Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 22

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Martin Haberkorn, 10. Februar 1945, Hamburg

Haberkorns Hände waren wieder in der Lage anzupacken. Das war durchaus wörtlich zu verstehen, denn die Baubelehrung bedeutete auch, bestimmte Apparaturen des Bootes zu bedienen. Die tiefen Schnittwunden waren gut abgeheilt, und er würde, wenn er durchkommen und alt werden sollte, immer diese Zeichen sehen können. Sie würden sich mit der Zeit verändern, ihn aber immer an diesen schrecklichen Luftangriff erinnern. Für ihn mit Mitte der zwanziger Jahre war das alles noch unvorstellbar, dass er möglicherweise dann sehr viel später schlecht laufen können, sehen oder hören würde. Er schob diese Gedanken weg, er lebte im hier und jetzt. Die Erleichterung, dass seine Frau und sein Sohn in Sicherheit waren, war immer mehr der Befürchtung gewichen, dass es ihm nach dem Krieg sehr schwerfallen könnte, sie überhaupt wiederzusehen. Für ihn stand fest, dass die militärischen Auseinandersetzungen noch in diesem Jahr zu Ende sein würden. Deutschland war faktisch schon geschlagen aber es gab nicht den Willen seitens der Verantwortlichen, das sinnlose weitere Blutvergießen zu beenden. Wenn er ehrlich wäre, würde er eine Kapitulation als Vertreter des Staates auch ablehnen, denn er war sich sicher, dass die Sieger wohl nicht viel Federlesens mit solchen Personen machen würden. Hitler würde sich niemals eingestehen wollen, dass seine Pläne für die Neuordnung der Welt krachend gescheitert waren. Das hieß für Haberkorn selbst, bis zum bitteren Ende durchzuhalten, und vor allem auch durchzukommen. Seine Chancen schätzte er als mittelmäßig ein, er war aber in einer weit besseren Situation als etwa die Landser an der Ostfront. Dazu kam, dass er von dem neuen Bootstyp dermaßen begeistert war, dass er unbedingt mit diesem U-Boot noch vor Kriegsende auf Fahrt gehen wollte. Sehr vieles war neu und noch gewöhnungsbedürftig, aber revolutionäre Veränderungen wie die gewaltige Batterieanlage, der zweietagige und in der Form einer Acht gestaltete Druckkörper, neue Anlagen der Horchtechnik, Radar, die automatisierte Torpedo- Nachladeeinrichtung und die Möglichkeit, getaucht geräuschsuchende Aale loszumachen, all das zeigte Haberkorn, wie weit dieser Typ seinen Gegnern technisch voraus war. Nicht zuletzt würde sich die Kampfkraft der Besatzung erheblich erhöhen, denn dafür gab es zwei Gründe. Zum einem würde fast jeder Mann seine eigene Koje haben und nicht in die stinkende Bettwäsche atmen müssen, die der vor ihm dort schlafende Mann hinterlassen hatte, es würde richtige Toiletten und einen Waschraum sogar mit Duschen geben, die Verpflegung könnte durch die viel größeren Kühlanlagen abwechslungsreicher gestaltet werden. Und zum anderen hatten die beeindruckenden technischen Daten des Bootes, vor allem die enorme Unterwassergeschwindigkeit, einen wichtigen psychologischen Aspekt: die Seeleute bekamen wieder das Gefühl, mit einer überlegenen Waffe kämpfen zu können. Das war nach der monatelangen Durststrecke mit schrecklichen Verlusten enorm wichtig.

