Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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56.

– Zu­letzt kommt es dar­auf an, zu wel­chem Zweck ge­lo­gen wird. Daß im Chris­tent­hum die »hei­li­gen« Zwe­cke feh­len, ist mein Ein­wand ge­gen sei­ne Mit­tel, Nur schlech­te Zwe­cke: Ver­gif­tung, Ver­leum­dung, Ver­nei­nung des Le­bens, die Ver­ach­tung des Lei­bes, die Her­ab­wür­di­gung und Selbst­schän­dung des Men­schen durch den Be­griff Sün­de, – folg­lich sind auch sei­ne Mit­tel schlecht. – Ich lese mit ei­nem ent­ge­gen­ge­setz­ten Ge­füh­le das Ge­setz­buch des Manu, ein un­ver­gleich­lich geis­ti­ges und über­le­ge­nes Werk, das mit der Bi­bel auch nur in Ei­nem Athem nen­nen eine Sün­de wi­der den Geist wäre. Man er­räth so­fort: es hat eine wirk­li­che Phi­lo­so­phie hin­ter sich, in sich, nicht bloß ein übel­rie­chen­des Ju­dain von Rab­bi­nis­mus und Aber­glau­ben, – es giebt selbst dem ver­wöhn­tes­ten Psy­cho­lo­gen Et­was zu bei­ßen. Nicht die Haupt­sa­che zu ver­ges­sen, der Grund­un­ter­schied von je­der Art von Bi­bel: die vor­neh­men Stän­de, die Phi­lo­so­phen und die Krie­ger, hal­ten mit ihm ihre Hand über der Men­ge; vor­neh­me Wert­he über­all, ein Voll­kom­men­heits-Ge­fühl, ein Ja­sa­gen zum Le­ben, ein tri­um­phi­ren­des Wohl­ge­fühl an sich und am Le­ben, – die Son­ne liegt auf dem gan­zen Buch. – Alle die Din­ge, an de­nen das Chris­tent­hum sei­ne un­er­gründ­li­che Ge­mein­heit aus­läßt, die Zeu­gung zum Bei­spiel, das Weib, die Ehe, wer­den hier ernst, mit Ehr­furcht, mit Lie­be und Zu­trau­en be­han­delt. Wie kann man ei­gent­lich ein Buch in die Hän­de von Kin­dern und Frau­en le­gen, das je­nes nie­der­träch­ti­ge Wort ent­hält: »um der Hu­re­rei wil­len habe ein Jeg­li­cher sein eig­nes Weib und eine Jeg­li­che ih­ren eig­nen Mann… es ist bes­ser frei­en denn Brunst lei­den«? Und darf man Christ sein, so lan­ge mit dem Be­griff der im­ma­cu­la­ta con­cep­tio die Ent­ste­hung des Men­schen ver­christ­licht, das heißt be­schmutzt ist? … Ich ken­ne kein Buch, wo dem Wei­be so vie­le zar­te und gü­ti­ge Din­ge ge­sagt wür­den, wie im Ge­setz­buch des Manu; die­se al­ten Grau­bär­te und Hei­li­gen ha­ben eine Art, ge­gen Frau­en ar­tig zu sein, die viel­leicht nicht über­trof­fen ist. »Der Mund ei­ner Frau – heißt es ein­mal –, der Bu­sen ei­nes Mäd­chens, das Ge­bet ei­nes Kin­des, der Rauch des Op­fers sind im­mer rein.« Eine and­re Stel­le: »es giebt gar nichts Rei­ne­res als das Licht der Son­ne, den Schat­ten ei­ner Kuh, die Luft, das Was­ser, das Feu­er und den Athem ei­nes Mäd­chens.« Eine letz­te Stel­le – viel­leicht auch eine hei­li­ge Lüge –: »alle Öff­nun­gen des Lei­bes ober­halb des Na­bels sind rein, alle un­ter­halb sind un­rein. Nur beim Mäd­chen ist der gan­ze Kör­per rein.«

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57.

