat fehlte als der Mut; aber er glich dem Prediger, welcher auf der Kanzel mitten zwischen seinen heiligsten Erhebungen über die Erde und deren Gaben von Zeit zu Zeit die Dose aufmacht und schnupft. Dabei hatte er durch langes Erziehen fast alle Sprachen und Wissenschaften samt übriger Bildung in den Kopf bekommen, die ihm, wie einem armen Postknechte Reichtümer und Prinzen, zu nichts halfen, als dass er sie weiter zu schaffen hatte. Da er indes kein Wort sagte, das nicht schon einen Verleger und Verfasser gehabt hätte: so hörte man seine Schüler lieber als ihren Lehrer.

Dieser Winkelschul-Direktor hatte nun einst mit Theoda Theudobachs Stücke ins Englische und sich dabei (da sie nur eine Bürgerliche war) in einen Liebhaber und in den Himmel übertragen. Eben deshalb hatte ihm der Doktor, der in Herzsachen Scherz verstand und suchte, einen Sitz neben dem zweiten Liebhaber Nieß ausgeleert: »Ich sehe«, sagte er, »nichts lieber miteinander spielen als zwei Hasen, ausgenommen den Fuchs mit dem Hasen.«

Es ging anders. Theoda stellte vor allen Dingen den Vielwisser Würfel – dem sie freudig alles schenkte, sich ausgenommen – unserem Freunde des ins Englische verdolmetschten Dichters vor. Da fing das lange Zergliedern des Dichters (Nieß war der Prosektor) an, jedes Glied wurde durch kritisches Zerschneiden vervielfacht und vergrößert und zum Präparat der Ewigkeit ausgespritzt und mit Weingeist beseelt. Bloß der Hör-Märterer Katzenberger litt viel bei der ganzen Sache und war der einzige Mann in diesem feurigen Ofen, der sich nicht mit Singen helfen konnte. Nieß zeigte überall die leichte Weltmanns-Wärme eines feurigen Juwels. Würfel zeigte eine Schmelzofenglut, als wären in seiner die poetischen Gestalten erst fertig zu gießen; Theoda zeigte eine Französin, eine Deutsche und eine Jungfrau und ein Sich. Indes sah der helle Edelmann aus jedem Worte Würfels, wie dieser den theudobachischen Sockus und Kothurn nur in ein Fahrzeug verkehre, um darin auf einer von den schönen Freundschaft-Inseln Theodas anzulanden; je mehr daher der Direktor den Dichter erhob, desto mehr erboste sich der Edelmann. Doch blieben beide, Nieß und Theudobach, so fest und fein und studierten die Menschen und wollten weniger die Schuldner einer (dichterischen) Vergangenheit sein als einer (prosaischen) Gegenwart; Nieß wollte zugleich als Münzer und als Münze gelten.

Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben, und indem man ideale Charaktere kritisiert, produziert man leicht den eigenen, und ein gedruckter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines lebendigen. Würfel stach hier mehr durch Feinheit hervor, Nieß durch Keckheit. Jener zeigte einen Grad von romantischer Delikatesse, der seinen Stand verriet, nämlich den mittlern. Ich kann hier aus eigner Erfahrung die Weiber der höhern Stände versichern, dass, wenn sie eine romantischere zärtere Liebe kennen wollen als die galante, höhnende, atheistische ihrer Weltleute, sie solche in meinem Stande finden können, wo mehr Begeisterung, mehr Dichter-Liebe, und weniger Erfahrung herrscht; und es sollte diese Bemerkung mich umso mehr freuen, wenn ich durch sie zum Glücke manches Hofmeisters und dessen hoher Prinzipalin etwas beigetragen hätte; meines wäre mir denn Belohnung genug.

