Vorsicht! Mann in Wechseljahren

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2. Kapitel

In der Therapiegruppe sind vorwiegend Männer zwischen 50 und 60 Jahren. Alle paar Minuten steht einer auf, um pinkeln zu gehen. Und immer dauert es Ewigkeiten, bis sie wieder in den Raum zurückkommen. Alle vermeiden jeglichen Blickkontakt mit mir, setzen sich verschämt auf ihren Stuhl und starren auf den Fußboden. Phänomenal!

Nach dem Mittagessen sitzen täglich jeweils vier der Herren dicht nebeneinander auf zwei Bänken und beobachten die Enten auf dem Chiemsee. Mit dem Glockenschlag um drei Uhr erheben sich täglich acht Hinterteile synchron von der Holzbank, streichen sich acht Männer synchron mit der rechten Hand über ihren Rücken und watscheln schwerfällig Richtung Klinik. Da gibt es mittags ab drei Uhr Kaffee.

Es ist wohl ein Wink des Schicksals, dass ich mit Männern in der Andropause zusammen sein muss, denke ich. Und um den Schicksalswink anzunehmen, verbringe ich viel Zeit mit den Herren. Wir kochen gemeinsam in der Stationsküche, gehen ins Kino und machen Ausflüge mit dem Boot. Acht Herren rudern fast täglich parallel in zwei Booten synchron zur Fraueninsel rüber. Ich verkneife mir das Lachen, weiß ich doch von zuhause, dass Männer in den Wechseljahren selten einen Spaß verstehen.

Mein Mann besucht mich jedes Wochenende und erteilt den Männern meiner Gruppe regelmäßig Ratschläge über den konsequenten Umgang mit mir, nimmt ihnen jedes Wochenende von Neuem die Ehrenworte ab, unter der Woche gut auf mich aufzupassen. Er würde sich erkenntlich zeigen, meint er. Die Wochenenden sind sehr anstrengend für mich und der mich behandelnde Psychologe hält es für sinnvoll, dass ich meinen Aufenthalt in der Klinik verlängere.

Ich nehme seinen Vorschlag begeistert an, mache meinem Mann klar, dass die wöchentlichen Benzinkosten für die Besuche große Löcher in unsere Haushaltskasse reißen und dass er an den Wochenenden einfach einmal seine Seele baumeln lassen, Musik hören, ein gutes Buch lesen und sich vor allem nicht dem Stress des Wochenendverkehrs aussetzen soll. Die Kostengründe überzeugen ihn letztendlich.

»Danke«, sagt mein Mann zu den Männern, als er mich nach acht Wochen von der Kurklinik abholt.

»Wir bleiben in Verbindung«, sagen acht Männer, als ich zum Abschied in die vertrauten Gesichter blicke.

»Ich werde euch vermissen«, murmele ich mit einem letzten Blick auf den Chiemsee.

»Wir sollten einkaufen gehen«, sagt mein Mann, kaum dass wir um die Ecke gebogen sind. Die Farben seines LieblingsSupermarktes leuchten schon von weitem. Gelb! Rot! Blau! Mir schwant Böses. Mein Mann ist begeistert.

»Egal wo du bist, Frau, du brauchst nur ins passende Regal zu greifen und hast dein Gewohntes, ohne lange herumsuchen zu müssen. Ist das nicht fabelhaft, Frau?«

»Ich heiße Margit!«

Er klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn, streift sich mit gespreizten Fingern durch die Haare, kneift seine Augen zu Schlitzen und stöhnt. »Du bist ja immer noch zickig, Frau!«

Er brüllt schon an der Eingangstüre. »Eier, Zucker, Mehl, brauchst du das, Frau?«

Vor uns, ein junges Paar, das sich suchend umschaut. Sie sind sich unschlüssig, ob sie die Eier von glücklichen Hühnern oder die von den weniger glücklichen, aber zum halben Preis nehmen sollen. Die junge Frau hat eine grün gestreifte Tragetasche um ihre Hüfte gebunden, statt Baby lugt aber ein Dackelkopf heraus. Der Dackel zuckt zusammen, als mein Mann »Kartoffeln, Karotten, Salat, brauchst du das, Frau?«, durch den Verkaufsraum brüllt.

Wir treffen uns an der Tiefkühltruhe wieder. Der Hund kuschelt sich eng an sein Frauchen, als er die Stimme meines Mannes vernimmt.

