Psychologie für Sportschützen

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Zielgenauigkeit ist wichtiger als Wiederholungsgenauigkeit.

Entscheidend ist im Schießen nicht, dass eine Bewegung immer wieder exakt wiederholt wird (wie zum Beispiel im Turnen), sondern dass getroffen („Zehn“, Wurfscheibe) wird. Treffen hängt dabei nicht nur von einer Wiederholungsfähigkeit der Bewegungsausführung, sondern vor allem von einer hohen Wahrnehmungspräzision ab. Deshalb verspricht auch das bewusste Variieren im Lernprozess mehr als die Forderung nach exakter Wiederholung einzelner Bewegungen.

2.2.4. Konzentrationsfähigkeit

Der Begriff „Konzentrationsfähigkeit“ wird zwar oft, aber relativ uneinheitlich gebraucht. In vielen psychologischen Nachschlagewerken ist er gar nicht enthalten, obwohl er im umgangssprachlichen Bereich (besonders im Sportschießen) außerordentlich verbreitet ist. Schon deshalb werden wir keinen neuen Begriff einführen. Wir verstehen unter Konzentrationsfähigkeit das Vermögen des Schützen, die Aufmerksamkeit aktiv auf jene Wettkampffaktoren zu richten, deren Beachtung für eine erfolgreiche Schussabgabe unerlässlich ist. Das bedeutet, dass wichtige Wettkampffaktoren im Brennpunkt des Bewusstseins gehalten werden, während andere (störende bzw. ablenkende Ereignisse und Bedingungen) aktiv abgeschirmt werden müssen. In vielen Wettkampfeinschätzungen werden als Begründung für Fehlleistungen konzentrative Mängel angegeben, die nach folgenden Gesichtspunkten untergliedert werden können:

❶ Ablenkung durch äußere Reize

Dem Schützen gelingt es nicht, tätigkeitsfremde Außenreize aktiv abzuschirmen. Er lässt sich durch Bemerkungen oder Verhaltensweisen anderer Schützen ablenken oder wird durch spezielle Wettkampfbedingungen so beeinflusst, dass die erforderliche Konzentration auf die wichtigen Sachverhalte nicht mehr möglich ist.

❷ Ablenkung durch innere Reize

Dem Schützen drängen sich während des Wettkampfes ablenkende Gedanken auf (zum Beispiel über ein mögliches Ergebnis, über schwelende Konflikte), die bei sonst optimaler Arbeitsweise plötzlich zu Fehlern führen. Der Sportler registriert körperliche Veränderungen (beschleunigter Herzschlag, Herzstechen, Kopfschmerzen, Kloß im Hals usw.), die ihrerseits wieder störende Verarbeitungsprozesse in Gang setzen.

❸ Belastbarkeit im konzentrativen Bereich

Eine geringe Belastbarkeit im Bereich der Konzentration liegt dann vor, wenn die erforderliche konzentrative Anspannung und damit auch die geforderte Leistung gegen Ende von Trainings- oder Wettkampfbelastungen nicht mehr erbracht werden kann. Eine exakte Einschätzung ist allerdings erst möglich, wenn andere, unter Umständen primäre Ursachen (zum Beispiel zu hohes Erregungsniveau gegen Ende des Wettkampfes, ungenügende körperliche Kondition), ausgeschlossen werden können.

Wer als Schütze erfolgreich sein will, muss sich konzentrieren können.

