»Aber wenn das so weiter geht, was wird denn schließlich aus uns?« fragte Saxon.
»Was es jetzt schon ist. Die von uns, die nichts haben, verfaulen in den Städten. Die von uns, die Boden haben, verkaufen ihn und gehen nach den Städten. Einige werden größere Kapitalisten, andere gehen zum Handwerk über, der Rest verbraucht sein Geld und beginnt dann zu verfaulen, und wenn sie bei ihrem Tode noch nicht verfault sind, so verfaulen eben ihre Kinder.«
Die lange Fahrt war jetzt zu Ende, und beim Abschied erinnerte Benson Billy an die feste Arbeit, die seiner wartete, sobald er sie haben wollte.
»Ich denke, wir gucken uns erst einmal den Staatsboden dort ein bisschen an«, antwortete Billy. »Wir wissen noch nicht, was daraus wird, aber eins gibt es, womit wir uns nicht abgeben – das ist sicher.«
»Was denn?«
»Äpfel zu dreitausend Dollar den Morgen zu pflanzen.«
Billy und Saxon marschierten ein Stückchen, ihre Bündel auf dem Rücken. Er war der erste, der das Schweigen brach.
»Und eins will ich dir sagen, Saxon! Das machen wir nie, dass wir kleine Krümel Erde in Körben einen Berg hinaufschleppen. Es gibt noch Platz genug in den Vereinigten Staaten. Mir ist es einerlei, was Benson und die anderen sagen – die Vereinigten Staaten haben noch nicht ausgespielt. Millionen von Morgen, die noch niemand angerührt hat, warten auf uns, wir müssen sie nur finden.«
»Und ich will dir auch etwas sagen«, sagte Saxon. »Wir lernen eine Masse. Tom ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, aber er weiß von Landwirtschaft lange nicht so viel, wie wir schon jetzt. Und ich will dir noch etwas sagen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass wir von dem Staatsboden enttäuscht werden.«
»Man soll nicht alles glauben, was die Leute sagen«, wandte er ein.
»Ach, das ist es nicht. Ich richte mich nur nach meinem eigenen Urteil und möchte dich fragen, ob du nicht findest, dass ich recht habe. Wenn der Boden hier einen Wert von dreitausend den Morgen hat, wie kommt es dann, dass der Staatsboden, wenn er wirklich etwas taugt, nicht weit von hier liegt und nur darauf wartet, dass die Leute ihn sich nehmen?«
Billy dachte eine Weile über diese Frage nach, kam aber zu keinem Ergebnis. Schließlich räusperte er sich und erklärte:
»Nun, wir können ja abwarten und ihn uns erst einmal ansehen, nicht wahr?«
»Ja, das ist sehr richtig«, gab Saxon zu, »wir können abwarten und ihn uns erst einmal ansehen.«
Sie waren die gerade Landstraße über die Berge von Monterey gegangen, statt dem siebzehn Meilen langen Fahrweg an der Küste zu folgen, und deshalb standen sie plötzlich Angesicht zu Angesicht mit der Carmelbucht, ohne geahnt zu haben, welche Schönheit ihrer hier wartete. Sie gingen durch harzduftende Kiefernwälder, vorbei an waldumkränzten, fantastisch und primitiv eingerichteten Villen, die Künstlern und Schriftstellern gehörten, und sie gingen weiter über windumsauste, wogende Dünen, wo der Sand durch harte Lupinen festgehalten wurde und der blasse kalifornische Mohn im Winde nickte. Saxon stieß vor Verwunderung und Freude einen lauten Schrei aus, dann sah sie atemlos die wunderbare graublaue Farbe der Brandung schillernd von goldenem Sonnenlicht, die sich mit Lärm und Gepolter weißschäumend an einem halbmondförmigen Strande brach, dessen Sand kaum weniger weiß war.
Wie lange sie hier standen und auf den stolzen Zug der mächtigen Wogen schauten, die sich von dem tiefen, schaumbewipfelten Meer erhoben, um sich schließlich lärmend auf dem Sande zu ihren Füßen zu brechen, das wusste Saxon nicht. Sie wurde erst dadurch wieder in die Wirklichkeit zurückgerufen, dass Billy lachend begann, ihr den Rucksack, den sie auf dem Rücken trug, abzuschnallen.
