Der Zauberer
1
Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde niederstürzte. »Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, – ich will sehn, ob da zu helfen ist.« Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebärden um, wie ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu jammern:
Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?
Gebt heisse Hände!
Gebt Herzens-Kohlenbecken!
Hingestreckt, schaudernd,
Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt –
Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern,
Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,
Von dir gejagt, Gedanke!
Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!
Du Jäger hinter Wolken!
Darniedergeblitzt von dir,
Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt:
– so liege ich,
Biege mich, winde mich, gequält
Von allen ewigen Martern,
Getroffen
Von Dir, grausamster Jäger,
Du unbekannter – Gott!
Triff tiefer,
Triff Ein Mal noch!
Zerstich, zerbrich diess Herz!
Was soll diess Martern
Mit zähnestumpfen Pfeilen?
Was blickst du wieder,
Der Menschen-Qual nicht müde,
Mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen?
Nicht tödten willst du,
Nur martern, martern?
Wozu –
mich
martern, Du schadenfroher unbekannter Gott? – Haha! Du schleichst heran? Bei solcher Mitternacht Was willst du? Sprich! Du drängst mich, drückst mich – Ha! schon viel zu nahe! Weg! Weg! Du hörst mich athmen, Du behorchst mein Herz, Du Eifersüchtiger – Worauf doch eifersüchtig? Weg! Weg! Wozu die Leiter? Willst
du hinein
, In’s Herz, Einsteigen, in meine heimlichsten Gedanken einsteigen? Schamloser! Unbekannter – Dieb! Was willst du dir erstehlen, Was willst du dir erhorchen, Was willst du dir erfoltern, Du Folterer! Du – Henker-Gott! Oder soll ich, dem Hunde gleich, Vor dir mich wälzen? Hingebend, begeistert-ausser-mir, Dir – Liebe zuwedeln? Umsonst! Stich weiter, Grausamster Stachel! Nein, Kein Hund – dein Wild nur bin ich, Grausamster Jäger! Dein stolzester Gefangner, Du Räuber hinter Wolken! Sprich endlich, Was willst du, Wegelagerer, von
mir
? Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! Sprich, Was
willst
du, unbekannter Gott? – – Wie? Lösegeld? Was willst du Lösegelds? Verlange Viel – das räth mein Stolz! Und rede kurz – das räth mein andrer Stolz! Haha! Mich – willst du? Mich? Mich – ganz? Haha! Und marterst mich, Narr, der du bist, Zermarterst meinen Stolz? Gieb
Liebe
mir – wer wärmt mich noch? Wer liebt mich noch? – gieb heisse Hände, Gieb Herzens-Kohlenbecken, Gieb mir, dem Einsamsten, Den Eis, ach! siebenfaches Eis Nach Feinden selber, Nach Feinden schmachten lehrt, Gieb, ja ergieb, Grausamster Feind, Mir –
dich
! – – Davon! Da floh er selber, Mein letzter einziger Genoss, Mein grosser Feind, Mein Unbekannter, Mein Henker-Gott! – – Nein! Komm zurück, Mit allen deinen Martern! Zum Letzten aller Einsamen Oh komm zurück! All meine Thränen-Bäche laufen Zu dir den Lauf! Und meine letzte Herzens-Flamme –
Dir
glüht sie auf! Oh komm zurück, Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes – Glück!
2
– Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger halten, nahm seinen Stock und schlug mit allen Kräften auf den jammernden los. »Halt ein! schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! Du Falschmünzer! Du Lügner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl!
Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist – einzuheizen!«
– »Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht mehr, oh Zarathustra! Ich trieb’s also nur zum Spiele!
Solcherlei gehört zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut durchschaut!
Aber auch du – gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist
hart
, du weiser Zarathustra! Hart schlägst du zu mit deinen »Wahrheiten,« dein Knüttel erzwingt von mir –
diese
Wahrheit!«
– »Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du – von Wahrheit!
Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit,
was
spieltest du vor mir, du schlimmer Zauberer, an
wen
sollte ich glauben, als du in solcher Gestalt jammertest?«
»
Den Büsser des Geistes
, sagte der alte Mann,
den
– spielte ich: du selber erfandest einst diess Wort –
– den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist wendet, den Verwandelten, der an seinem bösen Wissen und Gewissen erfriert.
Und gesteh es nur ein: es währte lange, oh Zarathustra, bis du hinter meine Kunst und Lüge kamst!
Du glaubtest
an meine Noth, als du mir den Kopf mit beiden Händen hieltest, –
– ich hörte dich jammern »man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig geliebt!« Dass ich dich soweit betrog, darüber frohlockte inwendig meine Bosheit.«
»Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich bin nicht auf der Hut vor Betrügern, ich
muss
ohne Vorsicht sein: so will es mein Loos.
