Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke

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»Halte Dich fest, Rudy!« rief der Ohm; »fest mit Deiner ganzen Kraft!«

Und Rudy umklammerte den nächsten Baumstamm; der Ohm kletterte über ihn den Baum hinauf und hielt sich dort fest, während die Lawine viele Fuß von ihnen entfernt dahinrollte; allein der Luftdruck, die Sturmesflügel der Lawine, zerbrachen ringsum Baume und Gebüsch, als seien sie nur dürres Rohr, und warf sie weit umher. Rudy lag auf dem Erdboden niedergekauert; der Baumstamm, an dem er sich festhielt, war wie durchgesägt und die Krone war weithin geschleudert; dort, zwischen den geknickten Zweigen lag der Ohm mit zerschmettertem Kopfe, seine Hand war noch warm, aber sein Gesicht nicht zu erkennen. Rudy stand bleich und zitternd da; es war der erste Schreck seines Lebens, der erste Schauder, den er empfand.

Am späten Abende kam er mit Todesbotschaft in die Heimath zurück, die nun ein Haus der Trauer ward. Das Weib fand keine Worte, keine Thränen, erst als man den Leichnam brachte, kam der Schmerz zum Ausbruche. Der arme Cretin kroch in sein Bett, man sah ihn den ganzen folgenden Tag nicht; erst gegen Abend trat er an Rudy heran.

»Schreibe einen Brief für mich!« sagte er; »Saperli kann nicht schreiben! Saperli kann den Brief auf die Post bringen!«

»Brief von Dir?« fragte Rudy. »Und an wen?«

»An den Herrn Christ!«

»An wen sagst Du?«

Und der Dämliche, wie sie den Cretin nannten, sah mit rührendem Blicke auf Rudy, faltete die Hände und sagte feierlich und fromm:

»Jesus Christ! Saperli will ihm Brief schicken, ihn bitten, daß Saperli todt liegen muß und nicht Mann im Hause hier!«

Rudy drückte seine Hand und sagte: »Der Brief kommt nicht hin, giebt ihn uns nicht zurück!«

Es wurde Rudy nicht leicht, ihm die Unmöglichkeit einleuchtend zu machen.

»Jetzt bist Du die Stütze des Hauses!« sagte die Base Pflegemutter, und Rudy wurde es auch.

IV. Babette.

Wer ist der beste Schütze im Canton Wallis? das wußten schon die Gemsen: »Hüte Dich vor Rudy!« konnten sie sagen. »Wer ist der hübscheste Schütze?« »Das ist Rudy!« sagten die Mädchen, aber sie sagten nicht: »Hüte Dich vor Rudy!« Das sagten nicht einmal die ernsten Mütter, denn er nickte ihnen ebenso freundlich zu wie den jungen Mädchen. Wie keck und fröhlich war er, seine Wangen waren gebräunt, seine Zähne frisch und weiß, die Augen glänzend schwarz, er war ein hübscher Bursch und zwanzig Jahre alt. Das Eiswasser konnte ihm nichts anhaben, wenn er schwamm; wie ein Fisch konnte er sich drehen und wenden im Wasser, und klettern wie kein Anderer, sich festkleben an die Felsenwand wie eine Schnecke, gute Muskeln und Sehnen hatte er, und das zeigte er auch im Sprunge, den er erst von der Katze, später von der Gemse gelernt hatte. Rudy war der beste Führer, dem man sich anvertrauen konnte; er würde sich ein ganzes Vermögen als Führer sammeln können; die Faßbinderei, die der Ohm ihm auch gelehrt hatte, sagte ihm aber nicht zu, seine Lust war die Gemsjagd, die brachte auch Geld ein. Rudy war eine gute Partie, wie man sagte, wenn er nur nicht über seinen Stand hinausschauen wollte. Ein Tänzer war er, von dem die Mädchen träumten, und den dieses und jenes gar wachend mit in seinen Gedanken umhertrug.

»Mich hat er im Tanze geküßt!« sagte des Schulmeisters Annette zu ihrer liebsten Freundin; doch das hätte sie nicht sagen sollen, selbst nicht zu ihrer liebsten Freundin. Dergleichen ist nicht leicht geheim zu halten, es ist wie ein Sand in einem Siebe, er läuft heraus; bald wußte man auch, daß Rudy, so brav und gut er auch war, im Tanze küßte, und doch hatte er gar nicht Diejenige geküßt, die er am liebsten hätte küssen mögen.