Man er­tappt die Un­hei­lig­keit der christ­li­chen Mit­tel in fla­gran­ti, wenn man den christ­li­chen Zweck ein­mal an dem Zweck des Manu-Ge­setz­bu­ches mißt, – wenn man die­sen größ­ten Zweck-Ge­gen­satz un­ter star­kes Licht bringt. Es bleibt dem Kri­ti­ker des Chris­tent­hums nicht er­spart, das Chris­tent­hum ver­ächt­lich zu ma­chen. – Ein sol­ches Ge­setz­buch, wie das des Manu, ent­steht wie je­des gute Ge­setz­buch: es re­sü­mirt die Er­fah­rung, Klug­heit und Ex­pe­ri­men­tal–Moral von lan­gen Jahr­hun­der­ten, es schließt ab, es schafft nichts mehr. Die Voraus­set­zung zu ei­ner Co­di­fi­ca­ti­on sei­ner Art ist die Ein­sicht, daß die Mit­tel, ei­ner lang­sam und kost­spie­lig er­wor­be­nen Wahr­heit Au­to­ri­tät zu schaf­fen, grund­ver­schie­den von de­nen sind, mit de­nen man sie be­wei­sen wür­de. Ein Ge­setz­buch er­zählt nie­mals den Nut­zen, die Grün­de, die Ca­suis­tik in der Vor­ge­schich­te ei­nes Ge­set­zes: eben da­mit wür­de es den im­pe­ra­ti­vi­schen Ton ein­bü­ßen, das »du sollst«, die Voraus­set­zung da­für, daß ge­horcht wird. Das Pro­blem liegt ge­nau hier­in. – An ei­nem ge­wis­sen Punk­te der Ent­wick­lung ei­nes Volks er­klärt die ein­sich­tigs­te, das heißt rück- und hin­aus­bli­ckends­te Schicht des­sel­ben, die Er­fah­rung, nach der ge­lebt wer­den soll – das heißt kann –, für ab­ge­schlos­sen, Ihr Ziel geht da­hin, die Ern­te mög­lichst reich und voll­stän­dig von den Zei­ten des Ex­pe­ri­ments und der schlim­men Er­fah­rung heim­zu­brin­gen. Was folg­lich vor Al­lem jetzt zu ver­hü­ten ist, das ist das Noch–For­t–Ex­pe­ri­men­ti­ren, die Fort­dau­er des flüs­si­gen Zu­stands der Wert­he, das Prü­fen, Wäh­len, Kri­tik-Üben der Wert­he in in­fi­ni­tum. Dem stellt man eine dop­pel­te Mau­er ent­ge­gen: ein­mal die Of­fen­ba­rung, das ist die Be­haup­tung, die Ver­nunft je­ner Ge­set­ze sei nicht mensch­li­cher Her­kunft, nicht lang­sam und un­ter Fehl­grif­fen ge­sucht und ge­fun­den, son­dern, als gött­li­chen Ur­sprungs, ganz, voll­kom­men, ohne Ge­schich­te, ein Ge­schenk, ein Wun­der, bloß mit­get­heilt … So­dann die Tra­di­ti­on, das ist die Be­haup­tung, daß das Ge­setz be­reits seit ur­al­ten Zei­ten be­stan­den habe, daß es pie­tät­los, ein Ver­bre­chen an den Vor­fah­ren sei, es in Zwei­fel zu ziehn. Die Au­to­ri­tät des Ge­set­zes be­grün­det sich mit den The­sen: Gott gab es, die Vor­fah­ren leb­ten es. – Die hö­he­re Ver­nunft ei­ner sol­chen Pro­ce­dur liegt in der Ab­sicht, das Be­wußt­sein Schritt für Schritt von dem als rich­tig er­kann­ten (das heißt durch eine un­ge­heu­re und scharf durch­ge­sieb­te Er­fah­rung be­wie­se­nen) Le­ben zu­rück­zu­drän­gen: so­daß der voll­komm­ne Au­to­ma­tis­mus des In­stinkts er­reicht wird, – die­se Voraus­set­zung zu je­der Art Meis­ter­schaft, zu je­der Art Voll­kom­men­heit in der Kunst des Le­bens. Ein Ge­setz­buch nach Art des Manu auf­stel­len heißt ei­nem Vol­ke für­der­hin zu­ge­stehn, Meis­ter zu wer­den, voll­kom­men zu wer­den, – die höchs­te Kunst des Le­bens zu am­bi­tio­ni­ren. Dazu muß es un­be­wußt ge­macht wer­den: dies der Zweck je­der hei­li­gen Lüge. – Die Ord­nung der Kas­ten, das obers­te, das do­mi­ni­ren­de Ge­setz, ist nur die Sank­ti­on ei­ner Na­tur-Ord­nung, Na­tur-Ge­setz­lich­keit ers­ten Ran­ges, über die kei­ne Will­kür, kei­ne »mo­der­ne Idee« Ge­walt hat. Es tre­ten in je­der ge­sun­den Ge­sell­schaft, sich ge­gen­sei­tig be­din­gend, drei phy­sio­lo­gisch ver­schie­den-gra­vi­ti­ren­de Ty­pen aus­ein­an­der, von de­nen je­der sei­ne eig­ne Hy­gie­ne, sein eig­nes Reich von Ar­beit, sei­ne eig­ne Art Voll­kom­men­heits-Ge­fühl und Meis­ter­schaft hat. Die Na­tur, nicht Manu, trennt die vor­wie­gend Geis­ti­gen, die vor­wie­gend Mus­kel- und Tem­pe­ra­ments-Star­ken und die we­der im Ei­nen, noch im An­dern aus­ge­zeich­ne­ten Drit­ten, die Mit­tel­mä­ßi­gen, von ein­an­der ab, – die letz­te­ren als die große Zahl, die ers­te­ren als die Aus­wahl. Die obers­te Kas­te – ich nen­ne sie die We­nigs­ten – hat als die voll­komm­ne auch die Vor­rech­te der We­nigs­ten: dazu ge­hört es, das Glück, die Schön­heit, die Güte auf Er­den dar­zu­stel­len. Nur die geis­tigs­ten Men­schen ha­ben die Er­laub­niß zur Schön­heit, zum Schö­nen: nur bei ih­nen ist Güte nicht Schwä­che. Pulchrum est pau­corum ho­mi­num: das Gute ist ein Vor­recht. Nichts kann ih­nen da­ge­gen we­ni­ger zu­ge­stan­den wer­den, als häß­li­che Ma­nie­ren oder ein pes­si­mis­ti­scher Blick, ein Auge, das ver­häß­licht –, oder gar eine Ent­rüs­tung über den Ge­sammt-Aspekt der Din­ge. Die Ent­rüs­tung ist das Vor­recht der Tschan­da­la; der Pes­si­mis­mus des­glei­chen. »Die Welt ist voll­kom­men – so re­det der In­stinkt der Geis­tigs­ten, der Ja-sa­gen­de In­stinkt –: die Un­voll­kom­men­heit, das Un­ter-uns je­der Art, die Di­stanz, das Pa­thos der Di­stanz, der Tschan­da­la selbst ge­hört noch zu die­ser Voll­kom­men­heit.