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Alfried Krupp

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II

Lehrjahre

Ein vierzehnjähriger Knabe stand Alfried am Grabe seines Vaters, und in den tiefen Schmerz hinein, welcher sein Herz mit Thränen erfüllte, in die bangen, schweren Gedanken, welche mit ungewohnter Last sein Haupt beschwerten, klangen anstatt der Töne warmen Mitgefühls die Aeußerungen des frostigen Mitleids wie ein schneidender Mißton, seinem thränenverschleierten Blick entging nicht das Achselzucken der klugen Leute, welche es nicht für der Mühe werth hielten, ihre Schadenfreude zu verbergen. Und die Thränen versiegten in heiligem Zorn, das schmerzgebeugte Haupt erhob sich in stolzem Bewußtsein der großen Aufgabe, welche der Knabe von heute ab als Nachfolger seines Vaters diesen kleinen Seelen gegenüber zu vertheidigen, in ihrer ganzen vollberechtigten Bedeutung zur Anerkennung zu bringen berufen war. So verließ Alfried Krupp das frische Grab seines Vaters, nicht in verzweifelndem Kleinmuth des Kindes, sondern im muthigen Selbstvertrauen des werdenden Mannes, so ward er, der vierzehnjährige Knabe, der Chef der Firma Friedrich Krupp, durch das im Tiefsten ihn verletzende Gebahren seiner Mitbürger am Grabe des Vaters, zu dem Manne der eisernen Energie, des rücksichtslosen Zielbewußtseins, des tiefsten Verständnisses für die Lebensnoth seiner Mitmenschen, wie er in seinem ganzen Leben sich bewiesen hat.



Er war kein Musterschüler gewesen; denn im Oktober 1825 hatte er erst die Quarta erreicht, als sein Vater es für nothwendig erachtete, ihn in seinen Freistunden zur Mitarbeit in der Fabrik heranzuziehen. Die Entlassung eines untreuen Buchhalters und eines unzuverlässigen Faktors hatten ihm den Gedanken nahe gelegt, mit Hilfe seines ältesten Sohnes alles Geschäftliche allein zu besorgen und hierdurch die Fabrik von einer immerhin ins Gewicht fallenden Ausgabe zu entlasten.



Ostern 1826 nahm er ihn ganz aus der Schule, konnte aber seine ursprüngliche Absicht, ihn bei dem Münz-Wardein Noelle auf der Düsseldorfer Münze seine Lehre durchmachen zu lassen, nicht ausführen, da ein neuer Krankheitsanfall ihm seine Hilfe im Geschäft unentbehrlich machte. Körperlich gebrochen, besaß er doch noch seine volle geistige Frische, um die jetzt wichtigste Aufgabe zu erfüllen, seinen Sohn in alle Zweige des Geschäftes einzuführen. Nach seiner Anweisung mußte Alfried die „Beschickung” und sonstige besonders wichtige Werkarbeiten übernehmen, mußte er in wenigen Monaten alles das erlernen, was ihn nicht nur zu einem geschickten Hüttenmann geeignet machte, sondern was als Ergebniß der Versuche und Studien des Vaters ihm überliefert werden mußte, damit er seiner hohen Aufgabe gewachsen wäre, dessen Erfindung weiter zu fördern und auszubeuten.



Das waren offenbar Dinge, welche den Anlagen und Neigungen des Knaben bedeutend mehr zusagten, als die Schulwissenschaften. Es ist nur aus einem vollen Verständniß der ihm zufallenden Lebensaufgabe und aus einer hohen spezifischen Begabung heraus verständlich, daß es dem Knaben gelang, des Gelehrten vollständig Herr zu werden, so vollständig, daß er auf des Vaters Errungenschaften ohne Weiteres weiter zu bauen im Stande war, als er nach sechs Monaten Lernzeit auf seine eigenen Füße gestellt wurde.