»Milch, Butter, Wurst, brauchst du da was, Frau?«

Die junge Frau streichelt beruhigend über den Kopf des Tierbabys. »Ist nur ein alter Mann, Hundie.«

Er begibt sich bedächtig Richtung Kasse, wartet, bis die Menschenschlange lang, aber nicht allzu lang ist, vergewissert sich, dass er genügend Zuschauer hat, packt die Lebensmittel auf das Band, verweigert meine Mithilfe und sieht sich beifallheischend um. Alle sollen sehen, wie gut ich es mit ihm getroffen habe. Jetzt kommt mein Einsatz, bietet sich mir endlich die Gelegenheit, meine gewünschten Lebensmittel zu holen, und ich sprinte nach hinten, hole mir alles wieder, was mein Mann aus dem Wagen und in die Regale zurückgelegt hat, hechte nach vorne ans Kassenband, ignoriere die erbosten Blicke der jungen Frau mit dem Dackel und lege meine Sachen neben den Einkauf meines Mannes.

»Gehören Sie zusammen?«, fragt die Kassiererin.

»Bis jetzt noch«, antworte ich mit einem kurzen Seitenblick auf meinen Mann.

»Das fängt ja gut an, noch nicht einmal zu Hause angekommen, fängst du auch schon wieder an zu rebellieren, Margitchen. Die Frauen heutzutage …«

»Das Telefon läutet«, sagt er, als ich die Haustür aufschließe. Ich nehme den Hörer ab und erkenne sofort die rauchige Stimme meines Kur-Kumpels Herbert.

»Ich habe Probleme mit meiner Frau, Margitchen«, klagt er.

»Massive Probleme, Margitchen. Ich muss dringend mit dir darüber reden.«

»Hm.«

»Wir haben uns doch in der Kur so gut verstanden, Margitchen, und …«

»Herbert, ich komme gerade zur Haustür herein, bin noch nicht einmal ausgezogen, muss meinen Einkauf verstauen und …«

»Du hast keine Zeit für mich, Margitchen?«

»Im Moment nicht, Herbert.«

»Ach? Ich rufe dich in 10 Minuten noch einmal an, Margitchen!«

»Ich bin voll beschäftigt, Herbert, muss meine Schmutzwäsche versorgen, die Einkäufe verstauen, Essen zubereiten, meine Kinder kommen in einer knappen Stunde und …«

Herbert hüstelt, ist beleidigt und legt auf.

Der nächste Anrufer ist Martin. Ich hatte an unserem Kennenlern-Tag schon bemerkt, dass er der Gruppe etwas verheimlichen will. Einmal in der Woche, meist montags, kam er mit einer Apothekertüte in den Speisesaal, verstaute diese umständlich unter dem Tisch, legte sorgfältig seine Serviette darüber und suchte unmittelbar nach dem Essen die nächste Toilette auf.

»Du, Margit, wir haben uns doch in der Klinik so gut verstanden«, beginnt er das Gespräch. »Jetzt ist es Fakt, ich lasse mich scheiden, Margit. Meine Frau und ich passen einfach nicht zusammen. Wir haben uns in verschiedene Richtungen entwickelt, das habe ich jetzt ganz klar erkannt. Dr. Maier hatte recht. Mir geht es scheiße, Margitchen. Das Haus wird drauf gehen und Else wird den Hund bekommen. Ohne meinen Fips ist mein Leben aber nichts mehr wert, ich liebe meinen Hund mehr als alles Andere auf dieser Welt. Schade, dass meine erste Frau so früh verschieden ist.«

Er schnäuzt sich. »Meine erste Frau war so eine gute Frau, Margitchen, nicht so eine Schindmähre wie meine Jetzige …«

»So schlimm kann es doch gar nicht sein, Martin. Du bist doch eben erst zu Hause angekommen.«

»Du willst nicht mit mir reden, Margitchen?«

»Nicht jetzt, Martin. Ich habe Hunger, muss meine Einkäufe auspacken, Wäsche waschen und …«

Martin legt auf. Drei Minuten später ruft Siggi an.

»Es tut so gut deine Stimme zu hören, Margitchen«, flötet er in den Hörer. Er versucht seine Stimme sexy klingen zu lassen. Das hat er in der Klinik schon erfolgreich bei den Putzperlen ausprobiert. Siggi ist ein solariumgebräunter, schmuckbehangener Draufgänger.

Er fährt ein Mercedes Cabrio, trägt am linken Ohr einen goldenen Brilli, wechselt seine Hemden stündlich, lässt die obersten drei Kragenknöpfe offen, krempelt die Ärmel bis zum Ellbogen hoch und trägt vorzugsweise hautenge Designerjeans. Er erzählt mir minutenlang das Dilemma seiner psychosozialen Belastungen.

