Die Entführung der MS Hansa Stavanger

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1.4 Erstellung eines Notfallplans

Es ist ratsam, für den Transit durch ein gefährdetes Gebiet unter Konsultierung des SSP und internationaler Ratgeber (wieder ein Verweis auf die Best Management Practices) einen separaten und detaillierten Plan aufzustellen, welcher alle Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung des Transits dokumentiert. Zu diesem Plan gehört auch eine Musterliste für den Fall eines tatsächlichen Überfalls, welche Folgendes beinhaltet:

- Festlegen der Brückenbesetzung und Aufgabenverteilung

- Festlegen eines Sammelplatzes bzw. eines sicheren Raumes (Zitadelle) und bestimmen einer verantwortlichen Person, welche die Mannschaft mustert und Bericht an die Brücke gibt.

- Bestimmung zweier Personen, welche nach dem Alarm die Schotten innerhalb der Aufbauten abgehen und kontrollieren, ob alle Schlösser verriegelt sind. Gegebenenfalls kann dies auch die Brückenbesatzung machen, welche im Notfall abgelöst wird.

Im Folgenden als Beispiel der Plan auf der HS, welcher sich während des Angriffes als effizient erwiesen hat:

Bei Sichtung eines Skiffs wird folgender Alarm gegeben:

Ein langer Ton und die Durchsage: „Vessel under Pirates Attack !“

Auf der Brücke:

Kapt. - hat das Kommando, (sollte) entsprechende Ruder- und Maschinenkommandos geben.

1. Offizier - assistiert dem Kapitän, schaltet AIS ein, hält das Skiff in Sicht und versorgt den Kapitän mit entsprechenden Informationen; empfängt den Bericht von der Zitadelle über die Vollzähligkeit der Mannschaft.

2. Offizier - aktiviert das SSAS15, führt die Notfallkommunikation durch; leitet die erhaltenen Informationen an die Schiffsführung weiter

(wichtig: Liste mit entspr. Telefon- und Faxnummern anfertigen,

GMDSS16-Equipment vorbereiten, Faxvordruck bereithalten für eine Dokumentation des Angriffes, diese ist wichtig für die Behörden um Angriffe auszuwerten und die internationalen Ratgeber zu aktualisieren).

Matrose – Rudergänger.

In der Zitadelle:

3. Offizier - mustert die Mannschaft, leitet Bericht an die Brücke weiter.

In der Maschine:

Leitender Ing., zweiter Ing., technischer Offiziersassistent und Elektriker.

Kontrolle der Aufbauten:

Bootsmann und Matrose - wie erwähnt kann dies auch von der abgelösten Brückenbesatzung geschehen, was auf der HS jedoch nicht möglich war, da es keinen zusätzlichen Ausguck gab.

Rest der Mannschaft:

Sofort alle Arbeit stehen lassen und ohne Umwege in der Zitadelle anmustern.

Der Ablauf dieses Plans hat sich auf der Hansa Stavanger durchaus bewährt, alles ging schnell und zügig.

Dies lag unter anderem an dem Training der Mannschaft, was nach wie vor einer der wichtigsten Punkte in der Vorbereitung ist.

1.5 Training der Mannschaft

Dies beinhaltet regelmäßige Besprechungen über die derzeitige Gefahrenlage sowie die bordseitigen Maßnahmen, diesen entgegenzutreten.

Der Ablauf der Notfallprozeduren muss besprochen werden, die Mannschaft hat sich im Einzelnen über ihre Aufgaben im Klaren zu sein. Dies soll anhand praktischer Übungen entsprechend des Notfallplans trainiert werden. Neben diesen Übungen soll nicht nur die Abwehr von Angriffen besprochen werden, sondern auch das Verhalten nach einer Kaperung, der Umgang mit den Piraten und das Verhalten bei einer Militäraktion.

HS: Die Mannschaft der Hansa Stavanger hatte aufgrund wöchentlicher und ausführlicher Trainings, welche nicht nur in Form von großen Übungen das Zusammenspiel der Mannschaft übten, sondern auch in Form von Unterricht in kleinen Gruppen das Wissen und die Fähigkeiten einzelner Person stärkten, einen hohen Standard an Sicherheitsbewusstsein und Einsatzbereitschaft. Daher konnten wir unsere Belehrung und Übung zur Piratengefahr auf eine professionelle Mannschaft zurechtschneiden und uns auf das Wesentliche konzentrieren.

