Weiß ich, was ich glaube?

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Eine gebrochene Hälfte

Das Apostolicum ist nicht nur zur Hälfte ein ökumenisches Bekenntnis. Es ist selber nur eine Hälfte, und zwar eine gebrochene. In seinem lateinischen Namen (symbolum) schwingt das griechische Wort „symballein“ (Erkennungszeichen, Losung) ebenso mit wie der damit verbundene antike Brauch. Ein Ring, ein Stab, eine Tafel wurde in zwei Hälften gebrochen. Die eine Hälfte war Erkennungszeichen, Identitätskarte und Passepartout in einem. Hatte man die richtige Hälfte, die sich nahtlos an die andere fügte, war klar: Der Inhaber war berechtigt „zum Empfang einer Sache oder einfach der Gastfreundschaft“.

Wenn das Apostolische Glaubensbekenntnis selber Symbolum heißt, dann bedeutet das: Unser Gebet ist unser Erkennungszeichen. Es weist uns als Christen aus. Und: Es ist eine Hälfte nur. Jeder Einzelne von uns, so formulierte es Papst Benedikt XVI., als er noch Joseph Ratzinger hieß und Theologieprofessor war, hat den Glauben nur als Symbolum in Händen, als eine gebrochene Hälfte. Und auch die Kirche(n) als Ganze(s) hat/haben den Glauben immer nur als gebrochene Hälfte. Der Glaube findet seine „Einheit und Ganzheit“ nur im Zusammenlegen mit den anderen. Und so bleiben alle, wirklich alle in der Kirche aufeinander verwiesen. Denn nur zusammen haben wir den Glauben.

Das wird mir dann bewusst, wenn ich zwischen meinem reformierten Mann und meiner katholischen Tochter in der Kirchenbank stehe und mit ihnen zusammen dieses „Etwas“ mit seiner ganz eigenen Melodie sagen kann, das ich an der Seite meiner Urgroßmutter gelernt habe.

Im Fokus

Das Apostolicum und die 12 Apostel


1 Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde Petrus
2 Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn Andreas
3 Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria Jakobus, Sohn des Zebedäus
4 Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt und begraben Johannes
5 Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten Thomas
6 Aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters Jakobus
7 Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten Phillippus
8 Und an den Heiligen Geist Bartholomäus
9 Eine heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen Matthäus
10 Vergebung der Sünden Simon
11 Auferstehung der Toten Thaddäus
12 Und das ewige Leben Matthias

2.
Credo – Raum geben und Wurzeln schlagen

„Ich glaube“

Prüfungen sind so eine Sache. Mein Kirchengeschichtsprofessor an der Universität Tübingen pflegte in den achtziger Jahren dann, wenn er merkte, dass ein Kandidat offenkundig nicht seriös gelernt hatte und einfach nur so ins Blaue hinein etwas zusammenphantasierte, ganz brüsk und unvermittelt zu fragen: „Sagen Sie, wissen Sie das oder glauben Sie es nur?“ Wenn wir im Gottesdienst das Apostolische Glaubensbekenntnis beten, stehen wir dazu auf und heben an mit einem „Ich glaube“. Dieses ist nicht von jener Art des „Zusammenphantasierens“, des „Sich-nicht-wirklich-sicher-Seins“, des „Meinens“ und „Mutmaßens“, das besagter Professor meinte, wenn er uns Studierende in intellektueller Bedrängnis sah. Es ist nicht Halb-Wissen. Es ist nicht aus Verlegenheit geboren. Es ist ein ebenso selbstbewusstes wie aufrechtes „Ich glaube“. Es ist ein glauben, das seinen Grund hat und seine Gründe kennt.

Mit dem Herzen lernen

Um zu verstehen, was dieses „credo“ (ich glaube)“ meint, müssen wir zum Ursprung des Apostolicums zurückgehen. Wir erinnern uns: Es kommt aus der frühen (römischen) Gemeinde-Praxis, aus der Taufliturgie. Genauer: Es wurde dem (erwachsenen) Täufling in der Zeit des Katechumenats, also der Vorbereitung auf die Taufe, ausgehändigt. Er oder sie sollte es in seinem, in ihrem Herzen bewenden, um es dann bei der Taufe bekennen zu können. Dass wir selber es meist auch (noch) auswendig können, sagt – so verwunderlich das klingen mag – viel über die innere Beschaffenheit dieses „credo“ aus. Auswendig lernen heißt im Französischen „apprendre quelque chose par cœur“, was wörtlich übersetzt heißt: „etwas mit dem Herzen lernen“. Und auch das lateinische Wort für glauben („credere“) hat etwas mit dem Herzen zu tun. Es kommt von „cor dare“ und meint wörtlich übersetzt: „das Herz geben“. Beide, das Französische wie das Lateinische, lassen den tieferen Sinn dieses „glauben“ erkennen. „Ich glaube“ ist nicht vages Herbeten von Halb-Wissen. Es ist das Ergebnis eines ganz elementaren doppelten Vorgangs. „Ich glaube“ heißt so viel wie „Ich mache Platz in meinem Herzen“, „Ich gebe Raum in mir“, „Ich lasse zu, dass etwas Wurzeln schlägt in meinem Herzen“. Und auch das: „Ich schlage selber mit dem Herzen Wurzeln“. Das Hebräische, die Sprache des Alten Testaments, kennt nicht wie wir im Deutschen ein einziges Wort für „glauben“. Es hat eine Vielfalt von Wörtern und Bezeichnungen dafür, die, so verschieden sie auch sind, genau in diesem einen Grundton des Haltens, des Wurzelns, des Feststehens zusammenstimmen. Wer Wurzeln schlägt, der findet Halt. Der steht fest auf dem Boden. Der hat festen Boden gefunden. Der weiß, worin er gründet.