Haberkorns Boot unterschied sich äußerlich nicht von den anderen auf der Helling liegenden Neubauten. Alle waren gewaltige Maschinen von fast 80 Metern Länge, knapp sieben Meter breit, und ohne den Turm gut acht Meter hoch. Wie viel Arbeit darin steckt dachte Haberkorn jedes Mal, wenn er wieder in das Boot einstieg. Er war lange genug auf verschiedenen Booten gefahren um alle grundsätzlichen Funktionen zu verstehen, aber es gab genug dazuzulernen, und das tat er nach den Stunden auf der Werft im Barackenlager. Er ließ sich zum Abendessen in der Messe sehen, führte ein paar belanglose Gespräche, trank ein, zwei Bier, und verschwand wieder in seiner Kammer. Dort tauchte er wieder in die technischen Handbücher ein und bald war er soweit, alles was er aufgesogen hatte, ohne Mühe herzubeten. Das war nur sinnbildlich gemeint, er könnte schon jetzt mit fast jeder Situation umgehen. Was er bei seinen kurzen Besuchen in der Messe festgestellt hatte erschreckte ihn schon einigermaßen. Der Ton der Männer hatte sich deutlich geändert. Er war langsam immer mehr in leere Sprüche im Stil von Durchhalteparolen abgerutscht und von Bekenntnissen zur Führung durchdrungen. Es waren aber eben auch nicht mehr die Männer von vor fünf Jahren, sondern junge geschniegelte Kommandanten, die schon mit 20.000 Tonnen versenktem Schiffsraum als Aase galten. Die früheren Seemänner waren allesamt eigene Typen gewesen. Selbstverständlich hatte sich auch jeder von ihnen irgendwie inszeniert, wie "Otto der Schweigsame", Kretschmer. Dieser Mann hatte das nicht vordergründig so hingestellt, er war halt so gewesen. Anders hatte sich Prien aufgestellt, der im Jubel der aufgeheizten Menschenmassen beim Empfang durch den Führer regelrecht badete. Jetzt war er schon lange abgesoffen, und Kretschmer in Gefangenschaft geraten. Schepke, einer der zu diesem Dreigestirn der Helden gehört hatte, war auf ziemlich üble Weise ums Leben gekommen. Sein Boot war nach einer langen Wasserbombenverfolgung zum Auftauchen gezwungen und dann von einem Zerstörer gerammt worden, wobei der auf dem Turm stehende Kommandant zwischen Sehrohr und Brücke eingeklemmt worden war. Ihm wurden beide Beine abgetrennt, er fiel über Bord und ging unter. Das war alles schon 1941 passiert, und die Erde hatte sich inzwischen weitergedreht. Das war ein Effekt, den kein Mensch beeinflussen konnte. Aber der Mensch konnte sich gesellschaftlich weiterentwickeln und technische Erkenntnisse hinzugewinnen. Und in letzterer Hinsicht hatten die Deutschen immer noch eine ziemliche Kraft und großen Ehrgeiz. Neue Techniken und Technologien entstanden nicht aus dem Nichts, und es bedurfte schon einer langwierigen Grundlagenforschung. Diese war im Reich im Hochgefühl der ersten schnellen Siege als nicht notwendig mehr oder weniger eingedampft worden, wobei aber einige vorausschauende Leute in den unteren Entscheidungsebenen alles daran gesetzt hatten, gerade diese Forschungen und Entwicklungen trotz aller knappen Ressourcen weiterlaufen zu lassen. Und auf so einem Weg war eben auch so ein technisches Meisterwerk wie der Typ XXI entstanden. Natürlich hatte es Irrtümer gegeben, die Flaktürme zum Beispiel, die zu regelrechten Fallen für die Bedienungen werden konnten. Letztlich sollten 2-Zentimeter-Flak in gepanzerten Türmen an der Brücke angebracht werden, aber diese Lösung war gerade nicht so durchdacht, um im Krieg zu bestehen, und fiel dann auch später weg.

In der Summe der Verbesserungen zu den vorherigen Mustern von U-Booten war der neue Typ aber absolut überzeugend. Haberkorn fieberte dem Fertigstellungstermin entgegen, denn er wollte unbedingt mit seinem Boot noch in den Kampf gehen. In solchen Momenten vergaß er vollkommen, dass er eine Frau und einen Sohn hatte.

Fred Beyer, 10. Februar 1945, Ungarn

Diesmal war es selbst für den abgebrühten Fred Beyer zu viel gewesen, denn das eigentlich recht kurze Gefecht hatte für die deutsche Einheit eine schlimme Niederlage zum Ergebnis gehabt. Der in diesen Tagen typische "Null-Acht-Fünfzehn" Befehl, Stellung halten, Vorstoßen und so weiter, war innerhalb von zehn Minuten von der Wirklichkeit zerrissen worden. Den sieben Panzern V hatten sich ungefähr 40 T 34 gegenübergestellt, die ihre Feinde mit großem Mut, Draufgängertum und Todesverachtung attackierten. Die russischen Tankisten wussten sehr genau, dass sie für einen vernichteten deutschen "Panther" mit fünf bis sieben abgeschossenen eigenen Kampfwagen zahlen mussten. Sie wussten auch, dass dann etwa 30 Männer nicht mehr am Leben sein würden aber, und das trieb Beyer den Angstschweiß auf die Stirn, dass dann andere Kämpfer mit ihren Fahrzeugen nachrücken würden.

