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Inselwelt. Erster Band. Indische Skizzen

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Nun, meinetwegen,“ setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, währenddem er zu seinem Erstaunen sah, wie die Canoes wirklich die Passage in offener See forcirten und dem drohenden Himmel und der trostlosen Aussicht auf Erfolg zum Trotz die Verfolgung noch nicht aufgegeben zu haben schienen, „wenn ihr's nicht besser haben wollt, so kann mir's recht sein; Nebenbuhler sind überdies gefährliche Gesellen,“ und an Deck hinunterspringend und die jetzt zurückbleibenden Canoes keines Blickes weiter würdigend, ging er wieder nach aft (hinten), dort die nöthigen Befehle zu geben, einen Theil der Segel wieder zu bergen und für ein doch mögliches Unwetter, das in diesen Breiten oft einen furchtbaren Charakter annehmen kann, wenigstens vorbereitet zu sein.

Die „Lucy Walker“ ließ die Insel, jetzt vor dem Wind laufend, rasch hinter sich, und vor ihnen war an dem, im Abendschein klar abgeschnittenen Horizont kein Land mehr sichtbar.

5

„Zum Teufel noch einmal, Legs,“ sagte Pfeife mit seiner feinen, quitschigen Stimme, als die eine Wacht ins Logis beordert war, rasch ihr Abendbrot einzunehmen, um an Deck bereit zu sein, wenn das Wetter die ganze Mannschaft oben verlangte, indem er an seinen indessen kalt gewordenen Bananen kaute, „das riecht mir schon seit einer Weile so verdammt brandig hier unten – hast du noch Nichts gemerkt?“

„Mir ist's auch schon so vorgekommen,“ rief der Schotte jetzt rasch, der in tödlicher Ungeduld wie auf Kohlen gestanden und nur nicht gewagt hatte, selber das erste Wort darüber zu sagen. Wäre er sich seines Verbrechens nicht bewußt gewesen, würde er gar nicht daran gedacht haben, in der ersten Entdeckung ein Zeichen zur Anklage zu finden; „weiß der Henker, wo's herkommt, aber es riecht versengt und wir lassen Spunt lieber einmal nachsehen.“

„Wo?“ frug Spunt, wie der Böttcher auf Wallfischfängern gewöhnlich genannt wird.

„Nun, hier unten in den Ecken, oder wenn da nichts ist, unter Deck,“ sagte Douglas ausweichend.

„Na, hier werdet Ihr doch wohl auch selber die Nasen in die unteren Koyen bringen können,“ knurrte der Böttcher, der eben an einer höchst wohlschmeckenden Schweinsrippe kaute, „Spunt – immer nur Spunt; Spunt muß bei Allem dabei sein und damit seid Ihr gleich fertig.“

„Alle an Deck!“ schrie da die gellende Stimme des Harpuniers, der zugleich mit einer aufgegriffenen Handspake auf die Logisluke schlug, seinen Worten größeren Nachdruck zu geben; „Alle an Deck da unten und reefen22, herauf mit Euch, herauf!“

„Mr. Mate!“ rief der Schotte jetzt, der zuerst die kleine schmale Leiter heraufsprang, während Legs und Pfeife indessen noch überall in den Ecken herumvisitirten und rochen, dem unverkennbar brandigen Duft auf die Spur zu kommen, „da unten –“

„Reefen!“ schrie ihn aber der Harpunier an, nicht gewohnt, irgend eine Einrede zu gestatten; „Reefen, hast du's gehört, tauber Schotte? – nach oben, wohin du gehörst, oder ich bring dich hinauf mein Bursche!“

„Da unten riechts –“

„Will er das Maul halten und gehorchen, wenn ich ihm etwas sage?“ rief aber der rauhe Geselle, die hingeworfene Handspeiche in zorniger Drohung wieder aufgreifend.

„Feuer ist irgendwo unten!“ knurrte aber der Schotte fest entschlossen, sich diesmal nicht einschüchtern zu lassen und das Hauptwort gleich vorrückend, den Officier über die Wichtigkeit der Einrede nicht in Zweifel zu lassen; „es riecht brandig und muß irgendwo brennen, und wenn ihr's wollt brennen lassen, kann's mir recht sein.“ Und damit, als ob er Alles gethan, was von ihm konnte verlangt werden, sprang er auf die Railing und lief, die Wanten fassend, an diesen hinauf, den gegebenen Befehl auszuführen.

