Der Goldkäfer

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„Welchen Weg müssen ich jetzt gehen, Massa Will?“, fragte er.

„Jetzt steige den stärksten Ast hinauf – den hier auf dieser Seite“, sagte Legrand.

Der Neger gehorchte ihm unverzüglich und offenbar ohne viel Mühe. Er stieg höher und höher, bis man in dem dichten Laubwerk, das ihn umgab, keinen Schimmer mehr von seinem breiten Körper sah. Nach einer Weile hörte man seine Stimme wie eine Art Hallo.

„Wie viel weiter sollen ich klettern?“

„Wie hoch bist du?“, fragte Legrand.

„Ich so hoch sein“, antwortete der Neger, „dass ich sehen den Himmel von dem Ast.“

„Kümmere dich nicht um den Himmel, sondern höre, was ich dir sage. Sieh hinunter und zähle die Äste, die an dieser Seite unter dir sind. An wie viel Ästen bist du vorbeigeklettert?“

„Eins, zwei, drei, vier, fünf – ich sein an fünf Ästen vorbei, Massa, an dieser Seite.“

„Dann steige einen Ast höher.“

Einige Minuten darauf hörte man wieder seine Stimme, er rief, dass er den siebten Ast erreicht habe.

„Nun, Jup“, rief Legrand, augenscheinlich sehr erregt, „möchte ich, dass du dich auf dem Ast so weit wie möglich herausarbeitest. Wenn du etwas Ungewöhnliches siehst, teile es mir mit.“

Wenn ich bisher noch ein wenig an meines Freundes Geistesverwirrung gezweifelt hatte, so war das jetzt endgültig vorbei. Es gab keine andere Möglichkeit, als ihn für wahnsinnig zu halten, und ich machte mir ernsthafte Sorgen, wie ich ihn nach Hause bringen sollte. Während ich noch nachdachte, was am besten zu tun sei, hörten wir wieder Jupiters Stimme.

„Ich sehr fürchten, auf diesem Ast weit vorzugehen – er vollständig abgestorben sein.“

„Sagtest du, der Ast wäre abgestorben, Jupiter?“, fragte Legrand mit zitternder Stimme.

„Ja, Massa, er tot wie ein Türnagel – ganz bestimmt – sein Leben vorbei.“

„Was in Himmels Namen soll ich nun anfangen?“, fragte Legrand anscheinend in höchster Verzweiflung.

„Anfangen?“, sagte ich erfreut, weil ich eine Gelegenheit fand, mich einzumischen. „Natürlich nach Hause gehen und sich zu Bett legen. Kommen Sie mit, seien Sie vernünftig. Es ist sehr spät, und denken Sie an Ihr Versprechen.“

„Jupiter“, schrie er, ohne mich im Geringsten zu beachten, „kannst du mich hören?“

„Ja, Massa Will, ich Sie hören ganz deutlich.“

„Untersuche einmal genau das Holz mit deinem Messer und sage mir, ob du es für sehr morsch hältst.“

„Es sein sicher morsch, Massa“, antwortete der Neger etwas später, „aber doch nicht so morsch, als ich gedacht haben. Allein können ich mich sicher etwas hinauswagen.“

„Allein? – Was meinst du damit?“

„Nun, ich meinen das Käfer. Es sein sehr schweres Käfer. Wenn ich ihn zuerst fallen lassen, dann der Ast werden nicht brechen vom Gewicht von einem Nigger.“

„Du verdammter Schurke!“, rief Legrand, offenbar sehr erleichtert. „Was soll das heißen, dass du mir solchen Unsinn erzählst? Wenn du dich unterstehst, den Käfer fallen zu lassen, schlage ich dir den Schädel ein. Gib acht, Jupiter, hörst du, was ich sage?“

„Ja, Massa brauchen armen Nigger nicht so anzubrüllen.“

„Nun, dann pass auf! Wenn du dich, so weit du es für sicher hältst, auf den Ast hinauswagst und den Käfer nicht fallen lässt, werde ich dir einen Silberdollar schenken, sobald du herabkommst.“

„Ich gehen vor, Massa Will“, antwortete der Neger sehr bereitwillig. „Ich jetzt ganz am Ende sein.“

„Ganz am Ende?“ Legrand schrie jetzt förmlich. „Sagtest du, dass du am Ende des Astes bist?“

„Fast am Ende – oh, oh, oh! Barmherziger Gott, was sein auf dem Ast?“

„Nun?“, rief Legrand höchst entzückt, „was gibt es da?“

„Es sein nur ein Schädel – jemand seinen Kopf auf dem Ast gelassen und die Krähen alles Fleisch davon gegessen.“