»Ich bin gerade heimgekommen, Siggi, habe Hunger, muss Wäsche waschen und …«

»Du willst nicht mit mir reden, Margit?«

Siggis Stimme klingt erstaunt. »Wo wir uns doch in der Kur so großartig verstanden haben, Margitchen.«

»Jetzt nicht, Siggi, ich habe zu tun!«

Siggi legt auf, ohne sich von mir verabschiedet zu haben. Ich bin nicht sonderlich erstaunt, als eine Stunde später mein KurKumpel Jürgen anruft. Er wohnt in der gleichen Stadt und will mit mir Kaffee trinken gehen, macht er kund. Ins Insel-Hotel.

»Ich lade dich ein«, sagt er großzügig.

»Jürgen, ich muss meine Wäsche in Ordnung bringen, die Einkäufe verstauen. Meine Kinder kommen nachher vorbei und …«

»Du hast keine Zeit für mich, Margitchen?«

Ich höre, wie er die Luft durch seine Nase zieht.

»Wo wir uns doch in der Kur so blendend verstanden haben, Margitchen.«

»Heute leider nicht. Mach’s gut, Jürgen. Bis demnächst einmal.«

»Bis demnächst einmal? Was soll denn das heißen, Margitchen?« Ich lege den Hörer auf die Gabel, bevor es Jürgen tut.

»Meine Frau ist unberechenbar und launisch«, meint Harald mit dem Eincreme-Tick. »Die versteht mich nicht.«

In der Leitung rauscht und knistert es.

»Ich kann dich nicht verstehen, Harald«, sage ich.

»Du auch nicht, Margit? Wo wir uns in der Klinik doch so gut verstanden haben? Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht, Margit.«

»Harald«, sage ich, rufe doch den Herbert, den Martin, den Siggi oder einen von den anderen Männern an. Ihr seid in etwa gleichem Alter und …«

»Du willst mir nicht helfen, Margit? Eigentlich hätte ich mir das gleich denken können. Ihr Frauen seid doch wirklich …«

Ich lege den Hörer auf die Gabel, fange an, die Einkäufe zu verstauen, putze den Salat und stelle das Wasser für die Nudeln auf die Herdplatte. Ich atme tief durch, als das Telefon von neuem läutet.

Ulli ist erstaunt, als er erfährt, dass Herbert, Martin, Siggi, Harald und Jürgen auch schon bei mir angerufen haben. Sein Redefluss ist nicht zu stoppen. »Ich muss etwas mit dir besprechen, Margitchen«, meint er. »Wir müssen uns unbedingt sehen. Heute noch, Margitchen. Das muss richtig ausdiskutiert werden. Wie ist dein Befinden gerade, Margitchen? Also ich bin gerade bei Skala 10. Weißt du …«

 

»Stopp, Ulli. Wir sind nicht mehr in der Gruppentherapie«, wehre ich mich.

»Aber Margit, wir haben uns doch in der Gruppe so gut verstanden. Und wo ich doch in solchen Schwierigkeiten stecke.«

»Lieber Ulli, deine Probleme fallen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Dazu habe ich weder Lust noch Zeit. Jetzt ist wieder normales Leben für mich angesagt!«

»Aber Margit …?«

Ich schalte das Telefon auf stumm und hole die Bratpfanne aus dem Küchenschrank.

»Helmut und Klaus-Otto haben nicht angerufen«, stellt mein Mann fest, während ich das Öl in die Pfanne träufele.

»Mir geht es so gut wie noch nie in meinem Leben, Margitchen«, säuselt Helmut Tage später in die Muschel. »Ich habe meine große Liebe gefunden, Margitchen. Meine ganz große Liebe. Endlich!«

Er säuselt. »Wir gleiten auf der gleichen Wellenlinie, Margitchen.«

»Aha?«

»Wir haben die gleichen Hobbys, mögen die gleiche Musik, dasselbe Essen, lieben die gleichen Farben, haben den gleichen Humor und … Ich werde Manfred zu Herberts 60. Geburtstag mitbringen. Er ist ja so ein feiner Kerl. Du wirst ihn mögen, Margit!« Ich wundere mich über diese Neuigkeit nicht all zu sehr, habe

Helmuts Neigung zu Männern schon längst erkannt.

»Das wird eine Gaudi, Margitchen«, sagt er begeistert. »Dann sind wir endlich wieder vereint.«

Er lacht laut über seinen Witz. Ich halte den Hörer weit weg von meinem Ohr.

