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Pfarre und Schule. Zweiter Band.

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Fünftes Kapitel.
Das Gefängniß

Das Gefängniß von Horneck war ein niedriges kleines aber sehr festes Gebäude, das dicht an eine Reihe von Ställen und darauf befindlichen Getreide- und Heuböden stieß, auch dieselbe Gestalt wie diese hatte, und sich im Aeußeren durch nichts als die starken Eisengitter an den kleinen hohen Stallfenstern von ihnen unterschied.

Nur zwei Stuben oder Kammern, wie man es nun nennen wollte, befanden sich übrigens in diesen zur Aufbewahrung von Verbrechern bestimmten Mauern, und wurden durch einen schmalen Gang, der zu der hinteren Bodentreppe führte, geschieden; die eine von diesen bewohnte der »Voigt« vom Gut, der auch zugleich bei solchen Gelegenheiten die Schließerstelle versehen mußte, und die andere wurde für gelegentlich Eingebrachte offen gehalten, oder sollte doch wenigstens offen gehalten werden. Da es übrigens nur äußerst selten vorkam, daß in Horneck irgend ein wirklicher Verbrecher eingesperrt wurde, so benutzte der Voigt die Gefangenstube auch gewöhnlich zum Aufbewahren der aus der Mühle zurückkommenden Kleie, und selbst jetzt lag ein mächtiger Haufen von dieser, der in der Eile nicht hatte hinausgeschafft werden können, in der einen Ecke zusammengeschaufelt und angekehrt, und in der anderen befand sich ein kleiner Tisch und Stuhl; auf dem ersteren stand ein Wasserkrug und eine Schüssel mit eingebrockter Kürbissuppe, wie sie das Gesinde bekam, und ein Stück trockenes schwarzes Brod, aber kein Messer, sondern nur in der Schüssel ein hölzerner Löffel. In der einen Ecke lag noch eine zusammengeklappte Matratze mit wollener Decke.

In dem kleinen Raume schritt der Gefangene mit untergeschlagenen Armen hastig auf und ab, blieb manchmal an dem Fenster stehen, neben das er seinen Stuhl gerückt hatte, um nur hinausschauen zu können, lauschte auf das von draußen zu ihm hereintönende Geräusch, und setzte dann finster und brütend seine einförmige Wanderung fort.

»Das also ist Dein Dank, Du blinde Menge, zu deren Heil ich meine ganze Existenz in die Wagschale warf, das der Lohn für alle Aufopferung von meiner Seite, für die reine uneigennützige Treue, mit der ich mich Deinem Dienste weihte. Aber nicht zurechnungsfähig bist Du, armes verblendetes, irre geleitetes Volk – Jahrhunderte lang in Schmach und Knechtschaft gehalten, weht Dich der neue Freiheitstraum so plötzlich, so unerwartet an, daß Du Dein Glück noch gar nicht zu fassen vermagst, daß Du nicht begreifen kannst, welche Gewalt Dir plötzlich in die Hand gelegt, und wie es in Deiner Macht jetzt stehe, die, die Dich bis dahin gedrückt und in Schande und Schmach zu Boden gehalten, mit einem kräftigen Schlage zu vernichten. Erwache, mein deutsches Volk, erwache! – Der Morgen der Freiheit hat wirklich getagt; im schönen Frankenlande krähte der gallische Hahn seinen weit durch die deutschen Gauen schallenden Gruß, und im Norden, Süden und Westen greifen die Völker schon zu den Waffen, und die erstehende Sonne sieht ihr flammendes Bild tausend und tausendfältig von blitzenden Sensen und Schwertern zurückgeworfen.«

»Nicht reif seist Du, mein herrliches Volk, die schwerste Pflicht, die Pflicht der Selbstbeherrschung auszuüben, rufen Deine Feinde, die Männer mit Orden und Bändern, die Schranzen und Knechte sclavischer Disciplin – wie das Feuer seist Du, winseln sie in heuchlerischem Mitleid, dessen Kraft gezähmt und in Schranken gehalten werden müsse, um nicht unendliches Elend über unser schönes Vaterland zu bringen. Auf, auf, meine deutsche lodernde Flammensäule, zum Himmel empor sende Deinen rothen Feuergruß, und durch die Schaaren derer, die Deinem freien göttlichen Lichte hemmend entgegentreten, durch die Schatten der alten giftigen Nacht, deren Schleier der Bundestag so fest und furchtbar in seinen Krallen hielt, öffne Dir die freie herrliche Bahn. – Kein Brand wirst Du sein, der sengend Städte und Dörfer in Asche legt und die Wohnung des friedlichen Landmannes dem Boden gleich macht, sondern wie die segensreiche Gluth sollst Du über die Felder und Fluren ziehen, die auf den dürren Steppen das trockene holzige Gras im raschen Flug verzehrt, und den frischen grünenden Graskeimen Raum giebt zum fröhlichen Wachsthum und Gedeihen.«

