Die Jagd nach Liebe

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»Ach ja«, sagte Ute befriedigt. »Das war das.«

»›Was entdeck ich? Gott!‹ stöhntest du dumpf, mit dem Gesicht in einem seidenen Kissen. Und die Hand ausgestreckt gegen mich, ohne von mir zu wissen: ›Weg aus meinen Augen, um Gottes willen –.‹ Mir ward ganz kalt. Warst du wahnsinnig? Was für Grauenhaftigkeiten waren vorgefallen?«

» Die Angst«, sagte Ute, lautlos lachend.

»Du standst auf, du sahst mich, aber ich war nicht dort, wo du lebtest. ›Aus Großmut, aus Barmherzigkeit, hinaus, von meinen Augen! – Wollen Sie mich morden? Ich hasse Ihren Anblick! Meinen Brief und meinen Schlüssel geben Sie mir wieder!‹ Ich erkannte endlich die Eboli.«

»Na, gottlob.«

»Ich hörte weiter zu, von dir unbeachtet, deinen großen Monolog. Du warst voll von allem, was sich fühlen läßt, von allem, was Menschen leben macht: von Liebe, Haß, Eifersucht. Du zischtest vor Rachsucht und wälztest dich vor Gier nach einem. Und in mir, Ute, in mir, der ich dir zuhörte, hob sich etwas Unbekanntes auf – nein, etwas Bekanntes, aber etwas, das ich nie gewagt hatte. Ich schluckte es nieder. Ich fühlte mich weiß werden und drückte die Lippen aufeinander. Aber während ich steif dastand und leise atmete, war in mir ein anderer, der warf sich zu dir hin, Ute, vor deine Knie; der zuckte und schrie mit dir. Und der spielte nicht. Der rang die Hände im Ernst, ich versichere dich. Der schluchzte, jubelte, der flog zu Sternen, stürzte in Schlünde, lebte und starb an dir, Ute!«

»Das war dir wirklich nicht anzumerken«, sagte Ute und stand vom Stuhl auf.

»Er ward schließlich ohnmächtig, der andere, ich merkte nichts mehr von ihm. Ich war ein junger Mann aus der Schackstraße und du eine Schauspielerin.«

Ute sah genußsüchtig in seine Augen, auf seine Blässe und in all diese Anbetung hinein, die ihr galt, die eine Wirkung ihrer geliebten, gepflegten, täglich geübten Persönlichkeit war.

»Du erzählst das ja ziemlich ruhig. Wenn dir damals so wild zumute war, warum bliebst du wie aus Holz?«

»Wild zumute? Das war gar nicht ich selbst. Mir träumte, daß ich schrie, daß ich kämpfte, daß ich – liebte. Mir träumte, ich wäre einer, der das könnte.«

Sie fragte neugierig:

»Warst du glücklich?«

Er antwortete:

»Ich weiß nicht mehr. Es war sehr viel Schmerz dabei. In Wirklichkeit fühle ich nie so argen Schmerz.«

Sie wandte sich ab, atmete tief:

»Lassen wir das. Solche großen Sachen sind nur auf der Bühne zu brauchen.«

»Es muß sie doch auch irgendwo im Leben geben.«

»Vielleicht früher mal«, meinte Ute.

IV.
Die andere Bude

Die Tischgenossen waren schweigsam. Frau Marehn sah geringschätzig über die Gerichte weg. In langen Pausen steckte sie, wie aus Zerstreutheit, einen Bissen in den Mund. Von Eisenmann versuchte es ebenso zu machen. Aber er geriet ins Schlingen, er wußte nicht wie. Manchmal hielt er inne und nahm sich zusammen. Panier aß kräftig und ohne falsche Scham. Er machte eine Bemerkung, weil keine Salzkartoffeln da waren. Und während er sich den Mund füllte, fraßen seine Augen von Ute, soviel sie fassen konnten.

Ute und Claude sprachen von Dingen, die nur sie angingen. Von Eisenmann runzelte schon längst die Stirn. Schließlich sagte er zu Frau Marehn, er habe nicht die Absicht, sich in die Erziehung ihres Sohnes zu mischen; aber der junge Mensch lasse eine gewisse würdige Männlichkeit schon den ganzen Tag vermissen. Claude sah seine Mutter erröten und stellte fest, es tröste sie, daß man ihn noch als Buben behandelte. Aber Ute bemerkte unschuldig, im gleichförmigen Backfischton:

»Die würdige Männlichkeit kann unmöglich viel kosten, nicht, Herr Hauptmann? Sonst hätten Sie sie doch nicht.«

