Mit Kommissarin Minou ist jederzeit zu rechnen

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„Damit man uns Bescheid gibt, wenn dir etwas passiert“, hatte die Frau gesagt, als sie es mir von ihrem Mann um den Hals legen ließ.

Nett gemeint, vor allem das mit den Augen. Sie haben wirklich einen katzlichen Gelbton. Etwas völlig anderes war der Vergleich meiner Augen mit dem roten Band. Das war eine Unverschämtheit von Johann gewesen, wenn man es genau nimmt.

Bei dem gelben Halsband hatte ich insgeheim das unangenehme Gefühl gehabt, dass im Vordergrund dieser Bemühungen stand, nicht unbedingt dann noch Aluschälchen auf Vorrat zu kaufen, wenn ich schon im Katzenhimmel bei der Großkatze weilte. Kurzum, ich hatte alle Bänder innerhalb kürzester Zeit verabschiedet. Und das würde mir auch jetzt sicherlich wieder gelingen.

Gute Miene zum bösen Spiel machend, stolzierte ich zweimal auf der Terrasse auf und ab und miaute dabei herzergreifend. Es sollte stolz klingen, mein Miauen. Es sollte Sophia meine Freude über das Band demonstrieren. Das gelang mir leider nicht so richtig. Ich bin eben eine ehrliche Katzenhaut. Lügen fällt mir sehr schwer.

„Du bist hungrig, nicht wahr?“, interpretierte Sophia mein misslungenes Miauen.

So hatte ich es zwar ausnahmsweise einmal nicht gemeint, aber Sophia hatte trotzdem Recht. Ich war hungrig, hatte ich doch die Diebe durch die halbe Stadt verfolgt. Anders als der Sportstudent, wie ich noch einmal betonen möchte.

Fix rannte Sophia die Kellertreppe runter und kam mit meinem Abendessen zurück. War das eine Freude. Rasch füllte sie meinen Napf und stellte ihn unter die Terrassenbank. Ich musste mich total zurückhalten, um ihr nicht das Essen schon aus den Händen zu schlingen, denn ich wollte auf keinen Fall verfressen erscheinen. Außerdem wollte ich keinen entsprechenden Kommentar von Johann hören. Ich haderte noch ein wenig mit ihm.

Während ich mein Essen verschlang, allerdings, aus bekanntem Grund, mit einer gewissen vornehmen Zurückhaltung, packten die beiden den übrig gebliebenen Rucksack auf der Terrasse weiter aus. Es entstanden drei Haufen: Schmutzwäsche, Schuhe, Geschenke. Wie sich jeder vorstellen kann, hatten die Haufen unterschiedliche Größen. Welcher Haufen war wohl am kleinsten? Na ja, diese Frage erübrigt sich. Ich für meinen Teil hätte gerne auf das Geschenk verzichtet. Ich glaube, Johann hatte dies bemerkt. Geradezu hinterhältig schaute er ab und zu auf mich. Wenn sich unsere Blicke dann trafen, griff er mit der Hand an seinen Hals, als müsse er ersticken. So ein Blödmann. Wäre er nicht so gut im Streicheln, würde ich ihn sicher in Zukunft keines Blickes mehr würdigen.

„Hast du Halsschmerzen, Johann?“, fragte Sophia Johann besorgt, als er zum vierten Mal diese unqualifizierte Handbewegung machte.

„Nein, nein, alles gut, Sophia“, antwortete er knapp mit schrägem Seitenblick auf mich. Bösartigkeit funkelte in seinen sonst so treuen braunen Augen. Sollte ich mich so in ihm getäuscht haben? Auf jeden Fall unterließ er nun die dumme Bewegung. Ich sprang auf die Terrassenbank, legte meinen Kopf auf meine Vorderpfoten und beobachtete die beiden beim Auspacken.

„Seid Ihr wieder da?“ Das war die Nachbarin, die das Haus gehütet hatte.

„Hallo. Wir sind eben angekommen, das heißt: Johann und ich. Meine Eltern sind noch nicht da“, entgegnete Sophia.

„Dann muss ich die Katze ja nicht mehr füttern.“ Ich hörte eine gewisse Dankbarkeit aus ihrer Stimme.

„Ja, und vielen Dank für Ihre Mühe“, antwortete Sophia. „Minou sieht wohlgenährt aus.“ Sie erwähnte mit keinem Wort, dass Johann eben bestohlen worden waren. Das erstaunte mich.

