Comanchen Mond Band 2

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From the series: Comanchen Mond #2
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Er rieb sich die Hände, die in feinen Lederhandschuhen steckten, und überdachte seinen Plan noch einmal. Ja, er würde der Artillerie zuerst das Signal zum Angriff erteilen. Dabei verließ er sich ganz auf die Reichweite der Haubitzen. Diese Waffengattung war noch immer sein liebstes Kriegsspielzeug. Die Kavallerie sollte erst losschlagen, wenn er die Indianer aufgescheucht hatte.

Frustriert erkannten die Männer weit vor sich durch die Lücken der Bäume den Colorado. Da in dieser Richtung kein Durchkommen mehr war, mussten sie sich wieder von ihm entfernen. Der Einsatz von ein paar vorausgeschickten Männern hätte das vermeiden können. Smith musste wohl oder übel halten lassen. Sie steckten fest. Das konnte auch er nicht mehr leugnen. Endlich schickte er zwei seiner Männer zu Fuß voraus. Als sie zurückkamen, meldeten sie, dass es weiter vorn ein besseres Durchkommen bis zum Fluss hin gab. Erfreut wollte er gerade die Artillerie dorthin beordern, da tauchten drei Pawnee-Späher vor ihm auf. In ihren Gesichtern erkannte er höchste Befriedigung. Die Freude, die sie nicht einmal zu unterdrücken versuchten, taten sie in äußerst fragwürdigen obszönen Gesten kund. Vielleicht täuschte er sich ja, aber man konnte darin eine gewisse Vorfreude erkennen, was das Schicksal ihrer Todfeinde betraf. Plötzlich fröstelte es ihn. Er tat dieses Gefühl mit einem unwilligen Schnaufen ab und forderte die Pawnee zum Sprechen auf. Einer von ihnen, dessen Gesicht voller Pockennarben war, trat vor. In einem besseren Englisch als die anderen machte er Meldung. Stolz warf er sich in die Brust. Ich habe mich näher herangewagt als die da, radebrechte er. „Frauen holen Wasser, Krieger bei Pferdeherde – vor Canyon.“ Dabei deutete er mit der linken Hand und meinte die linke Seite des Flusses, also die gegenüberliegende. Smith dachte, der Späher deutete zum diesseitigen Ufer.

„Tipis“, sagte der Pawnee und fuhr in seinem gebrochenen Englisch fort: „Lager Comanchen an Fluss.“ Wieder zeigte er in die Richtung und machte eine schlängelnde Bewegung – diesmal mit der rechten Hand. Seine Meldung war folgende: Auf der linken Flussseite vor einem Canyon befindet sich die Pferdeherde. Auf der rechten Flussseite hatte er Tipis entdeckt. Die schlängelnde Bewegung zeigte den Verlauf des Flusses an.

Aha, dachte Smith, und glaubte verstanden zu haben: Die Pferdeherde steht diesseits in einem Canyon, die Comanchen lagern hier am Fluss. Mit der schlängelnden Bewegung konnte er nichts anfangen. Egal – viel wichtiger war seine Frage nach der Anzahl der Tipis und wie weit sie noch von ihnen entfernt waren. Das interessierte ihn viel mehr.

„Tipi, ich gesehen Tipi“, kam die Antwort von dem aufgeregten, mit drei Fingern zum Fluss weisenden Pawnee. Da ihn Smith etwas enttäuscht anblickte, fügte er mit einem bewundernden Nicken hinzu: „Mustangs viel, sehr viel. Fluss durch Canyon kommt hier entlang, dann weiter –“, er zeigte mit dem Arm geradeaus nach Westen.

„Wie weit sind die Tipis noch von uns entfernt?“, hakte Smith noch einmal nach, ohne die drei Finger zu hinterfragen.

Ein Schulterzucken kam als Antwort. Dann, als fielen ihm die englischen Worte gerade wieder ein, nickte er und sagte: „Wo du sehen Fluss durch Baum, ich sehen Tipi halb Meile weit“, er versuchte mit den Händen wedelnd, ihm die ungefähre Entfernung begreiflich zu machen – zeigte Richtung Fluss und zu einer Stelle, an der ein großer Baum aufragte. „Halb Meile Feuerzunge machen wumm, Tipis fliegen fort, Feuerzunge machen wieder wumm, Comanche laufen schnell.“ Befriedigt über seine Erklärung grinste ihn der Pawnee an.

