Schriften und Traktate

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Warum und wie man Schlachten liefern soll

Schlachten entscheiden das Schicksal der Staaten. Wer immer Krieg führt, muß solche Entscheidungen herbeiführen, sei es, um sich aus einer mißlichen Lage zu befreien oder den Feind darein zu versetzen, oder um den Streit auszufechten, der sonst nie ein Ende nähme. Ein vernünftiger Mann darf keinen Schritt ohne triftigen Beweggrund tun. Noch viel weniger darf ein Heerführer jemals eine Schlacht liefern, ohne einen wichtigen Zweck zu verfolgen. Wird er dagegen zum Kampfe gezwungen, so hat er selbst Fehler begangen und muß sich vom Feinde das stolze Gesetz einer Schlacht vorschreiben lassen.

Ihr seht, daß ich mir hier keine Lobrede halte. Denn unter den fünf Schlachten, die meine Truppen geliefert haben, waren nur drei, die ich geplant hatte. Zu den beiden anderen wurde ich gezwungen: bei Mollwitz, weil die Österreicher sich zwischen meine Armee und Ohlau geschoben hatten, wo meine Artillerie und meine Lebensmittel waren, und bei Soor, weil die Österreicher mir die Straße nach Trautenau verlegten und mir nur die Wahl zwischen Schlacht und völligem Untergang ließen. Man sehe aber, welcher Unterschied zwischen den erzwungenen Schlachten und den im voraus geplanten besteht! Welchen Erfolg hatten die Schlachten von Hohenfriedberg, Kesselsdorf und die von Chotusitz, die uns den Frieden brachte!

Wenn ich hier also Lehren gebe, die ich aus Unbedacht selbst nicht befolgt habe, so geschieht es, damit meine Offiziere aus meinen Fehlern lernen und zugleich erfahren, daß ich darauf bedacht bin, mich zu bessern.

Öfters haben beide Armeen Lust, sich zu schlagen: dann ist die Sache bald abgemacht. Die besten Schlachten sind die, zu denen man den Feind nötigt. Denn es ist eine zuverlässige Regel, daß man den Feind stets zu dem zwingen muß, wozu er gar keine Lust hat; und da Eure Interessen denen des Feindes schroff entgegengesetzt sind, so müßt Ihr gerade das wollen, was er nicht will. Eine Schlacht wird aus folgenden Gründen geliefert:

1. um den Feind zu zwingen, die Belagerung einer Eurer Festungen aufzuheben,

2. um ihn aus einer Provinz zu verjagen, deren er sich bemächtigt hat,

3. um in Feindesland einzudringen,

4. um eine Belagerung vorzunehmen,

5. um die Hartnäckigkeit des Feindes zu brechen, wenn er keinen Frieden machen will.

Man zwingt den Feind zur Schlacht, indem man ihm durch einen Gewaltmarsch in den Rücken kommt und ihn von seinen rückwärtigen Verbindungen abschneidet, oder indem man eine Stadt bedroht, die er um jeden Preis halten will. Man nehme sich aber wohl in acht, wenn man solche Manöver machen will, und hüte sich, nicht selber in eine mißliche Lage zu geraten und sich nicht so aufzustellen, daß der Feind Euch von Euren Magazinen abschneiden kann.

Am wenigsten setzt man bei Nachhutgefechten aufs Spiel. Man lagert sich zu dem Zweck dicht beim Feinde. Will er sich dann zurückziehen und vor Euren Augen durch Defileen marschieren, so fallt Ihr über die Nachhut seiner Armee her. Bei solchen Gefechten ist wenig zu verlieren und viel zu gewinnen. Der Prinz von Lothringen hätte sehr wohl ein solches Gefecht mit uns anfangen können, hätte er, statt nach Soor zu marschieren, gewartet, bis wir im Lager von Trautenau waren, und sich dann meiner Armee gegenüber gelagert. Der Marsch nach Schatzlar wäre uns dann viel teurer zu stehen gekommen, und ich glaube, der Prinz hätte dabei seinen Vorteil gefunden.