„Wo brennt's?“ rief der Harpunier aber rasch, die Handspake niederwerfend, dem jetzt ebenfalls heraufkommenden Pfeife an; „was ist da wieder los? – was habt ihr da unten wieder angerichtet?“

„Wir?“ schrie Pfeife, den Officier erstaunt ansehend; „angerichtet? Unser angerichtetes Essen haben wir unten stehen lassen, um schnell herauf zu kommen.“

„Der schottische Dickkopf da oben sprach von Feuer,“ rief der Harpunier nach oben sehend; „na, komm du mir nur wieder herunter!“

„Ja, brandig riecht's unten,“ betätigte dies aber ebenfalls der Matrose, „und Spunt hat's jetzt auch herausbekommen und schniffelt in allen Koyen herum.“

„Er soll nachher einmal unter Deck nachsehn,“ sagte der Harpunier; „jetzt rasch nach oben, boys, legt euch aus, daß wir die Segel klein bekommen,“ und zu dem Clüverfall springend, warf er dieses selbst los, daß der schwere, lange Clüver in seinem Stag niederschnurrte, nachher bei mehr Muße auf dem Clüverbaum festgeschnürt zu werden.

Bis jetzt wehte nur noch erst eine steife Brise, die aber, wie schon gesagt, leicht in einem Sturm ausarten konnte, und Capitain Silwitch wollte sein Schiff keiner unnöthigen Gefahr aussetzen. Durch die dichtgereeften Segel wurde aber auch ein Fortgang gehemmt, und wenn sie auch noch rasch genug durchs Wasser liefen, die ihnen trotzdem hartnäckig folgenden Canoes, behielten sie doch, so lange nämlich die jetzt rasch einsetzende Nacht nicht ihren Schleier über das schäumende Meer warf, deutlich von Deck aus in Sicht.

Der Harpunier hatte indessen über dem ihm gemeldeten brandigen Geruch die seine ganze Thätigkeit in Anspruch nehmende Beschäftigung des Segelreefens vergessen, und Capitain Silwitch, der bis dahin an Deck geblieben war, das aufsteigende Wetter und dessen Stärke abzuwarten, wollte sich eben vor einem, in diesem Augenblick beginnenden tüchtigen Schauer froh vielleicht, einen Vorwand zu haben – in die Cajüte hinabziehn, als Spunt nach dem Quarterdeck hinter kam und mit abgezogener Mütze seinem Officier meldete, der Feuergeruch würde stärker, und es wäre nöthig, daß sie unten nachsähen.

„Was gibt's?“ rief Capitain Silwitch, schon auf der Cajütstreppe und noch mit dem Kopf über die Seitenrailing derselben schauend; „was will der Mann, Sir?“

„Die Leute wollen vorn einen brandigen Geruch bemerkt haben,“ rapporte der Harpunier, „Spunt mag wohl einmal nach unten gehen und nachsehen?“

„Einen brandigen Geruch? – wo?“ rief der Capitain, rasch wieder an Deck springend, denn mit Feuer an Bord eines Schiffes ist nicht zu spaßen. „Damn it,, mir ist's auch schon vorher einmal so vorgekommen. Reißt die Luken auf, Böttcher, rasch, und seht nach; das hättet Ihr schon lange thun können.“

Der Böttcher ging schnell zurück, von wo er gekommen, den Befehl auszuführen, als ihm auch schon der Ruf von mehreren Stimmen „Feuer! Feuer!“ entgegen schallte, unter dem Luckendeckel hervor hatte Lemon, von oben herunter kommend, den feinen blauen Rauch herausquellen sehen, und als er zusprang, mit Spunt zusammen die eine Hälfte des Deckels abzuheben, schlug ihnen der dicke, schwere Qualm in furchtbarer Wirklichkeit entgegen.

„Feuer!“ gellte der Angstschrei der Leute über Deck, „Feuer! Boote nieder – Boote in See – wir sind verloren!“

„Teufel!“ schrie der Capitain, in grimmer Wuth das Deck stampfend; „Teufel – und gerade jetzt; so, hinunter Einer von euch, und seht, ob noch zu löschen ist – heda, Böttcher – Zimmermann!“

Die Leute schienen aber alle den Kopf dermaßen verloren zu haben, daß sie gar nicht wußten, wo angreifen, wo helfen, und nur der Schotte, dem laut lamentirenden Jonas einen Stoß in die Rippen gebend, sprang zum Rand der Luke, und suchte, mit den Füßen unten nach den Einschnitten an der mittleren Stütze fühlend, in den Rauch hinein seine Bahn. Aber auch er mußte es aufgeben, und den einen Arm emporwerfend, streckte er diesen, schon halb betäubt von dem Rauch, nach Hilfe aus, und wurde rasch wieder an Deck gezogen, während der Capitain und Harpunier jetzt den Luckendeckel wieder zuwarfen, das Feuer, vielleicht in dem furchtbaren selbsterzeugten Qualm zu ersticken.

