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Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.

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»Gott gebe es; aber ich fürchte Ihr habt nicht gut gethan. Mein Volk ist entzweit, mein Reich bedroht, und was bin ich selber schon, wenn erst fremde Kriegsschiffe sich um die Oberherrschaft dieser Insel streiten? – Nein, nein,« rief sie rasch, als der Geistliche schon die Hand zu neuer Rede hob, »sprich mir nicht jetzt wieder all Deine schon so oft gehörten Klagen und Drohungen – sage mir jetzt nicht die Verse Deines Buchs, das Du bis auf den letzten Buchstaben auswendig kannst; ich begreife Dich doch nicht und mein Herz ist jetzt recht voll und schwer – ich fürchte mir ist heute ein großes Leid geschehen, und hättest Du mich mit Tati versöhnen lassen, es wäre besser für Tahiti gewesen. Geh jetzt, da draußen seh' ich Deine Brüder – ich glaube sie wollen zu mir, aber ich will sie jetzt nicht sprechen, die Zeit muß entscheiden ob Ihr bös gethan habt oder übel, aber mir ist recht traurig zu Sinn. – Geh' jetzt, sag' ich,« rief sie entschiedener, als der geistliche Herr sich noch immer nicht abweisen lassen wollte, und ihr Fuß stampfte zornig den Boden – das Blut der Pomaren gewann die Oberhand.

»So möge Dich der Herr erleuchten,« sagte der fromme Mann, »möge Dir seinen Frieden geben und Seine Sanftmuth und Dich erkennen lassen was er an Dir gethan in Seiner Liebe und Herrlichkeit – Amen.« Und mit gefalteten Händen und vorwärts geneigtem Haupt verließ er langsam das Gemach. Pomare aber schloß die Thür, stützte die Stirn in ihren Arm und weinte bitterlich.

Draußen indessen hatte ein wilderes Spiel stattgefunden, als selbst Mörenhout vermuthet; von den Missionairen war nämlich der ehrwürdige Bruder Smith mit nach der über Papetee ausstreckenden Landzunge gegangen, dort die Bewegungen des fremden Kriegsschiffes rascher und deutlicher übersehen zu können. Mit einem guten Glas bewaffnet erkannte er denn auch bald daß das Schiff plötzlich wieder beidrehte und trotz des noch hohen Seegangs, und nur erst einmal von den Klippen frei, wieder Segel auf Segel setzte, nicht einen Fußbreit mehr aufzugeben, als es gezwungen war. Jedenfalls schien es nach Papetee bestimmt, dem es auch wieder zuhielt, und neben der noch wehenden Flagge stiegen jetzt mehre Signale auf, von denen eines allerdings der Tahitischen Flagge glich, auf die Entfernung hier aber kaum genau bestimmt werden konnte.

Die Missionaire sind von je her nicht ihrer nautischen Kenntnisse wegen berühmt gewesen, wie sie denn auch, um das Kap der guten Hoffnung die Inseln erreichend, den Tag nicht zählten den sie auf dem 180sten Grad von Greenwich aus gen Osten segelnd, gewannen, und den Insulanern den Sonnabend für den Sabbath brachten, wodurch später eine heillose Confusion entstand. Ob nun Bruder Smith auch hier die Tahitische Flagge wirklich zu erkennen glaubte, oder ob er seine sonstigen Absichten dabei hatte den ihn umstehenden Insulanern eine, wie er sich wohl denken konnte, freudige Nachricht mitzutheilen, kurz von ihm zuerst ging das Gerücht aus, das Englische Kriegsschiff das wieder auf den Hafen zu halte, zeige die Tahitischen Farben, und das genügte natürlich, dem jauchzenden Volk die frohe Kunde zu bringen daß die Schiffe der Beretanier ihnen beistehen würden gegen den jetzt gebrochenen Uebermuth der Wi-Wis – wie sie nun wieder trotzig und lachend genannt wurden.