»Glück auf, mein Volk! Wenn auch der Einzelne darüber untergeht, tausend Andere werden erstehen, und Dich mit weitausdröhnendem Jubelruf den Reihen Deiner Feinde entgegenführen. Nur zusammen haltet dann, wie der Schranzen Schwarm bis jetzt zusammenhielt. – Die Linke fasse in des Nachbars Gürtel, die Rechte schwinge hoch das breite Schwert, und Gottes Ungewittern gleich werft Euch vernichtend und verderbend den Massen des schon moralisch erdrückten Gegners in die Fronte.«

»Und Du, Sonne, die Du da drüben so bleich und trübe, von dämmernden Nebeln umdrängt, zur Ruhe gehst, steige rothglühend im Osten über ein freies Volk wieder herauf – und wenn Du dann auch mein Grab beschienest, ich wollte nicht klagen, dürfte mein Herz dann nur mit seinem letzten Blute den Boden eines freien einigen Deutschlands düngen!«

Er war bei diesen Worten wieder auf den Stuhl getreten, hatte den einen Arm, um sich oben zu halten, durch das Fenstergitter gezogen, und lehnte, nach der scheidenden Sonnenscheibe hinüber schauend, die heiße fieberische Stirn an die kalten starren Eisenstäbe seines Kerkers.

So stand er lange und träumend, – das Abendgeläute war schon lange mit dem frischen Hauch der von den Bergen wehte, in weiter Ferne verklungen; düstere Dämmerung lagerte sich auf der Erde, die Sterne blitzten matt und trübe durch eine dünne Nebeldecke nieder, die sich über das ganze Firmament gezogen; drüben aus dem Dorfe herüber funkelten die Lichter der stillen friedlichen Wohnungen, das Feuer der Schmiede sah er deutlich durch die Obstbäume, die zwischen dieser und dem Schloß die steile Aufdachung des Hügels deckten, niederscheinen, sah die Funken sprühen, und hörte die regelmäßigen Schläge der schweren Hämmer. Der heimkehrende Knecht, der nach Frauen Art seitwärts auf dem müden geduldigen Ackergaul kauernd vorüber zog, sang sich mit leiser Stimme ein kleines Lied – ein Gruß an den Schatz, den er »bei sich zu Hause« gelassen, und aus der Rauschenmühle kehrte der mit den gewichtigen Mehlsäcken beladene Rüstwagen zurück und hielt nicht weit von der Thüre des Gefangenen an, so daß dieser, in einer Art Halbtraum, in dem sein Ohr die äußeren Eindrücke nur dumpf und unbestimmt vernahm, hören konnte, wie die einzelnen Säcke langsam und in regelmäßigen Zwischenräumen die steile Treppe, welche zu den Getreideböden und Vorrathskammern führte, hinauf getragen wurden. Dann spannte der Knecht die Pferde aus, die allein zu ihrem Stall hinüber trabten, der Wagen wurde unter den Schuppen zurück geschoben – das Gesinde ging zum Essen in die Gesindestube, und lautlose Stille lag auf dem weiten Gebäu des Gutes.

Wahlert wußte selber nicht, wie lange er so und in dieser Stellung mit seinem Arm an dem Gitter verweilt, den Blick auf die bleich funkelnden Sterne gerichtet, als leise und vorsichtig der Schlüssel in das Schloß seiner Thüre geschoben und eben so geräuschlos aufgeschlossen wurde. Erstaunt wandte er den Kopf, denn sein Wärter war sonst stets rasch und rücksichtslos zu ihm herangetreten, und eine eigene frohe Ahnung durchschauerte ihn – vielleicht nahte ein Rettungsbote und die wieder aufsteigende Sonne sah auch ihn frei und fröhlich wie die aufwirbelnde Lerche über die dampfenden, vom Nebel umschleierten Berge ziehen. –

Eine dunkle Gestalt glitt in's Zimmer und blieb wie schüchtern an der Thüre stehen, die sich wieder hinter ihr schloß.

