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Der kleine Ritter

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»Das Gelübde kann er doch noch nicht geleistet haben,« warf der Herr Marschall ein; »aber drängt nicht in ihn, damit er nicht schwankend werde; und auch damit müßt Ihr rechnen, ob nicht in seiner Absicht Gottes Wille sich offenbart.«

»Gottes Wille? Gottes Wille kommt nicht plötzlich; wie schon unser altes Sprichwort sagt, was plötzlich kommt, kommt von der Hölle. Wäre es Gottes Wille gewesen, so hätte ich längst in ihm eine Neigung dazu gefunden; er aber war kein Geistlicher, er war ein Dragoner. Hätte er im Besitze seines vollen Verstandes in Ruhe und mit Überlegung einen solchen Entschluß gefaßt – ich hätte nichts gesagt. Aber Gottes Wille kommt nicht über den Menschen in der Verzweiflung, wie der Blaufuß über die Kriekente. Ich will nicht in ihn drängen. Bevor ich zu ihm gehe, werde ich mir zurechtlegen, was ich ihm sagen will, um ihn nicht abzuschrecken; aber ich hoffe zu Gott. Der brave Rittersmann hat stets meinem Witz mehr getraut als seinem, und ich denke, es wird auch jetzt so sein, sonst müßte er sich ganz verändert haben.«

Am folgenden Tage zog Sagloba die Glocke an der Klosterpforte des Mons Regius. Er hatte sich mit Briefen des Primas versehen und den ganzen Plan mit Ketling entworfen. Das Herz schlug ihm mächtig bei dem Gedanken, wie ihn Wolodyjowski empfangen würde, und obgleich er sich vorher zurechtgelegt hatte, was er sagen wollte, sah er doch selbst ein, daß viel davon abhängen würde, wie er aufgenommen wurde. Mit diesem Gedanken beschäftigt, zog er das zweitemal die Glocke, und als der Schlüssel im Schloß knarrte und die Pforte ein wenig geöffnet wurde, drang er schnell, sogar ein wenig gewaltsam durch dieselbe ein und sagte zu dem jungen Mönch, der verwirrt dastand:

»Ich weiß, daß man eine besondere Erlaubnis haben muß, um hier einzutreten, aber ich habe einen Brief vom Herrn Erzbischof, den Ihr, lieber Bruder, dem Herrn Prior übergeben wollet.«

»Es soll nach Eurem Willen geschehen,« antwortete der Pförtner und verneigte sich beim Anblick des Siegels des Herrn Primas. Bei diesen Worten zog er den Riemen, der am Klöpfel befestigt war, und schlug zweimal an, um jemand herbeizurufen, denn er hatte nicht das Recht, sich von der Pforte zu entfernen. Bei dem Glockenschlag erschien ein zweiter Mönch, nahm den Brief und entfernte sich schweigsam; Sagloba aber legte ein Bündel, das er mit sich hatte, auf der Bank nieder; dann setzte er sich und begann laut zu keuchen.

»Bruder,« sagte er endlich, »wie lange seid Ihr im Kloster?«

»Das fünfte Jahr,« antwortete der Pförtner.

»So jung und schon das fünfte Jahr! So wäre es, wenn Ihr auch Lust hättet, fortzugehen, schon zu spät, und Ihr müßt wohl manchmal Sehnsucht empfinden nach der Welt, denn, Freundchen, der eine sehnt sich nach dem Krieg, der andere nach Lebensfreuden, der dritte nach den Weibern.«

»Apage,« sagte der Mönch und bekreuzigte sich fromm.

»Wie, hat Euch nie die Versuchung angewandelt?« wiederholte Sagloba.