Von Mund zu Mund lief die Mähr, und wie das mit allen derartigen Gerüchten ist, wurde bald übertrieben in's Unmögliche. Nicht mehr blos ihre Flagge, ihre Religion zu schützen gegen die Uebergriffe der Papisten, nein auch frühere Unbilden sollte sie rächen. Die Wi-Wis mußten jetzt das Geld wieder herausgeben, daß sie erpreßt, und Pomare bekam von den Beretanis, als Schadenersatz, das Französische Kriegsschiff, die Jeanne d'Arc geschenkt, die gerade im Hafen vor Anker lag. Wie Kinder lachten und schwatzten die Insulaner durcheinander, träumten sich ihre Lieblingsbilder herauf, am hellen Tag und bauten sich Schlösser so bunt und farbenreich in die Luft, daß sie die Zukunft darüber vergaßen und Vergangenheit und, überhaupt nur gewohnt den Augenblick zu benutzen, dem nach auch handelten.

Während ein Theil anfing eine alte Tahitische Hymne nach dem Takte eines weit älteren Englischen Liedes »old hundred« abzusingen, sprang eine andere Gruppe, in ihrer Herzensfreude selbst die Gefahr nicht achtend von den Missionairen dabei überrascht zu werden, zu ihrem Nationaltanz an, und der Klang der Trommel mischte sich mit dem frommen Lied der Singenden in wunderlicher, eigenthümlicher Weise.

Anders aber und wilder gestaltete sich die Versammlung am unteren Theil von Papetee; etwa zweihundert Schritt von da entfernt, wo die Französische Flagge, vor dem Hause des Consul Mörenhout, zwischen einer kleinen Gruppe hochstämmiger Cocospalmen und über ein Dickicht dunkelgrüner Brodfruchtbäume auswehte, hatten sich Einzelne der Missionaire, unter ihnen Dennis und Brower, gesammelt, und sprachen auf dem offenen Platz in lautem Gebet ihren Jubel aus über den Sieg der Bibel gegen das Pabstthum. Viele der angesehensten Häuptlinge standen in ihrer Nähe, unter ihnen Aonui und Teraitane, wie der noch immer halb wilde und trotzige Fanue, und wenn Einzelne auch gern in ihren Jubel mit einstimmten, fraß es Andere wieder am Herzen daß eben fremde Schiffe bei ihnen den Ausschlag geben sollten, und nicht mit Unrecht sahen sie die Priester als die gerade an, die fremden Einfluß herbeigezogen hatten ihre Privatangelegenheiten zu regeln, ihre Gesetze zu bestimmen, und mit einem Wort, ihr Land zu regieren.

»Auf's Neue!« rief da der ehrwürdige Bruder Dennis in seinem glühenden Eifer für das Wohl seiner Kirche, »auf's Neue hat der Herr der Heerschaaren seine Hand ausgestreckt über die Häupter der Gläubigen, und er wird die zum zweiten Mal in diesen Bergen aufgerichteten Götzen zu Boden schleudern, wie er sie das erste Mal seine Macht und Allgewalt hat fühlen lassen. Noch weht da drüben die dreifarbige Fahne der Papisten, noch flattern die feindlichen Farben in der scharfen Brise, aber wie der stürmische West in kurzen Stunden dem stillen herrschenden Passat weichen wird und muß, so wird auch jenes Schiff da, dessen weiße Segel unserer gastlichen Küste jetzt entgegenblähen, unser Land von dem Schimpf reinigen, einer anderen Macht zu gehorchen als der Bibel, einer andern Gewalt unterthan zu sein, als dem Lamm Gottes und dessen unendlicher Huld.«

»Wenn denn das Wehen jener Flagge Euch so entsetzlich härmt,« rief da Fanue, der jetzt bis dicht hinan zu dem Betenden getreten war und mit untergeschlagenen Armen und fest auf einander gebissenen Zähnen den Gesticulationen des frommen begeisterten Redners zugeschaut hatte, »ei zum Wetter, warum faßt Ihr sie nicht und werft sie zu Boden?«

»Das ist unsere Pflicht!« rief aber da, dazwischentretend, der den Missionairen ganz ergebene Aonui – »nur eine Pflicht der Dankbarkeit war es, an die uns die Rede des würdigen Mannes mahnt, England nicht durch das stolze Wehen jener Flagge länger beschimpft zu sehen.«

»England?« rief Fanue laut und trotzig, den Häuptling mit zürnendem Staunen betrachtend.