Ferner liefert man eine Schlacht, um die Vereinigung der feindlichen Korps zu verhindern. Dieser Grund ist stichhaltig. Ein geschickter Feind wird aber leicht Mittel finden, Euch durch einen Gewaltmarsch zu entkommen oder sich eine gute Stellung auszusuchen. Zuweilen hat man nicht die Absicht, eine Schlacht zu liefern, wird aber durch die Fehler des Feindes dazu eingeladen, die man benutzen muß, um ihn dafür zu strafen.

Diesen Grundregeln füge ich hinzu, daß unsere Kriege kurz und lebhaft sein müssen. Wir dürfen sie durchaus nicht in die Länge ziehen. Ein langwieriger Krieg zerstört nach und nach unsere vortreffliche Disziplin, entvölkert das Land und erschöpft unsere Hilfsquellen. Die Führer der preußischen Armeen müssen also, wenn auch mit aller Vorsicht, eine Entscheidung herbeizuführen suchen. Sie dürfen nicht so denken wie der Marschall von Luxemburg, als sein Sohn beim Kriege in Flandern zu ihm sagte: "Mich deucht, Vater, wir könnten noch die und die Stadt nehmen." Worauf der Marschall erwiderte: "Schweig still, kleiner Narr! Willst Du, daß wir nach Hause gehen sollen, um Kohl zu pflanzen?" Kurz, in betreff der Schlachten muß man den Grundsatz des Hohen Rats der Hebräer befolgen: "Es ist besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe."

Zufälle und unvermutete Ereignisse im Kriege

Heerführer sind mehr zu beklagen, als man meint. Jedermann verurteilt sie, ohne sie zu hören. Die Zeitungen geben sie dem Spott der Welt preis, und unter Tausenden, die sie verdammen, versteht vielleicht nicht einer so viel, um das geringste Detachement zu führen. Ich bezwecke damit keine Apologie der Heerführer, die Fehler begehen; denn sie verdienen Tadel. Auch meinen eigenen Feldzug von 1744 will ich gern preisgeben und gestehen, daß ich bei viel Schnitzern nur wenig gut gemacht habe, so die Belagerung von Prag, den Rückzug und die Verteidigung von Kolin und schließlich den Rückzug nach Schlesien. Doch genug davon! Hier will ich nur von den unglücklichen Ereignissen reden, gegen die weder Voraussicht noch reifliche Überlegung etwas vermögen. Da ich hier nur für meine Generale schreibe, so will ich ihnen nur solche Beispiele anführen, die mir selbst begegnet sind.

Als wir im September 1741 im Lager von Reichenbach standen, hatte ich den Plan, durch einen Gewaltmarsch die Neiße zu erreichen und mich zwischen die Stadt Neiße und die Armee Neippergs zu setzen, um die Österreicher von ihr abzuschneiden. Die Disposition dazu war getroffen, aber ein anhaltender Regen machte die Wege grundlos, so daß unsere Avantgarde, die die Pontons bei sich hatte, nicht vorwärts kam. Am Marschtage herrschte so dichter Nebel, daß die Infanteriewachen in den Dörfern sich verirrten und nicht wieder zu ihren Regimentern zurückfanden. Das ging so weit, daß wir, statt, wie beschlossen, um vier Uhr morgens abzumarschieren, erst um Mittag aufbrechen konnten. Infolgedessen war an einen Gewaltmarsch nicht mehr zu denken; der Feind kam uns zuvor, und der Nebel vernichtete mein ganzes Projekt.