Was da unten brannte, und wie das Feuer ausgekommen, war etwas, dem sie jetzt auch nicht einmal eine Vermuthung gönnen konnten.

„Wasser und Provisionen herbei!“ rief die Stentorstimme des Capitains über Deck durch den Lärm; „jede Bootsmannschaft ihr Boot so schnell als möglich verproviantirt und an Lanzen noch hinein was ihr habt. – Hier Mr. Fergusen,“ wandte er sich dann rasch an den ersten Harpunier, „sie besorgen die Instrumente in ihr Boot, Sextant, Compaß und Chronometer – haben sie nach dem Barometer gesehen, wie er steht?“

„Er ist wieder gestiegen.“

„Desto besser, ein Sturm jetzt und wir wären verloren.“

„Und glauben Sie nicht, daß wir das Schiff noch retten können?“ frug der Harpurnier, selbst mit wenig Hoffnung im Ton.

„Wie?“ entgegnete der Capitain eintönig, „ich begreife nicht, daß es so lange unentdeckt bleiben konnte – früher wäre Hilfe vielleicht möglich gewesen, was sollen wir jetzt thun?“

„Wenn man nur wenigstens wüßte, was brennt,“ sagte der Harpunier.

„Das Schlimmste, was brennen kann,“ erwiederte der Capitain, der seine Kaltblütigkeit wieder gewonnen, „das Öl, haben sie das nicht an dem Qualm gesehen?“

„Dann sind wir verloren!“ rief der Harpunier.

„Wir? – das Schiff. – Mit den Booten können wir leicht eine andere Insel erreichen.“

„Aber die Canoes hinter uns, – hätten wir nur die verdammte Dirne an Land gelassen.“

„Teufel, an die Canoes hätt' ich gar nicht mehr gedacht.“

„Wenn wir jetzt unsern Cours änderten,“ rief der Harpunier rasch, „es ist dunkel und in kurzer Zeit –“

„Wird die Flamme lichterloh hier am Deck emporleuchten – unsere einzige Hoffnung ist, ihnen vorher mit den Booten aus dem Wege zu kommen. So, rasch hinein – mit dem Seitenwind laufen wir dann ein Stück nach Norden hinauf und sind morgen Früh hoffentlich, wenn die Sonne aufgeht, aus Sicht.“

 

Die Mannschaft hatte indessen in wilder Hast Alles herbeigeschleppt, was an Provisionen aus der ihnen geöffneten und von dem Feuer noch nicht angegriffenen Proviantkammer zu erreichen war. Die kleinen, überdies immer bereiteten Wasserfässer für jedes Boot waren gefüllt und standen am Deck, jeden Augenblick hinuntergelassen zu werden, da man die oben in der Schwebe hängenden Boote, Unglück zu verhüten, nicht so schwer beladen durfte, ehe sie auf dem Wasser ruhten.

Der zweite Harpunier war indeß beordert, Munition und Gewehre aus der vordern Cajüte herbeizuschaffen, die Leute zu bewaffnen, und Capitain Silwitch sprang jetzt selber in seine Cajüte hinunter, die Gefangene herauf zu holen, ehe sich das Feuer dorthinein etwa die Bahn gebrochen hätte.

Vor allen Dingen seine Papiere und Geld zu sich steckend, für alle Fälle gerüstet zu sein, trat er zu Hua, die noch gebunden und regungslos in dem Sopha lehnte, auf das er sie gelegt.

„Mädchen, herauf mit dir!“ rief er ihr zu, nach ihren Armen fühlend, ihre Banden zu lösen. „Das Schiff brennt und wir müssen flüchten.“

„Hotuas Fluch hat dich getroffen,“ lachte aber die Jungfrau zornig auf, „seiner Rache bist du verfallen. Schon seit ich in deiner Macht bin, hab' ich den grimmen Feind gewittert, der in den Eingeweiden deines Schiffes wühlt – er ist von Minute zu Minute mächtiger geworden und da drinnen kannst du das fröhliche Knistern hören, wie er sich die Bahn gräbt ins Freie. Du bist verloren und der Sturm draußen läßt dir die Wahl jetzt zwischen Feuer und Wasser – zu verderben, wohin du dich wendest.“

„Noch nicht, mein Herz,“ lachte aber der Seemann in fester, trotziger Entschlossenheit, „so lange jene Canoes draußen in solchem Wetter leben können, brauchen wir auch in einem tüchtigen, regelrechten Boot nicht viel zu fürchten.“

„Canoes? – was für Canoes?“ frug Hua rasch aufhorchend.