»Ja England!« wiederholte aber dieser, unbekümmert um den Zorn seines Landsmannes, »England, das uns zu Menschen gemacht, das unsere Seelen ewiger Qual entriß, und uns die Bibel sandte, die heilige Schrift, das Buch Gottes, Freunde, das Wort von Seinem eigenen Mund diktirt. Wir haben Alles damit erlangt was wir brauchen, und in uns selber zurückgezogen, kann die feindliche Macht unsere Körper tödten, aber unsere Seelen sind unsterblich, und liegen außer ihrem Bereich. Deshalb aber schon wäre es schlecht, wäre es undankbar von uns, das Land, was uns so reich, so glorreich beschenkt, auf unserem Grund und Boden, vor unserer Thüre beleidigt zu sehen, und im Vertrauen auf Jehovas Schutz bin ich bereit, die stolze Flagge, die über Baals Götzendienste weht in den Staub zu werfen.«

»Halt Aonui!« fiel ihm hier, seinen Arm ergreifend, der schon dem Worte die That wollte folgen lassen, der bedächtigere Teraitane in die Rede, »das wäre voreilig und – unvorsichtig gehandelt. Ich schütze den Freund, wenn er abwesend ist und sich nicht selber schützen kann, weshalb jetzt? – England hat seinen Vertreter hier – eine eigene Flagge und zwei große Schiffe, und wenn es sich beleidigt glaubt, mag es selbst die fremde Flagge niederwerfen.«

»Und seine eigene dafür aufpflanzen, nicht wahr?« rief rasch Fanue.

»Die Englische Flagge ist noch stets eine Flagge der Liebe und des Friedens gewesen,« fiel hier freundlich, den Streit der Insulaner zu beschwichtigen, der ruhigere Missionair Brower in die Rede.

»Aber dieß ist Tahitischer Grund und Boden,« zürnte Fanue, »was würde die Königin der Beretanis sagen, wenn wir hinüberkommen wollten in ihr Land, und Pomares Flagge aufpflanzen, auf ihren Wällen? – Sie würde sagen: was wollen die fremden Männer hier in meinem Land? schickt sie fort denn ich habe selber eine Flagge.«

»England hat uns die Bibel gebracht,« sagte aber auch Potowai, ein anderer Häuptling, der hinzutrat, »und wenn ich je ein anderes Land als über uns stehend anerkennen werde, so kann und soll das immer nur England sein.«

»Aber Brüder, liebe Brüder,« rief da Dennis in frommer Begeisterung, »wohin verirren wir uns? – und glaubt Ihr daß wir, Euere Lehrer, etwas anderes wollen können als Euer Wohl? – Handelt es sich denn hier darum, der Englischen Flagge Euch unterthan zu machen, oder Euere eigene von Schmach und Knechtschaft zu retten? – wollen wir Euch denn England unterwerfen, und nicht vielmehr Euch frei machen, im Geist und in der Wahrheit, und keinen Zwang dulden, weder auf Euerer Seele, noch auf Eueren Körpern, als den, den Euch Gottes Liebe selber auferlegt, »denn mein Joch ist leicht,« sagt der Herr. Mit der Einführung aber der fremden Baalsdiener, mit ihren Rauchpfannen und ihrem Bilderdienst, der sich nicht halten konnte hier auf den Inseln, zwischen den frommen Bewohnern, die ihren Gott erst einmal erkannt, ist jene feindliche Flagge aufgerichtet, und nur erst wieder mit ihrer Wegnahme können wir, Euere Lehrer, je wieder hoffen Eueren Geist all jenen feindlichen Eindrücken fern zu halten, der sich jetzt in so gewaltiger Kraft geltend macht.«

 

»Nun dann werft sie selber nieder!« brummte Fanue trotzig – »weshalb uns dazu brauchen wollen?«

»Das ist kein Amt der Diener Gottes!« sagte da Bruder Brower schnell – »wir haben es stets vermieden uns in die politischen Verhältnisse dieses Reiches einzumischen, und werden jetzt nicht – «

»Das lügst Du stolzer Priester,« schrie ihm aber da der Häuptling entgegen, mit glühenden Augen den trotzig emporfahrenden Missionair messend, während seine Freunde auf einer, die dem Geistlichen anhängenden Eingeborenen auf der anderen Seite dazwischen traten, Frieden zu halten unter den beiden Streitenden.

