Free

Die Mumie von Rotterdam

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Der Professor wußte nicht, wie er sich bei dieser seltsamen Verwechslung benehmen sollte. Er stand noch immer mit tief gebeugtem Haupte, so daß dem Herrn van Vlieten sein Angesicht verborgen war. Während er darüber nachsann, wie er der Sache eine andere Wendung geben könne, ohne den Handelsherrn zu sehr zu alteriren und die tödliche Catastrophe zu beschleunigen, theilten sich flüsternd die beiden Studenten ihre Bemerkungen über das Gehörte mit, aus dem sie erkannten, daß der Anblick der schönen Clelia ihnen für diesesmal entzogen bleiben würde. Das Abentheuerliche ihres Verschwindens erregte die ganze Theilnahme der jungen Leute. Die Entführung eines Mädchens war in ihren Augen eine Heldenthat, der sie nur eine vorziehen konnten, nämlich die, dem Entführer die Entführte wieder abzujagen. Sie brannten vor Begierde, Näheres zu erfahren, sie waren im Drange der Erwartung dicht hinter den Professor getreten! Dieser hatte indessen einen Plan gemacht, von dem er sich für seine wissenschaftliche Herzensangelegenheit den günstigsten Erfolg versprach. Eben wollte er sich demaskiren, eben wollte er die nöthigen Einleitungen zu seinem Vorschlage, bei dessen Verwirklichung er viel auf den Unternehmungsgeist seiner zwei jungen Freunde rechnete, anspinnen, als sich plötzlich die Szene veränderte und aus dem bisherigen Frieden in einen tumultuarischen Zustand überging.

Es trappelte auf der Treppe, es stürmte herauf in wilder Eile und mit verwirrtem Getöse. Mehrere Stimmen wurden laut, aber man konnte nicht unterscheiden, was sie sprachen. Der Professor und die Studenten traten zur Seite, Tobias schritt bebend vor.

»Sie bringen meine Clötje,« stammelte er kaum vernehmlich. »Man hat sie gefunden, man führt sie her: sie und Philippintje und den schändlichen Jungfrauenräuber!«

Aller Blicke waren nach dem Eingange gerichtet; aber nicht die reizende Clelia, nicht die ehrbare Philippintje, nicht Junker Cornelius, der kecke Kriegsmann, traten herein, sondern vielmehr Herr van Daalen selbst, von einem ganzen Häuflein Polizeitrabanten begleitet, und in heftiger zorniger Bewegung. Das fette Antlitz des kleinen Mannes wetteiferte mit dem hagern des Herrn Tobias in dunkelglühender Röthe, die gläsernen Augen funkelten mächtig und das spanische Rohr war hoch in der Rechten erhoben, wie zum Angriffe und Ausschlagen.

»Gebt mir meinen Cornelius heraus;« brüllte er mit Löwenstimme, »schafft ihn sogleich herbei, Ihr Menschendieb und Seelenkooper, oder man wird Euch peinlich befragen, was Ihr mit dem edeln Jungen angefangen habt?«

Einige Polizeitrabanten hatten sogleich den Eingang besetzt, andere näherten sich dem Götzenbilde und umzingelten dieses. Herr van Vlieten starrte einige Augenblicke lang den frechen Eindringling und seine Begleiter in verstummendem Erstaunen an. Dann brach er los:

»Ist denn der Bösewicht nicht durchgegangen in dieser Nacht mit meiner Clötje und hat noch die tugendbelobte Philippintje als Dreingabe mitgenommen, wer weiß wohin? Und seyd Ihr nicht der Hehler dieses Verbrechens, das zu gelinde noch mit einfacher Säckung bestraft werden wird?«

Da erschallte aus dem Munde des Herrn van Daalen, der jetzt den Zusammenhang des Ganzen einzusehn begann, ein unauslöschliches Gelächter. Er winkte die Polizeimänner zu sich heran, er ließ den Stock sinken, er nahm den Hut ab, den er bisher aufbehalten hatte.

»Nun wenn es so ist, so ist Alles gut!« sagte er in einem Tone, den das fortdauernde Lachen zu ersticken drohete. »Auf und davon also sind die Kinder, der tolle Cornelius und Euer liebliches Clötje? Lasset keine Sorge in Euerm Gemüthe erwachen deshalb: er thut ihr nichts zu Leid und der ehrbaren Jungfrau Philippintje ebenso wenig, wenn ich ihn recht kenne. Aber, Herzensfreund, nun sind ja plötzlich alle Differenzen verschwunden! Was wir Jahrelang in süßer Hoffnung auf unsere Kinder verhandelt, ist mit einemmale geschlichtet: sie sind ein Paar geworden und es kommt auf die zweimalhunderttausend Dukaten mehr oder weniger nicht an. Gebt mir die Hand und laßt uns treu zusammenhalten als freundliche Schwäher!«

Zitternd und mit einer gewaltsamen Bewegung stieß Herr van Vlieten die dargebotene Rechte des Herrn Jan zurück.