Wie bereits erwähnt, lief die Umsetzung des Notfallplans während des Angriffes gut und war durchaus effektiv, doch es gab ein paar Rahmenbedingungen, die es zu verbessern gegeben hätte - dazu mehr im folgenden Punkt.

1.6 Abwehrmaßnahmen

Grundsätzlich sollte man zwischen passiven und aktiven Maßnahmen unterscheiden.

Unter passiver Abwehr kann jegliche Art von Hindernissen verstanden werden, welche es den Piraten erschweren, an Bord und an die Mannschaft zu gelangen. Passive Maßnahmen sind meist festinstalliert und benötigen keine direkte Bedienung durch die Mannschaft. An Bord der HS:

- Stacheldraht um die Reling

- Ausbringen von Feuerschläuchen

- Verriegeln der Schotten der Aufbauten

Da diese Maßnahmen bekanntlich wenig Erfolg hatten (es sei daran erinnert, dass ein Schiff wie die HS bisher außerhalb der gefährdeten Schiffstypen lag), sollten diese Vorbereitungen verstärkt werden.

Anmerkung: Um Verwechselungen zu vermeiden: Im folgenden Punkt schreibe ich über Verbesserungen, u. a. basierend auf meinen Erfahrungen mit den somalischen Piraten, näherer Beschäftigung mit der Materie und der Möglichkeit, meine neu gewonnenen Einschätzungen während des Einsatzes nach der „Hansa Stavanger“ in der Praxis anzuwenden. Es geht im Folgenden NICHT um die Absicherung der Hansa Stavanger.

In der Zeit einer meiner letzten Einsätze und einer damit verbundenen Passage durch den Golf von Aden haben wir vor allem die Aufbauten komplett abgeriegelt. Zum einen mit Stacheldraht, zum anderen mit fest geschweißten Gittern. Sollten Piraten tatsächlich boarden, werden sie es nicht schaffen, zur Brücke zu kommen bzw. in die Aufbauten und an die Mannschaft zu gelangen. Generell kann man sich darauf einstellen, dass der erste Weg der Piraten hoch zur Brücke führt. Von dort zwingen sie das Brückenteam zum Aufstoppen und fordern den Rest der Mannschaft auf die Brücke.

Es ist daher sinnvoll, eine sichere Zitadelle zu schaffen, in welche sich die Brückenbesatzung zurückziehen kann. Von dieser Zitadelle aus kann dann Kontakt zu den entsprechenden Behörden aufgenommen werden, welche daraufhin veranlassen, dass Marinekräfte das Schiff gewaltsam befreien.

Um einen sicheren Weg des Teams auf der Brücke zu gewährleisten, soll es den Piraten so schwer wie möglich gemacht werden, hoch zur Brücke zu kommen. Alle Schotten zu verriegeln sollte die geringste Maßnahme sein, sinnvoller ist es, eher die Aufbauten zu verbarrikadieren, wenn möglich noch so, dass Sicherheitsaspekte wie Brandabwehr etc. nicht beeinträchtigt werden.

Erstellen Sie mindestens drei Sicherheitsbereiche auf Ihrem Schiff.

Der erst stellt die Bordwand des Schiffes dar. Sorgen Sie hier für den größtmöglichen Freibord. Außenbords sollten die Feuerlöschschläuche, welche nur zur zusätzlichen Störung der Piraten dienen, sie aber nicht aufhalten werden, so angebracht sein, dass sie einander abdecken und eng an der Bordwand anliegen. Die Reling sollte mit Stacheldraht abgesichert sein. Das Sinnvollste ist es, eine Rolle Stacheldraht, besser Natodraht, entlang der Reling zu ziehen, gegebenenfalls auf Stellagen, die außenbords zeigen.

Der äußerste Sicherheitsbereich, den Sie absichern müssen, ist also das Deck, der zweite Bereich sind die Aufbauten, zu welchen Sie den Zugang durch Piraten verhindern müssen. Dies hängt selbstverständlich von der Konstruktion des Schiffes ab, daher kann ich hier keinen Standardplan geben, lediglich ein paar Hinweise.

Der erste Tipp ist, die Somalis niemals zu unterschätzen, wenn Sie meinen „da würde ich nie durchkommen“, vergesse Sie nicht, dass Sie vermutlich mehr als 50 kg wiegen … Die somalischen Piraten sind unheimlich dünn, die meisten haben Oberschenkel wie unsereins Oberarme hat (Bodybuilder ausgenommen). Sie sind sehr gelenkig und vor allem während des Angriffs gehen sie sehr entschlossen vor. Beobachtet man sie allein schon, wenn sie in den Containerbuchten rumklettern, um in einen aufgebrochenen Container zu gelangen, hat man den Eindruck, dass sie nicht besonders zögerlich und sehr geschwind sind im Klettern.