Als seine Schulkameraden nach der Tertia versetzt wurden, ward den schwachen Schultern des vierzehneinhalbjährigen Knaben die schwere Last auferlegt, als Chef der Firma eine Fabrik weiterzuführen, welche zusammenzubrechen drohte, als Haupt der Familie die Mittel zu schaffen, um seine Mutter und drei Geschwister zu ernähren. Er wollte und konnte sich dem nicht entziehen, denn es war das heilige Vermächtniß seines Vaters. Noch im Oktober des Jahres 1826 veröffentlichte die Wittwe in den Zeitungen eine „Empfehlung”:



„Den geschätzten Handlungsfreunden meines verstorbenen Gatten beehre ich mich die Anzeige zu machen, daß durch sein frühes Hinscheiden das Geheimniß der Bereitung des Gußstahls nicht verloren gegangen, sondern durch seine Vorsorge auf unseren ältesten Sohn, der unter seiner Leitung schon einige Zeit der Fabrik vorgestanden, übergegangen ist und daß ich mit demselben das Geschäft unter der früheren Firma „Friedrich Krupp” fortsetzen und in Hinsicht der Güte des Gußstahls, sowie auch der in meiner Fabrik daraus gefertigten Waaren nichts zu wünschen übrig lassen werde.



Die Gegenstände, welche in meiner Fabrik gefertigt werden, sind folgende: Gußstahl in Stangen von beliebiger Dicke, desgl. in gewalzten Platten, auch in Stücken, genau nach Abzeichnungen oder Modellen geschmiedet, z. B. Münzstempel, Stangen, Spindeln, Tuchscheerblätter, Walzen u. dergl., wie solche nur verlangt und aufgegeben werden, sowie auch fertige Lohgerberwerkzeuge.



Gußstahlfabrik bei Essen, im Oktober 1826.



Wittwe Therese Krupp, geb. Wilhelmi.”

Wie stand es nun mit der Fabrik? Friedrich Krupp war es trotz aller Schwierigkeiten immer noch gelungen, sein Geschäft in voller Ordnung zu hinterlassen und seine kaufmännische Ehre voll zu wahren. Aber Schulden waren natürlich vorhanden, und sie überstiegen beinahe den Werth des Vermögens. Die Güte des Kruppschen Gußstahls ward überall anerkannt; die Bestellungen waren aber in den letzten Jahren immer dürftiger eingelaufen, da die Krankheit des Chefs eine pünktliche Ausführung zur Unmöglichkeit gemacht hatte. Die Zahl der ständigen Arbeiter war auf vier Mann heruntergegangen. Kredit war jetzt naturgemäß noch viel schwieriger zu erlangen als zu Lebzeiten des Vaters. So galt es, unter den ungünstigsten Verhältnissen gewissermaßen von vorn wieder anzufangen, auf’s Neue eine Kundschaft zu erwerben, nachdem das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Fabrik erschüttert war. Betriebsmittel, Rohmaterial, neue Arbeitskräfte und Kredit zu schaffen, wo kein irgend nennenswerther Fonds dafür zur Verfügung stand. Wieviel schwerer war die Aufgabe für Alfried jetzt, wo Englands Gußstahlfabrikate wieder als übermächtige Konkurrenten überall in den Weg traten, als damals für den Vater, wo das Vermögen noch vorhanden und durch die eigenen Erzeugnisse einem auf dem ganzen Kontinent schwer empfundenen Bedürfniß entsprochen werden konnte. Diesen Mängeln gegenüber standen aber die gut und für einen viel größeren Betrieb ausreichenden Fabrikgebäude als eine wichtige, unentbehrliche Errungenschaft des Vaters und die frische Arbeitskraft eines über Nacht zum Jüngling gereiften Knaben, der mit Begeisterung und hoffnungsfreudig ans Werk ging und, über die ersten Versuche hinweg, gleich ein vollwerthiges Material auf den Markt bringen konnte.



