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Pfarre und Schule. Dritter Band.

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Drittes Kapitel
Fritz Holke's Flucht

Die Aufregung, die durch den Tod Müller Friedens in all' die umliegenden Ortschaften kam, war entsetzlich. – Das Gerücht ging, der Horneck'sche Jäger habe den Mann blos deshalb erschossen, weil er einen kranken Hasen hätte fangen wollen. Krautsch, der den Schnitt durch's Gesicht davon getragen, that ebenfalls sein Möglichstes, die Wuth gegen den ihm ohnedies verhaßten Jäger noch zu schüren und zu erhöhen, und die Gerichte, von allen Seiten bestürmt, mußten wohl auf den flüchtigen, seit jenem Abend aber verschwundenen Mörder fahnden, wollten sie nicht besorgliche Auftritte heraufbeschwören, die doch am Ende die Ruhe der hochweisen Polizei vielleicht gestört hätten.

Und der Postdirector von Gaulitz?

Der lag drei Tage besinnungslos auf seinem Bett – und phantasierte, als er endlich wieder zu sich kam, von entsetzlichen Sachen, die den Umstehenden das Haar zu Berge sträubten. Die Frau von Gaulitz ließ auch endlich gar Niemanden weiter in's Krankenzimmer, als den Arzt, dem überhaupt gleich ein kleines Gemach im Gute eingeräumt worden war, damit er, wenn sein Aufenthalt nicht ganz unumgänglich nothwendig in der Residenz war, hier bleiben und schlafen konnte, denn das Leben des Postdirectors schwebte lange in höchster Gefahr.

Im Anfang hieß es dabei sogar, der Jägerbursche, dessen drohende Stimme Poller unten in seiner Stube gehört haben wollte, hätte den alten Mann, der dem Mörder seinen Schutz verweigert, die Treppe hinabgeschleudert, Wahlert trat dagegen aber augenblicklich und auf das nachdrücklichste als Zeuge auf, und sagte aus, wie er dabei gestanden habe, als der Postdirector, die Stufe verfehlend, hinabgestürzt sei, ohne daß ihm der Jäger auch nur auf sechs Schritte zu nahe gekommen wäre. Das rechtfertigte diesen allerdings von der Anklage, half aber dem Postdirector nur wenig, der sich auch noch, wie eine spätere, allerdings zu späte Untersuchung, darthat, die Hüften ausgerenkt und zwei Rippen gebrochen hatte.

Der Jäger war indessen glücklich in seinen Versteck entkommen, durfte aber gar nicht daran denken, selbst in späterer Zeit nach Horneck zurückzukehren, und mußte sich nun einen Ort in der weiten Welt suchen, wo er sich einen Heerd, eine neue Heimath gründen könne. Ohne Abschied von Lieschen zu nehmen, war er aber, selbst an dem Abende nicht, von Horneck geschieden; trotz der Gefahr, in der er sich befand, schlich er von hier zur Schulwohnung hinüber, das bekannte Zeichen rief sein darüber zum Tod erschrockenes Mädchen, der das entsetzliche Gerücht schon zu Ohren gekommen, vor die Thür hinaus, und dort gelobten sich die beiden armen Kinder noch einmal – unter dem freien hellbestirnten Himmelszelt, ewige Liebe und Treue, wie das Schicksal auch ihre Bahnen werfen, ihr Leben gestalten möge. Fritz war dabei schon fest entschlossen, was seinen künftigen Plan betraf – er wollte nach Amerika, dort sich mit Fleiß und Sparsamkeit so viel verdienen, um eine kleine Farm kaufen zu können, und dann sein Lieschen, sein liebes gutes Lieschen, nachholen. Dazu schüttelte aber diese gar traurig den Kopf, den armen Vater hier in all seinem Elend, in seiner Krankheit allein zurück lassen – nein, das ging unmöglich an. – Aber der Vater bekam bald Zulage – eine Unterstützung vom Ministerium – und der Pastor hatte ihm ja ebenfalls Hülfe zugesagt – Das waren Alles fremde Menschen, wie das arme Mädchen mit recht traurigem Ausdruck in den Zügen sagte, die versprachen Alle, aber sie hielten Nichts, und dann blieb der arme Vater doch nur immer wieder allein und ganz allein auf sie angewiesen, und hätte sie den Greis in dem Zustande verlassen können, Fritz selbst würde ihr das, bei kaltem Blute und ruhiger Ueberlegung, nicht zugemuthet, ja wenn sie selbst wollte, es nicht gestattet haben.