„Ein Schädel, sagst du? – Sehr gut! – Wie ist er an dem Ast befestigt? Was hält ihn fest?“

„Wahrhaftig, Massa, ich müssen sehen. Aber dies sein merkwürdig – da sein ein sehr dicker Nagel in dem Schädel, der ihn an dem Zweig festhalten.“

„Und nun, Jupiter, tu genau, was ich dir sage. Hörst du mich?“

„Ja, Massa.“

„Also, gib acht. Suche das linke Auge des Schädels.“

„Hm, ja! Aber er haben ja kein linkes Auge mehr.“

„Verfluchter Dummkopf! Du weißt doch, was deine rechte und was deine linke Hand ist?“

„Ja, ich das wissen – ich das alles wissen – mit linker Hand ich spalten Holz.“

„Natürlich, denn du bist linkshändig! Und dein linkes Auge ist auf derselben Seite wie deine linke Hand. Jetzt, denke ich, kannst du das linke Auge von dem Schädel finden, oder vielmehr den Platz, wo es gesteckt hat. Hast du es gefunden?“

Hier folgte eine lange Pause. Endlich fragte der Neger: „Sein das linke Auge von dem Schädel auf derselben Seite, wo die linke Handseite von dem Schädel gewesen? Denn das Schädel haben überhaupt keine Hand – aber das machen nichts. Ich nun das linke Auge gefunden – hier sein das linke Auge. Was sollen ich machen mit ihm?“

„Lass den Käfer hindurchfallen, so weit die Schnur reicht. Aber nimm dich in acht, dass du die Schnur festhältst.“

„Alles getan, Massa Will. Sehr leichte Sache, den Käfer durch das Loch zu lassen – sehen ihn jetzt unten hängen.“

Während der ganzen Unterredung war von Jupiter nichts zu sehen gewesen. Aber der Käfer, den er herabgelassen hatte, wurde nun am Schnurende sichtbar und glitzerte wie eine Kugel von flammendem Gold in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die noch gerade mit einem Schimmer die Höhe traf, auf der wir standen. Der Käfer hing ganz frei von Zweigen und wäre, wenn man ihn losgelassen, gerade vor unsere Füße gefallen. Legrand nahm sofort die Sense und mähte damit gerade unter dem Insekt einen Kreis von drei oder vier Metern im Durchmesser ab. Dann befahl er Jupiter, den Käfer fallen zu lassen und herabzukommen.

Nunmehr trieb mein Freund genau an der Stelle, wo der Käfer hingefallen war, einen Pflock in die Erde und nahm aus seiner Tasche ein Maßband. Indem er ein Ende davon an der Stelle des Baumes befestigte, die dem Pflock am nächsten war, rollte er es weiter ab und legte es in der Linie, die durch den Baum und den Pflock gegeben war, auf eine Entfernung von fünfzig Fuß hin, wobei Jupiter den Weg von Brombeeren frei machte. Auf dem nun erreichten Punkte wurde ein zweiter Pflock in den Boden getrieben und um ihn herum als Mittelpunkt ein Kreis von etwa vier Fuß im Durchmesser abgemäht. Legrand nahm nun einen Spaten, gab einen Jupiter und einen mir und bat uns, so schnell wie möglich zu graben.

Um die Wahrheit zu sagen, ich habe noch nie an einer solchen Beschäftigung große Freude gehabt und diesmal hätte ich sie sehr gerne verweigert. Die Nacht rückte auch heran und ich fühlte mich schon sehr ermüdet von der durchgemachten Anstrengung. Aber ich sah keine Möglichkeit, der Sache zu entgehen, und fürchtete mich, durch eine Weigerung meinen armen Freund erst recht zu erregen. Wahrhaftig, hätte ich mich auf Jupiters Hilfe verlassen können, ich würde ohne Zögern versucht haben, den Verrückten mit Gewalt nach Hause zu bringen. Aber ich kannte die Verfassung des alten Negers zu gut, um bei einem Kampf mit seinem Meister irgendwie auf seinen Beistand zu rechnen. Ich zweifelte nicht, dass Legrand von einer der im Süden so häufigen abergläubischen Ideen über vergrabene Schätze befallen war und dass seine Fantasie sich verstärkt hatte durch die Auffindung des Käfers und vielleicht auch durch den hartnäckigen Glauben Jupiters, der Käfer sei von purem Gold. Ein schon zum Wahnsinn geneigtes Gehirn konnte leicht durch solche Erlebnisse verführt werden – besonders wenn sie mit Lieblingsideen harmonierten – und dann rief ich mir auch wieder die Worte des armen Menschen zurück, der Käfer würde ihm den Weg zum Reichtum zeigen. Ich war durch all dies sehr traurig und verstört, beschloss aber endlich, aus der Not eine Tugend zu machen und bereitwillig zu graben, um auf diese Weise den Fantasten so schnell wie möglich durch den Augenschein von der Torheit seiner Idee zu überzeugen.