»Du siehst aus, als hättest du Lust, einige Zeit hierzubleiben«, sagte er, »da können wir es uns ebenso gut gleich bequem machen.«
»Das hab ich mir nie träumen lassen, das hab ich mir nie träumen lassen!« sagte sie und presste bezaubert die Hände gegeneinander. »Ich – ich fand die Brandung bei Cliff House herrlich, aber sie gibt doch keine Vorstellung von dem hier. – Ach, sieh! Sieh! Hast du je eine so herrliche Farbe gesehen? Und das Sonnenlicht spielt gerade hindurch. Ach, Billy!«
Es dauerte lange, bis sie ihren Blick von der Brandung losreißen und über das Meer schweifen lassen konnte, das in tiefstem Pfaublau unter mächtigen Wolkenmassen bis zum Horizont, jenseits der Biegung des Ufers südlich von der unebenen Klippenspitze und bis zu der unebenen Linie von blauen Bergen reichte, die sich jenseits der weichen, niedrigen Dünen weiter oben im Carmeltal erhoben.
»Wir können uns ebenso gut gleich setzen und es uns bequem machen«, sagte Billy entgegenkommend. »Es ist zu schön, als dass wir gleich wieder weglaufen können.«
Saxon willigte ein und begann sich sofort die Schuhe aufzuschnüren.
»Willst du wirklich?« fragte Billy froh und überrascht und begann sich auch die seinen aufzuschnüren. Ehe sie aber barfuß auf dem schmalen schaumbedeckten Sande, wo Land und Meer sich trafen, laufen konnten, geschah etwas Neues und Wunderbares, das sich ihre Aufmerksamkeit zuzog. Aus dem dunklen Kiefernwald über den Dünen kam ein Mann gelaufen, der nur eine kleine Schwimmhose trug und sonst ganz nackt war. Seine Haut war blass und rosig, sein Gesicht ein richtiges Engelgesicht, eingerahmt von mächtigem gelben, lockigen Haar, aber sein Körper war so muskulös wie der eines Herkules.
»Nanu – das muss Sandow sein!« sagte Billy leise zu Saxon. Aber sie dachte an den Holzschnitt im Poesiealbum ihrer Mutter und an die Wikinger am feuchten Strande Englands.
Der Fremde lief in einer Entfernung von wenigen Metern an ihnen vorbei über den nassen Sand, ohne sich aufzuhalten, bis die Wellen ihm bis ans Knie reichten, während sich vor ihm eine Mauer von Wogen auftürmte, die mindestens zehn Fuß hoch war. So gesund und stark, wie sein Körper zuvor ausgesehen hatte, so weiß und zerbrechlich wirkte er in diesem Augenblick, da das Meer sich anschickte, ihn in seinen mächtigen Armen aufzufangen. Saxon war atemlos vor Angst, und als sie Billy einen verstohlenen Blick zuwarf, bemerkte sie, dass sein Körper gleichsam in gespannter Erwartung erstarrte.
Aber der Fremde machte, als das Meer ihm entgegenschlug, einen Sprung, und im selben Augenblick, als er schon zerschmettert zu werden schien, tauchte er in die Brandung und verschwand. Die mächtigen Wassermassen fielen mit Lärm und Gepolter auf den Strand, aber dahinter tauchte ein goldhaariger Kopf auf, ein Arm erschien und ein Stück Schulter. Er konnte nur wenige Schwimmzüge machen, als er auch schon gezwungen war, sich in einem neuen Brecher zu ducken. Das war es, um was er kämpfte – das Meer zu erreichen, die Wogen, durch die Wellen hindurch, die mit Getöse zur Küste hasteten. Jedes Mal, wenn er tauchte und ihren Augen entschwand, presste Saxon die Hände gegeneinander. Zuweilen, wenn eine der mächtigen Wogen vorbei gezogen war, konnten sie ihn gar nicht finden, und wenn sie ihn schließlich sahen, war er weit fort geschleudert wie ein Schiff in der tosenden Brandung. Oft sah es aus, als müsste er es aufgeben und würde an den Strand geworfen, als aber eine halbe Stunde vergangen war, hatte er den äußersten Rand der Brandung hinter sich und schwamm mit starken Zügen, ohne zu tauchen, und beständig auf dem Gipfel der Wogen. Bald war er so weit fort, dass sie ihn nur hin und wieder als einen Punkt in der Ferne sehen konnten. Aber auch dieser Punkt verschwand, und Saxon und Billy sahen sich an, ganz erfüllt von Erstaunen über die Tapferkeit des Schwimmers, Billy mit leuchtenden Augen.