Dagegen half keine Einsprache – Fritz nahm Abschied von ihr, mit dem ausdrücklichen Versprechen jedoch ehe er das Vaterland verließ, jedenfalls noch einmal zu ihr zu kommen, um den gemeinschaftlichen künftigen Lebensplan zu bereden, und als Lieschen weinend am Gartenzaune stand und mit ängstlichen Blicken, mit fieberhaft schlagenden Pulsen den mehr und mehr in der Ferne verhallenden Schritten des Geliebten horchte, eilte dieser, so schnell ihn seine Füße trugen, dem ihm von Wahlert bezeichneten, wohlbekannten Versteck zu, und blieb dort, bis ihn Abends spät der Bachstettener Schullehrer – der Wahlert zu Liebe noch an dem nämlichen Abende in sein Dorf zurückkehrte – abholte und mit sich zu Hause nahm.

Mehrere Tage vergingen so, und trotz des gegen Fritz Holke, Jägerburschen aus Horneck erlassenen Steckbriefs, war keine Spur des total von der Erde Verschwundenen aufgefunden worden. Fritz Holke war aber nicht der Einzige, dessen Aufenthalt ganz urplötzlich nicht mehr ermittelt werden konnte, auch Marie Meier und der alte Musikant hatten – Niemand wußte wohin, in derselben Nacht das Dorf verlassen und Wahlert bot vergebens Alles auf, um die Spuren der Entflohenen zu finden. Selbst der Wirth, bei dem sie gewohnt, schien gar Nichts von ihrer Abreise vorher erfahren zu haben, denn nicht eine mal die paar Thaler Miethzins hatte der alte Mann bezahlt und der Hausbesitzer, ein reicher Bauer aus Horneck, der zwei kleine Häuser einmal um eine Schuldforderung angenommen, fluchte und wetterte über das »Gesindel«, bis ihm Wahlert den rückständigen Zins in die Hand drückte und den Zürnenden dadurch zum Schweigen brachte.

Was konnte er jetzt thun, um die Unglücklichen wieder aufzufinden? – Er schrieb augenblicklich in die Residenz, sandte Boten auf alle umliegenden Dörfer aus und versprach Gensdarmen und Forstläufern ansehnliche Summen, wenn sie ihm Kunde von dem alten Musikanten brächten, oder gar seinen Aufenthalt anzugeben wüßten, doch Alles ohne Erfolg.

So sicher sich jene Beiden aber auch ihr Versteck gewählt hatten, so viel unsicherer wurde mit jedem Tage des armen Jägerburschen kaltes Dachstübchen, in dem er jetzt, bei plötzlich eintretendem Frost, besonders in der ersten Nacht fast erfroren wäre. Dort konnte er nicht länger bleiben, als ihn aber der gutmüthige Kraft die nächste Nacht herunter in seine eigene Kammer nahm, war es die Magd gewahr geworden, und auf rasche Entfernung, sollte nicht die Entdeckung die übelsten Folgen nach sich ziehen, mußte so schnell als möglich gedacht werden.

Fritz verließ am nächsten Abend bei Dunkelwerden Bachstetten und floh – natürlich augenblicklich nach Horneck in die Schule, wo ihn der jetzt davon in Kenntniß gesetzte Hennig zwei Tage, mit größter Gefahr für sich selbst, zu verbergen wußte. Indessen hatten sie aber auch nun den Plan entworfen, den sie künftig verfolgen wollten, Lieschen ward sogar mit in den Kriegsrath gezogen und der Beschluß gefaßt, daß Fritz jetzt ohne Weiteres voraus nach Amerika überfahren und dort das Land einige Monate durchziehen solle. Zum Frühjahr, wo er schon einen Platz zur Ansiedlung ausgewählt haben konnte, kam Wahlert mit seiner jungen Frau nach.

Und Lieschen? – Ach dem armen Kinde standen die großen hellen Thränen in den Augen, daß es nicht mit ziehen konnte in das freie herrliche Land, wo es keine Noth mehr gab und – keine Nahrungssorgen, wo der Arbeitsame und Ehrliche sein Brod fand, und nicht wie hier in Kummer und Elend verderben mußte. Aber – es ging nicht – Vater und Geschwister durfte, konnte sie hier nicht allein zurücklassen und wehmüthig nickte sie nur mit dem Köpfchen, als ihr Fritz versicherte, wie er bald, recht bald so viel verdient haben werde, um sie und die Ihrigen zu ernähren und sie dann alle mit einander nachholen zu können.

Noch in derselben Nacht verließ er, von Wahlert hinlänglich mit Geld unterstützt, und mit ein paar Briefen nach Havre versehen, Horneck, setzte nach der Rauschenmühle über, nahm dort von seinem Vater, den er auch in späterer Zeit noch in Amerika zu sehen hoffte, herzlichen traurigen Abschied, und wanderte dann getrosten Muthes nach der Residenz. Wahlerts Rathe nach sollte er hier Post nach Coblenz nehmen – auf der Post frug ihn kein Mensch nach einem Paß, und von dort aus erreichte er schnell die französische Grenze und Havre de Grace.

