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Das Stahlroß

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Auf dem Stahlroß

Georg machte die Bewegung des Schluckens. Dadurch kam er wieder zu sich. O, wie so angenehm kühl rann es ihm durch den Leib! Ach, so hätte er ewig trinken mögen!

Als er die Augen aufschlug, sah er einen in dunkelgrünen Stoff gekleideten Knaben vor sich stehen, der ihm eine große Flasche an den Mund hielt, und als er, ohne mit Trinken aufzuhören, die Augen etwas weiter wandte, erblickte er auch das blanke Pferd, das jetzt steif dastand. Gewiß war es ganz aus Eisen oder Stahl, eine wunderbare, im Himmel von Engeln gefertigte Maschine, die ein irdisches Pferd nie eingeholt hätte.

Das war eine seltsame Schlußfolgerung, aber bei einem Menschen, der eben aus einer Ohnmacht erwacht ist, nachdem er so Schreckliches durchgemacht hat, wohl begreiflich.

„Bist Du ein Engel?“ war Georgs erstes Wort, als er mit Trinken absetzte.

Statt hierauf eine direkte Antwort zu geben, hob der Knabe die Hand zum Himmel empor und antwortete feierlich:

„So wahr ich ein Mensch bin wie Du, Unglücklicher, schwöre ich hiermit, diese ungeheuerliche Schandthat an dem zu rächen, der ihren Plan ersonnen hat, auf daß nicht die Sonne über mir vor Scham erblinde und der Himmel nicht feurigen Schwefel auch über die Unschuldigen regnen lasse. Und hättest Du auch selbst eine so furchtbare Sünde begangen, daß Du die ewige Verdammnis verdientest, so will ich Dich doch rächen und den Teufel ausfindig machen und ihn mit dem Tode bestrafen, der so Entsetzliches an Dir verbrochen hat.“

„Ich bin unschuldig,“ flüsterte Georg, „denn habe ich auch einen Menschen getötet, so geschah es nur in Notwehr.“

„Erzähle mir, wie Du in diese furchtbare Lage kamst, und nenne mir den, der eine solche teuflische Rache ausfindig machte, damit ich ihn zur Rechenschaft ziehe.“

Während Richard den völlig nackten Mann, der über und über mit Abschürfungen bedeckt war, wenn er auch sonst keine gefährlichen Verletzungen davongetragen hatte, mit Wein und Oel wusch, erzählte dieser mit häufig stockender Stimme, daß er nach dem Tode seiner Eltern zusammen mit seiner Schwester und den nötigen Landarbeitern eine Farm auf englischem Gebiete an der Grenze Transvaals bewirtschaftet habe. Mochte er auch mit deutscher Offenheit manchmal über englische Anmaßung gesprochen haben, den Gesetzen, unter denen er nun einmal stand, hatte er sich doch stets untergeordnet und auch seine Steuern immer pünktlich bezahlt. Aber da seine Schwester Anna ein schönes Mädchen war und von den Werbungen des sich allmächtig dünkenden Polizeihauptmannes nichts wissen wollte, dem Georg schon das Haus hatte verbieten müssen, um seine Ehre und die seiner Schwester zu schützen – so war er in den Augen des Mister Litton zum Verbrecher geworden. Es war nach dessen Ansicht eine unverzeihliche Frechheit, daß die beiden Deutschen ihm auf englischem Gebiete zu trotzen wagten.

Als Georg nun gestern morgen von einer weiten Reise zurückkam, fand er seine Farm von englischen Polizisten besetzt, die wie die Gebieter auftraten, und erschien gerade noch zur rechten Zeit, um Anna vor den Zudringlichkeiten des Hauptmannes zu retten. Die Züchtigung, die er Mister Litton dafür mit der Reitpeitsche zuteil werden ließ, hatte dieser daher wohl verdient. Dann kam es zum offenen Kampfe, in dem Georg einen Soldaten tötete, darauf wurde er überwältigt, und das Folgende wissen wir bereits ausführlich.