»Du hast doch auch eine Einladung bekommen, Margitchen?«

Helmut wartet keine Antwort ab. »Bringst du deinen Winfried mit? Bleibt ihr über Nacht? Wir könnten am Morgen danach zusammen wandern gehen. Mein Manfred wandert doch so gerne, Margit. Wir bleiben für drei Tage. Manny hat sich extra Wanderschuhe gekauft. Braunorangenfarbene. Mit rutschfester Gummisohle und Shockabsorber. Du weißt doch, was ein Shockabsorber ist, Margit? Meine Ex trug ja so was als BH.«

Helmut wiehert wie ein Pferd. »Immer wenn sie mit dem Hund Gassi ging. Du weißt doch, dass wir früher einen Hund hatten, Margit. Einen Dackel. Ich habe dir Bilder von unserem Waldi gezeigt …«

Ich versuche Helmuts Redefluss zu stoppen. »Was ist denn aus deiner Frau geworden, Helmut?«, frage ich nach. »Ihr geht’s doch gut?«

»Mach dir da mal keine Sorgen, Margit. Die Gabi macht es sich mit ihrem Mädel in einem Wellness-Hotel in Schwäbisch Hall gemütlich.«

»Aha?«

»Du weißt doch, dass wir eine Paartherapie gemacht haben, Margit. Das habe ich dir doch erzählt. Und da hat es sich herausgestellt, dass wir lieber mit dem eigenen Geschlecht zusammen sind.«

»Aha!«

»Was heißt denn hier aha, Margit?«

»Nun ja, die Regel ist das ja wohl eher nicht, Helmut.«

»Du bist in manchen Dingen so richtig vorgestrig, Margit. Man(n) muss auch anderweitige Erfahrungen sammeln, kann nicht immer den gleichen Trott leben. Mein Gott, Margit. Mit 60 fängt das Leben doch erst richtig an!«

3. Kapitel

Rückblick

Es war am Rosenmontag, ich hatte Nachtdienst und war hundemüde. Eigentlich wollte ich nur noch eines in mein Bett. Das penetrante Klingeln des Telefons erschrickt mich, ich lasse den Kaffeelöffel aus meiner Hand fallen, bücke mich danach und schlage mir den Kopf an der offen stehenden Schranktür an.

»Scheiße!«

Ich gebe der Tür einen Fußtritt. Wenn ich übermüdet und hungrig bin, bin ich äußerst schreckhaft und gereizt. Das war schon in meiner Kindheit so. Ich reibe mit den Fingerspitzen meiner rechten Hand über die schmerzende Stelle an meinem Kopf, trinke einen Schluck des noch zu heißen Kaffees.

»Auuu. Heute geht wirklich alles schief.«

Ich knalle die Tasse auf den Spültisch und lasse mich seufzend auf den Küchenstuhl gleiten, lege die Hände gekreuzt auf den Holztisch, meinen Kopf darauf und ergehe mich in Selbstmitleid. Das Telefon läutet immer noch. Genervt stehe ich auf und sehe auf dem Display die Nummer meiner Freundin Barbara. Was will die schon wieder? Die weiß doch, dass ich Nachtdienst hatte.

Ich greife nach dem Hörer. »Ja?«

»Ich bin’s, Margit. Die Barbara.«

»Ich weiß.«

»Ich habe Fasnachtsküchle gebacken, Margit. Lass mal einen Kaffee durch, ich bin in zehn Minuten bei dir!«

»Ich hatte Nachtschicht, Barbara.«

»Ich weiß.«

»Ich will in mein Bett, Barbara!«

»Heute ist Rosenmontag, Margit. Und da gibt es wie jedes Jahr Fettgebackenes. Das magst du doch so gerne.«

»Ja schon, Barbara. Aber nicht zum Frühstück. Und nicht nach der Nachtschicht.«

»Also dann in zehn Minuten, Margit.«

»Ich habe keine Lust auf Fasnachtsküchle, Barbara.«

»Dann komme ich mit einer Brötchentüte bei dir vorbei.«

»Ich bin müde, Barbara!«

»Sie sind in Schmalz ausgebacken, Margit.«

»Was?«

»Die Fasnachtsküchle.«

»Ich gehe jetzt ins Bett, Barbara!«

»Ich dachte, wir frühstücken zusammen, machen danach einen Schneespaziergang. Ich habe dir ja so viel zu erzählen, Margit. Ich habe da einen Mann kennengelernt …«

»Schon wieder?«

»Wir könnten uns aber auch beim Chinesen treffen und ich erzähle dir dann beim Mittagessen von meinem Fisch im Netz, einem ganz dicken Brocken, Margit, höchstwahrscheinlich ein Beamter, vielleicht sogar ein Beamter auf Lebenszeit. Der Horst hat so gepflegte Hände, Margit.«

»Aha.«

»Am Nachmittag habe ich einen Friseurtermin, dann kannst du dich ausruhen und für den Rosenmontagsball aufhübschen, Margit.«