Smith wartete noch auf mehr. Aber weitere Informationen bekam er nicht. Anscheinend wusste der Scout wirklich nichts mehr oder dachte, es wäre nicht von Bedeutung. Eine hoheitsvolle Geste machend, bezeugte ihm Smith, sich zu entfernen. Seit man ihm diese Pawnee-Scouts in Fort Griffin zugeteilt hatte, war er das beklemmende Gefühl nicht losgeworden, das er in ihrer Nähe empfand. Aber anstatt sie als Führer einzusetzen, schickte er sie jetzt fort. Die Pawnee drehten sich um, spuckten in hohem Bogen aus, um ihre Abscheu gegenüber den Comanchen zu bezeugen, und verschwanden im nahen Gebüsch. Sie waren nicht böse über Smiths Entscheidung.

Nach einer kurzen Unterredung mit seinen Offizieren – einem ihm unterstellten Adjutanten, einem First Lieutenant sowie dem Captain der Artillerie – in der er ihnen seine Version der Aussage des Pawnee mitteilte, ebenso wie seine letzte Information über den vermeintlichen Standort des Comanchenlagers – fügten sich diese Männer schließlich dem, was ihr Oberstleutnant vorhatte.

Etwas irritiert hatten sie die Mitteilung vernommen, dass das Indianerlager nur noch eine halbe Meile von dem Platz, den sie jetzt von hier aus durch das Fernrohr sehen konnten, entfernt sein sollte. Im Gegensatz zu ihm wussten sie sehr wohl, dass ein Comanchenlager hier nicht als zusammenhängendes Ganzes existierte. Nur in der weiten Ebene befanden sich die Tipis im Kreis. Doch wenn ihr Kommandant meinte, dass da ein Comanchenlager sei, dann stand es ihnen als Untergebene nicht zu, ihn zu belehren. So ordneten sie sich widerspruchslos seinem Befehl unter. Am Ende der nicht gerade befriedigend verlaufenen Beratung stellte ihm einer seiner Offiziere dann doch noch die Frage, ob er überhaupt schon jemals gegen Comanchen gekämpft hätte. Ein bisschen spät, dachten die anderen, die sich ein Grinsen kaum verkneifen konnten, als sie sahen, dass Smith rot wurde. Der Offizier bekam keine Antwort auf seine Frage und schwieg betreten. Niemand wagte einen weiteren Einwand. Oberstleutnant Smith aber bildete sich ein, sie von seinem Plan überzeugt zu haben, und schwelgte bereits in Kampfeslaune. Endlich gab es etwas zu tun. „Packen wir es an!“, rief er seinen Männern mit gewichtiger Miene zu und rieb sich die behandschuhten Hände. Er wollte endlich Erfolge verbuchen und setzte seinen Plan auch sofort in die Tat um. Dafür musste die Artillerie als Erstes den Flussabschnitt mit dem großen Baum, den sie von hier aus einsehen konnten, erreichen. Nach Angabe des Pawnee sollten die Tipis der Comanchen ja von dort aus eine halbe Meile weiter flussaufwärts stehen. Er überließ es dem Captain, wie nahe er an das Lager herankommen wollte. Wenn die Geschütze bereit waren, sollte man es ihm melden. Dafür stellte er einen seiner Männer ab. Bis dahin sollte die Kavallerie bis zum Ende dieses vermaledeiten Dickichts vorgedrungen sein, um in gebührendem Abstand zum Fluss Aufstellung zu nehmen. Dabei setzte er voraus, dass der Fluss in gerader Linie verlief, und legte den Abstand bis dorthin fest – also ihre Marschroute. Der Artillerie musste unbedingt Vorrang eingeräumt werden, betonte er noch einmal. Die Kavallerie sollte sich noch zurückhalten und auf sein Angriffssignal warten; so war der Plan.

Smith, der seine ganze Taktik auf die Feuerkraft der Geschütze setzte – schließlich hatte er ja selbst in dieser Waffengattung gedient, hatte vor, die Tipis zu beschießen, um dann die flüchtenden Comanchen mit der Kavallerie abzufangen. Ein paar Treffer sollten reichen, um die ganze Bande aufzuscheuchen. Durch sein Fernrohr hatte er inzwischen die hoch aufragenden Felsen auf einem Berg voller Geröll und Steine entdeckt. Eine Flucht nach dort würde schwierig werden, wenn nicht gar unmöglich. Sollten sie versuchen, auf die andere Seite des Flusses zu entkommen, war das wahrscheinlich auch ihr Todesurteil, denn das Ufer des Flusses ließ er ja beschießen. Und über die Hügel im Osten? Das fand er absurd. Bis dahin – durch die Reihen der Kavallerie – würden sie es niemals schaffen. Seiner Meinung nach befand sich die Pferdeherde ja diesseits des Flusses, sicher in der Nähe der Tipis, und würde nach dem ersten Beschuss die Flucht ergreifen – davon war er überzeugt. Seine Reiterei und die Artillerie würden die Comanchen in die Zange nehmen. Sie hatten keine Chance.

