Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie

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Cette flamme qui jaillit d’un verre d’eau froide me semble un beau symbole du sublime chrétien, de ce sermo humilis qui enseigne les profondeurs de la foi aux simples, qui nous dépeint Dieu vivant et mourant, vil et méprisé lui-même, parmi des hommes de basse condition, et qui ne dédaigne pas, pour soulever les grands mouvements de l’âme, de choisir ses images parmi les objets d’usage quotidien. Le sermo humilissermo humilis (qui reste humble même s’il est figuré) est intimement lié aux origines et à la doctrine du christianisme, mais ce n’est que le grand cœur de saint Augustin, où se rencontraient et se heurtaient parfois le monde antique et la foi chrétienne, qui en devint conscient. Peut-être n’est-ce pas trop de dire qu’il a donné le sermo humilis à l’Europe, et que, dans ce domaine comme dans tant d’autres, il a fondé la culture médiévale en jetant les assises de ce réalisme tragique, de ce mélange des styles qui, il est vrai, ne s’est développé pleinement que bien longtemps après lui. Le réalisme populaire de l’art et de la littérature fleurit depuis le XIIe siècle ; et ce n’est qu’à cette même époque qu’on retrouve, profondément sentie et parfois merveilleusement exprimée, la grande antithèse chrétienne du sublime et de l’humble.6 Mais parmi les plus beaux fruits du cœur humain il en est qui mûrissent lentement.

Über das altfranzösische Leodegarlied (1957)Leodegarlied

Die lateinischen HymnenHymne, die etwa in die gleiche Zeit fallen wie die frühesten religiösen Dichtungen in den romanischen Volkssprachen, also in die Zeit vom 9. bis ins 11. Jahrhundert, wird man nicht primitiv oder auch nur einfach nennen können. SeduliusSedulius ScottusSedulius, Notker BalbulusNotker Balbulus, WipoWipo oder Herimannus ContractusHerimannus Contractus zeigen in ihrem Stil, ihrer Bildersprache, in der Verwendung des Geschichtlichen innerhalb des typologischen und dogmatischen Rahmens ein sehr hohes Maß von Verfeinerung und gelehrtem Kunstverstand. Es ist gewiß richtig, was die Forschung der letzten Jahrzehnte zutage gefördert hat, daß die früheste romanische Dichtung in ihrem Versbau und musikalisch eng mit der zeitgenössischen liturgischen Dichtung zusammenhängt. Aber, wenn man den Inhalt betrachtet, so zeigt er zwei verschiedene Kulturstufen, die man kaum vergleichen kann. Die romanischen Fragmente enthalten ausschließlich geschichtliche Exempla in ihrer einfachsten Form, und die aus ihnen sich ergebende Lehre ist auf die primitivste Art reduziert.

Das LeodegarliedLeodegarlied aus Clermont-Ferrand, um ein Beispiel vorzustellen,1 beschäftigt sich mit einem merovingischen Heiligen des 7. Jahrhunderts. Dem Verfasser, der irgendwann im 10. Jahrhundert geschrieben haben muß, lag eine kurz nach dem Tode Leodegars, also noch im 7. Jahrhundert entstandene Vita als Muster vor. Sie stammt von einem Prior Ursinus von LigugéUrsinus v. Ligugé.2

LeodegarLeodegarlied, aus reicher burgundischer Familie, war als Bischof von Autun ein Führer des burgundischen Widerstandes gegen Ebroin, den major domus von Neustrien und Burgund unter König Chlotar IIIChlotar III.. Nach Chlotars Tode (673) gelang es Leodegar und seinen Freunden, Ebroin zu stürzen, indem sie Childerich IIChilderich II.. von Austrasien zum Throne verhalfen. Ebroin rettete sich in das Kloster Luxeuil. Doch blieb Leodegar nur kurze Zeit in Childerichs Gunst; beim Osterfest in Autun 675 scheint ihn der König mit dem Tode bedroht zu haben; sein Leben wurde geschont, aber auch er wurde nach Luxeuil verbannt, wo er sich mit Ebroin versöhnt haben soll. Als sehr bald darauf Childerich ermordet wurde, verließen Leodegar und Ebroin zusammen das Kloster; Leodegar wurde wiederum Bischof von Autun, Ebroin gelang es durch Gewalttat und Intrigen, sich eine neue Machtstellung zu schaffen; seine Feindschaft gegen Leodegar lebte wieder auf. Er ließ Leodegar in Autun belagern; als dieser die Stadt verließ und sich ergab, wurde er geblendet, verbannt, nach einiger Zeit (zugleich mit seinem Bruder) wegen Teilnahme am Morde Childerichs angeklagt, der Zunge beraubt, an den Füßen verstümmelt und etwas später getötet (679). Ebroin selbst wurde 681 ermordet. Leodegar wurde schon bald nach seinem Tode an verschiedenen Stellen des Frankenreiches als Heiliger verehrt, und Reliquien von ihm waren weit verbreitet.