„Wann kommt denn Deine Tante zurück“, wollte die Nachbarin wissen.

„Das weiß ich nicht so genau“, gab Sophia zurück. „Lange sind sie aber nicht mehr unterwegs. Die Schule beginnt doch bald wieder. Mein Vetter muss dann wieder ran.“

„Ich bin froh, wenn alle wieder da sind. Die Ferienzeit lockt immer Einbrecher an. Letzte Woche noch wurde am Ende unserer Straße in das neue Haus am Tage eingebrochen. Den ganzen Schmuck der Frau haben die Diebe gestohlen“, beendete die Nachbarin schließlich das Gespräch. Wenn sie gewusst hätte, dass soeben schon wieder ein Diebstahl stattgefunden hatte, hätte sich die Nachbarin sicherlich sehr aufgeregt. Sophia und Johann reagierten auf die Aussage allerdings überhaupt nicht. Es war gerade so, als hätten sie den Rucksackdiebstahl vergessen.

Ein unbekanntes Gepäckstück im Rucksack

Abseits der drei Haufen lag eine kleine weiße Plastiktüte, die zu einem handgroßen Päckchen verschnürt war. Sophia schaute sich fragend um. Sie suchte wohl nach Johann, um in Erfahrung zu bringen, zu welchem Haufen sie das Päckchen legen sollte.

„Das ist ja das Päckchen, das mir am Flughafen in Istanbul beim Umpacken schon aufgefallen ist. Ob Johann ein Geschenk für mich gekauft hat?“ Manchmal spricht Sophia mit sich selbst. Ob das daran liegt, dass sie ein Einzelkind ist, weiß ich nicht. Ich vermute es aber. Sie hat schon als Schulkind mit sich alleine Mutter und Kind gespielt. Sie war dann Vater, Mutter und Kind in einer Person. Für jede Person hatte sie eine eigene Stimme. Ich fand das immer sehr schön, wenn ihre Mutter das später wiederholt ihren Freundinnen erzählte. „Und nie hat sie sich mit den Stimmen vertan“, beendete sie stets die Geschichte voller Mutterstolz. Faszinierend, einfach katzlich.

Johann war nicht mehr in der Nähe, sondern mal dahin gegangen, wo ich auch unbedingt hingehen musste. Also sprang ich runter von der Bank und meinem Beobachtungsposten, streckte mich und machte mich auf den Weg zu einem nicht einsehbaren Flecken. Noch mit einem Auge sah ich, dass Sophia das Päckchen aufhob und auf die Bank in meinem Esszimmer, auf der ich gerne raste, legte. Dann packte sie die Wäsche unter den Arm, sicher, um sie in die Waschmaschine zu stecken.

Wir verloren uns vorerst aus den Augen. Ich musste nämlich unbedingt noch einmal mein Revier markieren, hatte ich morgens doch eine magere Katze herumstreunen sehen. Nicht, dass Sophia sich nach ihrem Türkeiurlaub nun bevorzugt um solche Katzen kümmern wollte. Fremde Katzen, insbesondere bemitleidenswerte Geschöpfe, halb verhungerte und magere Katzen, mussten ferngehalten werden. Ich wollte keine Nebenbuhlerinnen oder Nebenbuhler in meinem Revier. Es sollte alles so bleiben wie es war. Ich muss dringend an meinem Egoismus arbeiten. Ich werde das auch wirklich machen, großes Katzenehrenwort.

Erst am späten Abend kam ich nach meiner Markierungsrunde zurück. Sophia und Johann lagen wohl im Bett. Wie gut, dass das Sophias Vater nicht sah. Ich habe gehört, dass er es nicht liebt, wenn Johann in Sophias Zimmer übernachtet. Ich saß unter dem Küchenfenster, als er dies zu seiner Frau sagte. Die hatte dafür aber nur ein müdes „Ach, die Zeiten haben sich geändert!“ übrig.

Sophias Mutter, die Judith heißt, ist viel offener für Veränderungen, wie ich schon wiederholt festgestellt habe. Ein Beispiel hierfür fällt mir gerade nicht ein. Würde ich jedoch nachdenken, fielen mir sicher viele ein.

Die Eltern wollten erst in zwei Tagen zurückkommen, wie ich Gesprächsfetzen entnommen hatte. Somit hatten die beiden noch sturmfreie Bude, wie es die Menschen nennen.