Raum geben und Wurzeln schlagen

Bliebe man beim „Ich glaube“ stehen, dann hinge man, trotz des scheinbar festen Bodens, in der Luft. Denn es ist nicht egal, für was oder wen wir Platz in unsrem Herzen machen, damit es Wurzeln schlagen kann. Und es ist auch nicht egal, in was oder wem wir selber mit dem Herzen Wurzeln schlagen. „Worauf Du (…) Dein Herz hängest und verlassest, das ist eigentlich dein Gott“, schreibt Martin Luther in seinem Großen Katechismus und folgt damit der Konkretisierung und Präzisierung, die das Apostolische Glaubensbekenntnis flugs und ohne Umschweife dem „Ich glaube“ folgen lässt: „an Gott“.

Nicht an irgendeinen Gott, den ich mir womöglich nach eigenem Gusto zurechtgeschustert habe aus dem ebenso reichen wie bunten Sortiment der Götter und Götzen auf dem religiösen Jahrmarkt.

„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“

Der Gott, dem unser „Ich glaube“ gilt, hat uns erwählt. Nicht wir ihn. Unser „Ich glaube“ ist (bloß) Antwort auf seinen Ruf, seine Zuwendung und seinen Zuspruch an uns. Das Johannes-Evangelium sagt dies so einfach wie bestechend: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15,15). Am Anfang des Christseins steht die Initiative dieses Gottes. Er ist es, der uns erwählt, der uns beim Namen ruft. Er ruft, begnadet und segnet uns durch sein Wort. Solchermaßen gerufen, begnadet und gesegnet lassen wir unser Herz zum „Hallraum“ seines Zuspruchs und seiner Zuwendung werden. Und so gilt, was Reiner Kunze, der sprachmächtige Poet, so formuliert hat: „Wo, wo bliebe das Wort, (…) wäre da nicht der Hallraum eines Herzens“.

Dieses Bild vom Wort und dem Hallraum des Herzens, es ist voller Poesie. Es ist schön. Es ist zu schön. Denn es ist letztlich „nur“ die halbe Wahrheit. Wer von uns hat sie noch nicht gemacht, die bittere Erfahrung, dass gerade kein Wort widerhallt im Herzen? Dass es still ist. Unglaublich still. Beängstigend still. Kein Ruf und kein Segen. Dass trotz allem Hinhören, trotz allem Sich-Öffnen und Offen-Sein nichts zu hören ist außer dem eigenen Herzschlag. Manche erfahren das manchmal. Manche müssen die Stille ein Leben lang aushalten.

Das Ein und Alles des Glaubens

„Ich glaube an Gott“ – das ist das Ein und Alles des Glaubens. Mehr als das gibt es nicht. Und eigentlich ist damit schon alles gesagt. Eigentlich könnte das Apostolicum hier aufhören. Dass das Glaubensbekenntnis trotzdem hier nicht abbricht, sondern weitergeht und weitergehen muss, hängt damit zusammen, dass es sich eben nicht von selbst versteht, was wir meinen, wenn wir „Gott“ sagen. Wer dieser „Gott“ ist, der uns ruft, begnadet und segnet und dem wir Raum in uns geben, in dem wir uns verankern, das ist zu präzisieren. Und so ist das, was dann noch kommt im Apostolicum, zwar „nur“ eine Zutat, aber eine notwendige. Eine Zutat von Wörtern und Sätzen, die genauer sagen, wer der ist, in dem wir gründen. Aber so wichtig diese Wörter und Sätze auch sind: Nicht sie sind es, worin wir unser Herz verankern. Das ist Gott allein.

 

Prüfung bestanden?