»Der kann schwimmen, der Junge, der kann schwimmen«, sagte er bewundernd. »Der hat keine Angst – nein! Weißt du, ich kann im Bassin schwimmen und in kleinen Wellen, aber jetzt will ich im großen Meere schwimmen lernen. Könnte ich das, so würde ich so stolz sein, dass du mir gar nicht nahe kommen dürftest! Ja, Saxon, das sage ich dir – das würde ich lieber tun, als tausend Bauernhöfe besitzen. Oh, ich kann auch schwimmen, sage ich dir, aber ich habe noch nie jemand schwimmen sehen wie den Burschen dort. Ich gehe nicht weg vom Strande, ehe er wiederkommt – ganz allein draußen in berghohen Seen – denk dir nur! Der hat Mut, Donnerwetter!«
Saxon und Billy liefen barfuß am Strande auf und ab, verfolgten sich mit Peitschen aus Tang, die sie durch die Luft schwangen, und spielten wie zwei Kinder. Das dauerte eine ganze Stunde, und erst als sie sich die Schuhe wieder anzogen, erblickten sie den gelben Kopf, der sich jetzt auf das Land zu bewegte. Billy stand dicht vor der Brandung, um ihn zu empfangen, und als er kam, war er nicht weißhäutig wie in dem Augenblick, als er sich in die Wellen gestürzt hatte, sondern kupferrot von den vielen Schlägen, die das Meer ihm erteilt hatte.
»Das war großartig, sage ich Ihnen!« begrüßte Billy ihn mit ehrlicher Bewunderung.
»Ja, die Brandung war heute schlimm«, antwortete der junge Mann, anerkennend nickend.
»Sie sind doch wohl nicht ein Boxer, von dem ich nie etwas gehört habe?« fragte Billy, der gern gewusst hätte, wer dieses physische Wunder sein könnte.
Der andere lachte und schüttelte den Kopf, und Billy ahnte nicht, dass er den Anführer einer bekannten Universitätsfußballmannschaft und im übrigen einen Familienvater und Verfasser vieler Bücher vor sich hatte. Der Schwimmer maß Billy mit einem forschenden Blick, wie einen jungen Studenten, der sich zum Fußballklub meldete.
»Sie sind selbst ein ganzer Kerl«, sagte er anerkennend. »Am besten sehen Sie sicher ohne Kleider aus. Irre ich mich, wenn ich sage, dass Sie sicher etwas von Boxen verstehen?«
Billy nickte. »Mein Name ist Roberts.«
Der Schwimmer runzelte die Stirn, als versuchte er vergebens, sich des Namens zu erinnern.
»Bill – Bill Roberts!« fügte Billy hinzu.
»Oho! – Doch nicht der Große Bill Roberts? Dann habe ich Sie vor dem Erdbeben boxen sehen. Es war im Handwerkerpavillon, und gerade vor Eddi Hanlon und einem anderen Boxer. Sie boxten mit beiden Fäusten, und Sie haben furchtbare Fäuste, sind aber sehr langsam. Ja, ich erinnere mich – Sie waren an dem Abend langsam, aber Sie schlugen Ihren Gegner.« Er streckte ihm eine nasse Hand entgegen. »Mein Name ist Hazard – Jim Hazard.«
»Und wenn Sie der große Fußballspieler sind, von dem vor ein paar Jahren so viel die Rede war, so habe ich in der Zeitung von Ihnen gelesen. Hab’ ich recht?«
Sie drückten sich die Hände mit großer Herzlichkeit, und dann wurde Saxon vorgestellt. Sie fühlte sich unsagbar klein neben den beiden jungen Riesen, gleichzeitig aber war sie sehr stolz, einer Rasse anzugehören, deren Frauen Männer wie diese geboren hatten. Sie konnte nur zuhören, wenn die beiden sprachen.