»Nimmermehr!« rief er aus. »Ihr meint, Ihr habet mich gefangen und geprellt und ich müsse nun des Schimpfs halber meine Einwilligung geben zum schmählichen Ehebündniß! Aber, prosit! Noch gibt es Gesetze gegen Jungfrauenraub und Betrug. Die ungehorsame Tochter werde ich zu bestrafen wissen und auch Euch, den Mitwisser des schändlichen Frevels, den Handlanger des verruchten Sohnes, wird das Gericht ereilen.«

»Pah!« erwiederte ruhig der Bedrohete, indem er seinen Hut wieder aufsetzte. »Ich weiß von der ganzen Sache weiter nichts, als daß mein Cornelius gestern Abend bei Euerer Clötje war zum Stelldichein und daß er dort im Schiwa steckte, als der alberne Hoontschoten seinen Unglücksbericht brachte. Ihr hättet das ebenso gut sehen können wie ich, wenn Euch nicht die abergläubische Furcht verblendet gehalten oder wenn Ihr den Muth gehabt hättet, die Augen aufzuschlagen. Hat nicht das Götzenbild ein Paar fenstergroße Glasaugen und flackerte nicht hinter diesen der orangefarbene Kragen von meines Sohnes Kriegsrocke immer hin und her, so daß man bei der hellen Beleuchtung, die Nähte daran erkennen konnte? Und dann Euerer Tochter Verlegenheit bei unserem Eintritte? Bei dem Degen des Herzogs von Marlborough! wie mein Cornelius zu sagen pflegt, es war keine Kunst, die Sache zu entdecken, aber daß der tolle Bursche einen so klugen Streich machen würde, hätte ich ihm nimmer zugetraut. Ergebt Euch drein, Myn Heer van Vlieten! Denkt, daß es einmal so ist, und nicht anders. Sucht Euere Seele zum Frieden geneigt zu machen. Nachmittags komme ich wieder vor und hoffe dann das Geschäft in aller Eintracht mit Euch abzuschließen.«

Nach diesen Worten entfernte er sich, und die Polizeitrabanten, deren Anführer er Einiges zuflüsterte, folgten ihm auf dem Fuße. Herr Tobias war nicht im Stande, ihm noch vor seinem Abgange eine Antwort zu geben, denn die immer mehr im Innern aufkochende Wuth erstickte seine Stimme. Er mußte sich auf einen Stuhl stützen, der in seiner Nähe stand. Erst als sein Gegner schon die Hausthüre hinter sich haben mochte, erholte er sich einigermaßen und gewann die Sprache wieder. Rasch wendete er sich gegen den Professor, den er noch immer für den Bürgermeister hielt und sagte:

»Ihr habt es vernommen, hochmögender Heer! Er selbst hat gestanden, daß er mit im Complott war – «

Da sah Tobias plötzlich in das Antlitz Hazenbrooks, der sich in diesem Augenblicke lang aufrichtete, da erkannte er den gefürchteten Mumien-Professor, da erstarb ihm das Wort auf der Zunge. Aber Eobanus grinsete ihn freundlich an, haschte nach seiner Hand und sprach:

»Pax vobiscum! Wir kommen im Frieden und nicht zum Streite. Die Lage der Dinge hat sich wunderbarlich verändert und wir könnten uns wohl zu einem Vergleiche vereinigen, der beiden Partheien, der illustern Lugdunenser Musenstadt und dem wohlmögenden Handelspatron, Herrn Tobias van Vlieten, zum Nutzen und Frommen gereichte. Ihr sehnt Euch nach einem Töchterlein, wir sehnen uns nach einer Mumie. Euch ist das Töchterlein verloren gegangen; denselben Possen hat uns schon manche Egyptierin aus meiner Fabrik gespielt. Gleiches Leid, gleiche Wünsche! Erinnert Euch ohne Groll meines Vorschlags vom gestrigen Abende. Jetzt kann ich Euch einen Tausch bieten. Wir haben viele Bekanntschaften, weitläufige Verbindungen, allenthalben unsere Commissionare und Agenten. Wir verschaffen Euch das Töchterlein wieder, Ihr dagegen testiret Eueren schätzbaren Körper, nachdem solchem das innenwohnende Leben entflohen, mir zur eigenmächtigen Verfügung. Bedenket, edler Myn Heer, daß der Vortheil ganz auf Euerer Seite ist. Eine reizende, blühende Jungfrau, voll Geist und Leben, im Schmucke der Jugend, ein Wesen, in dessen Adern Euer eigenes Blut rinnt – und was ist der Preis dieses Meisterstückes der Schöpfung, das jeder fühlenden Seele wünschenswerth erscheinen muß? Ein Gegenstand, der aus den Wohnungen der Menschen mit Abscheu hinweggewiesen wird, ein leeres Gefäß, dem der geistige Gehalt entflohen, ein Ding, das den Würmern zur Speise dient, wenn es eigensinnig die Wissenschaft zurückweis’t, die es auf den Thron der Pharaonen erheben will. O Myn Heer, wie könnt Ihr nur zaudern, wie könnt Ihr den glücklichen Moment Euch entgehen lassen? Eheu fugaces – «

Aber schon hatte die Beredsamkeit Hazenbrooks, von dem Drange der Umstände unterstützt, gesiegt.

»Es sey!« sagte der Handelsherr mit entschlossener Stimme. »Ich wage mich dran, um mein Clötje wieder zu haben, um den schändlichen Cornelius seines Frevels überführen zu können, damit ihm die wohlverdiente Säckung werde im Armensünder-Canale und dem alten Bösewicht obendrein, der ihn im Schiwa gesehen, ohne mir’s zu offenbaren. – Kommt her, Myn Heer Professor, wir wollen es schriftlich miteinander machen und die Scheine austauschen, wie es sich unter rechtlichen Geschäftsmännern geziemt!«

Nichts konnte dem Professor erwünschter seyn, als diese Aufforderung. Auf dem Fußgestelle des Götzenbildes befand sich Papier und Schreibzeug. Nach wenigen Augenblicken hatte Eobanus die Contracte aufgesetzt, sie wurden unterzeichnet und ausgewechselt.

Hazenbrook betrachtete seinen künftigen Egyptier mit Blicken der Freude und Liebe. Es fiel ihm schwer, sich von dem Gegenstande seiner Hoffnungen zu trennen, aber er mußte sich dem Gebote der Nothwendigkeit unterwerfen.

»Lebt wohl, theuerer Myn Heer!« sagte er, indem er van Vlietens Hand nahm und unbemerkt den Schlag des Pulses untersuchte. »Seyd heiter und guter Dinge! Lasset Euch nichts abgehn an leiblicher Ergötzlichkeit. Ihr habt eine gute Natur, die schon ein Gläschen Canariensect mehr vertragen kann, wie eine andere. Ich wünsche Euch Methusalems Alter, denn Gott behüte! daß ich selbst um der heiligen Wissenschaft Willen eines Menschen Tod ersehnen möchte. Solltet Ihr aber dennoch wider Verhoffen in eine schwere Krankheit verfallen, so bitte ich, mich sogleich davon zu benachrichtigen. Jetzt geht’s der Tochter nach! Finden wir sie, so wird sie Euch und Ihr werdet mir; finden wir sie nicht, so haben wir alle beide nichts. Cura ut valeas, amice dilectissime!«

 

Er ließ ihn los, er wandte sich zur Thüre. Ehe er aber diese erreichte, kam er, von einem glücklichen Gedanken ergriffen, noch einmal zurück.

»Noch Eins, Amice!« sagte er. »Zwei oder drei Zeilen an die Tochter, streng, ermahnend, väterlich! Ein Beglaubigungsschreiben für mich oder meine Commissarii!«

Der Alte sah sogleich ein, daß dieses Verlangen nicht anders, als billig und vernünftig sey. Er schrieb und übergab dem Professor den Zettel, in welchem er der Tochter mit Fluch und Enterbung drohete, wenn sie nicht sogleich zurückkehre in das väterliche Haus.

Kaum hatte Hazenbrook das Papier in Händen, so verließ er in großer Eile das Gemach, in dem Herr Tobias, von Zorn und Betrübniß erfüllt, zurück blieb. La Paix und Le Vaillant folgten dem Professor, während sie über diese Wendung der Angelegenheit, die sie zu Rittern und Beschützern der schönen Clelia zu bestimmen schien, einander ihre Freude und ihre vorläufig gefaßten Vorsätze mittheilten.