Der Mönch aber sah den Abgesandten des Bischofs, der so seltsame Reden führte, mit Mißtrauen an und erwiderte:

»Hinter wem sich die Tür hier schließt, der kommt nicht wieder heraus.«

»Das wollen wir noch sehen. Was geht denn mit Herrn Wolodyjowski vor? Ist er gesund?«

»Wir haben hier niemand, der also heißt.«

»Bruder Michael?« fragte Sagloba zur Probe, »der frühere Dragonerhauptmann, der unlängst hier eingetreten ist.«

»Den nennen wir Bruder Georg; aber er hat bisher das Gelübde noch nicht geleistet, und kann es vor dem Termin nicht leisten.«

»Und wird es auch sicher nicht leisten, denn Ihr glaubt nicht, Bruder, was das für ein Schürzenjäger war, einen zweiten, der so der Weibertugend feind war wie er, findet Ihr nicht in sämtlichen Klö … ich wollte sagen in sämtlichen Regimentern der gesamten Linie …«

»Es ziemt mir nicht, das anzuhören,« erwiderte mit wachsendem Erstaunen und Mißachten der Mönch.

»Hört, Bruder, ich weiß nicht, wo es bei Euch Sitte ist, zu empfangen; wenn hier, so rate ich Euch, wenn Bruder Georg kommt, so geht lieber davon, geht dort in das Zimmer bei der Pforte, denn wir werden hier von sehr weltlichen Dingen sprechen.«

»Ich will lieber gleich fortgehen,« sagte der Mönch.

Inzwischen war Wolodyjowski erschienen, oder richtiger Bruder Georg, aber Sagloba erkannte den Heranschreitenden nicht, denn Michael hatte sich sehr verändert.

Erstens erschien er in dem langen, weißen Mönchshabit größer als im Dragonerkollett, zweitens hatte er jetzt die Enden seines Bartes, die früher in die Höhe starrten, herunterhängen und seinen Kinnbart stehen lassen, der zwei gelbe Zöpfchen bildete, nicht länger als einen halben Finger; endlich war er mager und elend geworden, und seine Augen hatten den alten Glanz verloren. Er kam langsam heran, die Hände auf der Brust unter dem Habit und das Haupt gesenkt.

Sagloba hatte ihn nicht erkannt und dachte, daß der Prior selbst käme; darum stand er auf und begann:

»Laudetur …«

Plötzlich blickte er näher hin, öffnete die Arme und rief: »Michael, Michael!«

Bruder Georg ließ sich in seine Arme reißen, etwas wie Schluchzen erschütterte ihn, aber seine Augen blieben trocken. Sagloba umarmte ihn lange, endlich begann er:

»Du hast nicht allein dein Unglück beweint, auch ich habe es beweint, die Skrzetuskis und die Kmizizs haben es beweint. Möge dich der Vater der Barmherzigkeit trösten, belohnen …! Du hast wohlgetan, daß du auf einige Zeit diese Mauern zum Ruheort gewählt hast, nichts Besseres gibt es im Unglück als Gebet und fromme Beschaulichkeit. Komm, laß dich noch einmal umarmen! Ich kann dich durch meine Tränen kaum sehen.«

Und Sagloba weinte wirklich, von Wolodyjowskis Anblick ergriffen, endlich fuhr er fort:

»Verzeih, daß ich deine Andacht unterbrochen habe, aber ich konnte nicht anders, und du wirst mir selbst recht geben, wenn ich dir meine Gründe anführe. Ei, Michael, viel Gutes und Böses haben wir miteinander erlebt! Hast du hinter diesem Gitter Trost gefunden?«

»Ich habe ihn gefunden,« antwortete Michael, »in den Worten, die ich hier täglich höre, und die ich bis an meinen Tod wiederholen will: memento mori. Im Tode ist mein Trost.«

»Hm, den Tod findet man leichter auf dem Schlachtfeld als im Kloster, wo das Leben sich so hinzieht, als wickle man langsam den Faden von der Spule.«

»Hier gibt es kein Leben, denn es gibt keine irdischen Dinge, und ehe die Seele den Körper verläßt, lebt sie schon wie in jener Welt.«

»Wenn dem so ist, will ich dir nicht mehr sagen, daß die Horde von Bialogrod in großer Macht gegen die Republik auszieht, denn was kann dich das noch kümmern?«

