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Aus dem Matrosenleben

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Hans zuckte zusammen, als ob er schon einen Schlag empfangen hätte, und hielt einen Moment, wie unschlüssig was er thun solle, in seinen Bewegungen ein. – Was ihm aber auch für Gedanken im Kopfe herum gegangen waren, seine Vernunft siegte.

»Geduld – Geduld,« murmelte er leise, wie eine Art Beschwörungsformel vor sich hin, und griff eine andere, neben ihm liegende Mistgabel auf, um das den Pferden kurz vorher gegebene und jetzt umhergestreute Heu wieder zusammenzuschieben. Der Capitän mochte aber wohl die leise geflüsterten Worte gehört haben, denn er sprang rasch auf den Mann zu, faßte ihn am Kragen und rief wüthend:

»Was murmelt der Hund – willst du auch noch gegen mich knurren? Einen Muks noch, Canaille, und ich schlage dir den tückischen Schädel bis in den Kragen hinunter!« Und er riß bei den Worten dem, nicht den mindesten Widerstand Leistenden die Mistgabel aus der Hand und hob sie drohend, wie zum Schlag in die Höhe.

Hans sagte kein Wort, er drehte sich nur halb nach ihm um und sah ihm starr ins Gesicht – er war todtenbleich geworden, und das kranke Bein, auf dem er zu lange gestanden, fing ihn plötzlich so an zu schmerzen, daß er sich an dem nächsten Pfeiler halten mußte.

»Faule, schuftige Bande,« schrie jetzt der Capitän in fast trunkener Wuth, ohne jedoch zuzuschlagen, denn der Mann stand ihm, ohne eine Hand aufzuheben, gegenüber – »die das Brod nicht verdienen, was sie ihrem Herrgott abstehlen. Nun, zum Donnerwetter, was steht der Lump da und hat Maulaffen feil – Wird's bald, und kriegen die Pferde heute noch etwas zu saufen.«

Hans wandte sich um, als er aber auf sein Bein trat, knickte er zusammen und konnte sich nur mit Mühe aufrichten, suchte aber doch mit äußerster Anstrengung seinen Schmerz zu verbeißen. Er hatte dabei die Laterne umgestoßen, die neben ihm stand, nahm sie aber gleich wieder in die Höh und hing sie in einen dazu bestimmten Haken.

»Ungeschicktes Vieh,« sagte da der Capitän, und stieß ihm, noch während er damit beschäftigt war, den Stiel der Gabel gegen den Nacken.

»Capitän!« knirrschte aber auch in diesem Augenblick der Gemißhandelte zwischen den fest zusammengebissenen Zähnen hindurch – »ich habe meine Schuldigkeit, so viel in meinen Kräften stand, gethan, und keine Mißhandlung verdient!«

»Bestie!« schrie jetzt ordentlich jauchzend, daß er eine gegründete Ursache gegen einen Widersetzlichen hatte, der Capitän, und drehte die Gabel in der Hand um, daß er das schwere Eisen nach oben schwang – »willst du muksen?« und im nächsten Moment fuhr das Instrument sausend nach dem Kopfe des Matrosen – aber es traf nur den Pfosten, und während die Pferde wieder in wilder Scheu zurückschreckten und stampften, schlugen und an den Tauen rissen, griff eine eiserne Faust des Capitäns Kehle, und ein schwerer Schlag schmetterte ihn zu Boden.

Zehntes Capitel.
Die unterbrochene Execution

Eine Stunde etwa nach den im letzten Capitel beschriebenen Vorgängen lag der Capitän, mit Essigumschlägen über den Kopf, in seinem Bett in der Cajüte, und der deutsche Matrose Hans schwer in Eisen geschlossen in einer kleinen Art von Behälter des untersten Raumes dicht neben dem Steuer, zwischen zwei dort angebrachten eisernen Wasserreservoiren. Der Capitän hatte sich seine Bestrafung auf den andern Tag vorbehalten und wollte, wie er gemeint, ein exemplarisches Beispiel statuiren. – Er hatte mit dem ersten Mate eine lange Besprechung darüber gehabt.

