Die Evolution der Seele und Natur

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Nun scheinen gerade hier die Ansprüche der physischen und vitalen Evolution und Vererbung als Grund und Ursache unseres ganzen mentalen und spirituellen Seins zu versagen. Gewiss hat es sich gezeigt, dass unser Körper und der größte Teil unserer Lebenstätigkeit weitgehend das Ergebnis von Vererbung sind, jedoch nicht so, dass sie eine unterstützende und möglicherweise wirklich vorherrschende psychische Ursache ausschlössen, die sich von einem Abstammungsbeitrag unterscheidet. Es wurde nachgewiesen, wenn man so will, dass unsere bewusste Vitalität und die davon abhängenden Teile des Mentals – etwas vom Temperament, etwas vom Charakter, bestimmte Impulse und Neigungen – weitgehend von der entwicklungsmäßigen Vererbung geformt – oder nur von ihr beeinflusst? – sind; jedoch nicht, dass sie gänzlich auf diese Kraft zurückzuführen wären, dass es keine Seele, keine spirituelle Wesenheit gäbe, die diese Instrumentierung akzeptiert und benutzt, ohne jedoch deren Erzeugnis oder ihr in ihrem Werden hilflos ausgeliefert zu sein. Noch mehr sind die höheren Teile unseres Mentals von spiritueller Unabhängigkeit geprägt. Es sind keine hilflosen Formationen entwicklungsmäßiger Vererbung. Dennoch stehen alle diese Dinge offensichtlich sehr stark unter dem Einfluss der Umwelt und deren Druck und Möglichkeiten. Und wenn wir wollen, können wir daraus einen einschränkenden Schluss ziehen; wir können sagen, dass sie eine Phase der Welt-Seele sind, ein Teil des Prozesses ihrer Entwicklung durch Auslese; die Gattung, nicht das Individuum, ist der kontinuierliche Faktor, und alle unsere nur scheinbar, nicht wirklich unabhängigen individuellen Anstrengungen und Errungenschaften hören mit dem Tod auf, mit Ausnahme des Anteils an unserem Gewinn, der von einem geheimen Willen oder einer bewussten Notwendigkeit im universalen Sein oder im fortdauernden Werden ausgewählt wurde, um in der Gattung weiterzubestehen.

Gelangen wir jedoch zu unseren höchsten spirituellen Elementen, finden wir, dass wir hier eine sehr klare und souveräne Unabhängigkeit erreichen. Wir können weit über jede Determinierung durch die Umwelt oder durch den Druck der Rassen-Seele hinaus unsere eigene Seelen-Evolution durch die beherrschende Kraft unserer spirituellen Natur weiterführen. Ganz abgesehen von irgendeinem Beweis eines Weiterlebens auf anderen Ebenen oder irgendeiner Erinnerung an vergangene Geburten ist dies Rechtfertigung genug dafür, dass wir jede Theorie des vergänglichen Einzelwesens und der alleinigen Wahrheit des evolutionären Universalen als unzureichend zurückweisen. Gewiss zeigt sich das Einzelwesen hierdurch nicht als von der All-Seele unabhängig; es mag vielleicht nur eine Form von ihr in der Zeit sein. Doch für unseren Zweck genügt es, dass es eine fortdauernde Seelen-Form ist, nicht begrenzt durch das Leben des Körpers und mit seinem Tod aufhörend, sondern unabhängig darüber hinaus fortdauernd. Denn wenn es so von der physischen Rassen-Kontinuität in der Zukunft unabhängig ist, wenn es sich so fähig zeigt, seine eigene künftige Seelen-Evolution in der Zeit zu bestimmen, muss es ein solches unabhängiges Dasein insgeheim durchgehend gehabt haben, und es muss in Wirklichkeit auch seine vergangene Seelen-Evolution in der Zeit bestimmt haben, obschon zweifellos ein anderer, indirekter Nachdruck darauf bestand. Möglicherweise kann es in der All-Seele nur während der universalen Kontinuität existieren, es mag aus ihr in jene aufgestiegen sein, es kann schließlich in sie übergehen. Oder es kann im Gegenteil in seiner eigenen Seelen-Evolution schon vor, oder besser gesagt, unabhängig von der universalen Kontinuität existieren und es gibt eine Art ewiges Individuum. Doch für die Theorie der Wiedergeburt genügt es, dass eine geheime Seelen-Kontinuität des Individuums vorhanden ist und nicht nur eine rohe Aufeinanderfolge von Körpern, die von der All-Seele mit einer ganz flüchtigen Illusion mentaler oder spiritueller Individualität erfüllt werden.