»Ich bin müde, Barbara!«

»Karin, Jutta und Anna gehen auch mit.«

»Aha?«

»Ich habe den Mädels fest zugesagt für heute Abend. Auch für das Hering-Essen am Aschermittwoch. Für uns beide, Margit.«

»Aha?«

»Du hast doch jetzt ein paar Tage frei und …«

»Meine Güte, Barbara, ich will in mein Bett. Lass mir doch einfach meine Ruhe!«

»Oh, du bist wieder einmal überarbeitet, Margit. Dann sehen wir uns aber morgen Abend beim Faschingsdienstagsball in der Stadthalle.«

»Mir ist nicht danach Fasching zu feiern, Barbara.«

»Ich bin dieses Jahr als laszive Nonne unterwegs.«

Barbara lacht wie ein Grünspecht. »Du ziehst wahrscheinlich wieder dein braves Corsagen-Tanz-Kostüm an, habe ich recht, Margit?«

»Ich hole dich sicherheitshalber von zu Hause ab, Margit, damit da mal nichts schief geht. So gegen 19.00 Uhr. Gute Nacht. Bis Morgen dann, Margit.«

Sie räuspert sich. »Und schlaf dir gute Laune an, Liebes.«

»Gute Nacht ist gut, Barbara.«

Ich stöhne. »Du weißt ja, wie hellhörig dieses Haus tagsüber ist.«

»Da musst du durch. Bis dann, Margit.«

Ich lege den Hörer auf die Gabel und schalte das Telefon auf stumm. Faschingsball. Ich habe wirklich keine Lust auf Narreteien. Schlaflos wälze ich mich im Bett hin und her, bin aufgedreht wie immer, wenn ich Nachtdienst hatte. Zuviel spukt in meinem Kopf herum. Was wird aus der jungen Frau Müller werden? Die arme Frau hat ‚Feuer im Dickdarm’, sich bei Schichtwechsel immer noch gekrümmt vor Leibschmerzen. Was wird aus ihrem Sohn, während ihrer Therapien? Sie ist alleinerziehende Mutter, der Bub erst 10 Jahre alt. Ein nettes Kerlchen mit blauen Augen und schwarzbraunen Wuschellocken. Frau Müller hat ein erhöhtes Darmkrebsrisiko.

Christoph, der junge Mann mit dem Hörsturz aus Zimmer 213 wäre in einer psychosomatischen Klinik besser aufgehoben als bei uns mit nur Infusionstherapie.

Frau Schrezenmeier wird morgen ins Pflegeheim verlegt und ich hatte keine Zeit mich von ihr zu verabschieden, es herrscht Ausnahmesituation in der Klinik. Wegen Umbauarbeiten wurden vorübergehend zwei Stationen geschlossen und die Patienten auf die Innere verlegt. Ich bin die ganze Nacht gerannt, gerannt, gerannt, habe zwischendurch immer wieder Kaffee getrunken und Schokolade in mich reingestopft.

Früher habe ich Partys gefeiert und problemlos noch die Nachtschicht angehängt. Das ist heute nicht mehr drin bei mir. Der aufgezwungene Fremdrhythmus der Wechselschichten fordert seinen Tribut. Nachtschicht von 20.30 bis 6.30 Uhr. Tagesschicht von 12.30 bis 21.00 Uhr. Frühschicht von 5.30 bis 14.00 Uhr. Sieben Nächte musste ich am Stück arbeiten, jetzt folgt ein mehrtägiger Freizeitblock, ich muss aber in Rufbereitschaft bleiben.

Ich schäle mich aus dem Bett, bewege mich schlaftrunken Richtung Küche und schalte die Kaffeemaschine ein. Mein Magen knurrt wie bei einem hungrigen Wolf. Ich öffne den Kühlschrank, gähnende Leere blickt mir entgegen, ich hatte wieder einmal keine Zeit, um einkaufen zu gehen, esse wieder Schokolade. Lustlos hole ich den Karton mit den Faschingsutensilien aus dem Dielenschrank und krame nach dem königsblauen CorsagenTanz-Kostüm. Ich werde es aufbügeln müssen, es ist total zerknittert. Auch das noch! Ich werfe das Kleid in den Karton zurück, nehme zwei Schlaftabletten aus der Packung, spüle sie mit Wasser hinunter und begebe mich wieder Richtung Bett. Ich will schlafen! Nur noch schlafen!

Wie in Watte gepackt höre ich eine Melodie. Meine Haustürklingel? Mein Blick streift den Wecker auf meinem Nachttisch, ich schaue irritiert auf das Zifferblatt. 19.00 Uhr. Es ist meine Haustürklingel! Mit einem Satz springe ich aus dem Bett und betätige den Türöffner im Flur. Es dauert keine zwei Minuten, dann steht meine Freundin schon vor mir.