»Ja der!« sagte ein alter Jäger, »der hat Annette geküßt, er hat mit A angefangen und wird schon das ganze ABC durchküssen!«

Ein Kuß beim Tanze war Alles, was die emsigen Zungen bis dahin von ihm zu sagen wußten, er hatte freilich Annette geküßt, und doch war sie gar nicht die Blume seines Herzens.

Unten im Thale bei Bex, zwischen den großen Wallnußbäumen, an einem kleinen, reißenden Bergstrome, wohnte der reiche Müller; das Wohnhaus war ein großes Gebäude von drei Stockwerken mit kleinen Thürmen, gedeckt mit Spahn und belegt mit Blechplatten, die im Sonnen- und Mondenscheine glänzten. Der größte der Thürme hat eine Wetterfahne, einen blitzenden Pfeil, der einen Apfel durchbohrt hatte, das sollte an Tell's Schuß erinnern. Die Mühle sehe nett und wohlhabend aus, lasse sich auch abzeichnen und beschreiben, aber des Müllers Tochter lasse sich nicht abzeichnen und beschreiben, so würde wenigstens Rudy gesagt haben, und doch stand sie abgezeichnet in seinem Herzen; ihre Augen strahlten dort so, daß ein wahres Feuer darin war; das war plötzlich gekommen, wie anderes Feuer kommt, und das Sonderbarste dabei war, daß die Müllerstochter, die hübsche Babette, keine Ahnung davon hatte, sie und Rudy hatten noch nie ein Wort mit einander gesprochen.

Der Müller war reich, und dieser Reichthum machte, daß Babette sehr hoch saß und schwer zu haschen war; aber Nichts sitzt so hoch, daß man es nicht sollte erreichen können; man muß nur klettern; herabfallen thut man schon nicht, wenn man es sich nur nicht einbildet. Die Lehre hatte er von Hause aus.

Es machte sich einmal so, daß Rudy etwas in Bex auszurichten hatte: es war bis dorthin eine ganze Reise; die Eisenbahn war damals noch nicht zu Stande gekommen. Von dem Rhone-Gletscher längs dem Fuße des Simplon, zwischen vielen, wechselnden Bergeshöhen erstreckt sich das breite Wallisthal mit seinem mächtigen Flusse, die Rhone, die oft über ihre Ufer tritt und über Felder und Wege dahin fluthet, Alles zerstörend. Zwischen den Städten Sion und St. Maurice macht das Thal eine Krümmung, biegt sich wie ein Ellnbogen, und wird hinter Maurice so eng, daß es nur Platz für das Flußbett und die schmale Fahrstraße hat. Ein alter Thurm steht hier als Schildwache vor dem Canton Wallis, der hier endet, und schaut über die gemauerte Brücke hinüber nach dem Zollhause auf der andern Seite; dort beginnt der Canton Waadt, und die nächste, nicht weit entfernte Stadt ist Bex. Hier nun bei jedem Schritte schwillt Alles in Fülle und Ueppigkeit, man befindet sich wie in einem Garten von Kastanien und Wallnußbäumen; hier und dort blicken Cypressen und Granatblüthen hervor; es ist hier südlich warm, als wäre man nach Italien gekommen. –

Rudy langte in Bex an und besorgte, was er dort auszurichten hatte, und sah sich um in der Stadt, aber nicht einen Müllerburschen, geschweige denn die Babette, bekam er zu Gesicht. Das war nicht wie es sein sollte.

Es wurde Abend, die Luft war erfüllt mit dem Dufte des wilden Thymians und der blühenden Linde; um die waldesgrünen Berge lag gleichsam ein schimmernder, luftblauer Schleier; es herrschte weit und breit eine Stille, nicht die des Schlafes oder des Todes, nein, es war, als hielte die ganze Natur den Athem an, als fühle sie sich hingestellt, damit ihr Bild auf den blauen Himmelsgrund photographirt werde. Hier und da zwischen den Bäumen auf dem grünen Felde, standen Stangen, die den Telegraphendraht, der durch das stille Thal geführt ist, stützten; an einer dieser lehnte ein Gegenstand, so unbeweglich, daß man ihn für einen Baumstamm hätte halten können: es war Rudy, der hier eben so still dastand wie in diesem Augenblicke die ganze Umgebung; er schlief nicht, noch weniger war er todt, aber wie oft große Weltbegebenheiten durch den Telegraphendraht stiegen, – Lebensmomente von Bedeutung für den Einzelnen, ohne daß der Draht durch Zittern oder durch einen Laut darauf hindeutet, so durchzitterten Rudy mächtige, überwältigende Gedanken: das Glück seines Lebens, sein von nun an beständiger Gedanke. Seine Augen hefteten sich auf einen Punkt, ein Licht, das zwischen dem Laubwerke in der Wohnstube des Müllers, wo Babette wohnte, zum Vorscheine kam. Still wie Rudy hier stand, hätte man glauben müssen, er ziele auf eine Gemse, allein er selbst war in diesem Augenblicke wie die Gemse, die Minuten lang, wie aus dem Felsen gehauen, still stehen kann, bis sie plötzlich, wenn ein Stein hinabrollt, aufspringt und davonjagt; und so that es gerade Rudy; es rollte ein Gedanke in ihm.