Eine Mißernte in dem Lande, in dem man Krieg führen will, läßt einen ganzen Feldzug scheitern. Krankheiten, die während der Operationen ausbrechen, werfen die Truppen in die Defensive; so erging es uns 1744 in Böhmen infolge der schlechten Ernährung. Während der Schlacht von Hohenfriedberg befahl ich einem meiner Adjutanten, dem Markgrafen Karl zu sagen, er solle als rangältester General die Führung des zweiten Treffens übernehmen, da Kalckstein nach dem rechten Flügel gegen die Sachsen detachiert war. Der Adjutant verstand mich falsch und bestellte dem Markgrafen, er solle das zweite Treffen aus dem ersten formieren. Zum Glück merkte ich das Mißverständnis noch beizeiten und konnte ihm abhelfen. Aber man sei stets auf seiner Hut und bedenke, daß ein falsch übermittelter Befehl alles verderben kann.

Erkrankt der Heerführer oder hat der Führer eines wichtigen Detachements das Unglück, zu fallen, so sind auf einmal alle Maßregeln vernichtet; denn es gehören kluge und wagemutige Männer zur Führung von Detachements, und diese finden sich so selten, daß ich bei meiner Armee höchstens drei bis vier kenne. Gelingt es dem Feinde trotz aller Vorsicht, Euch einen Proviantzug wegzunehmen, so wirft das gleichfalls alle Eure Maßregeln um, und Eure Pläne sind vereitelt. Müßt Ihr aus militärischen Gründen eine Rückwärtsbewegung machen, so entmutigt Ihr dadurch Eure Truppen. Zum Glück habe ich dergleichen nie mit meiner ganzen Armee durchgemacht, aber nach der Schlacht bei Mollwitz habe ich gesehen, wie lange es dauert, bis eine entmutigte Truppe sich wieder beruhigt; denn meine Kavallerie war damals so weit herunter, daß sie glaubte, ich schickte sie zur Schlachtbank, wenn ich ein Detachement aussandte, um sie an den Krieg zu gewöhnen. Erst von der Schlacht von Hohenfriedberg datiert die Epoche ihres Aufschwungs.

Entdeckt der Feind einen wichtigen Spion, den Ihr in seinem Lager habt, so ist Euer Kompaß verloren, und Ihr erfahrt von seinen Bewegungen weiter nichts, als was Ihr seht.

Die Nachlässigkeit der zum Rekognoszieren ausgesandten Offiziere kann Euch in die größte Bedrängnis bringen. Auf diese Weise wurde Neipperg bei Mollwitz überrascht; denn der Husarenoffizier, den er auf Kundschaft ausgeschickt hatte, versäumte seine Pflicht, und wir waren ihm auf dem Halse, als er sich dessen am wenigsten versah. Lernt also daraus, daß Ihr die Sicherheit der ganzen Armee niemals der Wachsamkeit eines einzigen Subalternoffiziers anvertrauen dürft. Dergleichen große und wichtige Dinge dürfen nicht von einem einzigen Menschen oder von einem Subalternoffizier abhängen. Patrouillen dürfen überhaupt nur als überflüssige Vorsichtsmaßregel angesehen werden. Man soll sich nie völlig auf sie verlassen, sondern noch viele andere gründlichere und zuverlässigere Vorsichtsmaßregeln ergreifen. Verrat ist das Schlimmste, was einem zustoßen kann. Kurz, aus allem oben Gesagten ergibt sich, daß man auch mitten im Glück sich nie auf etwas verlassen noch durch seine Erfolge hochmütig werden soll. Vielmehr soll man bedenken, daß wir bei unserer geringen Klugheit und Vorsicht oft die Spielbälle des Zufalls und unerwarteter Ereignisse werden, durch die ein unbekanntes Schicksal den Dünkel der Eingebildeten zu demütigen liebt.

Soll ein Heerführer Kriegsrat halten?