»Du bist ja noch nicht einmal angezogen, Margit«, meckert Barbara, drückt sich an mir vorbei und stellt zwei prall gefüllte Plastiktüten auf den Küchentisch.

»Dein Kühlschrank ist doch bestimmt wieder lotterleer«, stichelt sie und reißt die Kühlschranktür auf. »Von was lebst du eigentlich, Margit?«

Sie räumt Eier, Butter, Wurst, Käse, Joghurt in Augenhöhe ein, verstaut Karotten, Sellerie, Salat im Gemüsefach. Prüfend sieht sie sich in meiner Küche um.

»Bei dir sieht es aus wie in der Spendenkammer vom Roten Kreuz, Margit.«

Ihr Blick bleibt an dem Karton mit den Faschingsutensilien hängen. »Dein Kostüm muss aufgebügelt werden, Margit!«

»Ich weiß, Barbara.«

Barbara schubst mich ins Bad. »Duschen, Haare waschen, schminken! Ich bügle in der Zwischenzeit dein Kleid auf, Margit.« Ich halte mein Gesicht über das Waschbecken, lasse eiskaltes Wasser in meine Hände laufen, bespritze mein Gesicht und meinen Hals. Ich höre, wie Barbara das Bügelbrett hinter dem Dielenschrank hervornestelt, höre, wie sie mit dem Pizzalieferservice telefoniert. Ich bin gerade mit dem Schminken fertig, da ertönt auch schon die Haustürglocke.

»Ich komme runter«, brüllt meine Freundin in die Sprechanlage und verschwindet im Treppenhaus. Meine Füße hinterlassen Spuren auf dem Laminatboden.

»Trockne dich ordentlich ab, setz dich an den Tisch und iss erst mal was, bevor du dich anziehst und dein Kleid verkleckerst«, befiehlt meine Freundin Minuten später. Sie stellt die Pizza samt Kartonage vor mir auf den Tisch, drückt mir Messer und Gabel in die Hand und wünscht mir einen guten Appetit. Den habe ich, ich schlinge die Pizza hinunter wie ein Raubtier seine Beute.

Mein Korsagen-Kostüm hängt frisch gebügelt am Griff des Einbauschrankes. Hoffentlich passt es mir noch, denke ich, ich habe einige Kilos zugenommen, seit ich es das letzte Mal anhatte. Barbara sieht provokant auf ihre Armbanduhr.

»Die Mädels warten, Margit.«

Ich wische mit dem Handrücken über meinen Mund, wische die Hand an meinem Bademantel ab, rote Streifen zieren das weiße Frottee.

»Altes Ferkel«, schimpft Barbara. »Wasch deine Hände und dann rein mit dir in das Kleid!

Sie nimmt das Kostüm vom Bügel und hält es mir zum Reinschlüpfen hin. Ich steige mit dem rechten Fuß zuerst in mein Traumkleid, dann mit dem linken, Barbara zieht es hoch bis zum Po, dann bleibe ich hoffnungslos darin stecken. Ich kneife die Pobacken zusammen, ziehe den Bauch ein und halte die Luft an. Barbara zerrt und zerrt, bis die Seide ratscht. Meine Busenfreundin schlägt entsetzt ihre Hände vor den Mund, dann zieht sie den zarten Stoff wieder nach unten.

»Mach schon, Margit, nichts wie raus aus dem Kleid, wir probieren es von oben.«

 

Sie nimmt das zarte Gebilde vom Boden und streift es über meinen Kopf. Meine Haare laden sich in Sekundenschnelle elektrisch auf. Barbara schlägt sich auf die Schenkel und lacht schallend.

»Du siehst aus wie ein Hamster unter Stromschlag, Margit.«

Sie fummelt an dem Reißverschluss. »Bauch einziehen und Luft anhalten, Margit!«

Ich ziehe meinen Bauchnabel Richtung Wirbelsäule, so wie es mich der Fitnesstrainer im Volkshochschulkurs gelehrt hatte, halte den Atem an, bis mir schlecht wird. Der Reißverschluss schafft es bis kurz vor den Halswirbel, dann hält Barbara den Reißverschlussschieber in der Hand.