»Niemals verzagen!« rief er. »Ein Besuch in der Mühle! Guten Abend dem Müller, guten Abend Babetten. Man fällt nicht hinab, wenn man es sich nicht einbildet! Babette muß mich doch einmal sehen, soll ich ihr Mann werden!«

Rudy lachte, er war frohen Muthes und schritt auf die Mühle zu; er wußte, was er wollte, er wollte Babette haben.

Der Fluß mit dem weißgelben Grunde brauste dahin, Weiden und Linden hingen über die eilenden Gewässer hinaus; Rudy schritt den Pfad entlang auf des Müllers Haus zu. – Aber, wie die Kinder singen:

»Es war Niemand hier zu Haus' –

Nur das Kätzchen kam heraus!«

Die Hauskatze stand auf der Treppe, krümmte den Rücken und sagte: »Miau!« aber Rudy hatte keinen Sinn für diese Rede; er klopfte an, Niemand hörte ihn, Niemand schloß ihm die Thüre auf. »Miau!« sagte die Katze. Wäre Rudy noch ein Kind gewesen, so hätte er die Sprache schon verstanden, und begriffen, daß die Katze eben sagte: »Hier ist Niemand zu Hause!« Jetzt mußte er aber auf die Mühle hinüber, um zu fragen, und dort bekam er die Auskunft, daß der Müller verreist sei weit, nach Interlaken, und Babette mit ihm; dort sei großes Schützenfest, es beginne morgen und dauere ganze acht Tage. Leute aus allen deutschen Cantonen würden dort sein.

Armer Rudy, konnte man sagen, er hatte keinen glücklichen Tag zu seinem Besuche in Bex gewählt, er konnte jetzt wieder umkehren; das that er denn auch und schritt über St. Maurice und Sion auf sein heimathliches Thal, seine heimatlichen Berge zu, allein verzagen that er nicht. Als die Sonne am nächsten Morgen aufging, war sein guter Humor längst wohlauf, der war noch nie untergegangen.

 

Babette ist in Interlaken, viele Tagereisen von hier, sagte er sich. Es ist ein langer Weg dorthin, wenn man die breite Landstraße geht, aber es ist nicht so weit, wenn man quer über die Berge steigt, und der Weg ist gerade für den Gemsjäger! Den Weg bin ich früher gegangen, drüben ist meine Heimath, wo ich als Kind bei dem Großvater gewesen bin; und in Interlaken ist Schützenfest! Ich will dabei sein und will der Erste sein, und bei Babette will ich auch sein, wenn ich erst ihre Bekanntschaft gemacht habe!

Seinen leichten Ranzen, darin der Sonntagsstaat, auf den Rücken, Flinte und Jagdtasche über die Schulter geworfen, stieg Rudy den Berg hinan, den kurzen Weg, der doch ziemlich lang war; allein das Schützenfest war erst an diesem Tage angegangen und währte die ganze Woche und darüber hinaus; während dieser ganzen Zeit bliebe der Müller und Babette bei ihren Anverwandten in Interlaken, hatte man ihm gesagt. Rudy schritt über den Gemmi hin, er wollte bei Grindelwald hinabsteigen. –

Frisch und fröhlich schritt er aufwärts in der frischen, leichten, stärkenden Bergluft. Das Thal senkte sich immer tiefer, der Gesichtskreis erweiterte sich; hier ein Schneegipfel, dort wieder einer, und bald die schimmernd weiße Alpenkette. Rudy kannte jeden Berg; er ging auf's Schreckhorn zu, das seinen weißgepuderten, steinernen Finger hoch in die blaue Luft streckt.

Endlich war er über den Hochrücken hinaus; die Grastriften senkten sich hinab, dem Thale seiner Heimath zu; die Luft war leicht, der Sinn war leicht; Berg und Thal prangten in Fülle mit Blumen und Grün, das Herz war voll des Jugendgefühls, bei welchem kein Alter und kein Tod in Frage kommt: leben, herrschen, genießen! Frei wie ein Vogel, leicht wie ein Vogel war er. Und die Schwalben flogen an ihm vorüber und sangen wie sie in seiner Kindheit gesungen: »Wir und Ihr! Ihr und Wir!« Alles war Flug und Freude.