»Ich hätte Lust, jeden Tag eine halbe Stunde mit Ihnen zu boxen«, sagte Hazard. »Sie könnten mich viel lehren. Bleiben Sie lange hier?«
»Nein, wir müssen weiter die Küste entlang – wir sehen uns nach Grund und Boden um. Aber deshalb könnte ich Sie doch dies oder jenes lehren, und eines können Sie mich lehren – nämlich Schwimmen in der Brandung.«
»Ich will gern jederzeit den Unterricht mit Ihnen tauschen«, sagte Hazard. Dann wandte er sich zu Saxon. »Warum bleiben Sie nicht einige Zeit hier in Carmel? Hier ist es wirklich schön.«
»Hier ist es herrlich«, gab sie mit einem dankbaren Lächeln zu. »Aber –« sie wandte sich um und zeigte auf ihre Bündel, die am Rande der Lupinen lagen, »wir sind auf der Wanderung und auf der Umschau nach Staatsboden.«
»Wenn Sie dazu nach Sur wollen, er läuft er Ihnen nicht weg«, lachte er. »Nun, jetzt muss ich aber zuerst sehen, in die Kleider zu kommen. Wenn Sie diesen Weg zurückkommen, müssen Sie mich ja besuchen. Alle Menschen können Ihnen sagen, wo ich wohne. Auf Wiedersehen!«
Und er verschwand, wie er gekommen war, im Lauf über die Dünen.
Billy sah ihm bewundernd nach.
»Ein tüchtiger Kerl! Ein tüchtiger Kerl!« murmelte er. »Weißt du, Saxon – er ist ein berühmter Mann. Ich habe sein Gesicht in den Zeitungen gesehen, ach, mindestens tausendmal, und dabei tut er sich nicht im geringsten dicke. Er sprach mit mir wie mit seinesgleichen. Weißt du – ich bekomme direkt wieder Glauben an den alten Stamm.«
Dann gingen sie vom Strande fort und kauften in der winzigen Hauptstraße Fleisch, Gemüse und ein Dutzend Eier. Billy musste Saxon von einem höchst anziehenden Schaufenster direkt wegziehen, wo es viele Abalonenperlen mit und ohne Fassung gab, die in allen Farben des Regenbogens spielten.
»Die ganze Küste entlang gibt es Abalonen«, sagte Billy, »du kannst so viele haben, wie du willst. Man findet sie bei Ebbe.«
»Mein Vater hatte Manschettenknöpfe aus Abalonenschalen, in reines weißes Gold gefasst. Ich habe viele Jahre nicht daran gedacht und möchte wohl wissen, wer sie jetzt hat?«
Sie machten kehrt und gingen nach Süden. Überall guckten zwischen den Kiefern schöne eigenartige Häuser hervor, Häuser, die verschiedenen Künstlern gehörten, und als der Weg plötzlich nach dem Carmelfluss abbog, waren sie nicht vorbereitet auf das Gebäude, das sich hier ihren Blicken darbot.
»Ich weiß gut, was das ist«, flüsterte Saxon. »Eines von den alten spanischen Missionsgebäuden. Es ist selbstverständlich die Carmelmission! Ja, so war es, als die Spanier aus Mexiko herkamen – sie bauten überall Missionshäuser und bekehrten die Indianer –«
»Bis wir sie verjagten, Spanier und Indianer und die ganze Bande«, sagte Billy mit ruhiger Zufriedenheit.