Es gibt Existenztheorien, die die individuelle Seele akzeptieren, jedoch nicht die Seelen-Evolution: zum Beispiel das eigentümliche Dogma einer Seele ohne Vergangenheit, aber mit einer Zukunft, durch die Geburt des Körpers erschaffen, doch unzerstörbar durch den Tod des Körpers. Doch dies ist eine gewaltsame und irrationale Annahme, eine unbewiesene Vorstellung ohne Wahrscheinlichkeit. Sie impliziert die Schwierigkeit eines Geschöpfes, das in der Zeit beginnt, aber in alle Ewigkeit fortdauert, ein unsterbliches Wesen, dessen Existenz auf einen physischen Zeugungsakt angewiesen ist, das selbst jedoch stets gänzlich unphysisch und unabhängig von dem aus der Zeugung hervorgegangenen Körper ist. Diese Einwände sind für den Verstand unüberwindlich. Doch erhebt sich hier auch die Schwierigkeit, dass diese Seele eine Vergangenheit erbt, für die sie in keiner Weise verantwortlich ist, oder dass sie belastet wird mit beherrschenden Neigungen, die ihr nicht durch ihr eigenes Tun auferlegt wurden, und dass sie doch für ihre Zukunft verantwortlich ist, die so behandelt wird, als wäre sie keineswegs durch jenes oft beklagte Erbe, damnosa hereditas, oder jene unfaire Erschaffung determiniert, sondern wäre ganz ihr eigenes Werk. Wir sind hoffnungslos das, was wir sind, und sind doch verantwortlich für das, was wir sind – oder zumindest für das, was wir in Zukunft sein werden, was unvermeidlich zum größten Teil durch das bestimmt wird, was wir von Anfang an waren. Und wir haben nur diese eine Chance. Plato und der Hottentotte, das vom Glück begünstigte Kind von Heiligen oder Rishis und der geborene geschulte Verbrecher, der von Anfang bis Ende in der niedrigsten stinkenden Korruption einer modernen Großstadt untergetaucht ist – sie alle haben gleichermaßen durch Handeln oder Glauben aus diesem einen ungleichen Leben ihre ganze ewige Zukunft zu erschaffen. Dies ist ein Paradox, das die Seele wie die Vernunft, das ethische Empfinden wie die spirituelle Intuition verletzt.

Es gibt auch die verwandte Idee, hinter der eine Wahrheit dunkel schimmert, dass die Seele des Menschen etwas Hohes, Reines und Großes ist, das in das materielle Dasein fiel und durch den Gebrauch seiner Natur und seines Tuns im Körper sich erlösen und zu seiner eigenen himmlischen Natur zurückkehren muss. Doch es ist klar, dass dieses eine irdische Leben nicht für alle genügt, um diese schwierige Rückkehr zu bewerkstelligen, sondern vielmehr wohl die meisten sie tatsächlich ganz verfehlen; und wir müssen dann entweder vermuten, dass eine unsterbliche Seele zugrundegehen oder zur ewigen Verdammnis verurteilt werden kann, oder aber, dass sie mehr Leben hat als dieses armselige, gefährliche eine, das ihr offenbar gegeben wurde, mehrere Leben oder Seinszustände, die zwischen ihrem Fall und der endgültigen Bewerkstelligung einer sicheren Erlösung liegen. Doch die erste Vermutung ist allen Schwierigkeiten jenes anderen Paradoxes ausgesetzt. Abgesehen von dem Problem, warum dieser Herabstieg erfolgt ist, ist schwer einzusehen, wie diese verschiedenen Seelen direkt vom himmlischen Sein unmittelbar in solche äußerst unterschiedlichen Abstufungen bei ihrem Fall geraten sein sollen, und zwar so, dass jede einzelne für die im Übrigen grausamen und ungleichen Bedingungen verantwortlich ist, unter denen sie so summarisch ihre ewige Zukunft zu bestimmen hat. Jede muss doch sicherlich eine Vergangenheit gehabt haben, durch die sie für ihre gegenwärtige Lage verantwortlich wurde, wenn sie so streng gehalten werden soll, dass sie über alle Auswirkungen und über den Gebrauch, den sie von ihrer oft allzu dürftigen, missgünstigen und zuweilen ganz hoffnungslosen Gelegenheit macht, Rechenschaft abzulegen hat. Die eigentliche Natur unseres Menschseins setzt für die Seele sowohl eine variierende, wesentliche Vergangenheit als auch eine sich daraus ergebende Zukunft voraus.