Sein Adjutant, der während der kurzen einseitigen Beratung etwas betreten geschwiegen hatte, trat jetzt zu ihm. Zaghaft schlug er vor, man könnte doch einen kleinen Trupp Männer erst einmal näher an die Tipis heranschicken, bevor man weitere Entscheidungen traf. Ihm war nicht entgangen, wie sich die Pawnee mit Blicken verständigt hatten, um dann im Dickicht abzutauchen. Außerdem schlug er vor, dass ein Teil der Kavallerie die Hügel im Osten besetzen sollte. Smith lehnte das mit einer unwirschen Handbewegung rundweg ab. Er allein hatte hier die Befehlsgewalt, und das sollte auch so bleiben. Sein Kommando, seine Entscheidung, sein Sieg. Der Adjutant konnte nur den Kopf schütteln. Hier, in diesem unzugänglichen Gelände – sogar die Sicht auf den Verlauf des Flusses war ihnen verwehrt – war seiner Meinung nach die Artillerie völlig fehl am Platz. Er fragte sich, wohin sie wohl zielen sollte, wenn sie nicht einmal wussten, wo der Feind genau steckte. Irgendwo auf das Ufer des Flusses vor ihnen? Die Angaben des Pawnee befand er als viel zu vage. Vielleicht war der Captain ja so weitsichtig und schickte einen seiner Männer den Fluss hinauf, bevor er seine Geschütze ausrichtete. Doch dieser Smith würde sich von ihm nichts sagen lassen. Wären die Comanchen im Canyon gewesen, dann läge die Sache anders. Sie hätten den Aus- und den Eingang besetzen und sie von oben aus beschießen können. Aber so – der Adjutant zuckte die Schultern, während er meinte: „Die Pawnee sind verschwunden – haben anscheinend eine Heidenangst vor den Comanchen. Auch wir sollten etwas vorsichtiger sein.“

Smith betrachtete ihn einen Moment lang mit gerunzelter Stirn. „Sollen sie doch Schiss haben“, sagte er hochmütig. „Und was die Vorsicht betrifft: Schließlich sind wir in der Überzahl. Die wenigen Spuren, die die Pawnee gefunden haben, bedeuten doch wohl, dass diese Bande hier nicht gerade zahlreich ist. Mit denen werden wir leicht fertig.“

Während sich sein Adjutant mit zusammengepressten Lippen entfernte, schaute er sich grimmig um. Die verdammten Pawnee waren doch tatsächlich verschwunden. Indianer eben – alles elendes Gesocks. Als Spurensucher waren sie ja noch zu gebrauchen – aber ansonsten traute er ihnen nicht über den Weg. Smith saß auf und schickte die Artillerie mit einem seiner Männer in Richtung Fluss.

 

Er hätte dem Pawnee mehr Beachtung schenken sollen. Selbst kannte er den genauen Verlauf des Colorado River des Südens, wie er genauer hieß, nur flüchtig und kramte jetzt in seinen Erinnerungen. Es wäre besser gewesen, er hätte sich auf diesen Ritt hierher gründlicher vorbereitet. In seiner Arroganz war er nicht auf diese Idee gekommen. Was er wusste, war nur das, was er irgendwann einmal auf einer Landkarte in seinem Büro gesehen hatte – und auf der in Fort Concho.