»Aber deshalb ist es doch wunderbar!« sagte Saxon nachdenklich und starrte auf das große, halbverfallene Gebäude aus ungebrannten Ziegeln. »In San Franzisko ist die Dolores-Mission, aber sie ist kleiner als diese und nicht so alt.«
Gegen das Meer durch niedrige Felsen geschützt, von den Menschen verlassen, stand diese Kirche aus in der Sonne getrocknetem Lehm und Stroh und Kreidestein so still und friedlich inmitten der Ziegelruinen, die einst Tausenden von Andächtigen Schutz gewährt hatten. Der Geist, der über der Stätte ruhte, senkte sich auf Saxons und Billys Gemüt herab, und sie gingen vorsichtig und sprachen flüsternd, als fürchteten sie sich, durch die offene Tür hineinzugehen. Hier gab es weder Priester noch Andächtige, aber sie fanden alle Anzeichen, dass die Stätte von einer Gemeinde benutzt wurde.
Später erkletterten sie den Glockenturm, der beim Erdbeben geborsten war, und saßen auf dem Holzwerk, das mit der Hand zugehauen war; und auf der Galerie, wo sie bemerkten, dass ihre Stimmen besonders rein und klar klangen, sang Saxon, über ihre eigne Kühnheit zitternd, die ersten Verse eines Hirtenliedes. Und begeistert über das Ergebnis lehnte sie sich über das Geländer, und ihre Stimme erlangte allmählich ihre volle Kraft.
Billy lehnte sich an die alte Mauer und betrachtete sie mit der warmen Glut der Liebe in den Augen, und als sie fertig war, murmelte er, fast flüsternd:
»Das war schön – ach so schön! Und du hättest nur dein Gesicht sehen sollen, als du sangst. Es war ebenso schön wie deine Stimme. Ist es nicht komisch – ich denke nie an Religion, ohne gleichzeitig an dich zu denken.«
Sie ließen sich unter den Weiden nieder, bereiteten ihr Mittagessen und verbrachten den Nachmittag auf dem niedrigen Felsvorsprung nördlich von der Flussmündung. Es war nicht ihre Absicht gewesen, den Nachmittag hier zu bleiben, aber sie waren zu bezaubert, um die Brandung, die an die Felsen schlug, und die vielerlei farbenprächtigen Lebewesen verlassen zu können, die sie im Meere fanden – Sternfische, Krabben, Muscheln, Seeanemonen und einmal in einem kleinen Binnensee zwischen den Felsen einen kleinen Teufelsfisch, der es ihnen kalt über den Rücken laufen ließ, wenn er sein Netz nach den kleinen Krabben auswarf, die sie ihm hinwarfen. Als das Wasser zu sinken begann, sammelten sie Muscheln zu einer Mahlzeit – mächtige Kerle, fünf bis sechs Zoll lang und bärtig wie Patriarchen. Und während Billy vergebens nach Abalonen suchte, plätscherte Saxon in dem kristallklaren Wasser eines kleinen Binnensees mitten im Felsen und wirbelte ganze Hände voll funkelnder Juwelen hoch – Stücke von Muschelschalen und Steine in leuchtend Rosa und Blau und Grün und Violett. Billy kam wieder und legte sich neben sie, und da lagen sie nun in dem seefrischen Sonnenschein, während sie zusammen die Sonne hinter dem Horizont versinken sahen, wo das Meer am tiefsten pfaublau war.
Sie reichte Billy die Hand und seufzte innig zufrieden. Es kam ihr vor, als hätte sie nie einen so wunderbaren Tag erlebt. Es war, als wollten alle alten Träume in Erfüllung gehen. Sie hatte sich nie gedacht, dass die Welt so herrlich sein könnte, nicht einmal in ihren schönsten Träumen. Billy drückte ihr zärtlich die Hand. »Woran denkst du?« fragte er, als sie sich schließlich erhob, um zu gehen.
»Ach, das weiß ich nicht recht, Billy. Vielleicht dachte ich daran, dass ein Tag wie der heutige viel schöner war als zehntausend Jahre in Oakland.«
*
Sie verließen den Carmelfluss und Carmel, und im Sonnenaufgang wanderten sie nach Süden über die Hügel zwischen den hohen Bergen und dem Meere. Der Weg war arg überschwemmt und voller Wasserläufe und sah nicht nach starkem Verkehr aus.