Wie war sie entschlossen! »Wenn ich ihm ins Gesicht sagte, daß er ein ausgehaltener Mann ist, mir scheint, ich müßte mich mehr dabei schämen als er.«

Von Eisenmann drehte Ute einfach den Rücken zu. Er verständigte Panier von seiner Überzeugung, daß Kassierer Ringsum ein Gauner sei. Der Preis von zwei oder drei unlängst während der Krankheit Marehns verkauften Terrains sei so niedrig, daß Ringsum unbedingt Provision vom Käufer erhalten habe. Panier meinte, ein Glas Sherry an der Nase:

»Na lassen Sie man, Ringsum ist noch 'n harmloses Huhn gegen die meisten. Und überhaupt, wenn einer stirbt, dann können Sie nicht verlangen, daß alles sauber zugeht. Von dem Fall profitiert jeder – aber jeder einzelne, dafür garantieren wir Ihnen.«

»Oho!« rief blitzenden Auges von Eisenmann, »'n paar anständige Menschen gibt's denn doch noch!«

Er schob ein großes Stück Pudding mit erregter Hand weit von sich. Gleich darauf riß er es zurück und begann daran zu würgen, gebückt, den Schnurrbart triefend von Saft.

Er sagte noch einiges Geschäftliche, richtete es aber ausschließlich an Frau Marehn. »Sie als Universalerbin –« kehrte mehrmals wieder.

Panier wiegte lange den Kopf, zwinkerte flüchtig nach Claude. Als niemand mehr daran dachte, äußerte er:

»Wer weiß.«

Nach Tisch nahm er Claude beiseite.

»Mein Junge, brauchst du Geld?«

»Ja«, sagte Claude. Panier nickte.

»Wir wissen woll, wofür.«

Und er zwinkerte nach Ute.

»Das soll ja 'n sogenanntes ide–a–les Verhältnis sein.«

Und er zwinkerte so lange, bis Claude verstanden hatte, er, Panier, glaube nicht an das ideale Verhältnis.

»Ja«, sagte Claude. Panier faßte ihn am Knopf.

»Mein Jung, du bist nu in den Jahren, du sollst man anfangen, dich 'n bischen zu amüsieren.«

»Ich, Herr Panier? Ich hör schon bald wieder auf.«

»Chotts – Was ihr heut alle habt, ihr Jungen ... Das sagt nu einer mit zwanzig. Und sieht so mieserig aus, daß jedes ordentliche Weib Angst haben muß, er geht ihr dabei kaputt. Wir – wir sind dreiundsechzig, aber wir werden noch mit jeder fertig. Jedes neue Weib ist 'n Paradies, mein Söhnken. Nöh, blasiert sind wir nicht. Und mit allem in Ordnung: Lunge gut, Verdauung gut, Haarwuchs gut, alle Zähne – und dann das, worauf es am meisten ankommt. Wir haben nichts weiter nötig, als daß uns jede Nacht 'n junges Mädchen ins Fenster steigt.«

»Jede Nacht, Herr Panier?« fragte Claude, die Augen weit geöffnet.

»Jede Nacht!«

»Sie müssen viel Glück bei Frauen gehabt haben, Herr Panier?«

»Gehabt is jut. Willst du mir woll glauben, daß uns, wie wir dastehen, in Düren noch heute die Weiber nachlaufen.«

»Wenn sie's in Düren tun – die werden ja nicht perverser sein als anderswo.«

»Nöh, pervers sind die nicht.«

Claude sah gleichgültig weg. Den weiblichen Geschmack verstehen zu wollen, das hatte er aufgegeben. Er äußerte:

»Was Sie also vorhin meinten ...«

»Richtig. Wir haben es dir gleich mitgebracht. Der Notar Angerer kommt vielleicht noch heut abend mit dem Testament, aber versprechen konnte er's uns nicht; das Ableben deines Vaters macht ihm ja enorm viel zu tun. Und wieviel du gleich in die Hand kriegst, ist auch nicht sicher. Na, da hast du erst mal fünftausend. Laß man, das Schriftliche gibst du uns morgen. Nöh, wir kennen dich doch. Und denn stehn ja eure fünfmalhunderttausend bei uns im Geschäft, die wirst du da auch woll lassen.«

»Soviel an mir liegt, Herr Panier. Meine Mutter als Universalerbin ...«

»Ach ja, Universalerbin. Na, ich wart hier nu auf Angerer mit dem Testament. Aber du, mein Söhnken, amüsier dich nu man 'n bischen. Dein Vater ist heute gestorben, alles was recht ist; aber versauern darfst du doch nicht, was?«