Prinz Eugen pflegte zu sagen, wenn ein Heerführer keine Lust hätte, etwas zu unternehmen, so gäbe es kein besseres Mittel, als einen Kriegsrat zu halten. Das trifft um so mehr zu, als die meisten Stimmen beim Kriegsrat auf Nichthandeln lauten. Ein Heerführer, dem der Herrscher seine Truppen anvertraut, muß selbständig verfahren. Das Vertrauen, das der Fürst in seine Verdienste setzt, berechtigt ihn dazu. Außerdem wird die im Kriege so notwendige Geheimhaltung bei einem Kriegsrat nie gewahrt. Indessen glaube ich, ein Heerführer soll auch den guten Rat eines Subalternoffiziers nicht verschmähen. Denn wenn es den Dienst des Staates betrifft, vergißt ein wackerer Bürger sich selbst und handelt zum Wohl des Vaterlandes, einerlei, ob die Mittel zum Zweck von ihm oder von jemand anders herrühren, wenn er nur sein Ziel erreicht.

 

Die neue Taktik der Armee

Aus allen in diesem Werke festgesetzten Regeln werdet Ihr ersehen haben, worauf die Taktik beruht, die ich bei meinen Truppen eingeführt habe. Der Zweck aller dieser Manöver ist, bei jeder Gelegenheit Zeit zu gewinnen und daraus Nutzen zu ziehen, sei es, um aus dem Lager zu rücken oder sich geschwinder als der Feind zu formieren, oder auch, um sich rasch und ohne jede Verwirrung in die gewöhnliche oder schräge Schlachtordnung zu stellen, oder auch, um schneller Terrain zu gewinnen und die Schlacht eher zur Entscheidung zu bringen, als es bisher Brauch war, oder schließlich, um den Feind durch das Ungestüm unserer Kavallerieattacken über den Haufen zu werfen. Denn bei ihrer Heftigkeit wird auch der Feigling mitgerissen und muß so gut wie der brave Kerl seinen Dienst verrichten; mithin bleibt kein einziger Reiter unnütz. Das ganze System beruht also auf der Schnelligkeit der Bewegungen und auf der Notwendigkeit des Angriffs.

Ich hoffe zuversichtlich, daß alle Generale von der Notwendigkeit und dem Nutzen der Disziplin überzeugt sind und mit mir danach streben werden, sie in Krieg und Frieden aufrechtzuerhalten und zu vervollkommnen. Ich werde nie vergessen, was Vegetius von den Römern sagt, indem er gleichsam mit Begeisterung ausruft: "Endlich triumphierte die römische Disziplin über den hohen Wuchs der Germanen, über die Kraft der Gallier, über die List der Griechen, über die große Zahl der Barbaren und unterwarf sich den ganzen bekannten Erdkreis." So sehr hängt die Wohlfahrt der Staaten von der Disziplin der Heere ab!

Schlußwort

Das sind ungefähr die Hauptpunkte der großen Kriegsoperationen. Ich habe ihre Grundsätze möglichst ausführlich entwickelt und mich vor allem bestrebt, klar und verständlich zu sein. Solltet Ihr aber über den einen oder anderen Punkt Zweifel haben, so wird es mich freuen, wenn Ihr sie mir darlegt, damit ich meine Gründe ausführlicher angeben oder, wenn ich etwas Falsches gesagt haben sollte, mich zu Eurer Meinung bekennen kann. Schon meine geringe Kriegserfahrung hat mir gezeigt, daß diese Kunst nicht auszulernen ist und daß man bei ernstem Studium stets Neues entdeckt. Ich glaube, meine Zeit nicht verloren zu haben, wenn dies Werk meine Offiziere zum Nachdenken über ein Handwerk anregt, das ihnen die glänzende Laufbahn des Ruhmes eröffnet, ihre Namen dem Dunkel der Zeiten entreißt und ihnen für ihre Mühen Unsterblichkeit sichert.

Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg

(1747/48)

Vorwort

Die Geschichte gilt als die Schule der Fürsten. Sie gibt ihnen ein bleibendes Bild der Regierung der Herrscher, die Väter des Vaterlandes waren, sowie der Tyrannen, die es verheerten. Sie zeigt ihnen die Ursachen für der Reiche Wachstum wie für ihren Niedergang. Sie bringt dabei eine solche Fülle von Charaktergestalten ans Licht, daß Ähnlichkeiten mit Fürsten unserer Tage sich ohne weiteres aufdrängen; und wenn sie über die Toten ihr Urteil spricht, richtet sie stillschweigend über die Lebenden mit. Ihre Vorwürfe über die Laster derer, die nicht mehr sind, geben den Lebenden eine Lehre der Tugend, als wollte sie ihnen enthüllen, welches Urteil die Nachwelt dereinst über sie fällen wird.

So sehr das Studium der Geschichte die eigenste Sache der Fürsten ist, ihren Wert hat sie nicht minder für den Bürger. Da sie die Kette der Begebenheiten aller Jahrhunderte bis auf unsere Tage darstellt, so gibt sie dem Rechtsgelehrten, dem Staatsmann und dem Krieger, der sie zu Rate zieht, Aufschluß über den Zusammenhang der Vergangenheit mit der Gegenwart. Lob und Ehre aller, die ihrem Lande treu gedient haben, finden sie in der Geschichte, ebenso den Fluch, der auf dem Namen derer lastet, die das Vertrauen ihrer Mitbürger getäuscht haben. So gewinnen sie hier eine Erfahrung, wie sie sonst das Leben erst später zur Reife bringt. Wer den Umkreis seiner Anschauungen und Begriffe nur auf seine vier Wände einschränkt, wer seine Kenntnisse nicht erweitern mag über den Bereich seiner häuslichen Pflichten, der verkümmert und verblödet in gröbster Unwissenheit. Wer aber in den Tagen der Vergangenheit sich heimisch zu machen weiß, die ganze Welt mit seinem Geiste umspannt, der trägt in Wahrheit Eroberungen über die Unwissenheit und den Irrtum davon. Das heißt in allen Zeitaltern gelebt haben, ein Bürger aller Orte und Länder werden!

Die Weltgeschichte reicht uns die Hand, damit wir uns zurechtfinden in der Fülle von Begebenheiten in aller Herren Ländern. Methodisch geleitet sie uns vom grauen Altertum her durch die Folge der Zeiten und gliedert sie in Hauptepochen, die dem Gedächtnis einen Anhalt geben. Aber auch jede Einzeldarstellung hat ihren Wert, insofern sie die Folge der Geschehnisse im Schoße eines einzelnen Reichs eingehend schildert, immer in der Beschränkung auf dies Sondergebiet. Zeigen uns weltgeschichtliche Darstellungen ein gewaltiges Gemälde mit einer wunderbaren Gestaltenfülle, wobei manche Gestalt ganz im deckenden Schatten der anderen bleibt, so daß sie fast verschwindet, so hebt die Einzeldarstellung nur eine Figur aus dem Gemälde heraus, führt sie in großen Maßen aus, bedenkt sie mit allem Reiz von Licht und Schatten, der sie erst zur Geltung bringt, und setzt die Welt in den Stand, sie mit der Gründlichkeit zu betrachten, die sie verdient.

Ein Mensch, der sich nicht vom Himmel gefallen wähnt, der die Weltgeschichte nicht von seinem Geburtstage an datiert, muß zu wissen verlangen, was sich wohl zu allen Zeiten und in allen Landen begeben hat. Gesetzt auch, seine Gleichgültigkeit früge gar nichts nach dem Lose so vieler großer Völker, die das Spiel des Schicksals waren, wenigstens für die Geschichte seines eigenen Landes wird er etwas übrig haben und sich an der Betrachtung der Geschehnisse erbauen, die seine Voreltern so nahe angingen. Mag ein Engländer nichts wissen vom Leben der Könige auf den persischen Thronen, mag er sich nicht auskennen in der endlosen Schar von Päpsten, die der Kirche Gebieter waren, keiner wird es ihm verübeln. Nicht so nachsichtig wird man urteilen, hat er keine Kenntnis vom Ursprung seines Parlaments, von Brauch und Recht seines Inselreichs, von den verschiedenen Königsgeschlechtern, die in England geherrscht haben.