Ursinus, der, wie schon bemerkt, kurz nach Leodegars Tode schrieb (es sind noch andere zeitgenössische Berichte erhalten),3 schildert die Vorgänge zwischen ChilderichChilderich II. und LeodegarLeodegarlied beim Osterfest 675 folgendermaßen:4

Cum igitur haec (Leodegars führende Teilnahme an der Regierung) pene annis tribus cum decore magno agerentur, tunc adversarius, cuius est consuetudinis invidia conditionis suae bona destruere, coepit sodales suos quos secum elegerat idem pontifex habere socios gubernaculi, invidiae malo instigare et inter ipsum et regem zizania discordiae seminare. His itaque diebus iam imminebat celeberrimus Paschalis dies. Tunc flagitante pontifice, ut in Augustoduno urbe sua ipsum sanctissimum diem rex iuberet celebrari, nequaquam renuit, sed implere nititur votum deprecantis. Qui cum appropinquante iam die ad missarum sollemnia celebranda, Sabbatho, ut mos est in vigiliis Paschae, irent pariter et malum seminarium odii simul haberent absconditum, tunc instigator utriusque mali accedens eidem pontifici dixit: Observa te, inquit, quia celebritate transacta Missarum a rege te scias esse interficiendum, quoniam semen nequam adversus te per tuos inimicos, quemadmodum et in eius corde iam olim est seminatum, in hac nocte consummare est decretum. Quod audiens pontifex dissimulando distulit, et se laetum ostendit, et non pro magno ducens apparuit vultu Glarus et sollemnia Missarum quae coeperat honestissime consummavit. Sed communionem sanctam cum ipse et rex percepissent rex ad palatium pergens abut pransurus. Pontifex vero cum suum perconsummasset officium, et merum cum suis accepisset, sicut est fragilitatis humanae, metuens animositatem regis, tractare cum suis coepit quid in hoc conflictu agere deberet. Cogitans et orans ad Dominum consilium reperit, melius ei esse omnia relinquere et Christum sequi quam locum regi dare, et manus regis sanguine sacerdotum in tanti diei festo coinquinare, ne forte fieret Francorum opprobrium, et per se unum hominem in tota plebe esset disceptatio. Tunc relicto rege, et omnium potestatum sublimitate, pro nihilo reputans quod habebat in mundo, eadem nocte procedens cum paucis ire coepit, ubi pauper Cristi fieri potuisset. Audiens autem rex contristatus est valde, et moerens ac poenitentia ductus, eoquod talia in sanctum virum cogitaret, misit quemdam ex fidelibus suis cum exercitu copioso post ipsum, ut eum ad se reduceret sanum. Cumque abiret ille, et per totam noctem illam eum secutus fuisset, tandem diluculo reperit, et iuxta mandatum regis ad ipsum reduxit; ipsoque pontifice deprecante, Luxovio caenobio ut ei liceret, relicto saeculo, vacare Deo, humili poposcit prece se dirigendum: quem protinus iliuc ire non distulit.