»Kinder!« sagte der Professor, als er mit ihnen unter den Bäumen am Canal hinstürmte, und jetzt eine der schönen, weißbemalten Zugbrücken überschritt: »wir müssen uns trennen. Ihr müßt der Jungfrau Clötje, oder wie sie sonst heißt, nachsetzen, sie schleunig inhaftiren und zur Stelle bringen. Der Alte macht es nicht lange mehr. Sein Puls trommelt zum Abmarsche und ich muß das Frauenbild beibringen, ehe er abfährt. Im Nothfall aber habe ich auch dafür Rath, doch darf ich nicht weichen noch wanken vom Platze und muß ihn bewachen mit Argusaugen. Ihr aber müßt seyn, wie die heilige Isis, als sie den verlorenen Gatten Osiris suchte; klug, wachsam, forschend und muthig. Gehet hin, Kindlein, Ihr Stützen der Wissenschaft! Wohl sollet Ihr die Musen lieben und ihnen dienen, aber hütet Euch, alle Weiber für Musen anzusehen. Da ist das Creditiv von Myn Heer van Vlieten! Geld tragt Ihr hinlänglich im Sack, denn Ihr habt erst gestern die Quartalwechsel erhoben. Fort, Söhne! Erobert Troja und bringt die Prinzessin Helena nach Griechenland zurück!«

»Sandis!« erwiederte Le Vaillant, indem er auf seinen langen Raufdegen schlug. »Das soll ein Seelengaudium seyn für unser einen und den Sire Cornelius wollen wir schon coramiren.«

»Alles in Höflichkeit und Frieden,« fügte La Paix sanft hinzu, »aber wir bringen Euch das Mädchen oder Ihr sollt uns nicht für würdig halten, dereinst den Doctorhut der Weltweisheit zu tragen, die ja auch mit der Weltklugheit nahe verwandt ist.«

Die Jünglinge flogen dem Haven zu. Hazenbrook eilte in den Gasthof zum Wappen von Rotterdam zurück, verließ ihn aber, in einen weiten Mantel verhüllt, nach kurzer Zeit wieder, um still und verborgen eine neue Wohnung in einer kleinen Matrosenherberge zu beziehen, die dem Hause des Herrn van Vlieten in schräger Richtung gegenüber lag.

5

Es war ein sehr heiterer Herbstmorgen, an welchem die zierliche Syrene, Capitän Jansen, die Maas hinauffuhr. Der Wind wehete so günstig, daß die aufgesetzten Segel schon hinreichten, das leichte Fahrzeug, selbst den Wellen entgegen, rasch fortzubringen und deshalb der gewöhnliche Vorspann von Pferden entbehrt werden konnte. Die Barke selbst bot jedem, der solchen Dingen gern seine Aufmerksamkeit schenkt, besonders den Seemännern und Schiffbauleuten, einen sehr erfreulichen Anblick. Ihre Seitenwände von starkem Eichenholze waren lichtbraun lakirt und von den sorglichen Matrosen in einer Sauberkeit erhalten, die ihnen den Glanz eines Spiegels gab. An dem weißen, mit einer Malerei von grünem Laube gezierten Vordertheile, prangte in kunstvoller Bildhauerarbeit die Syrene, von der das Fahrzeug den Namen hatte, und sie glich so einem weiblichen Wesen, das eben im Begriff ist, mit dem Oberleib aus einem grünenden Gesträuche sich emporzurichten. Die niedlichen Fenster der Cajüten waren mit grünseidenen Vorhängen geziert. Der schlanke Mast warf in seiner glänzenden Politur die Strahlen der Morgensonne tausendfältig zurück, und auf den frisch gebleichten Segeln war kein Fleckchen zu sehen. Auch für die Sicherheit des Fahrzeuges, die in diesen kriegerischen Zeiten leicht gefährdet werden konnte, war gesorgt, denn auf dem Verdecke standen mehrere nicht unansehnliche Böller und in einigen offenstehenden Kisten waren Schießgewehre und Säbel aufgeschichtet.

