Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort

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Herr Peregrinus Tyß hatte die löbliche, gemütliche Gewohnheit, mit seiner ganzen Bescherung, wie er sie sich selbst bereitet hatte, um sich ein paar Stunden hinüberzuträumen in die schöne vergnügliche Knabenzeit, hineinzufallen in irgendeine bedürftige Familie, von der ihm bekannt war, dass muntre Kinder vorhanden, wie der Heilige Christ selbst mit blanken, bunten Gaben. Wenn dann die Kinder in der hellsten, lebendigsten Freude, schlich er leise davon und lief oft die halbe Nacht über durch die Straßen, weil er sich vor tiefer, die Brust beengender Rührung gar nicht zu lassen wusste und sein eignes Haus ihm vorkam wie ein düstres Grabmal, in dem er selbst mit allen seinen Freuden begraben. Diesmal war die Bescherung den Kindern eines armen Buchbinders bestimmt, namens Lämmerhirt, der, ein geschickter fleißiger Mann, für Herrn Peregrinus seit einiger Zeit arbeitete und dessen drei muntre Knaben von fünf bis neun Jahren Herr Peregrinus kannte.

[25]Der Buchbinder Lämmerhirt wohnte in dem höchsten Stock eines engen Hauses in der Kalbächer Gasse, und pfiff und tobte nun der Wintersturm, regnete und schneite es wild durcheinander, so kann man denken, dass Herr Peregrinus nicht ohne große Beschwerde zu seinem Ziel gelangte. Aus Lämmerhirts Fenstern blinkten ein paar ärmliche Lichterchen herab, mühsam erkletterte Peregrinus die steile Treppe. »Aufgemacht«, rief er, indem er an die Stubentüre pochte, »aufgemacht, aufgemacht, der Heilige Christ schickt frommen Kindern seine Gaben!« –

Der Buchbinder öffnete ganz erschrocken und erkannte den ganz eingeschneiten Peregrinus erst, nachdem er ihn lange genug betrachtet.

»Hochgeehrtester Herr Tyß«, rief Lämmerhirt voll Erstaunen, »hochgeehrtester Herr Tyß, wie komm ich um des Herrn willen am Heiligen Christabend zu der besondern Ehre –« Herr Peregrinus ließ ihn aber gar nicht ausreden, sondern bemächtigte sich, laut rufend: »Kinder – Kinder! aufgepasst, der Heilige Christ schickt seine Gaben!« des großen Klapptisches, der in der Mitte des Stübchens befindlich, und begann sofort die wohlverdeckten Weihnachtsgaben aus dem Korbe zu holen. Den ganz nassen tropfenden Weihnachtsbaum hatte er freilich vor der Türe stehen lassen müssen. Der Buchbinder konnte noch immer nicht begreifen, was das werden sollte; die Frau sah es besser ein, denn sie lachte den Peregrinus an mit Tränen in den Augen, aber die Knaben standen von ferne und verschlangen schweigend mit den Augen jede Gabe, wie sie aus der Hülle hervorkam, und konnten sich oft eines lauten Ausrufs der Freude und der Verwunderung nicht erwehren! – Als Peregrinus nun endlich die Gaben nach dem Alter jedes [26]Kindes geschickt getrennt und geordnet, alle Lichter angezündet hatte, als er rief: »Heran – heran, ihr Kinder! – das sind die Gaben, die der Heilige Christ euch geschickt!«, da jauchzten sie, die den Gedanken, dass das alles ihnen gehören solle, noch gar nicht fest gefasst hatten, laut auf und sprangen und jubelten, während die Eltern Anstalten machten, sich bei dem Wohltäter zu bedanken.

Der Dank der Eltern und auch der Kinder, das war es nun eben, was Herr Peregrinus jedes Mal zu vermeiden suchte, er wollte sich daher wie gewöhnlich ganz still davonmachen. Schon war er an der Tür, als diese plötzlich aufging und in dem hellen Schimmer der Weihnachtslichter ein junges, glänzend gekleidetes Frauenzimmer vor ihm stand.