»Sind nur ein paar Pfündchen, die zuviel sind Margit«, tröstet sie mich. Sie holt kurzerhand meinen Schal von dem Garderobenhaken, drapiert ihn so geschickt um meine Schultern, so dass auch der Riss im Stoff verdeckt ist. Sie befestigt ihre Kunst mit Sicherheitsnadeln und nickt zufrieden mit dem Kopf. »Du siehst aus wie ein Burgfräulein, Margit.«

»Ich fühle mich eher wie eine abgepackte Leberwurst«, piepse ich weinerlich. »Ich habe wirklich nicht die geringste Lust auf Fasching feiern, Barbara!«

»Bis du Musik hörst und dein Tanzbein schwingen kannst, Margit.«

Barbara grinst. »Du könntest dir deine Tanzsportmedaillen um den Hals hängen, Liebes.«

Wir haben das Glück, den letzten freien Parkplatz zu ergattern. Es schneit in Riesenflocken und Barbara sprintet der Festhalle zu.

»Meine Brille«, stöhnt sie, bleibt an der obersten Treppenstufe stehen und kramt in ihrer Handtasche nach dem Brillenputztuch. Ich bleibe fasziniert unter der Laterne stehen, bewundere die Schönheit der sechseckigen Kristallgitter und ziehe genießerisch die Luft durch meine Nase. Jede einzelne der Riesenschneeflocken ist ein Unikat, stelle ich fest. Raucher gesellen sich zu Barbara. Ich halte mir provokant die Nase zu und haste an ihnen vorbei.

»Immer noch besser als Krankenhausluft«, lästert Barbara, drückt ihre Zigarette aus, schnappt nach meiner Hand und zieht mich neben sich her. Die Stimme der Provinzbandsängerin dröhnt durch den übervollen Saal. »Gell du hosch mich gelle gern …«

»Hier bekommen wir doch nie einen Sitzplatz«, meckere ich, als Barbara mich durch die endlosen Stuhlreihen zieht.

»Du bist immer so entsetzlich pessimistisch, Margit.«

Meine Freundin findet tatsächlich zwei leere Stühle, ziemlich weit vorne sogar, man kann die Band gut sehen.

»Hier, Margit«, triumphiert sie, setzt sich und fängt augenblicklich einen Flirt mit ihrem Stuhlnachbarn an. Ich sehe mich in der Halle um. »Gell du läschd mich net im Stich«, hallt die Piepsmausstimme der Sängerin an mein Ohr.

»Wie passend der Text doch ist«, lästert Barbara und wendet sich wieder ihrem Gesprächspartner zu.

»Wollen wir tanzen?«

Ich fühle mich einsam und verlassen, schaue desinteressiert dem bunten Treiben zu. Ein Schneespaziergang in der verzuckerten Landschaft wäre mir viel lieber gewesen. Barbara tanzt und flirtet auf Teufel komm raus. Es dauert Ewigkeiten, bis sie sich wieder zu mir an den Tisch gesellt. Ihre Haare sind zerzaust, ihr Gesicht hochrot. »Der Typ ist genau meine Kragenweite«, raunt sie in mein Ohr.

»Und was ist mit dem Anderen?«

»Welcher Andere, Margit?«

»Na der Vielleicht-Beamte auf Lebenszeit.«

Barbara macht eine abfällige Handbewegung. »Der ist doch längst schon Schnee von gestern, Margit.«

Sie fährt wie von einer Tarantel gestochen hoch, als ein Vampir den Nebentisch ansteuert.

»Mein Gott, ist das ein Mann, Margit!«

Der Pirat an ihrer Seite zupft am Nonnenkostümärmel, hält das Sektglas in die Höhe. »Lass uns anstoßen, Babsi!«

Barbara beachtet ihn nicht. Die Kapelle spielt einen Tusch. Damenwahl. Die Halle gleicht in Sekundenschnelle einem Bienenschwarm. ‚Lei-Lei-Lei-Lei-Lei-Lei. Es ist Faschingszeit. LeiLei-Lei-Lei-Lei-Lei. Es ist wieder so weit.’

»Den forderst du jetzt zum Tanz auf, Margit!«

»Nein.«

»Es ist Damenwahl, Margit.«

»Ich fordere keine Männer zum Tanzen auf, Barbara, das weißt du ganz genau.«

»Es ist Fasching, Margit.«

»Auch nicht im Fasching, Barbara!«

»Schau doch einmal wie der sich bewegt, Margit. Wie er sein Glas hält.«

Sie schmachtet. »Hast du seine Augen gesehen, Margit? Die leuchten wie Feuerglut! Die vollen Lippen? Und schau dir diese Figur an! So richtig erotisierend.«

Barbara leckt genüsslich ihre Lippen. »Das ist ein Baron-Vampir, Margit! Ich tippe mal darauf, er ist Beamter. Ein Beamter auf Lebenszeit vielleicht. Wenn du dir den angelst, hast du ausgesorgt, Margit.«