Fred Beyer hatte sein Abitur nicht geschenkt bekommen, und er hatte im Vorfeld der Prüfungen sehr viel geübt. Er war aber ehrlich zu sich selbst gewesen und hatte sehr schnell verstanden, dass er mit Weber oder Haberkorn nicht mithalten konnte, wenn es um irgendwelche mehr abstrakte und wissenschaftliche Dinge ging. Das spielte jetzt gar keine Rolle mehr, es ging um das blanke Davonkommen. Er war ein ziemlich verschlossener und misstrauischer Mann, ein Ergebnis seines Aufwachsens in einer problematischen Familie. Liebe im besten Sinne hatte er nie erhalten, er war eben einer von fünf Söhnen, der Jüngste, und der Schwächste. Der Sport, das Boxen, hatte ihm geholfen den Kopf oben zu lassen, und so war in ihm auch etwas Widerspenstiges und Rebellisches gewachsen, er ließ sich eigentlich von Niemandem etwas sagen, weil er das Waffenhandwerk perfekt beherrschte. Seine ihm zurechenbaren Abschüsse als Kommandant waren erwiesenermaßen bislang 58 feindliche Panzer, 27 zerstörten Panzerabwehrkanonen, 13 Feldgeschütze, 18 MG-Stellungen und hunderte von feindlichen Soldaten, die von den MG des Panzers getötet worden waren. Er hatte niemals darüber nachgedacht, wie viele Menschen er indirekt durch sein Handeln umgebracht hatte. Tatsächlich könnte er als Kommandant weiße und unbefleckte Handschuhe vorzeigen, vielleicht wie auf einem Tanzstundenball junger Adliger. Das Töten hatte er drei Männern seiner Besatzungen übertragen: dem Ladeschützen für die Bereitstellung der richtigen Munition im Rohr, dem Richtschützen für das Anrichten und Abfeuern der Kanone und des Turm-MG, und dem Funker, für die Bedienung des Bug-MG. Selbst der Fahrer hatte in Momenten der allergrößten Wut auf den Gegner, wenn wieder einmal einer der eigenen Panzer explodiert war, feindliche Soldaten zu überrollen versucht. Es war öfter gelungen.

Beyer selbst hatte wie ein Dirigent von seiner erhöhten Position im Turm aus das Geschehen kalt und schnell analysiert, und dann die richtigen Befehle gegeben. In Bezug auf den Panzerkampf war er ein besonderes Talent. Er hatte die Eigenschaft, das Gefechtsfeld schnell übersehen zu können, die Positionen der eigenen und der feindlichen Kampfwagen zu erkennen, und ein untrügliches Gespür für die wahrscheinlichen Handlungen der einzelnen Fahrzeuge. Das betraf auch die eigenen Panzer. Neue Besatzungen waren entweder zu ängstlich, oder zu überheblich. Er selbst konnte genau unterscheiden, wann er sein Fahrzeug zurückziehen musste, oder wann er aggressiv angreifen konnte. Das hatte rein gar nichts mit Ängstlichkeit zu tun, sondern bewies Überlegung. Außerdem berücksichtigte er den großen Vorteil seines modernen Panzers, der vor allem in einer erfolgreichen Feuereröffnung auf größere Distanz lag. So konnte er sich den Gegner möglichst lange vom Leib halten, was er nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich so verstand. Beyer war vielleicht von seinem Intellekt her gesehen nur gutes Mittelmaß, aber keineswegs ein tumber Geselle. Er hatte zwar nur wenige Interessen, aber im Krieg gab es ja auch kaum Möglichkeiten, die eigene Person weiter zu qualifizieren. Er war mit dem zufrieden, was das Ergebnis der Erfüllung seines Auftrages war.

 

Fred Beyer war einsichtig, wenn er einen Befehl für richtig hielt, er handelte nach seinem Ermessen, wenn er dachte, dass die Anweisung falsch oder zumindest nicht sinnvoll wäre. Dass er sich damit bei der jeweiligen Führung keine Freunde machte war ihm klar, aber absolut egal. Schließlich war er es, der mit seinen Männern in dem engen Stahlkasten seine Haut zu Markte trug. Wenn er sich mies fühlte erinnerte er sich gern an ein Gespräch mit einem neu zur Einheit gekommenen Leutnant, der noch keinerlei Kampferfahrung hatte.