Herr Michael verzog plötzlich die Lippen und griff unwillkürlich mit der Rechten an seine linke Seite: da er aber das Schwert nicht fand, zog er gleich beide Hände unter das Habit zurück, senkte den Kopf und sagte:

»Memento mori!«

»Ganz recht, ganz recht!« sagte Sagloba und zwinkerte ungeduldig mit seinem einen gesunden Auge. »Gestern noch hat Herr Sobieski, der Hetman, gesagt: »Hätte wenigstens Wolodyjowski noch diesen einen Sturm mitgedient, und wäre er dann in ein beliebiges Kloster gegangen, Gott hätte darum nicht gezürnt; im Gegenteil, ein solcher Mensch hätte ein um so größeres Verdienst.« Aber es nimmt mich nicht wunder, daß du die eigene Beruhigung dem Glücke des Vaterlandes vorziehst: »zuerst die Barmherzigkeit, dann ich.««

Eine lange Pause trat ein; nur die Bartenden Michaels strebten in die Höhe und fingen an, sich schnell und leicht zu bewegen.

»Das Gelübde hast du noch nicht geleistet?« fragte endlich Sagloba, »und kannst jeden Augenblick austreten?«

»Noch bin ich nicht Mönch; ich habe auf die Gnade Gottes gewartet und darauf, daß alle irdischen Schmerzgedanken meine Seele verlassen. Aber seine Gnade ist über mir, der Friede kehrt ins Herz, – ich kann hinaus, aber ich will nicht mehr, denn der Termin kommt heran, an dem ich mit reinem Gewissen und frei von irdischer Begehrlichkeit das Gelübde werde leisten können.«

»Ich will dich nicht davon abbringen, im Gegenteil, ich lobe deinen Entschluß, obwohl ich mich erinnere, daß, als Skrzetuski zu jener Zeit die Absicht hatte, Mönch zu werden, er doch so lange damit zögerte, bis das Vaterland von der Überflutung der Feinde frei sein würde. Aber handle, wie du willst, wahrlich, ich werde dich nicht davon abbringen, denn ich selbst empfand seinerzeit den Beruf zum Klosterleben in mir. Vor fünfzig Jahren begann ich sogar schon das Noviziat – ein Schelm, wenn ich lüge. Nun, Gott hat es anders gelenkt … Nur das eine sage ich dir, Michael: jetzt mußt du mit mir hinaus, sei es auch nur auf wenige Tage.«

»Warum soll ich austreten? Laßt mich in Frieden!« sagte Wolodyjowski.

Sagloba hob den Zipfel seines Oberrockes an die Augen und begann zu schluchzen.

»Für mich,« sprach er in abgerissenen Worten, »bitte ich nicht um Rettung, obwohl mich Fürst Boguslaw Radziwill mit seiner Rache verfolgt und Mörder für mich dingt, und ich alter Mann niemanden habe, der mich verteidige und schütze … ich dachte, du würdest … doch nein, nicht doch; ich werde dich immer lieben, wenn du mich auch nicht kennen wolltest. Bete nur für meine Seele, denn ich werde Boguslaws Händen nicht entrinnen. Treffe mich, was mich treffen soll! Aber dein anderer Freund, der jeden Bissen Brot mit dir geteilt, liegt im Sterben; er will dich durchaus noch sehen. Er will ohne dich nicht sterben, denn er hat dir Bekenntnisse zu machen, von welchen der Friede seiner Seele abhängt.«

Michael, der schon die Mitteilung von der Gefahr Saglobas mit großer Teilnahme angehört hatte, sprang jetzt auf, faßte Sagloba bei den Armen und fragte:

»Skrzetuski?«

»Nicht Skrzetuski, – Ketling.«

»Um Gottes willen, was ist ihm geschehen?«

»Bei meiner Verteidigung hat ihn ein Schuß von den Leuten des Fürsten Boguslaw getroffen, und ich weiß nicht, ob er noch einen Tag leben wird. Um deinetwillen, Michael, sind wir beide in eine solche Lage gekommen, denn wir sind nur darum nach Warschau geeilt, um dir einen Trost zu ersinnen. Komme wenigstens auf zwei Tage heraus und tröste einen Sterbenden. Du kommst später wieder zurück und wirst Mönch. Ich habe vom Primas an den Prior einen Auftrag gebracht, daß man dir keine Hindernisse in den Weg lege. Eile nur, denn jeder Augenblick ist teuer.«

 

»So wahr ich lebe,« sagte Wolodyjowski, »was höre ich! Hindernisse kann man mir hier nicht bereiten, denn ich bin gleichsam nur zur Rekollektion hier … So wahr ich lebe, die Bitte eines Sterbenden ist eine heilige Sache, ich muß sie erfüllen.«

»Es wäre auch eine Todsünde anders!« rief Sagloba.

»So ist es! Immer und ewig dieser Verräter Boguslaw! Aber wenn ich Ketling nicht räche, so will ich nie hierher zurückkehren! Ich will sie schon finden, diese Höflinge, diese Häscher und will ihnen die Köpfe schon zurechtsetzen. Großer Gott, schon kommen todeswürdige Gedanken über mich, memento mori … Wartet nur, bis ich die alten Kleider angelegt habe, denn im Habit ist es nicht erlaubt, in die Welt hinauszugehen.«

»Hier sind Kleider,« rief Sagloba und griff nach dem Bündel, das bisher neben ihm auf der Bank gelegen hatte. »Ich habe alles vorgesehen, alles vorbereitet; hier sind Stiefel, hier ein Rapier, hier ein Wams …«

»Kommt in die Zelle!« sagte der kleine Ritter eilig.

Und sie gingen. Als sie wieder erschienen, trippelte nicht mehr ein weißer Mönch neben Herrn Sagloba, sondern ein Offizier in gelben Kanonenstiefeln, ein Rapier an der Seite und das weiße Degengehänge über der Schulter. Sagloba blinzelte mit dem Auge und verzog seine Lippen zu einem Lächeln beim Anblick des Bruder Pförtners, der mit sichtlicher Kränkung in den Zügen beiden das Tor öffnete.

Unweit des Klosters wartete der Korbwagen Saglobas mit zwei Knechten. Der eine saß auf dem Bock und hielt die Zügel des schönen Viergespanns, das Wolodyjowski sogleich mit dem Auge eines Kenners musterte; der andere stand neben dem Korbe mit einer schimmeligen Flasche in der einen und zwei Gläschen in der anderen Hand.

»Nach Mokotow ist's ein Stück Wegs,« sagte Sagloba, »und an Ketlings Lager wartet schweres Leid. Stärke dich, Michael, damit du die Kraft habest, alles zu ertragen, denn du bist sehr heruntergekommen.«

Bei diesen Worten nahm Sagloba die Flasche dem Burschen aus der Hand und füllte beide Gläschen mit altem Ausbruch, so alt, daß er förmlich dick war.

»Ein würdiges Getränk,« sagte er, setzte die Flasche auf die Erde und nahm die Gläschen; »auf Ketlings Wohl!«

»Auf sein Wohl!« wiederholte Wolodyjowski; »eilen wir!«

Und sie gossen den Wein mit einem Zuge hinunter.

»Eilen wir!« wiederholte Sagloba; »gieß ein, Bursche! Auf Skrzetuskis Wohl! – Eilen wir!« Wieder tranken sie in einem Zuge, denn es war wirklich Eile notwendig.

»Steigen wir ein!« rief Wolodyjowski.

»Und auf mein Wohl wirst du nicht trinken?« fragte Sagloba mit klagender Stimme.

»Nur schnell, nur schnell!«

Sie tranken schnell aus, Sagloba auf einen Zug, obwohl etwa ein halbes Quart im Glase war, dann rief er, ohne sich den Schnurrbart zu wischen:

»Ich wäre undankbar, wenn ich nicht deine Gesundheit trinken wollte. Gieß ein, Bursche!«

»Ich danke,« erwiderte Bruder Georg.