Es bedurfte freilich seiner ganzen Körper- und Geisteskraft, um auch nur die nothwendigsten Bedürfnisse für die Familie zu schaffen, denn außer der Schwester Ida waren ja zwei jüngere Brüder, Hermann und Friedrich, zu ernähren, zu kleiden, zu unterrichten. So stand er, mit nur zwei Arbeitern zur Seite, von Tagesgrauen bis zur einbrechenden Nacht am Ambos und vor der Esse, und wenn er den über alle Maßen angestrengten jungen Körper hinaufgeschleppt hatte in die kleine Giebelstube, dann begann noch die geistige Arbeit, dann mußte er der zweiten, nicht weniger wichtigen Berufsaufgabe genügen als Ingenieur und Kaufmann. Denn nicht stillstehen durfte er auf dem vom Vater errungenen und ihm überkommenen Standpunkt der Fabrikation und deren Verwerthung; jene zu vervollkommnen und für diese immer neue Gebiete zu entdecken und zu erobern, darauf mußte er ja unablässig seine Gedanken richten.



Und wie schlimm stand es mit seiner Vorbildung für diese Aufgabe! Woher sollten ihm die kaufmännischen, die technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse, die Fertigkeit in fremden Sprachen kommen, ihm, dem aus der Quarta des Gymnasiums, mitten aus seinem Bildungsgang herausgerissenen Schüler. Und ohne alles das ging es doch nicht, alles das mußte er nachholen, mußte er mit todmüdem Körper in nächtlicher Arbeit sich anzueignen suchen. Welche übermenschliche Aufgabe! Und daß er sie löste, daß er seiner genialen Erfindungsgabe die unentbehrliche wissenschaftliche Basis gewann, daß er die französische und englische Sprache sich vollständig zu eigen machte, daß er zu einem hervorragenden Geschäftsmann sich entwickelte, das zeugt von einer außerordentlichen Begabung, vor allem aber von einer pflichtbewußten nie erlahmenden Energie ohne Gleichen bei einem Menschen in diesen Lebensjahren. Was ihn darin unterstützte, das war die tiefempfundene Verehrung für den Vater, die glühende Begeisterung für die Weiterführung von dessen Lebenswerk und, wie er selbst bekannte, die heilige Entrüstung über das höhnische Mitleid seiner Mitbürger, das ihm am Grabe des Vaters so tief in die Seele geschnitten hatte.



Als eine gar nicht zu überschätzende Hilfe stand ihm aber seine Mutter zur Seite, eine kluge, energische und thatkräftige Frau, welche jetzt des Sohnes schwere Arbeit und emsiges Streben mit derselben Fürsorge und demselben theilnahmsvollen Verständniß umgab, wie sie sie bisher dem Gatten gewidmet hatte. Sein Erbtheil von ihr nannte Alfried, wenn er mit höchster Verehrung und inniger Pietät der Mutter gedachte, den ihm innewohnenden rastlosen und unermüdlichen Fleiß.



Er selbst schilderte diese schwere Zeit in einem Briefe: „Ich sollte laut Testament für Rechnung meiner Mutter die Fabrik fortsetzen, ohne Kenntniß, Erfahrung, Kraft, Mittel und Kredit. Von meinem vierzehnten Jahre an hatte ich die Sorgen eines Familienvaters und die Arbeit bei Tage, des Nachts Grübeln, wie die Schwierigkeiten zu überwinden wären. Bei schwerer Arbeit, oft Nächte hindurch, lebte ich oft bloß von Kartoffeln, Kaffee, Butter und Brot, ohne Fleisch, mit dem Ernst eines bedrängten Familienvaters, und 25 Jahre lang habe ich ausgeharrt, bis ich endlich bei allmählich steigernder Besserung der Verhältnisse eine leidliche Existenz errang. Meine letzte Erinnerung aus der Vergangenheit ist die so lange drohende Gefahr des Unterganges und die Ueberwindung durch Ausdauer, Entbehrung und Arbeit, und das ist es, was ich jedem jungen Manne zur Aufmunterung sagen möchte, der nichts hat, nichts ist und was werden will.”