Die Laternen wurden angezündet und wir gingen alle mit einem Eifer an die Arbeit, der einer vernünftigeren Sache würdig gewesen wäre. Wie der Lichtschein so auf uns und unsere Arbeit fiel, musste ich unwillkürlich denken, wie malerisch doch unsere Gruppe sei und wie seltsam und unheimlich doch unsere Arbeit einem Wanderer erscheinen würde, der zufällig auf uns stieße.

Das Graben dauerte ununterbrochen zwei Stunden, wir sprachen wenig und machten uns nur Sorgen wegen des lauten Gebells des Hundes, der an unserem Unternehmen ein leidenschaftliches Interesse nahm. Er lärmte schließlich so sehr, dass wir fürchteten, er könnte in der Nähe befindliche Landstreicher anlocken – oder vielmehr war das die Besorgnis Legrands, denn ich wäre über jede Unterbrechung froh gewesen, die mir Gelegenheit gegeben hätte, den Irren nach Hause zu bringen. Jupiter verstand es, dem Lärm sehr wirkungsvoll ein Ende zu machen, indem er entschlossen aus der Höhlung kletterte und dem Tier mit einem seiner Hosenträger das Maul verband, worauf er mit einem verhaltenen Kichern wieder an seine Arbeit ging.

Als die zwei Stunden herum waren, hatten wir eine Tiefe von fünf Fuß erreicht, ohne aber irgendwelche Anzeichen von einem Schatz zu finden. Eine allgemeine Pause folgte und ich hoffte schon, die Posse sei zu Ende. Legrand aber, obgleich er offenbar sehr verwirrt war, wischte sich gedankenvoll die Stirne und begann von neuem. Wir hatten den ganzen Kreis von vier Fuß Durchmesser ausgehoben und vergrößerten ihn etwas, wobei wir noch zwei Fuß tiefer gingen. Aber auch jetzt stießen wir auf nichts. Der Goldsucher, der mir ernstlich leidtat, kletterte schließlich mit dem Ausdruck der bittersten Enttäuschung aus der Grube und ging langsam und widerstrebend daran, seinen Rock wieder anzuziehen, den er beim Beginn der Arbeit abgeworfen hatte. Ich machte inzwischen keine Bemerkung. Jupiter begann, auf einen Wink seines Herrn, die Werkzeuge aufzunehmen. Nachdem das geschehen und der Hund wieder frei gemacht war, wandten wir uns in tiefem Schweigen auf den Heimweg.

 

Wir hatten vielleicht ein Dutzend Schritte in dieser Richtung getan, als sich Legrand mit einem lauten Fluch auf Jupiter stürzte und ihn beim Kragen fasste. Der erstaunte Neger öffnete Augen und Mund, so weit er konnte, ließ die Spaten fallen und fiel auf die Knie.

„Du Schurke!“, sagte Legrand, indem er die Silben zwischen den zusammengebissenen Zähnen herauszischte. „Du höllischer, schwarzer Schurke! – Sprich, sage ich! – Antworte mir sofort, ohne Umschweife! – Welches ist dein linkes Auge?“

„Oh, mein Gott, Massa Will! Sein das nicht richtig mein linkes Auge?“, brüllte der erschrockene Jupiter, indem er seine Hand auf sein rechtes Sehorgan legte und es dort mit verzweifelter Hartnäckigkeit festhielt, als fürchtete er, sein Meister möchte es ihm aus der Höhlung herausreißen.

„Ich habe es mir gedacht – ich wusste es! Hurra!“, schrie Legrand laut und ließ den Neger los, worauf er eine Reihe von Kurven und Wendungen tanzte, sehr zum Erstaunen seines Dieners, der sich von den Knien erhob und stumm von seinem Meister zu mir und von mir zu seinem Meister blickte.

„Kommt, wir müssen zurückgehen“, sagte Legrand. „Das Spiel ist noch nicht verloren.“ Und er führte uns wieder zum Tulpenbaum.