Annehmbarer ist daher eine neuere Theorie, die vorschlägt, dass ein Geist oder mentales Wesen von einer anderen, höheren Ebene herabgestiegen ist und die materielle Existenz auf sich genommen hat, als die physische und tierhafte Evolution weit genug vorangeschritten war, dass eine menschliche Einkörperung auf der Erde möglich wurde. Er schaut auf eine lange Reihe menschlicher Leben zurück, die an dem Punkt beginnt, der jeden von uns in seinen jetzigen Zustand gebracht hat, und nach vorn auf eine sich noch fortsetzende Reihe, die alle Leben durch ihre eigenen Stufen und nach ihrer eigenen Zeit zu irgendeiner Erfüllung, Verklärung, Rückkehr bringen wird, die die sich selbst verkörpernde menschliche Seele erwartet und die Krönung ihres langen Mühens ist. Doch auch hier stellt sich wieder die Frage: Wodurch kommt diese Verbindung eines spirituellen Wesens und einer höheren mentalen Natur mit einem physischen Wesen und einer niedrigeren Tiernatur zustande? Wodurch wird dies Aufgreifen eines niedrigeren Lebens durch den Geist erforderlich, der hier Mensch wird? Es könnte gewiss scheinen, dass hier eine Vorverbindung bestanden haben muss; das besitzende mentale oder spirituelle Wesen muss die ganze Zeit dieses niedrigere Leben, das es so in Besitz nimmt, für eine menschliche Manifestation vorbereitet haben. Die ganze Evolution wäre dann von Anfang an eine geordnete Kontinuität, und das Eingreifen von Mental und Geist wäre kein plötzliches, unerklärliches Wunder, sondern ein Zutagetreten dessen, was immer schon dahinter stand, ein offenes Aufgreifen des manifestierten Lebens durch eine Kraft, die insgeheim immer schon die Lebensevolution geleitet hat.

Diese Theorie der Wiedergeburt setzt eine Evolution des Seins in der materiellen Welt von der Materie zum eingekörperten Mental und einen universalen Geist voraus, der diese Evolution beseelt, während unser individueller Geist im Universalen existiert und seinen Lauf nach oben nimmt zu einer beabsichtigten Vollendung oder Befreiung oder zu beiden, die uns am Ende winken mögen. Viel mehr noch kann es bedeuten, doch zumindest dies; eine Seelen-Evolution das eigentliche Faktum, ein Annehmen immer höherer Formen die erste Erscheinung. Wir könnten der menschlichen Seele in der Tat eine Vergangenheit und eine Zukunft zuerkennen, diese aber unter und über diese irdische Ebene stellen und nur eine zufällige oder absichtliche Existenz auf Erden gelten lassen. Doch würde dies zwei Ordnungen progressiver Existenz bedeuten, die unverbunden sind und sich doch für einen kurzen Moment treffen. Es gäbe eine irrende menschliche Einzelseele, die in die geordnete irdische Evolution hereinkommt und beinahe sofort wieder hinausgeht ohne jede verbindende Ursache oder Notwendigkeit. Doch bleibt insbesondere das Phänomen des weitgehend irdischen Tierwesens und der Natur dieser spirituellen und überirdischen Wesenheit ohne befriedigende Erklärung, dieser Seele, ihr Befreiungskampf und die unendlich wechselnden Stufen, auf denen es ihr in verschiedenen Körpern gelang, die niedere Natur zu beherrschen. Eine vergangene irdische Seelen-Evolution, die für diese Veränderungen und Stufen unseres Mischwesens hinreichend verantwortlich ist, und eine künftige Seelen-Evolution, die uns fortschreitend hilft, die Gottheit des Geistes zu befreien, scheint die einzig richtige und annehmbare Erklärung für diese schwere Arbeit einer an die Materie gefesselten Seele zu sein, die eine wandelbare Stufe des Menschseins inmitten einer allgemeinen, fortschreitenden Erscheinung von Leben, Mental und Geist in einem materiellen Universum erreichte. Wiedergeburt ist der einzig mögliche Mechanismus für eine solche Seelen-Evolution.

 

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Kapitel 5
Die Bedeutung der Wiedergeburt