 



Langsam freilich, erschreckend langsam nur konnte es vorwärts gehen mit der Fabrik, wenn auch Alfried und seine Mutter sich mit der Befriedigung der äußersten Bedürfnisse begnügten, wenn auch der Fabrikherr persönlich jede Gesellenarbeit mit verrichtete und jeden Groschen nur zu Gunsten des Geschäftes verausgabte. Wie manchmal mußte er sich sorgen, selbst nur die kleine Summe für die wöchentliche Löhnung seiner paar Arbeiter rechtzeitig zu beschaffen; für seine eigene Arbeitsleistung blieb ihm nichts übrig. „Fünfzehn Jahre lang,” sagt er in einem Aufruf an seine Arbeiter am 24. Juli 1872, „habe ich gerade soviel erworben, um den Arbeitern ihren Lohn auszahlen zu können. Für meine eigene Arbeit und Sorgen hatte ich weiter nichts, als das Bewußtsein der Pflichterfüllung.” So brachte er es bis zum Jahre 1832 erst auf 10 Arbeiter, die im folgenden sogar auf 9 wieder herabgingen. Und dabei dachte er Tag und Nacht auf Verbesserungen seiner Fabrikate und weitere Ausnutzung seines Gußstahls; dabei suchte er in sonntäglichem Unterricht bei seinem Oheim, dem Kaufmann Karl Schulz, die kaufmännische Buchführung und sonstige kaufmännische Wissenschaften sich anzueignen; dabei ergriff er selbst den Wanderstab, um als Reisender für sein Geschäft seine Fabrikate an den Mann zu bringen. Von Hof zu Hof zog er auf der aus dem Märkischen in’s Bergische führenden Enneperstraße, wo die „Reckhämmer” ihre heiße Arbeit betrieben, um Aufträge auf „Hammersättel” einzusammeln, jede Lieferung neu gefertigter Münzstempel brachte er selbst nach Düsseldorf in die Münze, um sofort die Bezahlung empfangen zu können; denn der Geldmangel steigerte sich manchmal bis zur Sorge, das Porto für eingehende Briefe zu decken.



Nach einem Jahrzehnt dieses heißen, oft verzweiflungsvollen Ringens gelang es endlich Alfried, den ersten wichtigen Erfolg zu erringen. Er hatte eine Löffelwalze in Gußstahl hergestellt, bestimmt zum Gebrauch bei Herstellung von Löffeln in Gold und Silber und erhielt auf diese nicht nur in den deutschen Staaten, sondern auch in England, Frankreich und Oesterreich ein Patent. Die Walze ward außerordentlich vortheilhaft von den Löffelfabrikanten gefunden und in England dem Erfinder eine so ansehnliche Geldsumme für das Patent gezahlt, daß er sich nicht nur von den lästigsten Schulden befreien, sondern auch den Betrieb seines Werkes wesentlich erweitern konnte. Die erste schreckliche Periode der oft unheimlichen Angst und der beinahe übermenschlichen Anstrengung war damit überwunden; mit gehobenem Muthe sah der Jüngling einer besseren Zukunft entgegen.



Der Gedanke lag nahe, die neue Erfindung auch in Deutschland weiter auszunutzen, wozu es jedoch größerer Anlagekapitalien bedurfte. Krupp wandte sich an das angesehene Bankhaus v. d. Heydt, Kersten & Co. in Elberfeld, und dieses zeigte sich auch nicht abgeneigt, eine Verbindung mit ihm einzugehen behufs Fabrikation der Löffelwalzen in großem Maßstabe. Jedoch trat bald das Bestreben hervor, weniger dem Erfinder zu Hilfe zu kommen, als vielmehr seine Erfindung im Interesse des Bankhauses auszunutzen. Man weigerte sich nämlich, ihm Kapital zur Verfügung zu stellen und verlangte die Gründung eines Werkes in Elberfeld, welches den Namen des Geldleihers tragen sollte, so daß also der Erfinder mit seiner Person ganz zurücktrat und der weiteren Entwickelung seiner eigenen Fabrik geradezu entgegengearbeitet wurde. Auf solche Bedingungen konnte dieser natürlich nicht eingehen, die Verhandlungen zerschlugen sich, die Beziehungen zu dem Bankhause scheinen aber Mißstimmungen bei dessen Chef hinterlassen zu haben, welche er in seiner späteren Stellung als Handels- bezw. Finanzminister noch nicht überwunden hatte. Wenigstens glaubte Krupp die seiner Firma zu Theil werdende Behandlung Seitens des preußischen Ministers hierauf zurückführen zu müssen.