Dem aufmerksamen Leser wird es nicht entgehen, daß dieser Bericht, obwohl für das 7. Jahrhundert recht gut geschrieben, doch inhaltlich nicht sehr deutlich und einsichtig ist. Wollte ChilderichChilderich II. den Bischof in jener Nacht vor Ostern ermorden lassen oder nicht? Der Mann, der Leodegar davor warnt, wird als böswillig dargestellt – andererseits wird später, nach der Flucht des Bischofs, gesagt, daß der König von Reue ergriffen wird, quod talia in sanctum virum cogitaret. Ferner: wenn der König bereut und deshalb den Bischof zur Rückkehr bewegen will, warum gibt er dem Boten, den er ihm nachsendet, eine große Anzahl Bewaffneter mit (cum exercitu copioso)? Wir wissen aus anderen Berichten, die freilich auch nicht ganz deutlich und ganz zuverlässig sind, daß es in jener Nacht vor dem Ostersonntag anders zugegangen ist. Die politischen Zusammenhänge hat schon Ursinus verwischt, um ein möglichst einfaches und exemplarisches Heiligenleben zu gewinnen. Aber diese Einfachheit ist künstlich und darum unwahrscheinlich. Es ist unwahrscheinlich, daß Childerich seine Mordpläne bereut hat und daß LeodegarLeodegarlied freiwillig nach Luxeuil gegangen ist. Was sich wirklich in jenen Tagen abgespielt hat, ist schwer zu ermitteln und gehört auch nicht hierher. Es genügt uns festzustellen, daß schon Ursinus keine innerlich zusammenhängende und schlüssige Darstellung gegebenhat.

Der entsprechende Teil des französischen Textes aus dem Manuskript von Clermont-Ferrand lautet folgendermaßen:5

Ja fud tels om, Deu inimix

Qui l’encusat ab Chielpering.

L’ira fud granz cum de senior

Et sancz Lethgiers oc s’ent pavor.

Ja lo sot bien, il lo celat,

A nuil omne no·l demonstrat.

Quant ciel’ irae tels esdevent

Paschas furent in eps cel di;

Et sancz Lethgiers fist son mistier,

Missae cantat, fist lo mul ben,

Pobl’ et lo rei communiet,

Et sens cumgier si s’en ralet.

Reis Chielperics, cum il l’audit,

Presdra sos meis, a lui·s transmist;

Cio li mandat que revenist,

Sa gratia por tot ouist.

E sancz Lethgiers ne’s soth mesfait;

Cum vit les meis, a lui ralat.

Il cio li dist et adunat:

«Tos consiliers ja non estrai.

Meu evesquet ne·m lez tener

Por te qui sempre·m vols aver.

En u monstrier me laisse intrer,

Pos ci non posc, lai vol ester.»

Enviz lo fist, non voluntiers,

Laisse l’intrar in u mostier.

Hier ist der Reduktionsprozeß aufs äußerste fortgeschritten. Der Versuch, die Vorgänge politisch oder psychologisch verständlich zu machen, wird gar nicht unternommen. Ganz schematisch und sehr oft gar nicht begründet, stehen die Dinge wie Kloben nebeneinander, jedes in einer Zeile; sie sind auf eine gewisse grobe Art sehr deutlich, sogar überdeutlich, da ja solche schematischen Vorstelschon delungen wie Verleumdung, Zorn, Furcht, heimliche Flucht und so fort dem Verständnis ohne weiteres zugänglich sind. Aber die menschliche Eigentümlichkeit, die Genauigkeit des bestimmten Verlaufs, den die wirklich geschehenen Dinge einmal genommen haben, und der sie, wenn er zur Darstellung gelangt, einsichtig macht, ist verlorengegangen. Die Leute, die Leodegar bei Childerich verklagt hatten, beschreibt Ursinus immerhin noch als sodales sui quos secum elegerat idem pontifex habere socios gubernaculi. Das gibt zwar schon nicht mehr die Begründung ihres Vorgehens gegen Leodegar, aber ist doch unvergleichlich weniger barbarisch als tels om Deu inimix; bei dieser Formulierung wird offenbar an den Teufel selbst gedacht, den Ursinus, rhetorisch und moralisierend, vorher als Anstifter erwähnt hatte. Die dann folgende Darstellung des Ursinus enthält den gemeinsamen Gang zur Kirche, die Warnung an LeodegarLeodegarlied, die feierliche Messe, so daß eine vergleichsweise deutliche und dramatische Entwicklung entsteht; er schildert alsdann die Krise, die zur Flucht führt, mit den Motiven, Beratungen und Entschlüssen des Bischofs. Das ist menschlich und einsichtig, auch wenn Ursinus hier nach Mustern (Johannes Chrysostomus in der Historia Tripartita?) gearbeitet haben sollte. Diese ganze Darstellung hat der französische Dichter völlig zerschlagen; er nimmt sich ein paar Fetzen daraus und ordnet sie auf das roheste. Auf die Verleumdung durch den «Feind Gottes» folgt der «herrenmäßige» Zorn Childerichs; Leodegar hat Angst; er verschweigt, was er weiß; es war gerade Ostern; er feiert die Messe, er tut es sehr gut; er spendet Volk und König das Abendmahl; dann verschwindet er ohne Abschied. Man kann es nicht gröber und schematischer ausdrücken. In den folgenden beiden Strophen geschieht etwas Unerwartetes. Wir sagten schon, daß Ursinus dem König Childerich eine vergleichsweise gute Rolle zugewiesen hat; er läßt ihn bereuen und deutet an, er habe den Bischof in freundlicher Absicht zurückholen lassen. Dies wenig wahrscheinliche und durch andere Berichte dementierte Motiv hat der französische Bearbeiter viel stärker betont. Der König läßt durch seine Boten dem Bischof seine volle Gunst versprechen; und Leodegar spielt die Rolle des unschuldig Beleidigten, der dem reuigen König gegenüber entschieden und beinahe trotzig auftritt; er will nicht länger sein Berater bleiben, er will ins Kloster, er habe in seinem Bistum doch keine Ruhe vor dem König, der ihn ständig für sich beanspruche. Nur ungern willigt der König ein und entläßt ihn.