"Sie können gern mal bei uns mitfahren um Pulverdampf zu schnuppern" war sein Angebot gewesen, "allerdings ist der Heldentod bei so einem Ausflug nicht ganz ausgeschlossen" hatte er dem Leutnant noch zynisch erklärt. Der andere junge Mann war kein Drückeberger gewesen und hatte sofort eingewilligt. Es war absoluter Zufall gewesen, dass sich das Gefecht auf recht weite Distanz entwickelt hatte, und die gut postierten vier "Panther" auf einer kleinen Anhöhe die gute Reichweite ihrer Kampfwagenkanonen hatten ausspielen können. Immerhin waren die Russen mit einigen Fahrzeugen ziemlich nah herangekommen und hatten zwei der deutschen Panzer abschießen können, aber in der Endabrechnung hatte es dann zwei Panzer V gegen 13 T 34 geheißen. Fritz Kwasnik, der Richtschütze, hatte kurz vor dem Rückzug der russischen Panzer wie immer die Ruhe bewahrt, und weil er die Lage gedanklich trotz seines begrenzten Sichtfeldes sehr gut einschätzen konnte so lange gewartet, bis sich zwei T 34 fast quer zum Standort des "Panther", und kaum 300 Meter entfernt, vorgewagt hatten. Beyer hatte ihn später einmal gefragt, ob er dieses Abwarten und Lauern auf den Feind provoziert hätte um den Leutnant zu beeindrucken, und Kwasnik hatte mit einem breiten Grinsen erklärt, dass er so etwas natürlich nie tun würde. Der Leutnant war auf Bergners Sitz des Funkers sozusagen als Gast platziert worden, und da Friedrich, der Fahrer, wie schlafwandlerisch immer den gut gepanzerten Bug des Fahrzeuges in die erwartete Richtung des Beschusses drehte, konnte der Mann das Geschehen gut verfolgen. Fritz Kwasnik war ein guter Selbstdarsteller, aber in erster Linie Richtschützen. Ihm gelang es, innerhalb von drei Minuten zwei der vorgerückten T 34 zu vernichten. Der junge Leutnant war sichtbar beeindruckt gewesen, aber er hatte auch den Abschuss zweier eigener Fahrzeuge miterleben müssen.

Bei einem Treffer in den Panzer gab es für die Besatzungen einige mögliche Szenarien. Der Beschussschaden betraf nur die Technik, wie zum Beispiel den Motorenraum, alle Besatzungsmitglieder überlebten zunächst, und konnten ausbooten. Die Granate schlug außen am Kampfraum ein, ging durch die Panzerung hindurch, aber explodierte nicht, oder aber hatte gar keine explosiven Bestandteile. Das war in den meisten Fällen vollkommen unerheblich, denn diese Wuchtgeschosse waren tödlich. Günther Weber hätte Beyer dies vermutlich haarklein mathematisch-physikalisch erläutern können, vor allem, was kinetische Energie bedeutete, aber letztlich war Fred Beyer klug genug zu verstehen, dass schon allein ein winzig kleiner Klumpen Metall töten konnte. Das tat er bei der Infanterie mit fünf Gramm schweren Projektilen, das reichte aus, menschliches Gewebe zu zerfetzen und einen Soldaten zu töten. Bei den Panzern war naturgemäß mehr Masse und Kraft gefragt.

In Bezug auf die Panzerentwicklung hatte es international immer bestimmte Leitlinien gegeben. Mitte der dreißiger Jahre sah man den Panzer als extrem schnelles Fahrzeug mit leichter Bewaffnung und dünner Panzerung zur Unterstützung von Offensiven der anderen Teilstreitkräfte an. Dem hatte auch die deutsche Panzerentwicklung dieser Zeit Rechnung getragen. Das schwerste Modell, der Panzer IV, hatte nur die berüchtigte Stummelkanone mit einer 7,5-Zentimeter Hauptbewaffnung mit einer L/24 langen Kampfwagenkanone an Bord gehabt. Wie sich die Zeiten geändert hatten bewiesen die aktuellen KwK. Der Panzer V verfügte über eine 7,5-Zentimeter Hauptbewaffnung mit 70 Kalibergrößen Länge, also 7,5 Zentimeter mal 70 gleich 525 Zentimeter. Dieses lange Rohr gab dem Geschoss eine enorme Mündungsgeschwindigkeit von 935 Metern in der Sekunde, und dies mit der üblichen Granatpatrone. Mit den kaum verfügbaren Panzergranaten 40/42 wären sogar 1.120 Meter pro Sekunde zu erzielen gewesen. Das hieß, dass diese Geschosse die Schallgeschwindigkeit von ungefähr 340 Metern in der Sekunde mehrfach übertrafen, und der Einschlag vor dem Abschlussknall erfolgte. Wenn so ein Geschoss beispielsweise eine Turmpanzerung durchdrang, wurde die kinetische Energie des Geschosses in Druck umgesetzt und erzeugte eine sehr hohe Temperatur. Die Reibung des Geschosses mit den Panzerblechen erzeugte nach innen gerichtet einen Splitterregen des brennenden Materials, welcher in den Kampfraum sprühte. Bei so einem Wuchtgeschoss war es ziemlich egal was stärker wirkte: der Explosionsdruck, die umherfliegenden Splitter der Panzerung, oder die große Hitze. Die Männer im Panzer wurden entweder durch die Metallteile durchsiebt, ihnen platzten die Lungen, oder sie verbrannten. Letzteres war die übliche Todesursache. Fred Beyer tröstete sich damit, dass er im Falle eines direkten Treffers nicht einmal mehr "Muff" sagen könnte, dann wäre er schon hinüber.