Der Boden der Flasche wurde sichtbar. Sagloba ergriff sie am Halse und schlug sie in kleine Stücke, denn der Anblick leerer Trinkgefäße war ihm peinlich. Dann stiegen sie ein und fuhren schnell davon.

Das edle Getränk erfüllte ihre Adern alsbald mit wohliger Wärme, und die Herzen mit Mut. Bruder Georgs Wangen überzogen sich mit leichtem Rot, und der Blick gewann die alte Frische wieder.

Unwillkürlich griff er mit der Hand ein über das andere Mal an seinen Schnurrbart und richtete ihn in die Höhe, so daß die Enden bis an die Augen heranreichten. Dann begann er sich in der Gegend mit großer Neugier umzusehen, als ob er sie zum ersten Male sähe.

Plötzlich schlug sich Sagloba mit den Händen auf die Knie und rief mir nichts, dir nichts, aus:

»Hoc! Ich glaube, wenn Ketling dich erblickt, so wird er wieder gesund, hoc, hoc!«

Dabei umarmte er Michael und drückte ihn mit voller Kraft an sich. Wolodyjowski wollte ihm nichts schuldig bleiben, und so umarmten sie sich aufs herzlichste. Eine Zeitlang fuhren sie in vollkommenem Schweigen dahin. Schon zeigten sich die Häuschen der Vorstadt an beiden Seiten des Weges. Vor diesen Häuschen herrschte lebhaftes Treiben, nach der einen und nach der anderen Seite zogen die Bürger, die Dienerschaft in verschiedenen Farben, Soldaten und Adel oft in schmucker Tracht.

»Zum Wahlreichstag ist eine große Zahl des Adels zusammengekommen,« sagte Sagloba, »denn wenn auch so mancher nicht zum Reichsboten gewählt ist, so will er doch dabei sein, hören und sehen. Die Häuser, die Gasthöfe, alles ist so besetzt, daß man kaum ein Zimmerchen finden kann, und wie viele Adelsfräulein sich in den Straßen tummeln, sag' ich dir, das kannst du an den Haaren deines Bartes nicht herzählen! Und hübsch sind die Bestien, daß den Menschen manchmal die Lust ankommt, mit den Händen an die Seiten zu schlagen, wie der Hahn mit den Flügeln, und loszukrähen. Schau nur, schau nur die Schwarzäugige dort, welcher der Heiduck den grünen Pelzmantel nachträgt; ist sie nicht voll Grazie, was?«

Hier versetzte Sagloba Wolodyjowski einen Stoß; dieser blickte auf, drehte seinen Schnurrbart und riß die Augen auf. Aber sogleich ergriff ihn die Scham; er senkte den Kopf und sagte nach kurzem Schweigen:

»Memento mori!«

Und wieder umarmte ihn Sagloba.

»Per amicitiam nostram, so wahr du mich liebst, so wahr du mich schätzest: heirate! Es gibt so viel brave Mädchen – heirate!«

Bruder Georg sah seinen Freund mit Staunen an. Sagloba konnte unmöglich betrunken sein, denn oft genug hatte er dreimal so viel ohne sichtliche Folgen getrunken, er sprach also wohl nur aus Rührung so. Aber jeglicher Gedanke dieser Art lag Michael jetzt so fern, daß im ersten Augenblick das Erstaunen die Oberhand gewann über die Entrüstung.

Dann aber blickte er Sagloba streng in die Augen und sagte:

»Ihr seid wohl angeheitert?«

»Ich sage dir aus vollem Herzen: heirate!«

Wolodyjowski sah ihn noch strenger an:

»Memento mori!«

Aber Sagloba ließ sich nicht so leicht abschrecken.