»Wer ist da – seid Ihr es, Voigt?« frug Wahlert, und trat von dem Stuhle herunter in die Stube.

»Herr Wahlert,« lautete die ängstlich zitternde Antwort – »ich komme, Sie zu retten!«

»Heiliger Gott, diese Stimme!« rief der Gefangene und preßte sich, kaum seinen Ohren trauend, die ihm den Klang der süßen Laute verriethen, die heiße brennende Stirn – »Sophie –«

»Um Gottes Willen, sprechen Sie leise,« flüsterte das arme, an allen Gliedern bebende Mädchen – »und nur wenige Secunden sind mir vergönnt, deshalb bleibt mir auch keine Zeit, mein Hiersein zu entschuldigen. Nur Mitleid für Sie trieb mich her. Heute Abend um neun Uhr sollen Sie von hier fortgeschafft und den Militairgerichten überliefert werden – was Sie verbrochen haben, weiß ich nicht – will es nicht wissen – nur die eine Frage beantworten Sie mir – wahr und redlich, als ob Sie vor Gottes Throne ständen, aber auch ohne Bedenken und ohne Rücksicht auf mich und die Ursache, die mich vielleicht bestimmte, dieselbe an Sie zu richten. Ist Ihr Leben bedroht, wenn man Sie der Militairgewalt überliefert?«

»Jedes Geheimniß falle, das zwischen mir und Ihnen stehen könnte,« rief da Wahlert, und ergriff die bittend gegen ihn ausgestreckte, sich seinem Drucke nicht entziehende Hand – »kennen Sie mein Vergehen, so sind Sie auch selber im Stande, zu verstehen, was mich bedroht. – Man hat eine Correspondenz aufgefangen, die ich mit Frankreich unterhalten, von dort her unsere deutschen Brüder zu Hülfe zu rufen und die fröhliche rothe Fahne der Republik auf Deutschlands Berge zu pflanzen. In diesem Augenblicke haben die Freunde vielleicht schon einen Einfall in Baden gewagt, oder stehen wenigstens in Waffen an der Grenze, ich aber, der jetzt hier wirken und schaffen sollte, daß auch wir, die wir unter dem Drucke der Tyrannei geschmachtet, denen die treue Bruderhand reichen, die Heerd und Arbeit verlassen haben, uns zu Hülfe zu eilen, ich bin hier von Kerkermauern umschlossen und kann, darf nicht hinaus in's Freie.«

»Und glauben Sie, daß nach diesem Vergehen Gefahr – vielleicht Ihr Leben bedroht?«

»Mein Leben? – ich fürchte kaum – allerdings sind die Beweise gegen mich klar genug und dem alten Regime wäre das Aeußerste zuzutrauen, wo es ja auch vielleicht die eigene Erhaltung gilt –«

»Dann fliehen Sie – fliehen Sie, so rasch Sie können, und verlassen Sie Deutschland so lange noch der Frieden nicht wieder hergestellt ist, und die Gemüther sich beruhigt haben – ich wußte den Schließer zu gewinnen – er dankt mir Alles, was er auf dieser Welt besitzt, und will selbst seine Stelle daran setzen, mir zu dienen – fort – fliehen Sie so lange Ihnen noch Zeit dazu vergönnt ist, hält erst der Morgen vor der Thür, wo Ihnen jedenfalls Bedeckung mitgegeben wird, dann ist es zu spät und Sie sind verloren.«

 

»Und soll ich, ein flüchtiger, mit Steckbriefen verfolgter Verbrecher diesen Ort verlassen? Soll ich das einzige Land meiden, wo ich bis jetzt gekannt bin, wo ich wirken und das gute Werk fördern kann? – Soll ich meinen Feinden die Freude machen, daß sie mich wie einen entsprungenen Sträfling für vogelfrei erklären und auf mich fahnden lassen dürfen. Lebte noch Recht und Gerechtigkeit, so müßte das Volk mit eisernem Arm meinen Kerker brechen, und auf seinen Schultern den in's Freie tragen, der mit Herz und Kopf sich ihm allein geweiht, so aber schlafen sie selbst noch in der Residenz, das Ministerium, dem Millionen fluchen, steht fest und unerschüttert, und seine Macht ist noch wie vorher unge–«

Er schwieg plötzlich, denn ein kleines Paket fiel schwer aber weich durch die Gitterstäbe des offenen Fensters auf die Kleien in's Zimmer.