 

Für das Versprechen des Königs, dem Bischof seine Gunst wieder zu schenken, hatte der französische Bearbeiter eine Quelle; es steht in einer Variante der Ursinusvita, die die Bollandisten in ihrer Ausgabe nicht berücksichtigt haben (G. ParisParis, G., loc. cit. p. 300). Ob er auch für die trotzige Haltung des Bischofs ein Zeugnis besaß, ist mit Sicherheit nicht mehr festzustellen; wahrscheinlich ist es nicht, und jedenfalls ist es bemerkenswert, wie stark er diesen Vorgang betont hat. Ganz im Gegensatz zu seiner vorherigen Furcht kehrt Leodegar im Bewußtsein seiner Unschuld zurück, sobald er die ihm nachsetzenden Boten sieht, und hält seine trotzige Rede vor dem König. Das ist, ohne jede Begründung, wenig glaublich; der Verfasser hätte, um es einsichtig zu machen, irgendwelche äußeren oder inneren Entwicklungen berichten müssen, aus denen die völlig veränderte Lage zwischen König und Bischof sich verstehen ließe. Aber zu solchen Begründungen war er unfähig, und sein Publikum vermißte sie nicht. Ist ja doch noch ein modernes Filmpublikum in dieser Hinsicht sehr anspruchslos. Aber, wie schlecht die Szene auch begründet ist, sie ist sehr eindrucksvoll: ein Auftritt, der sich der Einbildungskraft und dem Gedächtnis eingräbt, in direkter Rede scharf formuliert, Haltung und Geste suggerierend. Daß sehr wahrscheinlich Modellvorstellungen (etwa Nathan vor König David) zugrunde liegen, macht keinen Unterschied. Hier sieht man, was die Vulgärsprache schon leisten konnte: ein eindringliches Einzelbild, schwach begründet, aber scharf einen exemplarischen Augenblick festhaltend. Man findet schon ein ähnliches Stilbild in der EulaliasequenzEulaliasequenz, wo noch viel krasser als im LeodegarliedLeodegarlied die Zusammenordnung der Ereignisse ganz schematisch ist, die Haltung der Märtyrerin aber gestenhafte Eindringlichkeit besitzt.