Anhand verschiedener Untersuchungen konnte der leistungsbestimmende Charakter der Konzentrationsfähigkeit nachgewiesen werden. Vergleicht man die Testergebnisse von Schützen mit denen anderer Sportler, so zeigt sich ein im Durchschnitt höherer Ausprägungsgrad der Konzentrationsfähigkeit. Erfolgreiche Schützen verfügen ausnahmslos über eine hohe Konzentrationsfähigkeit. Das gilt für alle schießsportlichen Disziplinen, obwohl einige Unterschiede beachtet werden sollten:

① Für den Gewehrschützen ist es zum Beispiel wesentlich, neben der räumlichen Lage Visiereinrichtung - Scheibe, die Wind- und Lichtverhältnisse, technische Parameter der Waffe sowie innere Rückmeldungen (zum Beispiel Abzug, Anschlag) als wichtige Reize möglichst gleichzeitig zu beachten. Bei Disziplinen mit geringeren Präzisionsanforderungen ist der notwendige Aufmerksamkeitsumfang geringer.

② Im Sportschießen ist es erforderlich, sowohl die Aufmerksamkeitsrichtung (zum Beispiel Zielbild – Drücken), den Aufmerksamkeitsumfang (Übergang von verteilter Aufmerksamkeit auf mehrere Bedingungen bis hin zur Zentrierung der Aufmerksamkeit auf den momentan leistungsentscheidenden Faktor) sowie auch die Intensität (aufmerksame Grundbereitschaft - höchste Intensität beim Zielen) umzuschalten. Die höchsten Anforderungen an die Fähigkeit zur Umschaltung der Aufmerksamkeit werden in den Kugeldisziplinen gestellt.

③ Hinsichtlich der Beständigkeit der Aufmerksamkeit gibt es erhebliche disziplinspezifische Unterschiede. Dies betrifft in erster Linie die notwendige zeitliche Ausdehnung der Aufmerksamkeit, die aufgrund der längeren Zielzeiten in den Kugeldisziplinen (Gewehr, Freie Pistole) am höchsten ist.

Die Ausführungen verdeutlichen, dass die Konzentration (bzw. die Aufmerksamkeit) kein eigenständiger Prozess ist und auch keinen eigenen Inhalt hat. Es handelt sich vielmehr um eine besondere Form der psychischen Tätigkeit, nämlich eine Kontrolltätigkeit, die den Vollzug geistiger Handlungen steuert. Sie steht in wechselseitigen Beziehungen zu anderen psychischen Faktoren (zum Beispiel zu den Wahrnehmungsprozessen).

Anhand welcher Kriterien kann man die Konzentrationsfähigkeit beurteilen?

Diese Frage wird immer wieder von Trainern gestellt, oft verbunden mit der Bitte, entsprechende Konzentrationstests zur Verfügung zu stellen. Deshalb auch ein deutliches Wort: Der Einsatz von Konzentrationstests ist prinzipiell nur dann sinnvoll, wenn bei der Testauswahl die speziellen Anforderungen der schießsportlichen Disziplin und das Alter der zu untersuchenden Sportler berücksichtigt wird. Der unkontrollierte Einsatz von Testverfahren, herunter geladen aus dem Internet oder entnommen aus populärwissenschaftlichen Zeitschriften, führt häufig zu Fehleinschätzungen und sollte deshalb vermieden werden. Auch ohne Testverfahren ist eine hinreichend verlässliche Einschätzung der Konzentrationsfähigkeit möglich. Entscheidend für die Qualität der Beurteilung ist das Vorliegen detaillierter Beobachtungsdaten über einen längeren Zeitraum. Beurteilungen, von Trainern anhand nachfolgender Gesichtspunkte erarbeitet, erbrachten eine gute Übereinstimmung mit gleichzeitig durchgeführten Konzentrationstests.

① Ist der Sportler nach langem, intensiven Spezialtraining kaum noch in der Lage, konzentriert mitzuarbeiten, so ist das ein wichtiger Hinweis auf eine ungenügend ausgeprägte Konzentrationsausdauer. Wird gegen Ende des Trainings die Vorhersage der Schussabgabe deutlich schlechter (zum Beispiel „Acht links“, tatsächlich „9 rechts), so deutet das auf Konzentrationsschwankungen bzw. Konzentrationsausfälle hin.