Alle gesitteten Völker Europas fanden ihre Geschichtsschreiber, nur die Preußen nicht. Zu solchen zähle ich nicht einen Hartknoch, einen Pufendorf. Sie waren fleißige Arbeiter, die Tatsachen zusammentrugen. Doch ihre Werte sind eher geschichtliche Nachschlagebücher als eigentliche historische Darstellungen. Ebensowenig rechne ich hierher Lockelius, der nur eine weitläufige Chronik zustande gebracht hat, in der man jegliche fesselnde Einzelheit mit hundert Seiten Langerweile teuer erkaufen muß. Schreiber dieser Gattung sind eben nur Handlanger: Emsig, aber wahllos schleppen sie einen Haufen von Bausteinen zusammen, die so lange unverwertet liegen bleiben, bis ein Baumeister ihnen die rechte Gestalt verleiht. Was derart zusammengestoppelt ward, ergibt nun und nimmer eine Geschichte, ebensowenig wie ein Haufen Drucklettern schon ein Buch darstellt, es komme denn Ordnung in das Ungefähr, daß es sich gliedere zu Worten, Sätzen und Satzgefügen. Die ungeduldige Fugend und Leute von Geschmack, die mit ihrer Zeit haushalten, machen sich nur mit Widerstreben an diese ungeheuren Wälzer; Leser, die sich gern mit einem Hefte abfinden, entsetzen sich vor einem Folianten. Aus diesen Gründen wurden die genannten Schriftsteller nur wenig gelesen, blieb die Geschichte Brandenburgs und Preußens so gut wie unbekannt.

Seit der Regierung Friedrichs I. machte sich das Bedürfnis nach einem Schriftsteller fühlbar, der diese Geschichte in eine annehmbare Gestalt brächte. Aus Holland ward Teissier berufen und mit der Aufgabe betraut. Leider gab der statt einer geschichtlichen Darstellung einen Panegyrikus. Er wußte wohl nicht, daß Wahrheit so zum Wesen der Geschichte gehört wie zum menschlichen Leibe die Seele.

So fand ich eine leere, wüste Stätte und versuchte, darauf einen Bau zu errichten, einmal, um ein nützlich Ding zu schaffen, sodann, um der Nation das Geschichtswerk zu geben, das ihr fehlte. Die Tatsachen schöpfte ich aus den besten Quellen, die mir zugänglich waren. Für die graue Vorzeit griff ich auf Cäsar und Tacitus zurück, für die späteren zog ich die Chronik des Lockelius, Pufendorf und Hartknoch zu Rate. In erster Linie gestaltete ich meine Denkwürdigkeiten an der Hand der Chroniken und der echten Urkunden in den königlichen Archiven. Was ungewiß bleibt, habe ich als ungewiß berichtet. Lücken ließ ich offen, wie ich sie vorfand. Ich machte mir zum Gesetz, die Dinge unparteiisch und mit dem Auge des Philosophen zu betrachten; denn ich bin überzeugt, daß des Geschichtsschreibers vornehmste Pflicht ist, wahr zu sein.

Sollten empfindliche Gemüter sich verletzt fühlen, wenn ich ihre Väter nicht in vorteilhafter Weise schilderte, so kann ich nur das eine erwidern, Lobpreisen lag mir fern, ich wollte Geschichte schreiben! Es tut der Geltung ihres eigenen Wertes keinen Abbruch, wenn man die Fehler ihrer Vorfahren tadelt; das eine verträgt sich sehr wohl mit dem anderen. Es ist übrigens nur allzu wahr: Ein Werk, das nicht frei von allem Zwang geschrieben ward, kann nur mittelmäßig oder ganz wertlos sein; man frage darum nicht nach den Menschen, die vergänglich sind, sondern nur nach der Wahrheit, die niemals stirbt.