»Weiter unten verschwindet er ganz«, sagte Billy. »Dort gibt es nur Viehsteige. Aber es sieht nicht danach aus, dass es dort Wald gäbe, und dieser Boden ist nicht besonders gut. Er ist nur als Weide zu gebrauchen – nichts für Landwirtschaft.«
Die Hügel waren kahl und mit Gras bewachsen. Nur in den Canyons gab es Wälder, während die höheren und ferneren Berge ganz zottig von Chaparral waren. Einmal sahen sie einen Coyoten in den Busch schlüpfen, und einmal hätte Billy gern ein Gewehr gehabt, da eine große Wildkatze sie boshaft anstarrte und erst flüchtete, als sie mit einem Klumpen Erde vertrieben wurde, der wie eine Granate um ihre Ohren explodierte.
Saxon klagte über Durst, und an einer Stelle, wo der Weg fast in gleicher Höhe mit dem Meeresspiegel ging und über eine kleine Bergschlucht führte, sah Billy sich nach Wasser um. Die Felsschlucht war feucht von dem Wasser, das von den Hügeln herabsickerte, und er ließ sie sich niedersetzen und sich ausruhen, während er nach einer Quelle suchte.
»Hör mal«, rief er ein paar Minuten später, »komm herunter. Das musst du wirklich sehen. Wenn du das siehst, wirst du ganz wild.«
Saxon folgte dem halbverwischten Pfad, der über den steilen Hang durch das Dickicht hinabführte. Ungefähr in der Mitte, wo ein von großen Steinen beschwerter Stacheldrahtzaun hoch über die Mündung der Schlucht hinwegführte, sah sie den ersten Schimmer des winzigen Strandes. Nur vom Meere aus konnte man die Existenz dieser Schlucht erraten, so völlig war sie zwischen den drei Seiten nach dem Land zu mit Buschwerk bedeckt. Aber vom Strande ging eine schmale Bucht in das Land hinein, und durch diese hindurch brüllte das Meer, um sich schließlich wieder in der ganz schwach pulsierenden Brandung zu verlieren. Vor dieser Bucht befanden sich viele freistehende Klippen, gegen die die Brandung in all ihrer Gewalt wütete, wobei sie Schaum und Spritzer hoch in die Luft sandte. Der Fuß dieser Klippen, der sich aus den Wogen erhob, war schwarz von Muscheln. Obendrauf lagen mächtige Seelöwen, glänzend von Wasser und die Sonne anbrüllend, während hoch oben in der Luft eine Menge Seevögel flogen, die hin und her wirbelten, kreischten und laute Schreie ausstießen.
Das letzte Stück des Weges bis zum Stacheldrahtzaun hinab war eine Rutschbahn von einigen Metern, und Saxon landete sitzend auf dem weichen, trocknen Sand.
»Ach, ich sage dir – das ist großartig!« sagte Billy mit überströmender Freude. »Sieh, das ist noch eine Stelle, wo es sich lohnt zu rasten. Unter den Bäumen ist die reizendste Quelle, die du dir denken kannst. Und sieh all das gute Brennholz und« – sein Blick schweifte über das Meer hinaus, und seine Augen sahen, was er nicht mit Worten ausdrücken konnte – »und das alles. Sieh die Muscheln dort. Ich möchte wetten, dass wir Fische fangen könnten. Was meinst du dazu, wenn wir ein paar Tage hierbleiben? – Wir haben doch Ferien – und ich könnte nach Carmel zurückgehen, um Angelschnüre und Haken zu holen.«
Saxon, die ganz davon in Anspruch genommen war, seine freudestrahlende Miene zu betrachten, verstand, dass er jetzt im Ernst das Leben in der Stadt vergessen wollte.
»Und es ist kein Wind hier«, sagte er überredend. »Nicht ein Hauch. Und sieh, wie unberührt es ist – ganz, als wären wir viele Meilen von allen Menschen entfernt.«
Der Wind, der auf den Hügeln kalt und scharf gewesen war, konnte nicht in die Bucht hereindringen, und die Luft am Strande war warm und balsamisch, von einem würzigen, durchdringenden Duft aus dem Gebüsch erfüllt. Hie und da, mitten im Gebüsch, standen kleine Eichen und andere kleine Bäume, deren Namen Saxon nicht kannte. Ihre Begeisterung war jetzt mindestens ebenso groß wie die Billys, und Hand in Hand gingen sie, um die Umgegend zu erforschen.