Ich schlich über die Terrasse und sprang dann auf die Bank, um mich in Sophias Nähe ein wenig auszuruhen. Auch wenn dicke Mauern dazwischen waren, spürte ich sie deutlich.

Weil mich ein weißes Päckchen, das auf der Bank lag, störte, stieß ich es kurzerpfote auf den Boden. Da verschwand es hinter den Gartenschuhen, die Sophias Mutter immer unter die Bank stellte. Ich würde das Päckchen morgen wieder hervorholen, wenn ich es nicht vergessen sollte. Es handelte sich nämlich um das Päckchen, von dem Sophia vermutete, es enthielte ein Geschenk von Johann für sie. Also hatte sie noch nicht darüber mit Johann gesprochen oder aber es war nichts Wichtiges darin und die beiden konnten es auf der Bank liegen lassen. Wie auch immer, mich störte es im Moment.

Ich gab mich meinen liebsten Träumen hin, in denen es sich um Aluschälchen vom Feinsten handelte. In der Folge schneite es mit einem Mal Speckwürfel, abgelöst von handtellergroßen Käsescheibchen. Dann aber trat dieser katzenhafte Traum in den Hintergrund und ich sah mich in einer Auseinandersetzung mit Katzen, die mir mein Revier streitig machen wollten. Sie hatten Riesenglocken um den Hals an einem grellroten Band und versuchten, mich mit dem Lärm einzuschüchtern. Großkatze sei Dank erwachte ich aus dem schrecklichen Traum. Ich tastete nach Sophias Geschenk. Das Halsband war noch an Ort und Stelle. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte, wenn es nicht mehr dagewesen wäre. Im Gegenteil. Es war einfach nur ein Reflex aufgrund des Katzentraums. Ich musste mir unbedingt etwas einfallen lassen, wenn mich das Halsband schon im Traum verfolgte.

Der geräuschvolle Traum kam jedoch nicht von ungefähr bzw. aus der innerlichen Ablehnung des Halsbandes. Es war etwas im Busch. Mein Traum war Vorbote einer versuchten Attacke der Rucksackdiebe. Traum und Wirklichkeit wurden miteinander verwoben.

Zweiter Teil oder die Welt wird unruhig
Es wird laut in der Nacht

Leider war es kein richtiger Traum gewesen, sondern ein Halbtraum mit realen Elementen, wie ich präzisieren muss. Bei Sophia klingelte jemand Sturm. Sofort dachte ich an Sophias Vater und die sturmfreie Bude. Dann hörte ich, fast noch im Halbschlaf, vor der Haustür jemanden rufen: „Macht sofort auf oder wir kommen rein!“

Das war nicht die Stimme ihres Vaters. Die kenne ich genau. Außerdem haben die Eltern ja Schlüssel und müssen nicht klingeln. Die Stimme erinnerte mich an etwas. Ich überlegte, war allerdings noch nicht ganz in die Wirklichkeit eingetreten. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass mich etwas eher Feindliches, wenn katze es so ausdrücken möchte, einholte. Resultierte dieses Gefühl aus dem Klang der Stimme oder aus der Bedrohlichkeit des Traums? Ich hatte keine Zeit, darüber länger nachzudenken. Meine mir angeborene Neugierde, die gleichsam ein Schutz vor ungewollten Überraschungen ist, trieb mich an bzw. von der Bank.

 

Ich sprang auf die Fensterbank zu Sophias Zimmer. Die Rollläden waren runtergelassen, aber das Fenster war geöffnet. So hörte ich deutlich, wie Sophia angstvoll flüsterte: „Johann, wach auf, da ist jemand an der Tür, hörst du?“

„Was ist los?“ Johanns Stimme hörte man an, dass er noch im Halbschlaf war. „Sind deine Eltern zurück?“

„Jemand hat geklingelt und gebrüllt, wir sollten rauskommen. Hast du das nicht gehört?“ Ihre Stimme zitterte angstvoll.

„Macht endlich auf“, schallte es wieder von der Eingangstür her, „sonst kommen wir so rein. Und dann könnt ihr etwas erleben.“

Ich kannte die Stimme hundertprozentig irgendwoher. Mir wurde immer klarer, dass ich mit der Stimme etwas Unerfreuliches verband. Es war nicht der Katzentraum mit dem Klingeln der Halsglocken gewesen, der noch an mir nagte und mich verunsicherte. Umgekehrt, es waren die bösartige Stimme und das Klingeln an der Haustüre, die sich in meinen Traum geschlichen hatten. Aber was sagte mir die Stimme nur? Woher kannte ich sie? Ich musste der Sache auf den Grund gehen.