Der Steward lag übrigens auch in seiner Koje, der Leib war ihm, wo ihn das Pferd gepackt gehabt, bös aufgeschwollen und er wimmerte und lamentirte vor Schmerzen. Mit Jack ging es ebenfalls nicht besser – er hatte den Abend wieder starkes Fieber und konnte nicht an Aufstehen denken. Des Capitäns Wache war dadurch so eingeschmolzen daß der Koch mit dazu genommen werden mußte, obgleich er sich keineswegs, wie er sich ausdrückte, ein »Vergnügen daraus mache.«

Es herrschte übrigens ein dumpfes Schweigen unter der Mannschaft. Hans war seines stillen anspruchslosen Wesens wegen von Allen gern gesehen; dabei gab es keinen tüchtigeren Matrosen an Bord als ihn, und François' Erzählung, der ja Zeuge des Vorfalls im unteren Raum gewesen, diente gerade nicht dazu sie gegen den Capitän günstiger zu stimmen. Nichts destoweniger hatte er Hand an seinen Vorgesetzten gelegt, und die angeborene, fast möchte ich sagen Scheu, die in dieser Hinsicht in den Leuten steckte, ließ sie auch von seiner Bestrafung – wie er immer gereizt gewesen sein mochte – als von einer Sache sprechen die sich von selbst verstände, und durch Nichts geändert werden könne.

»Der Teufel muß heute in Hans gefahren sein« meinte Jack, als die Leute nach eben eingenommenem Abendessen noch auf ihren Kisten, und um die hölzernen Schüsseln herum, im Logis saßen, »das hätt' ich ihm gar nicht zugetraut, daß er so hitzig werden könnte.«

»Ich hab' Dir's gestern wohl gesagt« lachte Bill – »s'ist mir schon ein paar Mal so vorgekommen, als ob der kleine dutchman vom richtigen Stoff wäre und nur einen mittelmäßigen Stahl brauche vortreffliches Feuer zu geben. Schade daß er den alten betrunkenen Schuft nicht gleich todtgeschlagen hat, dann wären wir ihn auf einmal los« – er sah sich dabei um, ob ihn auch der Zimmermann nicht gehört habe, doch der war schon an Deck.

»Schade für uns, aber nicht für ihn« meinte Jean nachdenkend – »dem armen Teufel wird's so schlecht genug gehen. – Ich möchte morgen früh nicht in seiner Haut stecken.«

»Sie können ihm doch weiter nichts thun als daß sie ihn in Eisen lassen,« sagte Carl rasch, »das ist für jetzt Strafe genug, und nachher mögen sie ihn den Gerichten übergeben. Auf dem festen Land wird er nicht so schwer abkommen wie an Bord.«

»Das kommt aufs Wetter an« meinte Bill trocken, und schob sich ein tüchtiges Primchen in den Mund, den er sich vorher mit einem halben Kumpen Thee ausgespült hatte.

»Auf's Wetter?« sagte Bob – »wie soll das auf's Wetter ankommen – wohl die Laune vom Alten.«

»Ich meine das Wetter,« behauptete Bill – »nach Recht und Gesetz weiß ich nicht einmal ob er ihn schlagen kann. Wird aber das Wetter morgen unbeständig, und es sieht heute gerade so aus als ob wir vor dem alten miserabeln Riffnest Gott weiß wie lange herumkreuzen müssten, dann kann ihn der Alte, so schwach wie wir jetzt bemannt sind, gar nicht in Eisen lassen, oder er muß erwarten daß ihm einmal über Nacht ein Viertel Dutzend Masten über Bord gehen. Nachher heißts »wieder auf Deck« und daß er ihn dann nicht so ohne alle Strafe frei herum laufen läßt, ich dächte dazu kenntet Ihr doch unseren Alten ein klein Bischen zu gut.«

»Er darf ihn doch nicht schlagen lassen!« rief Carl entrüstet.