 

Niemand war wiederum in der Kutsche zu bedauern als der Blutzeuge Katzenberger, dem solche Diskurse so mild in die Ohren eingingen wie einem Pferde der Schluck Arzenei, den man ihm durch die Nasenlöcher einschüttet. Um aber mit irgend etwas seinem Ohre zu schmeicheln, brachte er einen feinen Iltispinsel heraus und steckte ihn in den rechten Gehörgang bis nahe ans Paukenfell und wirbelte ihn darin umher; er versicherte die Zuschauer, hierin sei er ganz der Meinung der Sineser, wovon er die Sitte entlehne, welche diesen Ohrenkitzel und Ohren-Schmaus für den Himmel auf Erden halten.

Da aber die Menschen immer noch links hören, wenn sie in Lust-Geschäften rechts taub sind: so vernahm er noch viel vom Gespräch. Er fiel daher in dieses mit ein und berichtete: Auch er habe sonst als Unverheirateter an Heiraten gedacht und nach der damaligen Mode angebetet – was man zu jener Zeit Adorieren geheißen –; doch sei einem Manne, der plötzlich aus dem strengen mathematisch-anatomischen Heerlager ins Kindergärtchen des Verliebens hinein gemusst, damals zumute gewesen wie einem Lachse, der im Lenze aus seinem Salz-Ozean in süße Flüsse schwimmen muss, um zu laichen. Noch dazu wäre zu seiner Zeit eine bessere Zeit gewesen – damals habe man aus der brennenden Pfeife der Liebe polizeimäßig nie ohne Pfeifendeckel geraucht – man habe von der sogenannten Liebe nirgend in Kutschen und Kellern gesprochen, sondern von Haushalten, von Sich-Einrichten und Ansetzen. So gesteh‘ er z. B. seinerseits, dass er aus Scham nicht gewagt, seine Werbung bei seiner durch die ausgesognen Maikäfer entführten Braut anders einzukleiden als in die wahrhaftige Wendung: nächstens gedenke er sich als Geburthelfer zu setzen in Pira, wisse aber leider, dass junge Männer selten gerufen würden und schwache Praxis hätten, so lange sie unverehlicht wären. – »Freilich«, setzte er hinzu, »war ich damals hölzern in der Liebe, und erst durch die Jahre wird man aus weichem Holze ein hartes, das nachhält.«

»Bei der Trennung von Ihrer Geliebten mag Ihnen doch im Mondscheine das Herz schwer geworden sein?«, sagte der Edelmann. »Zwei Pfund – also halb so schwer als meine Haut – ist meines wie Ihres bei Mond- und bei Sonnenlicht schwer«, versetzte der Doktor. »Sie kamen sonach über die empfindsam Epoche, wo alle jungen Leute weinten, leichter hinweg?«, fragte Nieß. »Ich hoffe«, sagt‘ er, »ich bin noch darin, da ich scharf verdaue, und ich vergieße täglich so viele stille Tränen als irgendeine edle Seele, nämlich vier Unzen den Tag; nur aber ungesehen (denn die Magenhaut ist mein Schnupftuch); unaufhörlich fließen sie ja bei heilen guten Menschen in den knochigen Nasenkanal und rinnen durch den Schlund in den Magen und erweichen dadrunten manches Herz, das man gekäuet, und das zum Verdauen und Nachkochen daliegt.«

Ich weiß nicht, ob ich mich irre, aber mir kommt es vor, als ob der Doktor seit dem schlafwachen Anhören der Lobreden, welche Theoda seinem liebereichen Herzen vor dem Poeten Nieß gehalten, ordentlich darauf ausginge, mehr Essigsäuere, d. h. Sauersauer aufzuzeigen; – ähnlich säh‘ ihm dergleichen ganz, und lieber schien er aus Millionen Gründen härter als weicher.

Als daher Nieß, um den seltenen Seefisch immer mehr für seine dichterische Naturalienkammer aufzutrocknen, eine neue Frage tun wollte, fuhr Theoda ordentlich auf und sagte: »Herr von Nieß, Sie sind im Innerlichen noch härter als mein Vater selber.«

– »So«, sagte der Doktor, »noch härter als ich? Es ist wahr, die weibliche Sprache ist wie die Zunge weich und linde zu befühlen, aber diese sanfte Zunge hält sich hinter den Hundzähnen auf und schmeckt und spediert gern, was diese zerrissen haben.« Hier suchte der feine Würfel auf etwas Schöneres hin abzulenken und bemerkte, was bisher Theoda nicht gesehen: »Dort schreite schon lange Herr Umgelder Mehlhorn so tapfer, dass ihn der Kutscher schwerlich auf dem höckerigen Wege überhole.« Als dies der Kutscher vernahm, dem schon längst der nicht einzuholende Zoller eine bewegliche Schandsäule und Höllenmaschine gewesen: so fuhr er galoppierend in die ...