Ich sprang in einem Satz von der Fensterbank runter in den Garten. Vorsichtig schlich ich um das Haus herum Richtung Haustür, um zu sehen, wer in der Nacht die Frechheit besaß, uns aus den Träumen zu reißen. Mein Aluschälchentraum, angereichert um Speckwürfel und Käsescheiben, ist nämlich einer meiner Lieblingsträume.

In exakt dem Moment, in dem ich einen Blick auf die klingelnden Störenfriede werfen konnte – es waren zwei Halunken an der Tür –, öffnete sich ein Fenster in der Nachbarschaft und ein Mann rief lauthals: „Was soll die Brüllerei in der Nacht? Verschwindet augenblicklich oder ich rufe die Polizei!“

„Halt die Klappe, alter Mann“, antwortete einer der beiden Typen an der Tür.

„Die Welt wird immer schlechter“, kam es als Antwort zurück. Das Fenster schloss sich und es trat eine Totenstille ein. Der Nachbar, der neben der Familie wohnt, die mich immer Laila nennt – Achtung: aber nicht der, die mich Katze nennt, denn die wohnt auf der anderen Seite –, hatte sich anscheinend einschüchtern lassen. Das hätte ich nicht vermutet. Er macht immer einen eher resoluten Eindruck. Na ja, man täuscht sich nicht mehr als in Menschen. Woher ich diese Weisheit habe, weiß ich nicht. Sie schien sich aber zu bestätigen. Schien!

„Lass uns abhauen. Der Alte macht sonst noch Ernst und ruft die Polizei“, flüsterte einer der beiden Typen dem anderen zu. Ich konnte es deutlich verstehen.

In dem Moment erkannte ich sie. Das waren die Kerle, die Johanns Rucksack geklaut hatten. Klar, es fiel mir wie Milben von den Augen. „Streichelt das Katzenvieh mal schön weiter.“ Das war die Stimme, nach der ich die ganze Zeit gesucht hatte.

„Quatsch, du Feigling“, meinte der andere großspurig und so laut, dass der Nachbar ihn hören musste, „der hat viel zu viel Angst vor der schlechten Welt.“

Bei den letzten Worten kicherte er bösartig. Die Tatsache, dass der Nachbar das Fenster geschlossen hatte, ließ sich wirklich so deuten. Ich selbst war auch davon überzeugt, dass er sich aus Angst zurückgezogen hatte.

Wieder klingelte einer der Diebe und gleichzeitig rief der andere: „Müssen wir euch Beine machen? Wir lassen uns nicht verarschen. Wir scherzen nicht. Macht endlich auf, sonst passiert was.“

Mir wurde übel vor Angst. Es hörte sich wirklich nach einer Drohung und nicht nach einem Scherz an. Wie konnte ich Johann und Sophia nur helfen. Die durften auf keinen Fall die Türe öffnen. Sie waren den beiden Kerlen körperlich nicht gewachsen. Auch Johann nicht, selbst wenn er Sport studierte, was sicher Krafttraining mitbeinhaltete. Und wenn ich dann noch an seine Verfolgung der Diebe am späten Nachmittag dachte, wurde mir die Chancenlosigkeit der beiden gegenüber den Rucksackdieben zunehmend deutlicher.

Im gleichen Moment hörte ich in der Ferne die Polizeisirenen. Großkatze sei Dank. Beim Klang der Sirenen fiel mir ein Stein von meinem Katzenherzen.

Da öffnete der Nachbar mit einem Ruck das Fenster und rief laut und deutlich in die Nacht hinein: „Der alte Mann hält, was er verspricht. Wir Alten lassen uns von Typen wie euch doch nicht in Angst und Schrecken versetzen. Da müsst ihr früher aufstehen, ihr Schlappschwänze.“

Im Hintergrund des mutigen Nachbarn hörte ich ein kaum vernehmbares „Reiz sie nicht, Egon!“

„Pah, die sollen mich kennen lernen. Und wofür gibt es sonst die Polizei?“, war die unüberhörbare Antwort des Nachbarn. Er lehnte sich breit in das offene Fenster. Nicht das geringste Anzeichen von Angst war erkennbar. Eher Triumph. Er hatte den unverschämten Kerlen gezeigt, dass er das wahr macht, was er sagt. Chapeau. Das ist Französisch und bedeutet so viel wie: Hut ab, ein Zeichen der Ehrerbietung.