»Hier können wir ja Robinson Crusoe spielen«, rief Billy, als sie von der Hochwassermarke über den harten Sand bis ans Wasser gingen. »Komm, Robinson. Lass uns ein Weilchen hierbleiben. Ja, ich bin natürlich nur dein Diener Freitag, und alles wird geschehen, wie du es wünschst.«
»Aber was sollen wir denn mit Herrn Sonnabend machen?« Sie zeigte mit gut gespielter Bestürzung auf einen frischen Fußabdruck im Sande. »Er kann ja zum Beispiel ein böser Menschenfresser sein.«
»Dies nicht, das ist kein nackter Fuß sondern ein Tennisschuh.«
»Aber ein Wilder hätte doch gut einen Tennisschuh von einem ertrunkenen Seemann bekommen können, den er gefressen hat«, wandte sie ein.
»Aber Seeleute tragen auch keine Tennisschuhe«, antwortete Bill rasch.
»Du bist zu klug, um Freitag zu sein«, schalt sie. »Aber deshalb können wir uns doch hier niederlassen, wenn du die Bündel holen willst. Außerdem braucht es ja kein Seemann zu sein, der gefressen wurde. Es kann auch ein Passagier gewesen sein.«
Ehe eine Stunde vergangen war, hatten sie sich ein warmes, gemütliches Lager bereitet. Die Decken waren ausgebreitet; trockenes Treibholz wurde geholt, zu Brennholz gehackt und die Kaffeekanne über das angezündete Feuer gehängt, wo sie bald zu schnurren begann. Saxon rief Billy, der dabei war, aus einer von den Wellen stark verwaschenen Planke einen improvisierten Tisch zu verfertigen. Auf dem Felsvorsprung in der Ferne stand ein nackter, nur mit Schwimmhosen bekleideter Mann. Er starrte zu ihnen herüber, und sie konnten sehen, wie der Wind sein langes schwarzes Haar packte. Als er die Dünen nach dem Lande zu erklomm, machte Billy Saxon darauf aufmerksam, dass der Fremde Tennisschuhe trug. Wenige Minuten später hatte er sich von dem Felsen an den Strand geschwungen und kam jetzt auf sie zu. »Großer Gott«, flüsterte Billy Saxon zu. »Er ist ja mager genug, aber sieh seine Muskeln! Hier scheinen ja alle Menschen richtige Sportsleute zu sein.«
Als der Fremde näher kam, sah Saxon sein Gesicht, und sie musste an die ersten Ansiedler und an gewisse Gesichter denken, die man häufig unter Soldaten aus jener Zeit sieht. Obwohl dieser Mann jung war – nicht über dreißig, wie sie sich sagte –, hatte er doch dasselbe lange, schmale Gesicht mit den starken Backenknochen, der hohen, schmalen Stirn und der starkgebogenen Nase, die fast wie ein Adlersehnabel war. Die Lippen waren dünn und sehr beweglich; aber die Augen waren ganz anders als die Augen eines Pioniers oder eines Veteranen, oder überhaupt irgendeines Mannes, den sie je gesehen hatte. Sie waren so dunkelgrau, dass sie fast braun wirkten, und ihr Blick ging in die Ferne und war wachsam wie ein klares Licht, das unendliche Tiefen erforscht. Saxon hatte eine unklare Vorstellung, dass sie ihn früher schon einmal gesehen hatte.
»Guten Tag«, sagte er. »Hier scheint es ja recht gemütlich zu sein.« Er warf einen halb mit Muscheln gefüllten Sack auf den Boden. »Das ist alles, was ich fangen konnte. Das Wasser stand noch nicht niedrig genug.«
Saxon hörte Billy einen leisen Ruf ausstoßen, und sie sah, wie sich die höchste Überraschung in seinem Gesicht malte.