Wenn der Täufling nach der Zeit des Katechumenats am Tag seiner Taufe das „Ich glaube“ auswendig und öffentlich vor der Gemeinde sprach, dann war das nicht der Beweis dafür, dass er ein kluger Kopf und intelligent genug war, sich den Text gut zu merken und am Tag X der Prüfung auch fehlerlos „herzubeten“. Es war vielmehr Ausdruck dessen, was er ganz genau wusste: dass er sich eingelassen hatte, dass er in seinem Herzen Platz gemacht hatte für den, der ihn beim Namen gerufen hatte und auf dessen Namen er sodann getauft wurde. Und mit dem er fortan unterwegs war und von dem er hoffte, dass er weiter Wurzeln in ihm schlage.

„Da er in meinem Herzen keine Wurzeln schlug“

Beziehungen wollen gepflegt werden, sonst verkümmern sie. Das hat der französische Schriftsteller und Existentialist Jean-Paul Sartre am eigenen Leib erfahren. Er beschreibt es als Geschichte seiner eigenen „missglückten Berufung“. Als Kind getauft, haben ihn seine Großeltern in die Welt des Katholizismus und der Heiligen eingeführt. Jeden Tag, so erinnert er sich, habe er als Kind mit gefalteten Händen auf dem Bett gekniet und gebetet. Doch irgendwann sei ihm Gott abhandengekommen und er habe keinen privaten Umgang mehr mit ihm gepflegt. „Da er in meinem Herzen keine Wurzeln schlug, vegetierte er einige Zeit in mir und starb dann. Spricht man mir heute von ihm, so sage ich amüsiert und ohne Bedauern wie ein alt gewordener Frauenjäger, der eine ehemals schöne Frau trifft: ‚Vor fünfzig Jahren hätte ohne das Missverständnis, ohne jenen Irrtum, ohne den Zufall, der uns auseinanderbrachte, etwas zwischen uns sein können. Es war nichts zwischen uns‘.“

Im Fokus

„Es war nichts zwischen uns“

Zugegeben. Er ist kühn, dieser Liebes-Vergleich, den Jean-Paul Sartre wählt. Aber nicht zu kühn. Vielleicht trifft er den Nagel ja sogar auf den Kopf. Denn Glauben und Lieben haben viel miteinander zu tun. Bei beiden geht es um Entdecken und Erobern, um Sich-Kennenlernen und um Umgang-miteinander-Haben, um Gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein, um Sich-Verlieren und Sich-Wiederfinden. Reiner Kunze, leiser Poet und großer Schriftsteller, hat das Anfangen der Liebe beschrieben.

Die Liebe

Die liebe ist

eine wilde rose in uns

Sie schlägt ihre wurzeln

in den augen,

wenn sie dem blick des geliebten begegnen

Sie schlägt ihre wurzeln

in den wangen,

wenn sie den hauch des geliebten spüren

Sie schlägt ihre wurzeln

in der haut des armes,

wenn ihn die hand des geliebten berührt

Sie schlägt ihre wurzeln,

wächst wuchert

und eines abends

oder eines morgens

fühlen wir nur:

sie verlangt

raum in uns

Die liebe

ist eine wilde rose in uns,

unerforschbar vom verstand

und ihm nicht untertan

Aber der verstand

ist ein messser in uns

Der verstand

ist ein messer in uns,

zu schneiden der rose

durch hundert zweige

einen himmel*

Mit dem Glauben ist es auch so. Die Taufe und das Sprechen des Credos, sie sind nicht das Ende, sondern der vielversprechende Anfang einer Beziehungsgeschichte. Einer Geschichte zwischen zwei „Du“ und nicht etwa das Für-wahr-Halten von Katechismus-Wahrheiten eines „Ich“ über ein „Du“.

Jede Liebesgeschichte hat, wir wissen es, ihr eigenes Tempo und ihre eigene Zeit, so wie jede Glaubensgeschichte ihr eigenes Tempo und ihre eigene Zeit hat. In beiden spielen Missverständnisse, Irrtümer und Zufälle eine nicht zu unterschätzende Rolle. Manche Menschen verpassen sich, weil sie nicht zur selben Zeit am selben Ort sind. Manche finden sich genau deshalb. Manche werden einander nie vorgestellt. Andere verlieren sich, weil sie sich zwar gefunden haben, aber keinen Umgang mehr miteinander pflegen und sich irgendwann nur mehr anschweigen.

So wie uns die Liebe abhandenkommen kann, so gibt es auch viele Gründe, warum uns das Glauben abhandenkommen kann. Das „Jahr des Glaubens“, das am 11. Oktober 2012, dem 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, begann, könnte weiterhin Anlass sein, nicht nur „die anderen“ mit unserem Glauben bekannt zu machen. Sondern auch bei uns selber Inventur zu machen, Bilanz zu ziehen. Wie sieht es denn bei uns selber aus? Wer wurzelt in unserem Herzen? Pflegen wir noch Umgang mit Gott? Spüren wir womöglich ein Bedauern, dass nichts (mehr) ist zwischen uns? Vermissen wir gar den Umgang mit Gott?

* Reiner Kunze, Die Liebe. Aus ders., gespräch mit der amsel. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1984

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