Die zwei Kerle spurteten zu ihren Rädern, die an eine defekte Straßenlaterne gelehnt waren, schwangen sich darauf und rasten mit heftigem Treten in die Pedale davon, nicht ohne in Richtung des Nachbarn den Stinkefinger zu zeigen. Das war offensichtlich ihre bevorzugte Kommunikatzion. Ich hörte noch ein wütendes: „Das wirst du noch bereuen, alter Mann.“ Dann waren die Kerle verschwunden.

Während die Polizeisirenen sich näherten, öffnete Sophia die Haustür. Sie ist sehr mutig, muss ich sagen. Hinter ihr steckte Johann den Kopf zur Tür heraus. Sophia erblickte den Nachbarn im Fenster und rief: „Was war das für ein Krach, Herr Schmitz?“ Ja, den Namen hatte ich schon mal gehört, aber wie die meisten Namen gleich wieder vergessen. Jetzt würde ich versuchen ihn mir zu merken. Außerdem hieß er noch Egon. So hatte ihn seine Frau genannt.

Egon Schmitz war ein mutiger Mann. Der ließ sich nicht unterkriegen. Das gefiel mir. In ihm verbarg sich eine wahre unbeugsame Katzennatur.

„Hast du das denn nicht gehört? Bei euch hat jemand immer wieder auf die Tür eingedroschen und gerufen, ihr solltet öffnen. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, weil deine Eltern doch nicht da sind. Bist du allein?“ Er hatte Johann wohl noch nicht gesehen.

„Nein“, meldete sich Johann zaghaft. „Wir sind heute aus dem Urlaub zurückgekommen. Weil es so spät war, bin ich hiergeblieben.“

Nun kam er aus Sophias Schatten heraus und präsentierte sich in der vollen Türesbreite.

Männer können ja so feige sein. Ich weiß schon, warum ich mir keinen Kater anschaffe. Ich brauche meine Liberté und keinen ängstlichen Klotz an meinen wunderschön gestreiften Pfoten. Da spürte ich wieder das grellrote Band an meinem Hals. Aber jetzt hatte ich dafür keine Zeit. Ich musste hören, was die Menschen sagten.

„Das ist gut so“, antwortete der Nachbar. Man höre und staune. Der Zweck heiligt wohl die Mittel, wie die Menschen häufig sagen, wenn sie sich untreu werden.

Ich hätte ja gedacht, dass er die Gegenwart Johanns nicht gutheißen würde. Ich erinnere nur daran: „Die Welt wird immer schlechter.“ Das oder etwas in dieser Richtung hatte er den beiden Typen noch zugerufen, bevor er das Fenster geschlossen hatte. Eigentlich sagt diese Aussage alles. Oder? Na ja, nicht mein Problem. Außerdem hatte er Stärke bewiesen.

Bei den letzten Worten des Nachbarn hielt ein Polizeiwagen mit zwei Polizisten vor Sophias Haus.

„Was ist denn los?“, fragte einer der beiden Polizisten. Beide blieben im Auto sitzen und hatten nur die Wagenfenster runtergelassen.

„Da haben sich zwei Burschen an der Haustür der beiden zu schaffen gemacht“, brüllte Herr Schmitz bzw. Egon den Polizisten zu.

„Was wollten die denn?“ Der Polizist schrie dies laut in die Nacht.

Da öffnete sich ein Fenster bei den Menschen, die mich Laila nennen.

„Ruhe! Bei diesem Lärm kann man nicht schlafen.“ Das war der alte Mann. Als er die Polizei sah, verstummte er sofort und schloss eilig das Fenster.

„Was war das denn?“ Einer der Polizisten schaute fragend auf das nun geschlossene Fenster. Er machte einen etwas verärgerten Eindruck, weil der alte Mann sie alle zur Ruhe aufgefordert hatte.

Eine leichte Bewegung der Gardine verriet mir, dass der alte Mann die Straße und insbesondere das Haus von Sophias Eltern beobachtete. Ob die Polizisten das ebenfalls bemerkten, weiß ich nicht. Dass einer der Polizisten in Richtung des alten Mannes winkte, ließ allerdings darauf schließen.