Sie sind leicht, beweglich und durch ihre dünnen Körper und Gliedmaßen passen sie überall durch, dabei sind sie in der Regel recht groß, wodurch sie beim Klettern eine größere Reichweite haben.

Möchte man also verhindern, dass diese Leute auf schnellem Wege in die Aufbauten kommen, muss man sich davon lossagen, mit dem eigenen Ermessen die Lage abzuschätzen. Geben Sie vor allem auf Ecken und Kanten acht, die leicht umklettert werden können, an denen man sich lang hangeln und so schließlich eventuelle Absperrungen umgehen kann. Verschätzen Sie sich nicht in der Größe der Abstände zwischen den Stacheldrahtlagen oder den Gittern. Bei den Gittern sollten es nicht mehr als 20 cm sein und beim Stacheldraht ist zu beachten, dass er auch verschoben werden kann, wenn er nicht fest genug sitzt.

Während meines letzten Einsatzes haben wir die schnell erreichbaren Bereiche, durch welche man an bzw. in die Aufbauten gelangen kann, sowie Niedergänge durch eigens an Bord hergestellte Gitter verriegelt, welche entweder festgeschweißt wurden oder um das schnelle Durchkommen während einer eventuellen Brandbekämpfung nicht zu verhindern mit Vorhängeschlössern und an Schrauben festgezogenen Muttern verriegelt wurden. Bereiche an den Aufbauten, die von außenbords erklettert werden können, wurden durch eng gezogenen Stacheldraht verriegelt. Der Aufbau dieser Barrieren hätte uns nicht in einer möglichen Brandbekämpfung oder beim Verlassen des Schiffes behindert, da sie durch Schlüssel oder entsprechendes (gut verstautes) Werkzeug schnell von uns geöffnet hätte werden können.

 

Piraten haben meines Wissens weder Seitenschneider, Brecheisen oder Schraubenschlüssel dabei. Selbst wenn, müssen sie das Zeug erst mal an Bord holen und zum Boarden können sie maximal ihre Waffe mitnehmen. Weiterhin müsste das Werkzeug passen und man muss es bedienen können. Selbst wenn die Piraten eine Barriere öffnen können, haben sie immer noch die Schotten der Aufbauten vor sich, welche es sich empfiehlt, auch von innen zusätzlich zu verriegeln und mit Stahlplatten zu verstärken.

Sollten sie es doch irgendwie und irgendwann nach innen schaffen, haben wir bis dahin genügend Zeit gehabt, uns in die dritte Sicherheitszone zurückzuziehen, in die Zitadelle. Dort angekommen würde der leitende Ing. einen Blackout erzeugen und auch ein Starten der Notdiesel verhindern. Bereiten Sie dies gründlich mit ihrem gesamten technischen und nautischen Offiziersstab vor.

Zur Zitadelle werde ich in Punkt 1.7 etwas schreiben.

Bis die Piraten diese finden und aufbrechen würden, müssten sie erstmal in die dunklen Aufbauten rein. Meiner Erfahrung nach haben die somalischen Piraten Probleme damit, in Bereiche zu gehen, die sie nicht kennen und die auch noch dunkel sind. Vor allem die Maschine - auf der HS brauchte es mehr als einen Monat, bis sie sich hineintrauten. Dann, wenn sie drinnen sind, müssen sie sich erstmal zurechtfinden, selbst wir Seeleute haben in unseren ersten Tagen an Bord eines neuen Schiffes unsere Probleme.

Dies ist alles kostbare Zeit, die eine Kontaktaufnahme mit Marinekräften ermöglicht.

Bei all diesen Vorbereitungen kommen wir um einen Punkt nicht herum: das Training der Mannschaft. Jedem muss klar sein, dass er drinnen zu sein hat, wenn die Piraten kommen! Auf dem letzten Schiff haben wir für die Zeit der Passage das Deck gesperrt. Wer rausgeht, informiert die Brücke, nimmt UKW17 mit (für den Notfall!, ansonsten gilt Sendepause) und trägt sich aus einer Liste aus, die an dem einzigen Ein- und Ausgang hängt, welcher während der Passage benutzt werden kann. Solche Vorgänge sind ungewöhnlich an Bord, daher muss man sie besprechen, üben und vor allem kontrollieren.