Sein Versäumnis, sich dort die Aufzeichnungen des derzeitigen Kommandanten anzusehen, bereute er jetzt. Bisher hatte er nicht mehr als den vielleicht 30, 35 Fuß breiten Streifen Wasser, der in der inzwischen niedrig stehenden Sonne durch dichten Baumbewuchs und einen großen Baum hervorglitzerte, gesehen. Den hatte auch der Pawnee gemeint. Smith war entgangen, dass er nur von drei Tipis gesprochen hatte. Drei Finger – drei Tipis, kein Comanchenlager. Für die Artillerie war seine Aussage der einzige Anhaltspunkt. Dieses Ziel vor Augen, bahnten sie sich jetzt einen Weg durch das Dickicht in Richtung Fluss. Nach der Hälfte der Strecke atmeten die Männer auf. Von hier aus kamen sie bedeutend leichter voran. Der Captain ließ seine Leute nahe am Fluss weiterziehen, nach diesem großen Baum Ausschau haltend. Etwa eine halbe Meile weiter sollte sich ja das Lager der Indianer befinden. Nachdem er ihn gefunden hatte, ließ er seine Männer noch so weit vorrücken, dass sie endlich ihre Geschütze in entsprechender Entfernung ausrichten konnten. Nachdem das geschehen war, schickte er den ihm mitgegebenen Mann wieder zurück. Nun mussten sie nur noch auf den Befehl zum Beschuss warten.

Die Kavallerie quälte sich unterdessen noch ein gutes Stück durch das Unterholz, bis sich das dichte Gestrüpp endlich lichtete und sie auf besseres Gelände stießen. Die allgemeine Laune hatte sich mit einem Schlag gebessert. Nun, da sie alle wussten, es ging bald los, konnten sie es kaum noch erwarten. Smith ließ anhalten, und da kam auch schon der Mann von der Artillerie zurück, um Meldung zu machen. Bevor er den Befehl zum Beschuss erteilte, wollte er mehr über das vor ihm liegende Gelände wissen. Von den Pawnee ließ sich niemand mehr blicken. Keiner von ihnen würde sich freiwillig in die unmittelbare Nähe eines Comanchenlagers begeben. Diese angeworbenen Scouts unterschätzten keineswegs die Lage. Inzwischen befand sich die Kavallerie direkt gegenüber der Artillerie. Der Abstand zwischen ihnen belief sich auf weniger als eine Viertelmeile.

Ein Sonnenstrahl traf auf eines der Rohre, und Oberstleutnant Smith konnte sich selbst davon überzeugen. Er befahl der Kavallerie, in gerader Linie von ihnen weiter flussaufwärts zu reiten und dabei den Abstand zur Artillerie einzuhalten. Flussaufwärts? Er wusste ja nicht einmal, wo genau der Flussverlauf war.

Es herrschte allgemein eine angespannte Stimmung. Die Soldaten – auf ihren Pferden sitzend, nachdem sie etwa eine halbe Meile in gerader Linie weiter Halt gemacht hatten – warteten auf das Signal zum Angriff.

Noch war es nicht so weit. Smith fand einen etwas erhöht liegenden Platz, von dem aus er durch sein Fernrohr das Gelände besser überblicken konnte. Südlich von hier, in etwas weniger als einer Viertelmeile Entfernung, erkannte er ein kleines Stück von dem breitgetretenen Weg, der ihm zuvor schon aufgefallen war. Wohin er führte, konnte er allerdings wegen des dichten Gesträuchs nicht erkennen. In den Steigbügeln stehend suchte er noch einmal gründlich die Gegend ab. Im Süden musste eine offene Fläche sein und der Wald enden, vermutete er. Im Osten erkannte er die sich dort hinziehende Hügelkette. Wie eine Barriere, dachte er. Vielleicht wäre es doch kein so schlechter Gedanke gewesen, dort eine Abteilung Kavallerie zu postieren. Dazu war es jetzt allerdings zu spät.

In einer halben Stunde etwa würde die Sonne untergehen. Seine Männer waren bereit. Sobald er den Befehl zum Beschuss gab, sollten sie sich dem Fluss gegenüber nach beiden Seiten hin auffächern und Aufstellung nehmen. So würden sie die Comanchen erwarten. Smith war nicht im Mindesten beunruhigt, dass sie vorzeitig entdeckt werden könnten. Wenn er etwas über Comanchen wusste, dann war es die Tatsache, dass sie niemals Wachen aufstellten, weil diese arroganten Dummköpfe sich einbildeten, es nicht nötig zu haben. Sie waren so sehr von sich eingenommen, dass sie immer noch der festen Überzeugung waren, ihnen gehörten die südlichen Plains. Doch die Zeiten hatten sich geändert, und das war sicher noch nicht bis zu ihnen vorgedrungen.