Worte Sri Aurobindos

Das Problem, das wir selbst sind – warum wir hier sind, was wir sind, was hinter und vor und um uns ist und was wir mit uns selbst, unseren inneren Bedeutungen und unserer äußeren Umgebung anfangen sollen – das ist die Frage, die mit allen ihren Verwicklungen die Summe der Philosophie ist und in die letztlich alles menschliche Forschen einmündet. In der Vorstellung der entwicklungsmäßigen Wiedergeburt, sofern wir sie als Wahrheit erkennen und ihren Prämissen und Folgerungen zustimmen können, finden wir einen hinreichenden Anhaltspunkt für eine Antwort auf alle diese untereinander verbundenen Seiten dieser einen immerwährenden Frage. Eine spirituelle Evolution, für die unser Universum den Schauplatz und die Erde die Bühne bildet, obwohl ihr Plan noch vor unserem doch begrenzten Wissen zurückgehalten wird – diese Art, das Leben zu sehen, ist ein lichtvoller Schlüssel, mit dem wir viele dunkle Türen aufschließen können. Aber wir müssen diese Evolution im richtigen Blickwinkel betrachten, um ihre wahren Proportionen zu erhalten, und besonders, um sie nicht so sehr in ihrem mechanischen Ablauf, sondern vielmehr in ihrer spirituellen Bedeutung zu sehen. Versäumen wir dies, dann werden wir in philosophische Spitzfindigkeiten verstrickt und auf dieser oder jener Seite zu übertriebenen Negationen gedrängt, und unsere Aussage, so vollkommen ihre Logik auch sein mag, bleibt doch für das Gesamtverständnis und die vielschichtige Seele der Menschheit unbefriedigend und ohne Überzeugungskraft.

Die bloße Vorstellung wiederholter Geburten als Prozess unserer Seelen-Existenz führt uns nicht viel weiter als die simple materielle Wirklichkeit dieses einzelnen Lebens im Körper, diese erste Tatsache unserer bewussten Empfindung und Erinnerung, die der Anlass aller unserer Betrachtungen ist. Zwar erinnert uns die Wiedergeburt, hinter unserem vorliegenden Ansatzpunkt und diesem einen Zipfel unserer Gattung in den Bereichen des Seins vorangehend, an eine Vergangenheit, an bedeutungsvolle frühere Lebensbahnen, an eine Seelen-Existenz in vielen voraufgegangenen Körpern, die unmittelbar das haben entstehen lassen, was wir jetzt sind. Doch zu welchem Nutzen oder Vorteil, wenn es in unserem früheren Dasein und in unserem weiteren Fortbestehen keinen progressiven Sinngehalt gibt? Die Wiedergeburt räumt das Hindernis der leeren Wand des nahen Todes vor uns weit weg aus unseren Augen; unsere Erdenreise wird nun weit weniger ein langer oder kurzer Weg, den man nicht zurückgehen kann und der jäh und bestürzend in einer Sackgasse endet; unserem physischen Tod ist das grausamste Gift seines Stachels genommen. Denn die Last des Todes ist für den Menschen, das denkende, wollende, fühlende Geschöpf, nicht der Verlust dieses dürftigen körperlichen Gehäuses oder Gefährts, sondern sie besteht in der blinden psychischen Endgültigkeit, an die der Tod gemahnt, das stupide materielle Ende unseres Wollens, Denkens, Strebens und Mühens, das brutale Abbrechen der guten und lieben Herzensbeziehungen und -neigungen, die sinnlose, verurteilende Unterbrechung dieses wunderbaren und allestragenden Seelen-Sinnes, der uns unsere strahlenden Einblicke in die Herrlichkeit und Wonne des Daseins gibt – dies ist der Missklang und die grausame Inkonsequenz, gegen die das denkende, lebendige Geschöpf revoltiert, weil sie unglaubhaft und unzulässig sind. In der feurigen Spannung, die unser Leben, unser Mental und unsere Psyche zur Unsterblichkeit treibt und die dem Aufhören nur dadurch zustimmen kann, dass sie ihrer eigenen Naturflamme feind wird, und in der Absage an sie, die von der dumpfen Ergebenheit des träge dem Tod wie dem Leben zustimmenden Körpers über uns gebracht wird, liegt der ganze schmerzvolle, unversöhnliche Widerspruch unserer Doppelnatur. Die Wiedergeburt nimmt die Schwierigkeit weg und löst sie im Sinne einer Seelen-Kontinuität mit einem Pulsieren physischer Wiederholung. Wie andere nicht-materialistische Lösungen gibt sie der Eingebung der Seele gegen den Hinweis des Körpers Recht und sanktioniert die Forderung nach dem Weiterleben, im Gegensatz zu einigen anderen Lösungen jedoch rechtfertigt sie das körperliche Leben wegen seiner Nützlichkeit für die stete Selbsterfahrung der Seele; unser allzu flüchtiger Auftritt im Körper ist dann kein vereinzelter Zufall und kein abgebrochenes Zwischenspiel mehr, sondern er wird durch eine erfüllte Zukunft wie auch eine schöpferische Vergangenheit für seine im anderen Fall zufälligen Handlungen und Beziehungen gerechtfertigt. Doch ist es mit bloßem Weiterbestehen und mechanischer Kontinuität nicht getan; das ist nicht alles, was unser seelisches Wesen bedeutet, nicht die ganze lichte Bedeutung des Weiterlebens und der Kontinuität; ohne Aufstieg, ohne Ausweitung, ohne ein Hinaufwachsen geradeswegs in das Licht mit der Kraft unseres Geistes plagen sich unsere höheren Teile hier unvollendet, ist unsere Geburt in der Materie durch keine angemessene Bedeutung gerechtfertigt. Wir sind nicht viel besser dran, als wenn der Tod unser Ende bliebe; denn unser Leben wird dann letztlich eine in das Endlose fortdauernde, erneuerte und zeitweise konsequente Sinnlosigkeit anstelle einer inkonsequenten, jäh endenden und bald dem Urteilsspruch verfallenen Vergeblichkeit.