»Darf nicht?« lächelte Bill verächtlich – »ich möchte sehen wer ihn daran verhindern wollte. – Wenn wir's thäten, wär's weiter nichts als »Seeräuberei« von unserer Seite – »Rebellion und Aufruhr« und wie die schönen Worte sonst noch alle heißen, nach denen man eines ehrlichen Menschen Hals so lang zieht, daß er bis an die nächste Raanocke reicht. Und wollte ihn Hans nachher verklagen wenn wir an Land kommen, so möchte ich drei Monat Lohn gegen einen Priem Taback wetten, daß der Capitän Recht bekommt und der Kläger, – wenn sie ihn nicht gar noch einmal einstecken – höchstens den Verweis bekommt, sich in Zukunft besser zu betragen. Das nennen sie nachher Gerechtigkeit.«

»Ich hebe keine Hand gegen ihn auf,« betheuerte Carl, »wenn sie mich krumm und lahm schließen lassen.«

»Wirst du auch gar nicht 'zu kommen,« meinte Bill – »das ist des Bootsmanns Sache, und da »Spahn« jetzt überhaupt hier an Bord den Bootsmann spielt, so wird der also auch wohl die kleinen Nebengeschäfte zu besorgen haben. Doch hoffentlich bekommen wir besser Wetter, und dann macht sich vielleicht noch Alles.«

»Ich glaube auch nicht daß ihn der Capitän wird wirklich peitschen lassen,« tröstete sich Jean, – »er mag wohl den Teufel im Kopf haben wenn er die »Tropfen« im Magen spürt – aber Morgens ist er ja sonst immer still und ruhig, und flucht nicht einmal besonders viel.«

»Trau du dem Morgens,« brummte Bob hier aus seiner Ecke vor, »ich hab' ihn einmal Morgens bei solchem Geschäft gesehen, und verlang es nicht wieder.«

Bob war, außer Hans, der einzige von der ganzen Mannschaft, der schon früher einmal eine Reise mit dem Capitän in ein und demselben Schiffe gemacht; aber man hatte ihn bis jetzt nie dazu bringen können auch nur das mindeste darüber zu erzählen. Desto gespannter drehten sich jetzt Alle gegen ihn um, weil sie glaubten er würde ihnen nun das, worauf er anspielte, zum Besten geben. Bob aber, der vielleicht fürchten mochte daß er dazu gedrängt würde, stand auf, zündete seine Pfeife an, und stieg auf Deck, und da der Zimmermann gleich nach ihm herunter kam, hörte jede weitere derartige Unterredung von selber auf.

Der Gefangene bekam von dem zweiten Mate Wasser und einen Schiffszwieback, auf des Capitäns Ordre hinuntergebracht – auf seine eigene fügte er aber ein Stück Fleisch und ein Fläschchen mit Rum bei, und sprach dem armen Teufel Muth ein: er solle nicht das Schlimmste glauben; es würde noch Alles gut gehen?«

»Gut gehen?« lachte Hans leise und bitter vor sich hin, nachdem er dem Mate, der mit der Laterne neben ihm stand, freundlich zugenickt – »gut gehn? – was der Capitän thun kann daß mir's schlecht geht, thut er gewiß, darauf könnt Ihr Euch verlassen, und er hat jetzt die Macht in Händen. – Das Blatt hat sich gewendet.«

»Das Blatt hat sich gewendet?« wiederholte der Mate verwundert – »wie meint Ihr das?«

»Oder es wendet sich vielleicht wollte ich sagen« erwiederte der Matrose und that einen kräftigen Zug aus der ihm dargereichten Flasche. – »Ich spreche schlechtes englisch Mate, und Ihr dürft bei mir die Worte nicht so auf die Wagschaale legen.«

»Donnerwetter Mann, Ihr sprecht heute Abend ein recht gutes Englisch, besser wie ich's noch je von Euch gehört habe – Ihr müßt schnell lernen.«

 

»Wenn man den ganzen Tag weiter Nichts hört,« meinte der Gefangene, »bleibt einem ein Bischen hängen, und andere Menschen lernen's ja, warum soll gerade mein Kopf von Holz sein.«

»Nun, laßt's Euch schmecken,« sagte der Mate, »und wenn Ihr das Fläschchen leer habt, steckt's hier in die Ecke, zwischen die beiden Balken hinein. Der Lump der Steward könnte wieder aufstehn und herunter kommen und wenn der's ausschnoperte, wüßte es der Capitän auch schon in den nächsten fünf Minuten.«

»Ist denn der Steward krank?« frug Hans erstaunt – »was fehlt ihm?«

»Alle Wetter, Ihr waret doch selbst mit unten und sollt ja das Pferd gerade auf ihn gehetzt haben, was ihn gebissen hat,« lachte der Mate leise.