« Die geis­tigs­ten Men­schen, als die Stärks­ten, fin­den ihr Glück, worin And­re ih­ren Un­ter­gang fin­den wür­den: im La­by­rinth, in der Här­te ge­gen sich und And­re, im Ver­such; ihre Lust ist die Selbst­be­zwin­gung: der As­ke­tis­mus wird bei ih­nen Na­tur, Be­dürf­niß, In­stinkt. Die schwe­re Auf­ga­be gilt ih­nen als Vor­recht; mit Las­ten zu spie­len, die And­re er­drücken, eine Er­ho­lung… Er­kennt­niß – eine Form des As­ke­tis­mus. – Sie sind die ehr­wür­digs­te Art Mensch: das schließt nicht aus, daß sie die hei­ters­te, die lie­bens­wür­digs­te sind. Sie herr­schen, nicht weil sie wol­len, son­dern weil sie sind; es steht ih­nen nicht frei, die Zwei­ten zu sein. – Die Zwei­ten: das sind die Wäch­ter des Rechts, die Pfle­ger der Ord­nung und der Si­cher­heit, das sind die vor­neh­men Krie­ger, das ist der Kö­nig vor Al­lem als die höchs­te For­mel von Krie­ger, Rich­ter und Auf­recht­er­hal­ter des Ge­set­zes. Die Zwei­ten sind die Exe­ku­ti­ve der Geis­tigs­ten, das Nächs­te, was zu ih­nen ge­hört, das was ih­nen al­les Gro­be in der Ar­beit des Herr­schens ab­nimmt, – ihr Ge­fol­ge, ihre rech­te Hand, ihre bes­te Schü­ler­schaft. – In dem Al­lem, noch­mals ge­sagt, ist Nichts von Will­kür, Nichts »ge­macht«; was an­ders ist, ist ge­macht, – die Na­tur ist dann zu Schan­den ge­macht… Die Ord­nung der Kas­ten, die Rang­ord­nung, for­mu­lirt nur das obers­te Ge­setz des Le­bens selbst; die Ab­schei­dung der drei Ty­pen ist nö­thig zur Er­hal­tung der Ge­sell­schaft, zur Er­mög­li­chung hö­he­rer und höchs­ter Ty­pen, – die Un­gleich­heit der Rech­te ist erst die Be­din­gung da­für, daß es über­haupt Rech­te giebt, – Ein Recht ist ein Vor­recht. In sei­ner Art Sein hat Je­der auch sein Vor­recht. Un­ter­schät­zen wir die Vor­rech­te der Mit­tel­mä­ßi­gen nicht. Das Le­ben nach der Höhe zu wird im­mer här­ter, – die Käl­te nimmt zu, die Verant­wort­lich­keit nimmt zu. Eine hohe Cul­tur ist eine Py­ra­mi­de: sie kann nur auf ei­nem brei­ten Bo­den stehn, sie hat zu al­ler­erst eine stark und ge­sund con­so­li­dir­te Mit­tel­mä­ßig­keit zur Voraus­set­zung. Das Hand­werk, der Han­del, der Acker­bau, die Wis­sen­schaft, der größ­te Theil der Kunst, der gan­ze In­be­griff der Be­rufs­tä­tig­keit mit Ei­nem Wort, ver­trägt sich durch­aus nur mit ei­nem Mit­tel­maaß im Kön­nen und Be­geh­ren; der­glei­chen wäre de­pla­cirt un­ter Aus­nah­men, der da­zu­ge­hö­ri­ge In­stinkt wi­der­sprä­che so­wohl dem Ari­sto­kra­tis­mus als dem An­ar­chis­mus. Daß man ein öf­fent­li­cher Nut­zen ist, ein Rad, eine Funk­ti­on, dazu giebt es eine Na­tur­be­stim­mung: nicht die Ge­sell­schaft, die Art Glück, de­ren die Al­ler­meis­ten bloß fä­hig sind, macht aus ih­nen in­tel­li­gen­te Ma­schi­nen. Für den Mit­tel­mä­ßi­gen ist mit­tel­mä­ßig sein ein Glück; die Meis­ter­schaft in Ei­nem, die Spe­cia­li­tät ein na­tür­li­cher In­stinkt. Es wür­de ei­nes tiefe­ren Geis­tes voll­kom­men un­wür­dig sein, in der Mit­tel­mä­ßig­keit an sich schon einen Ein­wand zu sehn. Sie ist selbst die ers­te Not­wen­dig­keit da­für, daß es Aus­nah­men ge­ben darf: eine hohe Cul­tur ist durch sie be­dingt. Wenn der Aus­nah­me-Mensch ge­ra­de die Mit­tel­mä­ßi­gen mit zar­te­ren Fin­gern hand­habt, als sich und sei­nes Glei­chen, so ist dies nicht bloß Höf­lich­keit des Her­zens, – es ist ein­fach sei­ne Pf­licht … Wen has­se ich un­ter dem Ge­sin­del von Heu­te am bes­ten? Das So­cia­lis­ten-Ge­sin­del, die Tschan­da­la-Apos­tel, die den In­stinkt, die Lust, das Ge­nüg­sam­keits-Ge­fühl des Ar­bei­ters mit sei­nem klei­nen Sein un­ter­gra­ben, – die ihn nei­disch ma­chen, die ihn Ra­che leh­ren … Das Un­recht liegt nie­mals in un­glei­chen Rech­ten, es liegt im An­spruch auf »glei­che« Rech­te … Was ist schlecht? Aber ich sag­te es schon: Al­les, was aus Schwä­che, aus Neid, aus Ra­che stammt. – Der An­ar­chist und der Christ sind Ei­ner Her­kunft …