Du aber –
musst
betrügen: so weit kenne ich dich! Du musst immer zwei- drei- vier- und fünfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir lange nicht wahr und nicht falsch genung!
Du schlimmer Falschmünzer, wie könntest du anders! Deine Krankheit würdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest.
So schminktest du eben vor mir deine Lüge, als du sprachst: »ich trieb’s also
nur
zum Spiele!« Es war auch
Ernst
darin, du
bist
Etwas von einem Büsser des Geistes!
Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich hast du keine Lüge und List mehr übrig, – du selber bist dir entzaubert!
Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr an dir ächt, aber dein Mund: nämlich der Ekel, der an deinem Munde klebt.« – –
– »Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen Stimme, wer darf also zu m i r reden, dem Grössten, der heute lebt?« – und ein grüner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig:
»Oh Zarathustra, ich bin’s müde, es ekelt mich meiner Künste, ich bin nicht
gross
, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl – ich suchte nach Grösse!
Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele: aber diese Lüge gieng über meine Kraft. An ihr zerbreche ich.
Oh Zarathustra, Alles ist Lüge an mir; aber dass ich zerbreche – diess mein Zerbrechen ist
ächt
!« –
»Es ehrt dich, sprach Zarathustra düster und zur Seite niederblickend, es ehrt dich, dass du nach Grösse suchtest, aber es verräth dich auch. Du bist nicht gross.
Du schlimmer alter Zauberer,
das
ist dein Bestes und Redlichstes, was ich an dir ehre, dass du deiner müde wurdest und es aussprachst: »ich bin nicht gross.«
Darin
ehre ich dich als einen Büsser des Geistes: und wenn auch nur für einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du – ächt.
Aber sprich, was suchst du hier in
meinen
Wäldern und Felsen? Und wenn du
mir
dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von mir? –
– wess versuchtest du
mich
?« –
Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer schwieg eine Weile, dann sagte er: »Versuchte ich dich? Ich – suche nur.
Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen, Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen!
Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra?
Ich suche Zarathustra
.«
– Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zurückkehrend, ergriff er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist:
»Wohlan! Dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s. In ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest.
Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die sollen dir suchen helfen. Meine Höhle aber ist gross.
Ich selber freilich – ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross ist, dafür ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des Pöbels.
So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich, und das Volk schrie: »Seht da, einen grossen Menschen!« Aber was helfen alle Blasebälge! Zuletzt fährt der Wind heraus.
Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fährt der Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich eine brave Kurzweil. Hört das, ihr Knaben!
Diess Heute ist des Pöbels: wer
weiss
da noch, was gross, was klein ist! Wer suchte da mit Glück nach Grösse! Ein Narr allein: den Narren glückt’s.
Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer
lehrte’s
dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was – versuchst du mich?« – –
Also sprach Zarathustra, getrösteten Herzens, und gieng lachend seines Wegs fürbass.
Ausser Dienst
Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gieng, nämlich einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht:
der
verdross ihn gewaltig. »Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, sitzt vermummte Trübsal, das dünkt mich von der Art der Priester: was wollen
die
in meinem Reiche?
Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein anderer Schwarzkünstler über den Weg laufen, –
– irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthäter von Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen möge!
Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze wäre: immer kommt er zu spät, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!« –
Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe: aber siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke nämlich hatte ihn schon der Sitzende erblickt; und nicht unähnlich einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.
»Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!
Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr.
Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute weiss.«
»
Was
weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?«
»Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde.
Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen.
Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte Papst! – ein Fest frommer Erinnerungen und Gottesdienste.
Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im Walde, der seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte.
Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand, – wohl aber zwei Wölfe darin, welche um seinen Tod heulten – denn alle Thiere liebten ihn. Da lief ich davon.
Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge? Da entschloss sich mein Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Frömmsten aller Derer, die nicht an Gott glauben –, dass ich Zarathustra suchte!«
Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange mit Bewunderung.
»Siehe da, du Ehrwürdiger, sagte er dann, welche schöne und lange Hand! Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. Nun aber hält sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra.
Ich bin’s, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?« –
Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die Gedanken und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser:
»Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren –:
– siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber wer könnte daran sich freuen!« –
»Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach einem tiefen Schweigen, du weisst,
wie
er starb? Ist es wahr, was man spricht, dass ihn das Mitleiden erwürgte,
– dass er es sah, wie
der Mensch
am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod wurde?« – –
Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit einem schmerzlichen und düsteren Ausdrucke zur Seite.
»Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem er immer noch dem alten Manne gerade in’s Auge blickte.
Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich,
wer
er war; und dass er wunderliche Wege gieng.«
»Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als Zarathustra selber – und darf es sein.
Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gieng allem seinen Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, was sein Herr sich selbst verbirgt.
Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thür seines Glaubens steht der Ehebruch.
Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung.
Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge.
Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem Grossvater ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer wackeligen alten Grossmutter.
Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner schwachen Beine, weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen Mitleiden.« – –
»Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du
Das
mit Augen angesehn? Es könnte wohl so abgegangen sein: so,
und
auch anders. Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes.
Aber wohlan! So oder so, so und so – er ist dahin! Er gieng meinen Ohren und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht nachsagen.
Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er – du weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, von Priester-Art – er war vieldeutig.
Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er nicht reinlicher?
Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht hörten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein?
Zu Vieles missrieth ihm, diesem Töpfer, der nicht ausgelernt hatte! Dass er aber Rache an seinen Töpfen und Geschöpfen nahm, dafür dass sie ihm schlecht geriethen, – das war eine Sünde wider den
guten Geschmack
.
Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich »Fort mit einem
solchen
Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!«
– »Was höre ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; oh Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner Gottlosigkeit.
Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben lässt? Und deine übergrosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Böse wegfuhren!
Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand allein.
In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe dabei.
Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!« –
»Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s.
Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von dir.
In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist ein guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder auf festes Land und feste Beine stellen.
Wer aber nähme dir
deine
Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder aufweckt.
Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt.« –
Also sprach Zarathustra.
Der hässlichste Mensch
– Und wieder liefen Zarathustra’s Füsse durch Berge und Wälder, und seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. »Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich!
An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!« – –
Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.
Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm über den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage überfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den Augen angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und Menschen-Rede: – die lautete also.
»Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist
die Rache am Zeugen
?
Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz sich hier nicht die Beine bricht!
Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Räthsel, du harter Nüsseknacker, – das Räthsel, das ich bin! So sprich doch – wer bin
ich
! «
– Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte, – was glaubt ihr wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug?
Das Mitleiden fiel ihn an
; und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlägern widerstanden hat, – schwer, plötzlich, zum Schrecken selber für Die, welche ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart.
»Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme:
du bist der Mörder Gottes
! Lass mich gehn.
Du
ertrugst
Den nicht, der
dich
sah, – der dich immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!«
Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen. »Bleib!« sagte er endlich –
– bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst!
Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn tödtete, – dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.
Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also – meine Hässlichkeit!
Sie verfolgen mich: nun bist
du
meine letzte Zuflucht.
Nicht
mit ihrem Hasse,
nicht
mit ihren Häschern: – oh solcher Verfolgung würde ich spotten und stolz und froh sein!
War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht
folgen
: – ist er doch einmal – hinterher! Aber ihr
Mitleid
ist’s –
– ihr Mitleid ist’s, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:
– du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher
ihn
tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam.
Der
Weg ist schlecht.
Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich bin’s, der hässlichste Mensch,
– der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo
ich
gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden.
Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra.
Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber dazu – bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du –
– dazu bin ich zu
reich
, reich an Grossem, an Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra,
ehrte
mich!
Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen, – dass ich den Einzigen fände, der heute lehrt »Mitleiden ist zudringlich« – dich, oh Zarathustra!
– sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt.
Das
aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das Mitleiden: – die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglück, vor grosser Hässlichkeit, vor grossem Missrathen.
Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund über die Rücken wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute.
Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche wegblickt, mit zurückgelegtem Kopfe: so blicke ich über das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen und Seelen weg.
Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten:
so
gab man ihnen endlich auch die Macht – nun lehren sie: »gut ist nur, was kleine Leute gut heissen.«
Und »Wahrheit« heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fürsprecher der kleinen Leute, welcher von sich zeugte »ich – bin die Wahrheit.«
Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm hoch schwellen – er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte »ich – bin die Wahrheit.«
Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher geantwortet? – Du aber, oh Zarathustra, giengst an ihm vorüber und sprachst: »Nein! Nein! Drei Mal Nein!«
Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem Mitleiden – nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art.
Du schämst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn du sprichst »von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, ihr Menschen!«
– wenn du lehrst »alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist über ihrem Mitleiden«: oh Zarathustra, wie gut dünkst du mich eingelernt auf Wetter-Zeichen!
Du selber aber – warne dich selber auch vor
deinem
Mitleiden! Denn Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende –
Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes Räthsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich fällt.
Aber er –
musste
sterben: er sah mit Augen, welche
Alles
sahn, – er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach und Hässlichkeit.
Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel. Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste sterben.
Er sah immer
mich
: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben – oder selber nicht leben.
Der Gott, der Alles sah,
auch den Menschen
dieser Gott musste sterben! Der Mensch
erträgt
es nicht, dass solch ein Zeuge lebt.«
Also, sprach der hässlichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und schickte sich an f