– DIE AVANTÜRE –

... hinein und warf an einem schiefgesunknen Grenzstein leicht, wie mit einer Wurfschaufel, den Wagen in einen nassen Graben hinab. Katzenberger fuhr als Primo Ballerino zuerst aus der Schleudertasche des Kutschers, griff aber im Fluge in die Halsbinde des Schuldirektors wie in einen Kutschen-Lakaien-Riemen ein, um sich an etwas zu halten; – Würfel seines Orts krallte nach Flexen hinaus und in dessen Fries-Ärmel ein und hatte unten im Graben den mitgebrachten Fries-Aufschlag in der Hand; – Nieß, das Gestirn erster Größe im Wagen, glänzte unten im Drachenschwanze seiner Laufbahn, nahm aber mehr die Gestalt eines Haarsterns an, weil er die Theoda‘sche Perücke nach sich gezogen, an die er sich laut wehklagend unterwegs hatte schließen wollen; – Theoda war durch kleines Nachgeben gegen den Stoß und durch Erfassen des Kutschenschlages diagonal im Wagen geblieben; – Flex ruhte, den Kutscher noch recht umhalsend, bloß mit der Stirn im Kote, wie ein mit dem Gipfel vorteilhaft in die Erde eingesetzter Baum.

Erst unten im Graben und als jedermann angekommen war – konnte man wie in einem Unterhause auf Herauskommen stimmen und an Einhelligkeit denken. Katzenberger votierte zuerst, indem er die Hand aus Würfels Halsbinde nahm und dann auf dem Rückgrate des Schuldirektors wie auf einer flüchtigen Schiffbrücke wegging, um nachher auf Flexen aufzufußen und sich von da, wie auf einem Gaukler-Schwungbrett, leicht ans Ufer zu schwingen. Es gelang ihm ganz gut, und er stand droben und sah hernieder.

Hier konnte er nicht ohne wahre Ruhe und Lust so leicht bemerken, wie die andern Hechte im Graben-Wasser schnalzten, aus Verlegenheit. Flexens Rückgrats-Wirbel wurden ein allgemeines, aber gutes Trottoir, und der Schuldirektor schlug willig diesen Weg ein. Am Ufer zog der Doktor ihn an der Halsbinde nach kurzem Erwürgen ans Ufer, wo er unaufhörlich sich und seinen Kleider-Bewurf besah und zurückdachte. Auch der untergepflügte Dichter bekroch Flexen und bot dem Doktor die Hand, an deren Ohrfinger dieser ihn mit kleiner Verrenkung dadurch aufs Trockne zog, dass er selber sich rückwärts bog und umfiel, als jener aufstand. Was noch sonst aus dem Nilschlamme halb lebendig aufwuchs, waren nur Leute; aber diese waren am nötigsten zum Aufhelfen, sie waren die Flügel, die Maschinen-Götter, die Schutzheiligen, die Korkwesten des Wagens im Wasser.

Mehlhorn für seine Person war herbeigesprungen und stand auf dem umgelegten Kutschenschlage fest, in welchen er unaufhörlich seinen Hülf-Engels-Arm umsonst Theodan hineinreichte, um sie um den Schlag herum- und aufzuziehen – bis ihn der Kutscher von seinem Standort wegfluchte, um den Wagen aufzustellen.