Die Brückenmannschaft checkt die Liste, wenn sie im Ernstfall runtergeht, da beide Seiten ein UKW haben, können sie sich koordinieren und auf die Person warten. Für den Fall, dass aus irgendeinem Grund kein UKW-Kontakt besteht, werden maximal drei Minuten gewartet, dann verriegelt. An Deck haben wir die Luken zu den Laderäumen unverriegelt gelassen, ein an Deck gestrandeter, soll sich dort verstecken. Auch dort werden die Piraten nicht reingehen. Selbst auf der Stavanger haben sie das in vier Monaten nicht gemacht.

Dass diese Abläufe klar sind, ist so wichtig, damit wir in der Zitadelle den Marinekräften mitteilen können, dass kein Mannschaftsmitglied in der Hand der Piraten ist, erst dann werden sie angreifen.

Weiterhin ist der gehörige Ausguck so wichtig, das frühzeitige Erkennen eines Angriffes. Die Evakuierung dauert zwar nicht lange, aber man sollte so viel Zeit wie möglich haben, um Spielraum für alle Eventualitäten zu haben.

Aktive Maßnahmen

Diese beinhalten alle Maßnahmen, welche die Mannschaft während des Angriffs ergreifen kann, um ein Boarden der Piraten zu verhindern:

Hier bietet der Markt viele Möglichkeiten an.

Welche man nun an Bord verwendet, sollte in Kooperation mit dem CSO erarbeitet werden

Maßnahmen nach der Kaperung:

Sobald die Piraten an Bord sind, stoppt man das Schiff auf, verlässt die Brücke und verriegelt jeden Durchgang, den man benutzt hat.

Das Brückenteam begibt sich zur Zitadelle und gibt sich durch einen vorher besprochenen Code zu erkennen. Eine Person ist verantwortlich, zu öffnen und sofort wieder zu schließen.

Sobald alle in der Zitadelle sind, wird der Kapitän die Anweisung zum Blackout geben. Daraufhin wird wieder Kontakt mit den Behörden aufgenommen, über Iridium - vergessen Sie nicht, eine geeignete Stelle für die Antenne zu finden.

Auf den Schiffen der Reederei „Leonhardt und Blumberg“ haben die Verschärfungen passiver wie aktiver Abwehrmaßnahmen bereits während der Geiselhaft der HS zu einer Aktualisierung des SSP geführt. Wie bereits erwähnt, ist der SSP wie auch die anderen Anweisungen und Empfehlungen bei der Vorbereitung zu konsultieren.

Ein reger Informationsaustausch mit dem CSO, sowie regelmäßiges Sichten neuer Merkblätter und Ratgeber ist unabdingbar, um seine Sicherheitsstandards der Gefahrenlage anzupassen.

1.7 Vorbereitung der Zitadelle:

(An Bord der HS war die Zitadelle ein Raum unter Deck, jedoch ohne die im Folgenden beschriebenen Schutzmaßnahmen)

Dieser Raum soll als sicherer Zufluchtsort für die Mannschaft während eines Angriffs sowie nach einer Kaperung dienen.

Er sollte so liegen und beschaffen sein, dass keine Granaten von außen eindringen können und er weiteren Gewalteinwirkungen von außen einer Weile standhält. Es sei angemerkt, dass in einigen Skiffs bereits Sprengstoff gefunden wurde. Sorgen Sie also für ausreichenden Schutz um ihre Zitadelle herum. Liegt sie zum Beispiel irgendwo im Maschinenraum (Maschinenwerkstatt?), überlegen Sie, ob sie nicht schon einige Schotts vorher verstärken. Sollten die Piraten es überhaupt wagen oder wegen der Dunkelheit schaffen, so weit vorzudringen, verbrauchen sie vielleicht dort schon ihren Sprengstoff.

Im Grunde gibt es viele Ideen und Möglichkeiten, den Piraten den Weg zur Mannschaft schwer zu machen, überlegen Sie nur, dass Sie nicht selber Gefangener Ihrer eigenen Falle werden und das alles auch von irgendwem durchgeführt werden muss …

Zurück zur Zitadelle.

Da sich die Mannschaft hier eine längere Zeit aufhalten könnte, sollte hier für Wasser und Notrationen, wie z. B. aus dem Rettungsboot bekannt, gesorgt sein (dabei die Notdurft nicht vergessen). Für medizinische Versorgungsmöglichkeiten muss auch reichlich gesorgt sein.