Smith lachte still vor sich hin. Nun gut, sollten sie eben die Konsequenzen ihrer Arroganz zu spüren bekommen. Er war hier, um ihnen diese Lektion aufs Fell zu brennen. Aufgeregt wegen des kurz bevorstehenden Angriffs nahm er sein Fernrohr wieder zur Hand und suchte erneut das vor ihm liegende Gelände ab. Südwestlich von ihm konnte er den Fluss und den großen Baum davor sehen, den der Pawnee vorhin erwähnt hatte. Eine halbe Meile weiter also standen die Tipis der Comanchen – dachte er. Um noch Genaueres erkennen zu können, ritt er ein Stück in Richtung Artillerie. Sich erneut in die Steigbügel stellend, suchte er nach den gesichteten Tipis. Da begann sein Herz schneller zu schlagen. Die Enden der Stangen mit dem Rauchabzug von drei Tipis tauchten in seinem Fadenkreuz auf. Doch seiner Meinung nach waren sie viel zu weit vom Fluss entfernt. Aufgeregt schwenkte er das Fernrohr hin und her. Da war er wieder, dieser ausgetretene Weg. Es schien, als führte er an den drei Tipis vorbei, dann verlor er sich wieder zwischen den Bäumen. Er starrte durch sein Fernrohr, aber mehr war von seinem Standort aus nicht zu sehen. Entschlossen schickte er den neben ihm wartenden Mann mit dieser Information und dem Befehl zum Beschuss wieder zur Artillerie zurück. Ihm nachblickend atmete er erleichtert auf. Die lange Zeit des Wartens war endlich vorüber. Lässig winkte er seinen Adjutanten heran und gab ihm Order, die Männer sich auffächern zu lassen.

Während das geschah, tauchte neben ihm sein First Lieutenant auf, dem er mit einem Nicken in die Richtung der drei Tipis das Fernrohr reichte. „Schaut hin, dort ragen drei Tipis aus den Bäumen hervor. Der Pawnee hatte recht, dort befindet sich das verdammte Comanchenlager.“

Der Mann zog seinen Hut tief ins Gesicht, damit man nicht sehen konnte, dass er sich ein Schmunzeln verbiss. „Mit Verlaub, Oberstleutnant, aber das sind Comanchen. Wir sind nicht in den Weiten der Plains. Deren Tipis stehen hier weder im Kreis noch dicht beisammen“, bemühte er sich um einen sachlichen Ton.

„Das weiß ich, Mann“, herrschte Smith ihn mit gedämpfter Stimme wider besseres Wissen an, doch sein Magen verkrampfte sich. „Auf jeden Fall sind dort Tipis – das seht Ihr doch wohl selbst!“

„Weitere werden hinter den Bäumen flussaufwärts stehen“, beschwichtigte ihn der First Lieutenant, aber seine Stimme war unsicher. Was war, wenn der Fluss nicht geradeaus verlief, sondern dort eine Biegung auf ihre Stellung hier zu machte und die Tipis da standen? Dann, so überlegte er, hatten sie ein Problem. Würde der Captain der Artillerie dem Fluss folgend zu schießen anfangen? Welch ein Irrsinn! Seine Leute wären in Gefahr, von den eigenen Kugeln getroffen zu werden. Sie konnten die Kavallerie nicht so nahe wie geplant vorrücken lassen.

Smith nickte aufatmend, sein Stutzen nicht bemerkend – und dann schwieg er. Weil kein weiterer Kommentar mehr kam, schickte Smith den First Lieutenant weg und schob das Fernrohr zusammen, behielt es aber in der Hand. Was der Mann da gesagt hatte, beschäftigte ihn dann doch. Comanchentipis stehen nicht zusammen? Was war dann aber mit diesen drei? Es wollte ihm nicht recht in den Kopf. Diese drei Tipis sollten nicht ein Teil des Lagers sein? Verwirrt fragte er sich, wo der Rest von ihnen steckte. Hinter den Bäumen, flussaufwärts? Davon hatte der Pawnee nichts gesagt. Sollte er sich mit drei popligen Tipis zufrieden geben? Er atmete noch einmal tief durch. Der Pawnee hatte gesagt – was noch einmal? Ja, fiel es ihm wieder ein. Frauen, Krieger und viele Pferde. Jawohl. Seine bisherigen Erfahrungen mit Indianern waren gleich null – bis auf die tapferen, mutigen Cherokee, die im Bürgerkrieg auf Seiten der Rebellen – seiner Seite – gestanden hatten. Sein Wissen hatte er lediglich aus den Berichten geschöpft, die auf seinem Schreibtisch gelandet waren und die er sich genau durchgelesen hatte, um sie danach abzuheften. Dort war die Rede von völlig zerstörten Zeltdörfern gewesen – ein Kinderspiel für die siegreiche Armee. Zahlen von gefangenen und toten Indianern waren ihm in die Hände gefallen, und Angaben über massenhaft vernichtete Nahrungsmittel waren genauestens aufgeführt. Das hier verlief irgendwie anders. Allmählich fragte er sich, was ihn wohl geritten hatte, sich so emsig um ein Kommando im Westen zu bemühen. Es hatte ihn sogar Bestechungsgeld gekostet, um aus diesem vermaledeiten Büro herauszukommen. Nur der Fürsprache eines befreundeten Offiziers aus den alten Tagen und einem etwas geschönten Lebenslauf hatte er es letztendlich zu verdanken, dass er auf diesem Posten gelandet war.