Lieschen schwebte indessen in Todesangst – jedes fremde Gesicht, das ihr begegnete, schien zu sagen: sie haben Deinen Fritz erwischt und er wird jetzt in Ketten wieder zurück transportirt. – Keine derartige Kunde wurde ihr aber, im Gegentheil mußte sie jetzt, da der Steckbrief nicht erledigt wurde, der Entflohene also auch nicht eingefangen sein konnte – hoffen, daß er glücklich entkommen sei – dennoch war ihr die Ungewißheit, ach, so peinlich, und die Tage schlichen ihr lang und traurig dahin.

Viertes Kapitel
Pastor und Schulmeister

Der neunte December brach trübe und düster an; im Nordwesten hatten sich dunkle, drohende Wolkenmassen gebildet, und mit der Tagesdämmerung sah es fast so aus, als ob an diesem Tage der erste Schnee fallen müsse. Auch waren schon mehrere Züge wilder Gänse schnatternd und schwirrend dicht über Horneck weg, vom Norden herunter kommend, dem wärmeren Süden zugestrichen – ein ziemlich sicheres Zeichen des nahenden Winters – um neun Uhr aber, der Stunde der Wetterscheide, drehte sich der Wind mehr nach Süden herum, und ein kalter, dünner Regen, der im Anfang wie Staub auf den Kleidern lag, um später desto sicherer einzudringen, fiel geräuschlos auf die feuchte lehmige Erde nieder.

Selbst den Enten schien es in dem, unten gleich am Pfarrhügel liegenden Teich zu naß geworden zu sein, und sie watschelten schnatternd in ihrem schwerfälligen Marsch – eine hinter der anderen genaue Linie haltend – unter die Pflaumenbäume, wo sie erst eine ganze Weile die Köpfe schüttelten, als ob sie selbst nicht wüßten, was sie über den dießjährigen Herbst denken sollten, dann sich die Flügel und das bewegliche Schwänzchen putzten, und zuletzt ganz ehrbar und bedächtig still saßen, die Köpfe hinten in den Nacken drückten, und mit halb geschlossenen Augen träumend nach den grauen unbehaglichen Wolken in die Höhe schauten.

 

Der Gänsejunge stand dabei unten am Teich, und wusch sich die bloßen Füße in der kalten, schmutzigen Flut, und ein kleines dralles Bauermädchen im bloßen Kopf, das ein Gefäß in der Hand trug, und von seiner Mutter wahrscheinlich in den nächsten Kaufmannsladen geschickt war, um Essig, oder sonst eine Flüssigkeit zu holen, schien Gefallen an dem Fußbad zu finden. Sie trat dicht zu dem gleichgültig nach ihr sich umschauenden Jungen heran, tauchte erst ganz sorgfältig die eine Spitze des sauber geschmierten Schuhes in das Wasser, und freute sich, wie die Fluth in trüben Perlen auf dem schwarzen Fett hängen blieb – dabei wurde sie aber immer kecker und kecker, nahm jetzt den anderen Fuß, und dann diesen wieder, bis sie es endlich einmal versah, und sehr zum Ergötzen des schadenfrohen Gänsejungen zu tief trat, so daß das Wasser ihr den Strumpf netzte und in den Schuh lief. Ei, wie rasch hob sie da das kleine Bein, und rannte, dann und wann einmal stehen bleibend und den nassen Strumpf betrachtend, spornstreichs den schmuzigen Fahrweg entlang in die schmale Gasse, die zum Kaufmann führte.

Hier und da schaute ein mißmuthiges Gesicht aus den Fenstern der benachbarten Bauernhäuser heraus, und der Knecht, der sonst immer pfeifend neben seinem Geschirr herging, zog heute verdrossen und dicht in seinen alten grauen Regenmantel gewickelt, hinter dem Mistwagen her, während selbst die Pferde, dann und wann die Ohren schüttelnd, und nicht rechts noch links schauend, wie verdrießlich in den Deichselketten hingen, daß der schwergeladene Wagen nicht zu rasch den Abhang hier hinunter rolle, und ihnen etwa in die Hacken käme.

Aus den Scheunen tönte das monotone Dreschen herüber, immer trüber und trüber umzog sich der Himmel, und die ganze Natur sah aus, wie der Bauer in seinem Regenmantel.