② Orientiert sich der Schütze relativ stark auf Nebendinge (andere Schützen, Zuschauer) und lässt sich dadurch beeinträchtigen, zeigt das seine Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu konzentrieren.

③ Fehlschüsse sind oft darauf zurückzuführen, dass grundsätzliche Sachverhalte (zum Beispiel Wind-, Lichtverhältnisse, Schussvorbereitung, Abzugsverhalten) wider besserem Wissens im konkreten Fall nicht beachtet werden. Hier gelingt es dem Schützen nicht, die notwendige Verteilung der Aufmerksamkeit auf mehrere wichtige Sachverhalte zu sichern.

④ Der Sportler lässt sich mitunter durch kleinste Störungen während des Trainings oder Wettkampfes so stark ablenken, dass sich das nachteilig auf die Leistung auswirkt. Der Sportler ist nicht in der Lage, unwichtige bzw. störende Reize aktiv abzuschirmen.

⑤ Wettkampf- oder Serienunterbrechungen lenken den Schützen von der Wettkampfgestaltung ab; er kommt aus dem Rhythmus und ist nicht in der Lage, den Wettkampf nach der Unterbrechung wieder mit voller Konzentration aufzunehmen. Auch nach Wettkampfpausen gelingt es ihm nicht, sich zu konzentrieren und auf die folgenden Serien einzustellen. Der Schütze hat noch nicht gelernt, seine Aufmerksamkeit entsprechend den Anforderungen (Entspannung - Grundbereitschaft - höchste Konzentration) umzuschalten.

Betrachten wir unsere Schützen anhand dieser Kriterien, so werden wir deutliche Unterschiede feststellen. Gleichzeitig sind damit wesentliche Ansatzpunkte für eine zielgerichtete Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit gegeben.

2.3. Zur Trainierbarkeit leistungsbestimmender Eigenschaften

So wichtig die Kenntnis leistungsbestimmender psychischer Komponenten für den Ausbildungs- und Erziehungsprozess ist, praktisch umsetzbar ist dieses Wissen erst dann, wenn man weiß, inwieweit bestimmte Leistungsvoraussetzungen überhaupt entwickelbar sind.

Im Bereich der Antriebs- und Zustandsregulation gibt es hier kaum unterschiedliche Auffassungen. Nahezu alle Trainer gehen davon aus, dass motivationale und volitive (willensmäßige) Eigenschaften gut entwickelbar sind. Gleiches gilt für die Erlernung der Fähigkeit zur Selbststeuerung. Aber wie ist das mit solchen Eigenschaften wie Reaktionsfähigkeit oder Auffassungsgeschwindigkeit? Hier gehen die Meinungen schon auseinander, wird doch häufig angenommen, dass die Geschwindigkeit informationsaufnehmender, verarbeitender und reaktiver Prozesse im Wesentlichen durch den (ererbten) Typ der höheren Nerventätigkeit bestimmt werden und somit nur ein begrenzter Trainingseffekt zu erwarten ist.

Längsschnittuntersuchungen, die aufgrund der sich über Jahrzehnte erstreckenden aktiven Zeit nur in wenigen Sportarten möglich sind, konnten hier Licht ins Dunkel bringen. Aussagen in der Literatur über eine geringe Trainierbarkeit einzelner Komponenten konnten widerlegt werden. Es kann resümierend festgestellt werden, dass prinzipiell alle der aufgeführten Leistungsvoraussetzungen trainierbar sind.

Einige ausgewählte Untersuchungsergebnisse sollen das belegen.

 

2.3.1. Reaktionsfähigkeit

Die Reaktionsfähigkeit kann wie jede andere Leistungsvoraussetzung mit Hilfe geeigneter Trainingsmittel (vgl. Punkt 3.) weiterentwickelt werden. Der Übungsgewinn ist für die einzelnen Reaktionsarten unterschiedlich. Es gilt:

„Je komplexer die Reaktion, desto größer der Übungsgewinn“


Tab. 2 verdeutlicht den unterschiedlichen Übungsgewinn nach achtjährigem Labortraining. Erwartungsgemäß erweist sich die einfache Reaktion (auf rotes Licht) als vergleichsweise wenig trainierbar. Anhand der nachfolgenden Abbildung zeigt sich aber auch, wie wenig aussagekräftig Mittelwerte sein können.