Wahlert wie Sophie standen mehrere Secunden still und regungslos, und deutlich konnten sie dabei hören, wie sich draußen Jemand leise aber rasch entfernte.

»Was war das?« flüsterte der Gefangene endlich und hob das Päckchen vom Boden auf – »kommt das von Freundeshand?«

Rasch löste er den Faden, der es umschlossen hielt – es enthielt zwei starke Feilen, einen Geldbeutel, einen kleinen Brief, ein dünnes Wachsstöckchen und eine schmale Schachtel Zündhölzchen. Leise nannte er die Artikel, als er sie einzeln betastete und in seine Tasche schob – nur den Brief und das Feuerzeug behielt er noch in der Hand.

»Dürft' ich es wagen, Licht zu machen,« flüsterte er, »so könnte ich wenigstens lesen, was mir mein unbekannter freundlicher Helfer schreibt – doch halt – geh' ich hier dicht an die Wand unter das Fenster, so kann man den Schein von außen unmöglich erkennen, oder wird doch wenigstens glauben, daß mein Gefängnißwärter einmal bei mir sei.«

Rasch trat er an den bezeichneten Platz, bog sich so weit als möglich über, öffnete den kleinen zusammengefalteten Zettel, zündete dann eines der Streichhölzchen an, und las bei dem mattflackernden Schein desselben:

»Fliehen Sie so rasch und schnell Sie können – um neun Uhr ist es zu spät – sind Sie in Freiheit, so verbrennen Sie diese Zeilen. Scheidler – Pastor.«

»Mein Vater!« rief Sophie erstaunt.

»Hm,« murmelte Wahlert, als er das verlöschte Schwefelholz auf die Erde warf und Feuerzeug wie Brief in die Tasche schob – »der Geistliche des Orts interessirt sich für mich, den Republikaner? – Verdanke ich das meiner Gesinnung oder meiner – Geburt.«

»Das Ministerium sollte gestürzt werden,« rief da Sophie, der es ein schmerzliches Gefühl war, daß der Mann, der sich selbst so uneigennützig für Andere geopfert, gerade diese Ursache, und ach, mit viel Grund, in ihres Vaters Handlungsweise suchen sollte – »er wird seinem Freunde, dem Gutsherrn und Gerichtshalter, die unangenehme Nothwendigkeit ersparen wollen, seine Pflicht zu thun – überhaupt scheint auch wieder, aus einer mir unbekannten Ursache, das Dorf in Aufregung zu sein; als ich hierher eilte, standen eine Menge Menschen vor der Schenke, und der Diaconus war kaum im Stande, den wilden tobenden Lärm in Schranken zu halten.«

»Das Ministerium gestürzt? Das Dorf in Aufregung?« rief da Wahlert und richtete sich plötzlich rasch und fröhlich empor – »hei mein Volk, da schlägt der Freiheit Stunde, und hast Du so die Ketten der Lethargie abgeschüttelt, dann brauch ich auch nicht wie ein schuldbewußter feiger Missethäter zu entfliehen.«

»Mamsell Sophiechen!« rief in diesem Augenblicke draußen vor der Thür die warnende Stimme des alten Voigt – »Mamsell Sophiechen, was Sie thun wollen, thun Sie schnell – oben im Dorfe ist ein merkwürdiger Spektakel und eben ist die Kutsche in's Gut gebracht. Wenn Sie noch lange machen, können Sie am Ende selbst nicht mehr heraus.«

»Herr Wahlert,« flüsterte Sophie in Todesangst – »bauen Sie nicht – trotzen Sie nicht auf die Menge, auf die Bauern von Horneck. – Für politische Größe haben sie keinen Sinn – wo ihr materieller Nutzen nicht in's Spiel kommt, wo sie nicht einen wirklichen leicht begreiflichen Vortheil zu erringen hoffen, sind es die entsetzlichsten Egoisten – und ein Nutzen, wie die ihn im Stande sind zu verstehen, kann ihnen aus Ihrer Befreiung nicht erwachsen. Als sie sich neulich zusammenrotteten, bedurfte es nur weniger Worte des Gutsherrn, den Sturm zu beschwören – der Doctor Levi, der sich ihrer Gleichgültigkeit mit Gewalt entgegenstemmen wollte, wurde mißhandelt, und die heutigen Zeitungen melden, wie die Bewohner der Residenz sich schon wieder den Verfügungen der Residenz unterzuordnen scheinen, wonach es denn wahrscheinlich wäre, daß sich die Minister am Ende doch noch hielten. O fliehen Sie, fliehen Sie, wenn nicht um sich zu retten, doch um des Volkes willen, dem Ihr Streben gilt – fliehen Sie, ohne einen Augenblick weiteren Zögerns – die Minuten schwinden in rasender Schnelle und bald, o Gott, wie bald könnte es zu spät sein.«