»Meinem Vater wird daran gar nichts liegen.«

»Siehst du woll. Denn geh nu man 'n bischen zu Gisela Gigereit. Ich hab ihr schon gesagt, daß wir auch kommen.«

»Auf Wiedersehn, Herr Panier.«

»Aber erst packst du dein Idea–al in den Wagen. Immer höflich mit die Damen.«

Draußen sagte Claude zu Ute:

»Du, deine Kostüme habe ich in der Tasche.«

»Die Wohnung auch?«

»Es langt für alles.«

»Ist recht. Laß nur dem jungen Ende nichts merken, sonst wird er begehrlich.«

»Darf ich jetzt noch ein Stündchen mit dir kommen?«

»Bitte nicht, ich muß arbeiten. Dein Vater kostet mich heute schon zwei und eine halbe Stunde. Wenn du meinst, das geht so weiter. Vor halb drei komme ich nicht zu Bett. Fedora, meine erste moderne Rolle!«

»Also gute Arbeit!«

Er schloß den Schlag. Sie besann sich, streckte den Arm heraus.

»Übrigens vielen Dank ... Und auf Wiedersehn. Wohin gehst du?«

»Zum Spießl.«

Aber bei der Universität überholte er Matthacker und Killich. Er grüßte. Matthacker rief ihm nach:

»Warum waren Sie denn nicht dabei, Marehn?«

»Wobei?«

»Ach ja. Ihr Herr Vater ...«

»Tiefes Beileid«, sagte auch Killich. »Kommen Sie her.«

Sie nahmen ihn in die Mitte, sie waren beide halb betrunken.

»Dieser Pömmerl ist zum Schreien«, erklärte Matthacker in seiner vorsichtigen Sprechweise. Er war groß, schwer, sehr schick; und weil seine dicken dunkelroten Wangen eine gewisse Schiebung bis unter die braunen Augen erlitten, sah Matthacker, abgefeimt wie er war, immer ganz erstaunt und hilflos aus.

»So, Pömmerl«, sagte Claude. »Ich wäre sonst auch gekommen. Ist er seine Frau los?«

»Er fährt sie und ihren Liebhaber eben zur Bahn. Er hat ihnen zuletzt noch Hotels in Italien empfohlen. Das Scheidungsmahl war heiter. Von so reiner Heiterkeit. Pömmerl hat geredet: das Zusammenleben mit seiner Frau werde ihm unvergeßlich bleiben, und in seinem nächsten Gedichtbuch solle sie sicher den meisten Raum einnehmen. Er trinke auf das Glück der beiden jungen Leute. Er ist sehr fein, der Pömmerl, ich werd ihm seinen Leichnam abkaufen.«

 

Matthacker sah in die Sterne. Killich erklärte, und ein Windstoß drückte ihm den großen wildblonden Bart gegen die linke Schulter:

»Es kommt auf das Temperament an. Die Zank kann mir nicht nachsagen, daß ich sie an den Bahnhof begleitet habe. Allerdings gab es auf unserer Südseeinsel keinen Bahnhof. Und der Kerl, den sie mir vorgezogen hat, mit dem kann man auch in keiner Droschke fahren; den setzt man in einen vergitterten Wagen.«

»Wo hält sich die Gräfin jetzt auf?« fragte Claude.

»Sie hat ihn nach Paris gebracht. Er produziert sich irgendwie, besonders bei Damen, und sie lebt davon. Sie hat mich ausdrücklich gefragt, warum eigentlich immer die Frau sich prostituieren müsse. Ich konnte ihr das auch nicht sagen ... Basta! Was mich bei diesen Liebesgemeinheiten reizt, ist das neue Licht, womit sie einen bewerfen. Sie zeigen einem auf haarsträubende Weise, wer man ist; wenigstens wer man für die Weiber ist. Ich und das Südseetier, in der Seele der Zank müssen wir verwandt sein.«

Killichs starke und gewandte Hand holte seinen Bart von der Schulter herunter. Auch befestigte sie seinen Burenhut. Im übrigen war seine Kleidung peinlich englisch. Aber er säbelte mit den Armen, zu dem Lärm seiner Rednerstimme.

»Also lassen wir gefälligst die Dummheiten. Eine Verschiebung des Papierstreifens um den zwanzigsten Teil einer Linie ruft, wie gesagt, bedeutende Verschiebungen des Buchstabens im Druck hervor.«

»Er meint seine elektrische Setzmaschine«, erläuterte Matthacker.