Deutlich werden die interindividuellen Unterschiede bezüglich der Trainierbarkeit der Reaktionsfähigkeit. Es gibt Schützen, bei denen trotz zusätzlichem Labortraining (Training an Reaktionsgeräten, computergestütztes Training) kaum Fortschritte erreicht werden, während es bei anderen zu deutlichen Verbesserungen kommt. Und das unabhängig vom Ausgangsniveau!

Die seit 1975 erhobenen Daten lassen den Schluss zu, dass jene Schützen, deren Leistungsvoraussetzungen sich nicht weiterentwickeln, letztlich auch in ihrer sportlichen Leistung stagnieren. So sind die Sportler A - D (Abb. 5) nach 5 Jahren aufgrund mangelnder Leistungsentwicklung aus dem leistungssportlichen Training ausgeschieden.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass nicht der Ausprägungsgrad der Reaktionsfähigkeit, sondern deren Entwicklung übereinen längeren Zeitraum ein wichtiges Kriterium für die Eignung eines Sportlers ist, wobei einschränkend bemerkt werden muss, dass eine deutlich unterentwickelte Reaktionsfähigkeit natürlich nicht unbegrenzt trainierbar ist.

Oft wird auch die Frage gestellt, bis zu welchem Alter man die Reaktionsfähigkeit trainieren kann bzw. inwieweit diese im Alter nachlässt. Inzwischen liegen eigene Daten über einen Zeitraum von fast 40 Jahren vor und die sind insbesondere für die älteren Schützen erfreulich:

① Die Reaktionsfähigkeit kann etwa bis zum 40. Lebensjahr entwickelt werden. Die meisten unserer älteren Spitzenschützen haben erst jenseits der 30 ihre individuellen Spitzenwerte erreicht. Ein Schütze erreichte seine Bestwerte erst jenseits des 50. Lebensjahres.

Demzufolge sind im Hochleistungsbereich ältere Schützen häufig auch reaktionsschneller als jüngere. Hier muss man natürlich in Betracht ziehen, dass nur jene älteren Schützen im Hochleistungsbereich verbleiben, die auch über die entsprechenden Leistungsvoraussetzungen verfügen, während andere wahrscheinlich ausscheiden.

② Die Reaktionsfähigkeit kann bei regelmäßigem Training lange im Bereich des individuellen Spitzenniveaus gehalten werden.


Diese Ergebnisse erklären auch, warum in Sportarten, in denen die Reaktionsfähigkeit leistungsbestimmend ist, häufig ältere Sportler zu den Besten gehören (Torhüter in Spielsportarten, Schützen).

2.3.2. Sensomotorische Koordinationsfähigkeit

Im Vergleich zu anderen leistungsbestimmenden Komponenten erweist sich die sensomotorische Koordinationsfähigkeit als besser trainierbar. Dies bestätigen vielfältige Befunde aus der Literatur, aber auch eigene Untersuchungen, die im Labortraining mit Schützen gewonnen wurden.


Je höher die koordinativen Anforderungen, desto größer der Übungsgewinn. Jeder Trainer wird das anhand seiner praktischen Erfahrungen bei der Vermittlung der sportlichen Technik bestätigen können.

Als Überprüfungsmethoden kommen solche vom Typ Auge-Hand-Koordination (z.B. Liniennachfahren, Kreuzsupport) in Frage, denn nur hier kann ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Testleistung und sportlichem Leistungsniveau nachgewiesen werden.