Die Wiedergeburt bewirkt außerdem, dass die Welt um uns – unsere Umgebung, ihre Einflüsse, ihre günstigen Gelegenheiten – nicht mehr als eine Stätte vergänglichen physischen Blühens zurückgelassen wird oder als ein Leben, das sich sehr wenig um den Einzelnen kümmert und diesem auch sehr wenig bedeutet, obschon es vielleicht der Gattung Mensch während deren unbestimmter längerer Zeitdauer viel bieten kann. Die Welt wird für uns zu einem Feld der Seelen-Erfahrung, zu einem System der Seelen-Wiederkehr, einem Mittel der Selbstverwirklichung, vielleicht zu einer Kristallisation der wirksamen Selbst-Reflexionen des Wesens. Doch zu welchem Zweck, wenn unsere Wiederkehr nur eine Wiederholung oder ein unschlüssiges Fluktuieren innerhalb weniger fester Gruppentypen ist, deren Leistungszyklus sehr begrenzt und immer unvollendet bleibt? Denn darauf läuft es hinaus, wenn es kein Ventil nach oben, kein unendliches Fortschreiten, weder Entrinnen noch Ausweitung in die Unendlichkeiten der Seele gibt. Die Wiedergeburt sagt uns, dass das, was wir sind, eine Seele ist, die ständig das Wunder der Selbst-Verkörperung vollbringt; doch warum diese Verkörperung, was hat diese Seele hier mit sich zu tun und welchen Gebrauch soll sie von dieser Welt machen, die ihr als grandioser Schauplatz, als schwieriges, formbares Material und als Belagerungsgeschütz in Gestalt vielfältiger Reize und Anregungen gegeben ist – das ist schwerlich klarer als zuvor. Doch die Vorstellung der Wiedergeburt als Anlass und Möglichkeit für eine spirituelle Entwicklung füllt jede Lücke aus. Sie macht aus dem Leben einen bedeutungsvollen Aufstieg und nicht einen Wiedergeburtsmechanismus; sie eröffnet uns die göttlichen Ausblicke einer wachsenden Seele; sie bringt die Welten in einen Zusammenhang spiritueller Selbstausdehnung; und mit dem zuverlässigen Versprechen an alle, dass jetzt oder in Zukunft ein großer Fund getätigt wird, veranlasst sie uns, nach der Selbst-Erkenntnis unseres Geistes und der Selbst-Erfüllung einer weisen und göttlichen Absicht in unserer Existenz zu suchen.

Der bedrückende Sinn eines Kreisens in mechanischer Wiederholung und das leidenschaftliche Suchen nach einem Durchlass für das absolute Entrinnen belasteten die früheren Aussagen über die Wahrheit der Wiedergeburt und hinterließen trotz der Tiefe, die sie ausloteten, den Eindruck einer nicht zufriedenstellenden Unzulänglichkeit – nicht einer unlogischen, denn sie sind hinreichend logisch, wenn ihre Prämissen angenommen werden, sondern einer unbefriedigenden, weil durch sie unser Sein für uns nicht gerechtfertigt wird. Denn indem sie den göttlichen Nutzen des kosmischen Wirkens verfehlen, versagen sie darin, dass sie uns Gott, uns selbst und das Leben nicht mit hinreichend umfassender, geduldiger und fester Vollständigkeit erklären, sie verwerfen zuviel, gehen an dem positiven Sinn unserer Bemühung vorbei und lassen uns mit einem gewaltigen Nachklang spiritueller Vergeblichkeit und kosmischer Dissonanz zurück. Keine Aussage über den Sinn unseres Seins oder Nicht-Seins hat der Wiedergeburt größeres Gewicht beigelegt als die buddhistische; doch ihre nachdrückliche Bestätigung ist eine um so stärkere Leugnung. Sie fasst die Wiederkehr der Geburt als eine nicht enden wollende mechanische Kette auf; mit einem Gefühl des Leidens und des Ekels sieht sie im ewigen Sichdrehen eines gigantischen kosmischen Energie-Rades keinen göttlichen Sinn in dessen Umdrehungen, sie sieht dessen Beginn als eine Bestätigung unwissender Begierde, sein Ende als eine auslöschende Seligkeit des Entrinnens. Das sich nutzlos drehende Rad stört auf ewig den Frieden des Nicht-Seins und erzeugt Seelen, deren einzige schwere Chance und deren ganze Musteraufgabe darin besteht aufzuhören. Die Vorstellung des Seins ist nur eine Erweiterung unseres ersten materie-beherrschten Gefühls von der Welt, von unserer Erschaffung in ihr und unserem endgültigen Ende. Sie greift unser erstes klares Bild vom körperlichen Leben an jeder Stelle auf und formuliert alle seine Einzelheiten im Sinne einer seelischeren und spirituelleren Vorstellung unserer Existenz.