»Elektrisch?« fragte Claude ängstlich. »Maschine?«

»Beleidigt Sie das?«

»Alles, was Maschine heißt, erfüllt mich mit Mißtrauen. Es ist wohl der Haß des Schwachen. Aber tun Sie, als wäre ich nicht da.«

»Präzisionswerk«, sagte Killich. »Wird gefingert wie 'ne Schreibmaschine ...«

»Er will keine Maschinen«, sagte Matthacker sanft.

»Stößt Löcher ins Papier. Durch den Stoß werden elektrische Kontakte ausgelöst. Der Strom bringt die Buchdruckerlegierung zum Schmelzen ...«

»Er will es doch nicht.«

»Ein anmutiges Werkchen«, sagte Claude.

»Gestehen Sie«, bat Matthacker, »daß eine Kolonie von Frettchen, in Indien, gegen das Schlangengift, noch herziger wäre. Es ist ein graubraunes Wiesel, müssen Sie wissen, läuft wie 'n Wiesel, frißt ein gewisses Kraut, wird immun. Nun passen Sie auf: das Kraut nützt dem Menschen nichts, wegen Verschiedenheit des Magensaftes. Aber ein Serum aus dem Frettchen ...«

»Frettchen? Ist das ein Tier?« fragte Claude.

»Ach Gott, Sie haben nicht aufgepaßt.«

»Unsinn!« schrie Killich gegen den Wind. »Bisher war alles schon bekannt. Und die Verschiebung des Papierstreifens machte es praktisch bedeutungslos. Nun komme ich.«

»Das Frettchen ...«

» Nun komme ich! Statt des Papiers verwende ich einen fest eingebetteten Stahl-Argonstreifen. Argon legiere ich hinzu wegen besserer Konsistenz und der Seltenheit halber, weil bisher nur Spuren davon gefunden sind, in den Dämpfen des Mont Pelée.«

Matthacker rang sich durch.

»Sie müssen das bloß verstehen. Das Alkaligift der Schlange zersetzt die Blutkörperchen; das Gegengift muß neutral sein. Aus dem Darm des Frettchens geht das neutrale Element des Krautes ins Blut über. Beim Menschen müßte man es subkutan injizieren, in der Nähe des Bisses, aber näher dem Herzen zu. Wo wird man's zum Beispiel bei einem injizieren, der am Kopf gebissen ist?«

»Am Kopf?« wiederholte Claude mit Grauen.

»In der Klavikulargegend«, antwortete Matthacker mitleidig. »Zu den Versuchen brauche ich eine Kolonie von Brillenschlangen, eine Kolonie von Frettchen und einige Verbrecher.«

»Eine Verbrecherkolonie?«

»Also eine tropische Regierung, die mir zum Tode verurteilte Verbrecher überläßt.«

»Ich«, rief Killich, »brauche eine große Fabrik, die die Tragweite meines Gedankens erkennt.«

»Was Sie alles brauchen«, meinte Claude geringschätzig. »Man muß nicht so viele Bedürfnisse haben.«

»Meine Maschine bietet einen besonderen Reiz dadurch, daß sie viele tausend Setzer brotlos machen wird. Welche ungeheuerliche Beschleunigung der sozialen Veränderungen!«

»Und dazu haben Sie den Mut?« fragte Claude. »Nun, Sie kommen aus der Südsee.«

»Und von der Zank, junger Mann.«

»Meine Entdeckung«, sagte Matthacker, »kann aller Welt ganz gleichgültig sein, weil Brillenschlangen doch hier nur in vergitterten Käfigen vorkommen. Gerade darum erwarte ich, daß sich ein Unternehmer findet, mit Phantasie und mit Mitteln.«

»Niemand kann ihn hindern, sich zu finden«, sagte Claude. »Aber ich muß die Herren jetzt verlassen.«

»Sie kommen mit!« sagte Killich drohend. »Wozu nähre ich Sie zwanzig Minuten lang mit meinem Geist, wenn Sie nicht mal 'n Kognak drauf trinken wollen.«

»So fett war Ihr Geist nicht.«

»Wozu wir ihm das erzählen?« fragte Matthacker, den Fuß auf der Schwelle des Café Luitpold. »Er hat doch jetzt Millionen.«

»Donnerwetter!« sagte Killich und blieb stehen.