Der beleidigte Missionair wollte im Anfang, und vielleicht auch mit gereizter Rede etwas darauf erwiedern, Dennis aber ergriff seinen Arm und flüsterte ihm leise einige Worte zu, und selbst wohl das Unschickliche heftiger Worte einsehend, sagte er gleich darauf ruhig und mit milder Stimme:

»Herr vergieb ihm, denn er weiß nicht was er thut!«

Eben diese Ruhe aber reizte den alten greisen Häuptling, und Aonui und Potowai, die ihn zu besänftigen suchten, von sich werfend, rief er laut und trotzig:

»Rolle nur Deine Augen, und wirf Dich in den Staub vor Deinem Gott; mache das Volk dabei glauben daß Du vom Geist erleuchtet, und Dein Mund ein Orakel seines Willens sei – spiele Dein Spiel, wie es Dich freut, aber wolle nicht Männer kirren mit falschem Trug. Dein Gott hat gedonnert und geblitzt, wie es unsere Götter thaten vor ihm, aber er schleuderte seine Donnerkeile zwischen die feis in den Bergen, und die Du seine Feinde nennst, blieben unberührt – sollen wir unser Blut daran setzen, wo er selber seine Waffen nur im Scherze braucht? – wenn wir die Streitaxt aufgreifen, die begraben sein müßte für immer, wenigstens zwischen Euch, wäre Euere ganze Religion nicht eine Lüge, so geschieht es für unser Land, nicht für Eueren Glauben, und Gottes Zorn, ich mag über dem weder die Flagge Beretanis noch der Feranis wehen sehen! Ihr aber« – sich jetzt zu seinen Landsleuten wendend, von denen Einige im stummen Entsetzen und mit emporgehobenen Händen standen, zürnte er laut – »ruft mich, wenn Ihr mich braucht, nur nicht zum Singen und Beten, sondern wenn es gilt, das Vaterland wieder rein zu fegen, von Allem was fremd und feindlich ist, und Fanue ist Euer Mann; aber hierher taugt er nicht!« und mit den Worten, den Tapamantel fester um sich ziehend, verließ er rasch und zornigen Schrittes den Trupp.

»Ein wilder Geist, ein unbändiger Geist, den der Herr erleuchten, und auf ihn das Licht Seiner Gnade recht bald ausgießen möge,« sagte Brower mit einem frommen Blick nach oben, »ich will recht warm und brünstig für ihn beten.«

»So Dich Dein Auge ärgert, reiß es aus!« zürnte aber Dennis, mit dem linken Arm die Bibel, die er damit hielt, fester an sich ziehend, die Rechte dorthin gestreckt, wo der zornige Indianer eben verschwunden war, und die Zurückgebliebenen noch standen ihm nachzuschauen, »und wie der dürre Feigenbaum aus dem Boden gehoben, und in's Feuer geworfen werden muß, so sollen die Glieder dieser Kirche gerichtet werden, die abtrünnig und dürr am Stamm stehen.«

»Und glaubt Ihr, Brüder, daß wir Anderen eben so denken wie Fanue?« schrie Aonui jetzt in wilder Begeisterung – »glaubt Ihr, daß wir nicht sterben könnten für den Glauben, für den Jesus Christus vor uns gestorben ist? – Jene Flagge da weht feindlich auf uns herüber, feindlich auf die Bibel, die wir als Gottes Wort erkennen, und an uns ist es, nicht an den Beretanis, das zu entfernen, das uns störend hier in den Weg tritt. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich! sagt Christus – Aonui fürchtet keinen Gegner, so lange er für den Herrn streitet. So wer die Bibel liebt, der folge mir!« und mit den zuletzt wild gejubelten Worten durchbrach er die Menge, die ihm willig Raum gab, und sich ihm auch zum großen Theil anschloß, und eilte raschen Schrittes dem Hause des Französischen Consuls zu, in dessen Garten, auf einer dort aufgerichteten Stange die dreifarbige Fahne lustig in der scharfen Brise flatterte und schlug.