»Michael, wenn du mich lieb hast, tu's für mich! Das ist für den Hund, dein ewiges Memento, ich wiederhole, du wirst handeln, wie du willst; aber ich denke so: diene ein jeder unserem Herrgott mit dem, wozu er ihn geschaffen hat. Dich hat er für den Degen geschaffen, denn er hat seinen Willen darin geoffenbart, daß er dich in dieser Kunst zu solcher Vollkommenheit hat gelangen lassen. Und hätte er einen Geistlichen aus dir machen wollen, so hätte er dich mit gar anderem Witz ausgestattet und hätte dein Herz mehr den Büchern und zum Latein geneigt gemacht. Bedenke auch, daß die heiligen Rittersmänner nicht geringere Achtung im Himmel genießen als die heiligen Mönche, und daß sie gegen die höllische Heerschar zu Felde ziehen und Belohnungen aus Gottes Händen empfangen, wenn sie mit den erbeuteten Fahnen zurückkehren … daß alles das wahr ist, wirst du doch nicht leugnen?«

»Ich leugne es nicht und weiß auch, daß es schwer ist, gegen Euren Verstand den Kampf aufzunehmen; aber auch Ihr werdet nicht bestreiten, daß es für die Trauer besser ist, im Kloster zu leben als in der Welt.«

»Bah, wenn es besser ist, so muß die Trauer um so mehr die Klöster meiden. Ein Narr, wer die Trauer nährt, anstatt sie verhungern zu lassen, damit sie desto schneller verrecke!«

Wolodyjowski fand im Augenblick keine Worte; er verstummte also und sagte erst nach einer Weile mit sehnsüchtiger Stimme:

»Erinnert mich nicht an das Heiraten, denn eine solche Erinnerung weckt nur von neuem den Schmerz. Auch ist die alte Lust dahin, sie ist mir mit den Tränen dahingegangen, und auch mein Alter ist nicht danach: beginnt mir doch die Glatze schon zu leuchten! Zweiundvierzig Jahre und fünfundzwanzig voll von Kriegsmühsalen, das ist kein Scherz, kein Scherz.«

»Gott strafe ihn nicht für diese Lästerung! Zweiundvierzig Jahre! – Pfui! Zweimal soviel habe ich auf dem Buckel, und der Mensch muß sich bisweilen noch im Zaume halten, um die Glut aus den Adern zu schütteln, wie den Staub aus den Kleidern! Ehre das Andenken jener süßen Verstorbenen, Michael; warst du für sie gut und solltest für die anderen zu billig, zu alt sein?«

»O laßt das, laßt das!« sagte Wolodyjowski in schmerzlichem Tone, und die Tränen flossen ihm in den Bart.

»Ich will kein Wort mehr sagen,« sprach Sagloba, »aber gebt mir Euer Ritterwort, daß Ihr, was auch mit Ketling sei, einen Monat bei uns bleibet. Ihr müßt durchaus auch Skrzetuski sehen. Wollt Ihr dann wieder zum Habit zurückkehren, so soll es Euch niemand verwehren.«

»Ich gebe mein Wort,« sagte Michael. Und gleich begannen sie von etwas anderem zu sprechen. Sagloba erzählte vom Wahlreichstag, wie er die Prüfung gegen den Fürsten Boguslaw angeregt, und von Ketlings Abenteuer. Von Zeit zu Zeit indessen unterbrach er die Erzählung und versank in Gedanken; aber es müssen heitere Gedanken gewesen sein, denn er schlug sich immer wieder mit den Händen auf die Knie und wiederholte: »Hoc, hoc!«

Je näher sie aber Mokotow kamen, desto größer wurde die Unruhe, die sich in Saglobas Benehmen zeigte. Plötzlich wandte er sich zu Wolodyjowski um und sagte:

»Denkst du daran, du hast das Wort gegeben, was auch immer mit Ketling sei, einen Monat bei uns zu bleiben?«

»Ich habe es gegeben und ich bleibe,« unterbrach Wolodyjowski.

»Da ist auch schon Ketlings Haus,« rief Sagloba, »er wohnt stattlich.«

Dann rief er dem Kutscher zu:

»Knallt tüchtig los, heute gibt's ein Fest in diesem Hause.«

Und es erscholl lauter Peitschenknall vorm Hause.