»Zu spät, allerdings ein bedeutungsvolles Wort,« lächelte Wahlert, »aber nicht für mich – ist das alte Reich der Residenz aus seinen Fugen gerüttelt, ja, wäre es selbst einmal noch nicht vollkommen gestürzt, dann wird es dieser Oberpostdirector wahrlich nicht wagen, mich irgend einem Gericht zu überliefern; ja, thäte er es, er fände keins, das sich in diesem Augenblicke seinen Anforderungen fügte – nein, kocht und gährt es schon hier in dem stillen Orte, dann ist auch kein Zweifel mehr, daß des Volkes freier Sinn den Mann, der seinethalben hier in Banden liegt, mit kräftig muthiger Hand befreien wird. Ein Gewaltstreich muß aber erst, und zwar vom Volke aus, geschehen sein, ehe die Flamme des Aufruhrs sich erheben und furchtbar vorwärts schießen kann über das weite Land – unser Vaterland ist nun einmal zerstückelt und in jedem kleinen Theile desselben muß leider die Revolution auf's Neue geboren werden – unsere Aufgabe aber ist es dann, das junge, seiner kaum bewußte Kind in Blitzesschnelle zum Riesen heranzubilden, und auf seinen Schultern lagern wir nachher in sicherer Ruhe, wenn seine Keule unter und neben uns die Throne zu Boden schmettert und nur unser Geist die gigantische Kraft des Kolosses zu leiten braucht.«

»Sie tödten mich und sich mit diesem starren Trotz,« bat die Jungfrau – »Sie kennen den Gutsherrn nicht, dessen boshaft trotziger Geist das Aeußerste daran setzen würde, seinen einmal ausgesprochenen Willen durchzuführen – verlassen Sie nur jetzt wenigstens den Hof – um meinetwillen, Wahlert – wenn nicht um Ihret-, nicht um Ihres alten Vaters willen –«

»Sophie,« flüsterte der junge Mann, und das wilde, unzähmbare Herz, das bei der früheren Nachricht vom Sturz des Ministeriums schon tausend und tausend kühne und luftige Pläne gebaut, zitterte vor dem weichen Tone dieser sanften Stimme und beugte sich der holden Angst des süßen Kindes – denn diese Angst füllte ja die reine heilige Brust für ihn – für ihn lebte die schlanke Gestalt und schmiegte sich zagend, verzweifelnd an sein Herz, als er den Arm mit leisem beschwichtigenden Trost um ihre Achseln legte.

»Sophie,« flüsterte er endlich und drückte einen Kuß auf ihre bleiche Stirn – »Sie schaffen mir den Kerker zu einem Himmel um, und machen mir die Stunde, die, ehe Sie kamen, meine trübste war, zu einem seeligen Augenblick. Ich glaubte, ich wäre stark und mein einmal gefaßter Entschluß nicht mehr zu ändern – ich bin aber nur wie ein schwankendes Rohr, das ein Hauch ihrer Lippen bewegen kann. – Gut, ich will fliehen, süßes Kind, will Ihrem Rathe folgen, so mit Gott denn und seiner kräftigen Hülfe. Er wird ein freies wackeres Volk nicht verlassen, und wenn er seine Engel schickt, kann seine Hand nicht irre leiten. So leben Sie denn wohl – zum zweiten Male wohl, wo Sie mir als rettender Schutzgeist erscheinen und möge Germania's Fylgia die That Dir lohnen, die Du an einem ihrer treuesten Söhne gethan. Schütz Dich Gott, mein süßes Kind.«

Mit fieberhafter Angst hatte Sophie indessen mehr und mehr der Thüre zugedrängt, denn ihr scharfes Ohr vernahm draußen Klänge, die ihr das Blut in den Adern erstarren machten – das Rasseln eines leichten Wagens wurde laut – Rosse stampften, und dicht vor der Thür des Hauses hielt er an.