„Jupiter“, sagte er, als wir seinen Fuß erreichten, „komm her! War der Schädel mit dem Gesicht nach auswärts oder mit dem Gesicht nach einwärts an den Ast genagelt?“

„Das Gesicht waren nach auswärts, Massa, so dass die Krähen gut und ohne Mühen an die Augen konnten.“

„Gut, war es nun dieses Auge oder das, wodurch du den Käfer fallen ließest?“ Damit berührte Legrand jedes von Jupiters Augen.

„Es waren dies Auge, Massa – das linke Auge –, wie Massa mir sagten“, und auch jetzt wieder berührte der Neger sein rechtes Auge.

„Das genügt – wir müssen es noch einmal versuchen.“

Mein Freund, in dessen Wahnsinn ich jetzt eine gewisse Methode sah oder wenigstens zu sehen glaubte, versetzte nunmehr den Pflock von dem Punkt, wo der Käfer hingefallen war, nach einem Punkt, der drei Zoll weiter westwärts lag. Indem er jetzt das Maßband von dem nächstgelegenen Punkte des Baumes über den Pflock hinweg fünfzig Fuß in gerader Linie hinlegte, kam er zu einem Fleck, der mehrere Meter von dem entfernt war, wo wir gegraben hatten.

Wieder wurde an dem neuen Ort ein Kreis gezogen, diesmal ein etwas größerer als vorher, und wieder begannen wir mit den Spaten zu arbeiten. Ich war entsetzlich müde, aber ich fühlte, obgleich ich kaum wusste, wodurch die Veränderung in meinen Gedanken erzeugt worden war, nicht mehr die große Abneigung gegen die mir auferlegte Arbeit. Ein ganz merkwürdiges Interesse war in mir erwacht, ich wurde sogar aufgeregt. Vielleicht steckte doch etwas hinter dem ganzen sonderbaren Benehmen Legrands – eine gewisse Umsicht oder Überlegtheit, die auf mich Eindruck machte. Ich grub eifrig und ertappte mich ein paarmal tatsächlich dabei, dass ich mit einer gewissen Erwartung nach dem Schatz ausschaute, dessen Vision meinen unglücklichen Freund um seinen Verstand gebracht hatte. Ich war gerade wieder einmal dabei, solchen Gedankenbildern nachzuhängen, und wir hatten vielleicht anderthalb Stunden gearbeitet, als wir aufs neue durch ein lautes Gebell des Hundes unterbrochen wurden. Beim ersten Graben war seine Unruhe offenbar die Folge von Spiellust oder Laune gewesen, jetzt aber klang ein scharfer und ernsthafter Ton daraus. Als Jupiter wieder versuchte, ihm das Maul zu verbinden, leistete er wütenden Widerstand, sprang in die Höhlung und wühlte wie rasend mit seinen Pfoten die Erde auf. In wenigen Sekunden hatte er einen Haufen Menschenknochen freigelegt, die zwei vollständige Skelette bildeten und mit einigen Metallknöpfen und etwas, was wie verweste Wolle aussah, vermischt waren. Ein oder zwei Spatenstiche hoben die Klinge eines großen spanischen Messers empor und als wir weitergruben, fanden wir drei oder vier einzelne Gold- und Silbermünzen.

Bei ihrem Anblick konnte Jupiter kaum seine Freude bemeistern, während sich in dem Gesicht seines Herrn ein Zug tiefster Enttäuschung zeigte. Er trieb uns aber an, mit unseren Anstrengungen fortzufahren, und er hatte das kaum ausgesprochen, als ich strauchelte und hinfiel, weil meine Fußspitze sich in einem großen eisernen Ring verfangen hatte, der halb begraben in der aufgewühlten Erde lag.

Wir arbeiteten jetzt erst recht voll Eifer und nie habe ich zehn aufgeregtere Minuten verbracht. In dieser Zeit legten wir eine längliche Holztruhe frei, die, nach ihrem gut erhaltenen Zustand und ihrer wundervollen Härte zu urteilen, eine Art Versteinerungsprozess – vielleicht durch Quecksilberdoppelchlorid – durchgemacht hatte. Die Truhe war drei und einen halben Fuß lang, drei Fuß breit und zwei und einen halben Fuß hoch. Sie war fest umschlossen von schmiedeeisernen, vernieteten Bändern, die wie ein Gitterwerk ringsherum gingen. An jeder Seite der Kiste nahe am oberen Rand befanden sich drei eiserne Ringe – im Ganzen also sechs –, die sechs Personen einen guten Halt geben konnten. Trotz unserem gemeinsamen Bemühen gelang es nur, die Truhe ein wenig aus ihrer Lage zu bringen. Wir sahen bald die Unmöglichkeit ein, ein so schweres Gewicht fortzuschaffen. Zum Glück war der Deckel nur durch zwei Riegel geschlossen. Zitternd und keuchend vor Erwartung schoben wir sie zurück und in einem Augenblick lag ein Schatz von unermesslichem Wert vor uns. Als das Licht der Laternen in die Grube fiel, blitzte uns daraus ein leuchtender Glanz von einem wirren Haufen von Gold und Edelsteinen entgegen, so dass unsre Augen förmlich geblendet wurden.