Es tut selten gut, wenn der Autor sich unterfängt, dem geneigten Leser genau zu beschreiben, wie diese oder jene sehr schöne Person, die in seiner Geschichte vorkommt, ausgesehen, was Wuchs, Größe, Stellung, Farbe der Augen, der Haare betrifft, und scheint es dagegen viel besser, demselben ohne diesen Detailhandel die ganze Person in den Kauf zu geben. Genügen würde es auch hier vollkommen, zu versichern, dass das Frauenzimmer, welches dem zum Tode erschrockenen Peregrinus entgegentrat, über die Maßen hübsch und anmutig war, käme es nicht durchaus darauf an, gewisser Eigentümlichkeiten zu erwähnen, die die kleine Person an sich trug.

Klein und zwar etwas kleiner als gerade recht, war nämlich das Frauenzimmer in der Tat, dabei aber sehr fein und zierlich gebaut. Ihr Antlitz, sonst schön geformt und voller Ausdruck, erhielt aber dadurch etwas Fremdes und Seltsames, dass die Augäpfel stärker waren und die schwarzen feingezeichneten Augenbraunen höher standen als [27]gewöhnlich. Gekleidet oder vielmehr geputzt war das Dämchen, als käme es soeben vom Ball. Ein prächtiges Diadem blitzte in den schwarzen Haaren, reiche Kanten bedeckten nur halb den vollen Busen, das lila und gelb gegatterte Kleid von schwerer Seide schmiegte sich um den schlanken Leib und fiel nur in Falten so weit herab, dass man die niedlichsten weißbeschuhten Füßchen erblicken konnte, sowie die Spitzenärmel kurz genug waren und die weißen Glacé-Handschuhe aber nur so weit hinaufgingen, um den schönsten Teil des blendenden Arms sehen zu lassen. Ein reiches Halsband, brillantne Ohrgehenke vollendeten den Anzug.

Es konnte nicht fehlen, dass der Buchbinder ebenso bestürzt war als Herr Peregrinus, dass die Kinder von ihren Spielsachen abließen und die fremde Dame angafften mit offnem Munde; wie aber die Weiber am wenigsten über irgendetwas Seltsames, Ungewöhnliches zu erstaunen pflegen und sich überhaupt am geschwindesten fassen, so kam denn auch des Buchbinders Frau zuerst zu Worten und fragte: was der schönen fremden Dame zu Diensten stehe?

Die Dame trat nun vollends in das Zimmer, und diesen Augenblick wollte der beängstete Peregrinus benutzen, um sich schnell davonzumachen, die Dame fasste ihn aber bei beiden Händen, indem sie mit einem süßen Stimmchen lispelte: »So ist das Glück mir doch günstig, so habe ich Sie doch ereilt! – Ο Peregrin, mein teurer Peregrin, was für ein schönes heilbringendes Wiedersehen!« –

Damit erhob sie die rechte Hand so, dass sie Peregrins Lippen berührte und er genötigt war, sie zu küssen, unerachtet ihm dabei die kalten Schweißtropfen auf der Stirne standen. – Die Dame ließ nun zwar seine Hände los und er hätte entfliehen können, aber gebannt fühlte er sich, nicht [28]von der Stelle konnte er weichen, wie ein armes Tierlein, das der Blick der Klapperschlange festgezaubert. – »Lassen Sie«, sprach jetzt die Dame, »lassen Sie mich, bester Peregrin, an dem schönen Fest teilnehmen, das Sie mit edlem Sinn, mit zartem innigem Gemüt frommen Kindern bereitet, lassen Sie mich auch etwas dazu beitragen.«

Aus einem zierlichen Körbchen, das ihr am Arme hing und das man jetzt erst bemerkte, zog sie nun allerlei artige Spielsachen hervor, ordnete sie mit anmutiger Geschäftigkeit auf dem Tische, führte die Knaben heran, wies jedem, was sie ihm zugedacht, und wusste dabei mit den Kindern so schön zu tun, dass man nichts Lieblicheres sehen konnte. Der Buchbinder glaubte, er läge im Traum, die Frau lächelte aber schalkisch, weil sie überzeugt war, dass es mit dem Herrn Peregrin und der fremden Dame wohl eine besondere Bewandtnis haben müsse.

Während nun die Eltern sich wunderten und die Kinder sich freuten, nahm die fremde Dame Platz auf einem alten gebrechlichen Kanapee und zog den Herrn Peregrinus Tyß, der in der Tat beinahe selbst nicht mehr wusste, ob er diese Person wirklich sei, neben sich nieder. »Mein teurer«, begann sie dann leise ihm ins Ohr lispelnd, »mein teurer lieber Freund, wie froh, wie selig fühle ich mich an deiner Seite.« – »Aber«, stotterte Peregrinus, »aber mein verehrtestes Fräulein« – doch plötzlich kamen, der Himmel weiß wie, die Lippen der fremden Dame den seinigen so nahe, dass, ehe er daran denken konnte, sie zu küssen, sie schon geküsst hatte, und dass er darüber die Sprache aufs Neue und gänzlich verlor, ist zu denken.