Der Consul war nicht im Haus, aber zwei Männer hatten kurz vorher den Platz von einer anderen Seite betreten, Mr. Mörenhout aufzusuchen – René Delavigne und der Häuptling Paofai, und standen noch an der verschlossenen Thür unweit des Flaggenstocks, als sie den herantosenden Lärm der Masse hörten.

»Hallo Paofai,« sagte René zu dem Häuptling, »der Specktakel kommt näher, und es sollte mich am Ende gar nicht wundern, wenn sie unserem Freund Mörenhout einen, vielleicht nichts weniger als freundschaftlichen Besuch abstatten wollten.«

»Sie sind zu Allem fähig,« sagte der Häuptling verächtlich; »ihre Bibel tragen sie voraus, wie wir Oro früher in die Schlacht trugen, und dann rennen sie blind und toll hinterdrein, und singen und beten und treiben, wer weiß was sonst noch für Unsinn – wenn Tahiti nicht mein Vaterland wäre, ich setzte mich noch heute in mein Canoe, und ließ mich nach leewärts treiben soweit es dem Wind gefiele – bin es fast müde hier das Spielwerk bald der Missionaire, bald der Franzosen oder Engländer zu sein.«

»Sie kommen wahrhaftig hierher zu!« rief René jetzt, der die Worte seines Gefährten wenig beachtet und nur dem rasch näher kommenden Lärm gelauscht hatte; »was können sie wollen?«

»Alles was toll und unklug ist,« sagte Paofai achselzuckend – »sie werden das Haus stürmen wollen und die Flagge niederreißen.«

»Die Französische Flagge?« rief René, mit rasch aufblitzendem Zorn, »das sollen sie beim Teufel lassen, so lange ich's hindern kann.«

»Wirst's eben nicht lange hindern können, Freund,« lachte der Insulaner – »aber – gern leid' ich's auch nicht.«

»Nieder mit der Flagge! nieder mit den drei Farben!« tobte jetzt der Haufen heran, »sie gehört auch mit zu den Götzenbildern und muß fallen!«

»Das wird Ernst,« rief René, »herbei Paofai!« und ohne weiter abzuwarten ob ihm der Häuptling folge, warf er sich mit dem ihm eigenen tollkühnen Muth allein und unbewaffnet dem jetzt gegen den Flaggenstock anstürmenden Haufen entgegen. Paofai zögerte dabei noch einen Augenblick – er sah das Hoffnungslose einer Vertheidigung, solcher Uebermacht gegenüber, und wenn er auch mit zu der Parthei seiner Landsleute gehörte, von der ein Theil jenen Vertrag mit den Franzosen unterschrieben, betrachtete er die Feranis eben nur als Mittel zum Zweck, seinen eigenen Rang wieder auf den Inseln zu erlangen, den er durch die Macht der Pomaren theilweis verloren, und nicht etwa dem Fremden Rechte einzuräumen, die seinem Stolz gerad' entgegenliefen. Das edle Gefühl aber, das noch in seiner Brust schlummerte, trieb ihn auch, dem Einzelnen gegen die Masse beizustehen, und langsamer zwar, als ihm der junge Franzose vorangegangen, und dabei lachend mit dem Kopf schüttelnd, als ob er wisse daß er jetzt einen unüberlegten Streich begehe, folgte er dem Fremden zur Fahnenstange, wo er eben zeitig genug ankam Zeuge zu sein wie René, ohne ein Wort weiter zu verlieren, den voranstürmenden Aonui aufgriff und mit solcher Kraft gegen den ihm nächst Folgenden warf, das Beide zurücktaumelten, und die Bibel des frommen Häuptlings Hand entfiel.