Ich will nicht versuchen, die Gefühle zu beschreiben, mit denen ich hineinstarrte. Ein grenzenloses Erstaunen hatte mich gefasst. Legrand schien erschöpft von seiner Erregung zu sein und sprach sehr wenig. Jupiters Gesicht war für einige Augenblicke totenblass, wie das bei einem Neger nur möglich ist. Er schien verblüfft, vom Blitz getroffen zu sein. Dann fiel er in der Grube auf die Knie, vergrub seine nackten Arme bis zu den Ellenbogen in dem Gold und ließ sie dort ruhen, als ob er das Behagen eines Bades genösse. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus und rief wie in einem Selbstgespräch:

„Und all dies kommen durch das Goldkäfer! Das hübsche Goldkäfer! Das arme, kleine Goldkäfer, auf den ich so hässlich geschimpft haben! Schämst du dich über dich selbst, Nigger? – Mir das antworten!“

Es wurde schließlich nötig, dass ich sowohl den Herrn wie den Diener auf die Notwendigkeit hinwies, den Schatz wegzuschaffen. Es wurde spät und wir mussten uns anstrengen, um alles vor Tagesanbruch nach Hause zu schaffen. Dabei war es schwierig zu sagen, auf welche Weise das getan werden sollte, und wir verbrachten eine lange Zeit beim Überlegen, so verwirrt waren alle unsere Gedanken. Schließlich erleichterten wir die Truhe, indem wir zwei Drittel ihres Inhaltes herausnahmen, und konnten sie dann, wenn auch mit Mühe, aus dem Loch heraufschaffen. Das Herausgenommene wurde zwischen die Brombeersträucher gelegt und der Hund als Wache zurückgelassen, wobei ihm Jupiter den strengen Befehl gab, weder vom Fleck zu weichen, noch bis zu unserer Rückkehr einen Laut zu geben. Dann eilten wir mit der Truhe heim und erreichten sicher, aber nach unendlicher Mühe um ein Uhr morgens die Hütte. Es wäre über die menschliche Natur gegangen, bei unserer vollständigen Erschöpfung sofort wieder aufzubrechen. So blieben wir bis zwei Uhr und aßen zu Abend. Dann beluden wir uns mit drei festen Säcken, die wir zum Glück auf dem Grundstück fanden, und gingen wieder nach dem Bergland. Etwas vor vier Uhr kamen wir an der Grube an, verteilten den Rest unseres Fundes möglichst gleichförmig auf uns drei und traten dann wieder den Rückweg an, wobei wir die Grube offen ließen. Als wir in der Hütte zum zweiten Male unsere goldene Last absetzten, leuchteten im Osten über den Baumwipfeln gerade die ersten schwachen Strahlen der Morgendämmerung auf.

Wir waren nun völlig erschöpft, doch die Erregung ließ uns nicht lange ruhen. Nach einem unruhigen Schlummer von drei oder vier Stunden erhoben wir uns, als hätten wir es vorher abgemacht, um unseren Schatz zu besichtigen.