»Oh, hat Ihn der Fuchs so derb gepackt gehabt« meinte Hans, kopfschüttelnd, »hm, hm – ja, Pferde beißen scharf, wenn sie einmal richtig zufassen – liegt er denn zu Bett?«

»Ja – aber ich kann jetzt auch nicht länger unten bleiben, ich habe die Wache an Deck, – also gute Nacht Hans« – und damit nahm er seine Laterne wieder in die Hand, und stieg die Leiter in die Höh, und Hans blieb im Dunkeln allein.

Am nächsten Morgen war der Wind ziemlich schläfrig geworden; das Schiff machte nur wenig Fortgang. Am vorigen Tag hatten sie dabei gar keine Observation bekommen, und auch heute verdunkelte sich gegen Mittag die Sonne. Der Logrechnung nach mußten sie allerdings dem südlichen Eingang der Riffe ziemlich nahe, d. h. fast auf einer Breite mit ihm sein. Wie aber der Wind jetzt stand, wäre es gefährlich gewesen zu nah an die Klippen anzulaufen, denn die Strömung setzte in dieser Jahreszeit stark dagegen. Befiel sie vor dem Eingang Windstille, so war die größte Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie gegen die Riffe getrieben werden mußten. Außerdem konnten sie dabei unter keiner Bedingung vor Anker gehen – mit ihrer längsten Lothleine hätten sie, dicht vor den Riffen, keinen Grund gefunden.

Der Morgen war so vorüber gegangen, ohne daß der Capitän auch nur ein Wort über den Gefangenen erwähnt hätte. Erst mit sechs Glasen (drei Uhr) gab er dem zweiten Mate den Befehl Hans an Deck zu bringen. In Süd-Westen stieg eine dichte Wolkenschicht auf, und es war jede Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie eine häßliche Nacht bekommen würden.

Hans war todtenbleich als er das Deck erreichte, aber vollkommen ruhig. – Er stieg durch die hintere Luke vor dem Mate die Zwischendeckstreppe hinauf, und blieb, auf ein Zeichen desselben, an der Nagelbank des großen Mastes stehen. – Hier aber, ob ihn sein Bein vielleicht noch schmerzte, oder er sich durch die Aufregung, in der er sich jedenfalls befand, erschöpft fühlte, aber er lehnte sich halb auf das neben ihm stehende Fleischfaß, und erwartete dort die Ankunft des Capitäns, der gleich darauf über das Quarterdeck herüber auf ihn zu kam.

Capitän Oilytt sah gerade das Gegentheil von Hans aus – er war glühend roth im Gesicht, und über der Stirn saß ihm ein breites und langes schwarzes Pflaster. Es war dieselbe Stelle, auf die ihn der jetzt in Eisen Geschlossene gestern getroffen. Seine Augen hafteten aber nur für kurze Zeit auf dem Gefangenen, der seinem Blick fest begegnete – er schaute unruhig über sein Schiff hinweg, nach den Segeln hinauf, nach den Wolken hinüber und befahl dann dem zweiten Mate mit heiserer fast nur halblauter Stimme all hands on deck zu rufen und aufs Quarterdeck zu bringen.

Die Leute kamen still und schweigend an und sammelten sich um Hans, Keiner aber, außer dem Zimmermann, ohne ihm nicht halb verstohlen und freundlich zuzunicken.