„Es ist gut, mein Schatz,“ sagte der Seemann ausweichend, den das Wort schon gereute, das er gesprochen; „euere Fischercanoes mein' ich. Und nun komm!“ und ihre Banden mit einem Messer durchschneidend, führte er das Mädchen, die ihm jetzt willig folgte, an Deck hinauf. Der Rauch unten verstattete ihnen schon kaum noch das Athmen, während rasch die Nacht einbrach und ihren dunklen Schleier über das Meer legte.

Der erste Harpunier hatte indeß die Mannschaft in ihre verschiedenen Boote gewiesen, während er das eigene für sich und seine Leute wie für den Capitain mit seiner Gefangenen freibehielt, auch die Instrumente und einen Theil der Waffen da hineinstaute. Die übrigen sollten flott werden, so rasch sie könnten. An der Starbordseite hatte sich schon die Flamme durch das dünne Deck die Bahn gebrochen, und einmal nur erst ein wirkliches Luftloch für die Gluth geöffnet, und jeden Augenblick konnte dann das ganze Schiff in Flammen stehn. Die Boote blieben jetzt ihre einzige Rettung.

Als sie das Deck erreichten, schaute Hua rasch und spähend umher, und horchte in peinlicher Angst in die Nacht hinaus, aber nichts ließ sich weder erkennen noch hören und ihr nächster Blick, mit kalter Entschlossenheit nur einen Erfolg zur Flucht, sei diese so verzweifelt wie sie wolle, berechnend, musterte die Mannschaft der verschiedenen Boote erst und fiel dann auf das wild erregte Meer. Tief aufseufzend hob sich da ihre Brust, als sie das Trostlose eines jeden solchen Versuchs fühlte, und schaudernd wandte sie sich ab von dem Manne, der sie Allem entrissen, was ihr lieb und theuer war auf der Welt, und der sie jetzt umfaßte, sie wieder in das Boot zu heben, dem einen Element vertrauend, was das andere entfesselt bedrohte.

Ihr Fuß zögerte auch, als sie das Deck verlassen sollte; zog sie den Tod nicht solchem Leben vor? – Aber die Canoes? – das eine Wort, so unbestimmt und vague, hatte neue Hoffnungen in ihr geweckt. Wurden sie verfolgt, so lag Rettung im Bereich der Möglichkeit, denn ihre Landsleute sind berühmt selbst unter den kühnen Nachbargruppen im Bau trefflicher Canoes, mit denen sie hunderte von Meilen weit die See befahren und nicht selten sogar Stürmen trotzen.

„Komm, komm, mein Täubchen,“ mahnte sie aber der Engländer, ihr Sträuben fühlend, „du kennst die Gefahr nicht, der wir hier mit jeder Secunde Zögern ausgesetzt sind; an ein verwünschtes Faß Pulver unter Deck hab' ich bis jetzt noch gar nicht gedacht – über Bord Leute, über Bord in euere Boote, wenn euch euer Leben lieb ist!“ und das Mädchen auffassend, schwang er sich in demselben Moment über die Railing, als das Boot, von beiden Krahnen gesenkt, niederfiel auf das Wasser und noch von dem rasch die Fluth durchschneidenden Schiff den nachstürzenden Wellen immer wieder entführt wurde.

Lemon behauptete indeß das Ruder in all seiner sauertöpfigen Hartnäckigkeit, denn das Schiff mußte die Bahn halten, bis sämmtliche Boote frei waren. Eine Handspeiche neben sich, die er zuletzt in's Rad stecken wollte, es auf seiner Stelle zu halten, wenn er seinen Posten verlassen mußte, stand er mit unerschütterter Ruhe den jetzt aus mehren Stellen an Deck brechenden Krater unter sich beobachtend und anscheinend vollkommen gleichgiltig, daß Alle das Schiff verließen und ihn allein auf dem brennenden Sarg zurückließen. Rechts und links glitten schon die glücklich niedergelassenen Boote, mit ihren Segeln gesetzt, ab von dem seinem Geschick verfallenen Schiff, und nur noch das eigene hing unter den Krahnen.

Eine helle Flammensäule stieg in diesem Augenblick mit blendendem Strahl hoch auf in die Nacht; ein Theil des Decks war eingestürzt und die Gluth brach lodernd hinaus in's Freie.