Schlimmer wäre es, wenn es einen Treffer geben sollte, der das Fahrzeug in Brand setzte. Es gab die Tanks, Benzinleitungen, Vergaser, die den Treibstoff beinhalteten, transportierten und zerstäubten. Benzin war im Gegensatz zu Diesel sehr schnell entflammbar und es gab unter den Besatzungen durchaus weit auseinandergehende Meinungen, welcher Betriebsstoff nun besser für ein Kampffahrzeug wäre. Das konnte nie abschließend geklärt werden, und die deutschen und russischen Panzerentwickler mussten wohl ihre Gründe gehabt haben, warum sie auf der einen Seite Benzinmotoren, und auf der anderen Dieselmaschinen den Vorzug gegeben hatten. Wenn es brannte war es egal, ob es Benzin oder Diesel war. Es war wohl der Alptraum jedes Panzersoldaten, in einem angeschossenen und brennenden Fahrzeug eingeschlossen zu sein. Die meisten Besatzungen verriegelten die Luken nicht.

Das Leben als Panzermann war meistens kurz, und im schlechtesten Falle mit einem besonders grausamen Tod verbunden.

Günther Weber, 10. Februar 1945, Budapest

Günther Weber war der Meinung gewesen, dass ihn im Krieg kaum noch etwas erschüttern könnte, doch an diesem Vormittag war er eines Besseren belehrt worden. Die Reste seines SS-Panzergrenadierbataillons waren vorsichtig in Richtung Donau zur Budaer Seite hin aus ihrer letzten Stellung abgerückt, um über eine noch intakte Brücke auf die andere Gegend der durch den träge dahinfließenden Fluss geteilten Stadt zu gelangen. Weber hatte am Flussufer angekommen etwas Enttäuschung verspürt, dass die Donau eine trübe und ziemlich schmutzige braune Brühe war, die nicht zu dem ehemals recht vornehmen Habitus dieser schönen ungarischen Hauptstadt zu passen schien. Er war aber zu sehr logisch denkend organisiert, so dass er sich sagte, dass die von Johann Strauß so gerühmte "schöne blaue Donau", der Walzer wurde 1867 in Paris erstmalig gespielt, ja wohl nicht immer so unansehnlich gewesen war. Die Quelle bei Donaueschingen führte den Fluss über Ulm, Regensburg, Wien, Bratislava, Budapest, Belgrad und Sulina bis hin zum Schwarzen Meer, über 2.783 Kilometer. Die Donau zählte damit zu den längsten Strömen Europas. Webers Meinung nach gab es eigentlich nur den einen Grund für die unschöne Wasserfarbe, dass das Wasser zu langsam floss. Das würde auch erklären, warum die Farbe mehr ins Braune ging, das musste mittransportierter Schlamm des Grundes sein. Als er seinen Blick vom Fluss gelöst und auf die Brücke gerichtet hatte war er im ersten Moment sehr erstaunt gewesen, was er sehen musste. An einer ihren Lampenmast in ungefähr vier Meter Höhe waagerecht auf die Straße zubiegenden Laterne baumelte eine leblose Gestalt in einer Wehrmachtsuniform. Das Genick des Mannes war gebrochen, und die Zunge hing ihm aus dem Mund. Dem Soldaten hatte man ein an einem dünnen Strick befestigtes Pappschild vor die Brust gehängt. "Ich war zu feige meine Heimat verteidigen wollen". Weber sah sich den Toten etwas näher an. Keine zwanzig Jahre alt dachte er, ein Hänfling, kein Fett mehr auf den Rippen. Dann regte er sich aber innerlich darüber auf, dass in dem Satz ein "zu" fehlte, und dass Ungarn nicht die Heimat des jungen Landsers gewesen war. Danach kam der Schock über das eigentlich schon länger Erwartete. Jetzt war es soweit, dass vermutlich Standgerichte eingesetzt wurden, die rigoros bei dem leisesten Verdacht der Fahnenflucht eingreifen würden. Weber war sich sicher, je mehr die Distanz der feindlichen Positionen in Bezug zur Reichshauptstadt schrumpfen würde, umso mehr deutsche Soldaten würden aufgehängt oder erschossen werden.