 

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58.

In der That, es macht einen Un­ter­schied, zu wel­chem Zweck man lügt: ob man da­mit er­hält oder zer­stört. Man darf zwi­schen Christ und An­ar­chist eine voll­komm­ne Glei­chung auf­stel­len: ihr Zweck, ihr In­stinkt geht nur auf Zer­stö­rung. Den Be­weis für die­sen Satz hat man aus der Ge­schich­te nur ab­zu­le­sen: sie ent­hält ihn in ent­setz­li­cher Deut­lich­keit. Lern­ten wir eben eine re­li­gi­öse Ge­setz­ge­bung ken­nen, de­ren Zweck war, die obers­te Be­din­gung da­für, daß das Le­ben ge­deiht, eine große Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­sell­schaft zu »ver­ewi­gen«, – das Chris­tent­hum hat sei­ne Miss­ton dar­in ge­fun­den, mit eben ei­ner sol­chen Or­ga­ni­sa­ti­on, weil in ihr das Le­ben ge­dieh, ein Ende zu ma­chen. Dort soll­te der Ver­nunft-Er­trag von lan­gen Zei­ten des Ex­pe­ri­ments und der Un­si­cher­heit zum ferns­ten Nut­zen an­ge­legt und die Ern­te so groß, so reich­lich, so voll­stän­dig wie mög­lich heim­ge­bracht wer­den: hier wur­de, um­ge­kehrt, über Nacht die Ern­te ver­gif­tet… Das, was ae­re per­en­ni­us da­stand, das im­pe­ri­um Ro­ma­num, die groß­ar­tigs­te Or­ga­ni­sa­ti­ons-Form un­ter schwie­ri­gen Be­din­gun­gen, die bis­her er­reicht wor­den ist, im Ver­gleich zu der al­les Vor­her, al­les Nach­her Stück­werk, Stüm­pe­rei, Di­let­tan­tis­mus ist, – jene hei­li­gen An­ar­chis­ten ha­ben sich eine »Fröm­mig­keit« dar­aus ge­macht, »die Welt«, das heißt das Im­pe­ri­um Ro­ma­num zu zer­stö­ren, bis kein Stein auf dem an­dern blieb, – bis selbst Ger­ma­nen und and­re Rü­pel dar­über Herr wer­den konn­ten… Der Christ und der An­ar­chist: bei­de dé­ca­dent­s, bei­de un­fä­hig, an­ders als auf­lö­send, ver­gif­tend, ver­küm­mernd, blut­aus­sau­gend zu wir­ken, bei­de der In­stinkt des Tod­has­ses ge­gen Al­les, was steht, was groß da­steht, was Dau­er hat, was dem Le­ben Zu­kunft ver­spricht… Das Chris­tent­hum war der Vam­pyr des im­pe­ri­um Ro­ma­num, – es hat die un­ge­heu­re That der Rö­mer, den Bo­den für eine große Cul­tur zu ge­win­nen, die Zeit hat, über Nacht un­gethan ge­macht. – Ver­steht man es im­mer noch nicht? Das im­pe­ri­um Ro­ma­num, das wir ken­nen, das uns die Ge­schich­te der rö­mi­schen Pro­vinz im­mer bes­ser ken­nen lehrt, dies be­wun­de­rungs­wür­digs­te Kunst­werk des großen Stils, war ein An­fang, sein Bau war be­rech­net, sich mit Jahr­tau­sen­den zu be­wei­sen, – es ist bis heu­te nie so ge­baut, nie auch nur ge­träumt wor­den, in glei­chem Maa­ße sub spe­cie ae­ter­ni zu bau­en! – Die­se Or­ga­ni­sa­ti­on war fest ge­nug, schlech­te Kai­ser aus­zu­hal­ten: der Zu­fall von Per­so­nen darf nichts in sol­chen Din­gen zu thun ha­ben, – ers­tes Prin­cip al­ler großen Archi­tek­tur. Aber sie war nicht fest ge­nug ge­gen die cor­rup­tes­te Art Cor­rup­ti­on, ge­gen den Chris­ten … Dies heim­li­che Ge­würm, das sich in Nacht, Ne­bel und Zwei­deu­tig­keit an alle Ein­zel­nen her­an­sch­lich und je­dem Ein­zel­nen den Ernst für wah­re Din­ge, den In­stinkt über­haupt für Rea­li­tä­ten aus­sog, die­se fei­ge, fe­mi­ni­ni­sche und zucker­sü­ße Ban­de hat Schritt für Schritt die »See­len« die­sem un­ge­heu­ren Bau ent­frem­det, – jene wert­h­vol­len, jene männ­lich-vor­neh­men Na­tu­ren, die in der Sa­che Rom’s ihre eig­ne Sa­che, ih­ren eig­nen Ernst, ih­ren eig­nen Stolz emp­fan­den. Die Mu­cker-Schlei­che­rei, die Con­ven­ti­kel-Heim­lich­keit, düs­te­re Be­grif­fe wie Höl­le, wie Op­fer des Un­schul­di­gen, wie u­nio my­sti­ca, im Blut­trin­ken, vor Al­lem das lang­sam auf­ge­schür­te Feu­er der Ra­che, der Tschan­da­la-Ra­che – das wur­de Herr über Rom, die­sel­be Art von Re­li­gi­on, der in ih­rer Prä­exis­tenz-Form schon Epi­kur den Krieg ge­macht hat­te. Man lese Lu­crez, um zu be­grei­fen, was Epi­kur be­kämpft hat, nicht das Hei­dent­hum, son­dern »das Chris­ten­tum«, will sa­gen die Ver­derb­niß der See­len durch den Schuld-, durch den Straf- und Uns­terb­lich­keits-Be­griff. – Er be­kämpf­te die un­ter­ir­di­schen Cul­te, das gan­ze la­ten­te Chris­tent­hum, – die Uns­terb­lich­keit zu leug­nen war da­mals schon eine wirk­li­che Er­lö­sung. – Und Epi­kur hät­te ge­siegt, je­der acht­ba­re Geist im rö­mi­schen Reich war Epi­ku­re­er: da er­schi­en Pau­lus … Pau­lus, der Fleisch-, der Ge­nie­ge­w­ord­ne Tschan­da­la-Haß ge­gen Rom, ge­gen »die Welt«, der Jude, der ewi­ge Jude par ex­cel­lence … Was er er­rieth, das war, wie man mit Hül­fe der klei­nen sek­ti­re­ri­schen Chris­ten-Be­we­gung ab­seits des Ju­dent­hums einen »Welt­brand« ent­zün­den kön­ne, wie man mit dem Sym­bol »Gott am Kreu­ze« al­les Un­ten-Lie­gen­de, al­les Heim­lich-Auf­rüh­re­ri­sche, die gan­ze Erb­schaft an­ar­chis­ti­scher Um­trie­be im Reich, zu ei­ner un­ge­heu­ren Macht auf­sum­mi­ren kön­ne. »Das Heil kommt von den Ju­den«. – Das Chris­tent­hum als For­mel, um die un­ter­ir­di­schen Cul­te al­ler Art, die des Osi­ris, der großen Mut­ter, des Mi­thras zum Bei­spiel, zu über­bie­ten – und zu sum­mi­ren: in die­ser Ein­sicht be­steht das Ge­nie des Pau­lus. Sein In­stinkt war dar­in so si­cher, daß er die Vor­stel­lun­gen, mir de­nen jene Tschan­da­la-Re­li­gio­nen fa­s­ci­nir­ten, mit scho­nungs­lo­ser Ge­waltt­hä­tig­keit an der Wahr­heit dem »Hei­lan­de« sei­ner Er­fin­dung in den Mund leg­te, und nicht nur in den Mund – daß er aus ihm Et­was mach­te, das auch ein Mi­thras-Pries­ter ver­stehn konn­te… Dies war sein Au­gen­blick von Da­mas­kus: er be­griff, daß er den Uns­terb­lich­keits-Glau­ben nö­thig hat­te, um »die Welt« zu ent­wert­hen, daß der Be­griff »Höl­le« über Rom noch Herr wird, – daß man mit dem »Jen­seits« das Le­ben töd­tet … Ni­hi­list und Christ: das reimt sich, das reimt sich nicht bloß …