Vergessen Sie nicht, dass es stockdunkel sein wird, Licht ist daher nützlich, aber verteilen Sie es besser nicht an die Mannschaft um keine große Aufmerksamkeit zu erwecken. Immerhin fällt in der größten Finsternis auch schon die kleinste Reflexion auf.

Besonders wichtig ist es, die Möglichkeit der Kommunikation nach außen herzustellen. Da man davon ausgehen kann, dass ein Marineschiff unterwegs ist, kann man dann mit den entsprechenden Behörden (wie UKMTO) Kontakt aufnehmen und Bericht über die Lage erteilen, sodass ein Eingreifen des Militärs ermöglicht wird.

Die weitere Ausstattung und die Lage der Zitadelle sollte man auch wieder mit dem CSO zusammen ausarbeiten.

Je weiter und tiefer die Zitadelle im Schiff und in der Finsternis nach einem Blackout liegt, desto größer ist die Chance, dass die Piraten noch nicht mal in Ihre Nähe kommen, bis das Militär da ist.

Je besser die Zitadelle geschützt ist, umso geringer wird auch die Wahrscheinlichkeit für die Mannschaft, in die Hände der Piraten zu gelangen.

Sie sehen, bei sorgsamer Vorbereitung haben Sie gute Chancen dem Schicksal der Hansa Stavanger zu entgehen.

1.8 Abschließende Worte

Warum wurden Vorbereitungen dieser Art nicht auf der Stavanger getroffen?

Dies liegt zum einen an der, bis dato weitverbreiteten Meinung, dass ein Schiff wie die Hansa Stavanger nicht in großer Gefahr sei, gekapert zu werden. Lese ich mir z. B. die Best Management Practices von 2009 durch und vergleiche sie mit den aktuellen, steht dort nicht mehr, dass die Kaperung eines Fahrzeuges mit einer Geschwindigkeit über 15 kn Fahrt unwahrscheinlich ist. Es wird davor gewarnt, dass hohe Geschwindigkeit und Freibord kein Schutz sind, lediglich eine Flucht begünstigen.

Ein anderes Problem ist, dass es leider in einer gewissen Position an Bord ein schädliches Desinteresse an der Gefahrenlage gegeben hat.

Vonseiten des Offiziersstabs gab es einige Bemühungen, das Level der Gefahrenabwehr an Bord zu erhöhen, doch wenn es ganz oben nicht weitergeht, kommt alles zum Stocken.

Zum Beispiel hätte ich gerne zumindest an gewissen Niedergängen Gitter angebracht, die nach meiner Erfahrung in der Afrikafahrt eigentlich üblich sind, um Langfinger davon abzuhalten, die Aufbauten hochzukommen. Dann wäre es an der Zeit gewesen, den Stacheldraht zu erneuern und vor allem anders zu verteilen.

Die Wacheinteilung auf der Brücke hätte verstärkt sein sollen, doch, wer soll dann an Deck arbeiten - oder Räucheröfen bauen …?

Vor allem aber, und da waren sich alle Offiziere einig, hätten wir eine andere Route nehmen müssen.

Die Vorbereitung eines Schiffes für ein Piratengebiet ist nicht an einem Tag getan. Das letzte Schiff (nicht die Hansa Stavanger!) auf dem ich war, verbrachte lange Zeit im Linienverkehr im Mittelmeer und hatte daher vor seiner Passage durch den GoA noch keine Vorbereitungen an Bord.

Ich habe die Chance genutzt, eine Übersicht über die benötigte Zeit zu notieren, die Ihnen vielleicht bei einer kleinen Orientierung für Ihre eigene Arbeit an Bord gibt:

- Vorbereitung der Gitter:

30 Stunden, eine Person,

- Ausbringen des Stacheldrahtes:

8 Stunden, fünf Personen,

- Ausbringen und Justieren der Feuerschläuche:

6 Stunden, eine Person,

- Kontrolle, Bereitstellung sonstiger Verteidigungsmittel: 1 Stunde, eine Person,

- Instruktion der Mannschaft, Training:

1 Stunde (an mehreren Tagen),

- Vorbereitung der Zitadelle:

1 Stunde, zwei Personen,

- Verschließen aller Türen und Schotten:

30 min, eine Person,

- Verdunkeln aller Bullaugen:

4 Stunden, eine Person,

- Sichten von Informationsmaterial:

2 Stunden, eine Person.

2. Erzählung
2.1 Die letzten Tage vor der Kaperung

Schon als wir aus Mtwara, einem kleinen Hafen in Tansania kurz vor der Grenze zu Mosambik, ausgelaufen sind, fangen wir,

Vlad (1. Offizier), Slava (3. Offizier) und ich, an, von Tag zu Tag unruhiger zu werden.