Was, zum Teufel auch, hatte er falsch gemacht? Wieder blickte er durch sein Fernrohr, dann zurück zu seinen Leuten, und verwünschte die Pawnee-Späher, die nicht einmal richtig Englisch sprachen. Er war sowieso schon skeptisch gewesen, als man sie ihm vor ein paar Wochen übergeben hatte, und hatte immer ihre Nähe gemieden. Jetzt mochten sie sonstwo sein. Missmutig winkte er seinen Adjutanten wieder zu sich heran. Wenigstens der sollte in Reichweite bleiben, um Befehle schnell weitergeben zu können.

5. Kapitel

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, Schatten legten sich über die Männer. Sie warteten jetzt ungeduldig auf den nächsten Befehl. Einige von ihnen machten sogar schon Witze oder erzählten sich Schauergeschichten von vergangenen Überfällen, die sie angeblich selbst miterlebt hatten. Die Mehrzahl jedoch überprüfte noch einmal gewissenhaft die Funktionstüchtigkeit ihrer Waffen.

Smith blickte auf seine Uhr. Die Haubitzen mussten jede Minute losdonnern. Eine gut gezielte Ladung dorthin, wo er die drei Tipis gesichtet und – irrtümlich? – für das ganze Lager gehalten hatte, lautete sein Befehl. Es musste das Lager sein. Er konnte sich doch nicht dermaßen getäuscht haben? Der Pawnee hatte doch auch gesagt – ach was, er schob die zweifelnden Gedanken endgültig beiseite. Hier stand er mit seiner Truppe, bereit, loszustürmen. Seiner Überzeugung nach mussten bereits nach dem ersten Einschuss fliehende Comanchen auftauchen, direkt in das Fadenkreuz der Kavallerie, die gegenüber dem Flussverlauf, wie er ihn sich vorstellte, in Reih und Glied aufgereiht war.

Die Minuten verstrichen. Der Mann musste bereits bei der Artillerie angekommen sein und seinen Befehl übermitteln. Jetzt, ja, jetzt. Mit einer galanten Handbewegung bedeutete er dem etwas abseits stehenden jungen Trompeter, auf sein Zeichen zu warten. Sobald die ersten Einschüsse zu hören waren, sollte die Kavallerie noch näher zum Fluss hin vorrücken, um so die flüchtenden Comanchen zu erwarten. Der Captain der Artillerie gab das Zeichen zum Beschuss.

Hoch aufgerichtet saßen die Männer der Kavallerie in ihren Sätteln und warteten. Wummm! Der erste Einschlag zerriss die Stille. Ein Schwarm Vögel schwirrte entsetzt auf, flatterte über die Bäume und verschwand den Fluss hinauf in der Ferne. Der Trompeter bekam sein Zeichen und schmetterte los. Die Kavallerie setzte sich in Bewegung. Oberstleutnant Smith hob sein Fernrohr und schaute hindurch. Am liebsten wäre er jetzt dort bei den Geschützen gewesen. Der nächste Einschuss ließ auf sich warten. Schon wollte er ungeduldig werden. Wummm, das zweite Geschütz feuerte. Er stellte es sich vor, wie die Männer nachluden, emsig hin- und herliefen; jeder Handgriff musste sitzen. Inzwischen hatte die Haubitze bestimmt schon eine Bresche zwischen den Bäumen gerissen und den Blick auf die zerfetzten Tipis freigegeben. Aus dieser Richtung sah er jetzt jedenfalls Rauch aufsteigen. Zufrieden wandte er sich der Kavallerie zu, die wartend in den Sätteln saß. Pferde schnauften unruhig, stampften aufgeregt den Boden. Die Luft war dick vor Nervosität. Alles wartete nur noch auf den Befehl ihres Oberstleutnants.