Die beiden starken Herren sahen von rechts und links auf Claude hernieder. Er fühlte sich auf einmal umgewendet, durchsucht, zu einem Gegenstand von Berechnungen geworden. Gedemütigt und angewidert murmelte er:

»Es ist nicht so schlimm.«

Aber seine Begleiter nickten mit gefalteten Stirnen auf ihn ein, als sagten sie: »Versuchen Sie nur nicht zu leugnen.«

›Es scheint, meine Funktion als Millionär fängt an‹, dachte er, während sie zwischen den spiegelnden Säulen in den Qualm von Menschen drangen. ›Ich erinnere mich, Papa sagte einmal ohne ersichtlichen Grund: »Ich möchte dir's wohl ersparen.« Jetzt weiß ich ungefähr, was er meinte. Na, was die Mitmenschen anlangt, da weiß man ohnehin Bescheid; dazu brauche ich weder Killich noch Matthacker ... Und er wird es mir erspart haben. Es wäre blödsinnig, wenn mir das viele Geld über den Hals käme, und Ute, für die es auszugeben Sinn hätte, käme nicht ... Außerdem‹, dachte er noch rasch hinzu, während er schon vor Freunden den Hut abnahm, ›ist Papas Geld recht gefährlich und unbequem angelegt. Vielleicht existiert es nur zeitweilig und wenn man guten Willen hat. Eine kleine, sichere Rente wäre mir lieber.‹

»Grüß Gott, Pömmerl.«

Pömmerl saß ganz hinten und an seinem Tisch allein; aber die andern Stühle hatte er alle umgekippt. Er winkte bloß mit seinem Patschhändchen, ohne aufzustehen. Er hielt eines seiner fetten Beinchen in prallen Höschen so kunstreich gebogen, daß der winzige dicke Lackschuh auf dem andern Knie lag. Sein Gesicht, mit klugen schwarzen Äuglein, glänzte rosig und breit unter der hohen, weißen Stirn.

»So sieht das Glück aus«, sagte Matthacker. »Ich habe gerade die Ansicht verteidigt, daß Sie etwas sehr Feines sind. Doktor Killich wollte es anders wissen.«

»Ich meine, Sie sind höchstens ein Meerschweinchen«, erklärte Killich.

»Jaja«, sagte Pömmerl und faltete die Hände über dem Knödel in seiner weißen Weste. »Da sitzt man im Café und hat wieder etwas erlebt.«

»War es der Mühe wert?« fragte Claude.

»Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn die Gedichte fertig sind.«

»Ich wäre sonst auch gekommen. Übrigens meinen Glückwunsch.«

»Übrigens mein Beileid«, erwiderte Pömmerl.

»Grund genug«, sagte Killich verächtlich. »Er ist jetzt tropische Regierung und einsichtige Fabriksleitung in einer Person. So was greift an.«

»Wir haben unsern Unternehmer gefunden«, setzte Matthacker hinzu. »Er hat selbst gesagt, niemand könne ihn hindern, sich zu finden. Nun hat er sich selbst nicht hindern können.«

»Ich versichere Sie, daß Sie mich nicht zu Ihrem Affen machen werden!« sagte Claude plötzlich sehr fest. Er sah die drei, auch den armen Pömmerl, der Reihe nach an, blaß vor Gereiztheit, und wandte ihnen den Rücken.

Ein Stück weiter saß Köhmbold von der Zuckerfabrik in Altona und trank Tee. Claude reichte ihm stumm die Hand wie einem Leidensgefährten.

»Beileid«, murmelte Köhmbold.

Die Kellnerin kam; Claude zeigte auf den Tee.

»Mir auch«, sagte er.

Sie wollte eine menschliche Annäherung einleiten; aber die beiden jungen Millionäre hatten etwas Abstoßendes. Sie verzog das Gesicht und lief weiter.

»Setzen Sie sich doch bloß nicht zu den Viechern«, äußerte Köhmbold säuselnd und zog ein stark duftendes Taschentuch. »Das sind ja Viecher.«

Claude bedauerte schon, daß seine Duldsamkeit ihm einen Augenblick lang entschlüpft war.

»Es sind auch nur Menschen«, meinte er. Köhmbold entgegnete:

»Das leugne ich ja nicht. Um so schlimmer.«

Claude sah ihn sich an, den hagern, grobknochigen Gesellen, in dessen Gesicht die Nase, mit eingesunkenem Sattel, nur ein Knopf war. Die Stirn zerknitterte sich, voller Sorgen, nach den Augen hin, zwei blassen Wassern. Köhmbold hatte seinen langen Handgerippen und ihren viereckigen Nägeln soviel Vornehmheit abgewonnen, wie immer in seiner Macht stand. Seine Brust ward vollkommen gepolstert von einer langen, breiten und hohen Krawatte aus Gelb, Pfauenblau, Apfelgrün, Schwarz und Silber. Dieser verlorengegangene Kaufmann ließ seinen Bruder bei der Fabrik und tat nichts, als Maler in ihren Ateliers belästigen, Stücke beurteilen, die ihn nichts angingen, unanständige Verfeinerungen sich anmaßen. Claude fragte ihn:

»Wie kommen Sie eigentlich dazu, die Menschen zu hassen? Es tut Ihnen ja keiner was.«

»So? Sie werden schon merken, was sie einem tun. Haben Sie nicht geerbt? ... Sehen Sie, es gibt bekanntlich bloß Gauner und Dumme. Aber ich will keins von beiden sein – durchaus keins von beiden«, wiederholte er schwach und verbissen.