„Nieder mit euch, nieder!“ schrie des Capitains Stimme über das Wasser, der mit dem eigenen Boot dicht im Fahrwasser seines Schiffes folgte; „nieder, oder ihr seid verloren!“

Der Schotte und Pfeife standen an den Tauen, vierten, auf den jetzt rasch gegebenen Befehl des Harpuniers, das Boot nieder, langseits dem Schiff und sprangen dann rasch hinein, Jonas und der ihm aus einem andern Boote beigegebene Legs mit Spunt, dem Böttcher, reichten ihnen die schon bereit liegenden kleinen Fässer mit Wasser und Proviant nach, und ihnen mit dem Harpunier folgend, war Lemon der letzte Mann an Bord.

„Komm von Bord, Sir!“ rief sein Officier, „schnell! um dein Leben!“

„Werdet doch wohl warten, bis ich komme?“ knurrte der sauertöpfische Gast in voller Ruhe, und die Handspeiche einschiebend und ein dort liegendes Fall darumschlagend, daß sie nicht wieder herausrutschen konnte, blieb er noch einen Moment stehen, das Deck kopfschüttelnd zu überschauen und stieg dann rasch an der Seite nieder, von halbwegs ab auf eine der thwarts oder Bootbänke springend. Das Boot hatte indeß seine Segel schon gesetzt, löste das Springtau und kam frei, und allein fort schoß der brennende Koloß, wie ein angeschossener Eber seine wilde unbewußte Bahn, die Todeswunde im Herzen, da er nicht mehr entfliehen konnte in toller, blindstürmender Wuth.

„Habt Acht auf eure Segel!“ rief ihnen der Capitain zu, der mit seinem rascheren Boot gerade an ihnen vorüberschoß, während die jetzt vollkommen ausgebrochene Gluth am Bord der armen „Lucy Walker“ einen hellen Schein über das Wasser warf und alle Gegenstände deutlich erkennen ließ; „das obere Fall da hat sich umgeschlagen.“

„Wirf es herüber, Jonas!“ rief der Harpunier, der den Steuerriemen in der Hand hielt, „wirf es herüber, Mann, aber rasch, denn das Segel faßt jetzt den Wind nicht genug, und wenn uns die nächste Welle erwischt, füllen wir – Pest und Tod – werft einen Theil der Ladung über Bord, wir gehen ja fast bis an den Rand im Wasser und sind verloren, wenn uns eine einzige Welle überwäscht.“

Jonas, überhaupt etwas ängstlicher Natur, und mit dem bösen Gewissen, Mitwisser der That zu sein, die sie Alle jetzt in Todesgefahr gebracht, stand zitternd von seinem Sitz auf, dem Befehl Folge zu leisten, während Andere noch unschlüssig zwischen den eingestauten Sachen wählten, was sie hinauswerfen sollten.

„Rasch, Leute, rasch, damn it, ihr steht da, als ob euch der Compaß gebrochen wäre; faßt zu!“

Ein schriller, jubelnder Schrei gellte in diesem Augenblick in so furchtbarer Wildheit über das Wasser, daß sich die Leute erschreckt danach wandten, und Jonas das schon gefaßte Tau seiner Hand wieder entgleiten ließ.

„Teufel!“ fluchte der Harpunier, „die Wilden!“ und in demselben Moment fast antwortete von dem vor ihnen dahinschießenden Boot des Capitains aus ein lauter, weit schallender Hilferuf Huas, dem herausfordernden Schlachtschrei ihrer Landsleute.

„Wahr' dein Segel, Mann, wahr' dein Segel!“ kreischte der Harpunier, als dieses, durch das verworfene Tau eingepreßt, den Wind nicht faßte und zu flappen anfing.

„Eure Riemen, Boys, eure Riemen!“ gellte die entsetzte Stimme des Harpuniers, als die ihnen folgende Welle drohend hinter ihnen dreinstürmte. Die Leute griffen auch fast mechanisch nach den Rudern – aber zu spät; hoch über ihnen stand die gläserne, von dem jetzt helllodernden Schiff noch grell beleuchtete See – wenige Secunden fast war es, als ob sie in der Luft, über der sicher gefaßten Beute hing und jetzt ein gellender Aufschrei und die Mannschaft des geschwemmten, überladenen Bootes, rang mit der schäumenden Fluth.

6

Durch die tanzenden Wogen, über die leuchtende quillende Fluth schossen die dunklen Canoes der Eingebornen, die Mattensegel geschwellt, heran, und im Bug des vordersten stand eine hohe, edle Gestalt mit wehendem Haar und Hüftentuch, die weite See mit dem Adlerblick überfliegend, wo ihn die stürzende Woge auf ihren Kamm hob und in jagender Schnelle voranriß.