Der Captain der Artillerie fluchte. In dem unübersichtlichen, vor ihnen völlig zugewachsenen Dickicht hatte er das eine Geschütz nach den Angaben Smiths geradeaus auf das vor ihm liegende Flussufer ausgerichtet und ließ seine Leute feuern.

 

Irgendetwas stimmte nicht. ‚Ich hätte jemanden nach vorn schicken sollen, um den genauen Verlauf des Flusses samt den verdammten Tipis auszukundschaften‘, wurde ihm jetzt klar. Warum, zum Teufel auch, habe ich mich auf diesen neunmalklugen Smith verlassen! Er fluchte noch einmal, diesmal lauter. Nein, sie konnten die Tipis nicht getroffen haben, dafür war es nach diesem ersten Schuss viel zu leise geblieben. Keine Schreie, keine flüchtenden Comanchen – nichts.

„Zu kurz, verdammt, viel zu kurz“, mutmaßte er deshalb laut brüllend von seinem Aussichtsposten aus – einem überhängenden Baum, bis zu dem er sich vorgewagt hatte. Nun hing er dort über dem Wasser. Zeichen zu seinen Leuten hin machend, deutete er nach vorn. So schnell sie konnten richteten sie die Haubitzen neu aus. Wieder hob er die Hand, als wollte er seinen Männern damit Einhalt gebieten, lehnte sich weiter nach vorn und starrte über den Fluss auf die Ebene davor. Es war ihm, als hätte er von dort einen Reiter kommen gesehen. Nein, wahrscheinlich täuschte er sich, denn jetzt war da nichts mehr. Abermals ging eine der Kanonen los. Bäume fielen krachend in sich zusammen. Der Captain war noch immer nicht zufrieden. „Neu ausrichten, los, weiter vor“, schrie er und klammerte sich an den über das Wasser hinausreichenden Ast. Am liebsten hätte er selbst Hand angelegt – es dauerte ihm alles viel zu lange. Seine Männer gehorchten und schoben eine der Haubitzen weiter nach vorn.

„Macht schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit“, schrie er mit aufgeregter, lauter Stimme überflüssigerweise seine Leute an. Wenn er davonlaufende Rothäute zu sehen erwartet hatte, sah er sich getäuscht. Es war ihm durchaus bewusst, dass sie nicht nur so in die Luft hineinballern konnten. Was dieser Smith da befohlen hatte, war einfach nur unüberlegt und dumm. Um Comanchen zu erwischen, dazu gehörte schon mehr. Der verdammte Smith mit seinen unausgereiften Ideen! Warum, um alles in der Welt, hatte er sich nur darauf eingelassen? Inzwischen schoben und wuchteten seine Männer die beiden Haubitzen Stück für Stück weiter das Ufer entlang. Die Männer schwitzten, von Insekten umschwärmt, die sich hier in der Niederung anscheinend alle verabredet hatten. Der Captain schaute auf seine Uhr. Acht Minuten waren seit dem ersten Einschuss vergangen.

Das Geschütz jaulte laut auf – mit einem ohrenbetäubenden Krachen zischte die nächste Ladung durch die Luft. Wummm! Eine Wasserfontäne spritzte auf.

„Was, zum Teufel, soll das denn?“, schrie der Captain von seinem Posten aus. „Ihr sollt nicht das Wasser beschießen, verdammt noch Mal, sondern das Ufer.“

Dann, plötzlich die Ursache erahnend, hangelte er sich noch weiter vor. Ohne zu zögern glitt er in den Fluss hinein, brachte sich mit ein paar kräftigen Schwimmstößen bis in die Mitte und ärgerte sich, das nicht schon früher getan zu haben. Denn jetzt erkannte er, dass der Fluss hier nicht schnurgerade verlief, wie Smith, dieser Schwachkopf, behauptet hatte, sondern eine Biegung nach Osten machte. Unter zerschossenen Weiden hindurch sah er jetzt drei Tipis. Sie standen vor der Biegung. Die ganze Zeit über waren sie von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Verdammt! Statt die Tipis zu beschießen, hatten sie die Ebene auf der anderen Seite des Flusses getroffen – und jetzt sogar das Wasser. Ihr erster Schuss ging nicht an das diesseitige, sondern an das jenseitige Ufer. Der Fluss hatte sich sozusagen weggeduckt. Der Gedanke ließ ihn beinahe hell auflachen, wenn es nicht so ernst gewesen wäre. Oh ja, der Fluss hatte sich weggeduckt, war ihnen ausgewichen, so eine Scheiße!