Die Truhe war bis zum Rand gefüllt gewesen und wir verbrachten den ganzen Tag und den größeren Teil der nächsten Nacht, um ihren Inhalt abzuschätzen. Es war nichts darin geordnet gewesen, alles lag in wirrem Durcheinander aufgehäuft. Nachdem wir nun das Ganze sorgfältig sortiert hatten, fanden wir uns im Besitz eines noch größeren Reichtums, als wir zuerst angenommen hatten. Münzen gab es im Wert von vierhundertfünfzigtausend Dollar – wobei wir die einzelnen Stücke so gut es ging nach den Tabellen ihrer Zeit schätzten. Auch nicht ein Silberstück war dabei. Alles war Gold von alter Prägung und in den verschiedensten Sorten – es gab französisches, spanisches und deutsches Geld, einige englische Guineen und ein paar Stücke, die wir gar nicht kannten. So fanden sich verschiedene sehr große und schwere Münzen, die so abgenutzt waren, dass wir von ihren Inschriften nichts mehr entziffern konnten. Es gab kein amerikanisches Geld. Schwieriger war die Schätzung der Juwelen. An Diamanten – einige waren außerordentlich groß und schön – zählten wir im Ganzen hundertzehn Stück, von denen keiner klein war. Wir fanden achtzehn Rubine von ungewöhnlichem Glanz, dreihundertzehn Smaragde – alle sehr schön – und einundzwanzig Saphire nebst einem Opal. All diese Steine hatte man aus ihren Fassungen herausgebrochen und lose in die Truhe geworfen. Die Fassungen selbst, die wir aus dem übrigen Gold herausfischten, schienen mit dem Hammer zusammengeschlagen zu sein, wie um die Feststellung ihrer Herkunft zu verhindern. Außerdem gab es eine große Menge an gediegenem Goldschmuck: ungefähr zweihundert schwere Finger- und Ohrringe; dreißig prächtige Ketten; dreiundachtzig sehr große und schwere Kruzifixe; fünf goldene Weihrauchfässer von hohem Wert; eine wundervolle goldene Punschbowle, reich geschmückt mit getriebenen Weinblättern und Figuren eines Bacchanals; zwei kunstvoll bossierte Schwertgriffe und eine Menge kleinerer Gegenstände, auf die ich mich jetzt nicht besinnen kann. Das Gewicht dieser Kostbarkeiten überstieg dreihundertfünfzig Pfund, ohne dass ich dazu die hundertsiebenundneunzig herrlichen Uhren gerechnet habe. Von diesen waren drei, die mindestens jede einen Wert von fünfhundert Dollar hatte. Viele von ihnen waren sehr alt und als Zeitmesser wertlos – auch hatten die meisten Werke mehr oder weniger durch den Rost gelitten. Aber alle waren reich mit Edelsteinen geschmückt und steckten in Gehäusen von großem Wert. Wir schätzten in dieser Nacht den ganzen Inhalt der Truhe auf anderthalb Millionen Dollar, aber bei dem späteren Verkauf der Schmucksachen und Juwelen (ein paar behielten wir zum eigenen Gebrauch) stellte es sich heraus, dass wir den Wert des Schatzes gewaltig unterschätzt hatten.

Als wir endlich unsere Untersuchung beendet hatten und sich die tiefe Erregung dieses Tages etwas gelegt hatte, begann Legrand – der sah, wie ich fast vor Ungeduld starb, nun endlich die Lösung des außerordentlichen Rätsels zu erfahren –, mir einen ausführlichen Bericht über alle damit verknüpften Einzelheiten zu geben.

„Sie werden sich“, sagte er, „des Abends erinnern, als ich Ihnen die flüchtige Skizze überreichte, die ich von dem Käfer gemacht hatte. Sie erinnern sich auch, dass ich sehr verblüfft war, weil Sie darauf bestanden, meine Zeichnung gliche einem Totenkopf. Als Sie die Bemerkung machten, dachte ich zuerst, Sie scherzten; dann fielen mir aber die eigentümlichen Flecken auf dem Rücken des Insekts ein und ich gestand mir, dass Ihre Ansicht in gewisser Beziehung begründet sei. Trotzdem ärgerte mich der Spott über meine zeichnerischen Fähigkeiten – denn ich gelte für einen guten Zeichner – und als Sie mir den Pergamentfetzen gaben, war ich dabei, ihn zu zerknittern und in den Ofen zu werfen.“

„Sie meinen den Papierfetzen“, sagte ich.