Es war wieder an einem Sonnabend, und Hennig, froh endlich einmal der dunstigen Schulatmosphäre enthoben zu sein, ging in die Pfarre hinüber, wo er den Kindern Musik, und Sophien – o wie er sich die ganze lange Woche hindurch auf die eine selige Stunde freute – Zeichenstunde gab. Am letzten Sonnabend war ihm auch diese Freude, wenigstens zum großen Theil verbittert worden, denn der Fremde, Doctor Wahlert, der in der Pfarre wohnte, ging die ganze Stunde nicht aus dem Zimmer, und es kam ihm da gerade so vor, als sei ihm der Tag – der einzige Erholungstag der ganzen Woche, auf solche Art ganz schändlich und heimtückisch gestohlen worden. Heute konnte ihm das nicht widerfahren – Wahlert war gestern Abend erst fortgeritten, und kam keinesfalls vor der Zeichenstunde zurück, und Hennig hatte die Zeit kaum erwarten können, so daß er eine volle halbe Stunde – sehr zum Entsetzen der »jungen Pastors,« die gar noch nicht an's Clavier dachten, hinüber in die Pfarre ging.

Dort war aber erst gestern Abend der frühere Diaconus Brauer, jetzt Pastor zu Kloneck, eingetroffen, um mehreres mit seinem Collegen, dem Pastor Scheidler zu bereden, und es schien fast, als ob ihm auch heute die liebste Stunde geraubt werden sollte; als Vorbedeutung wurde wenigstens – und wie lachten die »junge Pastors« – die Clavierstunde ausgesetzt. Als sich jedoch Hennig, um die Unterredung nicht zu stören, wieder entfernen wollte, bat ihn Pastor Scheidler, zu bleiben, da sie Manches mit einander zu besprechen hätten.

»Manches zu besprechen? Lieber Gott,« dachte Hennig – »die alte Geschichte; wenn sich ein Pastor dazu herabläßt, mit dem Schulmeister etwas zu besprechen, so bedeutet das gewöhnlich weiter gar nichts, als er will ihm wieder einmal den Text lesen – und das nennt er nachher besprechen.« Hennig hatte sich auch nicht geirrt, die Kinder waren noch nicht einmal hinaus, als Pastor Scheidler, der Hennig gewinkt hatte, einen Stuhl zu nehmen, anfing, ein paar Mal im Zimmer auf und ab zu gehen – ein sicheres Zeichen, daß irgend ein Sturm im Anzug sei – dann nach einigen Hm's und mehrmaligem Räuspern zum Tisch trat, und ein Zeitungsblatt – die Probenummer eines neu zu erscheinenden Blattes, »die Leuchte« in die Hand nahm.

Hennig lächelte, denn er wußte jetzt Wort für Wort, was kommen würde, wunderte sich aber doch darüber, den Pastor einer solchen Sache wegen so ernst zu finden.

»Lieber Hennig,« nahm Pastor Scheidler nach einigem Zögern und einem, scharf auf den Lehrer gerichteten Blick, das Wort – »Sind Sie wirklich der Redacteur dieses Blattes, das vom ersten Januar 1849 an regelmäßig erscheinen, und die hier vorn angegebene Tendenz verfolgen soll?«

»Allerdings, Herr Pastor,« erwiederte ihm Hennig, »und mit Gott hoff' ich, zum Nutzen und zur Aufklärung der Menschen recht viel Gutes damit zu wirken.«

»Ich dächte, Sie hätten sich immer beklagt, daß Ihnen so wenig Zeit zu Ihren Studien bliebe?« frug mit etwas bitterem Ton der Geistliche – »hiernach scheint es doch fast, als ob Sie weit mehr Zeit hätten, als ein Lehrer, der eine schon übergesetzliche Zahl von Kindern zu unterrichten hat, haben sollte.«

»Lieber Herr Pastor,« antwortete ihm Hennig mit wehmüthigem Lächeln – »das Gesetz verstattet aber auch in seiner grenzenlosen Milde dem Lehrer neun bis zehn volle Stunden Schlaf und Ruhe, und von denen, die doch mein Eigenthum sind, benutze ich drei an jedem Abend zu solchen Arbeiten, die meinem Geist eine angemessene Beschäftigung gewähren, meinen Gefühlen und Gesinnungen entsprechen, und mir zu gleicher Zeit eine, ich kann wohl sagen nöthige Unterstützung geben sollen, ohne die ich am Ende nicht einmal auskommen könnte.«

»Nicht auskommen könnte, lieber Hennig?« frug der Diaconus erstaunt; »wenn ich nicht irre, haben Sie fast den doppelten Gehalt jetzt, den Sie damals, als ich in Horneck noch Diaconus war, hatten? – davon sollten Sie doch leben können.«

»Ja, – wenn ich den armen alten Kleinholz dabei verhungern lassen will,« sagte Hennig ruhig.