Der weitere Ablauf des Liedes zeigt die gleichen Eigentümlichkeiten. Kein Leser oder Hörer könnte aus ihm ein Bild der Lage im Merovingerreich zur Zeit Leodegars oder auch nur eine konkrete Vorstellung von Leodegars Schicksal gewinnen. Was gesagt wird, hat keine Konsistenz. Es ist nicht nur wertlos im Sinne der historischen Kritik; es kann auch nicht vor dem Urteil der nur halbwegs ausgebildeten Lebenserfahrung bestehen; es ist nicht nur praktisch falsch, insofern sich die Dinge nicht so zugetragen haben, sondern auch als Erdichtung sehr schwach, da sich zwischenmenschliche Ereignisse so nicht zutragen können. Eine absolute, durch nichts begründete tückische Grausamkeit kämpft gegen eine ebenso absolute, im Leeren sich bewegende Tugend. Selbstverständlich ist von den sachlichen Gegensätzen zwischen den Feinden nicht die Rede,6 und ebensowenig von den persönlichen Feindschaftsmotiven, die in ihren Temperamenten und in ihrer Vorgeschichte zu finden sein mögen. Davon wußte der Verfasser nichts; das wenige, was bei Ursinus noch durchschimmerte, interessierte ihn nicht. Leodegar ist gut und folgt Gott, Ebroin ist böse und hat sich dem Teufel verschrieben; das genügt ihm. Selbst wirksame und dramatische Auftritte, wie bei Ursinus das Auftreten Leodegars und seines Bruders beim Verhör (cap. X, XI), läßt er fort, wenn es umständlich ist, sie zu begründen und einzufügen. Was er übrig läßt, ist das exemplarische Bild des Märtyrers, und das ist sehr ausdrucksvoll. Das Wichtigste dabei ist die teuflische Marter, die Blendung und Verstümmelung von Zunge und Lippen, mit der Gegenbewegung der göttlichen Gnade; sie macht den Märtyrer innerlich unberührbar, schon bevor das Wunder der Wiedererlangung der Redegabe geschieht. Das ist zu einiger Wirkung gebracht, und hier finden sich sogar Redefiguren. Sie stehen zwar ähnlich schon bei Ursinus, aber besitzen im Lateinischen nicht die gleiche Stoßkraft. Es ist überraschend, wie früh in den uns erhaltenen Dokumenten romanischer Sprache anaphorisch-antithetische IsokolaIsokolon erscheinen. (Sie finden sich auch in der Passion Christi der gleichen Handschrift.) Wenn Ebroin dem Leodegar Zunge und Lippen hat durchschneiden lassen, da ruft er triumphierend:7

Hor a perdud don deu parlier;

Ja non podra mais Deu laudier.

Darauf fährt das Gedicht fort:8

Sed il non ad lingu’ a parlier,

Deus exaudis lis sos pensaez;

Er si el non ad ols carnels,

En cor los ad espiritiels;

Et si en corps a grand torment,

L’anima·n awra consolament.

Der Verfasser dieser kunstvollen Strophe hat nicht nur die Abfolge der Ereignisse sehr vereinfacht, sondern auch die Lehre, die er verbreiten will, auf eine sehr einfache Form reduziert. Sie ist darum nicht weniger wirksam. Von der vielverschlungenen Dogmatik und Typologie der gleichzeitigen lateinischen HymnendichtungHymne erscheint nichts. Nur ein Grundmotiv ist zum Ausdruck gebracht, der Sieg des leidenden Märtyrers, die gloria passionis. Die teuflische Absicht, durch Verstümmelung von Zunge und Lippen Leodegar am Preise Gottes zu verhindern, und so auf eine gewaltsame, gleichsam mechanische Weise das Reich Gottes einer Seele zu berauben, wird durch den Sieg des Geistes zunichte gemacht. Der Triumph des Märtyrers ist der Sieg des Geistes im Leiden. Obwohl es die Gnade Gottes ist, die ihm Kraft gibt zu siegen, so erweist er sich doch, durch den inneren Sieg, würdig der äußeren Wunder, die an ihm und durch ihn geschehen. Es ist also in dem einfachen und etwas rohen Vorgang alles enthalten, was gelehrt werden sollte; und wenn die Hörer gewiß nicht oft fähig waren, den ganzen Zusammenhang der Lehre zu durchdenken, so wurden sie doch, in der Aufnahme des Vorgangs, von ihr erfüllt.

Über das Persönliche in der Wirkung des heiligen Franz von Assisi (1927)Franz v. Assisi