»Zurück!« donnerte des jungen Mannes Stimme zu gleicher Zeit – »das hier ist fremdes Eigenthum, und keinem von Euch ist das Recht gegeben es anzutasten!«

»Nieder mit dem Wi-Wi!« schrieen dagegen von hinten vor Andere, während sich Aonui, der hier kei neswegs Widerstand zu finden erwartet, erschreckt vom Boden aufraffte, und seinem Gegner in's Auge sah. Er hatte gar nicht daran gedacht mit irgend einem Menschen hier in Berührung kommen zu können, und nur durch fanatischen Eifer dahin getrieben eine Holzstange umzuwerfen, und ein Stück Zeug herunterzuholen, wußte er noch gar nicht, ob er seinen eigenen Leib in eine vielleicht thörichte Gefahr dabei bringen solle oder nicht. – Wo kam der Wi-Wi auf einmal her?

Aber auch Paofai trat jetzt hinzu, und die Nächsten mit dem Arm langsam von der Stange zurückschiebend, sagte er mit seiner weichen melodischen und zugleich so klangvollen Stimme:

»Wißt Ihr was Ihr thun wollt, Ihr Männer von Tahiti? – Ihr wollt eine Nation beleidigen, mit der Ihr in diesem Augenblick auf freundschaftlichem Fuße steht; Ihr wollt Euch einen Feind machen, der mit seinen eisernen Kugeln Euere Hütten und Palmen und Brodfruchtbäume niederwerfen und Euch verderben kann. Seid Ihr von einem bösen Geist besessen daß Ihr so tobt?«

»Er hat meine Bibel niedergeworfen!« rief in diesem Augenblick Aonui mit zornfunkelnden Augen, erst jetzt das Entsetzliche bemerkend – »der Wi-Wi hat die Bibel in den Schmutz geworfen.«

»Nieder mit dem Wi-Wi, nieder mit der Flagge!« schrie und brüllte da die Schaar wild durcheinander – »sie haben die Bibel geschändet – nieder mit den Feranis und ihren Götzen – wir wollen keinen Vertrag, wir wollen keine Freundschaft mit ihnen!«

»Auch gut,« brummte René vor sich hin, und ein Stück Holz aufgreifend das dort zufällig lag, schlug er den Ersten der Hand an das Seil legen wollte die Flagge niederzuziehen, ohne weiter einen Ruf zu thun, damit zu Boden. Andere aber drängten nach und obgleich er, ohne Rücksicht auf sich selbst zu nehmen, blind und wild um sich herschlug, fand er sich doch bald von der Masse überwältigt, zu Boden geworfen, und aus dem Weg geschleppt, während Paofai selber, der sonst so geachtete und gefürchtete Häuptling, kaum glimpflicher behandelt wurde.

»Fort mit Dir Paofai!« schrie eine Stimme aus der Menge, und Hände streckten sich drohend nach ihm aus – »Du bist ein Freund der Wi-Wis – Du bist auch Einer von denen die uns an sie verrathen wollen – fort mit Dir. Dein Platz wäre neben der Bibel und nicht neben dem Hause von Me-re-hu, dem Feinde Tahitis – fort mit Dir!«

»Aonui – Du haftest mir für die Sicherheit dieser Flagge!« rief da Paofai, den Arm des Häupt lings ergreifend, als er fühlte wie er ebenfalls durch den andrängenden Schwarm unwiderstehlich zurückgepreßt wurde und dem Volk den Platz räumen mußte – »von Dir wird sie Frankreich wieder fordern.«

»Frankreich soll zu Grase gehen,« brummte da eine Stimme in breitem Irisch, dicht neben dem Häuptling, und die Flaggenlinie fassend zog unser alter Bekannter, Jim, die wehende Flagge unter dem Jubelruf und Jauchzen der Masse, von denen gleich zehn hinzusprangen ihm zu helfen, nieder, und im Triumph wurde die erbeutete jetzt durch die Stadt getragen.