2.3.3. Wahrnehmungseigenschaften

Die Trainierbarkeit der einzelnen Wahrnehmungskomponenten ist erwartungsgemäß unterschiedlich ausgeprägt.


So ist die taktil-kinästhetische Sensibilität über einen längeren Zeitraum hinweg vergleichsweise gut entwickelbar, nur mäßige Entwicklungsfortschritte sind dagegen bei den optischen Wahrnehmungseigenschaften feststellbar. Insbesondere die optische Auffassungsgeschwindigkeit scheint nur wenig trainierbar zu sein. Hierbei handelt es sich um den afferenten Anteil der Reaktion (Informationsaufnahme), der für das schnelle Erfassen von Zielbildern, vor allem von Zielfehlern von entscheidender Bedeutung ist (Kasten).


2.3.4. Konzentrationsfähigkeit

Die Trainierbarkeit der Konzentrationsfähigkeit ist in vielen Untersuchungen hinreichend belegt. Die meisten Ergebnisse stammen allerding aus dem klinischen und pädagogischen Bereich, wo es vor allem um den Abbau von Defiziten geht. Hier sind beachtliche Erfolge erreicht worden. Aber wie ist das im Sportschießen? Können die gleichen Methoden eingesetzt werden? Unser Ziel ist es doch nicht, Defizite abzubauen, sondern eine bereits vorhandene, gute (oder auch sehr gute) Konzentrationsfähigkeit in Richtung Extremausprägung zu entwickeln.

Vergleicht man die unterschiedlichsten Sportarten, so gehört das Sportschießen zu jenen mit den höchsten Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit. Demzufolge finden sich unter den Spitzenschützen auch sehr viele mit einer extremen Ausprägung dieser Eigenschaft.

Die im Sportschießen durchgeführten Untersuchungen bestätigen die Trainierbarkeit der Konzentrationsfähigkeit, auch bei Vorliegen überdurchschnittlicher Ausgangsleistungen.


Sowohl die Sportler in der Experimentalgruppe (zusätzlich zum schießsportlichen Training Konzentrationstraining im Labor) als auch in der Kontrollgruppe verfügen über ein überdurchschnittliches Ausgangsniveau (Durchschnitt d2/KVT = 100). Dennoch gelingt es, durch zusätzliches Konzentrationstraining einen Übungsgewinn zu erzielen. Deutlich wird aber auch, dass durch das regelmäßige schießsportliche Training selbst eine erhebliche Verbesserung in der konzentrativen Leistungsfähigkeit erreicht wird.

Vergleicht man individuelle Entwicklungsverläufe, so ergeben sich auffällige interindividuelle Differenzen.


Bei den aufgeführten Werten handelt es sich um Jahresdurchschnittswerte der im Labortraining gezeigten Leistungen. Analog zur Verbesserung der Reaktionsfähigkeit deutet sich an, dass eine positive Leistungsentwicklung ihre Entsprechung auf der Ebene der Leistungsvoraussetzungen hat. Entscheidend ist letztlich nicht die durchschnittliche Wirkung des Konzentrationstrainings, sondern der Trainingserfolg beim einzelnen Sportler. Die langjährigen Erfahrungen bestätigen, dass ein systematisches Konzentrationstraining besonders im Anfängerbereich sinnvoll und effektiv ist. Bei fast allen Sportlern können deutliche Verbesserungen erreicht werden.


2.4. Eignungsauswahl: Ja oder Nein ?

Wenn in Trainerweiterbildungen der Begriff Eignungsauswahl oder Eignungsauslese fällt, entsteht oft eine Diskussion darüber, ob man überhaupt im Kindes- oder Jugendalter Tests mit dieser Zielrichtung durchführen sollte. Viele wollen gar keine Leistungsschützen entwickeln, sondern „nur“ Nachwuchs für den Verein gewinnen. Die Leistung käme dann mit dem regelmäßigen Training und wirkliche Talente würden sich sowieso durchsetzen. Hinter derartigen Bemerkungen verbergen sich oft falsche Vorstellungen über die Ziele von Eignungsüberprüfungen.