Dann schwamm der Captain ans Ufer zurück. Einer seiner Männer reichte ihm die Hand, um ihm am Ufer hochzuhelfen.

„Verflucht aber auch“, schnappte er. „Der Fluss macht genau dort vorn eine Biegung nach Osten!“

Er lachte hysterisch auf. Seinen Männern in die schmutzigen Gesichter blickend, bekam er sich wieder in den Griff. Der nächste Satz war mehr an sich selber gerichtet als an den Mann, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. „Ich habe mich zum Narren machen lassen, und Smith ist der Obernarr. Wenn wir jetzt dem Flussverlauf folgen, wie ja der Befehl lautet, kommen wir der aufgereiht wartenden Kavallerie so nah, dass wir unsere eigenen Leute beschießen!“

Oberstleutnant Smith blickte wieder durch sein Fernrohr und suchte in Richtung Fluss. Er schwenkte es hin und her, fand wieder die Tipis. Wieder fiel ihm auf, dass sie viel zu weit entfernt vom Flussverlauf, wie er ihn sich dachte, standen. Hatte der Pawnee nicht gesagt, sie stünden am Fluss? Wummm! Pfeifend flog die nächste Ladung über die Bäume hinweg, da sah er durch sein Fernrohr hindurch, wie eine Wasserfontäne aufspritzte. „Scheiße!“, ungläubig starrte er dorthin. „Scheiße, dort ist ja Wasser – wieso ist dort Wasser?“ In diesem Moment wurde ihm alles klar. Der Pawnee hatte recht gehabt. Die Tipis standen tatsächlich am Fluss, doch der verlief nicht geradeaus, sondern er machte hier eine Biegung nach Osten, direkt auf ihre jetzige Position zu. Aufgeregt suchte er noch einmal die Gegend ab. Jetzt waren die Tipis auf einmal verschwunden. Darauf konnte er sich erst recht keinen Reim machen. Verwundert rieb er sich die Augen. Nein, keine einzige Zeltspitze war mehr zu sehen.

Vielleicht waren sie ja doch getroffen wurden? Aber dann hätten sie ja im Wasser stehen müssen; dieser blöde Gedanke machte ihn total verrückt. Wo sind diese verdammten Tipis jetzt hin? Leise fluchend beschlich ihn eine Ahnung. Nein, unmöglich – sie konnten nicht weg sein, nicht so schnell. Die Reiterei stand immer noch angriffsbereit und wartete. Sollte er sie jetzt noch etwas näher in Richtung Fluss losschicken, um die Comanchen abzufangen? Seine Hände, die sich um den Zügel krampften, zitterten, denn jetzt wusste er, dass sie dem Fluss schon viel zu nahe waren. Wenn das stimmte, und er machte dort einen Bogen, dann gerieten sie höchstwahrscheinlich in die Schusslinie seiner eigenen Artillerie, wenn die dem Flussverlauf wie befohlen folgte. Sicher ließ der Captain seine Leute mit den Geschützen weiter vorrücken. Nur, dass sie jetzt dabei der Kavallerie in die Quere kamen. Eigentlich müsste der Captain das doch selber erkennen. Aber konnte er sich darauf verlassen? Würde er nicht seinerseits denken, dass er, Smith, die Kavallerie auf Abstand hielt? Aber was wurde dann aus ihrem Angriff auf das Lager? In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Einen Augenblick lang war er versucht, dem Trompeter einfach das Zeichen zum Angriff zu geben. Vorwärtsstürmen, zum Fluss hin, Comanchen töten!

Nein, das war unmöglich. Sie waren hier an Ort und Stelle gebunden, erkannte er schaudernd. Eigentlich bereits viel zu nahe am Fluss. Schon in der Schusslinie der Artillerie? Er hoffte, nicht.

Der First Lieutenant, der unbemerkt an ihn herangeritten war, musterte ihn mit gerunzelter Stirn.

Seine Gedanken erratend, meinte er: „Die Rothäute haben diese drei Tipis, die wir vorhin gesehen haben, abgebaut und sind verschwunden, Herr Oberstleutnant. Die Artillerie hat sie nicht zu uns gescheucht. Wir stehen hier fehl am Platz. Die Angaben dieses Pawnee waren entweder falsch, oder Ihr habt sie nicht richtig verstanden.“