»Was ist denn Ihr Bruder, der die Fabrik leitet?«

»Der ist Gauner.«

»Sie Ihrerseits haben wahrscheinlich nicht mehr das Zeug zum Gauner. Aber zum Dummen langt es auch nicht mehr? Das ist schlimm.«

»Ich will überhaupt nur die Schönheit«, erklärte Köhmbold. »Das andere ist doch faul.«

Und eine dünne Sehnsucht tauchte, gleich einer dürftigen Fee, aus den Wassern seiner Augen.

»Was halten Sie von Killich?« forschte Claude.

»Der? Lebt der nicht von Weibern? Ich will nichts gesagt haben. Aber sicher bezahlt er die eine mit dem Gelde der andern. Und dann: ist er überhaupt Doktor? Und wenn schon, wovon ist er denn Doktor. Er pfuscht ja in alle Wissenschaften, ist auch noch Athlet und Politiker, und 'n großer Damengünstling. Das ist das einzig Sichere.«

»Nehmen Sie ihm das übel?«

»Die Weiber schenk ich ihm, die wollen doch immer bloß Geld. Aber etwas Bestimmtes muß der Mensch sein. Kaufmann oder Jurist oder Arzt!« rief er mit verzerrtem Gesicht; und Claude wunderte sich, wie genau der verwilderte Bürger es nahm mit den Forderungen seiner angestammten Klasse.

»Dann wird Ihnen Matthacker lieber sein. Er ist wenigstens Arzt.«

»Und was für einer. Er sorgt dafür, daß seine Klienten nicht an Kontinenz zugrunde gehen. Ach Sie! Mir hat er eine Photographie gezeigt! Ich bin daraufhin mit ihm in seine Klinik gegangen. Es war eine exotische Prinzessin.«

»Eine von denen, die durchaus Kinder kriegen wollen?«

»Wieso Kinder kriegen?«

»Das wissen Sie nicht? Matthacker hat doch eine große Kundschaft von reichen Damen aus der Fremde, von denen, die ein Professor dem andern zuschickt mit verschlossenen Billetten, worin geschrieben steht: Anbei eine goldene Gans, rupfen Sie sie ... Matthacker seine wollen sämtlich Kinder. Er tut auch, als läge es an ihnen; in Wirklichkeit liegt es natürlich am Mann. Er behandelt sie lange und kostspielig, und dann läßt er den Toni auf sie los.«

»Toni?«

»Den Toni aus Partenkirchen. Er sagt den Damen, es wäre schade, wenn sie die weite Heimreise machten und nachher stelle sich heraus, daß die Kur noch nicht gelungen sei. Besser sei's, man nehme einen Versuch vor. Der Toni nimmt ihn vor. Er gelingt immer. Und die Aristokratie der entlegensten Reiche fährt fort zu blühen, dank dem Toni aus Partenkirchen.«

»Und die Damen lassen ihn sich alle bieten?«

 

»Alle«, behauptete Claude mit Nachdruck. Aber Köhmbold entrüstete sich.

»Sehen Sie, woher wissen Sie das? Wenn meine Prinzessin damals den Toni genehmigt hätte, dann wäre ja ich nicht nötig gewesen.«

»Er hatte vielleicht Ferien«, meinte Claude. Köhmbold seufzte.

»Ach Gott, jetzt verstehe ich erst, was ich sollte. Ein Kind wollte sie haben, das niedrige Geschöpf. Und ich habe ihr gleich gesagt, daß die gemeine Sinnlichkeit nicht meine Sache sei. Ich wollte nur in nackter Schönheit eine Stunde mit der Dame verbringen. Dafür bezahlte ich Matthacker. Die Dame hatte auch scheinbar nichts dagegen.«

»Dagegen kann man doch nichts haben?«

»Nicht wahr? Aber nachher standen statt 380 Mark, die ausgemacht waren, 450 Mark auf der Rechnung. Vorgeblich, weil ich sie gelangweilt hatte.«

»Das ist kein Grund«, sagte Claude.