„Ich komme mal runter“, rief Herr Schmitz in seiner resoluten Art. „Wir müssen ja nicht die ganze Straße aufwecken.“

Geräuschvoll wurde das Fenster geschlossen und noch ehe eine Minute vergangen war, stand er bei den Polizisten, die sich endlich aus ihrem Wagen bequemt hatten. Er hatte sich nicht einmal einen Morgenmantel übergezogen, sondern stand da in seinem Schlafanzug. Die Hosenbeine gingen nur bis zum Knie.

Sophia und Johann waren ebenfalls aus dem Haus getreten und unterhielten sich bereits mit den Polizisten, als Herr Schmitz hinzukam. Ich schlich mich so nahe wie möglich an die fünf Menschen heran, um alles verstehen zu können.

„Es waren zwei Burschen“, erklärte Herr Schmitz, der sofort das Wort übernahm.

„Wie sahen die denn aus? Können Sie die Männer beschreiben?“

„Leider nein“, musste der alte Mann zugeben. „Es war viel zu dunkel. Und die Straßenlaterne …“ – er deutete mit dem Kopf nach oben – „ist mal wieder kaputt. Das kann man so oft melden, wie man will. Die Stadt tut nichts. Aber wenn die was von uns will, ist sie sofort da. Da gibt es kein Pardon. Zum Beispiel die Zigarettenschachteln …“

„Ja, ja“, unterbrach einer der Polizisten Herrn Schmitz. Er wusste sicher aus Erfahrung mit anderen älteren Menschen, was nun noch alles kommen würde, und dass es ewig dauern würde, bis Herr Schmitz zum entscheidenden Punkt kommen würde oder auch nicht. Daher wandte er sich an Sophia und Johann.

„Was haben Sie denn gesehen?“

„Nichts, rein gar nichts“, antwortete Johann.

„Sie waren auf Rädern“, schaltete sich Herr Schmitz wieder ein. Er ließ sich von den Polizisten nicht mundtot machen. „Die Räder lehnten an der defekten Laterne. Und beide Kerle waren groß und kräftig. Mehr kann ich leider nicht sagen“, ergänzte der Nachbar und schüttelte bedauernd seinen Kopf.

„Am Abend bzw. am späten Nachmittag, als wir hier …“, begann nun Sophia und wollte wohl von dem Rucksackklau erzählen. Ein kurzer Stups Johanns in die Seite brachte sie zum Schweigen.

Ich hätte heulen können vor Wut. Dieser Ignorant. Das einzig Richtige in diesem Moment wäre gewesen, von dem Diebstahl zu erzählen. Und was macht der feine Herr? Katze darf überhaupt nicht drüber nachdenken.

„Was war am Abend bzw. am späten Nachmittag?“, fragte einer der Polizisten.

Hurra, er hatte es mitbekommen. Er war hellhörig geworden. Großkatze sei Dank. Mein Katzenherz jubelte.

„Ach, eigentlich nichts. Ich bin ein wenig durch den Wind“, gab meine ansonsten so selbstbewusste Sophia von sich. Ich glaubte es einfach nicht. So viel zum Thema Frauenpower. Ich hätte mir das nicht von einem Kater bieten lassen. So weit käme es noch. Sie musste doch merken, dass sich etwas über uns zusammenbraute.

„Sind Sie sicher?“, hakte einer der Polizisten zweifelnd nach.

„Ja, klar, absolut“, kam eine knappe Antwort von Sophia. Dabei lächelte sie den Polizisten an und nickte bestätigend mit ihrem Kopf. So kann nur Sophia lächeln.

„Dann können wir im Moment nichts machen“, beendeten die Polizisten ihren Kurzbesuch und fuhren von dannen. Herr Schmitz schloss sich an, zumal ihm seine Frau vom Fenster her Zeichen gab, er solle zurückkommen. Vorher schaute er aber noch Sophia eindringlich an.

„Wolltest du eben nicht doch etwas Wichtiges sagen, Sophia? Denkt mal drüber nach.“ Mit diesen Worten warf Egon Schmitz gleichzeitig einen fragenden Blick auf Johann.