Besseren Erfolg hatte er in Oesterreich mit dem Bestreben, seine als vorzüglich anerkannten Münzstempel zur Einführung zu bringen. Allerdings galt es dort einen heftigen Kampf gegen die Intriguen und Chikanen der österreichischen Konkurrenten, welche mit allen zulässigen und unzulässigen Mitteln dem Eindringen des ausländischen Fabrikanten entgegenarbeiteten. Monatelang mußte Krupp wiederholt in Wien sich aufhalten, um seinen Erzeugnissen nach manchem schweren Verdruß zum Siege zu verhelfen. Aber leicht kann es nicht gewesen sein, denn sein schönes schwarzes Haar bleichte in diesen Jahren, und er pflegte später zu sagen, die Farbe seiner Haare habe er in Wien gelassen. Bei dieser Gelegenheit mag es ihm zum Bewußtsein gekommen sein, daß gegen die, ihre an und für sich ja durchaus berechtigten Interessen vertheidigenden österreichischen Metallfabrikanten auf die Dauer nur dadurch würde Stand zu halten sein, daß er auf österreichischem Boden festen Fuß faßte. Zur Gründung einer eigenen Fabrik daselbst fehlten ihm die Mittel, es blieb also nur der Ausweg, mit einem österreichischen Kaufmann nahe persönliche Beziehungen herzustellen. Er fand einen solchen in Alexander Schöller, einem geborenen Dürener, welcher seit 1833 in Wien eine Großhandlung besaß. Mit diesem vereint gründete Alfred Krupp im Jahre 1844 in Berndorf bei Leobersdorf eine Metallfabrik unter der Firma Krupp und Schöller. Die technische Leitung übernahm Krupp’s jüngerer Bruder Hermann. Bald blühte die Fabrik zu einem Werk ersten Ranges empor und ward dadurch erweitert, daß Hermann Krupp in Gemeinschaft mit Schöller auch eine Bessemer-Stahlfabrik, Aktiengesellschaft in Ternitz, und eine Nickelfabrik zu Losoncz in Ungarn gründete.