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59.

Die gan­ze Ar­beit der an­ti­ken Welt um­sonst: ich habe kein Wort da­für, das mein Ge­fühl über et­was so Un­ge­heu­res aus­drückt. – Und in An­be­tracht, daß ihre Ar­beit eine Vor­ar­beit war, daß eben erst der Un­ter­bau zu ei­ner Ar­beit von Jahr­tau­sen­den mit gra­nit­nem Selbst­be­wußt­sein ge­legt war, der gan­ze Sinn der an­ti­ken Welt um­sonst! … Wozu Grie­chen? wozu Rö­mer? – Alle Voraus­set­zun­gen zu ei­ner ge­lehr­ten Cul­tur, alle wis­sen­schaft­li­chen Metho­den wa­ren be­reits da, man hat­te die große, die un­ver­gleich­li­che Kunst, gut zu le­sen, be­reits fest­ge­stellt – die­se Voraus­set­zung zur Tra­di­ti­on der Cul­tur, zur Ein­heit der Wis­sen­schaft; die Na­tur­wis­sen­schaft, im Bun­de mit Ma­the­ma­tik und Mecha­nik, war auf dem al­ler­bes­ten Wege, – der That­sa­chen-Sinn, der letz­te und wert­h­volls­te al­ler Sin­ne, hat­te sei­ne Schu­len, sei­ne be­reits Jahr­hun­der­te alte Tra­di­ti­on! Ver­steht man das? Al­les We­sent­li­che war ge­fun­den, um an die Ar­beit gehn zu kön­nen: – die Metho­den, man muß es zehn­mal sa­gen, sind das We­sent­li­che, auch das Schwie­rigs­te, auch Das, was am längs­ten die Ge­wohn­hei­ten und Faul­hei­ten ge­gen sich hat. Was wir heu­te, mit un­säg­li­cher Selbst­be­zwin­gung – denn wir ha­ben Alle die schlech­ten In­stink­te, die christ­li­chen, ir­gend­wie noch im Lei­be – uns zu­rück­ero­bert ha­ben, den frei­en Blick vor der Rea­li­tät, die vor­sich­ti­ge Hand, die Ge­duld und den Ernst im Kleins­ten, die gan­ze Recht­schaf­fen­heit der Er­kennt­niß – sie war be­reits da! vor mehr als zwei Jahr­tau­sen­den be­reits! Und, dazu ge­rech­net, der gute, der fei­ne Takt und Ge­schmack! Nicht als Ge­hirn-Dres­sur! Nicht als »deut­sche« Bil­dung mit Rü­pel-Ma­nie­ren! Son­dern als Leib, als Ge­bär­de, als In­stinkt, – als Rea­li­tät mit Ei­nem Wor­t… Al­les um­sonst! Über Nacht bloß noch eine Erin­ne­rung! – Grie­chen! Rö­mer! die Vor­nehm­heit des In­stinkts, der Ge­schmack, die me­tho­di­sche For­schung, das Ge­nie der Or­ga­ni­sa­ti­on und Ver­wal­tung, der Glau­be, der Wil­le zur Men­schen-Zu­kunft, das große Ja zu al­len Din­gen als im­pe­ri­um Ro­ma­num sicht­bar, für alle Sin­ne sicht­bar, der große Stil nicht mehr bloß Kunst, son­dern Rea­li­tät, Wahr­heit, Le­ben ge­wor­den… – Und nicht durch ein Na­tur-Er­eigniß über Nacht ver­schüt­tet! Nicht durch Ger­ma­nen und and­re Schwer­füß­ler nie­der­ge­tre­ten! Son­dern von lis­ti­gen, heim­li­chen, un­sicht­ba­ren, blut­ar­men Vam­py­ren zu Schan­den ge­macht! Nicht be­siegt, – nur aus­ge­so­gen! … Die ver­steck­te Rach­sucht, der klei­ne Neid Herr ge­wor­den! Al­les Er­bärm­li­che, An-sich-Lei­den­de, Von-schlech­ten-Ge­füh­len-Heim­ge­such­te, die gan­ze Ghet­to-Welt der See­le mit Ei­nem Male oben­auf! – – Man lese nur ir­gend einen christ­li­chen Agi­ta­tor, den hei­li­gen Au­gus­tin zum Bei­spiel, um zu be­grei­fen, um zu rie­chen, was für un­sau­be­re Ge­sel­len da­mit oben­auf