Als Einheitenführer wusste er, dass man den Zusammenhalt der Truppe für eine Weile durch brutales Vorgehen gegen die eigenen Soldaten wiederherstellen konnte. Egal in welcher geschichtlichen Epoche, immer wieder waren wankende Heere durch inneren Terror zeitweise stabilisiert worden, aber es waren stets Zeichen eines nahenden Untergangs gewesen. Günther Weber sah das nicht anders, und er würde sich in jedem Fall vor seine Männer stellen, sofern sie nicht gegen übliche militärische Verhaltensweisen verstoßen hätten. 64 Soldaten hatten sich bis auf die Budaer Berge hochkämpfen können. 12 Männer hatten es nicht geschafft und das hatte insbesondere daran gelegen, dass die Panzergrenadiere an einer Stelle ihres Ausbruchsweges längere Zeit nicht weitergekommen waren. Die noch in Budapest befindlichen deutschen Soldaten waren dem allgemeinen Sog auf die Budaer Seite gefolgt, im Pester Stadtteil standen nur noch einige wenige Kräfte, die den Rücken der Flüchtenden decken sollten. Schwere Technik war kaum noch vorhanden, und da ein Ausbruch von Panzern oder gezogener Artillerie vollkommen aussichtslos war, hatte man die Waffen auch in den östlichen Teilen der Stadt belassen. Die Soldaten sollten die letzte Munition verschießen und die Technik dann unbrauchbar machen. Weber hatte einen der „Königstiger“ in den Straßenschluchten der Stadt manövrieren sehen und war von dem archaischen Aussehen des Kampfpanzers recht beeindruckt gewesen. Auf der einen Seite war er von diesem Koloss als Soldat begeistert, auf der anderen fragte er sich als Führer einer Einheit aber auch nach dem Sinn des Einsatzes dieser 70-Tonnen Ungetüme in diesem Kampfgebiet. Es gab wahrlich keinen Grund alle militärischen Vorteile dieser Maschinen durch das Postieren in einem unübersichtlichen Umfeld zunichte zu machen. Schon beim bloßen Anschauen dieser Fahrzeuge wurde klar, dass deren Panzerung enorm sein musste und selbst einem direkten Beschuss auf die Frontpartie standhalten könnte. Außerdem fiel die extreme Länge der Kampfwagenkanone sofort ins Auge. Diese furchterregende Maschine konnte jeden Gegner in einem panzertauglichen Gelände auf große Entfernung vernichten, hier, in der Enge einer Großstadt, war er selbst Einzelkämpfern ziemlich hilflos ausgeliefert. Weber kam es so vor, alles hätte die Führung alles zusammengekratzt, was noch einigermaßen Widerstand leisten konnte. Allerdings wusste er auch selbst um die große Bedeutung Ungarns als Öllieferant für das Reich. Sollte der Zugang zu den Förderstätten verlorengehen würde die schon lahmende deutsche Kriegsmaschinerie auch noch ihren Treibstoff verlieren und die ohnehin schon knappe Versorgung könnte zum totalen Kollaps führen. Damit wäre auch jede Chance auf eventuelle Offensiven dahin, wobei diese auch wegen der fehlenden Mannschaftsstärken nur noch illusorisch erschienen.