„Nein, er sah zwar ganz wie Papier aus, und zuerst hielt ich ihn auch dafür, aber als ich begann, darauf zu zeichnen, entdeckte ich sofort, dass er ein Stück sehr dünnen Pergaments war. Sie erinnern sich, dass er ganz schmutzig war. Nun wohl, gerade als ich dabei war, ihn zu zerknittern, fiel mein Blick auf die Zeichnung, die Sie betrachtet hatten, und Sie können sich mein Erstaunen vorstellen, als ich tatsächlich die Figur eines Totenkopfs gerade an der Stelle sah, wo ich glaubte, den Käfer hingezeichnet zu haben. Einen Augenblick war ich zu erstaunt, um richtig zu denken. Ich wusste, dass meine Zeichnung in den Einzelheiten ganz anders gewesen war, obgleich es eine gewisse Ähnlichkeit im Umriss gab. Ich nahm dann eine Kerze und setze mich in das andere Ende des Zimmers, wo ich begann, das Pergament genauer zu untersuchen. Als ich es umwandte, sah ich auf der Rückseite meine eigene Zeichnung genau so, wie ich sie gemacht hatte. Mein erster Gedanke war ein einfaches Erstaunen über die merkwürdige Ähnlichkeit im Umriss – über den seltsamen Zufall, dass sich, mir ganz unbewusst, genau unter meiner Zeichnung des Käfers auf der anderen Seite des Pergaments ein Totenkopf befunden hatte und dass dieser Totenkopf nicht nur in der Form, sondern auch in der Größe genau meiner Zeichnung glich. Wie gesagt, die Einzigartigkeit dieses Zusammentreffens verwirrte mich eine Zeit lang vollständig. Das ist häufig so bei solchen Zufällen. Das Gehirn müht sich, irgendeine Verbindung zu finden, eine Verknüpfung von Ursache und Wirkung herzustellen, und wenn es das nicht kann, entsteht eine Art vorübergehender Lähmung. Als ich mich aber von dieser Verblüffung erholt hatte, dämmerte in mir nach und nach eine Überzeugung, die mir noch erstaunlicher schien als das Zusammentreffen. Ich begann mich genau und bestimmt zu erinnern, dass sich auf dem Pergament keine Zeichnung befunden hatte, als ich die Skizze des Käfers anfertigte. Ich war mir dessen völlig gewiss, denn ich erinnerte mich, dass ich das Blatt von einer Seite auf die andere gewendet hatte, um die reinste Stelle zu suchen; wäre der Schädel da gewesen, ich hätte ihn sicherlich bemerkt. Hier gab es in jedem Fall ein Geheimnis, das ich mir nicht erklären konnte. Aber schon damals, in diesem ersten Augenblick, schien ganz schwach in der entlegensten und geheimsten Kammer meiner Seele glühwürmchenhaft eine Ahnung von jener Wahrheit aufzuglimmen, die das Abenteuer der gestrigen Nacht zu einem so großartigen Ergebnis führte. Ich erhob mich plötzlich, verschloss das Pergament sorgfältig und verschob alles weitere Nachdenken, bis ich allein war.

 

Als Sie gegangen waren und Jupiter fest schlief, unterzog ich die Sache einer mehr methodischen Untersuchung. Zunächst betrachtete ich die Art, wie das Pergament in meinen Besitz gekommen war. Der Fleck, wo ich den Käfer entdeckt hatte, lag eine Meile östlich von der Insel an der Festlandsküste und nur wenig über der Hochwasserlinie. Als ich das Tier anfasste, biss es mich heftig, was mich veranlasste, es fallen zu lassen. Jupiter, auf den das Insekt hingeflohen war, suchte, bevor er es anfasste, mit seiner gewohnten Vorsicht nach einem Blatt oder dergleichen, um es damit zu packen. Es war in diesem Augenblick, dass seine Augen und auch die meinen auf den Pergamentfetzen fielen, den ich damals für Papier hielt. Er lag halb begraben im Sand und ragte mit einer Ecke heraus. Nahe bei der Fundstätte bemerkte ich die Überreste eines Schiffskörpers, die von einer Pinasse zu stammen schienen. Das Wrack hatte wohl schon eine sehr lange Zeit dort gelegen, denn die Form der Bootsrippen war kaum noch zu erkennen.

Nun wohl, Jupiter nahm das Pergament auf, wickelte den Käfer hinein und überreichte ihn mir. Kurz darauf kehrten wir heim und trafen unterwegs den Leutnant G. Ich zeigte ihm das Insekt und er bat mich, es zum Fort mitnehmen zu dürfen. Da ich zustimmte, steckte er es in seine Westentasche, und zwar ohne das Pergament, in das es gewickelt gewesen und das ich während seiner Betrachtung in der Hand gehalten hatte. Vielleicht fürchtete er, ich möchte meine Zustimmung zurücknehmen, und hielt es für das Beste, möglichst schnell das Tier einzustecken – Sie wissen ja, wie begeistert er an allem hängt, was mit der Naturforschung zusammenhängt. Ich selbst aber muss zur gleichen Zeit, ohne es zu wissen, das Pergament in meine Tasche gesteckt haben.

Sie erinnern sich ferner, dass ich an den Tisch ging, um eine Zeichnung des Käfers anzufertigen, und dass ich an dem gewohnten Platz kein Papier fand. Ich suchte in der Schublade, aber es war nichts da. Als ich meine Taschen durchsuchte, um vielleicht einen alten Brief zu finden, berührte meine Hand das Pergament. Ich erzähle Ihnen die Einzelheiten, durch die ich in seinen Besitz kam, so genau, weil die Umstände auf mich einen außerordentlich starken Eindruck machten.