„Nein, nein, eigentlich nicht“, schüttelte sie ihren Kopf. „Vielen Dank dafür, dass Sie die Polizei gerufen haben, Herr Schmitz. Gott sei Dank ist nichts passiert.“

„Noch nicht“, grummelte der Nachbar, „noch nicht. Die Welt wird immer schlechter. Gute Nacht, ihr beiden. Wenn etwas sein sollte, ruft mich an. Ich habe nur einen leichten Schlaf.“

Ich merkte deutlich, dass er an Sophias Worten zweifelte. Ich an seiner Stelle hätte noch einmal nachgehakt. Aber ich war nicht an seiner Stelle. Außerdem hatte Herr Schmitz nicht das mitbekommen, was ich am späten Nachmittag erlebt hatte. Er drehte sich um und ging hinüber zu seinem Haus. Dabei hörte ich noch, wie er in seinen Bart brummte: „Eigentlich nicht. So eine blöde Antwort.“

 

„Gute Nacht, Herr Schmitz“, kam es im Gleichklang von den beiden.

Herr Schmitz hob noch einmal die Hand wie zum Winken, drehte sich aber nicht mehr um und verschwand hinter der Haustür.

Johann nahm Sophia, die ein wenig zitterte, in den Arm, um sie ins Haus zurückzuführen. Das war eine liebevolle Geste, so dass ich meine bösen Gedanken über Männer und deren Feigheit im Allgemeinen und über Johann im Besonderen wieder aus meinem Kopf strich. Vielleicht war ich einfach Johann gegenüber ungerecht in meiner Angst um Sophia.

Ich schlich um das Haus herum zurück zur Terrasse und sprang von dort aus auf das Fenstersims zu Sophias Zimmer. Ich wollte auf jeden Fall heute Nacht Wache schieben. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob die beiden Typen nicht noch zurückkommen würden. Die suchten etwas. Das war klar. Aber was nur? Es musste auf jeden Fall etwas mit dem Rucksack zu tun haben. Oder mit der Türkeireise?

Ich legte mich der Länge nach auf das Sims und leckte meine gestreiften Pfoten. Dabei kann ich am besten nachdenken. Und das war wichtig. Ich musste mich genau daran erinnern, wie die beiden Männer aussahen und was mir ansonsten am Nachmittag besonders aufgefallen war. Ich musste ein so genanntes Täterprofil erstellen. So nennt katze das in Fachkreisen, wenn katze jemanden ganz genau beschreibt. Das Profil war wichtig. Ich musste die Diebe nämlich zukünftig frühzeitig entdecken und einschätzen können, denn es braute sich etwas zusammen. Ich spürte das ganz deutlich bis in meine Schwanzspitze. Auf mein Gefühl kann ich mich verlassen. Da Sophia und Johann in meinen Augen zu wenig sensibel für ihre Situation waren, lag es jetzt allein an mir, Unheil abzuwenden.

Vorher belauschte ich die beiden noch. Es ging um den Rucksackklau. Ich musste aufpassen, dass ich mich nicht zu stark bewegte, da das Sims nicht sehr breit war und ich schnell abrutschen konnte.

„Warum hast du nicht gewollt, dass ich den Polizisten von dem Diebstahl erzähle?“, hakte Sophia gerade fast ärgerlich nach. Diese Frage hätte ich auch gestellt, wäre ich an ihrer Stelle gewesen. Besser gesagt: Ich hätte diese Frage nie stellen müssen, da ich mir nicht den Mund hätte verbieten lassen. Aber sei´s drum. Das brachte mich jetzt nicht weiter.

„Du weißt doch, wegen des nicht ganz sauberen Inhalts. Ich muss noch recherchieren, ob mich die deutsche Polizei hierfür belangen kann.“

Ganz Unrecht hatte er ja nicht. Aber hätte er nicht schon lange, wie er so schön sagte, recherchieren können?

Dieser Meinung war auch Sophia. Laut und deutlich verstand ich ihre Worte: „Das hättest du schon lange machen können.“ Recht hatte sie. Aber wenn ich mich recht erinnere, hatte sie sich ebenfalls im Internet klug machen wollen. Hier hatten beide tüchtig geschlampt.

Ich musste mich nun konzentrieren und hörte nicht mehr auf das weitere Gespräch der beiden. Im Unterbewusstsein nahm ich noch etwas wie „Morgen sehen wir weiter, schlaf gut“ wahr. Ich war mit meinen Gedanken aber bereits ganz woanders.

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