Als Günther Weber seine Männer vorsichtig im zerstörten Budaer Stadtteil angeführt hatte war er sich schon zu diesem Zeitpunkt, noch ohne direkte Feindberührung, unsicher, ob der Ausbruch überhaupt gelingen könnte. Man musste kein Stratege des Generalstabs sein um vorherzusagen, dass die Sowjets genau wussten, wo die Deutschen aus der Stadt fliehen wollten. Schon aufgrund des Verlaufs der Frontlinie war nur der Weg nach Westen sinnvoll. Nach Osten über die Donau zu kommen war fast gar nicht mehr möglich, denn die Flussbrücken waren von den Deutschen schon im Januar gesprengt worden. Die Sowjets hingegen waren weiter nördlich von Budapest über den Fluss gegangen und erste kleinere Panzerverbände waren am 10. Februar bereits bis zur zerstörten Elisabethbrücke vorgerückt. Damit waren sie kurz davor, den Bereich zwischen der Zitadelle und dem Burgviertel einzunehmen. Weber ahnte, dass der Sack bald endgültig zugebunden sein würde und hatte zur Eile gedrängt. Das hieß für ihn aber nicht blindlings vorzugehen, sondern alle antrainierten Fähigkeiten richtig einzusetzen. Natürlich war die Truppe in kleine Gruppen aufgeteilt worden, und die Soldaten deckten sich beim Vorwärtstasten gegenseitig. Es war ein Gebiet, welches den Gegner förmlich dazu einlud, den Feind in einen Hinterhalt laufen zu lassen. Die mehrstöckigen und zum Großteil zerstörten Häuser zwängten die Grenadiere in nicht allzu breiten Straßen ein, und allein ein geschickt postiertes MG konnte deren Vormarsch entscheidend behindern. Darauf zu achten war den Männern von den Unterführern ausdrücklich gesagt worden, aber fast jedes Gefecht wird durch Überraschungen durch die Gegenseite unkalkulierbar. In diesem Fall war es der Einsatz von Flammenwerfern durch die Sowjets. Günther Weber hatte diese Waffe schon immer für besonders grausam gehalten, da sie den Getroffenen meist nicht sofort tötete, sondern bei lebendigem Leib verbrennen ließ. Das Wirkprinzip eines Flammenwerfers war denkbar simpel. Der Soldat trug auf dem Rücken zwei Behälter: einen mit dem Flammöl, einen anderen für das Treibgas. Das Flammöl war dem Dieselkraftstoff oder Heizöl ähnlich, und diesen Stoffen wurden Verdickungsmittel zugesetzt, die ein starkes Anhaften an den getroffenen Gegenständen ermöglichten. Diese Substanz klebte an dem Zielobjekt an und ließ sich kaum löschen.

 

Die ständigen Straßenkämpfe in dem Stadtteil hatten ihre Spuren hinterlassen, auch in Form von abgeschossenen Panzern. Vor den Häusern und auf den Straßen lag demoliertes Mobiliar herum, und an einer Stelle war eine halbherzig aus Bettgestellen und Schränken gebaute Straßensperre zu erkennen, die allerdings an den Häuserwänden gut zwei Meter Durchgang erlaubte. Als die Männer an eine zerschossene deutsche Pak 40 herangekommen waren konnten sie keine 30 Meter davor einen ausgebrannten T34 sehen. Den Panzer hatte eine Granate in die Turmstirnwand getroffen und das Fahrzeug dann vermutlich in Brand gesetzt, denn die Panzerplatten waren stark verrußt und die ehemals noch vorhandene Farbe abgebrannt. Möglicherweise hatte der Fahrer sich retten können, denn die große Luke in der schrägstehenden Frontplatte stand so weit offen, dass sich ein Mann mit etwas Mühe durchzwängen konnte. Drei der vorn gehenden Grenadiere waren langsam und immer wieder nach Gegnern Ausschau haltend an den Panzer herangekommen. Die nur in kleiner Schrittgeschwindigkeit folgenden Soldaten suchten mit ihren Blicken ständig die Häuserfronten ab. Erstaunlicherweise war es in der Straße sehr ruhig, nicht einmal das übliche vereinzelte Gewehrfeuer war zu hören. Instinktiv spürte Weber, dass in der Situation etwas nicht stimmte, er konnte aber nicht formulieren was. Diese eigenartige Stille verstörte ihn. Er hob den Arm und signalisierte ein „Zurück“. Die drei vorn befindlichen Soldaten gingen langsam rückwärts, die anderen Männer blieben stehen. Als die vorderen Grenadiere ungefähr fünf Meter von dem Panzer weggekommen waren schob sich ein Rohr aus dem Spalt der Fahrerluke und gleichzeitig eröffneten zwei leichte MG das Feuer aus den oberen Stockwerken der Häuser, jeweils eins von rechts, und eins von links. Die Schützen konnten sich offensichtlich nicht weit genug aus den Fenstern hinauslehnen, denn die Geschossgarben hackten vor der größeren Gruppe der deutschen Soldaten nur Gesteinsbrocken aus der Straße und den Häuserwänden heraus. Einer der drei vorderen Grenadiere wurde getroffen und ging zu Boden. Seine Zwei Kameraden wollten ihn packen und aus der Gefahrenzone schleifen, aber sie wurden von einer plötzlich aufflammenden Feuerwolke getroffen und brannten sofort. Weber sah, dass aus der Fahrerluke des Panzers immer wieder in kurzen Abständen das Rohr des Flammenwerfers herausgeschoben und der Feuerstrahl in Richtung der deutschen Soldaten gezielt wurde. Tatsächlich reichte das vernebelte und brennende Öl bis an die ersten Grenadiere heran, aber ohne sie entscheidend treffen zu können. Der Schock des unerwarteten Überfalls war bei den Grenadieren auf deren Fähigkeit gestoßen, solche Ereignisse schnell zu verarbeiten.