Schon vor einigen Stunden hatte das Schiff die Anker gelichtet, und noch immer war dem jungen van Daalen, der die bald nach ihm und Clelien eintreffende Philippintje bei dem ohnmächtigen Mädchen zur Pflege zurückgelassen, keine Nachricht von dem Zustande der Letzteren geworden. Er selbst war mehreremale hinabgeschlichen, um sich Kunde zu verschaffen, aber er hatte die Thüre der Cajüte von Innen verschlossen gefunden. Er hatte gelauscht, aber nichts vernommen. Er hatte leise Philippintje bei Namen gerufen; Alles war still und stumm geblieben. Er stand jetzt auf dem Vordertheile des Schiffes, lehnte sich nachlässig an das Geländer und hatte den Arm um den schlanken Leib der Syrene geschlungen. Aber nicht lange blieb er in dieser Stellung. Die Unruhe seines Innern trieb ihn fort. Er war besorgt um die Geliebte, dann regte sich auch wohl von Zeit zu Zeit in ihm das böse Gewissen, mehr aber bei seinem Leichtsinne die Furcht, wie Clelia das Geschehene aufnehmen werde, wenn sie erst wieder zur völligen Besonnenheit gekommen sey. Hätte er nur Philippintje sprechen können! Sie besaß einen großen Einfluß auf das Mädchen, und mit ihrer Hülfe durft er hoffen, dem drohend heranziehenden Unwetter eher zu entgehen.

Er war, solchen beunruhigenden Gedanken hingegeben, bis zu der Schiffsöffnung fortgeschritten, durch die er jetzt in das Innere der Küche blicken konnte, in der seines Freundes Jansen junge Frau mit Zubereitung der Mittagsmahlzeit beschäftigt war. Der Glanz des Feuers röthete das runde Angesicht der artigen Frau auf eine anmuthige Weise, ihre ganze füllereiche Gestalt, so wie alle Gegenstände in der kleinen, höchst reinlichen Küche zeigten sich in einer so zauberischen Beleuchtung, daß Cornelius einige Augenblicke lang versucht war zu glauben, er sehe eins jener Gemälde von Schalkens vor sich, die sich durch eine unübertreffliche Anwendung des Helldunkels auszeichnen. Bald aber wurde er durch die Stimme der heraufblickenden jungen Frau, die ihn bemerkte, in diesem Wahne gestört.

»Ei, Junker,« sagte sie lachend, »wo habt Ihr denn die Topfguckerei gelernt? Waret Ihr etwa, da Ihr im Felde standet gegen die Franzosen, mehr bei den Kasserollen und den Bratspießen beschäftigt, als bei den Kanonen und dem Blutvergießen, mehr bei den Feldhühnern als bei den Feldstücken, mehr beim Trinken und Kauen, als beim Stoßen und Hauen – «

Frau Jansens Zünglein war im guten Zuge; Cornelius aber unterbrach den Strom ihrer Beredsamkeit, indem er mit kläglicher Stimme einfiel:

»Ach, Frau Beckje,« – so wurde die junge Frau gewöhnlich statt Rebekka genannt – »ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt! Ein andermal stehe ich Eueren Angriffen gern zu Dienst mit billiger Erwiederung. Sagt mir lieber, wie es meinem Schwesterlein geht? Ich hör’ und sehe nichts von ihr und habe sie doch in einem gar beunruhigenden Zustande verlassen.«

»Thut der Mensch doch um das Schwesterlein, als wenn es ein Bräutlein wäre!« versetzte etwas schnippisch die Capitänsfrau. »Unterbricht mich da in meiner besten Rede, aus der er ohnehin, wenn er nicht seinen ganzen Verstand in meine Kochtöpfe versenkt hat, schon abnehmen muß, daß Alles rein und gut steht auf der Syrene, daß kein Kranker an Bord ist und über dem Fahrzeuge das Fähnlein der Gesundheit lustig flattert und flaggt! Ihr seyd mir ein rechter Kriegsheld, bei dem die Courage theuere Waare wird, wenn er ein Frauenbild in Ohnmacht fallen sieht! Da müßt Ihr Euch an ganz andere Dinge gewöhnen, wenn Ihr einmal heirathet.«

»Die Schwäche ist also vorüber und sie befindet sich wohl?« fragte hastig Cornelius. »Sie ist wieder bei Besinnung und hat wohl schon nach mir gefragt?«

»Keins von Beiden!« antwortete Frau Jansen, indem sie sich bückte und das Feuer anblies. Der junge Mann wurde von heftiger Ungeduld ergriffen, aber er mußte warten, bis das dringende Geschäft gethan war und die sorgsame Schiffsherrin fortfuhr. »Aus der Ohnmacht ist ein gesunder Schlaf geworden und die Jungfrau liegt auf dem Ruhebette mit zwei rothen Bäcklein, so frisch und gesund, wie Granatäpfel. Sie athmet sanft und leicht und Alles zeigt an, daß sie bald neu belebt und gestärkt an Leib und Seele erwachen wird!«