ge­kom­men sind. Man wür­de sich ganz und gar be­trü­gen, wenn man ir­gend­wel­chen Man­gel an Ver­stand bei den Füh­rern der christ­li­chen Be­we­gung vor­aus­setz­te: – oh sie sind klug, klug bis zur Hei­lig­keit, die­se Herrn Kir­chen­vä­ter! Was ih­nen ab­ge­ht, ist et­was ganz An­de­res. Die Na­tur hat sie ver­nach­läs­sigt, – sie ver­gaß, ih­nen eine be­scheid­ne Mit­gift von acht­ba­ren, von an­stän­di­gen, von rein­li­chen In­stink­ten mit­zu­ge­ben … Un­ter uns, es sind nicht ein­mal Män­ner … Wenn der Is­lam das Chris­ten­tum ver­ach­tet, so hat er tau­send­mal Recht dazu: der Is­lam hat Män­ner zur Voraus­set­zung …

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60.

Das Chris­tent­hum hat uns um die Ern­te der an­ti­ken Cul­tur ge­bracht, es hat uns spä­ter wie­der um die Ern­te der Is­lam-Cul­tur ge­bracht. Die wun­der­ba­re mau­ri­sche Cul­tur-Welt Spa­ni­ens, uns im Grun­de ver­wand­ter, zu Sinn und Ge­schmack re­den­der als Rom und Grie­chen­land, wur­de nie­der­ge­tre­ten (– ich sage nicht von was für Fü­ßen –), warum? weil sie vor­neh­men, weil sie Män­ner-In­stink­ten ihre Ent­ste­hung ver­dank­te, weil sie zum Le­ben Ja sag­te auch noch mit den selt­nen und raf­fi­nir­ten Kost­bar­kei­ten des mau­ri­schen Le­bens!… Die Kreuz­rit­ter be­kämpf­ten spä­ter Et­was, vor dem sich in den Staub zu le­gen ih­nen bes­ser an­ge­stan­den hät­te, – eine Cul­tur, ge­gen die sich selbst un­ser neun­zehn­tes Jahr­hun­dert sehr arm, sehr »spät« vor­kom­men dürf­te. – Frei­lich, sie woll­ten Beu­te ma­chen: der Ori­ent war reich… Man sei doch un­be­fan­gen! Kreuz­zü­ge – die hö­he­re See­räu­be­rei, wei­ter nichts! Der deut­sche Adel, Wi­kin­ger-Adel im Grun­de, war da­mit in sei­nem Ele­men­te: die Kir­che wuß­te nur zu gut, wo­mit man deut­schen Adel hat… Der deut­sche Adel, im­mer die »Schwei­zer« der Kir­che, im­mer im Diens­te al­ler schlech­ten In­stink­te der Kir­che, – aber gut be­zahl­t… Daß die Kir­che ge­ra­de mit Hül­fe deut­scher Schwer­ter, deut­schen Blu­tes und Mu­thes ih­ren Tod­feind­schafts-Krieg ge­gen al­les Vor­neh­me auf Er­den durch­ge­führt hat! Es giebt an die­ser Stel­le eine Men­ge schmerz­li­cher Fra­gen. Der deut­sche Adel fehlt bei­na­he in der Ge­schich­te der hö­he­ren Cul­tur: man er­räth den Grund … Chris­tent­hum, Al­ko­hol – die bei­den großen Mit­tel der Cor­rup­ti­on … An sich soll­te es ja kei­ne Wahl ge­ben, an­ge­sichts von Is­lam und Chris­tent­hum, so we­nig als an­ge­sichts ei­nes Ara­bers und ei­nes Ju­den. Die Ent­schei­dung ist ge­ge­ben; es steht Nie­man­dem frei, hier noch zu wäh­len. Ent­we­der ist man ein Tschan­da­la, oder man ist es nicht … »Krieg mit Rom auf­’s Mes­ser! Frie­de, Freund­schaft mit dem Is­lam«: so emp­fand, so that je­ner große Frei­geist, das Ge­nie un­ter den deut­schen Kai­sern, Fried­rich der Zwei­te. Wie? muß ein Deut­scher erst Ge­nie, erst Frei­geist sein, um an­stän­dig zu emp­fin­den? Ich be­grei­fe nicht, wie ein Deut­scher je christ­lich emp­fin­den konn­te…