In auffallendem Maaße begann die Essener Fabrik sich in diesen Jahren zu entwickeln; während ihr Areal im Jahre 1838 nur 2,87 ha umfaßte (weniger als in Friedrich Krupp’s letzten Lebensjahren), war es 1844 auf 4,53 ha angewachsen und die Arbeiterzahl stieg im Jahr 1843 auf 99, im folgenden auf 107 und 1845 sogar auf 122 Köpfe. Es ist hieraus ersichtlich, wie unablässig der Fabrikherr bemüht war, die Werkanlagen zu erweitern, die Leistungsfähigkeit der Fabrik zu steigern, wie selbstlos er jede Verbesserung der Einnahmen lediglich in deren Interesse verwendete und sein persönliches Wohlbehagen deren Förderung stets hintanstellte. Es ist hier der eigenthümliche Zug in Krupp’s Geschäftsleitung bereits deutlich erkennbar, welcher bis in die letzten Lebensjahre zu der mächtigen Entwickelung der Gußstahlfabrik so wesentlich beitrug, von den Einnahmen, so bedeutende Höhen sie auch erreichten, nie etwas zu kapitalisiren oder im persönlichen Interesse zu verwenden, sondern stets zu Verbesserungen und Erweiterungen der Fabrikanlagen zu benutzen. Stetig wuchsen mit der Eroberung neuer Produktionsgebiete, in deren Auffinden Krupp unermüdlich war, auch die Anforderungen bezüglich Beschaffung der Rohmaterialien, bezüglich der Räumlichkeiten und maschinellen Anlagen für ihre Ver- und Bearbeitung, bezüglich der Bedürfnisse der wachsenden Arbeitermasse. Da waren stets dringende Wünsche zu befriedigen, und der Gedanke scheint Krupp nie gekommen zu sein, seine persönlichen Bedürfnisse einmal denen der Fabrik voranzustellen oder einen ausführbaren Erweiterungsbau aufzuschieben, um eine Summe für sich und seine Familie zu kapitalisiren. Seine Fabrik erschien ihm stets die beste Kapitalsanlage und selbst die eigene Arbeitskraft und seine werthvollsten Erfindungen hielt er für am besten belohnt und verzinst, wenn er sie lediglich in den Dienst der Fabrik stellte. Wie er in dem ersten Dezennium unter dem Zwang der Noth jeden Pfennig für diese hatte ausgeben müssen, so geschah es weiter mit den großen Summen, die er später vereinnahmte, und dabei half ihm sein unerschütterliches Vertrauen in die Ausbeutungs- und Entwickelungsfähigkeit der väterlichen Erbschaft, sowie sein Bewußtsein einer unerschöpflichen Erfindungsgabe und nie erlahmenden Arbeitskraft auch den Zeiten ernster wirthschaftlicher Krisis ohne Reservefonds entgegenzutreten und sie siegreich zu überwinden.



Hierbei kam ihm eine zweite Geschäftsregel wesentlich zur Hilfe, welche auch ein charakteristisches Merkmal seiner Geschäftsführung von Anfang an gewesen ist, und in dem Bestreben basirt, alle Bedürfnisse der Fabrik möglichst selbst mit deren eigenen Mitteln zu befriedigen. Was an Werkzeugen erforderlich war, suchte er selbst herzustellen und sparte damit den sonst in die Taschen anderer Fabrikanten fließenden Verdienst. Dieses System der Selbstfabrikation hat er stetig durchgeführt und in einem so großartigen Maßstabe entwickelt, wie es sich wohl nirgends wiederholen möchte, wie es allerdings auch nur mittelst der Einführung dieser Regel von Anfang an und mittelst der enormen hierfür verfügbar zu machenden Geldmittel ausführbar war. In Zeiten der Krisis war er aber hierdurch fast ganz unabhängig von anderen Lieferanten und entging allen durch solche etwa auszuübenden Pressionen und seinen Kredit gefährdenden Maßnahmen.



Unermüdlich war Krupp eifrigst bemüht, seine Kenntnisse zu erweitern und als geeignetstes Mittel hierzu suchte er die zahlreichen Reisen auszunutzen, die er im Geschäftsinteresse unternehmen mußte. Namentlich war es in England, in dem Lande des Welthandels und der ausgedehntesten Industrie, wo er offenen Auges beobachtete und forschte, wo ihm die Gewißheit wurde, daß sich für sein vorzügliches Material auch ein weiter Wirkungsbezirk erschließen müßte; er selbst äußerte später, daß er hier erst einen Begriff davon bekommen habe, „welch einen umfassenden Markt eine gute Sache sich erwerben kann”. Weniger hoch schlug er das an, was er in technischer Beziehung, als in geschäftlicher, in Großbritannien lernte. Aber seinen großen Gegner und Konkurrenten auf dem Gebiete der Eisentechnik lernte er gründlich kennen und abschätzen; er fand mit klarem Blick den Punkt, wo er den Hebel einzusetzen habe, um ihn aus dem Sattel zu heben, und diesem nächsten Ziele steuerte er mit aller Energie zu.