»Mein süßer Freund«, sprach nun die fremde Dame weiter, indem sie dem Peregrinus so nahe auf den Leib rückte, [29]dass nicht viel daran gefehlt, sie hätte sich auf seinen Schoß gesetzt, »mein süßer Freund! ich weiß, was dich bekümmert, ich weiß was heute Abend dein frommes kindliches Gemüt schmerzlich berührt hat. Doch! – sei getrost! – Was du verloren, was du jemals wieder zu erlangen kaum hoffen durftest, das bring ich dir.«

Damit holte die fremde Dame aus demselben Körbchen, in dem sich die Spielsachen befunden hatten, eine hölzerne Schachtel hervor und gab sie dem Peregrin in die Hände. Es war die Hirsch- und wilde Schweinsjagd, die er auf dem Weihnachtstische vermisst. Schwer möcht’ es fallen, die seltsamen Gefühle zu beschreiben, die in Peregrins Innerm sich durchkreuzten.

Hatte die ganze Erscheinung der fremden Dame, aller Anmut und Lieblichkeit unerachtet, dennoch etwas Spukhaftes, das auch andere, die die Nähe eines Frauenzimmers nicht so gescheut als Peregrin, recht durch alle Glieder fröstelnd empfunden haben würden, so musste ja dem armen, schon genug geängsteten Peregrin ein tiefes Grauen anwandeln, als er gewahrte, dass die Dame von all’ dem, was er in der tiefsten Einsamkeit begonnen, auf das genaueste unterrichtet war. Und mitten in diesem Grauen wollte sich, wenn er die Augen aufschlug und der siegende Blick der schönsten schwarzen Augen unter den langen seidenen Wimpern hervorleuchtete, wenn er des holden Wesens süßen Atem, die elektrische Wärme ihres Körpers fühlte – doch wollte sich dann in wunderbaren Schauern das namenlose Weh eines unaussprechlichen Verlangens regen, das er noch nicht gekannt! Dann kam ihm zum ersten Mal seine ganze Lebensweise, das Spiel mit der Weihnachtsbescherung kindisch und abgeschmackt vor, und er fühlte sich [30]beschämt, dass die Dame darum wusste, und nun war es ihm wieder, als sei das Geschenk der Dame der lebendige Beweis, dass sie ihn verstanden wie niemand sonst auf Erden und dass das innigste tiefste Zartgefühl sie gelenkt, als sie ihn auf diese Weise erfreuen wollen. Er beschloss, die teure Gabe ewig aufzubewahren, nie aus den Händen zu lassen, und drückte, fortgerissen von einem Gefühl, das ihn ganz übermannt, die Schachtel, worin die Hirsch- und wilde Schweinsjagd befindlich, mit Heftigkeit an die Brust. – »Oh«, lispelte das Dämchen, »o des Entzückens! – Dich erfreut meine Gabe! ο mein herziger Peregrin, so haben mich meine Träume, meine Ahnungen nicht getäuscht!« –

 

Herr Peregrinus Tyß kam etwas zu sich selbst, so, dass er imstande war, sehr deutlich und vernehmlich zu sprechen: »Aber mein bestes hochverehrtes Fräulein, wenn ich nur in aller Welt wüsste, wem ich die Ehre hätte« –

»Schalkischer Mann«, unterbrach ihn die Dame, indem sie ihm leise die Wange klopfte, »schalkischer Mann, du stellst dich gar, als ob du deine treue Aline nicht kenntest! – Doch es ist Zeit, dass wir hier den guten Leuten freien Spielraum lassen. Begleiten Sie mich, Herr Tyß!« –

Als Peregrinus den Namen Aline hörte, musste er natürlicherweise an seine alte Aufwärterin denken, und es war ihm nun vollends, als drehe sich in seinem Kopfe eine Windmühle.