Vielleicht findet der eine oder andere meinen Abriß zu kurz geraten. Ihnen sei zur Antwort, daß es nie in meiner Absicht lag, ein großes, eingehendes Werk zu verfassen. Mag ein Professor, der den Kleinkram liebt, es mir verübeln, daß ich nirgends angebe, aus welchem Stoffe der Rock Albrecht Achills gewesen oder welchen Schnitt der Kragen Johann Ciceros gehabt hat; mag ein Regensburger Pedant den Kopf schütteln, weil ich keine Prozesse, Verhandlungen, keine Verträge und Friedenstraktate abgeschrieben habe, wie man sie sonst wohl in dickleibigen Büchern vorfindet. All diesen Leuten sei gesagt: für sie schreibe ich nicht. Einen Folioband herzustellen, dazu habe ich keine Zeit, kam ich doch schon mit meinem Abriß ins Gedränge. Überhaupt bin und bleibe ich der Meinung, daß eine Sache nur so weit der Niederschrift lohnt, wie sie wert ist, behalten zu werden.

Aus diesem Grunde habe ich die dunklen Anfangszeiten, sowie die Regierung der ersten Herrscher, die uns nur wenig angehen, in großen Sprüngen durchmessen. Es geht mit Geschichtswerken wie mit Gewässern, die erst da Bedeutung gewinnen, wo sie schiffbar werden. Die Geschichte des Hauses Brandenburg wird erst fesselnd mit Johann Sigismund: einmal infolge der Erwerbung des Herzogtums Preußen, sodann durch die Klevische Erbfolge, auf die er durch Heirat Rechtsansprüche hatte. Erst von dem Zeitabschnitt ab gewinnt der Stoff an Fülle, und so gewährte er auch mir die Möglichkeit, mich entsprechend auszudehnen.

Der Dreißigjährige Krieg hat ein ganz anderes Interesse als etwa die Fehden Friedrichs I. mit den Nürnbergern oder die Turniere Albrecht Achills. Dieser Krieg, der seine tiefen Spuren in allen Staaten zurückließ, ist eines jener großen Weltgeschehnisse, die jedem Deutschen, jedem Preußen vertraut sein müssen. Er führt uns auf der einen Seite den Ehrgeiz des Hauses Österreich vor Augen, wie es mit Waffengewalt sein despotisches Regiment im Reiche zu errichten strebt. Auf der anderen Seite erblicken wir den großen Sinn der deutschen Fürsten, die für ihre Freiheit streiten, wobei die Religion denn hüben und drüben den Vorwand abgeben muß. Wir sehen, wie die Politik zweier großer Könige sich der Geschicke Deutschlands annimmt und wie sie das Haus Österreich dahin bringt, im Westfälischen Frieden in die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen dem Ehrgeiz des Kaisers und der Freiheit der Kurfürsten zu willigen. Begebenheiten von solcher Tragweite, daß sie sich bis auf den heutigen Tag in den wichtigsten Staatsfragen fühlbar machen, verlangten eine ins einzelne dringende Behandlungsweise, und so habe ich ihnen denn auch so viel Platz eingeräumt, wie sich mit der Anlage meines Werkes vertrug.

 

Soeben erschien ein chronologischer Abriß der französischen Geschichte, der wirklich für eine Quintessenz ihrer bemerkenswertesten Tatsachen gelten darf. Der feinsinnige Verfasser versteht sich auf die Kunst, selbst die Chronologie gefällig zu gestalten. Man braucht nur den Inhalt dieses Buches zu kennen, um die französische Geschichte vollständig zu beherrschen. Ich schmeichle mir nicht, meinem Versuch die gleichen Reize verliehen zu haben; doch halte ich meine Mühe für belohnt, wenn ich hierbei vielleicht für die Jugend von Nutzen sein kann, und wenn es solchen Lesern Zeit erspart, die keine zu verlieren haben.