Dort unten lag die sammetgrüne Wiese, übersäet mit braunen Balkenhäusern, die Lütschine summte und brauste. Er sah den Gletscher mit den glasgrünen Rändern und dem schmutzigen Schnee, sah in die tiefen Spalten hinein, sah den obersten und auch den untersten Gletscher. Die Kirchenglocken klangen zu ihm herüber, als wollten sie ihm ein Willkommen m der Heimath läuten; sein Herz klopfte stärker, erweiterte sich dermaßen, daß Babette einen Augenblick darin ganz verschwand, so weit wurde sein Herz, so erfüllt von Erinnerungen.

Er schritt wieder auf dem Wege dahin, wo er als kleiner Knabe mit den andern Kindern gestanden und geschnitzte Häuser verkauft hatte. Dort oben, hinter den Tannen, stand noch das Haus seines Großvaters von mütterlicher Seite, fremde Leute bewohnten es jetzt. Kinder kamen ihm auf dem Wege entgegengelaufen, sie wollten handeln, eins bot ihm eine Alpenrose an, Rudy nahm die Rose als ein gutes Zeichen, und dachte an Babette. Bald war er über die Brücke geschritten, wo die beiden Lütschinen sich vereinigen, das Laubholz war hier schon dichter, die Wallnußbäume gaben Schatten. Jetzt sah er die wehenden Flaggen, das weiße Kreuz in dem rothen Felde, wie der Schweizer und der Däne es hat; und vor ihm lag Interlaken.

Das war freilich eine Prachtstadt, wie keine andere, meinte Rudy. Ein Schweizerstädtchen im Sonntagsstaate. Das sah nicht aus wie die andern Städte, schwerfällig, ein Haufen schwerer Steinhäuser, fremd und vornehm; nein! hier sah es aus, als wären die hölzernen Häuser von den Bergen oben, hinab in das grüne Thal gelaufen, und hätten sich in Reih und Glied an dem klaren, pfeilschnell dahinströmenden Flusse aufgestellt, ein wenig ein und aus, aber doch immer eine hübsche Straße bildend. Die prächtigste aller Straßen war freilich emporgewachsen, seitdem Rudy als Knabe hier gewesen war; es schien ihm, als sei sie aus allen den niedlichen Häuserchen entstanden, die der Großvater geschnitzt hatte, und mit welchen der Schrank zu Hause angefüllt war, als hätten diese sich aufgestellt und wären kräftig aufgewachsen, wie die alten, ältesten Kastanienbäume. Jedes Haus war ein Hotel, wie es genannt wurde, mit ausgeschnitztem Holzwerke um Fenster und Söller, mit vorspringendem Dache, geputzt und zierlich, und vor jedem Hause ein Blumengarten nach der breiten, mit Steinen gepflasterten Landstraße hinaus; längs derselben standen die Häuser, aber nur an der einen Seite, sie würden sonst die frische, grüne Wiese verdeckt haben, in welcher die Kühe umhergingen mit Glocken um den Hals, die wie auf der Hochalp klangen. Die Wiese war von hohen Bergen umgeben, die in der Mitte gleichsam zur Seite traten, daß man recht deutlich den glänzenden, schneebedeckten Berg, die Jungfrau, den am schönsten geformten aller Schweizerberge, sehen konnte.

Welch' eine Menge von geputzten Herren und Damen aus fremden Ländern, welch' Gewimmel von Landleuten aus den verschiedenen Cantonen! Jeder Schütze trug seine Schießnummer m einem Kranze um den Hut. Hier war Musik und Gesang, Leierkasten, Trompeten, Schreien und Lärmen. Häuser und Brücken waren mit Emblemen und Versen geschmückt; es wehten Fahnen und Flaggen, die Büchsen knallten Schuß auf Schuß, und die Schüsse waren in Rudy's Ohren die beste Musik, er vergaß in diesem Gewirre Babette ganz, um derenwillen er doch hierher gekommen war.

Die Schützen drängten sich zum Scheibenschießen. Rudy stand bald unter ihnen und war der Tüchtigste, der Glücklichste von Allen; stets traf sein Schuß mitten in den schwarzen Fleck.

»Wer mag doch der fremde junge Jäger sein?« fragte man, »Er spricht das Französische, das sie im Canton Wallis sprechen – er macht sich auch ganz gut verständlich in unserm Deutsch« sagten Einige. – »Als Kind soll er hier in der Gegend um Grindelwald gelebt haben,« wußte Einer der Jäger.