 

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61.

Hier thut es noth, eine für Deut­sche noch hun­dert­mal pein­li­che­re Erin­ne­rung zu be­rüh­ren. Die Deut­schen ha­ben Eu­ro­pa um die letz­te große Cul­tur-Ern­te ge­bracht, die es für Eu­ro­pa heim­zu­brin­gen gab, – um die der Re­naissance. Ver­steht man end­lich, will man ver­stehn, was die Re­naissance war? Die Um­wer­thung der christ­li­chen Wert­he, der Ver­such, mit al­len Mit­teln, mit al­len In­stink­ten, mit al­lem Ge­nie un­ter­nom­men, die Ge­gen-Wert­he, die vor­neh­men Wert­he zum Sieg zu brin­gen… Es gab bis­her nur die­sen großen Krieg, es gab bis­her kei­ne ent­schei­den­de­re Fra­ge­stel­lung als die der Re­naissance, – mei­ne Fra­ge ist ihre Fra­ge –: es gab auch nie eine grund­sätz­li­che­re, eine ge­ra­de­re, eine stren­ger in gan­zer Front und auf das Cen­trum los ge­führ­te Form des An­griffs! An der ent­schei­den­den Stel­le, im Sitz des Chris­tent­hums selbst an­grei­fen, hier die vor­neh­men Wert­he auf den Thron brin­gen, will sa­gen in die In­stink­te, in die un­ters­ten Be­dürf­nis­se und Be­gier­den der da­selbst Sit­zen­den hin­ein brin­gen … Ich sehe eine Mög­lich­keit vor mir von ei­nem voll­kom­men über­ir­di­schen Zau­ber und Far­ben­reiz: – es scheint mir, daß sie in al­len Schau­dern raf­fi­nir­ter Schön­heit er­glänzt, daß eine Kunst in ihr am Wer­ke ist, so gött­lich, so teu­fels­mä­ßig-gött­lich, daß man Jahr­tau­sen­de um­sonst nach ei­ner zwei­ten sol­chen Mög­lich­keit durch­sucht; ich sehe ein Schau­spiel, so sinn­reich, so wun­der­bar pa­ra­dox zu­gleich, daß alle Gott­hei­ten des Olym­ps einen An­laß zu ei­nem un­s­terb­li­chen Ge­läch­ter ge­habt hät­ten – Ce­sa­re Bor­gia als Papst… Ver­steht man mich? … Wohl­an, das wäre der Sieg ge­we­sen, nach dem ich heu­te al­lein ver­lan­ge –: da­mit war das Chris­ten­tum ab­ge­schafft! – Was ge­sch­ah? Ein deut­scher Mönch, Luther, kam nach Rom. Die­ser Mönch, mit al­len rach­süch­ti­gen In­stink­ten ei­nes ver­un­glück­ten Pries­ters im Lei­be, em­pör­te sich in Rom ge­gen die Re­naissance … Statt mit tiefs­ter Dank­bar­keit das Un­ge­heu­re zu ver­stehn, das ge­sche­hen war, die Über­win­dung des Chris­tent­hums an sei­nem Sitz –, ver­stand sein Haß aus die­sem Schau­spiel nur sei­ne Nah­rung zu ziehn. Ein re­li­gi­öser Mensch denkt nur an sich. – Luther sah die Ver­derb­niß des Papst­t­hums, wäh­rend ge­ra­de das Ge­gent­heil mit Hän­den zu grei­fen war: die alte Ver­derb­niß, das pec­ca­tum ori­gi­na­le, das Chris­tent­hum saß nicht mehr auf dem Stuhl des Paps­tes! Son­dern das Le­ben! Son­dern der Tri­umph des Le­bens! Son­dern das große Ja zu al­len ho­hen, schö­nen, ver­we­ge­nen Din­gen! … Und Luther stell­te die Kir­che wie­der her: er griff sie an… Die Re­naissance – ein Er­eigniß ohne Sinn, ein großes Um­sonst! – Ah die­se Deut­schen, was sie uns schon ge­kos­tet ha­ben! Um­sonst – das war im­mer das Werk der Deut­schen. – Die Re­for­ma­ti­on; Leib­niz; Kant und die so­ge­nann­te deut­sche Phi­lo­so­phie; die »Frei­heits«-Krie­ge; das Reich – je­des­mal ein Um­sonst für Et­was, das be­reits da war, für et­was Un­wie­der­bring­li­ches … Es sind mei­ne Fein­de, ich be­ken­ne es, die­se Deut­schen: ich ver­ach­te in ih­nen jede Art von Be­griffs- und Werth-Unsau­ber­keit, von Feig­heit vor je­dem recht­schaff­nen Ja und Nein. Sie ha­ben, seit ei­nem Jahr­tau­send bei­na­he, Al­les ver­filzt und ver­wirrt, wor­an sie mit ih­ren Fin­gern rühr­ten, sie ha­ben alle Halb­hei­ten – Drei-Ach­tels­hei­ten! – auf dem Ge­wis­sen, an de­nen Eu­ro­pa krank ist, – sie ha­ben auch die un­sau­bers­te Art Chris­tent­hum, die es giebt, die un­heil­bars­te, die un­wi­der­leg­bars­te, den Pro­tes­tan­tis­mus auf dem Ge­wis­sen … Wenn man nicht fer­tig wird mit dem Chris­tent­hum, die Deut­schen wer­den dar­an schuld sein …