Obwohl wir davon ausgehen, dass prinzipiell alle aufgeführten Leistungsvoraussetzungen trainier- und entwickelbar sind, zeigen die Erfahrungen aber auch, dass

① nicht unbegrenzt trainiert werden kann, d.h. eine deutlich unterdurchschnittlich entwickelte Komponente kann nicht in den positiven Extrembereich entwickelt werden und

② die Trainierbarkeit der Sportler selbst unterschiedlich ausgeprägt ist.

In der Trainierbarkeit gibt es demnach erhebliche Unterschiede, sowohl zwischen den überprüften leistungsbestimmenden Komponenten als auch zwischen den Sportlern. Folglich wäre es sinnvoll und nützlich, entsprechende Überprüfungen durchzuführen, vor allem im Interesse der Sportler.

Was verstehen wir eigentlich unter Eignung?

Eignung ist die Bezeichnung einer hinreichenden Übereinstimmung von personellen Leistungsvoraussetzungen und aufgabenabhängigen Anforderungen bei konkreten Tätigkeiten als „Geeignetsein“; zugleich Ziel und Zweck der Ausbildung (Training) als „Geeignetmachen“.

(Clauß u.a., 1981)

Die Aufgabe des Trainers besteht in erster Linie im „Geeignetmachen“. Deshalb sollte man die Eignung auch immer unter mehreren Aspekten sehen.


❶ Trainingsmethodischer Aspekt

Wenn wir „Geeignetmachen“ als unsere Hauptaufgabe ansehen, dann ist auch der trainingsmethodische Aspekt von herausragender Bedeutung. Im Auswahlprozess werden Stärken und Schwächen der einzelnen Sportler aufgedeckt. Das ermöglicht von Anbeginn eine effektive Ausbildung der jungen Schützen, die gezielt auf die Überwindung bestimmter Schwächen bzw. auf die Nutzung konkreter Vorzüge gerichtet sein kann.

❷ Leistungsaspekt

Es werden jene Schützen ausgewählt und besonders gefördert, deren zukünftige sportliche Leistungsfähigkeit mit höchster Wahrscheinlichkeit im Bereich der ermittelten Prognoseleistung für die betreffende Disziplin liegt. Deren Höhe hängt davon ab, auf und für welche Ebene ausgewählt wird (Vereins-, Kreis-, Landesebene, nationale oder internationale Ebene).

❸ Individueller Aspekt

Eine wissenschaftlich begründete Überprüfung ist immer auch ein Hilfsmittel für die individuelle Beratung, Steuerung und Förderung der Sportler. Das Vorgehen beugt individuellen Fehlentscheidungen und Rückschlägen vor und trägt dazu bei, konflikthafte Persönlichkeitsentwicklungen zu vermeiden.

Fehlt einem Pistolenschützen beispielsweise die Fähigkeit zur exakten Einschätzung einer Mittenlage (optische Diskriminationsfähigkeit) so wird sich das in seiner Disziplin irgendwann als limitierend (leistungsbegrenzend) erweisen. Sind die anderen leistungsbestimmenden Komponenten aber vorhanden, so steht einer erfolgreichen Entwicklung in einer anderen Disziplin (z.B. Wurfscheibe) nichts im Wege.

❹ Ökonomischer Aspekt

Auch im Leistungssport kommt es darauf an, die zur Verfügung stehenden materiellen Mittel zweckmäßig und konzentriert an der richtigen Stelle einzusetzen. Die Förderung talentierter Schützen mit Sportgeräten oder finanziellen Mitteln ist immer dann nachhaltig begründbar, wenn entsprechende Überprüfungsergebnisse vorliegen. Irrtümer und Fehlentscheidungen werden verringert, mit gleichem oder geringerem materiellen Aufwand kann unter Umständen mehr erreicht werden.