Und voll Leben war dieser fremde Bursche: seine Augen flammten, sein Blick und sein Arm waren sicher, deshalb traf er auch. Das Glück giebt Muth, und Muth hatte Rudy ja immer. Bald hatte er hier einen Kreis von Freunden um sich versammelt, man ehrte ihn, ja man huldigte ihm, – Babette war ihm ganz aus den Gedanken verschwunden. Da schlug eine schwere Hand ihn auf die Schulter und eine tiefe Stimme sprach ihn in französischer Sprache an.

»Ihr seid aus dem Canton Wallis?«

Rudy wandte sich um und sah ein rothes vergnügtes Gesicht, eine dicke Person; es war der reiche Müller aus Bex; mit seinem breiten Körper verbarg er die seine, niedliche Babette, die jedoch bald hervorblickte mit ihren strahlenden, dunklen Augen. Es hatte dem reichen Müller geschmeichelt, daß es ein Jäger aus seinem Canton war, der die besten Schüsse that und von allen Andern geehrt wurde. Nun, Rudy war freilich ein Glückskind; das, weshalb er hierher gewandert war, aber jetzt an Ort und Stelle fast vergessen hatte, das suchte ihn auf.

Wenn Landsleute sich weit von der Heimath treffen, so sprechen sie zusammen und machen Bekanntschaft mit einander. Rudy war durch seine Schüsse der Erste beim Schützenfeste, wie der Müller zu Hause in Bex der Erste durch sein Geld und seine gute Mühle war. So drückten die beiden Männer sich die Hand, was sie früher nie gethan hatten; auch Babette reichte dem Rudy treuherzig die Hand, und er drückte ihre Hand und blickte sie fest an, daß sie über und über roth dabei wurde.

Der Müller erzählte von dem langen Wege, den sie hierher gereist waren, und von den vielen, großen Städten, die sie gesehen hatten; sie hatten, seiner Meinung nach, eine große Reise gemacht, und waren mit Dampfschiff, Dampfwagen und auch mit Postwagen gefahren.

»Ich bin den kürzeren Weg gegangen,« sagte Rudy. »Ich bin über die Berge gekommen; kein Weg ist so hoch, daß man ihn nicht passiren kann.«

»Aber auch den Hals brechen!« sagte der Müller. »Und Ihr seht mir grad' so aus, als würdet Ihr 'mal den Hals brechen; so verwegen wie Ihr seid!«

»O, man fällt nicht herunter, wenn man es sich nur nicht einbildet!« sagte Rudy.

Die Anverwandten des Müllers in Interlaken, bei denen der Müller und Babette auf Besuch waren, luden Rudy ein, bei ihnen vorzusprechen, – war er doch aus demselben Canton, wie der Müller. Das war für Rudy ein gutes Anerbieten, das Glück war ihm günstig, wie es stets demjenigen ist, der auf sich selbst baut und bedenkt, daß »Gott uns die Nüsse giebt, aber sie nicht für uns aufknackt.«

Rudy saß da bei den Anverwandten des Müllers, als gehöre er auch zur Familie, und ein Glas wurde geleert auf das Wohl des besten Schützen; Babette stieß mit an, und Rudy dankte für den Trinkspruch.

Gegen Abend spazierten Alle den schonen Weg längs der stattlichen Hotels unter den alten Wallnußbäumen, und so viele Menschen und ein solches Gedränge war dort, daß Rudy Babette seinen Arm anbieten mußte. Er freue sich so sehr, daß er Leute aus Waadt angetroffen habe, sagte er. Waadt und Wallis seien gute Nachbar-Cantone. Er sprach diese Freude so herzlich aus, daß Babette nicht unterlassen konnte, ihm dafür die Hand zu drücken. Sie gingen neben einander einher, als waren sie alte Bekannte: sie sprach und erzählte, und es stehe ihr gar zu gut, meinte Rudy, das Lächerliche und Uebertriebene an den Kleidern und dem Gange der fremden Damen bemerklich zu machen, sie thue das gar nicht um zu spotten, denn es könnten rechtschaffene, ja liebe, gute Menschen sein, das wisse Babette wohl, habe sie doch selbst eine Pathin, die eine solch' vornehme englische Dame sei. Vor achtzehn Jahren, als Babette getauft worden, sei die Pathin in Bex gewesen; sie habe Babette die kostbare Nadel geschenkt, die sie am Busen trage. Zwei Mal habe die Pathin geschrieben, und dieses Jahr hätten sie hier in Interlaken mit ihr und ihren Töchtern zusammentreffen sollen; die Töchter seien alte Mädchen, nahe an dreißig, sagte Babette, – war sie doch erst achtzehn.