»Verhungern?« rief aber jetzt Pastor Scheidler auffahrend – »Herr Hennig, in meinem Dorfe ist noch nie ein Mensch verhungert – am wenigsten der Schullehrer, und es klingt – Sie nehmen mir das nicht übel, wenn ich aufrichtig zu Ihnen spreche – fast ein wenig – wie soll ich denn gleich sagen – ein wenig – anmaßend von Ihnen, zu thun, als ob Sie allein der Erhalter des alten Kleinholz wären. Bekommt er nicht etwa regelmäßig seinen Gehalt als emeritirter Lehrer? – Wir müssen Alle sehen, daß wir ordentlich und ehrlich durch die Welt kommen, es thut aber auch ein Jeder, was in seinen Kräften steht, mein guter Hennig, ein Jeder.«

»Herr Pastor,« erwiederte Hennig ruhig – »dürfte ich Sie wohl fragen, wie viel Ihr jährliches Einkommen beträgt? – bitte, beantworten Sie mir das.«

»Das ist eine sehr merkwürdige und hier gar nicht her gehörende Frage,« sagte Pastor Scheidler, durch den Absprung aber doch etwas außer Fassung gebracht.

Pastor Brauer schüttelte mit dem Kopfe, erwiederte aber gar nichts.

»Sie könnten mir aber doch, wenn ich Sie darum bitte, die Frage beantworten,« beharrte Hennig.

»Es kommt ja hier gar nicht auf hohen oder geringen Gehalt an, lieber Hennig,« eilte hier der frühere Diaconus dem bedrängten Collegen zu Hülfe – »lassen wir das – dieß neue Blatt war es ja wohl, weshalb Herr Pastor Scheidler mit Ihnen zu sprechen wünschte.«

»Bitte, lassen Sie mich, Herr Pastor,« sagte ruhig der Lehrer – »es ist besser, wir machen erst die eine Frage ab, sie hilft mir zugleich zur Erledigung der zweiten – Sie, Herr Pastor Scheidler, haben circa zwölf bis vierzehnhundert Thaler Gehalt, und sagen dabei, wir müssen Alle sehen, daß wir ordentlich und ehrlich durch die Welt kommen – und der alte Kleinholz – großer allmächtiger Gott, mit funfzig Thalern, die Sie, Herr Pastor, alle vierzehn Tage beziehen, soll der arme unglückselige Greis das ganze Jahr mit seinen sieben Kindern auskommen. Ist das möglich.«

»Sie vergessen, daß ich selbst um Zulage für ihn eingekommen bin,« entgegnete ihm, die indirecte Anklage parirend, der Pastor – »ich habe meinen ganzen Einfluß angewandt, es durchzusetzen.« (Er hatte eine ganz gewöhnliche Eingabe gemacht, da er nur kurz vorher ein dringendes Gesuch an das Ministerium, einem Neffen zu Liebe gestellt, und doch nicht gleich zweimal hinter einander mit dringenden Bitten kommen wollte.)

»Gebe Gott, daß jenes Gesuch erfolgreich sei,« sagte Hennig seufzend – »sonst kommt es zu spät.«

»Ist Kleinholz so krank?« frug Brauer besorgt – »ich will doch nachher einmal hinüber gehen.«

»Sie werden ihm viele Freude damit machen,« sagte Hennig – »er spricht viel und gern von Ihnen – Sie waren sonst immer so freundlich gegen ihn.«

»Also nur um ihr Einkommen zu vergrößern, haben Sie die Redaction dieses Blattes übernommen?« frug, auf den ersten Punkt jetzt wieder zurückkommend, der Pastor Scheidler – »ist dem so?«

»Nein,« erwiederte ihm Hennig kopfschüttelnd, »dem ist nicht so, Herr Pastor – nicht allein des Geldes wegen, wenn auch, Gott sei es geklagt, ein armer Dorfschulmeister der Letzte sein sollte, der von Geld verächtlich spräche – bin ich dazu gekommen, mir die Zeit am Schlaf abzusparen, und als Schriftsteller mit meinen geringen Kräften in die Welt zu treten – das Bedürfniß war es, über das, was mir so heiß und heilig am Herzen lag, über die Schulreform, über das Verhältniß der Schullehrer zu einander, über das, was den Kindern nützt oder schadet, und in dieser verschiedenen Wirkung Einfluß auf ihr ganzes künftiges Leben ausübt, mich einmal so recht tüchtig und gründlich aussprechen zu können. Die sächsische Schulzeitung verfolgt denselben Zweck, ist aber in unserem Ländchen viel zu wenig gelesen, und mein kleines Blatt dringt da vielleicht als helle, trostbringende Leuchte in manches arme düstere Lehrerherz, und ruft es mit auf zum heiligen Kampf für Wahrheit, Licht und – Gerechtigkeit. Selbst die gutgesinnten Geistlichen werden uns darin nicht entgegen sein, denn ihnen ist sicherlich mehr daran gelegen, gute, freudig wirkende und eifrige Schullehrer zur Seite zu haben, die mit ihnen Hand in Hand an dem schönen Werke der Volkserziehung arbeiten, als Menschen zu beaufsichtigen, denen man nur mittelbar das Stundenhalten anvertraute, die aber, wie das Gesetz angenommen zu haben scheint, fortwährend unter strenger Controle gehalten sein wollen, um nur nicht lässig und faul in ihrem Dienst zu werden.«