Günther Weber war eigentlich immer gegen zu viel Drill gewesen, aber es hatte sich doch sehr oft bestätigt, dass gerade bei unerwarteten Situationen dieses nahezu automatische Reagieren das beste Verhalten war. Hier war die Lage durchaus überschaubar, denn es gab nur eine Richtung zu beachten, nämlich nach vorn. Die Gegebenheiten des Ortes verhinderten Überraschungen aus den Flanken, höchstens von oben aus den Häusern heraus. Das war ja auch geschehen und nicht sehr überraschend gewesen. Demzufolge hatte es keine Verluste durch den MG-Beschuss gegeben, aber die Russen hatten die Grenze ihres Reviers deutlich markiert. Wogegen sich niemand richtig wappnen konnte war etwas Unerwartetes, etwas, worauf man selbst nicht kommen oder denken würde. Hier war es der in dem abgeschossenen Panzer versteckte Flammenwerfer Schütze. Wer weiß, wer auf die Idee gekommen war, den Soldaten dort zu postieren. Von der Sache her gesehen war es ein Himmelfahrtskommando, es sei denn, die Sowjets würden die Kampflinie dort halten können. Davon konnten sie aber nicht mit Sicherheit ausgehen denn ihnen musste bewusst sein, dass die Deutschen um jeden Preis aus der Umklammerung ausbrechen würden. Der Mann mit dem Flammenwerfer würde dann in dem Panzer in der Falle hocken, und das Hineinwerfen einer Handgranate oder das Hineinschießen mit einer Handfeuerwaffe wäre sein Ende. So kam es dann auch, denn Webers Männer hatten sich gefangen und hielten die feindlichen MG-Schützen nieder, während andere Männer in die Häuser einbrachen und die russischen Mannschaften erledigten. Der Flammenwerfer Schütze war tatsächlich durch eine gut geworfene Handgranate getötet worden.

Weber war sich sicher, dass der Gegner immer nur kleinere Trupps in die möglichen Fluchtwege der Deutschen gelegt hatte, denn aufgrund der Größe des Stadtgebietes konnten die Sowjets nicht alle Bereiche stark absichern. Vielmehr ging es ihnen darum den Ausbruch zu verlangsamen, und so auch vor allem eine allgemeine Stoßrichtung festzustellen. Diese gab es auf der deutschen Seite allerdings nicht, jeder Verband ging auf eigene Faust vor. Das hatte Vor- und Nachteile, denn die Schlagkraft war bei den kleineren Einheiten naturgemäß geringer. Es fiel aber nicht so entscheidend ins Gewicht, da es vor allem darum ging, aus der Stadt und über die Budaer Berge zu entkommen. Schwere Waffen wären da nur hinderlich gewesen. Nach dem kurzen Gefecht kam Webers Gruppe recht schnell voran. Bevor sie endlich ausbrechen konnten wurden sie noch von einer etwa gleichstarken Einheit der Sowjets aufgehalten, aber die Grenadiere kämpften verbissen für einen Weg in die Freiheit. Drei der Männer waren an der ersten Sperre durch das Flammöl verbrannt worden, noch weitere neun blieben tot auf dem Straßenpflaster liegend in Budapest zurück. Wie verbissen der Kampf geführt worden war zeigte sich auch daran, dass es von keiner der beiden Seiten noch irgendeinen Hauch der Schonung eines unterlegenen Gegners gab. Auf dem Gefechtsfeld waren nur Leichen zurückgeblieben, Verwundete hatte man im Vorübergehen erschossen.

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