Es war der junge Häuptling Tai manavachi, der dem Tod selbst trotzend, seine kleine Flotte dem frechen Räuber in Nacht und Wetter nachführte und verzweifelnd schon die trostlose Jagd hatte aufgeben wollen, als der Feuerschein des fremden Schiffes jubelnd von ihm entdeckt wurde. Auch auf den andern Canoes hatten sie schnell die Wahrheit des Unfalls ihrer Feinde begriffen, und der gellende Jubelruf, der Schlachtenschrei ihres Stammes, mit dem sie ihre Lanzen und Speere fester packten, war es, der das Blut des sonst wahrlich unerschrockenen jungen Engländers in den Adern gerinnen machte.

Hua aber hatte in jauchzender Seeligkeit die Nähe der Freunde gehört, und wenn auch der antwortende Schrei zu schwach war, gegen den Wind an die Retter zu erreichen, wußte sie doch nun, daß die Ihren, den Wogen trotzend, mit kühnem Muth ihren Spuren gefolgt waren, und die einzelnen Boote ihnen jetzt gar nicht mehr entgehen konnten.

„Ruhig, mein Täubchen, ruhig!“ warnte sie aber drohend der neben ihr stehende Capitain; „die Nacht ist dunkel und deine Stimme dringt doch nicht zu ihnen hinüber, aber auch der Gefahr wollen wir uns nicht aussetzen und – ich möchte dir kein Leides thun – aber wirst du noch einmal laut, so muß ich dich wieder binden und knebeln, so weh mir das selber thäte.“

Hua blickte wild und trotzig zu ihm empor, aber sie war auch schlau genug, nicht nutzlos den Zorn Derer zu reizen, in deren Gewalt sie sich noch befand, und kauerte von jetzt an still und schweigend im Boot, aber ihre Blicke forschten, die Sehkraft bis zum Schmerze angestrengt, in die Nacht hinaus, die Freunde zu entdecken.

Ein blendendes Licht breitete sich in dem Augenblicke über die See, und als sie rasch die Blicke dem brennenden Schiffe zuwandten, sahen sie einen hellen Strahl von seinem Deck emporschießen und ein dumpfer Krach verkündete die Explosion des Pulvers. Das Fäßchen hatte aber zu hoch unter Deck gelegen, dem Rumpf des Schiffes weiteren Schaden zu thun, als das Deck oben zu sprengen und den Besahnmast zu splittern, der jetzt in lichten Flammen einen Moment zur Seite schwankte, und dann schwerfällig und tausend und tausend Funken emporwerfend, über Bord in See schlug.

„Mein armes Schiff!“ seufzte der Capitain und blickte traurig herüber, da traf ein anderer Ton sein Ohr und „ein Schuß!“ rief fast die ganze Bootsmannschaft wie aus einem Munde.

„Ein Schuß!“ – Ein Schiff war in der Nähe, das ihre Noth erkannt, und das Signal gab zur Rettung – ein Schuß, und von Gefahr umringt, zeigte sich Hilfe. Der Schall kam aber vom Süden herauf, und sie mußten ihren Cours jetzt ändern, die Boote deshalb zusammenrufend – das Sinken des einen war in der Erregung des Augenblicks von den andern gar nicht bemerkt – legten sie rasch über den andern Bug, schräg von den Wellen abschneidend und konnten der Richtung, die ihnen jetzt ein zweiter und dann bald darauf folgender dritter Signalschuß angab, genau folgen. Einmal an Bord und die Canoes, denen sie bis dahin zu entgehen hofften, waren ihnen nicht mehr gefährlich.

Tai manavachi kam indeß mit geblähten Segeln und sieben vollbemannten großen Kriegscanoes durch die Wellen schäumend an; ein Brautzug hatte es werden sollen und war eine Jagd geworden auf den Räuber seines Theuersten, was er auf dieser Welt kannte, und wie die jetzt schon sehr gemäßigte, aber doch noch immer frische Brise mit den flatternden, wehenden Zierrathen am Bug der schlanken, wunderlich geschnitzten Fahrzeuge schlug und spielte, standen die wilden, trotzigen, kriegerischen Gestalten, hinaus in die Nacht spähend, am Bord, die geflüchteten Boote zu erkennen und zu verfolgen.