»Nassau und Oranien!« sagte der junge Mann leise zu sich selbst. »Wie wird’s mir dann ergehen, wenn sie wieder bei lichten Sinnen ist und mit ihrem verzweifelten Nachdenken mein ganzes schönes Luftgebäude von Autodafé und Klosterzwang über den Haufen stößt? Ade, fein’s Liebchen, Ade, wird’s heißen, wie im deutschen Liede, aber man wird mir kein goldenes Ringlein schenken auf den Weg, sondern manches Scheltwort auf den Rücken. Frau Beckje,« wandte er sich entschlossen zu der Capitänsfrau, »ich muß Philippintje sprechen, ehe meine Schwester erwacht. Sucht es einzurichten, wie Ihr wollt, aber verschafft mir einige Augenblicke ungestörter Unterredung mit der Alten! Mein Glück hängt davon ab, und Ihr als meine Freundin werdet mir nicht entgegen seyn in einer wichtigen Sache!«

»Hört, junger Herr!« sagte die Frau und erhob drohend den Zeigefinger der rechten Hand. »Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß es mit der Schwesterschaft nicht ganz richtig ist und daß allerlei Kriegslisten dahinter stecken. Bei Nacht und Nebel braucht man keine Schwester an Bord zu bringen; das kann bei hellem Tage geschehen. Aber ich weiß recht wohl, daß Jugend nicht Tugend hat und Ihr am allerwenigsten. Ich drücke ein Auge zu, allein das andere bleibt desto weiter offen und siehet um so schärfer darauf, daß Alles in Ehren zugeht auf der Syrene. Das laßt Euch gesagt seyn ein für allemal. Ihr seyd ein guter Freund zu meinem Manne, aber Recht geht über Freundschaft. Sonst diene ich Euch gern, und da bei der verlangten Zusammenkunft mit der holdseligen Philippintje,« fügte sie lachend hinzu, »hoffentlich nur die tugendhaftesten Absichten zum Grunde liegen, so will ich Euch das Kind heraufschicken. Ihr müßt aber, während ich sie rufe, meinen Platz am Heerde einnehmen, das Backobst fleißig umschütteln, daß es nicht anbrennt, und das Feuer unter dem Pökelfleisch unterhalten. Kommt herab, daß ich sehe, wie Euch der Küchenschürz ansteht!«

Cornelius ging gern auf einen Scherz ein, der für seine mißliche und verwickelte Angelegenheit eine günstige Wendung herbeiführen konnte. Mit einem kühnen Sprunge war er unten bei Frau Beckje. Das muntere Weibchen band ihm lachend und schäkernd eine blendend weiße Schürze vor, gab ihm den Kochlöffel in die Hand und sagte:

»Da habt ihr Eueren Commandostab! Haltet Ihr gute Ordnung in meinem Feldlager, so werde ich’s zu rühmen wissen, denn das zeigt von guter Anlage zum Ehemanne und Hausvater. Zerfällt mir aber das Fleisch, wird das Backobst schwarz und rauchig, so müßt Ihr eben ein Junggeselle bleiben Euer Lebelang, denn es fehlt Euch an der nothwendigsten Sache für den Hausstand, an der lieben Ordnung.«

Beckje legte rasch ihr Küchencostüm ab und sprang die kleine Treppe hinauf, um sich nach der Cajüte zu begeben, in der Clelia mit Philippintje eingeschlossen war. Indessen wachte der gewesene Kriegshauptmann Cornelius so aufmerksam und sorgfältig bei den Kochtöpfen, wie er früher als Soldat auf nächtlichen Posten dem Feinde gegenüber gewacht hatte. Er hielt den Kochlöffel mit militärischem Anstande in der Rechten, als wäre es der Degen, mit dem er eben das Zeichen zum Angriffe geben wolle. Sein Auge beobachtete mit ängstlicher Aufmerksamkeit die Flamme, als aber die Fleischbrühe plötzlich überkochte und zischend in die Gluth floß, so daß diese zu verlöschen drohete, da wußte er weder Rath noch Hülfe, sondern brach in den Schreckensruf: »Frau Beckje, Frau Beckje!« aus. Wer aber nicht hörte, war Frau Beckje.