»Großer allmächtiger Gott, es ist zu spät,« stöhnte die Jungfrau, und nur Wahlert's Arm hielt sie in diesem Augenblicke aufrecht, daß sie nicht vor Angst und Schmerz zusammenbrach.

Ein lautes Klopfen an der Thür bestätigte ihre Worte.

»Hallo da –« rief eine Stimme, die sie bald an den gellenden Tönen als die des jungen Poller erkannte – »hallo, Voigt – seid Ihr schon zu Bett? – Aufgemacht! – Droben im Dorfe ist der blanke Satan wieder los!«

Die kleine Thüre des Gefängnisses öffnete sich zu gleicher Zeit und das bestürzte Gesicht des alten Voigt wurde drinnen sichtbar.

»Sehn Sie, wie ich Sie nicht umsonst gewarnt habe, Mamsell,« rief er mit bitterer Angst im Ton, aber zu leisem Flüstern unterdrückter Stimme – »jetzt nur fort und in meine Stube, sonst Gnade mir und Ihnen der liebe Herr Gott.« Und ohne eine weitere Antwort des armen Kindes abzuwarten, ergriff er ihren Arm und zog sie rasch durch die geöffnete Thür nach seiner Stube hinüber.

»Aber was wird aus ihm?« bat mit leisem Flehen die Jungfrau – »wenn er nur durch Euer Fenster –«

»Jetzt, wo die Gerichtsdiener vor dem Hause stehen?« zischte in unbegrenztem Erstaunen der Greis – »na, weiter fehlte mir gar Nichts.«

»Hallo da, Voigt!« schrie die piepige Stimme noch einmal draußen, und ungeduldiger als vorher – »was zum Teufel hast Du da drinn zu flüstern und zu fispern – aufgemacht – der Herr Oberpostdirector kommt eben die Treppe drüben herunter und der – ich dächte, Du wüßtest das, wartet nicht gern lang.«

»Fort – fort – jetzt ist's zu spät!« flüsterte der alte Voigt und schob das zitternde Mädchen ohne Weiteres in seine Stube, deren Schlüssel er abzog, drückte die Gefängnißthüre in's Schloß und öffnete dann rasch den anderen Eingang.

Er stellte sich hier schlaftrunken, als ob er eben erst erwacht und von seinem Lager aufgesprungen wäre, die Männer dort nahmen aber gar keine weitere Notiz von ihm – mit einigen kräftigen Flüchen, daß er sie so lange hatte warten lassen, traten sie in den Gang, ließen sich, auf Befehl des Herrn von Gaulitz selber, der in diesem Augenblicke ebenfalls am äußeren Eingang erschien, die Gefängnißthüre öffnen, und führten gleich darauf den Gefangenen heraus an den Wagenschlag.

Wahlert warf hier den Blick im Kreis herum, und der warnenden Worte des holden Pastorkindes gedenkend, schien er im ersten Moment gar nicht übel Lust zu haben, einen Versuch zu machen, ob er nicht das Freie gewinnen, oder doch wenigstens die Leute aus dem Dorfe dadurch herbeiziehen und vielleicht einen Aufruhr zu seinen Gunsten anfachen könne, die Gerichtsbeamten aber, die ihn umstanden, sahen zu entschlossen und kräftig aus, um ihm auch nur die geringste Hoffnung auf günstigen Erfolg zu geben – das große Thor war dabei ebenfalls noch verschlossen, und der dabei stehende Wächter harrte erst des Zeichens, es zu öffnen und dem Wagen den Durchgang zu gestatten, während in das kleinere eben mehrere Ackerknechte hereinkamen und ihm auch da die Flucht abschnitten.

Rasch trat er da zum Schlag und hob den einen Fuß, um hineinzusteigen – nur noch einmal wandte er den Kopf und frug den Oberpostdirector, der in diesem Augenblicke dicht neben ihm stand:

»Und wo führen Sie mich hin?«

»Werdet's schon noch zeitig genug erfahren!« lautete aber die barsche Antwort, die beiden Gerichtsdiener schoben ihn in den Wagen und sprangen selbst nach, der Schlag flog zu, der Kutscher, der schon oben auf dem Bocke saß, knallte mit der Peitsche – auf knarrte das Thor, die rüstigen Rosse zogen an und mit Windesschnelle rasselte die leichte Karosse, von den kräftigen Thieren gezogen, über den Plan hinaus, den Berg aufwärts.