Der Buchbinder vermochte, als nun die fremde Dame von ihm, seiner Frau und den Kindern auf das freudigste, anmutigste Abschied nahm, vor lauter Verwunderung und Ehrfurcht nur unverständliches Zeug zu stammeln, die Kinder taten, als seien sie mit der Fremden lange bekannt gewesen; die Frau sprach aber: »Ein solcher schmucker [31]gütiger Herr, wie Sie, Herr Tyß, verdient wohl eine so schöne, herzensgute Braut zu haben, die ihm noch in der Nacht Werke der Wohltätigkeit vollbringen hilft. Nun, ich gratuliere von ganzem Herzen!« – Die fremde Dame dankte gerührt, versicherte, dass ihr Hochzeitstag auch ihnen ein Festtag sein solle, verbot dann ernsthaft jede Begleitung und nahm selbst eine kleine Kerze vom Weihnachtstisch, um sich die Treppe hinabzuleuchten.

Man kann denken, wie dem Herrn Tyß, in dessen Arm sich nun die fremde Dame hängte, bei allem dem zumute war! – Begleiten Sie mich, Herr Tyß, dachte er bei sich, das heißt, die Treppe hinab bis an den Wagen, der vor der Türe hält und wo der Diener oder vielleicht eine ganze Dienerschaft wartet, denn am Ende ist es irgendeine wahnsinnige Prinzessin, die hier – der Himmel erlöse mich nur bald aus dieser seltsamen Qual und erhalte mir mein bisschen Verstand! –

Herr Tyß ahnte nicht, dass alles, was bis jetzt geschehen, nur das Vorspiel des wunderlichsten Abenteuers gewesen, und tat ebendeshalb unbewusst sehr wohl daran, den Himmel im Voraus um die Erhaltung seines Verstandes zu bitten.

Als das Paar die Treppe herabgekommen, wurde die Haustüre von unsichtbaren Händen auf- und, als Peregrinus mit der Dame hinausgetreten, ebenso wieder zugeschlossen. Peregrinus merkte gar nicht darauf, denn viel zu sehr erstaunte er, als sich vor dem Hause auch nicht die mindeste Spur eines Wagens oder eines wartenden Dieners fand.

»Um des Himmels willen«, rief Peregrinus, »wo ist Ihr Wagen, Gnädigste?« – »Wagen«, erwiderte die Dame, [32]»Wagen? – was für ein Wagen? Glauben Sie, lieber Peregrinus, dass meine Ungeduld, meine Angst, Sie zu finden, es mir erlaubt haben sollte, mich ganz ruhig hierher fahren zu lassen? Durch Sturm und Wetter bin ich, getrieben von Sehnsucht und Hoffnung, umhergelaufen, bis ich Sie fand. Dem Himmel Dank, dass mir dies gelungen. Führen Sie mich nur jetzt nach Hause, lieber Peregrinus, meine Wohnung ist nicht sehr weit entlegen.«

Herr Peregrinus entschlug sich mit aller Gewalt des Gedankens, wie es ja ganz unmöglich, dass die Dame, geputzt wie sie war, in weißseidnen Schuhen, auch nur wenige Schritte hatte gehen können, ohne den ganzen Anzug im Sturm, Regen und Schnee zu verderben, statt dass man jetzt auch keine Spur irgendeiner Zerrüttung der sorgsamsten Toilette wahrnahm; fand sich darin, die Dame noch weiter zu begleiten, und war nur froh, dass die Witterung sich geändert. Vorüber war das tolle Unwetter, kein Wölkchen am Himmel, der Vollmond schien freundlich herab, und nur die schneidend scharfe Luft ließ die Winternacht fühlen.

Kaum war Peregrinus aber einige Schritte gegangen, als die Dame leise zu wimmern begann, dann aber in laute Klagen ausbrach, dass sie vor Kälte erstarren müsse. Peregrinus, dem das Blut glühend heiß durch die Adern strömte, der deshalb nichts von der Kälte empfunden und nicht daran gedacht, dass die Dame so leicht gekleidet und nicht einmal einen Shawl oder ein Tuch umgeworfen hatte, sah plötzlich seine Tölpelei ein und wollte die Dame in seinen Mantel hüllen. Die Dame wehrte dies indessen ab, indem sie jammerte: »Nein, mein lieber Peregrin! das hilft mir nichts! – Meine Füße – ach meine Füße, umkommen muss ich vor fürchterlichem Schmerz.« –