Um des Gefangenen Züge spielte ein leises schmerzliches Lächeln, – aber sein Blick suchte wieder die im Süd-Westen aufsteigenden Wolken, die er in den letzten Minuten schon aufmerksam betrachtet hatte. Wie unruhig schaute er dann nach dem Oberbramsegel hinauf. Bill, der neben ihm stand hatte den Blick gesehen und sagte leise:

»Du hast recht Hans, wir kriegen heut Abend faul Wetter und wenn der Alte nicht bald Segel« –

Des Capitäns Stimme unterbrach ihn hier. – Dieser war bis dicht an die dünne eiserne Railing getreten, die das Quarterdeck, das halb aus dem unteren Raum emporragte, von dem Mitteldeck trennte, und redete jetzt die Mannschaft mit lauter aber doch nicht fest klingender Stimme an:

»Leute – wie Ihr wohl wissen werdet, so hat gestern der deutsche Matrose da – könnt Ihr nicht aufrecht stehn, Sir, wenn man zu Euch spricht? – heh?« – Hans versuchte sich aufzurichten, mußte sich aber immer noch festhalten und suchte sich jetzt mit dem gesunden Beine gegen das Faß zu stützen.

»Sein Bein thut ihm noch weh,« sagte der zweite Mate leise zum Capitän, hinter dem er stand. –

»Sein Bein soll verdammt sein,« erwiederte dieser barsch und laut, »übrigens hab ich Euch nicht gefragt Sir, daß Ihr Euch hier das Wort erlaubt.« –

»Ich meinte nur.«

»Ihr habt Nichts zu meinen, Ruhe Sir – Gott verdamme mich, ich will Ordnung hier an Bord haben, oder mit Schiff und Mannschaft zu Grunde gehn – und Gnade Gott allen denen, über die ich vorher noch weg muß. – Also wie ich Euch sagte, Leute, so hat gestern der deutsche Matrose, sich erst im Raum unten, als ich ihn wegen Unordnung und Liederlichkeit zurecht wieß, mit Worten gegen mich vergangen, und zuletzt sogar einen mörderischen Angriff auf mich gewagt, bei dem er mich, von der Dunkelheit des unteren Raumes und der Lokalität begünstigt, mit irgend einem schweren Instrument oder Gegenstand vor den Kopf traf und zu Boden warf.«

»Ich hätte meinen Hals verwettet,« flüsterte Bill dem neben ihm stehenden Jean zu, »daß er's akkurat so herausbringen würde. – Ein Advokat hätt's nicht besser machen können.«

»Dem Gesetz nach könnte ich ihn nun bis Indien« – fuhr der Capitän fort, »schwer geschlossen im unteren Raume lassen. Da wir aber überdies schwach bemannt und einige von uns noch dazu krank sind, so dürfte ich das jetzt kaum mit der Sicherheit des Schiffes verantworten können. Ganz ohne Strafe soll er aber natürlich, bis ich ihn in Calcutta den Gerichten übergeben kann, nicht wegkommen, und der Bootsmann wird ihm deshalb hier vor Euren Augen funfzig Hiebe aufzählen – als Warnung für jeden Einzelnen unter Euch für die Zukunft. Ihr habt mir in Sydney Aerger und Kosten genug gemacht, und ich will mir hier an Bord wenigstens nicht länger von Euch auf der Nase herumspielen lassen, oder mich gar Euren mörderischen Angriffen aussetzen. Bootsmann – thut Eure Schuldigkeit.«

Er wandte sich um als ob er nach hinten gehen wollte. Des Gefangenen Stimme hielt ihn da zurück; er blieb mitten im Gange stehen, drehte sich aber nur halb nach diesem wieder um.

»Capitän,« sagte Hans, dem die Worte kaum aus dem Mund wollten, so erstickte die innere fürchterliche Aufregung seine Stimme. Er sprach auch sehr langsam, wie er immer that wenn er sich des Englischen bediente. – »Capitän – in Sydney haben fast alle Euer Schiff verlassen, nur ich nicht, weil ich Euch mein Wort gegeben hatte zu bleiben.«

»Du bist geblieben, Schuft, weil ich den Lohn von voriger Reise für dich in Händen hatte,« lachte der Capitän und drehte sich wieder ab – »nicht wegen deines Ehrenworts.«