»Immer Gaunerei. Ich verlange bloß Schönheit, das ist ja das einzige, womit 'n anständiger Mensch sich noch befassen kann. Aber meinen Sie, daß ich je so viel kriege, als ich bezahle? Da hat mir der Hugendubel, unser großer Kunstgewerbler, der sticken kann und Servietten auf 'ne ganz neue Art zusammenfalten – der hat mir die Zigarettentasche da gemacht. Ist sie nicht riesig intim? ... Ich hatte auch extra dafür bezahlt, daß dies das einzige Exemplar sein sollte. Was glauben Sie, heut abend nach seinem unverschämten Scheidungsfest zieht der Pömmerl, der Schlucker, ganz dieselbe Zigarettentasche!«

»Wie schimpflich!« meinte Claude.

»Und er hat sie umsonst gekriegt – natürlich, der Schlucker. Daraufhin werd ich nicht mal klagen können. Diese Leute, die einem die Schönheit verkaufen, stecken alle zusammen. Was der Pömmerl für ein geschnitztes Doppelbett hat, gelb lackiert, die Schnitzereien schwer versilbert. Und einen Ofen haben sie ihm bemalt wie Delfter Kacheln. Natürlich, dazwischen stehen die Sachen, die er hat bezahlen müssen, und die sind denn auch danach. Und glauben Sie, daß das Lebewesen mich nach Tisch angebettelt hat? Er wollte seiner Frau noch ein Bukett kaufen.«

»Aber so eine Verletzung des Gastrechts!«

»Ich hab ihm gesagt, er solle sich das Bukett schenken lassen wie die Zigarettentasche.«

»Da war er geschlagen.«

»Ach Sie, Marehn, jetzt laß ich mir etwas machen, damit können sie mich nicht so leicht hineinlegen. Sie raten es doch nicht. Persönliche Zahnstocher! Was? Darauf ist noch keiner verfallen. Zahnstocher, die in Mädchenleiber übergehen, drei Sorten, und sie passen genau für meine Zahnlücken, da und da und da. Nun müßte einer schon ganz dasselbe Gebiß haben ...«

»Gott, die Zahnlücken können schließlich mal stimmen. Wissen Sie, das ist wie mit den Weibern; die passen auch mal einem andern.«

»Das sag ich ja. Drum genieß ich sie auch bloß in Schönheit. Was? dazu muß man schon 'ne verfeinerte Individualität sein.«

»Mindestens impotent«, sagte Claude und sah Köhmbold ruhig in die Augen. Köhmbold hob die Achseln, er lächelte groß.

»Was darauf noch ankäme, wenn man einmal bei der reinen Schönheit angelangt ist ... Gehen Sie schon? Nein, ich warte auf Ruschka.«

»Ihren schönen Jüngling? Dann rasch adieu! Wozu starren Sie immerfort in den Spiegel?«

»Ich werde ihn, wenn er kommt, zuerst dort im Spiegel sehen. Sie wissen doch, im Spiegel sind alle Dinge ferner und seltsamer, wie in Ahnungen, unter Wasser sozusagen, versunken, verzaubert und so weiter.«

»Und so weiter«, sagte Claude und ging. Ruschka kam eben an, träumerischen Ganges. Seine schwarzen Haare fielen glatt über seine Ohren. Er hatte das blasse, weiche Profil eines südlichen Mädchens und ein üppiges Auge.

Claude ging stramm an den Tisch der andern. Er sagte:

»Über Ihre Pläne, meine Herren, sprechen wir noch.«

Killich sah ihn kalt an.

»Natürlich sprechen wir. Wußten Sie das nicht? Und zahlen werden Sie.«

»Sie sind fein«, sagte Matthacker zart. »Ich kauf Ihnen Ihren Leichnam ab.«

Er heftete sich an den Strohhalm in seinem Getränk und äugte erstaunt und ängstlich über seine hohen Wangen hinüber.

»Grüß Gott, Pömmerl.«

Pömmerl rief Claude zurück.

»Es war der Mühe wert«, berichtete er selig und skandierte auf dem Tisch.

›Sie mögen mich hineinlegen‹, dachte Claude beim Weggehen. ›Ich durchschaue sie zum voraus und bin schon gerächt. Und ich werde dennoch gehandelt haben – anstatt in Spiegel zu blicken.‹

Im vorderen Raume des Cafés wankte ihm Kreuths langes Gerippe entgegen, wie immer abgewendeten Hauptes über die Welt hingeisternd. Sein beängstigend hohes und schmales Gesicht hatte er mit etwas Rot dem eines Lebendigen ähnlich gemacht; seine knorplig ausgreifende Nase hatte er gepudert; und von der weit und hölzern vorstehenden Unterlippe hing das Bärtchen blaß wie ein Tautropfen.