Facta est proinde in eo et per eum

insperata exsultatio … 1. CEL. 89

GörresGörres, J. v. hat vor nunmehr hundert Jahren Franziskus den Troubadour gefeiert, und seit ThodeThode, H. und SabatierSabatier, P. ist es allgemein geworden, in diesem ganz unliterarischen und anspruchslosen Heiligen einen Schöpfer des komplizierten Gebildes der RenaissanceRenaissance, einen Urahn modernen Empfindens zu sehn. Als repräsentativ, wenn auch in engerem Sinne, haben ihn schon die Zeitgenossen betrachtet, und es ist merkwürdig genug, wie ihn SalimbeneSalimbene dem EzzelinEzzelin gegenüberstellt, dem Vikar Kaiser Friedrichs II.,Friedrich II. (Kaiser) den Jakob BurckhardtBurckhardt, J. als das Vorbild seiner antikischen Renaissancetyrannen ansah – credo certissime, sagt Salimbene, quod sicut Deus voluit habere unum specialem amicum quem similem sibi faceret, scilicet beatum Franciscum, sic diabolus Ycilinum.1 Es spricht ein inneres Gefühl für die Wahrheit der Auffassung, daß der Heilige weit über den Rahmen des Kirchlichen hinaus auf die Nachfolgenden gewirkt hat, allein Nachweis und Formulierung sind schwer, sobald man über das leicht greifbare Kunsthistorische hinaus die Gesinnung aufspüren will, die unsere Bildung ihm verdankt. In den Sätzen, die man häufig hört und liest – er habe ein unmittelbares, dichterisches, nicht mehr allegorisches Naturgefühl besessen – oder er sei, als Gottsucher auf eigene Faust, den Vorläufern der Reformation zuzurechnen – oder er habe zuerst das Recht der Armen verteidigt – in diesen Sätzen liegt wohl etwas Wahres verborgen, aber sehr verborgen, und darüber spreizt sich eine moderne, romantisierende Gefühlsschablone. Es ist überhaupt hier nichts anzufangen, wenn man unmittelbar auf Ideengeschichte oder Literaturentwicklung aus ist. Eine rational zu erfassende, irgendwie systematische geistige Gesinnung hat der Heilige nicht besessen. Er war weder ein eschatologischer Schriftausdeuternoch ein theoretischer Schulmeister des irdischen Daseins, und darin gerade lag seine Kraft. Schon die Spiritualen haben den ungeheuren Irrtum begangen, sich an das Wort zu klammern, und über dem Kampf um den usus pauper und die Besitzlosigkeit Christi das Hauptgebot: sint minores et subditi omnibus zu vergessen. Noch heute begeht eine analytisch gerichtete Zeit oft einen ähnlichen Irrtum; wenn sie diesen einmaligen Menschen einem geistesgeschichtlichen Schema einordnen will, in das vielleicht manches seiner Worte, aber nicht ihr Geist hineinpaßt.

Sint minores et subditi omnibus – das ist die ganze Lehre. Sancta obedientia, so heißt es in den Laudes de virtutibus, und SabatierSabatier, P. hat die schöne Stelle einmal zum Gipfelpunkt seiner Darstellung gemacht2 – sancta obedientia facit hominem subditum omnibus hominibus hujus mundi et non tantum hominibus, sed etiam bestiis et feris, ut possint facere de eo quidquid voluerunt, quantum fuerit eis datum desuper a Domino. Geht in die Welt, doch wie Fremde und Pilger; nichts darf darin euer sein – dient und predigt Buße, doch widersteht nicht dem Bösen – der heilige Franz persönlich hat die Unterordnung und demütige Selbstverachtung bis zu einem fast absurden Grade gesteigert, indem er sich bemühte, den eigenen Willen, die eigene Meinung, das Selbstgefühl zu unterdrücken und zu verdammen, und das Gleichnis vom Kadavergehorsam findet sich wohl zuerst bei ihm.3 In diesen Eigenschaften liegt sein eigentlichstes Wesen, und von hier führt kein unmittelbarer, rationaler Weg zu der, wie auch sonst immer, so doch stets aufs Persönliche und mindestens vorläufig aufs Irdische gerichteten Bewegung des erwachenden neuzeitlichen Geistes. Kein Wort von ihm ist überliefert, soviel ich weiß, das prinzipiell Stellung nähme zu den menschlichen Einrichtungen, zu der Welt der ϑέσις, und ohne Zweifel ist ihm der Gedanke, sie zu kritisieren, die Vorstellung, es könne ihre Besserung oder Beherrschung von Bedeutung sein für den Weg des Heils, niemals gekommen; für ihn gab es einen unmittelbaren Weg von einer jeden Seele zu Gott, und welche irdische Gewalt wäre wohl imstande, die Befolgung des sint minores et subditi omnibus zu hindern? Vollkommenste Unterordnung war selbstverständlich auch seine Haltung gegenüber der Kirche, und wie sehr ihm die Institution als solche heilig war, ergibt sich aus der immer wiederholten Mahnung, auch in dem sündigen und unwürdigen Priester das göttliche Amt zu verehren – noch drastischer vielleicht aus seinen Worten bei Cel. 2, 201: wenn er zugleich einem vom Himmel kommenden Heiligen und irgendeinem armen Priester begegnete, so würde er zuerst diesem die Hände küssen; dicerem enim: Oi! Exspecta, sancte Laurenti, quia manus huius Verbum vitae contrectant … Der heilige LaurentiusLaurentius, hl. war nämlich nur Diakon.