Ein solches Verständnis von Eignung und Auswahl führt zu einem methodisch begründeten Einsatz der verschiedensten Überprüfungsmethoden (KASTEN 4).

 

Über apparative Möglichkeiten zur Überprüfung der taktil-kinästhetischen Diskriminationsfähigkeit (Sensibilität) im Finger verfügen die Messplätze in den Bundesleistungszentren.

Aufgrund der in den Untersuchungen erreichten Ergebnisse wird jedem Sportler ein sogenanntes Eignungsprädikat zugeordnet:

❶ Besonders geeignet

Die leistungsbestimmenden Komponenten sind in ihrer Mehrzahl überdurchschnittlich ausgeprägt, es bestehen keine nennenswerten Mängel.

❷ Geeignet

Die Ergebnisse sind durchschnittlich bis überdurchschnittlich, wobei innerhalb des guten Gesamtniveaus bei einzelnen Komponenten (max. 2) unterdurchschnittliche Ausprägungsgrade vorliegen können.

❸ Bedingt geeignet

Die leistungsbestimmenden Komponenten sind in der Regel durchschnittlich ausgeprägt, einige Ergebnisse (max. 3) sind deutlich unterdurchschnittlich.

❹ Ungeeignet

Die überprüften Komponenten sind in ihrer Mehrzahl unterdurchschnittlich ausgeprägt.

Eine derartige Prädikatisierung wirft natürlich verschiedene Fragen auf, erscheint aber unter dem erhobenen Anspruch – Verwendung als Entscheidungshilfe – zunächst vertretbar. Je mehr Daten und Erfahrungen vorliegen, umso aussagefähiger werden abgeleitete Schlussfolgerungen sein.

Anhand umfangreicher Untersuchungen konnte belegt werden, dass zwischen den erhobenen psychologischen Leistungskriterien und der nachfolgenden sportlichen Entwicklung ein signifikanter Zusammenhang besteht, d.h. Sportler, die als „Besonders geeignet“ oder „Geeignet“ für die jeweilige Disziplin eingestuft wurden, haben eine erfolgreichere Leistungsentwicklung. Dies zeigt sich in der Schießleistung, in der Qualifikation für bestimmte Wettkampfhöhepunkte, in der Zugehörigkeit zu einem Kaderkreis und auch in der Einschätzung der jeweiligen Trainer.

Für den Praktiker ist immer der trainingsmethodische Aspekt Schwerpunkt der Eignungsbestimmung. Das Training übernimmt die Rolle des Tests und ist somit die Grundlage für die Einschätzung der sportlichen Eignung. Das schließt allerdings ein, dass die leistungsbestimmenden Komponenten an Hand geeigneter Kriterien regelmäßig eingeschätzt werden, wobei zu beachten ist, dass nicht die einzelne Erhebung, sondern nur die Entwicklung konkreter Parameter über einen längeren Zeitraum von Bedeutung ist.

Durchgeführte Längsschnittuntersuchungen belegen, dass die individuelle Trainierbarkeit der leistungsbestimmenden Komponenten ein aussagekräftiges Eignungskriterium ist.


Aus Tabelle 6 wird deutlich, dass leistungsstarke Sportler bedeutend höhere Übungsgewinne bei gleichem Trainingsumfang aufweisen. Nicht das Ausgangsniveau, sondern die Entwicklung der leistungsbestimmenden Komponenten im Training ist für eine Talentbestimmung von Bedeutung. Demzufolge muss der Trainer den Übungsfortschritt ständig verfolgen und einschätzen.

Nicht überall ist eine apparative bzw. computergestützte Erfassung leistungsbestimmender Regulationsvoraussetzungen möglich. Deshalb wurde für Trainer ein Beurteilungssystem entwickelt, mit dessen Hilfe ebenfalls wesentliche Informationen gewonnen werden können.

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