Im materiellen Universum sehen wir ein riesiges System periodischer mechanischer Wiederkünfte. Eine ungeheure mechanische Wiederkehr lenkt alles lang Andauernde und Weite; eine ähnliche, jedoch schwächere, alles Vergängliche und Kleine. Die Sonnen schießen hervor ins Sein, rollen flammend im Raum, verschwenden Kraft durch Bewegung, verblassen und sind erloschen; vielleicht, um wieder aufzuflammen ins Sein und ihren Lauf von neuem zu beginnen, oder aber es treten andere Sonnen an ihre Stelle und drehen ihre Runden. Die Jahreszeiten der Zeit wiederholen ihre wandellosen Zyklen ohne Ende. Immer lässt der Lebensbaum seine vielfältigen Blüten sprießen, wirft sie ab und lässt die gleichen wieder hervorbrechen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Der menschliche Körper wird geboren und wächst, wird schwach und schwindet dahin, doch aus ihm werden andere Körper geboren, die denselben einen sinnlosen Zyklus aufrechterhalten. Dieser ganze bemühte und beharrlich fortdauernde Vorgang ist für das Verständnis deshalb ein Rätsel, weil darin offenbar nicht der geringste Sinn und keine Bedeutung liegt außer der bloßen Tatsache eines grund- und zwecklosen Daseins, dem das aufhebende oder ausgleichende Faktum des individuellen Aufhörens auf dem Fuße folgt beziehungsweise es erleichtert. Und dies deshalb, weil wir den Mechanismus wahrnehmen, jedoch die Macht, die diesen Mechanismus in Gebrauch nimmt, und die Absicht in diesem Gebrauch nicht sehen. In dem Augenblick aber, in dem wir erkennen, dass es einen bewussten, in sich selbst weisen und unendlichen Geist gibt, der über das Universum nachsinnt, und eine geheime, langsam sich selbst findende Seele in den Dingen, gelangen wir zur Notwendigkeit einer Idee in seinem Bewusstsein, zur Notwendigkeit von etwas, das durch diese großen, planvollen Tätigkeiten konzipiert, gewollt, in Bewegung gesetzt wird und mit Sicherheit geleistet und allmählich erfüllt werden soll.

 

Die buddhistische Darstellung lässt jedoch in ihrem streng mechanischen Lebenssystem weder ein Selbst noch einen Geist noch ein ewiges Wesen gelten. Sie erfasst nur das Phänomen eines ständigen Werdens und erhebt es von der physischen zur psychischen Ebene. So wie es für unser physisches Mental klar ist, dass es Energie, Tätigkeit und Bewegung gibt, die durch ihre materielle Kraft die Formen und Mächte des materiellen Universums erschaffen können, so gibt es für die buddhistische Sicht der Dinge Energie, Tätigkeit und Karma, die durch ihre psychische Ideen- und Assoziationskraft dieses eingekörperte Seelen-Leben mit seiner kontinuierlichen periodischen Wiederkehr schaffen. Wie der Körper eine dem Zerfall ausgesetzte Gestaltung, Zusammensetzung und Verbindung ist, so ist auch die Seele eine auflösbare Gestaltung und Verbindung; das seelische Leben erhält sich wie das physische Leben selbst durch ein ununterbrochenes Fließen und eine ständige Wiederholung derselben Tätigkeiten und Bewegungen. Wie diese ständige Erbfolge von Leben eine Verlängerung des einen universellen Lebensprinzips durch fortgesetzte Schaffung ähnlicher Körper, eine mechanische Wiederkehr ist, so ist auch das System der Seelen-Wiedergeburt eine ständige Verlängerung des Prinzips des Seelen-Lebens durch fortgesetzte Schaffung von ähnlichen eingekörperten Assoziationen und Erfahrungen mittels Karma, eine mechanische periodische Wiederkehr. Wie die Ursache dieser ganzen physischen Geburt und dieser fortlaufenden Vererbung ein dunkler Wille zum Leben in der Materie ist, so ist die Ursache der fortgesetzten Seelen-Geburt ein unwissender Wunsch oder Wille, in der universellen Karma-Energie zu sein. Wie das ständige Kreisen des Universums und die Bewegungen seiner Kräfte individuelle Existenzen erzeugen, die sich durch individuellen Tod vom Sein freimachen oder in ihm enden, so gibt es dieses ständige Rad des Werdens und der Karma-Bewegung, wovon individualisierte Seelen-Leben gebildet werden, die sich aus ihrer ununterbrochenen Aufeinanderfolge durch ein Hinschwinden und Aufhören befreien müssen. Das Erlöschen des eingekörperten Bewusstseins ist unser offenbares materielles Ende; auch für die Seele ist das Ende ein Erlöschen, die inhaltslose Befriedigung des Nichts oder irgendeine unbeschreibliche Seligkeit eines überbewussten Nicht-Seins. Der Kern dieser Auffassung ist die Behauptung des mechanischen Geschehens oder periodischen Wiederkehrens der Geburt; doch während Ende und Zerfall des körperlichen Lebens aufgezwungen sind, endet das Seelen-Leben durch eine gewollte Selbstauslöschung.