 

In dem gedanklichen Grunde seiner Lehre, wenn man von einem solchen sprechen darf, liegt also gewiß nicht die Ursache seiner geistigen Wirkung – um so weniger als es kurz vor ihm und gleichzeitig Bußprediger genug gab, die die vollkommene Armut zur Regel erhoben; ja sie hatten sogar vielfach, im Gegensatz zu ihm, eine Art geistigen Systems, ein weltverbesserndes Programm, wodurch sie freilich bald in Konflikt mit der Umwelt gerieten und den ursprünglichen Impuls in Zank und Geschwätz vertaten. Der heilige Franz war zuerst einer von vielen – aber er handelte im Gegensatz zu jenen vielen ausschließlich aus dem ungeheuren, nur religiösen, nur gefühlsmäßigen, ganz einfachen Antrieb, den ihm das eigene böse Leben, der Anblick der Aussätzigen und die Betrachtung des Opfertodes Christi gegeben hatten; und die Besonderheit seiner Gründung liegt in ihrem anspruchslosen Verzicht auf alles Irdisch-Programmatische, auf alles Maßregelhafte. Die irdische Wirksamkeit, soweit sie nicht unmittelbar auf die Nachfolge Christi hinausläuft, hat er nicht geachtet, und selbst ihre reinste Form, das Streben nach Weisheit, hat er mit ein paar unvergeßlich festsitzenden Worten von sich gewiesen: wenn du alle Wissenschaft besäßest, alle Sprachen könntest, die Dinge des Himmels zu erforschen wüßtest, du könntest dich all dessen nicht rühmen: quia unus demon scivit de celestibus magis et modo scit de terrenis plus quam omnes hommes ….4

Wohl aber mußten die Brüder in der Welt leben. Das Eremitentum und die wohlbehütete, aristokratische Kontemplation war nicht die Absicht des Stifters; sondern die Nachfolge Christi mitten im saeculum, die Unterordnung und der Dienst an der Kreatur. Das Unrechtleiden war ihre eigentliche Aufgabe; «auch wenn sie dich schlagen, nimm es als Gnade und wolle es so und nicht anders; denn ich weiß ganz gewiß, dies ist der wahre Gehorsam … und liebe die, welche dir so tun … und wünsche nicht, daß sie bessere Christen seien. Und dies sei dir mehr als das Eremitorium …».5 Mitten in der Welt konnte das nur geschehen; überallhin kamen die Brüder, bettelnd, bußpredigend, die Elendesten der Kranken pflegend. So erreichten sie von Anfang an einen Grad von Öffentlichkeit und Verquickung mit dem täglichen Leben des Volkes, wie keine ähnliche Einrichtung je zuvor. Man bemerke aber, daß der Heilige seine Brüder überallhin sandte – nicht etwa zu den Ungläubigen insbesondere. Heidenbekehrung und Martyrium, diese heroischen Grundtatsachen des kämpfenden Christentums, spielen in der franziskanischen Bewegung keine bedeutende Rolle. Zwar erlitten einige der ersten Brüder den Tod bei den Sarazenen, zwar sehnte sich auch der Stifter nach solchem Schicksal – doch es ist nicht eigentlich Ziel und Aufgabe des Ordens. Wer zu den Ungläubigen gehen will, soll seinen Minister um Erlaubnis bitten, und der gestatte es ihm nur,6 wenn er ihn für geeignet hält – denn der MinoritMinoriten ist nicht um des Ruhmes willen da, nicht wegen des eklatanten, tragischen Heldenmutes, sondern für das tägliche Leben, wo es Gott gefällt, ihn hinzustellen; sein Heldenmut ist Unterwerfung unter die Kreatur.7