Wesentlichen Vortheil zog er aus seinen Reisen für seine Sprachkenntnisse, indem er in der englischen wie in der französischen Sprache sich vollkommene Fertigkeit erwarb. Dabei wußte er aus seinem Verkehr mit den bedeutendsten deutschen Technikern, aus dem eifrigen Studium der fachwissenschaftlichen Litteratur, aus allem dem Neuen und Entwickelungsfähigen, das er mit scharfem Auge entdeckte, eine praktische Verwerthung für seine Fabrik zu ziehen und erfreute sich im Kreise seiner Berufsgenossen bald einer angesehenen Stellung dank der Entwickelung seines Werkes, seiner geschäftlichen und technischen Kenntnisse, sowie seiner zunehmenden Erfolge auf dem Gebiete der Eisentechnik.



Im Jahre 1844 ward ihm die erste größere öffentliche Anerkennung zu Theil, indem ihm für seine Fabrikate auf der Berliner Ausstellung vaterländischer Gewerbserzeugnisse die goldene Medaille verliehen wurde.



Eine ernste Krisis brachte das Jahr 1848 dem aufblühenden Werke. Der wirthschaftliche Rückgang, welcher in Folge der unglücklichen politischen Verhältnisse in allen Kulturstaaten sich geltend machte, drohte auch der Gußstahlfabrik verhängnißvoll zu werden. Die Arbeiterzahl mußte auf 72 Köpfe vermindert werden, und nur ein großes persönliches Opfer konnte über die Nothwendigkeit hinweg helfen, noch eine größere Anzahl entlassen zu müssen. Krupp ließ das gesammte ererbte Silberzeug der Familie einschmelzen, um mit den hierdurch geschafften Baarmitteln der Fabrik über die schwerste Zeit hinweg zu helfen. Seitdem ward im Hause Krupp niemals wieder Silbergeräth benutzt. Nach Alfrieds Bestimmung durfte fortan nur Neusilbergeräth beschafft und zwar aus der Fabrik des Bruders in Berndorf bezogen werden.



Von kurzer Dauer war die Krisis. Im folgenden Jahre konnten wieder 107 Arbeiter beschäftigt werden, und ihre Zahl stieg von da an ganz außerordentlich, so daß sie im Jahre 1850 auf 237 und 1852 auf 340 sich belief. Der Grund ist einerseits wohl in dem allgemeinen mächtigen Aufschwung zu suchen, welchen die ganze vaterländische Industrie noch 1848 im Kampfe gegen die der Franzosen und Engländer nahm. Wenn wir aber sehen, wie Alfried Krupp gerade in den ersten Reihen der Kämpfer sich auszeichnete, wie er allen anderen voran eilte, um dem Auslande auf dem Weltmarkte den Rang abzugewinnen, so müssen es wohl noch besonders günstige Ereignisse sein, welche dem jungen Adler die Flügel lösten und ihm den Impuls gaben zum muthigen Fluge himmelan.



Und das Jahr 1848 bezeichnet allerdings einen außerordentlich wichtigen Wendepunkt nicht nur in der Entwickelung seiner Fabrik, sondern vor allem in dem eigenen Werdegang Krupps. Bisher war er noch immer gebunden gewesen durch die Verpflichtung, als Chef des Hauses die Interessen seiner Geschwister ebenso gut wie die seinigen zu wahren, und er war zu pflichttreu, als daß er sich zu Wagnissen hätte hinreißen lassen, welche das Vermögen der Geschwister etwa durch seine Schuld gefährdet hätten; er war an große Vorsicht in allen seinen Unternehmungen gebunden. Nun war im Jahre 1844 der Bruder Hermann ausgeschieden und 1848 trat auch der zweite Bruder Friedrich aus dem Verbande; Alfried übernahm vom 24. Februar ab die Fabrik auf seine alleinige Rechnung. Die hierbei nothwendige Vermögensauseinandersetzung mag auch nicht ohne Einfluß auf die erwähnte wirthschaftliche Krisis gewesen sein.

 



Mit diesem 24. Februar ward er nun frei von jeder Rücksichtnahme auf anderweitige Interessen, er hatte nur noch eine Verantwortung, die vor sich selbst und vor dem idealen Bil