 

»Potz Raa und Backbord!« ließ sich dagegen Capitän Jansens Stimme von oben herab vernehmen. »Was fällt dir ein, Cornelius, daß du meine Frau vorstellen willst am Heerde und die Suppe ins Feuer anrichtest, statt auf den Tisch? Du solltest dich nur sehen und das arme Sündergesicht, das du schneidest in diesem Augenblicke und du müßtest laut auflachen über dich selbst! Komm herauf! Der Schiffsjunge mag so lange die Töpfe hüten, bis Beckje wiederkommt. Der versteht das Ding besser, als du.«

Der muntere Knabe, der auf des Capitäns Wink herbei sprang, war auch gleich unten und hatte rasch und umsichtig das von Cornelius angestiftete Unglück bald wieder gut gemacht. Dieser warf ihm ein Paar Stüber zu und erschien nun mit einem verdrießlichen Gesichte auf dem Verdeck. Das Lachen, in welches Capitän Jansen, gleich nachdem er jene Worte gesprochen, ausgebrochen war, wurde jetzt lautschallend und unmäßig. Er deutete auf Cornelius Antlitz, er wies auf den Küchenschürz, den dieser noch nicht abgelegt hatte. Den Schürz schleuderte der junge Mann ärgerlich hinweg, als ihm aber sein Freund erklärte: Die Kochtöpfe hätten schwarze Spuren seiner Vertraulichkeit mit ihnen auf Nase und Wange zurückgelassen und diese gäben ihm ein so furchtbar komisches Ansehen, daß keiner, der ihn sähe, sich des Lachens erwehren könne, trat er kaltblütig an das Wasserbecken und sagte, indem er sich reinigte, mit großer Ruhe:

»Das kommt nicht von den Kochtöpfen, lieber Jansen! Das kommt von Deiner lieben Frau, die mich herzend und küssend empfangen, als ich ihr Besuch abstattete im unterirdischen Reich.«

»Da müßte sie einen schlechten Geschmack haben!« erwiederte selbstgefällig der Capitän, und dehnte die mächtigen Glieder seiner riesigen Gestalt. Er war um Kopfshöhe größer, als der Junker van Daalen, und sah in diesem Augenblicke auf ihn herab, wie auf ein Kind. Bei seiner Größe gab ihm die fleischige Fülle seines Körpers ein wahrhaft herkulisches Ansehen. Sein wohlgebildetes Antlitz trug den Ausdruck der Offenheit, der frohen Laune und einer kräftigen Derbheit. Seine Bewegungen waren langsam und nachlässig, wie man sie oft bei sehr starken Menschen findet, denen sich in Unternehmungen, welche Körperkraft erheischen, selten anreizende und zu rascher Thätigkeit auffordernde Hindernisse in den Weg stellen. »Was sollte sie mit einem Knäbchen anfangen, wie du bist? Sie ist einmal geboren eines Schiffcapitäns Frau zu seyn und du magst wohl zur Noth mit dem Messer, das du an der Seite trägst, handthieren können, wenn es aber darauf ankommt, ein Schiff lufwärts oder leewärts zu halten, das Raasegel aufzuhißen, den Anker zur rechten Zeit schießen zu lassen und die tollen Jungen, die beim Sturm in den Tauen herumtanzen, wieder nach der Commandopfeife tanzen zu lassen, da bist du ein verlorener Mann, da hat dein Compaß die Richtung verloren, da steuerst du frisch auf die Sandbank los, bis du strandest und dein leckes Boot untergeht mit Mann und Maus. Dort blick hin aufs Backbord! Da steht eine in einer Takellage, die für dich paßt. Das ist ein Schätzlein für meinen Cornelius, das ihm auch so leicht keiner abspenstig macht.«

Bei diesen Worten ergriff er seinen jungen Freund bei den Schultern und drehete ihn rasch um, so daß Cornelius nun die Aussicht nach dem vordern Theile des Schiffes hatte. Da fielen seine Blicke sogleich auf Jungfrau Philippintje, die vor der Syrene stand und ihn mit heftigen Bewegungen zu sich heranwinkte. Er gönnte seinem Freunde kein weiteres Wort, er ließ ihn stehen und war in drei Sprüngen bei der Alten. Jansen schickte ihm ein schallendes Gelächter nach, er aber überhörte es und sprach mit ungemeiner Freundlichkeit zu der Jungfrau:

»Wie geht es Euerer schönen Schutzbefohlenen? Gewißlich recht gut, denn unter einer solchen mütterlichen Pflege kann die zarte Pflanze nur gedeihen und in frischer Gesundheit emporblühen!«