So gingen die Brüder in die Welt und erregten sie von Grund auf. Das ganze Jahrhundert ist erfüllt von der franziskanischen Bewegung, und noch in seinem kurzen Leben sah der Heilige eine Wirkung von seiner Person ausgehen, wie sie wohl keinem anderen Menschen, der nur Innerliches wollte, vergönnt war. Thomas von SpalatoThomas v. Spalato, der ihn 1222 auf dem Markt in Bologna predigen sah, beschreibt seinen schmutzigen Anzug, seine verächtliche Gestalt, sein unschönes Gesicht – wie aber die Wirkung seiner Worte so groß war, daß die streitenden Parteien der Stadt sich versöhnten, und wie die ekstatische Verehrung des poverello einen solchen Grad erreicht hatte, daß Männer und Frauen catervatim in eum ruerent, satagentes vel fimbriam eius tangere aut aliquid de paniculis eius auferre …8 Als er starb, war er im Bewußtsein des ganzen italienischen Volkes ein Heiliger, sein Orden war eine riesige Institution im ganzen Abendland, der Christenheit war er zum Bild und Vorbild geworden, und die Kirche verdankte ihm, wie es die Legende vom Traum des Papstes schön zum Ausdruck bringt,9 Rettung und Erneuerung. Alle Menschen, die mit ihm in Berührung kamen, hat er bezaubert; in diesem Ausmaß, ohne politische Absicht, ganz aus Person und Gesinnung geboren, ist seine Wirkung ohnegleichen.

Sein Werk der Bezauberung begann bei seinen umbrischen Mitbürgern, und wenn er späterhin Gelehrte und Fürsten, Bischöfe und Päpste zu den Seinen zählte, so blieb die Grundlage seiner Seelenmacht doch immer das Volk, dessen Herz nicht durch die Vernunft, sondern durch die Phantasie entflammt wird. Hier liegt der Kern des Problems: er hat die Phantasie des Volkes für Jahrhunderte befruchtet. Welche geheimen Kräfte verliehen ihm solche Gewalt über die Phantasie der Menschen, die damals lebten und handelten, daß sein Bild und sein Wesen ihr Leben und Handeln zu beunruhigen, zu durchkreuzen, zu verwandeln vermochten? Es gab, wie schon gesagt, damals Bußprediger genug, und zudem muß man bedenken, daß es zu jener Zeit der Einbildungskraft an Nahrung nicht fehlte; die KreuzzügeKreuzzüge mit ihrer gewaltigen Bewegung, ihren abenteuerlichen Kriegstaten, ihrer phantastischen Anschwellung von Verkehr und Reichtum müssen die einfachen Menschen aufs leidenschaftlichste beschäftigt haben, und wenn die plötzliche Erweiterung des Gesichtskreises zu einer Kritik und Beunruhigung der heimischen Zustände führte, so mußte das weit eher ketzerisch-revolutionären Bestrebungen zugute kommen als der unpolitischen und nur aufs Innerliche gerichteten franziskanischen Bewegung.

Und trotzdem fiel sein Wort in aufnahmebereite Herzen. Giambattista VicoVico, G. hat gesagt, daß die einfachen Menschen sich am Großen und Einheitlichen ergötzen und daß mehr als alle noch so scharfsinnigen Worte des Verstandes die bildhaft einprägsame Tat und Haltung und das lebendige Gefühl sie fortreißen. Franz von AssisiFranz v. Assisi ist in VicosVico, G. Sinne ein poetischer Charakter gewesen, weil er ganz und gar bildhafter Ausdruck seiner selbst geworden ist. Den inneren Impuls trieb er mit einer überirdisch glühenden, mit einer seraphischen Entschlossenheit in die äußere Erscheinung; er wurde zum sinnlich-geistigen Erlebnis, unvergeßlich und unverwechselbar, ein sichtbares Zeichen geheimer Seelendinge.

Hier denke man einen Augenblick an die italienische oder überhaupt mittelländische Tradition der Sichtbarmachung alles häuslichen und seelischen Geschehens. So wie es noch heute ist, so muß es schon in der Antike gewesen sein: das Leben vollzieht sich in den Straßen und auf den Plätzen, und ohne Rückhalt ergießen sich die Affekte in eindrucksvolle Worte und Gesten. Die Helden des Volkes, in der Geschichte und auf der Bühne, müssen in jedem Augenblick ihren Charakter im Bilde darbieten, und keine noch so krasse Steigerung, sei es im Tragischen oder im Burlesken, ist diesem naturnahen Geschlecht zu viel. In dem heutigen öffentlichen Leben Italiens ist dies noch jeden Tag mit gleicher Eindringlichkeit zu beobachten wie etwa im antiken Lustspiel oder bei PetroniusPetronius.