Noch war der Korbwagen nicht durch das Tor gefahren, als einige Genossen aus dem Flur stürzten, Michaels Bekannte: es waren unter ihnen alte Kriegskameraden aus den Zeiten Chmielnizkis, und jüngere aus den letzten Kriegszeiten, unter ihnen Herr Wasilewski und Herr Nowowiejski, Jünglinge noch, aber feurige Ritter, die in den Knabenjahren der Schule entflohen waren und seit einigen Jahren das Kriegshandwerk unter Herrn Wolodyjowski übten. Der kleine Ritter liebte sie ungeheuer.

Von älteren war Herr Urlik da, vom Wappen Nowina, mit einer goldenen Gehirnschale, denn eine schwedische Granate hatte ihm ein Stück fortgerissen; auch Herr Ruschtschyz, der halbwilde Steppenritter, der unvergleichliche Scharmützler, der nur Wolodyjowski im Ruhme nachstand, und einige andere. Da sie die beiden Männer im Wagen sahen, begannen sie alle zu rufen:

»Er ist's, er ist's! Vicit Wolodyjowski! Er ist's!«

Und sie stürzten sich auf den Wagen und nahmen den kleinen Ritter auf ihre Arme und trugen ihn in den Flur und wiederholten:

»Willkommen, es lebe unser teurer Kamerad. Nun haben wir dich und lassen dich nicht wieder! Vivat Wolodyjowski, die Zierde unseres ganzen Heeres! In die Steppe mit uns, Bruder, in die wilden Felder, dort wird der Wind die Trauer fortwehen!«

Im Flur erst setzten sie ihn wieder zu Boden. Er begrüßte alle, denn er war durch diesen Empfang sehr gerührt und begann an alle Fragen zu richten.

»Wie geht es Ketling, lebt er noch?«

»Er lebt, er lebt!« antworteten sie im Chor, und die Schnauzbärte der alten Soldaten verzogen sich in seltsamem Lachen.

»Kommt zu ihm, denn er hält es nicht mehr aus, mit solcher Ungeduld erwartet er Euch.«

»Ich sehe, der Tod ist ihm nicht so nah, wie Herr Sagloba gesagt hat,« sprach der kleine Ritter.

Inzwischen waren sie in den Flur getreten und von da in die große Stube. In der Mitte stand ein gedeckter Tisch, in einem Winkel eine Pritsche, mit weißem Pferdefell bedeckt, auf welchem Ketling lag.

»Freund!« sagte Wolodyjowski und eilte ihm entgegen.

»Michael!« rief Ketling und sprang mit beiden Füßen auf, als wäre er im Vollbesitz seiner Kräfte, und faßte den kleinen Ritter in seine Arme.

Und sie drückten sich so herzlich, daß Ketling den Wolodyjowski und Wolodyjowski den Ketling in die Höhe hob.

»Man hat mir befohlen, mich krank zu stellen,« sagte der Schotte, »den Sterbenden zu spielen; aber bei deinem Anblick konnte ich es nicht aushalten. Ich bin gesund wie der Fisch im Wasser, und mir ist nichts zugestoßen. Es handelte sich darum, dich aus dem Kloster zu bringen … Verzeih', Michael, diese Kriegslist kam von Herzen!«

»In die wilden Felder mit uns!« riefen die Ritter wieder und schlugen mit den rauhen Händen an die Säbel, daß ein dröhnender Lärm im Zimmer entstand.