Sie werden mich zweifellos für einen Fantasten halten – aber ich hatte schon begonnen, eine Art von innerer Verknüpfung zu bilden. Ich hatte zwei Glieder einer langen Kette miteinander verbunden. Ein Boot lag an der Seeküste und nicht weit von dem Boot fand ich ein Pergament – nicht ein Papier – mit einem darauf abgebildeten Totenkopf. Sie fragen natürlich, wo denn hier die Verbindung stecke. Meine Antwort ist, dass der Schädel oder Totenkopf als wohlbekanntes Emblem der Piraten gilt. Die Flagge mit dem Totenkopf wird bei allen ihren Unternehmungen gehisst.

Ich sagte, der Fetzen sei Pergament und nicht Papier gewesen. Pergament ist fast unzerstörbar. Unwichtige Dinge schreibt man selten auf Pergament, denn zum gewöhnlichen Zeichnen oder Schreiben eignet es sich nicht so gut wie Papier. Ich kam durch diese Überlegung darauf, dass hinter dem Totenkopf etwas Besonderes, etwas von Bedeutung stecken müsste. Auch entging mir nicht die besondere Form des Pergaments. Obgleich eine Ecke durch einen Zufall zerstört war, konnte man doch die ursprüngliche längliche Form erkennen. Es war gerade solch ein Blatt, wie man es für ein besonderes Dokument gewählt haben würde – für ein wichtiges Schriftstück, das sorgfältig aufgehoben werden sollte.“

„Aber“, unterbrach ich ihn, „Sie sagten doch, der Schädel sei nicht auf dem Pergament gewesen, als Sie den Käfer zeichneten. Wie wollen Sie eine Verbindung zwischen dem Boot und dem Schädel herstellen, wenn dieser, wie Sie selbst zugeben, erst nach Ihrer Zeichnung des Käfers, Gott weiß, auf welche Weise, entstanden ist?“

„Ja, hier kommen wir zu dem Kernpunkt des ganzen Geheimnisses, obgleich gerade dies zu lösen mir die wenigsten Schwierigkeiten machte. Meine Schritte waren sicher und konnten nur zu einem Ergebnis führen. Ich schloss also folgendermaßen: Als ich den Käfer zeichnete, war auf dem Pergament kein Schädel zu sehen. Als ich Ihnen dann die fertiggestellte Zeichnung überreichte, beobachtete ich Sie genau, bis Sie sie mir zurückgaben. Sie also hatten die Zeichnung nicht gemacht und auch sonst kein Anwesender. Sie war also nicht durch eine menschliche Tätigkeit entstanden, und doch war sie da.

Bei diesem Punkte meines Nachdenkens versuchte ich mich genau an jede Einzelheit des damaligen Geschehens zu erinnern und erreichte das auch. Das Wetter war frostig – welch ein wunderbarer und glücklicher Zufall! – und im Kamin brannte ein Feuer. Ich war durch das Marschieren warm geworden und saß am Tisch. Sie aber hatten sich einen Stuhl dicht an den Kamin gerückt. Und nun kam gerade, als ich Ihnen das Pergament in die Hand gegeben hatte und Sie es betrachteten, der Neufundländer herein und sprang auf Ihre Schultern. Mit Ihrer linken Hand liebkosten sie ihn und drängten ihn zurück, während Sie Ihre Rechte, die das Pergament hielt, nachlässig zwischen den Knien herabsinken ließen, so dass es dicht an das Feuer kam. Einmal dachte ich sogar, es würde von den Flammen erfasst werden, und war gerade dabei, Sie zu warnen. Aber bevor ich sprechen konnte, hatten Sie es zurückgezogen und machten sich daran, es zu betrachten. Wie ich mir alle diese Einzelheiten überlegte, zweifelte ich keinen Augenblick, dass der Schädel, den ich auf dem Pergament gezeichnet sah, nur durch Einwirkung von Hitze darauf sichtbar geworden sein konnte. Sie wissen natürlich, dass es chemische Präparate gibt und schon seit Urzeiten gegeben hat, mit denen man so auf Papier oder Pergament schreiben kann, dass die Buchstaben nur bei Einwirkung von Wärme sichtbar werden. Sehr gebräuchlich ist in Aqua regia gelöster Kobalt, der mit vier Teilen Wasser verdünnt wird und eine grüne Tinte ergibt. Löst man den Kobalt in Salpetersäure, so erhält man eine rote Tinte. Die Farben verschwinden, wenn sich das Material, auf dem sie geschrieben sind, abgekühlt hat, nach längerer oder kürzerer Zeit und werden wieder sichtbar, wenn man sie aufs neue der Hitze aussetzt.