Delikate Gesellschaftknoten werden wohl nie zärter aufgelöset als von dem Wurfe in einen Graben, gleichsam in ein verlängertes Grab, wobei das allgemeine Interesse wenig verliert, wenn noch dazu Glieder der Mitglieder verrenkt oder verstaucht sind oder beschmutzt. Die Freude ging allgemein wie eine Luna auf; das Städtchen Huhl lag vor der Nase, und jeder musste sich abtrocknen und abstauben und deshalb vorher übernachten. Nur Würfel, der aus dem Örtchen sein Taschenbuch zurückzuholen hatte, musst‘ verdrüsslich daraus heimeilen mit der nassen Borke am besten Vorderwestchen; eine halbe Nacht und einen ganzen Weg voll Nachtluft musst‘ er dazu nehmen, um so trocken anzulangen, als er abgegangen. Katzenberger machte weniger aus dem Kot, von welchem er seine eigne Meinung hegte, welche diese war, dass er ihn bloß als reine Adams-Erde, mit heiligem Himmelwasser getauft, darstellte und dann die Leute fragte: Was mangelt dem Dreck? Bloß den dachsbeinigen Flex schalt er über dessen schweres Schleppkleid so: »Fauler Hund, hättest du dich nicht stracks aufrichten können, sobald ich von dir aufgesprungen war? Warum ließest du dich von allen immer tiefer eintreten? Und warum gabst du dem unbedachtsamen Würfel nicht nach und ließest dich vom Bocke herunterreißen, anstatt meines Livrei-Aufschlags? He, Mensch?« – »Das weiß ich nicht«, versetzte Flex, »das fragen Sie einen andern.«

THEODAS ERSTEN TAGES BUCH

Die Destillation hinabwärts (dest. per descens.), wie der Doktor den Grabenfall nannte, brachte manches Leben in den Abend. Er selber behielt alles an und war sein Selb-Trockenseil.

Nieß konnte die Einsamkeit der abwaschenden Wiedergeburt zum Nachschüren von neuem Brennstoff für Theoda verwenden. Er sann nämlich lange auf treffliche Sentenzen über die Liebe und grub endlich folgende in die Fenstertafel seines Zimmers: »Das liebende Seufzen ist das Atmen des Herzens. – Ohne Liebe ist das Leben eine Nacht in einer Mondverfinsterung; wird aber diese Luna von keiner Erde mehr verdeckt, so verklärt sich mild die Welt, die Nachtblumen des Lebens öffnen sich, die Nachtigallen tönen, und überall ist Himmel. Theudobach, im Junius.«

Theoda schrieb eiligst folgende Tagebuchblätter, um sie dem Mehlhorn noch mitzugeben:

»Du teures Herz, wie lange bin ich schon von dir weg gewesen, wenn ich Zeit und Weg nach Seufzern messe! Und wann werd‘ ich in dein Haus springen oder schleichen? Gott verhüte Letztes! Ein Zufall – eigentlich ein Fall in einen Graben – hält uns alle diese Nacht in Huhl fest; leider kommen wir dann erst morgen spät in Maulbronn an; aber ich habe doch die Freude, deinem guten Manne mein Geschreibsel aufzupacken. Der Gute! Ich weiß wohl, warum du mir nichts von seiner gleichzeitigen Reise gesagt; aber du hast nicht recht gehabt. Mein Vater setzte auf eine Stunde den raffinierten Zuckerhut Würfel in den Wagen; seine Weste litt sehr beim Umwerfen. Insofern war mirs lieb, dass dein Mann nicht mitgefahren; wer steht für die Wendungen des Zufalls? – Ich habe, Herzige, deinen Rat – denn in der Ferne gehorcht man leichter als in der Nähe – treu befolgt und heute fast nichts getan als Fragen an den Edelmann über den Dichter. Dieser ist selber – höre – bloß die beste erste Ausgabe seiner Bücher, eine Prachtausgabe, wenn nicht besser, wenigstens milder als seine Stachelkomödien. Niemand hat sich vor seinem Auge oder Herzen zu scheuen. Er lief schon als Kind gern auf Berge und in die Natur; und so war er auch schon als Kind vor seinem neunten Jahre unsterblich verliebt. Närrisch ists doch, dass man dergleichen an großen Menschen als so etwas Großes nimmt, da man ja bei sich und andern nicht viel daraus macht. – Herr von Nieß erzählte mir eine köstliche, längst abgeschlossne Geschichte von seiner ersten Liebe, als eines Knaben voll Zärte und Glut und Frömmigkeit; sie soll dir einmal wohltun, wenn ich sie dir in dein Wochenbett hineinwerfe. Nur machts der liebe Vater durch Mienen und Worte jedem gar zu schwer, dergleichen vorzutragen – anzuhören weniger, denn ich bin an ihn gewöhnt –; er wirft oft, wie du ja weißt, Eisspitzen ins schönste Feuer, auf die niemand in ganz Pira gefallen wäre, und bringt damit den Gerührtesten zum Lachen. Er nennt unser ewiges Sprechen über unsern Dichter ein holländisch-langes Glockenspiel. Freilich kennt ihn Herr von Nieß nicht oder will es nicht; so seltsam fragt er ihn an. Ich habe dir ihn überhaupt noch nicht gemalt, so mag er mir denn sitzen auf dem Kutschenkissen. Recht klug wird man nicht aus ihm; er wirft nicht sich, aber das Geld weg (fast zu sehr). – Er schimmert und schneidet, wie der Demant in seinem Ringe; und ist doch weich dabei und stets auf der Jagd nach warmen Augenblicken. – Ein Held ist er auch nicht, ja nicht einmal eine Heldin; vor dem kleinsten Stachelchen fährt er in die Bienenkappe – wie ich dir nachher meine eigne Perücke als Beweis und Bienenkappe vorzeigen will. – Übrigens hat er alle nachgiebige Bescheidenheit des Weltmannes, der sich auf die Voraussetzung seines Werts verlässt – und dabei fein-fein und sonst mehr. – Dies ist aber eben der Punkt: von sich spricht er fast kein Wort, unaufhörlich von seinem Jugendfreunde, dem Dichter, gleichsam als wäre sein Leben nur die Grundierung für diese Hauptfigur. Auffallend ists, dass er nicht mit dem feurigen Gefühl, wie etwan ich, von ihm redet, sondern fast ohne Teilnahme (er berichtet bloß Tatsachen), so dass es scheint, er wolle nur meinem Geschmacke zu Gefallen reden und dabei unter der Hand für jemand anders den Angelhaken auswerfen als für unsern Theudobach. Zwischen diesem Namen und dem meinigen find‘ er etymologisch, sagt‘ er, nur den Unterschied des Geschlechts, worüber ich ordentlich zusammenfuhr, weil ich nie darauf gefallen war. Aber, warum sagt er mir solches angenehme Zeug, da er doch sieht, dass er mich nur durch ein ganz fernes Herz in Flammen setzt? Eilte dein Mann nicht so fürchterlich: wahrlich, ich wollte vernünftig schreiben. Ich sage dir donnerstags alles, wenn es auch der Freitag widerlegt. In der Fremde ist man gegen Fremde (ja gegen Einheimische) weniger fremd als zu Hause; ich fragte geradezu Herrn von Nieß, wie der Dichter aussehe. ›Wie stellen Sie sich ihn denn vor?‹, fragt‘ er. ›Wie die edleren Geschöpfe dieses Schöpfers selber‹ (versetzt‘ ich). ›Er soll und wird aussehen wie ein nicht zu junger Ritter der alten Zeit – vorragend auch unter Männern. – Er muss Augen voll Dichter- und Kriegerfeuer haben, und doch dabei solche Herzens-Lieblichkeit, dass er sein Pferd ebenso gut streichelt als spornt und ein gefallnes Kindchen aufhebt und abküsst, eh‘ ers der Mutter reicht. – Auf seiner Stirn müssen ohnehin alle Welten stehen, die er geschaffen, samt den künftigen Weltteilen. – Köstlich muss er aussehen. – Der Bergrücken seiner Nase.....‹ – (Hier, Bona, dacht‘ ich an deinen Rat.) ›Nun, Sie haben ja die Nase selber gesehen, und ich gedenke, das auch zu tun.‹