»Dann rechnen Sie mich also nicht mit zu den gutgesinnten Geistlichen,« sagte Herr Pastor Scheidler, und zog die Brauen, den Lehrer scharf dabei ansehend, hoch herauf.

»Herr Pastor!« rief dieser –

»Nein, nein, nein, nein, Herr Hennig, nein und nochmals nein,« sagte der geistliche Herr, sich mehr und mehr ereifernd, »ich muß Ihnen, da wir endlich einmal auf das Kapitel gekommen sind, auch meine Meinung, wie sich das gehört, frisch und frei heraussagen. Im Anfang, und im Beginn der politischen Bewegung – oder nennen wir es lieber mit dem richtigen Namen – des Aufruhrs in Deutschland, mochte ich diesem Emancipationsstreben nicht so schroff entgegentreten, die Gemüther waren überdieß aufgeregt, und ich hielt es nicht für gut, solche Stimmung noch mehr zu reizen, jetzt aber hat das Wühlen, denn das allein ist der richtige Ausdruck dafür, lange genug gewährt, und ich bin nicht gesonnen, es länger selbst unter meinen Augen zu dulden!«

»Herr Pastor?« sagte Hennig erstaunt.

»Nein, nicht zu dulden, Herr!« fuhr aber der Geistliche, der jetzt das lang gesuchte Bett für die Stromflut seines Zornes gefunden – eifrig fort – »Was müssen die anderen Geistlichen, was müssen meine Collegen denken, wenn hier, ich möchte sagen, in meinem eigenen Hause, die Waffen geschmiedet würden, mit denen man sie – und warum denn überhaupt auch nur sie, nein auch mich selbst, eben so gut mich selbst – fortwährend angreift und bekämpft. Ich sage Ihnen noch einmal, Herr Hennig – treiben Sie mich nicht zum Aeußersten – ich kann Ihnen allerdings, unseren jetzigen liebenswürdigen Gesetzen nach – die Herausgabe eines solchen Blattes nicht officiell verbieten – und werde das auch nicht – geben Sie es aber doch heraus, achten Sie das, was ich darüber denke, so gering, und wollen Sie der ganzen Geistlichkeit, und also auch mir feindlich gegenüberstehen, so messen Sie sich auch die Folgen bei, die das für Sie haben würde. Noch sind wir die Herren – noch gelten unsere Berichte, und die Schlußfolge können Sie sich selber daraus ziehen. – Ich hoffe aber,« fuhr er nach ziemlich langer Pause, in der keiner der übrigen Männer ein Wort erwiederte, etwas ruhiger fort – »daß Sie über das oben Gesagte – über Ihre Stellung, etwas nachdenken werden. Ich will Ihnen wohl, Hennig, ich dächte sogar, ich hätte Ihnen das schon mehr als einmal bewiesen. Hab' ich Sie z. B. je in der Schule belästigt, ist die nicht allein Ihrem Wirken und Fleiße überlassen? – Was Anderen geschieht, geht Sie aber Nichts an, um das mögen sich auch Andere kümmern. Und das alte Verhältniß ändern? – Lieber Hennig, glauben Sie nur, ich habe darin mehrfache Erfahrung, und sehe vielleicht weiter in die Weltgeschichte hinein, als Sie glauben möchten – die Umsturzpartei hätte das vielleicht gekonnt, sie hatte wenigstens das Heft in Händen; jetzt aber ist es zu spät – mit dem Bade schütteten sie das Kind heraus, die ganze Welt traten sie auf den Fuß, und wollten sich dann nicht einmal entschuldigen; nun – stehen wir aber wieder fester, als wir, möcht' ich fast sagen, vorher gestanden haben. Also überlegen Sie sich das, lieber Hennig – denken Sie an das Gleichniß mit der Mauer – ein Kopf ist viel welcher als eine Mauer, und ein vernünftiger Mann darf nichts Unmögliches versuchen wollen.«

 

Er nickte dem Schullehrer freundlich zu, und verließ das Zimmer – als ihm Hennig wie träumend nachschaute, bemerkte er erst, daß Sophie Scheidler indessen ebenfalls eingetreten war; sie stand am Fenster, und ihr Blick, der mit stiller Theilnahme auf ihm, dem armen Schullehrer haftete, begegnete dem seinen, senkte sich aber dann auch schnell – er glaubte scheu – zu Boden nieder.