[33]Halb ohnmächtig wollte die Dame zusammensinken, indem sie mit ersterbender Stimme rief: »Trage mich, trage mich, mein holder Freund!« –

Da nahm ohne weiteres Peregrinus das federleichte Dämchen auf den Arm wie ein Kind und wickelte sie sorglich ein in den weiten Mantel. Kaum war er aber eine kleine Strecke mit der süßen Last fortgeschritten, als ihn stärker und stärker der wilde Taumel brünstiger Lust erfasste. Er bedeckte Nacken, Busen des holden Wesens, das sich fest an seine Brust geschmiegt hatte, mit glühenden Küssen, indem er halb sinnlos fortrannte durch die Straßen. Endlich war es ihm, als erwache er mit einem Ruck aus dem Traum; er befand sich dicht vor einer Haustüre und aufschauend erkannte er sein Haus auf dem Rossmarkt. Nun erst fiel ihm ein, dass er die Dame ja gar nicht nach ihrer Wohnung gefragt, mit Gewalt nahm er sich zusammen und fragte: »Fräulein! – himmlisches göttliches Wesen, wo wohnen Sie?« »Ei«, erwiderte die Dame, indem sie das Köpfchen emporstreckte, »ei lieber Peregrin, hier, hier in diesem Hause, ich bin ja deine Aline, ich wohne ja bei dir! Lass nur schnell das Haus öffnen.«

»Nein! nimmermehr«, schrie Peregrinus entsetzt, indem er die Dame hinabsinken ließ. »Wie«, rief diese, »wie, Peregrin, du willst mich verstoßen und kennst doch mein fürchterliches Verhängnis und weißt doch, dass ich Kind des Unglücks kein Obdach habe, dass ich elendiglich hier umkommen muss, wenn du mich nicht aufnimmst bei dir wie sonst! – Doch du willst vielleicht, dass ich sterbe – so geschehe es denn! – Trage mich wenigstens an den Springbrunnen, damit man meine Leiche nicht vor deinem Hause finde – ha – jene steinernen Delphine haben vielleicht mehr [34]Erbarmen als du. – Weh mir – weh mir – die Kälte.« – Die Dame sank ohnmächtig nieder, da fasste Herzensangst und Verzweiflung wie eine Eiszange Peregrins Brust und quetschte sie zusammen. Wild schrie er: »Mag es nun werden wie es will, ich kann nicht anders!« hob die Leblose auf, nahm sie in seine Arme und zog stark an der Glocke. Schnell rannte Peregrin bei dem Hausknecht vorüber, der die Türe geöffnet, und rief schon auf der Treppe, statt dass er sonst erst oben ganz leise anzupochen pflegte: »Aline – Aline – Licht, Licht!« und zwar so laut, dass der ganze weite Flur widerhallte.

»Wie? – was? – was ist das? – was soll das heißen?« So sprach die alte Aline, indem sie die Augen weit aufriss, als Peregrinus die ohnmächtige Dame aus dem Mantel loswickelte und mit zärtlicher Sorgfalt auf den Sofa legte.

»Geschwind«, rief er dann, »geschwind, Aline, Feuer in den Kamin – die Wunderessenz her – Tee – Punsch! – Betten herbei!«

Aline rührte sich aber nicht von der Stelle, sondern blieb, die Dame anstarrend, bei ihrem: Wie? was? was ist das? was soll das heißen?

Da sprach Peregrinus von einer Gräfin, vielleicht gar Prinzessin, die er bei dem Buchbinder Lämmerhirt angetroffen, die auf der Straße ohnmächtig geworden, die er nach Hause tragen müssen, und schrie dann, als Aline noch immer unbeweglich blieb, indem er mit dem Fuße stampfte: »Ins Teufels Namen, Feuer sag ich, Tee – Wunderessenz!«

Da flimmerte es aber wie lauter Katzengold in den Augen des alten Weibes, und es war, als leuchte die Nase höher auf in phosphorischem Glanz. Sie holte die große schwarze Dose hervor, schlug auf den Deckel, dass es schallte, und [35]nahm eine mächtige Prise. Dann stemmte sie beide Arme in die Seite und sprach mit höhnischem Ton: »Ei seht doch, eine Gräfin, eine Prinzessin! die findet man beim armen Buchbinder in der Kalbächer Gasse, die wird ohnmächtig auf der Straße! Ho ho, ich weiß wohl, wo man solche geputzte Dämchen zur Nachtzeit herholt! – Das sind mir schöne Streiche, das ist mir eine saubere Aufführung! – Eine lockere Dirne ins ehrliche Haus bringen und, damit das Maß der Sünden noch voll werde, den Teufel anrufen in der Heiligen Christnacht. – Und da soll ich auf meine alten Tage noch die Hand dazu bieten? Nein, mein Herr Tyß, da suchen Sie sich eine andere; mit mir ist es nichts, morgen verlass ich den Dienst.«

Und damit ging die Alte hinaus und schlug die Türe so heftig hinter sich zu, dass alles klapperte und klirrte.