„Der Schurke soll seiner Strafe nicht entgehen,“ wiederholte Richard in gerechter Entrüstung. „Wo aber mag Deine Schwester sein?“

„Sie ist ihm vollkommen schutzlos preisgegeben,“ klagte Georg, „und ich kann mich nur noch an Mister Litton rächen. O, ich weiß, wo sich der Polizeihauptmann jetzt befindet. Er hat im sogenannten roten Thale ein Bungalow, eine indische Villa, dorthin schleppt er stets seine Opfer.“

„Dann auf nach dem roten Thale! Und die Rache sei doppelt, wenn wir zu spät kommen! Bist Du fähig, mich auf meinem Stahlroß zu begleiten, nachdem ich zunächst für Deine erste Bekleidung gesorgt habe?“

Georg erhob sich und dehnte die Glieder. Er fühlte nichts gebrochen. Ja, er war zu allem fähig, wenn es galt, vielleicht noch seine unglückliche Schwester zu retten. Er sah nun, wie der Knabe am Hinterteile des Pferdes eine Klappe öffnete und dem Innenraume einige Kleidungsstücke entnahm. Jetzt wußte er auch, daß er es nicht mit einem Engel, sondern mit einem Menschen zu thun habe. Deshalb war sein Staunen über die wunderbare Maschine grenzenlos.

Aber Richard bedeutete ihm, jetzt nicht zu fragen, dann nannte er seinen Namen, erwähnte, daß er Ingenieur sei und daß die Maschine, die Georg schon kennen lernen würde, seine Erfindung wäre, Richard bat letzteren, sich anzuziehen und sich durch Speise und Trank zu stärken. Als Georg jetzt seiner Bitte entsprach, konnte er wenigstens das Aeußere der wunderbaren Maschine betrachten, an der sich Richard eben beschäftigte.

Das Roß, das ungefähr die Größe eines gewaltigen Zugpferdes hatte, war ganz aus Stahlplatten zusammengenietet und überall mit Gelenken versehen, sodaß es wohl ganz die Bewegungen eines natürlichen Tieres nachahmen konnte. Außerdem aber war es auch noch mit Schrauben, Ventilen und anderen Mechanismen bedeckt und mußte daher auch noch ganz andere Eigenschaften als ein lebendes Pferd besitzen. Eine ausführliche Beschreibung desselben war gar nicht möglich, denn wohin das Auge blickte, überall entdeckte es etwas Neues, Seltsames, was sicher seinen Zweck hatte. Auffallend war besonders das große, spitze Horn an der Stirn, das vorn und an der scharfen Schneide in der Sonne wie ein Diamant blitzte, und als das Pferd, scheinbar ganz aus eigenem Antriebe, den einen Fuß hob, zeigte es sich, daß der Huf mit vier spitzen Stacheln besetzt war, die ebenfalls wie Diamanten funkelten.

Sein Rücken war mit zwei bequemen Sätteln, an denen sich Steigbügel befanden, belegt, und als Georg bereit war, mußte er sich auf den hinteren Sattel setzen, während Richard sich in den vorderen schwang. Ein Ruck nun in die aus Draht geflochtenen Zügel, und das Stahlroß setzte sich erst schritt-, dann trabweise in Bewegung, endlich begann es, ganz genau wie ein lebendes Pferd, zu galoppieren.

Während sie durch die Wüste sprengten, berieten sie sich. Richard zog nähere Erkundigungen ein, und als die gelbe Oede der grünen Landschaft wich und das Stahlroß auf guter Landstraße der auftauchenden Stadt zusprengte, wußte Richard, wie er sich zu verhalten habe, und entgegnete auf die Befürchtung, die Georg aussprach, daß der Polizeihauptmann, dessen Macht grenzenlos sei, ihn, wenn er ihn noch am Leben sähe, zum zweiten Male zum Tode verurteilen würde:

„Sei ohne Sorge, mag seine Macht auch noch so groß sein – wenn sie nur in seiner Mannschaft und seiner Brutalität besteht, so bin ich ihm gewachsen,“ und dabei streichelte er lächelnd den Hals des Stahlrosses und schlug an den Kolben einer kleinen, seltsam geformten Pistole, die in seinem Gürtel steckte.

Vereitelte Listen

„Er kommt! Dort naht das Stahlroß!“

Seit dem Besuche des Direktors war erst eine Stunde vergangen, und Mister Litton war noch damit beschäftigt, seinen auf einem freien Platze vor der Stadt, dem Kasernenhofe, vollzählig versammelten Leuten die besten Instruktionen über den Empfang des seltsamen Gastes zu erteilen, als obige Rufe an sein Ohr drangen.

Sofort wandte er sich um und hielt zum Schutze gegen die blendende Sonne die Hand vor die Augen.