 

Ein Hilferuf traf ihr Ohr, neben ihnen im Wasser schrie sie ein Schwimmender an um Rettung, und treibende Ruder und Sitze verriethen ihnen rasch genug das Schicksal wenigstens eines der Boote. Einen ängstlich suchenden Blick warf der junge Häuptling umher – wenn gerade dies Boot – doch nein, sein Herz zog ihn weiter, und nur dem nächsten Canoe ein paar Worte zurufend, das rasch zur Seite schoß und seinen Bug gegen die nächsten Wellen anwarf, hier zu halten und die Verunglückten aufzunehmen, verfolgten die Rächer unaufgehalten ihre Bahn.

Da dröhnte auch zu ihnen der Krach des explodirenden Pulvers herüber, aber mehr als das, der helle, blitzähnliche Strahl verrieth ihnen die weiß leuchtenden Segel der Flüchtigen, und als gleich darauf die fernen Kanonenschläge irgend eines zufällig in die Nähe gekommenen Fahrzeugs an ihr Ohr schlugen, zuckte ein triumphirendes Lächeln über das Antlitz des jungen wilden Kriegers. Er kannte die Lage der Feinde, und daß sie jetzt hinüberhalten müßten, dem Schiffe zu, wo sich ihnen allein noch Rettung bot. Dorthin aber war er im Stande ihnen den Weg abzuschneiden und wußte sie jetzt in seiner Macht.

Capitain Silwitch hatte sich indessen wohl gescheut, den hellen Wasserstreifen zu durchfahren, den das jetzt bis in die Masten hinauf brennende Fahrzeug zwischen sich und seinen Verfolgern ließ, aber er durfte auch keine Zeit versäumen, denn der Feind mußte gewaltig schnelle und tüchtige Canoes haben, daß er es nur gewagt hatte, ihnen bis hier heraus zu folgen. So, auf ihre eigenen guten Boote vertrauend, hielten sie gerade nach Süden hinunter und einmal wieder weit genug von dem hellen Schein entfernt, hofften sie auch in der Dunkelheit der Nacht dem Feinde entgehen zu können.

Ein neuer Signalschuß des fremden Fahrzeugs, dessen Capitain den Booten die Stellung seines Schiffes zu zeigen wünschte, tönte schon um vieles näher, und Capitain Silwitch hätte jetzt gern ein Gewehr abgefeuert, dem ziemlich unter dem Wind befindlichen Fremden die Richtung anzudeuten, in der sie sich selbst befanden, mußte er nicht zugleich fürchten, dadurch auch den vielleicht nähergekommenen Verfolgern die Stelle zu verrathen.

Sein Boot, das größte Segel führend, war das erste, die andern vielleicht in zwei- und dreihundert Schritt Entfernung folgend, und Einer der Bootssteuerer war vorn in dem Bug postirt, scharf auszuschauen, ob er nicht vielleicht doch gegen den etwas helleren Horizont das jetzt keinesfalls so weit mehr entfernte Schiff entdecken könne.

„Hallo, Capitain!“ rief dieser plötzlich, „da vorn sah ich eben etwas Dunkles, als sich das Boot auf der Welle hob, es sah aus wie ein Boot.“

„Hab' Acht, wenn es wiederkommt,“ lautete die Antwort. Die nächste Woge, jetzt nicht mehr durch den Wind gepeitscht, aber noch immer in schwerer Dämmung, kam hinter ihnen drein, und rechts und links von dem Boot ihren zischenden, glühenden Schaum ausgießend, hob sie das schlanke Fahrzeug auf ihren Nacken über die nächsten Wellen. Ehe aber nur der Mann eine weitere Meldung machen konnte, schallte ein gellender Jubelruf, schrill und furchtbar an ihr Ohr, und:

„Hierher, hierher, Tangata Tonga!“ jauchzte die emporspringende Maid den Rettern entgegen. – „Hierher zu Hilfe!“ und die Arme emporschlagend, wollte sie sich eben in die schäumende See werfen, als Silwitch seinen linken Arm um sie schlang und die sich wild gegen ihn Sträubende festhielt und zu sich zog. Aber Tai manavachi hatte den Ruf gehört und erkannt, und während die Europäer in wilder Hast ihre Waffen aufgriffen und der Bug des Bootes, wie selber ein lebendiges Wesen, vor der Nähe des Feindes zurückscheuchend abfiel von seinem Cours, schoß auch das mächtige dunkle Canoe heran, und zwanzig drohende Gestalten, unter denen her jetzt die andern Canoes preßten und ihren antwortenden Jubelruf durch die Luft sandten, streckten die Arme aus, die Larbordseite des eingeholten Bootes zu fassen und zu halten. Durch die zerrissenen Wolken trat in diesem Augenblick die bleiche Mondessichel und warf ihr fahles silbernes Licht auf die wogende See.