Kaum senkte sich die Flagge, als ein Boot von der Jeanne d'Arc abstieß, an Land ruderte, die Ursache zu erfahren, und dort drohte die Corvette würde die Stadt beschießen, wenn die Flagge nicht augenblicklich wieder gehißt und mit der üblichen Ehrensalve von Tahitischer Seite begrüßt werde. Der Capitain des Talbot aber, dem die Drohung hinterbracht wurde, erklärte, in dem Augenblick wo der erste Schuß aus dem Französischen Kriegsschiff auf die Stadt fiel, seinerseits sein Feuer auf die Corvette zu eröffnen, und der Jubel Papetees bei dieser Erklärung überstieg alle Grenzen.

Die Missionaire sagten gleich, während der Talbot zum Gefecht trommelte, und Alles an Deck klar machte, Kirche an, die Indianer tanzten, ein kleiner Theil ausgenommen, dem diese Wendung der Dinge nicht behagte, und die Prophezeihungen der Missionaire, was Englands Beistand betraf, schienen allerdings Wahrheit werden zu wollen; Pomare stand nicht mehr allein, eine arme verlassene Frau, und die Geistlichen selber, als die jedenfalls indirekte, ja vielleicht sogar direkte Ursache dieser so zeitgemäßen Hülfe, stiegen bei dem Volk, das sich dem Mächtigen am liebsten unterwirft, bedeutend an Achtung.

Die angeborene Gutmüthigkeit der Insulaner ließ sie aber auch ihren Sieg nicht weiter treiben, und René wie Paofai blieben, nur erst aus dem Weg geschafft, vollkommen unbelästigt. Am anderen Morgen jedoch, mit dem wieder eingetroffenen Passatwind lief, unter dem Donner der Tahitischen, etwas mittelmäßigen Geschützstücke, und den Begrüßungsschüssen des Talbot, die Englische Fregatte der Vindictive ein, und der Jubel erreichte hier seinen höchsten Grad, als die freudige Botschaft von Mund zu Mund lief, der erwartete Geistliche Pi-ri-ta-ti (Pritchard) sei wieder mit zurückgekehrt, der ja nur deshalb nach England gegangen war, der Königin der Beretanis ihren Streit mit den Feranis vorzulegen und Hülfe von dort zu bringen. Und hatte er das nicht jetzt gethan?

Mit einem wahren Triumphgeschrei wurde er empfangen, und unter dem Jauchzen und Jubeln, ja unter den Segensrufen Tausender an Land geführt, so daß der Ehrwürdige Mann dadurch wirklich in nicht geringe Verlegenheit gerieth. Weder er noch das Kriegsschiff brachte nämlich direkt ausgesprochene Hülfe von England, sondern nur, als Geschenk, einen Wagen für die Königin Pomare, und Zeug zu einer rothen Uniform für ihren Gemahl, den jetzt eine Zeitlang auf Imeo gewesenen jungen Häuptling.

 

Graf Aberdeen hatte sich damit begnügt dem jungen Staat seine freundlichen Gesinnungen zu bekunden, und die Häuptlinge erschraken allerdings als ihnen dieß endlich begreiflich gemacht wurde. Pomare schloß sich einen ganzen Tag in ihr Haus ein, denn eine neue Besitzergreifung Tahitis durch die Franzosen war nun allerdings nicht unmöglich, und ihre Sicherheit ihnen keineswegs gewährleistet worden. Was aber kümmerte das das Volk, die fröhlichen, gutmüthigen Kinder dieser Inseln? Für den Augenblick waren sie jeder weiteren Unannehmlichkeit überhoben, für den Augenblick lagen die Englischen Kriegsschiffe drohend und ihnen Schutz gewährend in ihrer Bai, und ihre Königin konnte in dem wunder lichsten Ding spatzieren fahren, das ihre kühnste Phantasie sich je gedacht – das Uebrige brachte die Zeit – weshalb sich vorher grämen? und die Predigten ihrer Geistlichen bestärkten sie bald in der frohen Hoffnung daß kein Franzose es je wieder wagen würde ihre Rechte anzutasten, ihre Religion ihnen zu nehmen, oder sie mit seinen Kanonen zu zwingen seinem Willen Folge zu leisten; was wollten sie mehr.