Der kleine süße Mund stand keinen Augenblick still, und Alles, was Babette sagte, klang in Rudy's Ohren wie Dinge von der größten Wichtigkeit, und er erzählte wieder, was er zu erzählen hatte, wie oft er in Bex gewesen, wie gut er die Mühle kenne und wie oft er Babette gesehen, während sie ihn wahrscheinlich nie bemerkt habe; und nun letzthin, als er in der Mühle gewesen und zwar mit vielen Gedanken, die er nicht aussprechen könne, waren sie und ihr Vater abwesend, weit verreist, aber doch nicht so weit, als daß man nicht über die Mauer hätte klettern können, die den Weg lang machte.

Ja, das sagte er, und er sagte gar Vieles; er sagte, wie gut er sie leiden mochte – und daß er ihretwegen und nicht des Schützenfestes halber gekommen sei.

Babette verstummte bei dem Allen; es war ihr, als muthete er ihr zu, gar zu viel zu tragen.

Während sie dahinwanderten, sank die Sonne hinter die hohe Felswand hinab. Die »Jungfrau« stand da in Pracht und Glanz, umgeben vom waldesgrünen Kranze der nahen Berge. Alle Menschen blieben stehen und betrachteten die Naturschönheit; auch Rudy und Babette freuten sich darüber.

»Nirgend ist es schöner als hier!« sagte Babette.

»Nirgend!« sagte Rudy, und sah Babette an.

»Morgen muß ich nach Hause!« sagte er einige Augenblicke später.

»Besuche uns in Bex!« flüsterte Babette, »es wird meinen Vater freuen.«

V. Auf dem Rückwege.

O, wie viel hatte Rudy zu tragen, als er Tags darauf über die hohen Berge nach Hause ging. Ja, er hatte drei silberne Becher, zwei schöne Büchsen, und eine silberne Kaffeekanne; die Kanne würde zu gebrauchen sein, wenn man sich häuslich einrichtete; aber das Alles war noch nicht das Gewichtigste, etwas Gewichtigeres, Mächtigeres trug er, oder trug ihn über die hohen Berge heimwärts. Das Wetter war jedoch rauh, grau, regnerisch und schwer; die Wolken senkten sich wie ein Trauerflor auf die Bergeshöhen herab und umhüllten die strahlenden Gipfel. Aus dem Waldesgrunde herauf drangen die letzten Axtschläge und den Berghang hinab rollten Baumstämme, die von der Höhe wie dünne Stocke aussahen, aber trotzdem wie die stärksten Schiffsmasten waren. Die Lütschine brauste ihren einförmigen Accord, der Wind sauste, die Wolken segelten. Da plötzlich ging dicht neben Rudy ein junges Mädchen einher; er hatte das Mädchen nicht eher bemerkt, als bis sie ganz in seiner Nähe war; sie wollte gleichfalls über den Felsen steigen. Des Mädchens Augen übten eine eigenthümliche Gewalt aus, man war gezwungen hineinzuschauen, sie waren gar seltsam, glasklar, tief, tief, bodenlos.

»Hast Du einen Geliebten?« fragte Rudy; seine Gedanken waren alle auf Liebe gerichtet.

»Ich habe keinen!« antwortete das Mädchen und lachte, es war aber, als spräche sie kein wahres Wort. »Machen wir doch keinen Umweg!« sagte sie. »Wir müssen uns mehr links halten, so ist der Weg kürzer.«

»Ja wohl, um in eine Eiskluft zu stürzen!« sagte Rudy. »Kennst Du den Weg nicht besser und willst Führer sein?«

 

»Ich kenne grade den Weg!« sagte das Mädchen, »und ich habe meine Gedanken beisammen. Die Deinigen sind wohl unten im Thale; hier oben muß man an die Eisjungfer denken, sie ist den Menschen nicht gut, sagen die Menschen!«

»Ich fürchte sie nicht!« sagte Rudy, »mußte sie mich doch wieder herausgeben, als ich noch ein Kind war, ich werde mich ihr jetzt nicht hingeben, da ich älter bin!«

Und die Finsternis; nahm zu, der Regen fiel herab, der Schnee kam, er leuchtete und blendete.

»Reiche mir Deine Hand,« sagte das Mädchen, »ich werde Dir beim Steigen behilflich sein,« und er fühlte sich von eiskalten Fingern berührt.