»Capitän,« rief aber Hans noch einmal, dem das Blut jetzt wie mit vollen Strömen aus dem Herzen herauf ins Gesicht stieg – »ich blieb, weil ich mein Wort gegeben – und ich gebe es Euch hier noch einmal – nehmt die Strafe zurück. Ihr wißt selber, wie Ihr mich gereizt habt. – Ich war meiner Sinne nicht mächtig als ich nach Euch schlug – aber nur mit meiner nackten unbewaffneten Faust, so helfe mir Gott. – Nehmt die Strafe zurück und ich will arbeiten, daß mir das Blut unter den Nägeln vorkommt – oder in Eisen liegen wie Ihr wollt – ich will nicht murren. – Setzt mich die ganze Reise auf Wasser und Brod – behaltet zur Strafe für mich jeden Cent, den ich bis jetzt hier an Bord verdient habe – aber – aber – keine Schläge.«

Der Capitän war stehen geblieben, aber allem Anschein nach ohne den Worten auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu widmen. – Er wandte sich jetzt rasch gegen den Zimmermann und sagte schnell: –

»Hab' ich Euch nicht befohlen Eure Schuldigkeit zu thun? – Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, dort hinten kommt ein Wetter auf – Bob – Jim – bindet den Gefangenen an die Leeseite – nur mit den Händen – er mag aufrecht dabei stehen bleiben oder – wenn ihm das bequemer ist, auf die Kniee niederfallen.«

»Capitän!« schrie aber jetzt Hans plötzlich, als die beiden auf ihn zutraten, mit lauter fast drohender Stimme, und in so reinem, flüssigem Englisch, daß selbst der Capitän sich erstaunt nach ihm umschaute – »Ihr wißt, daß ich mein Wort halte, aber beim heiligen Gott des Himmels, der, der Hand an mich legt, schlage mich lieber gleich todt, denn so wahr ich einst selig zu werden hoffte, so wahrhaftig morde ich ihn im nächsten Augenblick, wo ich die Hände frei bekomme.«

»Ah, wenn die Sachen so stehen, wollen wir wohl zusehen daß du die Hände nicht frei bekommst, mein Bursche,« lachte der Capitän höhnisch – »Gott verdamme es, wie der Kerl auf einmal so gut englisch spricht – das bringt die Angst heraus. Also Mord – gut Sir, wir werden's nicht vergessen. – Und nun an die Arbeit, Bootsmann, und legt gut auf, oder ich laß Euch auf Euerm eigenen Rücken zeigen wie man's machen muß. Allons, Bob – Jim – Pest, noch einmal Burschen, soll ich's Euch zum drittenmal sagen?«

Die beiden hatten unschlüssig dagestanden. Dem directen Aufruf des Capitäns wagten sie aber nicht den Gehorsam zu verweigern, und führten den Gefangenen an die Leeseite, wo sie ihm das Hemd abzogen und den Rücken entblößten. Brust und Schultern waren ihm mit blauen wunderbaren Zeichen tättowirt, und auf der ersteren hatte er noch außerdem drei tiefe, aber schon seit Jahren verharrschte Narben. Sie banden ihm die Hände hoch in die Höhe, aber er sprach kein Wort mehr, und ließ alles ruhig mit sich geschehen. Der Zimmermann hatte indessen ein schon bereitliegendes noch neues Reefband vorgenommen, wickelte sich das eine Ende davon um die rechte Hand, und trat auf den Gefangenen zu.

Indessen hatte es schon lange im Südwesten geblitzt, und es folgte gerade in diesem Augenblick ein so heftiger Donnerschlag, daß Alle, die bis jetzt nur mit dem Gefangenen beschäftigt gewesen, erschrocken aufsahen.

»Werft die Bramsegelfalle los,« schrie aber jetzt auch der Capitän, der auf einmal fand daß ihn das Wetter ganz plötzlich überrascht hatte. – »Bramsegel fest – schnell – Falle los – Donnerwetter, Zimmermann, laßt den Burschen jetzt stehen und werft die Taue los.«

Die Leute sprangen, froh dem peinlichen Schauspiel enthoben zu sein, blitzesschnell auf ihre verschiedenen Posten, und im nächsten Augenblick schien alles nur Verwirrung in den gelösten Tauen und flatternden Segeln. – Niemand kümmerte sich um den Gefangenen, der noch mit entblößtem Oberkörper an den Wanten hing.