Ohne Claude angesehen zu haben, sagte er mit einer Stimme, die hohl wie aus altem Gemäuer kam:

»Von ganzem Herzen Beileid. Jetzt müssen Sie ja Geld haben?«

»Jawohl«, erwiderte Claude gemessen. »Geld habe ich, Graf Kreuth.«

»Dann können Sie mir was geben. Aber ich brauche es gleich.«

»Ich auch, Graf Kreuth.«

Claude schüttelte Kreuth die kalte Hand und entfernte sich.

Bei der Peterskirche, vor Spießls Tür, sammelte er rasch in sich den ausgelassenen Zynismus, der im Verkehr der Freunde Gesetz war. Er trat ein und sagte:

»Na, du würdiger alter Lustmörder, was bedichtest du denn da für 'ne Affenschande?«

Spießl blieb stumm in seiner Rauchwolke; nur sein Korblehnstuhl knarrte, miterfaßt von der Qual dieses Körpers, der dachte; und der schwärzliche Schreibtisch mit den abgebrochenen Ecken krachte. Das Büchergestell, den Waschtisch, das Bett, alles konnte Spießl mit der ausgestreckten Hand berühren. Er antwortete endlich, die Zähne auf dem Federhalter.

»Messalina bei den Soldaten, auf dem Marsfeld. Du weißt ja. Ich lasse sie gerade reden.«

»So, bloß reden.«

»O nein, schon sonst noch was.«

»Das ist hübsch. Sag mal, wozu machst du immer solchen Mist.«

»Wozu, wozu?«

Spießl hieb die Feder hin, warf sich herum.

»Nun – um den Bürger zu ärgern!«

»Er erfährt ja doch nichts davon.«

»Man ist halt Künstler. Wenn du das nicht fühlst, bist du keiner.«

»Muß wohl so sein. Im Grunde seid ihr eitel, nicht wahr? Wollt, daß die Leute sich ärgern oder sich begeistern, und auf jeden Fall euch anstaunen.«

»Ja, so ist der Künstler«, sagte Spießl stolz.

»Nein, mir ist das Wurscht«, entschied Claude. »Ich bitte dich, was ist denn der Ruhm? Ein Mißverständnis. Von jedem Bessern nimmt man nur das Minderwertige. Sein Genie, sein starkes Empfinden sieht man ihm nach, weil er auch Talent und etlichen Witz hat.«

»Ja, das Beste an meiner Messalina werden sie niemals würdigen«, meinte Spießl.

»Und dann«, sagte Claude, »kommt für den Ruhm zu viel darauf an, ob man sich beim Geborenwerden nicht verspätet oder es vorweggenommen hat. Bei den Fanatikern der Enge heut und guten Volkstümlern, da soll mal der Goethe hergehen und soll wieder von seinem Ideal einer Weltliteratur anfangen. Der Reinfall!«

Spießl bestätigte:

»Meine Messalina sind sie heut nicht wert.«

»Na, und überhaupt – damit der Ruhm Wert bekommt, muß man doch Achtung haben vor seinen Zeitgenossen. Nein, mir ist er Wurscht«, wiederholte Claude, und er dachte an Ute, die Erfolggierige. Vor sie hinstürzen zu können, wie er es einmal im Traum vermocht hatte; hingerissen und hinreißend, sie, die eine. Das war alles, was es zu begehren gab.

»Du siehst auf das Schwarze da?« fragte er. »Mein Alter ist nämlich tot.«

»So. Muß ich kondolieren?«

»Laß nur.«

»Wir wissen wohl, wie wir über die Familie denken«, sagte Spießl aus der Höhe; und Claude wunderte sich, daß der andere nicht fühlte, wenn ein Vater sterbe, vergesse man die nihilistischen Grundsätze und sei traurig. Er stimmte indes bei.

»Allerdings, die Familie. Wenn du als erwachsener Sohn deine Mutter älter machen würdest, als sie sich fühlt – da hört's eben auf.«

Aber Spießl verwahrte sich gegen die Hineinziehung seiner persönlichen Verhältnisse.

»Bitte schön, meine Mutter ist so schon alt.«

»Aber meine nicht ... Oder begehe einmal eine der Heldentaten, die du immer bedichtest – nur einen bescheidenen Inzest. Wie deine Mama sich da wohl benimmt.«