»Du mir beistehen,« sagte Rudy. »Noch brauche ich die Hilfe eines Weibes nicht, um zu klettern!« Und er schritt schneller vorwärts, fort von ihr; das Schneegestöber hüllte ihn ein wie in einen Schleier, der Wind sauste, und hinter sich hörte er das Mädchen lachen und singen; es klang gar sonderbar. Das müsse ein Spukgesicht sein im Dienste der Eisjungfer; Rudy hatte davon reden hören, als er, damals noch ein Knabe, bei der Wanderung über die Berge hier oben übernachtete.

Der Schnee siel dünner, die Wolke lag unter ihm, er sah zurück, es war Niemand mehr zu sehen, aber er vernahm Lachen und Jodeln, und es klang nicht wie aus einer Menschenbrust.

Als Rudy endlich die oberste Bergfläche erreichte, von wo der Pfad hinab in das Rhonethal führte, sah er in der Richtung von Chamouny, in dem klaren, blauen Luftstreifen zwei helle Sterne stehen, sie leuchteten und funkelten, und er dachte an Babette, an sich selbst und an sein Glück, und ihm wurde warm bei dem Gedanken.

VI. Der Besuch in der Mühle.

»Herrschaftliche Sachen bringst Du in's Haus!« sagte die alte Pflegemutter, und ihre seltsamen Adleraugen blitzten, sie bewegte den mageren Hals noch schneller wie sonst in seltsamen Windungen. »Du hast Glück, Rudy! Ich muß Dich küssen, mein süßer Junge!«

Und Rudy ließ sich küssen, aber in seinem Gesichte stand es geschrieben, daß er sich in die Umstände fügte, in die kleinen häuslichen Leiden.

»Wie Du schön bist, Rudy!« sagte die alte Frau.

»Bilde mir nichts ein!« sagte Rudy und lachte, – es machte ihm aber doch Vergnügen.

»Ich sage es nochmals!« sprach die alte Frau, »das Glück ist mit Dir!«

»Ja, darin magst Du Recht haben!« sagte er, und dachte an Babette.

Noch nie hatte er eine solche Sehnsucht in das tiefe Thal hinab verspürt.

»Sie müssen nach Hause gekommen sein!« sprach er zu sich selbst. »Es sind schon zwei Tage über die Zeit, wo sie zurück sein wollten. Ich muß nach Bex!«

Rudy wanderte nach Bex, und in der Mühle waren sie zu Hause. Er wurde gut empfangen, und Grüße von der Familie in Interlaken hatten sie an ihn mitgebracht. Babette sprach nicht viel, sie war recht schweigsam geworden; aber die Augen sprachen, und das genügte Rudy vollständig. Es schien, als wenn der Müller, der sonst wohl das Wort führte – er war daran gewöhnt, daß man immer über seine Einfälle und Wortspiele lachte, er war ja der reiche Müller –, doch lieber Rudy's Jagdabenteuer erzählen hörte, und dieser sprach von den Schwierigkeiten und Gefahren, welche die Gemsjäger auf den hohen Berggipfeln zu bestehen hätten, wie sie längs der unsicheren Schneegesimse, die von Wind und Wetter gleichsam an den Felsenrand angekittet sind, und über die kühnen Brücken kriechen mußten, welche das Schneegestöber über tiefe Schluchten hinübergeworfen hat. Die Augen des kecken Rudy leuchteten, während er von dem Jägerleben erzählte, von der Klugheit der Gemse und ihren dreisten Sprüngen, von dem gewaltigen Föhn und den rollenden Lawinen; er bemerkte es wohl, daß er bei jeder neuen Beschreibung immer mehr den Müller für sich gewann, und namentlich fühlte dieser sich besonders angeregt durch das, was er von dem Lämmergeier und dem Königsadler erzählte.

Nicht weit entfernt, im Canton Wallis, sei ein Adlernest, recht geschickt unter einen hohen hervorspringenden Felsenrand hingebaut; im Neste dort oben befände sich ein Junges, dasselbe sei aber nicht auszunehmen! Ein Engländer habe vor wenigen Tagen Rudy eine ganze Hand voll Gold geboten, wenn er ihm den jungen Adler lebendig verschaffen wolle, »aber Alles hat eine Grenze!« sagte Rudy, »der Adler ist nicht zu nehmen, es würde Thorheit sein, sich darauf einzulassen!«

Der Wein floß, und die Rede floß, allein der Abend sei gar zu kurz, schien es Rudy, und doch war es nach Mitternacht, als er nach diesem ersten Besuche in der Mühle nach Hause ging.

Die Lichter blitzten noch eine kurze Weile durch das Fenster der Mühle hinaus durch die grünen Baumzweige; aus der offenen Luke im Dache kam die Stubenkatze heraus und längs der Dachrinne kam die Küchenkatze heran.