 

Aber Herr Michael war sehr erstaunt. Eine Zeitlang schwieg er, dann ließ er seine Blicke über alle schweifen, faßte besonders Sagloba ins Auge und sagte endlich:

»O, ihr Verräter! Ich habe geglaubt, Ketling sei tödlich verwundet.«

»Wie, Michael!« rief Sagloba, »ärgert's dich, daß Ketling gesund ist? Gönnst du ihm die Gesundheit nicht oder wünschest du ihm den Tod? Ist dein Herz so verhärtet worden, daß du lieber alle auf der Bahre sähest, Ketling und Herrn Urlik und Herrn Ruschtschyz und diese Jungen hier, ja, auch Skrzetuski und mich, auch mich, der ich dich wie einen Sohn liebe?!«

Hier schloß Sagloba sein Auge und rief noch kläglicher:

»Was soll uns das Leben, werte Herren, wenn es keine Dankbarkeit in der Welt gibt, und solche Verhärtung des Herzens.«

»Bei Gott,« antwortete Wolodyjowski, »ich wünsche Euch nichts Übles, aber meinen Schmerz habt Ihr nicht zu ehren verstanden.«

»Er gönnt uns das Leben nicht,« wiederholte Sagloba.

»Lasset das.«

»Er sagt, daß wir seinen Schmerz nicht ehren, und was für Tränenströme haben wir vergossen über sein unglückliches Geschick, werte Herren. Nicht wahr, Gott rufe ich zum Zeugen an, daß wir am liebsten deinen Schmerz auf Schwertern umhergetragen hätten, denn so sollten Freunde immer handeln. Da du aber das Wort gegeben hast, einen Monat bei uns zu bleiben, so liebe uns wenigstens noch diesen Monat, Michael!«

»Ich werde euch bis in den Tod lieben,« erwiderte Wolodyjowski.

Da wurde das Gespräch durch die Ankunft eines neuen Gastes unterbrochen; die Ritter, mit Wolodyjowski beschäftigt, hatten nicht gehört, wie dieser Gast vorgefahren war, und bemerkten ihn erst jetzt an der Tür. Es war ein Mann von ungewöhnlicher Größe, von prächtiger Gestalt und schönem Körperbau, mit dem Gesicht eines römischen Cäsaren, voll Macht, zudem voll königlicher Güte und Freundlichkeit. Er sah durchaus anders aus als all diese Soldaten, bedeutend größer stand er neben ihnen, wie der König der Vögel, der Adler, neben dem Habicht, dem Blaufuß und dem Falken.

»Der Herr Großhetman!« rief Ketling aus und sprang als Wirt ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.

»Herr Sobieski!« wiederholten die anderen. Alle Häupter neigten sich in ehrfurchtsvollem Gruße.

Außer Wolodyjowski wußten alle, daß der Hetman kommen würde, denn er hatte es Ketling versprochen; und doch machte seine Ankunft einen so mächtigen Eindruck, daß eine Zeit hindurch niemand den Mund zu öffnen wagte. Es war auch eine besondere Gnade, aber Sobieski liebte die Soldaten über alles und besonders diejenigen, welche schon zu wiederholten Malen mit ihm den tatarischen Horden den Nacken gepeitscht hatten; er betrachtete sie wie seine Familie, und darum beschloß er, Wolodyjowski zu begrüßen, ihn zu trösten und endlich durch die Bezeigung der außergewöhnlichen Gunst in seinen Reihen zu erhalten.

Er streckte daher, nachdem er Ketling begrüßt hatte, gleich die Hände dem kleinen Ritter entgegen, und als dieser sich näherte und seine Knie umfaßte, drückte er ihm mit seinen Händen das Haupt.

»Nun, alter Kriegsmann,« sagte er, »nun, Gottes Hand hat dich zu Boden gedrückt, aber sie wird dich wieder erheben und trösten … Gott sei mit dir! Du bleibst wohl bei uns?«

Ein Schluchzen erschütterte Michaels Brust.

»Ich bleibe!« sagte er unter Tränen.

»Das ist gut; wir können solcher wie du nicht genug haben! Und jetzt, alter Kriegskamerad, laß uns der Zeiten gedenken, da wir in den russischen Steppen im Zelt beim Mahle saßen. Hier unter euch ist gut weilen. Frisch, Wirt, frisch!«

»Vivat, Joannes dux!« riefen alle Stimmen.

Die Mahlzeit begann und dauerte lange. Am folgenden Tage schickte der Hetman für Wolodyjowski einen spanischen Apfelschimmel von großem Werte.