Wir merken nichts von den unruhigen und nachdenklichen Nächten und Tagen des jeweils anderen. Erst vor Somalia, als die Stavanger bereits in Piratenhand ist, stellen wir die Parallelen fest.

Ob es einfach nur Zufall war oder wirklich eine Vorahnung weiß ich nicht, immerhin wäre es zu leicht zu behaupten „ich wusste, dass was passiert“. Doch merkten wir alle drei, dass mit Beginn der Entführung dieses stechende Gefühl im Hinterkopf, welches einen um den Schlaf bringt, weg ist, als hätte sich ein Knoten gelöst.

Vielleicht ist es eben dieses Gefühl, das uns schon vor Auslaufen aus Dubai, der letzte Hafen vor Mombasa und damit vor der Kaperung, unsere Sicherheitsvorkehrungen verstärken ließ.

Vorkehrungen, die den zu dieser Zeit herrschenden Umständen angemessen schienen, zumindest aber die Crew gut vorbereitet hat. Das zeigt das Verhalten der Mannschaft beim Angriff und der zügige Ablauf unserer Prozeduren. Warum es dennoch zur Kaperung kommt, wird im Kapitel „Der 04. April 2009“ deutlich.

Vlad, Slava und ich unterhalten uns häufig über das steigende Problem der Piraterie. Wir erhalten regelmäßige Warnungen über Telex mit den Positionsangaben der letzten Piratenvorfälle sowie Ratgeber und Hinweise rund um das Thema Piraterie, wie z. B. die "Best Management Practices".

Aus den Mitteilungen über erfolgte Angriffe oder sogar Entführungen entnehmen wir die Positionen und tragen sie in eine Übersichtskarte ein. Wir bekommen ein deutliches Bild über die Angriffe, das uns eins sagt: Die Piraten gehen immer weiter in den Indischen Ozean.

Mit unserer Größe und unserer Geschwindigkeit (bis zur Kaperung der HS ist noch kein erfolgreicher Angriff über 15 kn berichtet worden) sind wir zwar noch nicht außer Gefahr, gehören jedoch auch nicht zur Gruppe der besonders gefährdeten Fahrzeuge.

Trotzdem, wir drei sind uns einig, die üblichen 400 sm reichen uns nicht mehr und so solle jeder noch mal den Kapitän fragen, ob Slava, der als dritter Offizier die Routenplanung macht, die Route ändern kann.

Herr Kotiuk ist sich nicht sicher, er verweist auf den höheren Bunkerverbrauch und dass der Charterer, mit dessen Vertreter er, nach eigenen Angaben, kurz vor seinem Urlaub im November im Bur Al'Arab frühstücken war, dies wohl nicht akzeptieren würde.

 

In Herrn Kotiuks Auftrag und Namen verfasse ich eine E-Mail an die Reederei, ob sie uns bei dieser Entscheidung unterstützen würde.

Der Kapitän ist für das Schiff verantwortlich, weder Reeder noch Charterer können ihm Entscheidungen im Sinne der Schiffsicherheit streitig machen, so ungefähr auch die Antwort der Reederei.

Wir blieben bei unseren 400 sm.

Zeitweise müssen wir sogar befürchten, dass unser Kapitän noch näher an die somalische Küste möchte.

Die wunderliche Begründung für diese Idee, welche ihm von einem unserer Ingenieure souffliert wurde, ist, quasi hinter die "feindlichen Linien" zu fahren. Wir, die drei nautischen Offiziere, widersprechen dem und sind froh, dass es doch nicht zu dieser Entscheidung kommt, da sie eindeutig unsere Loyalität zu unserem Kapitän infrage gestellt hätte - bereits jetzt.

Eine andere Sache, die uns während der Reise beschäftigt, sind die ständigen Ermutigungen des Kapitäns während unserer Wache ggf. Wegpunkte abzuschneiden, sprich kleine Abkürzungen zu nehmen - die uns allerdings wiederum näher an Somalia gebracht hätten.

Vlad, Slava und ich unterhalten uns darüber und sind uns einig - sollten wir während unserer Wache dazu die Anordnung erhalten, dieser deutlich zu widersprechen und ggf. die Wache an den Kapitän abzutreten.