»Ja, mein hochwerther Junker,« versetzte Philippintje, die sich sehr geschmeichelt fühlte, »das muß wahr seyn, ich bin dem Mädchen immer gut gewesen, wie eine leibliche Mutter und ohne mich, die sie stets auf dem Wege zum wahren Christenthume gehalten, wäre sie nach dem Beispiele des sündigen Vaters, eine Heidin geworden und so eine Schiwa-Verehrerin, die ein Stück Holz für den lieben Herrgott ansieht. Aber da habe ich sie seit ihrem siebenten Jahre täglich zum Domine geführt in die Glaubenslehre, wenn der Patron in der Schreibstube oder den Gewölben sein Wesen trieb, da habe ich sie Abends bei mir im still heimlichen Kämmerlein wiederholen lassen, was sie in Sprüchen und biblischen Erzählungen bei dem Domine gelernt, und deshalb ist sie fromm und schön geworden, denn wer dem Herrn mit wahrhaftiger Liebe zugethan, den schmückt er auch mit lieblicher Gestalt und freundlichem Wesen. Alles, was sie ist, hat sie mir zu danken, die Clötje: das gute Gemüth und die Schönheit, und das lasse ich mir nicht bestreiten.«

»Wer wollte auch das thun?« fiel Cornelius ein, der Mühe hatte seine Ungeduld zu bewältigen. Die Lust an dem Weihrauche, den Philippintje sich selbst streuete, hatte sie ganz von der Beantwortung seiner Frage abgeführt. Er wiederholte sie jetzt dringender und fügte hinzu, er fürchte sehr für Clelias Gesundheit, der doch leicht der Schreck, wie die feuchte Nachtluft, nachtheilig gewesen seyn könne.

»Nichts von allen Dem!« entgegnete kopfschüttelnd die Hausjungfer. »Sie liegt im besten Schlafe von der Welt und ihre Wänglein blühen, wie die schönsten Tulipanen in Heern van Vlietens Blumengarten, wie der Duc van Doll, oder der Admiral Enkhuysen. Wer ein gutes Gewissen hat, dem kann der Böse nicht so leicht etwas anhaben in Weh und Krankheit! Ich freue mich nur darauf, wenn sie ausgeschlafen hat und sich nun frei sieht in der weiten Gotteswelt, der schrecklichen Gefahr, ihrem Glauben entsagen und eine Nonne werden zu müssen, entgangen.«

Herr Cornelius van Daalen konnte diese Freude nicht theilen. Vor seinen Geist trat in diesem Augenblicke Alles, was er bei Clelias Erwachen zu erwarten, was er von ihrer wiederkehrenden Besinnung und Erkenntniß zu fürchten hatte. Vorwürfe, einige Kälte und etwas Jammer nach dem Vater – auf diese Dinge war er gefaßt. Wenn aber Clelia ihm vielleicht ihre Liebe entziehn, wenn sie seine Unbesonnenheit so entsetzlich bestrafen wollte, ihn aus ihrem Angesichte zu verbannen, dann war das Aergste geschehen, dann blieb er ewiger Reue über ein Unternehmen hingegeben, das statt ihm die Geliebte zu sichern, sie ihm geraubt hatte. Philippintje näher mit sich zu verbinden, schien ihm durchaus nothwendig. Er nahm einen gehenkelten Doppeldukaten aus seinem wohlgefüllten Ledergürtel, hielt ihn zwischen zwei Fingern, so daß er lockend im Sonnenlichte erglänzte, und sagte im schmeichelhaftesten Tone, den er aufzubringen vermochte:

»Wir Beide sind vom Schicksale erkoren, über die Lebenspfade der lieben Clelia zu wachen. Wir müssen gleich seyn in Gesinnungen und Handlungen, aber auch sonst im Aeußeren vor den Leuten. Deshalb verlange ich es als eine Gunst von Euch, daß Ihr dieses Goldstück annehmet und in Antwerpen, wo Ihr dergleichen leicht haben könnt, Euch mit einem stattlichen Reiseanzug bekleidet. Nicht wahr, gute Philippintje, Ihr schlagt es mir nicht ab?«

»Behüte Gott!« antwortete Philippintje, indem sie mit großer Gelassenheit den Doppeldukaten annahm und rasch in ihren ansehnlichen Tragsack gleiten ließ. »Soll ich Clötje’s Mutter vorstellen und Clötje Euere Schwester, so seyd Ihr ja nichts anders, als mein leiblicher Sohn, und von dem kann ich dergleichen wohl annehmen. Es ist mir auch daran gelegen, daß ich vor der Muhme Jacobea nach Stand und Würden erscheine: das gibt Euch und der ganzen Sache ein Ansehn. Aber, junger Herr,« fuhr sie mit einem verschmitzten Blicke fort, »Ihr habt mir noch ein Räthsel zu lösen, das mir schon lange Nachdenken macht. Wie kamet Ihr denn in den Schiwa und überhaupt, durch welche Veranstaltung gelang es Euch, Eingang in das verschlossene Haus zu finden?«