Hennig stützte den Kopf in die Hand, und sah lange still und sinnend vor sich nieder.

»Hennig« sagte da Pastor Brauer und ergriff des Freundes Hand – »Sie wissen, daß ich in früherer Zeit in gar manchen Sachen Ihre Meinung getheilt habe.«

»In früherer Zeit?« frug Hennig erstaunt und blickte zu dem Manne auf – »haben Sie sich da verändert, oder ich mich, daß das nicht mehr der Fall sein sollte?«

»Wir sind noch hoffentlich Beide die Alten geblieben« lächelte da Brauer, »aber die – Zeiten haben sich geändert – in der Welt selber ist vieles Anders – manches schlechter geworden, als es früher war, und dem Menschen ward deshalb der überlegene Geist gegeben, daß er nicht schroff und blind seine einmal begonnene Bahn fortgehe, sondern überlege, prüfe, forsche, und dann erst wie er es am Besten erfunden, handele, Sie wissen ich bin der Lehreremancipation nicht entgegen gewesen.«

»Und sind es auch hoffentlich noch nicht« rief Hennig in erschrecktem, fast bittenden Ton – »es wäre hart gerade jetzt im schwersten Kampf einen solchen Freund zu verlieren.«

»Ich bin es noch nicht« bestätigte Pastor Brauer, »aber doch auch nicht in so ausgedehntem Maaße, wie Sie vielleicht zu vermuthen scheinen. Der Lehrer muß in seinem Einkommen, in allem, was seine pecuniären Verhältnisse betrifft, unbedingt besser gestellt und ferner befreit werden von den lästigen Küster- und Glöcknerdiensten, deren Ertrag er dann auch nicht, wenn ihm sein Gehalt erst vom Staat ausgezahlt wird, zu vermissen braucht – was aber die Inspection des Geistlichen betrifft, lieber Hennig, da weiß ich doch nicht, ob es nicht – in den meisten Fällen natürlich nur, denn eine Ausnahme davon sind Sie zum Beispiel – nicht doch besser wäre, wenn es –«

»Eben beim Alten bliebe –« ergänzte Hennig monoton, und schaute voll und klar zu dem Geistlichen auf.

»Nun Gott ja, wenn Sie's so, –« sagte etwas verlegen lächelnd, Brauer, während er mit dem Frühstücksmesser spielte, und auf dem Teller einzelne kleine Brodkrummen zu zerschneiden suchte, »wenn auch das Wort, ›beim Alten lassen‹ im letzten Jahre etwas verpönt geworden ist. – Ich will übrigens gar nicht, daß es ganz beim Alten gelassen werden soll, der Herr Pastor Scheidler hat Ihnen früher schon selber einen trefflichen Vorschlag, gründliche Reform betreffend gemacht, und wenn Sie in einem Schulvorstand zur Majorität die Lehrer haben, dann, lieber Hennig, bin ich doch fest überzeugt, daß Sie sich nicht darüber beklagen dürfen und thäten Sie es doch, wären Sie ungerecht.«

»Uebrigens wird Ihnen nicht unbekannt sein« fuhr Pastor Brauer, als Hennig kein Wort darauf erwiederte, nach einem kurzen Stillschweigen fort, »daß sich mehrere Lehrerconferenzen schon ebenfalls in diesem Sinne ausgesprochen haben – Sie wissen ja sogar was die Hornecker darüber gesagt; die Lehrer selber sehen ein, daß sie wohlgesinntere Inspectoren kaum mehr unter ihren Collegen, als unter den Geistlichen zu hoffen haben. Die Schulmänner sind nicht selten – ich spreche hier von den alten starren Fachleuten – anmaßend und pedantisch, und würde Ihnen das, lieber Hennig, nicht weit peinlicher sein von Jemandem beaufsichtigt, überwacht zu werden, der mit Ihnen auf einer Stufe steht, der aus demselben Stand ist wie Sie selbst, und nur durch die Wahl einer, vielleicht sehr geringen Majorität zu ihrem Vorgesetzten gemacht wurde? – Der Geistliche kann auch am kräftigsten dahin wirken, bei seiner Gemeinde die Theilnahme für die Schule zu wecken und zu erhöhen. Wo sich der Geistliche die Liebe und Achtung seiner Kirchkinder erworben hat, gilt auch sein Wort viel, und leicht wird er dann dem Lehrer in die Hand arbeiten, den Lehrer schützen und stützen können gegen Unannehmlichkeiten und Aerger, und ihm ein treuer Freund und Hüter werden.«