»Psssst, nicht so laut Barbara«, mahne ich. Barbara lacht, greift nach dem Arm ihres Stuhlnachbarn und schleppt ihn laut singend wieder zurück auf die Tanzfläche. »Es dreht sich alles um den Mann, den bösen Herzensdieb.«

Der Baron-Vampir nimmt am Nebentisch Platz, nippt immer wieder an seinem Getränk und lässt mich nicht aus den Augen. Mein Herz schlägt im Dreivierteltakt. Er sieht mir so lange in die Augen, bis ich den Blick senke, erhebt sich vom Stuhl, steuert direkt auf mich zu und fragt mit samtweicher Stimme: »Darf ich zum Tanz bitten, verehrtes Burgfräulein?«

Ich habe einen Kloß im Hals, stehe wortlos auf und stolpere hinter ihm her bis zur Tanzfläche. Der Frontsänger brüllt heiser in sein Mikrofon. »Heute haun wir auf die Pauke.« Hoffentlich lösen sich die Sicherheitsnadeln während des Tanzens nicht, bange ich.

Staffagen abgenutzter Gesichter drehen sich im Kreis, ich finde keine Gemeinsamkeit mit meinem schweigsamen Tänzer. Er tapst herum wie ein ungelenker Bär, tritt immer wieder auf meine Füße. »Sie können nicht tanzen, Burgfräulein«, stellt er nach ein paar Minuten fest. Ich verschweige meine Tanzmedaillen, löse mich von den Händen auf meinem Rücken und steuere durch die Wogen tanzender Masken meinen Sitzplatz an. »Ich gehe«, sage ich zu meiner Freundin. Barbara und der Pirat legen gerade eine Tanzpause ein.

»Schnaps, das war sein letztes Wort«, grölt dieser begeistert den Klassiker von Willi Millowitsch mit. Der Frontmann der Kapelle ist ein Freund von ihm. Sie strecken sich ihre gehobenen Daumen entgegen. »Dann trugen ihn die Englein fort …«

»Du musst auf’s Klo, Margit?« Barbara springt von ihrem Stuhl auf. »Ich gehe mit.«

Sie grinst. »Rein prophylaktisch, Margit.«

»Ich muss nicht auf die Toilette, Barbara. Ich gehe nach Hause.«

»Nach Hauuuse?«

Barbara sieht mich an, als hätte ich chinesisch mit ihr gesprochen. Sie zieht ihre Augenbrauen nach oben.

»Aber wir haben doch Jutta, Karin und Anna noch gar nicht begrüßt. Die Mädels warten doch auf uns, Margit.«

»Du hast getanzt, statt sie zu begrüßen, Barbara, mich alleine am Tisch sitzen lassen.«

Ich stehe auf, trinke das Glas mit Wasser leer und greife nach dem Riemen meiner Handtasche, die ich vorsichtshalber an der Stuhllehne angebunden habe.

»Also ich geh dann mal.«

»Aber Jutta, Karin und Anna …«

»Ruf sie auf ihren Handys an, Barbara, ihr werdet euch schon finden.«

Barbara hackt auf ihrem Handy herum. »Sie sind da«, jubelt sie.

»Dann bist du ja in bester Gesellschaft«, sage ich, verabschiede mich höflich von dem wankenden Piraten und kämpfe mich durch die schunkelnde Nichtgesichtermasse Richtung Ausgang.

»Heile, heile Gänsle, es ist bald wieder gut. Es Kätzle hot ä Schwänzle, es ist bald wieder gut …«

Ich atme erleichtert auf, als mir die feuchte Frostluft entgegenschlägt. Endlich bin ich allein.

Es schneit wie verrückt, ich sehe kaum etwas, als ich nach meinem Auto suche. Der Neuschnee knistert unter meinen Schuhen, hinterlässt tierähnliche Spuren. Ich schaue zum Himmel hoch.

»Hallo Mama, hallo Papa.«

Ich bleibe unter einer der schmiedeeisernen Straßenlaternen stehen und bewundere die Schneesternchen im Spiel des Lichts.

Ich versuche sie zu fangen, zu raten, welche als Erste auf meiner Hand schmelzen wird.

»Warum sind Schneeflocken eigentlich weiblich?«, frage ich mich und lache dann belustigt auf. Der Schneeflocke hört sich ja wirklich blöd an. Ich widerstehe der Versuchung mich rücklings in den Schnee zu legen und mit ausgestreckten Armen und Beinen zu rudern, so wie ich es als Kind gemacht hatte.

Ich erschrecke, als der Baron-Vampir plötzlich neben mir steht, habe ihn gar nicht kommen hören. Schweigend läuft er neben mir her. Mir ist mulmig. Mein Herz bebt.