Die buddhistische Theorie fügt der ersten klaren Bedeutung des Lebens lediglich eine sich ins Endlose fortsetzende Verlängerung durch Wiedergeburt hinzu, die eine Last, nicht ein Gewinn ist, sowie die spirituelle Größe der Disziplin der Selbstauslöschung – letztere zweifellos von großem Wert. Die illusionistische Lösung tut etwas hinzu, unterscheidet sich aber in ihrem Motiv nicht sehr von der buddhistischen. Sie setzt gegen die sinnlose kosmische Wiederholung eine Ewigkeit unseres eigenen absoluten Wesens; aus der Unwissenheit, durch die der illusorische Mechanismus einer periodischen Wiederkehr der Wiedergeburt entsteht, entrinnt sie in das Selbstwissen unserer unbeschreibbaren Existenz. Dies scheint eine positive Spannung einzuführen und unserem Sein eine Wirklichkeit zu verleihen, die einen Anfang, eine tragende Mitte und ein daraus folgendes Ergebnis hat. Doch hier klafft eine Lücke durch das Fehlen aller wahren und gültigen Beziehung zwischen diesem unserem eigentlichen Wesen und unserem ganzen Werden und Geborenwerden. Das letzte Ergebnis und Ende unseres Geborenwerdens wird nicht als eine absolute Erfüllung dessen, was wir sind, dargestellt – das wäre eine große, reiche und herrlich positive Philosophie –, auch nicht als die endgültige Bestätigung einer fortschreitenden Selbstfindung – auch dies gäbe unserem Leben einen noblen Sinn –; es ist eine Abwendung von der Forderung des universalen Geistes, ein Zurückweisen aller dieser kosmischen Ideen, Imaginationen, Aspirationen, dieses Wirkens und Ins-Werk-Setzens. Der Weg, unser uns gegebenes Wesen zu finden, ist eine absolute Ablehnung unseres ganzen Werdens. Wir steigen zum Selbst auf durch eine befreiende Verneinung von uns selbst, und am Ende folgt die Idee im Universum ihrer ungeheuerlichen und ziellosen Bahn, doch das Individuum hört auf und hat seinen Segen. Das Motiv dieser Denkweise ist wie in der buddhistischen dasselbe bedrückende Gefühl eines unwissenden kosmischen Wiederkehr-Mechanismus und dieselbe hohe leidenschaftliche Ungeduld, sich freizumachen. Vorhanden ist die Anerkennung eines göttlichen Ursprungs des Lebens, jedoch eine Nicht-Anerkennung jedes göttlichen Sinns im Leben. Und was die Wiedergeburt anbelangt, so wird sie in ihrer Bedeutung zu einem ständigen Mechanismus der Selbsttäuschung, und der Wille, nicht zu leben, wird uns als letzte Errungenschaft, als das höchste Gut und das eine wünschenswerte Ergebnis des Lebens vorgewiesen. Die Befriedigung, die der Illusionismus gibt – denn eine Art hoher, nüchterner Befriedigung gibt er dem Intellekt und einer spirituellen Tendenz –, liegt einmal darin, dass die offenkundige Antinomie zwischen dem Universum, diesem großen, beschwerlichen und despotischen Mechanismus, und dem Geist, der fühlt, dass er von anderer, göttlicherer Natur ist, zu einem letzten Punkt hindrängt; sie liegt sodann in der großen Erleichterung für eine Seele, die sich leidenschaftlich nach Freiheit sehnt, jedoch gezwungen ist, als eine Triebfeder der schwerfälligen Maschine weiterzuarbeiten, und darauf brennt, die kosmische Last abwerfen zu können; und endlich liegt sie in der freien, nackten Absolutheit dieses spirituellen Abschlusses. Auf die Frage nach Gott, nach dem Menschen und nach dem Sinn des Lebens gibt der Illusionismus jedoch keine wahre, weil keine fruchtbare Antwort; durch ein geschicktes Ausweichen entfernt er sich lediglich davon und nimmt ihnen alle Bedeutung, so dass jede Frage nach Sinn und Willen in dieser ganzen furchtbaren Arbeit, in diesem Hämmern und Suchen sinnlos wird. Doch kann der Mensch der Herausforderung von Gottes Universum an die Erkenntnis und Stärke des menschlichen Geistes letztlich nicht mit Ablehnung und Ausweichen begegnen, auch wenn eine einzelne Seele vor diesem Anspruch in spiritueller Trance oder im Schlaf Zuflucht nehmen oder durch deren blinde Tore in das Absolute entrinnen kann, wie sich auch der Mensch vor der Last des Handelns und dem Kummer in die Nichtbewusstheit zurückziehen mag. Etwas wird vom Geist des Universums mit unserer Arbeit im Dasein beabsichtigt, es liegt ein Sinn in diesen grandiosen Rhythmen, und er hat sie nicht in einem ewig währenden Irrtum oder nur so zum Spaß erschaffen1. Dies zu wissen und es zu besitzen, bewusst die verborgenen Sinngehalte des Welten-Seins zu finden und zu erfüllen, ist dem menschlichen Geist aufgegeben.