»Ein Hüter – das war das richtige Wort« sagte Hennig rasch, aber mit einem recht wehmüthigen Ausdruck in den Zügen – »›auch Du mein Sohn Brutus‹ – sehen Sie Herr Pastor, das thut mir recht in der Seele weh, daß wir Beiden wenigstens nicht mehr so freudig Hand in Hand gehen können wie bisher. Die Zeiten haben sich nicht geändert – die Zeiten ändern sich nie – die Menschen nur sind es, die Menschen und ihre Ansichten, und es ist traurig, daß die stets durch ihre Verhältnisse bestimmt werden. Wäre das freilich nicht, so würden wir vollkommen sein. So wird, zum Beispiel die Religion noch gelehrt und gepredigt, wie sie vor sechs Monaten gelehrt und gepredigt wurde, der Pastor scheint sich aber in das gefügt zu haben, was den Diaconus als unerträglich drückte. Doch ich will hier nicht den alten Kampf gegen geistliche – nicht geistige Inspection beginnen, mein Ziel hab ich mir gesteckt, und dem streb' ich mit frohem Muthe entgegen. – Sagen Sie mir lieber, was Ihnen Herr Pastor Scheidler noch aufgetragen hat – ich bin bereit, es zu hören.«

»Aufgetragen?« frug Pastor Brauer leicht erröthend, »aufgetragen in der That Nichts, aber auch ich wollte Ihnen als alter Freund rathen, die Zeitung, wenigstens nicht in dem Sinne, wie es die Probenummer kündet erscheinen zu lassen. – Sie machen sich viele Feinde und richten dadurch wahrlich Nichts, weder für sich noch ihre Standesgenossen aus. Lassen Sie Geistliche und Lehrer vereint an die Reform der Schule gehn, dann werden Sie den wachsenden Baum schöne und herrliche Früchte tragen sehn, wollen Sie aber unbedingten Kampf, dann, guter Hennig, zerstören Sie gerade das, was Sie zu wecken wünschen.«

Pastor Brauer stand auf und schien im Begriff das Zimmer zu verlassen, Hennig aber ergriff seine Hand und sagte herzlich, aber dennoch mit einem leisen Vorwurf im Ton:

»Es gab eine Zeit, wo wir Beide Hand in Hand einem schönen Ziele entgegen strebten, wo wir als Freunde handelten, als Freunde dachten, und Gott wolle verhüten, daß die Zeit, die schöne Zeit vorüber sei. Hier aber handelt es sich um das Höchste was der Mensch in seinem Innern erkennen sollte – um seine Ueberzeugung – hier handelt es sich um das, wonach ich mit allen meinen schwachen Kräften getrachtet und gestrebt – hier handelt es sich allein noch darum, den Sieg gewinnen oder verzweifelnd jede Hoffnung aufgeben zu müssen – von einem Rücktritt kann da keine Rede sein. Ich sehe in der Selbstständigkeit des Lehrers die einzige Möglichkeit einer freien Entwickelung des Volks und in dieser wieder nur die Aussicht auf eine mögliche Selbstständigkeit desselben – sollten geknechtete Menschen im Stande sein Freie heranzubilden? Und ist der Lehrer etwa nicht geknechtet, liegt nicht jetzt sein freier Wille in der Hand des Geistlichen und duldet er nicht die schmählichste Knechtschaft durch die Nahrungssorgen, die seinen Geist niederbeugen müssen? Nein, wohl weiß ich, daß sich viele Lehrerconferenzen gegen die Trennung der Kirche von der Schule ausgesprochen haben, die armen verblendeten Menschen wissen aber nicht, daß sie sich den Stahl in das eigene Fleisch rennen – sie begreifen nicht, wie alle die Uebelstände, die sie jetzt aus einer Ueberwachung der Schulen durch Schullehrer selber entstehn zu sehn glauben, durch das Aufhören des Pastorzwanges auch in sich selbst zusammenstürzen müßten. Das aber spricht ebenfalls nur wieder mehr für mich, und ein Schritt weiter zurück, kündet uns auch hier die Ursache. Wie werden die Seminaristen schon, die doch einst Lehrer werden sollen, behandelt – wie erbärmlich ist meistens die Kost, mit der sie auf den autokratischen Willen des ›Hausmanns‹ angewiesen sind – wie gedrückt ihre Behandlung – das Alles muß anders werden, der Lehrerposten muß ein Ehrenposten werden im Staat, und daß er das werde, dahin geht mein Streben. Ueberzeugen Sie mich, daß ich den falschen Weg gehe und ich will umkehren, das, was Sie bis jetzt gesagt, überzeugt mich nicht.«