Peregrinus rang die Hände vor Angst und Verzweiflung, keine Spur des Lebens zeigte sich bei der Dame. Doch in dem Augenblick, als Peregrinus in der entsetzlichen Not eine Flasche Kölnisches Wasser gefunden und die Schläfe der Dame geschickt damit einreiben wollte, sprang sie ganz frisch und munter von dem Sofa auf und rief: »Endlich – endlich sind wir allein! Endlich, ο mein Peregrinus, darf ich es Ihnen sagen, warum ich Sie verfolgte bis in die Wohnung des Buchbinders Lämmerhirt, warum ich Sie nicht lassen konnte in der heutigen Nacht. – Peregrinus! geben Sie mir den Gefangenen heraus, den Sie verschlossen haben bei sich im Zimmer. Ich weiß, dass Sie dazu keinesweges verpflichtet sind, dass das nur von Ihrer Gutmütigkeit abhängt, aber ebenso kenne ich auch Ihr gutes treues Herz, darum, ο mein guter liebster Peregrin! geben Sie ihn heraus, den Gefangenen!« –

[36]»Was«, fragte Peregrinus im tiefsten Staunen, »was für einen Gefangenen? – wer sollte bei mir gefangen sein?«

»Ja«, sprach die Dame weiter, indem sie Peregrins Hand ergriff und zärtlich an ihre Brust drückte, »ja, ich muss es bekennen, nur ein großes edles Gemüt gibt Vorteile auf, die ein günstiges Geschick ihm zuführte, und wahr ist es, dass Sie auf manches verzichten, was zu erlangen Ihnen leicht geworden sein würde, wenn Sie den Gefangenen nicht herausgegeben hätten – aber! – bedenken Sie, Peregrin, dass Alinens ganzes Schicksal, ganzes Leben abhängt von dem Besitz dieses Gefangenen, dass –«

»Wollen Sie«, unterbrach Peregrinus die Dame, »wollen Sie nicht, englisches Fräulein! dass ich alles für einen Fiebertraum halten, dass ich vielleicht selbst auf der Stelle überschnappen soll, so sagen Sie mir nur, von wem Sie reden, von was für einem Gefangenen.« –

»Wie«, erwiderte die Dame, »Peregrin, ich verstehe Sie nicht, wollen Sie vielleicht gar leugnen, dass er wirklich in Ihre Gefangenschaft geriet? – War ich denn nicht dabei, als er, da Sie die Jagd kauften –«

»Wer«, schrie Peregrin ganz außer sich, »wer ist der Er? – Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Sie, mein Fräulein, wer sind Sie, wer ist der Er

Da fiel aber die Dame ganz aufgelöst in Schmerz dem Peregrin zu Füßen und rief, indem ihr die Tränen reichlich aus den Augen strömten: »Peregrin, sei menschlich, sei barmherzig, gib ihn mir wieder! – gib ihn mir wieder!« Und dazwischen schrie Herr Peregrinus: »Ich werde wahnsinnig – ich werde toll!« –

Plötzlich raffte sich die Dame auf. Sie erschien viel größer als vorher, ihre Augen sprühten Feuer, ihre Lippen [37]bebten, sie rief mit wilder Gebärde: »Ha Barbar! – in dir wohnt kein menschliches Herz – du bist unerbittlich – du willst meinen Tod, mein Verderben – du gibst ihn mir nicht wieder! – Nein – nimmer – nimmer – ha ich Unglückselige – verloren – verloren.« – Und damit stürzte die Dame zum Zimmer hinaus, und Peregrin vernahm, wie sie die Treppe hinablief und ihr kreischender Jammer das ganze Haus erfüllte, bis unten eine Türe heftig zugeschlagen wurde.

Dann war alles totenstill wie im Grabe. –