„Ergib dich, Pagalangi, ergieb dich!“ schrie da der junge Häuptling, der die Gestalt der Geliebten in dessen Arm sich winden sah; „ergieb dich, denn ihr seid in meiner Hand!“

„Zurück! oder Hua ist eine Leiche!“ donnerte ihm aber des Weißen Ruf entgegen, der sein Messer aus der Scheide riß und es über dem Mädchen zuckte – er sah doch, daß hier Widerstand vergebens war, und wollte das letzte Mittel versuchen, sich und die Seinen vor Gefangenschaft oder Tod zu retten, dachte aber gar nicht daran, der armen, durch ihn verrathenen Maid ein Leides zu thun, und flüsterte ihr rasch und beruhigend in's Ohr:

„Fürchte dich nicht, Hua – dieser Arm sollte eher verdorren, ehe er dich träfe; und wenn sie mich tödteten, ich hätte keine Waffe für dich!“

„Fürchten?“ rief aber die Jungfrau, wild und zornig ihm in's Auge schauend; „fürchten? stoß zu, Pagalangi, wenn du Muth hast, aber du bist verloren. Hierher, Tai manavachi,!“ schrie sie dann in trotziger Kühnheit nach dem Geliebten hinüber; „hier ist der Räuber deiner Braut – triff ihn sicher und kehre dich nicht an mich!“

„Hua, Hua!“ rief aber der junge Häuptling, den Arm bittend und schützend gegen sie ausstreckend; „gib sie frei, Fremder, wirf das Messer von dir und deine Boote mögen ungehindert von mir jenes Schiff suchen – schädige ihr aber nur eine Locke ihres Hauptes, und zerreißen will ich dich auf langsamem Feuer!“

„Du sicherst mir unser Leben und unsere Freiheit?“ rief der Europäer.

„Ich geb' dir mein Wort!“ rief der Häuptling stolz, während die beiden Fahrzeuge jetzt rasch und schäumend neben einander hinschossen und die Matrosen ihre freilich von Seewasser durchnäßten Musketen und die gefährlicheren Wallfischlanzen aufgegriffen hatten, dem grimmen Feind im Nothfall trotzig die Stirn zu bieten.

„So geh', Hua!“ sagte Silwitch traurig, sie freigebend aus seinen Armen; „geh' und vergiß den Fremden, der dir weh that, weil er dich so unendlich liebte.“

Hua erwiderte keine Silbe, aber ihr Fuß stand auf dem Rand des Bootes und als der Bug des jetzt dicht an sie hinanschießenden Canoes rasch vorüberglitt, sprang sie mit kühnem Satz hinüber und in die Arme ihres aufjauchzenden Geliebten.

Fast über ihren Köpfen hin dröhnte in dem Augenblick der schmetternde Schlag eines Kanonenschusses und als sie überrascht emporschauten, war das fremde Schiff, dem das brennende Fahrzeug als Mark gedient, so nahe an sie herangekommen, daß das Canoe selbst seinen Bug herumwerfen mußte, nicht überfahren zu werden.

„Teufel!“ schrie Silwitch, ingrimmig mit dem Fuße stampfend, „so dicht am Ziel und doch zu spät!“ Aber in die Nacht hinein, rasch und plötzlich wie sie gekommen, verschwanden die Canoes. Höhnisch noch schlug ihr gellender Triumphschrei an sein Ohr, und Hua war auf immer für ihn verloren.

Das fremde Schiff, ein Bremer Wallfischfänger, braßte seine Segel back, als es die gesuchten Boote so dicht unter seinem Bug sah, Taue wurden übergeworfen, die Mannschaft aufzuholen und die Schiffbrüchigen sahen sich bald Alle an sicherem Bord. Nur ein Boot fehlte noch; auf und ab kreuzte das Schiff, von Zeit zu Zeit noch einen Schuß feuernd nach dem vermißten Boot – umsonst. Bis Tagesanbruch hielt es auf der Stelle, und als die Sonne sich über den Horizont hob, wurden die Tops bemannt, von oben aus vielleicht etwas zu erspähen – es ließ sich Nichts erkennen. Nur in blauer Ferne lag das Land, kein Boot, kein Segel war weiter am Horizont zu sehen und mit scharfangebraßten Segeln, dicht am Wind, hielt das deutsche Schiff mit der geborgenen Mannschaft der „Lucy Walker“ nach Norden auf, den Sandwichs-Inseln zu.

22Segel verkürzen.