»Weißt Du Neues in der Mühle?« fragte die Stubenkatze. »Hier ist heimliche Verlobung im Hause! Vater weiß noch nichts davon; Rudy und Babette haben sich den ganzen Abend unter dem Tische auf die Pfoten getreten; mich traten sie zwei Mal, aber ich miaute doch nicht, das hatte Aufmerksamkeit erweckt.«

»Ich hatte doch gemiaut!« sagte die Küchenkatze.

»Was sich in der Küche schickt, schickt sich nicht in der Stube!« sagte die Stubenkatze. »Ich bin aber neugierig, was der Müller sagen wird, wenn er die Verlobung erfährt.«

Ja, was wohl der Müller sagen würde – das hatte Rudy auch gern gewußt, aber lange warten, bis er es erführe, konnte er nicht. Als wenige Tage später der Omnibus über die Rhonebrücke zwischen Wallis und Wandt dahinrasselte, saß Rudy in demselben, guten Muthes, wie immer, und sich in schönen Gedanken an das Jawort wiegend, das er noch denselben Abend zu erhalten meinte.

Und als der Abend herankam, und der Omnibus denselben Weg zurückfuhr, da saß Rudy auch drin, denselben Weg zurück, aber in der Mühle lief die Stubenkatze mit Neuigkeiten umher.

»Weißt Du's, Du, aus der Küche? – Der Müller weiß jetzt Alles. Das nahm aber ein schönes Ende! Rudy kam hierher gegen Abend, und er und Babette hatten viel zu flüstern und heimlich zu reden miteinander, sie standen im Gange vor der Kammer des Müllers. Ich lag zu ihren Füßen, aber sie hatten weder Augen noch Gedanken für mich. »Ich gehe ohne Weiteres zu Deinem Vater hinein!« sagte Rudy, »das ist eine ehrliche Sache.« – »Soll ich mit Dir gehen?« fragte Babette, »es wird Dir Muth geben.« – »Ich habe Muth genug!« sagte Rudy, »aber wenn Du dabei bist, muß er schon freundlich sein, mag er wollen oder nicht!« – Darauf traten sie ein. Rudy trat mich gewaltig auf den Schwanz! Rudy ist sehr linkisch; ich miaute, aber weder er noch Babette hatten Ohren zu hören. Sie öffneten die Thüre, traten Beide ein, ich voran, ich sprang jedoch auf einen Stuhlrücken hinauf, ich konnte ja nicht wissen, wie Rudy vielleicht auftreten würde. Aber der Müller trat auf, er gab einen ordentlichen Fußtritt, er – aus der Thür hinaus, und den Berg hinauf zu den Gemsen, auf die mag der Rudy jetzt zielen und nicht auf unsere Babette!«

»Was sprachen sie aber? was sagten sie?« fragte die Küchenkatze. »Was sie sagten? – Alles wurde gesagt, was die Leute so zu sagen pflegen, wenn sie auf Freiersfüßen gehen: »Ich liebe sie, und sie liebt mich! Und ist Milch da in der Butte für Einen, so ist auch Milch da für Zwei!« – »Aber sie sitzt Dir zu hoch!« sagte der Müller, »sie sitzt auf Gries, auf Goldgries, wie Du weißt, Du wirst sie nicht erreichen!« – »Nichts sitzt zu hoch, man kann es schon erreichen, wenn man nur will!« antwortete Rudy, »denn er ist ein kecker Bursche.« – »Aber das Adlerjunge kannst Du doch nicht erreichen, sagtest Du selbst letzthin; Babette sitzt noch höher!« – »Ich nehme sie alle Beide!« sagte Rudy. – »Ich werde Dir Babette schenken, wenn Du mir das lebendige Adlerjunge schenkst!« sagte der Müller und lachte, daß ihm die Augen thränten. »Aber jetzt danke ich Dir für den Besuch, Rudy, sprich 'mal morgen wieder vor, morgen ist Niemand zu Hause! Adieu, Rudy!« – Und Babette sagte auch Adieu, aber so kläglich wie ein kleines Kätzchen, das seine Mutter noch nicht sehen kann. – »Ein Wort – ein Mann,« sagte Rudy. »Weine nicht, Babette, ich bringe das Adlerjunge!« – »Du wirst den Hals brechen, hoffe ich!« sagte der Müller, »und wirst uns dann mit Deiner Lauferei hier verschonen!« – Das nenne ich einen tüchtigen Fußtritt! Jetzt ist Rudy fort, und Babette sitzt und weint, aber der Müller singt deutsch, das hat er auf der Reife letzthin gelernt. Ich mag nun nicht darüber traurig sein, das hilft nichts!«

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