Ueber die See kam es indessen in dumpfem, hohlem Brausen herangestürmt. – Noch standen die Wolken tief am Horizont, aber die Luft wurde schon dick und düster, und das Wasser fing an sich vor der andrängenden Gewalt zu kräuseln und zu gähren. Die leichteren Segel waren indessen, so rasch es die schwache Mannschaft nur irgend erlaubte, festgemacht, die Marsraaen rasselten jetzt zum Reefen nieder, und in das monotone Heulen der Matrosen, die an den Reeftaljen hingen und die schweren Segel zum Reefen aufholten, mischte sich schon das Brausen des Sturmes, und die Segel schlugen dabei an die von den Brassen gelösten Raaen, als ob sie der kommenden Windsbraut ängstlich entfliehen und hinaus ins Weite wollten.

Hier besonders zeigte sich jetzt der Nachtheil einer zu schwachen Bemannung. – Sämmtliche Mannschaft wurde gebraucht ein einziges Segel zu reefen – und war selbst dazu kaum stark genug. Ehe sie denn auch das Vormarssegel fest bekommen konnten, brauste der Sturm heran, riß das große Marssegel mit einem Schlag, wie aus einer Kanone geschossen, von einander, und in der nächsten Secunde peitschten schon die Streifen davon um die Raaen. Der Capitän stampfte ingrimmig mit dem Fuß.

»Soll ich Hans lieber losbinden, daß er mit hilft?« sagte der erste Mate zum Capitän, mit dem er allein auf dem Verdeck stand – der zweite Mate war mit oben auf der Marsraae. –

»Verdammt! nein,« rief aber dieser »ich traue dem Burschen nicht, und er soll nicht sagen, daß er oder das Wetter mir seine Strafe abgetrotzt. Das Segel ist nun doch einmal beim Teufel, und mit den anderen werden sie schon fertig werden. So wie der Zimmermann herunterkommt, soll er ihm seinen Theil auflegen und dann wieder marsch hinunter in sein Loch. Wenn er so mordlustige Gedanken hat, wollen wir den Wolf doch lieber nicht aus der Falle herauslassen.«

Der Wind, der indessen eher an Stärke zugenommen als nachgelassen hatte, war erst ganz nach Norden herumgegangen, und bis die Leute mit Reefen fertig waren, neigte er sich sogar so weit gegen Nord-Ost daß der Capitän, der in den letzten beiden Tagen keine Observation bekommen, und die Nacht vor der Thür sah, der Nähe der Riffe nicht mehr traute, und lieber gleich zu wenden befahl.

 

Jetzt war aber der Angebundene wirklich im Weg, und da der Capitän auch wohl einsehen mochte, daß unter den jetzigen Umständen und während der Sturm über die aufgeregten Wogen heulte, die Vollziehung der Strafe unter den Leuten weit eher einen bösen Eindruck machen, als sie vor ähnlichen Vergehungen zurückschrecken würde, befahl er dem jetzt wieder an Deck gekommenen zweiten Mate ihn abzubinden und nach unten zu führen – »bis das Wetter besser geworden wäre.«

Der Mate, ein gutherziger Bursche, hatte wohl kaum einen Befehl seines Oberen mit größerer Freudigkeit befolgt als eben diesen. Er sprang rasch nach unten, warf ihm sein Hemd wieder über und stieg mit ihm die Luke hinunter.

»Es kann sich noch alles machen, Hans,« sagte er ihm hier freundlich, als er ihn in sein kleines Behältniß wieder eingebracht hatte – »Zeit gewonnen alles gewonnen, und wenn wir morgen glücklich in die Riffe einlaufen, denkt der Alte vielleicht gar nicht mehr an die ganze Geschichte.«

»Ich dank Euch für Euren freundlichen Wunsch, Mate,« sagte der Gefangene düster und warf sich auf seine Matratze, die ihm Jean heute, allerdings gegen des Capitäns Befehl, zu verschaffen gewußt hatte. Der Mate hatte auch nicht lange Zeit, denn von oben nieder tönte schon das Schreien und Heulen der Matrosen, die an den Schoten und Brassen rissen, das Schiff auf den anderen Bug zu legen, und er sprang rasch die Leiter wieder hinauf.