„Er kommt schon? Verdammt, das sind ja zwei!“ waren seine ersten Worte. Dann aber wurde er, wie jeder andere, der zum ersten Male das Stahlroß in Bewegung sah, von einem solchen Staunen befallen, daß er alles übrige darüber vergaß, zumal er gerade noch Gelegenheit fand, mehrere besondere Wunder an der ingeniösen Maschine zu beobachten.

Richard hatte die Landstraße verlassen und einen schmäleren Pfad eingeschlagen; wie er nun um die Ecke eines kleinen Gehölzes bog, sah er, daß ein vom letzten Sturme gefällter, mächtiger Baumstamm den Weg versperrte.

„Das wußte ich nicht, wir müssen umkehren,“ meinte Georg.

Doch Richard folgte nicht dieser Aufforderung, und so trabte das Stahlroß weiter, fiel plötzlich in einen kurzen Galopp und setzte, den Kopf in die Höhe werfend und in die Hinterbeine fallend, in leichtem Sprunge über den zwei Meter dicken Baumstamm hinweg, um dann auf der anderen Seite ruhig weiter zu traben. Aber nicht nur das, jetzt lenkte es seitwärts, wo ein klarer Bach floß, trat mit den Vorderfüßen hinein, senkte den Kopf immer tiefer, bis es mit dem Maule das Wasser erreichte und trank ganz genau wie ein lebendes Pferd! Keine Führung des Reiters war dabei bemerkt worden, unb niemand sah, daß es das Wasser nicht mit dem Maule trank, sondern durch die Nüstern einsog!

„Das Wasser, welches das Stahlroß zu sich nimmt, bildet unseren Proviant,“ erklärte Richard seinem Gefährten, „da wissen wir genau, daß wir reines Quellwasser zu trinken bekommen werden.“

Georg war zu sehr von Staunen ergriffen, um die Vorsicht seines jungen Retters zu verstehen, die sich in seinen Worten offenbarte, und war er schon, der bereits zwei Stunden auf der Wundermaschine saß, außer sich vor Staunen, so mußten es diejenigen, die sie zum ersten Male sahen, den Sprung und das Saufen des Stahlrosses beobachtet hatten, erst recht sein.

„Das ist keine stählerne Maschine, keine Erfindung eines Menschen, das ist eine mit Höllenkünsten verwirklichte Phantasiegeburt,“ flüsterte der Polizeihauptmann, aus dessen Antlitz alle Farbe gewichen war.

Dann raffte er sich auf, denn der Check über eine Million war ihm eingefallen, kommandierte „Stillgestanden!“ und eilte auf das den Bach verlassende Stahlroß zu.

„Mister Richard!“ rief er in ehrerbietigem und zugleich herzlichen Tone. „Natürlich, wer kann es anders sein! Mein Name ist Frederik Litton, Polizeihauptmann von Kolobeny. Mir ist von der englischen Regierung aus Kapstadt der Befehl zugegangen, dem genialsten Mann des zwanzigsten Jahrhunderts bei seiner Durchreise durch Kolobeny mit militärischen Ehren zu empfangen. Achtung, präsentiert das Gewehr!“

 

Trommelwirbel erschallte, dann hielten die weißen und schwarzen Soldaten das Gewehr, so ungleichmäßig als möglich, etwas schräg vor sich hin, und einige von ihnen vergaßen dabei sogar, den noch vor Staunen offenen Mund zuzumachen.

Richard dankte kalt, indem er scharf den Leutnant beobachtete, und bemerkte, wie dieser ebenso genau seinen Begleiter musterte. Zu erkennen schien er Georg nicht, weil dessen Gesicht etwas von Schrammen, noch mehr aber durch die ausgestandenen Schrecken des Todes entstellt war.

„Haben Sie einen guten Ritt hinter sich?“ fuhr Mister Litton höflich lächelnd fort. „Sind Sie allen Gefahren glücklich entgangen? Man weiß wirklich nicht, ob man mehr Ihren Mut oder Ihre göttliche Genialität bewundern soll. Nein, diese kolossale Schnelligkeit! Und wie jung Sie noch sind! Ein Kind noch, und schon – verzeihen Sie, Mister Richard, aber ich bin außer mir, ich möchte niederfallen und Sie wie einen Gott anbeten! – Natürlich sind Sie mein Gast, Mister Richard, Sie müssen sich von den Strapazen erholen. Mein Haus, ganz Kolobeny gehört Ihnen. Wollen Sie nicht absteigen und gestatten, daß ich Ihr Zauberroß führe?“