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62.

– Hier­mit bin ich am Schluß und spre­che mein Urt­heil. Ich ver­urt­hei­le das Chris­tent­hum, ich er­he­be ge­gen die christ­li­che Kir­che die furcht­bars­te al­ler An­kla­gen, die je ein An­klä­ger in den Mund ge­nom­men hat. Sie ist mir die höchs­te al­ler denk­ba­ren Cor­rup­tio­nen, sie hat den Wil­len zur letz­ten auch nur mög­li­chen Cor­rup­ti­on ge­habt. Die christ­li­che Kir­che ließ Nichts mit ih­rer Ver­derb­niß un­be­rührt, sie hat aus je­dem Werth einen Un­werth, aus je­der Wahr­heit eine Lüge, aus je­der Recht­schaf­fen­heit eine See­len-Nie­der­tracht ge­macht. Man wage es noch, mir von ih­ren »hu­ma­ni­tär­en« Seg­nun­gen zu re­den! Ir­gend einen Noth­stand ab­schaf­fen gieng wi­der ihre tiefs­te Nütz­lich­keit: sie leb­te von Noth­stän­den, sie schuf Noth­stän­de, um sich zu ver­ewi­gen… Der Wurm der Sün­de zum Bei­spiel: mit die­sem Noth­stan­de hat erst die Kir­che die Mensch­heit be­rei­chert! – Die »Gleich­heit der See­len vor Gott«, die­se Falsch­heit, die­ser Vor­wand für die ran­cu­ne al­ler Nied­rig­ge­sinn­ten, die­ser Spreng­stoff von Be­griff, der end­lich Re­vo­lu­ti­on, mo­der­ne Idee und Nie­der­gangs-Prin­cip der gan­zen Ge­sell­schafts-Ord­nung ge­wor­den ist, – ist christ­li­cher Dy­na­mit… »Hu­ma­ni­täre« Seg­nun­gen des Chris­tent­hums! Aus der hu­ma­ni­tas einen Selbst-Wi­der­spruch, eine Kunst der Selbst­schän­dung, einen Wil­len zur Lüge um je­den Preis, einen Wi­der­wil­len, eine Ver­ach­tung al­ler gu­ten und recht­schaff­nen In­stink­te her­aus­zu­züch­ten! Das wä­ren mir Seg­nun­gen des Chris­tent­hums! – Der Pa­ra­si­tis­mus als ein­zi­ge Pra­xis der Kir­che; mit ih­rem Bleich­suchts-, ih­rem »Hei­lig­keits«-Idea­le je­des Blut, jede Lie­be, jede Hoff­nung zum Le­ben aus­trin­kend: das Jen­seits als Wil­le zur Ver­nei­nung je­der Rea­li­tät; das Kreuz als Er­ken­nungs­zei­chen für die un­ter­ir­dischs­te Ver­schwö­rung, die es je ge­ge­ben hat, – ge­gen Ge­sund­heit, Schön­heit, Wohl­ge­rat­hen­heit, Tap­fer­keit, Geist, Güte der See­le, ge­gen das Le­ben selbst …

Die­se ewi­ge An­kla­ge des Chris­tent­hums will ich an alle Wän­de schrei­ben, wo es nur Wän­de giebt, – ich habe Buch­sta­ben, um auch Blin­de se­hend zu ma­chen… Ich hei­ße das Chris­tent­hum den Ei­nen großen Fluch, die Eine große in­ner­lichs­te Ver­dor­ben­heit, den Ei­nen großen In­stinkt der Ra­che, dem kein Mit­tel gif­tig, heim­lich, un­ter­ir­disch, klein ge­nug ist, – ich hei­ße es den Ei­nen un­s­terb­li­chen Schand­fleck der Mensch­heit …

Und man rech­net die Zeit nach dem dies ne­fas­tus, mit dem dies Ver­häng­niß an­hob, – nach dem ers­ten Tag des Chris­tent­hums! – Wa­rum nicht lie­ber nach sei­nem letz­ten? – Nach Heu­te? – Um­wer­thung al­ler Wert­he!…