»Weiß Gott, ich bin stolz und froh, Sie zu treffen!« brach es aus ihm heraus. »Darf ich Ihre Hand drücken? Ich habe immer gesagt, wenn ich Sie je vor Augen sehe, wollte ich Ihre Hand drücken. – Wissen Sie!«
Aber hier wurde Billy von seinen Gefühlen überwältigt, und das halberstickte Kichern, womit er begann, wurde bald zu einem schallenden Gelächter.
Der Fremde sah ihn neugierig an und warf Saxon einen fragenden Blick zu.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte Billy mit einem gurgelnden Geräusch, während er dem anderen immer wieder die Hand schüttelte. »Aber ich muss wirklich lachen. Ich sage Ihnen, dass ich nachts aufgewacht bin und gelacht habe, weiß Gott! Kennst du ihn nicht, Saxon? Das ist doch der – sagen Sie, Freund, Sie sind ein tüchtiger Kerl im Hundertmeterlauf, nicht wahr?«
Und im selben Augenblick wusste Saxon, wo sie den Fremden schon gesehen hatte. Es war der, welcher mit Roy Blanchard bei dem Auto gestanden hatte, als sie krank und bewusstlos in einen fremden Stadtteil geraten war. Und an dem Tage hatte sie ihn auch nicht zum ersten Mal gesehen.
»Erinnern Sie sich noch an das Fest der Maurer im Weasel Park?« fragte Billy. »Und an das Rennen? Ich hätte Ihre Nase aus Millionen herausgekannt. Sie waren es, der Timothy McManus den Stock zwischen die Beine steckte und den schlimmsten Krawall veranlasste, den Weasel Park oder irgendein anderer Sportplatz je gesehen hat.«
Jetzt musste auch der Fremde lachen. Er stand bald auf einem Bein, bald auf dem anderen, je nachdem ihn das Lachen zu überwältigen drohte, und schließlich setzte er sich auf ein Stück Treibholz.
»So, Sie waren auch dort!« stammelte er schließlich. »Na, haben Sie es gesehen? Haben Sie es gesehen?« Er wandte sich zu Saxon. – »Und Sie?«
Sie nickte.
»Sagen Sie«, begann Billy wieder, als das Lachen sich etwas gelegt hatte, »ich möchte gern wissen, warum Sie das taten. Sagen Sie, warum taten Sie das nur? Das habe ich mich seither immer wieder gefragt.«
»Ich mich auch!« lautete die Antwort.
»Sie hatten Timothy McManus nie zuvor gesehen, nicht wahr?«
»Nein, ich hatte ihn nie zuvor gesehen, und ich habe ihn auch seither nicht wiedergesehen.«
»Aber warum taten Sie es dann?« fragte Billy eindringlich.
Der junge Mann lachte weiter, bezwang sich aber schließlich und antwortete:
»Und wenn es mein Leben kosten sollte, ich weiß es nicht! Ich habe einen Freund, einen sehr intelligenten Burschen, der ernste wissenschaftliche Bücher schreibt, und der sagt, dass es ihm immer in den Fingern juckt, ein Ei in einen elektrischen Ventilator zu werfen, um zu sehen, was geschehen wird. Vielleicht war es mit mir genau dasselbe – und es war nur das, was ich tat. Als ich die Beine herankommen sah, steckte ich einfach den Stock dazwischen. Ich wusste selber gar nicht, dass ich es tun wollte. Ich tat es eben. Timothy McManus konnte nicht erstaunter sein, als ich es war.«
»Hat man Sie gekriegt?« fragte Billy.
»Sehe ich aus, als ob ich mich kriegen ließe? Ich bin nie in meinem Leben so erschrocken gewesen. An dem Tag hätte selbst Timothy McManus mich nicht fangen können. Aber was geschah hinterher? Ich habe gehört, dass es einen furchtbaren Krach gab, aber ich konnte es nicht abwarten.«
Erst nach einer Viertelstunde, als Billy die Prügelei beschrieben hatte, stellte der Fremde sich vor und erfuhr ihren Namen. Er hieß Mark Hall und wohnte in einer kleinen Villa zwischen den Kiefern bei Carmel.