Andere Darstellungen oder Färbungen der Idee der Wiedergeburt räumen dem Dasein einen positiveren Sinn ein und haben ein stärkeres Vertrauen in die Macht und Wonne des Seins, seinen geheimen Quellen; aber sie straucheln schließlich alle über die Grenzen der Menschheit und die Unfähigkeit, aus ihrer Knechtschaft einen Ausweg in der Weltordnung zu finden, weil sie glauben, diese sei etwas seit ewigen Zeiten Festgelegtes, sasvatibhyah samabhyah –, kein ewig sich entwickelnder und schöpferischer, sondern ein unveränderlicher Zyklus. Die Vaishnava-Vorstellung von Gottes Spiel trifft eigentlich das Geheimnis der verborgenen Wonne im Herzen der Dinge und ist ein leuchtend helles Licht mitten hinein in die Dunkelheit des Rätsels; isoliert kann sie es jedoch nicht lösen. Hier in der Welt ist mehr als ein Spiel geheimer Wonne; da ist Erkenntnis, da ist Macht, da ist Wille und eine gewaltige Arbeit. So betrachtet wird die Wiedergeburt allzu sehr zum Selbstzweck eines Spiels göttlicher Laune, und unsere Welt ist zu groß und zu mühevoll, als dass dies ihre Begründung sein könnte. Eine so buntscheckige Wonne, wie sie hier unserem Werden beigegeben wird, ist ein Verkleidungs- und Suchspiel ohne jedes Versprechen einer göttlichen Vollkommenheit, ihre Kreise scheinen letztlich nicht wert, ausgeschritten zu werden, und mit Freuden wendet sich die Seele ihrer Erlösung aus den frustrierenden Irrgärten des Spiels zu. Die tantrische Lösung zeigt uns eine höchste, überbewusste Energie, die sich hier selbst hinausschleudert in wimmelnde Welten und mannigfaltige Wesen, und in ihrer Ordnung steigt die Seele von Geburt zu Geburt und folgt ihren Millionen Formen, bis sie sich in einer letzten menschlichen Reihe dem Bewusstsein und den Mächten ihrer eigenen Göttlichkeit öffnet und durch sie in einer raschen Erleuchtung zum ewigen Überbewusstsein zurückkehrt. Wir finden endlich den Anfang zu einer befriedigenden Synthese, eine Rechtfertigung des Daseins, eine sinnvolle Konsequenz in der Wiedergeburt, einen Nutzen und eine hinreichende, wenngleich nur vorläufige Bedeutung für die große Bewegung des Kosmos. Auf Grund ganz ähnlicher Prinzipien ist der moderne Geist, sobald er bereit ist, die Wiedergeburt zu akzeptieren, geneigt, sie in Augenschein zu nehmen. Doch ist die Betonung des göttlichen Potenzials der Seele zu gering, diejenige des Entrinnens in das Überbewusstsein voreilig; die Vorbereitungszeit, die die höchste Energie für ein so kurzes und unzureichendes Blühen einrichtet, ist allzu lang und gewaltig. Hier klafft eine Lücke, hier fehlt noch ein Geheimnis.